Exposee „Gründächer als Baustein nachhaltiger Architektur“ von Maik W. Neumann Vortrag im Rahmen des Weltgründachkongresses – September 2005, Basel neumann architekt Gründächer als Baustein nachhaltiger Architektur 1 MAIK W. NEUMANN • WANNENSTRASSE 24 • 70199 STUTTGART TELEFON 0711 – 640 9449 • E-MAIL [email protected] Exposee „Gründächer als Baustein nachhaltiger Architektur“ von Maik W. Neumann Vortrag im Rahmen des Weltgründachkongresses – September 2005, Basel neumann architekt Meldungen von Umweltkatastrophen, globaler Erwärmung, Feinstaubbelastung und erhöhter UV-Strahlung sensibilisieren die Gesellschaft in zunehmendem Maß. Daraus resultiert, dass umweltgerechtes Leben weitestgehend aus der Nische der Ökobewegung herauswächst und als ein wesentliches Element zur angestrebten, hohen Gesamtqualität des Lebens und der Umwelt geworden ist. Das liegt zum einen an den finanziellen Vorteilen, welche dieses Verhalten mit sich bringt. Zudem sind Umweltthemen Bestandteil der Werbung und somit imagefördernd, sowohl für Produkte als auch für deren Käufer. Doch viel zu häufig stellen sich die umweltschonenden Handlungen nur als oberflächliche Maßnahmen dar, welche das Ziel verfehlen: Mülltrennung steht vor Müllvermeidung, das Fahren sparsamer Autos vor Kilometerreduzierung oder der Benutzung des ÖPNV, die Spartaste der Toilettenspülung vor der Grauwassernutzung, usw. Die Menschen in unserer typenorientierten Gesellschaft neigen dazu, die Zeichenhaftigkeit einer Sache höher zu bewerten als die Sache an sich: Solarzellen beispielsweise bieten eine hohe Zeichenhaftigkeit. Sie sind ein Symbol für nachhaltiges, ökologisches Bauen, jedoch in der Energiebilanz durchaus mäßig zu bewerten. Auch Gründächer haben eine hohe Zeichenhaftigkeit. Darüber hinaus bieten sie natürlich auch eine ganze Reihe von positiven Wirkungen. Diese sind vor allem im Mikroklimatischen und im Wasserhaushalt zu finden. Und es sprechen günstige Einflüsse auf die Bauphysik für die Begrünung von Gebäuden. Daher ist es richtig, dass bereits viele Dachbegrünungen ausgeführt werden. Das liegt neben den umweltrelevanten Aspekten auch an dem Image, dass diese Baumaßnahmen transportieren: Grüne Pflanzen sind per se romantisch: Der schöne Garten, das Paradies, aus dem der Mensch vertrieben wurde, und in das der Mensch zurück strebt. Die entspannende Wiese mit Gräsern, Vögeln, darüber blauer Himmel und die Sonne. Grün steht für Natur, Reinheit, Wohlbefinden. Durch diese eindimensionale, isolierte Betrachtung besteht jedoch die Gefahr, dass Gründächer mit der Dominanz ihrer auslösenden Assoziationen andere Aspekte in den Hintergrund drängen. Grün lediglich als Symbol nachhaltigen Bauens? Das wird weder dem Gründach noch dem nachhaltigen Bauen gerecht. Man mag entgegnen, dass ein grünes Dach auf einem intensiv energieverbrauchenden Bürohaus besser sei, als ein Dach aus Kieseln oder gar Blech. Das ist richtig. Doch da die Entscheidung für ein Gründach bereits eine grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, positiv auf den Wasserhaushalt einzuwirken, wäre es naheliegend, diese Chance zu nutzen und weiterführende Maßnahmen zu ergreifen, in die sich das Gründach integriert: Auf der Grundlage einer zielorientierten Analyse der spezifischen wasserwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sollte nach der Betrachtung aller potentiellen Lösungsansätze aus der Vielzahl der möglichen Maßnahmen ein in sich stimmiges Maßnahmenbündel zusammengestellt werden. Diese konzentrieren sich mit den beiden übergeordneten Themen Trinkwasser bzw. Regenwasser weiterführend auf die Ziele der Verminderung des Wasserverbrauchs, des Wasserrecyclings, der naturnahen Regenwasserbewirtschaftung, der naturnahen dezentralen Abwasserbehandlung. Doch worin liegt die Ursache, dass sich Bauherrn zumeist nicht auf eine integrale Lösung, sondern vielmehr auf Einzelmaßnahmen ökologischen Bauens beschränken? Hauptsächlich in der geringen Motivation, welche jedoch durch finanzielle Anreize oder imagerelevante Aspekte 2 MAIK W. NEUMANN • WANNENSTRASSE 24 • 70199 STUTTGART TELEFON 0711 – 640 9449 • E-MAIL [email protected] Exposee „Gründächer als Baustein nachhaltiger Architektur“ von Maik W. Neumann Vortrag im Rahmen des Weltgründachkongresses – September 2005, Basel neumann architekt erhöht werden könnte: Wenn die Investitionskosten für den Bauherrn knapp bemessen sind, besteht zunächst wenig Einsicht für den Bau von solchen Ausgleichsmaßnahmen, auch wenn diese sich über die Nutzungsdauer rentieren. Anders ausgedrückt: Im heutigen wirtschaftlichen Umfeld wird bei ökologischen Maßnahmen ein besonderes Augenmerk auf die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit im Vergleich mit herkömmlichen Konzepten gelegt. Dies ist sicher richtig, da der Kostenfaktor eine Voraussetzung für die Umsetzung von ökologischen Lösungen ist. Doch zielen diese langfristig unter anderem auf die Reduzierung der Betriebs- und Unterhaltskosten eines Gebäudes. Diese liegen für die 50-jährige Lebensdauer eines Standardgebäudes immerhin 5-6mal höher als die Investitionskosten. Im Umkehrschluss könnte diese Veranschaulichung den Abbau kurzfristiger ökonomischer Vorbehalte bedeuten und ein schlüssiger Nachweis dafür sein, dass ökologische Maßnahmen auch für den späteren Nutzer des Gebäudes wirtschaftlich sind. So könnten ganzheitliche Denkweisen in besonderem Maße gefördert werden. In meiner Arbeit als Dozent der Universität Stuttgart steht die Entschärfung des häufig noch vorhandenen Konflikts zwischen denjenigen, die hauptsächlich die ökonomische Seite im Blick haben, und anderen, die sehr idealistisch mit den Fragen des ökologischen Bauens umgehen, durch eine verbesserte Kommunikation und die Bereitstellung handhabbarer Kriterien und Methoden im Mittelpunkt. Gerade wenn wir uns mit der Frage der Bewertung der Effizienz eines Gründachs beschäftigen, ist es ganz entscheidend, Aufwand und Nutzen jeweils aus der spezifischen Sicht der Akteure, zum Beispiel Nutzer, Gesellschaft, Umwelt, über den gesamten Lebenszyklus hinweg bezogen auf Sach- und Wirkungsbilanz zu beurteilen: So kann sich ein Gründach im monetären Bereich über seine Lebensdauer amortisieren, was natürlich abhängig von der Qualität der Verarbeitung ist. Die energetische Betrachtung zeigt jedoch, dass der Produktionsort der einzelnen Schichten den Ressourcenverbrauch signifikant verändern kann und u.U. den Einsatz der gesamten Maßnahme in Frage stellt. Daher werden bei der von uns durchgeführten Entwicklung solcher sichtspezifischer Werkzeuge und Bewertungsverfahren nicht nur monetäre Größen verwendet, sondern zusätzlich und ergänzend auch Kriterien wie Ressourceninanspruchnahme und Umweltbelastung. Trotz unserer Erfolge der genaueren Analyse und Bewertung des nachhaltigen Bauens hinsichtlich der Vermittlung zwischen Ökologie und Ökonomie bleibt das nachhaltige Bauen komplex. Standardlösungen sind kaum möglich. Dafür sind die in der Forderung der Weltkonferenz von Rio 1992 beinhalteten gleichwertigen ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte zu weitreichend. Die daraus resultierenden ökologischen Gesamtkonzepte werden für die Gebäudeplanung in seiner Konsequenz nicht als isolierte Größe begriffen, sondern sollten erst zusammen mit seiner Umgebung als ein Ganzes betrachtet werden. Dieses ist gekennzeichnet durch das Zusammenspiel zwischen Innen- und Außenklima und das Nutzen der witterungs- und klimarelevanten Bedingungen. Als Teilkategorien sollten die Reduzierung des Flächenverbrauchs, eine Geringhaltung zusätzlicher Bodenversiegelung, die Orientierung der Stoffströme im Baubereich an den Zielen der Ressourcenschonung, die Vermeidung der Verwendung und des Eintrages von Schadstoffen in Gebäude, eine Schließung des Stoffkreislaufes bei Baumaterialien und die Verringerung der CO2-Emissionen von Gebäuden berücksichtigt werden. 3 MAIK W. NEUMANN • WANNENSTRASSE 24 • 70199 STUTTGART TELEFON 0711 – 640 9449 • E-MAIL [email protected] Exposee „Gründächer als Baustein nachhaltiger Architektur“ von Maik W. Neumann Vortrag im Rahmen des Weltgründachkongresses – September 2005, Basel neumann architekt Dass diese Vielzahl von Einzelthemen sinnvoll aufeinander abgestimmt Eingang in die Planung eines Gebäudes finden kann, welches nicht vordergründig ökologisch ist, sondern darüber hinaus auch durch die architektonischen Qualitäten und den wirtschaftlichen Erfolg überzeugt, zeigt das Genzyme Center in Cambridge, USA, an dem ich für das Büro Behnisch, Behnisch & Partner als Projektarchitekt gearbeitet habe, und das im Jahr 2004 fertiggestellt wurde: Bei diesem Gebäude tritt die Architektur gleichsam in einen Dialog mit den ökologischen Maßnahmen und lässt eine Wechselwirkung zu, die sich räumlich widerspiegelt und sowohl in der skulpturalen Ausformung als auch in den dadurch erreichten Qualitäten ihre Entsprechung findet: Ökologische Ziele als hochwertige Formgestalter der gebauten Umwelt. Die ökologische Planung dieses 30.000 m² großen Bürogebäudes für 950 Mitarbeiter erstreckt sich über alle Teile des Gebäudes: die Fassade, das Atrium, die Gebäudetechnik, die Beleuchtungsanlage und das Regenentwässerungssystem. Das Entwurfsteam, der Auftraggeber und der Bauunternehmer suchten nach dem optimalen Zusammenspiel von Architektur, Baukosten, Ausführung und Funktionssicherheit, um aus dem Forschungsgebäude einen ökologischen Firmenhauptsitz zu machen. Die Fassade ist eine Vorhangfassade über zwölf Geschosse. Die zentrale Gebäudetechnik steuert die Fenster, die so plaziert sind, dass sie während der kühlen Sommernächte zur Gebäudekühlung geöffnet werden können. Außerdem besteht mehr als 30% der Außenhülle aus einer belüfteten Doppelfassade mit einem nutzbaren Zwischenraum von 1,20 m Breite. Diese Klimafassade dient als Wärmepuffer: Im Sommer bildet sie einen Sonnenschutz und dient als Wärmeentlüftung, bevor die Luft ins Gebäude eintritt, im Winter erhitzen die Sonnenstrahlen die Klimafassade und verringern damit den Wärmeverlust über die Fassade. Das Atrium ist das Herz des Gebäudes: Es ist der Kommunikations- und Bewegungsraum der Angestellten und wird klimatisch als Lichtfänger und als riesiger Entlüftungsraum und genutzt. Die Luft wird durch den Luftdruckunterschied, der durch den natürlich Auftrieb entsteht, in den Lichthof geführt und verlässt den Raum über die Entlüftungsventilatoren im Glasdach. Frischluft wird über Lüftungsgitter in der Decke und über die Fenster in der Klimafassade in die Büroflächen eingeblasen. Das Beleuchtungssystem wird durch das im Überfluss vorhandene Sonnenlicht, das durch die Glasfassade und das Atrium einfällt, unterstützt. Dem Sonnenverlauf folgende Spiegel über dem Glasdach des Atriums leiten die Sonnenstrahlen weit in das Gebäude hinein. Wenn die Lichtsensoren genügend Licht fangen, wird das künstliche Licht automatisch gedimmt und somit Energie gespart. Zusätzlich verringern Energiesparlampen, die zentriert den ComputerArbeitsbereich beleuchten, den Lichtverlust. Die zentrale Heiz- und Kühlanlage für das Gebäude nutzt Dampf von einem zwei Blöcke weiter liegenden Kraftwerk. Dieses Kraftwerk hatte zuvor keinen Dampf produziert, wurde aber vor kurzer Zeit mit gasgefeuerten Turbinen ausgebaut, so dass nun eine der Maschinen als Blockheizkraftwerk eingesetzt werden kann. Der Dampf steuert im Sommer die Kühlelemente und wird im Winter direkt in Heizleistung umgesetzt. Dieser Energieumlauf produziert keinerlei Verlust und nutzt eines der effizientesten Kühlsysteme. Das Kraftwerk liefert je nach Bedarf Dampf und hat Emissionsfilter für kleine Partikel und Schwefel. Das Regenentwässerungssystem fängt das Wasser zunächst in zwei Wassertanks auf, bevor es in die Kanalisation weitergeleitet wird. Der eine Tank dient dem Wasserbedarf der Kühltürme. Obwohl dieses Regenwasser nicht den gesamten Kühlwasserbedarf decken kann, werden damit doch jedes Jahr tausende Liter von Trinkwasser gespart. Der zweite Tank wird von der Dachentwässerung des Atriums gespeist und versorgt das Grasdach, sobald Feuchtigkeitssensoren in der Erde Trockenheit anzeigen. 4 MAIK W. NEUMANN • WANNENSTRASSE 24 • 70199 STUTTGART TELEFON 0711 – 640 9449 • E-MAIL [email protected] Exposee „Gründächer als Baustein nachhaltiger Architektur“ von Maik W. Neumann Vortrag im Rahmen des Weltgründachkongresses – September 2005, Basel neumann architekt All diese ökologischen Planungsdetails – Energie- und Wassersparmassnahmen, Materialwahl, Bauplatzwahl und das ökologisch optimierte Arbeitsklima im Inneren - tragen zur hohen Gesamtqualität des Gebäudes bei. Das Gründach spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle, ist jedoch fester Bestandteil des ökologischen Gesamtkonzepts, welches zu Einsparungen über den Lebenszyklus beiträgt. Denn letztlich ist der finanzielle Anreiz das trojanische Pferd, durch das Werte von Umweltschutz und Kultur gleichermaßen verwirklicht werden können, bis diese dann tatsächlich gesellschaftlich so verankert und akzeptiert sind, dass dieser Umweg nicht mehr notwendig ist und häufiger der Mut zu komplexeren Lösungen bei eventuell erhöhter Anfangsinvestitionen vorhanden ist. Bis dahin erscheint es notwendig, integrale Lösungsansätze zu finden und die damit verbundenen Sach- und Wirkungsbilanzen durch geeignete Verfahren transparent zu machen. Dies könnte durch interdisziplinäre Planungsteams erreicht werden, die gemeinsam kompetent zielorientierte Lösungen erarbeiten, umsetzen und betreuen. Die Wirkung der Maßnahmen und deren richtige Darstellung erhöht dabei die Akzeptanz bei Bauherrn, Nutzern, Kunden, in der Gesellschaft und erhöht bestenfalls auch die Lebensqualität. Sowohl die Veranstalter als auch die Teilnehmer des Kongresses sind gefragt, die Chance zu nutzen und das anwesende Know-how und die Kompetenz zu bündeln, um gemeinschaftlich Ziele des nachhaltigen Bauens zu verwirklichen und dadurch ökologische und gleichsam ökonomische Erfolge zu erzielen, damit ökologisches Verhalten nicht nur auf oberflächliche Handlungen beschränkt bleibt, sondern in der Gesellschaft verankert wird. Maik W. Neumann Juni 2005 5 MAIK W. NEUMANN • WANNENSTRASSE 24 • 70199 STUTTGART TELEFON 0711 – 640 9449 • E-MAIL [email protected]