PRESSETERMIN Freitag, 18. Dezember 2015, 11 Uhr: Enthüllung der großen Bronzeskulptur „Beethoven“ (2015) von Markus Lüpertz vor dem Haupteingang des Museums der bildenden Künste Leipzig. Der Künstler wird bei der Enthüllung anwesend sein. Markus Lüpertz hat in den letzten Jahren immer wieder das Museum der bildenden Künste Leipzig besucht – beeindruckt von der pathetischen Architektur ist sein Ziel das Werk von Max Klinger gewesen. Dessen „Beethoven“ ist für ihn eine große Herausforderung. Markus Lüpertz‘ „Beethoven (Bronzeguss, 200x130 cm Grundfläche, Höhe 274 cm) existiert in zwei Exemplaren. Ein „Beethoven“ steht seit vergangenem Jahr in der „Beethoven“-Stadt Bonn, der zweite, jetzt ausgeführte Guss wird nun in Leipzig vor dem Museum der bildenden Künste platziert. Im Gegensatz zum historischen Vorbild holt Lüpertz Beethoven vom Sockel und platziert ihn unterhalb eines dominierenden Genius. Die farbige Gestaltung der beiden Figuren ist unterschiedlich. Das Enthüllungsdatum 18. Dezember ist sowohl eine Reminiszenz an die Eröffnung des ersten Museumsgebäudes am Augustusplatz (18.12.1858) wie an den Tauftag Ludwig van Beethovens (17.12.1770). Ein Sammler ermöglicht die Leipziger Präsentation. Markus Lüpertz wird 1941 im böhmischen Reichenberg geboren. Nach einem Aufenthalt in Sachsen (1945 bis 1948) geht die Familie nach Rheydt im Rheinland. Von 1956 bis 1961 studiert Lüpertz an der Werkkunstschule in Krefeld. Die Fortsetzung des Studiums an der Kunstakademie in Düsseldorf endet im Dissens. 1964 gründet er mit anderen Künstlern (u. a. K. H. Hödicke und W. Petrick) in West-Berlin die Selbsthilfegalerie „Großgörschen“. 1970 erhält Lüpertz das Villa Romana Stipendium in Florenz. Seit dieser Zeit beschäftigt sich Lüpertz mit dem Leipziger Künstler Max Klinger. Mit gezieltem künstlerischen Habitus grenzt sich Lüpertz seither von gesellschaftlicher Konformität ab. Von 1973 bis 1986 lehrt Lüpertz an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste Karlsruhe. 1986 wechselt er an die Kunstakademie in Düsseldorf, wiederum bekleidet er eine Professur für Malerei. 1988 wird er dort zum Rektor berufen und leitet die Akademie über eine Amtszeit von 20 Jahren. Lüpertz lebt und arbeitet in Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf und Florenz. Ein Atelier in Leipzig ist in Planung. Lüpertz‘ Malerei wird als „Neo-Expressiv“ beschrieben. Die Figürlichkeit ist mit Verve aufgeladen. Antike Figuren, das Ringen zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen, die arkadische Landschaft sind seine Themen. Seit 1980 ist Lüpertz auch als Bildhauer tätig. Auch hier steht die Figurenwelt der Antike Pate. Figuren wie „Daphne“, „Herkules“ oder „Merkur“ stehen an prominenten Plätzen in der Bundesrepublik. Markus Lüpertz hat zudem zahlreiche Kirchenfenster geschaffen. Das Dichten und die Free-Jazz-Performance begleiten das bildkünstlerische Schaffen. Seit 1968 arbeitet Lüpertz mit dem Galeristen Michael Werner zusammen, seine Werke sind weltweit in den Museen vertreten. 2013 erhielt Markus Lüpertz den Leipziger Mendelssohn-Preis. Für 2017 und 2018 sind weitere Beiträge des Künstlers für das Museum der bildenden Künste Leipzig geplant. Zu Max Klinger MARKUS LÜPERTZ Nichts erinnern – Tauchen – Wahrheiten – In meinem breiten Fluss, Immer streiten – ach! – Überdruss, Treiben Teufel unter bunten Blumen, Getarnte dumme Buben In Strudeln spielen sie Ertrinken, Stinken Tote Algen, Nixen winken – Kämmen ihre grünen Haare Frischverliebte Paare – Ihre Kähne sinken – Schwimmt im trüben Wasser Weißer fauler Fisch (kieloben), Zerfetzen ihn die Stare – Klare schöne Augen sehen nicht viel – Klatscht in die Hände und lacht zum Spiel Die Schöne, Wahre Doch tot ist sie, Ich trag die Bahre. Markus Lüpertz, Porträt Max Klinger, 2015, Aquarell, 29,7 × 21 cm Max Klinger – eine Erinnerung, Eine unvergleichliche, Fallen mir sofort Bilder und Skulpturen ein, Schwierige Zeichnungen und wundervolle Radierungen. Und Beethoven, Der zornige, weiße Mann Der Adler – Bronze, Und alles andere farbiger Marmor. Eigentlich geht das nicht. Und doch ist es Kunst, Denn es erhebt den Anspruch, bedingungslos Kunst zu sein Dieser Anspruch erschafft eine Atmosphäre, Einen Spannungsbogen, in dem Kunst stattfindet. Die schönen Frauengesichter, die fülligen weißen Arme, Dieses Schmachten, Diese Sinnlichkeit Konstruiert gewollt und in Formeln ausgedrückt, 167 Schafft Klinger eine Welt, In der seine Figuren lebhaft agieren, Er erfindet in bester Tradition alles neu, Individualisiert die einfachsten Dinge – Wird ein Baum – sein Baum, Ein Schiff – sein Schiff Selbst das Kreuz des Heilands erfährt eine eigene, eine gewollte Funktion Die nebenbei bemerkt – wehtut – Dann die Gleichgültigkeit der Stimmigkeit gegenüber – Nichts stimmt! Perspektivisch verschiebt sich oft das Vorne gegen das Hinten, Steht der Baum neben dem grüßenden Akt. Obwohl ein Weg dazwischen ist, Ist die Komposition eine Perlenkette, Eine Reihung – und nur die Farbe steht für ihre eigene Räumlichkeit. Ist ein Klinger Bild eine Welt der Kunst, die das Surreale zur Kunst erklärt. Eine haptische Phantasie, die sich an allem abarbeitet Und nichts nimmt, wie es ist. Vordergründig erzählt Klinger Geschichten, Lesbar wie ein Schriftsatz, Doch immer reißen Pinselstriche, kleine Gesten oder eine verlorene Blume Kleine, versteckte Höllentore auf, Die ein Dahinter ahnen lassen, Einen Himmel oder ein Inferno. Es ist nichts harmonisch aber beinahe stimmig, Denkt man, Dann wieder ordinär, vulgär und innig. Erzwungen Sind diese Scherbenbilder In ihrem Kampf großartig – Große Kunst. Ist Klinger ein Maler, Bildhauer und in seinem Kunstbemühen allen seinen Zeitgenossen ebenbürtig. Denn, wenn man Klingers Kunst sieht, Spürt man das Sich-messen-Wollen – Will er allen seine Sprache zum Vergleich anbieten, Sucht er mit seinen Werken Streit: Seht! So ruft er – so trägt man Farbe auf! Seht! So ruft er – so steht ein Akt! Packt die Männerhand! Seht! So ruft er – so beugt sich eine Nymphe verschämt Mit vorgeschobenem Hinterteil Dem Manne zu! Seht! So ruft er – Genauso schlug man Christus ans Kreuz! An mein Kreuz! Denn ich hätte ihn so gekreuzigt, 168 Ich habe mir genau überlegt, Wie der geschundene Leib das Kreuz möbliert. Ist Klingers Welt – nackt oder angezogen – immer nackt Ist Kleidung nur Farbe oder Material, Bezwingt er die Elemente, Verbraucht sie als Himmel, Stein oder stehendes Wasser, Malt den Wind, der die Äste beugt, Hält kurz die Zeit an und das ewig Und lacht, wenn der Vulkan ausbricht Und die Glut in seinen Bildern zu fließen beginnt. Der Herbst, Dichter der Jahreszeiten, Seine Verse, Der gelbe, trockene Knochenmais. Die Engel schreiten Auf weiten Dichtgewebten, braunen Matten Geraint von blauen Schatten. Der Sonne goldene Strahlen Trinken das Weiße, wehen ein Wabern, Das das Dunkel auf den Wegen hält (schält), Stachlige Wälder stelzen Auf hellen Rabatten, Spiegel verschmelzen Busch und Feld Der Himmel – offenes Fenster – Verglast mit blauen Scheiben, Dahinter Seelen und Gespenster Schweigen. 169 Vorwort Im Jahr 2007, im Jahr des 150. Geburtstages von Max Klinger, zeigte das Museum der bildenden Künste die Ausstellung „Eine Liebe. Max Klinger und die Folgen“. Sie wurde in Leipzig von einem internationalen Symposium begleitet und fand im Anschluss ihre Fortsetzung in der Hamburger Kunsthalle. Weitere Ausstellungshäuser widmeten sich 2007 dem Werk des Leipziger Künstlers. Seitdem verzeichnet das Museum deutlich mehr Leihgesuche, die Werke von Max Klinger nachfragen. Dieses Mehr an Präsenz in der Ausstellungslandschaft forciert auch die Preisentwicklung auf dem Kunstmarkt. Einen besonderen Ausschlag verzeichnete eine Auktion der Villa Grisebach im Jahr 2013 in Berlin. Ein mit Tuschfeder und Pinsellavur bearbeiteter Materialdruck, auf 8.000 Euro taxiert, führte zu dem Rekordergebnis von 162.000 Euro. Mit dem vorliegenden Band kann der Freundeskreis Max Klinger e. V. den vierten seiner Schriftenreihe vorlegen. Die Autorinnen und Autoren belegen genauso eindrucksvoll wie die Sammlerschaft das große Interesse an Max Klinger – und die Notwendigkeit, immer wieder zu neuen Exkursionen in sein Œuvre aufzubrechen. Conny Dietrich befasst sich mit Klingers frühen Wandbildentwürfen. Die Autorin legt dar, dass schon der junge Klinger in diesem Genre mit traditionellen Darstellungsweisen bricht, aber er selbst – darüber verunsichert – ein stets Suchender bleibt, um die verschiedenen Stilmittel wie auch Erzähl- und Bildebenen in einen Gestaltungslauf zu überführen. Pavla Langer setzt sich mit Klingers Sirene auseinander, jenem weiblichen Meerwesen, das schon im Œuvre von Klingers Künstlerfreund Arnold Böcklin zu einem Leitbildwesen wurde und dem auch Klingers Phantasie den weiblichen Beherrschungstrieb attestiert in der Verbindung von Eros und Thanatos, als Sinnbild eines der weiblichen Verführung erlegenen Mannes. Auch für Kerstin Borchhardt stellt die Sirene eine Herausforderung dar – für sie ist es vor allem die Ambiguität im Werk Klingers, die sie an diesem und einem weiteren Beispiel im Spannungsfeld von Tradition und Unkonventionalität herausarbeitet. Was Julius Meier-Graefe als die „Marne-Schlacht des deutschen Geistes“ bezeichnet hat, ist Klingers kapitales Opus Christus im Olymp, in dem er die Synthese von Heidentum und Christentum gleich einem theatralischen Schlussakt zelebriert, wobei der Regie führende Klinger in der Gruppendynamik Favoritenrollen vergab. Hier wie da wird die Ambiguität auf der Bedeutungsebene schon dadurch begründet, dass die handelnden Figuren nicht mit einem eindeutigen Identitätsnachweis ausgestattet sind. Harald Jurkovic widmet sich einer ähnlichen Identitätsproblematik in der Kreuzigungsdarstellung auf Max Klingers Beethoven-Thron. Die mehrfache Codierung von Figuren, gar deren multiple Identität, führt zwar zu einem Verlust der Eindeutigkeit, doch das Oszillieren, das Auffächern des Bedeutungshintergrundes, erschließt weitere Gesichtspunkte. Gleichwohl kündigt sich hierin, im Verlust an Interpretationssicherheit, das Wesen der Moderne an. Sebastian Hainsch thematisiert Klingers Opus XI, Vom Tode. Erster Teil. Die Kultur­geschichte des Totentanzes begleitete Klinger schon seit seiner Studienzeit. Hans Holbein d.J. gehörte zum Grundwissen, Francisco de Goya wurde ihm mit seinen Caprichos und anderen Zyklen zur künstlerischen Herausforderung, wobei Arthur Schopenhauer den Lektürebegleiter darstellte. In dem Beitrag „Max Klinger, Opus XIV, Zelt“ von Jeannette Stoschek erfahren wir, wie konfliktgeladen die Beziehung Max Klingers zu seinem Leipziger Kunsthändler Carl Beyer sein konnte, welches differenzierte Angebot 6 an Ausgaben zwischen Probedruck-Exemplaren und Luxuseditionen der Sammlerschaft unterbreitet wurde. Jennifer Stein schlägt ein Kapitel der Rezeptionsgeschichte auf und schildert Paul Klees Auseinandersetzung mit Max Klinger, die von totaler Abneigung geprägt ist – was letztlich aber nicht ausschloss, dass Intentionsparallelen und sogar bis zum Zitat reichende Bezüge im Werk Klees doch eine stille Vorbildschaft verraten – zumindest, was das Frühwerk Klees betrifft. Mark Niehoff setzt sich mit Franz Stassens Wagner-Lithographien auseinander, ebenjenes Leipziger Komponisten, der das Gesamtkunstwerk vor Augen hatte und damit die visuelle Tonlage Max Klingers traf. Dessen Verehrung von Johannes Brahms erfuhr freilich im Wagnerlager Gegenwind. Doch nicht nur diese Haltung stand als Irritationsmoment zwischen den „Fan“-Lagern. Stassens Bilderfolgen zeichnen sich durch einen didaktischen Zug aus und bedienten deshalb vielmehr das konservative Erbe des Komponisten Wagner als Klingers Hang zum Surrealen. Dass Max Klinger eben nicht dem Wagner-Verehrerlager angehörte, wie Marie-Louise Monrad Møller zeigt, verdeutlicht sein gescheitertes Unternehmen, dem Komponisten zum 100. Geburtstag im Auftrag der Stadt Leipzig ein Denkmal zu „schenken“. Außer einem architektonischen Rahmen und einem Sockel ist Klinger eine alle, auch ihn selbst überzeugende Darstellung nicht gelungen. Der Entwurf blieb auch nach jahrelanger Verzögerung unausgeführt. Ein Wettbewerb im Jahr 2011, im Vorfeld des 200. Geburtstages des Komponisten, führte zu dem Beschluss, dass Stephan Balkenhol das Denkmal bis zum Jubiläum vollenden sollte – ein Mal, das auch der Rezeptionsgeschichte selbst ein Bild gibt und in Leipzig zu einem Kulturkampf führte, der dem kritischen Wagner-Bild mit aggressiven Vorbehalten und allem anderen als einer „Willkommenskultur“ begegnete. Das letzte Wort gebührt Markus Lüpertz, der 1970 Stipendiat der Villa Romana in Florenz war, an jenem Ort, den Max Klinger maßgeblich dafür eingerichtet hat, jungen deutschen Künstlerinnen und Künstlern vor den Toren von Florenz die Auseinandersetzung mit der italienischen Kunst zu ermöglichen. Lüpertz hat unser Museum in den letzten Jahren mehrfach aufgesucht, als stiller Gast meist Klingers Beethoven umrundet, denn auch er hat dem Komponisten eine Gestalt verliehen, wobei sein Porträt in einem Delegationsverhältnis zum Genius steht. In Lüpertz’ Zeilen über Klinger, die auch auf dessen Beethoven weisen, geht es um die bedingungslose Kunst und die Erkenntnis, dass er – Klinger – in bester Tradition alles neu erfunden hat. Und so ist Max Klinger im besten Sinne bis heute ein Künstler für Künstler. Wir danken allen Autorinnen und Autoren dieses Bandes dafür, dass sie neue Facetten in die Betrachtung des Werkes von Max Klinger eingebracht haben. Wir danken Katrin Günther für das Lektorat und Harald Richter für die Gestaltung des Buches. Ebenso gilt unser Dank dem Team des Deutschen Kunstverlages für die verlegerische Betreuung dieser Schrift. Ein großer Dank geht an den Freundeskreis Max Klinger e. V., den Vorstand und seinen Vorsitzenden Rainer Ilg für das Vertrauen und das Engagement, das Werk Max Klingers weiter aufzuarbeiten und einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen. Markus Lüpertz beschreibt das Moment, da „die Glut in seinen Bildern zu fließen beginnt“. Ebendiese bewegt stets aufs Neue, an ihr entfachen sich noch immer die Gedanken. Davon kündet dieser Band. H A NS -W ERNER SC HMIDT und JE A NNE T T E S TO SC HEK Leipzig, im Oktober 2015 7