25 JAHRE ZEIT GENÖSSISCHE KÜNSTE IN LAUENBURG Festakt zum Jubiläum des Künstlerhauses Lauenburg/Elbe vom 21. - 23. Oktober 2011 Ausstellung in der Stadtgalerie Lauenburg vom 21. Oktober 2011 - 29. Februar 2012 Inhalt Grußwort | Ministerpräsident Peter Harry Carstensen Vorwort | Vorstand des Künstlerhauses Lauenburg/Elbe 25 Jahre Künstlerhaus Lauenburg/Elbe Festrede | Prof. Dr. Pierangelo Maset Lesung zum Jubiläum | Arne Rautenberg „Camille Claudel“ - Ein Theaterstück zum Jubiläum | Theater Lauenburg Zur Geschichte der Künste in Lauenburg/Elbe | Dr. William Boehart Eröffnung der Stadtgalerie Lauenburg im Hagenström und der Ausstellung „25 Jahre zeitgenössische Künste in Lauenburg“ Eröffnungsrede | Wolfgang Zeigerer Eine kurze Einführung in die Ausstellung | Hans Jürgen Schild und Volker Hillmann Die 25. Stipendiatengeneration im Künstlerhaus Lauenburg/Elbe m.art.a | Heiko Wommelsdorf | Eunyeon Yang | Robert Cohn | Noriko Kawakami | Daniel Moreira Dank und Impressum Grußwort 25 Jahre Künstlerhaus Lauenburg – das ist ein besonderer Geburtstag, zu dem ich dem Künstlerhaus, dem Vorstand und dem Förderverein herzlich gratuliere. Das Künstlerhaus Lauenburg hat sich einen hervorragenden Ruf erworben, auch über die Landesgrenzen hinaus. Es fördert junge Künstlerinnen und Künstler in einzigartiger Weise und bereichert das Kulturangebot in Schleswig-Holstein. Nicht zuletzt ist es dem Vorstand des Künstlerhauses gelungen, zum Jubiläum unweit des angestammten Domizils eine Stadtgalerie zu eröffnen. Dazu gratuliere ich ganz besonders! Mit den nun möglichen Wechselausstellungen tut sich in der Altstadt Lauenburgs für das kunstinteressierte Publikum ein weiterer sehenswerter kultureller Ort auf. Dieser Schritt ist, wie ich finde, ebenso folgerichtig wie unterstützenswert. Das denkmalgeschützte Haus verbindet das baukulturelle Erbe der Schifferstadt mit zeitgenössischer Kunst, Literatur und Komposition. Das historische Gebäude ist künstlerischer Ort und kultureller Treffpunkt zugleich. Die Kombination von Wohn- und Ausstellungsort trägt zur besonderen Atmosphäre bei. Seit seiner Gründung hat sich das Künstlerhaus zu einer inzwischen weltweit anerkannten Stipendiatenstätte entwickelt. Das Land fördert diese Aufenthalte für nationale und internationale Künstlerinnen und Künstler in den Sparten bildende Kunst und Literatur und unterstützt das Künstlerhaus in der Öffentlichkeitsarbeit. Der große Einsatz des Vereins Künstlerhaus Lauenburg verdient unsere Anerkennung und unseren Dank. Für die weitere Arbeit wünsche ich deshalb viel Erfolg! Allen Gästen der Jubiläumsfeier wünsche ich anregende Gespräche zur zeitgenössischen Kunst und den Besuchern der neuen Stadtgalerie viele interessante Ausstellungen. Diese Kunstfördereinrichtung hat sich auch deshalb etabliert, weil das Konzept die öffentliche und private Unterstützung sinnvoll miteinander verbindet. Zudem arbeitet der Verein deutschlandweit mit vielen kulturellen Institutionen zusammen. Mit dem „Kinderatelier“ fördert er auch aktiv den ganz jungen Nachwuchs. Das ist eine willkommene Initiative zur Stärkung der kulturellen Bildung. Peter Harry Carstensen | Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein Vorwort Zum 25jährigen Jubiläum des Künstlerhauses Lauenburg stehen wir mit einem „Lächeln am Fuße der Leiter.“ (Zitat Henry Miller) Dieses Bild der Leiter kann durchaus wörtlich genommen werden, wenn wir an die tägliche und in die Zukunft gerichtete Arbeit im Künstlerhaus Lauenburg denken. Wir stehen mit einem erleichterten „Lächeln am Fuße der Leiter“, weil wir alle konzeptionellen, finanziellen und handwerklichen Hürden zur Erhaltung des Künstlerhauses in Lauenburg überwinden konnten. Dieses ist uns mit der öffentlichen Förderung des Landes Schleswig-Holstein, des Kreises Herzogtum Lauenburg, der Stadt Lauenburg, der Kulturstiftung des Landes und der Stiftung Herzogtum Lauenburg so wie vieler engagierter und privater Förderer und durch den Kauf des Hauses durch den Verein Künstlerhaus Lauenburg e.V. gelungen. Mit dieser vielfältigen und notwendigerweise weitergehenden Unterstützung öffentlicher und privater Förderung haben wir den Mut, das Künstlerhaus weiterzuentwickeln, nämlich die Förderung der Bildenden Kunst, der Literatur und der Musik. An dieser Stelle danken wir allen, die uns finanziell, ideell und handwerklich zum Erhalt des Künstlerhauses und in der Vorbereitung des 25jährigen Jubiläums unterstützt und geholfen haben. Mit diesem Rückhalt stellen wir uns gerne der ehrenamtlichen und weitergehenden Aufgabe, in der Öffentlichkeit das Verständnis für künstlerischen Ausdruck und dessen Gestaltung anzuregen und zu pflegen, insbesondere die lebendige Auseinandersetzung und Beschäftigung mit den verschiedenen Richtungen der zeitgenössischen Künste. Das Wochenende zum 25jährigen Jubiläum des Künstlerhauses Lauenburg stand im Zeichen interessierter, gut gelaunter und miteinander kommunizierender Künstler und Besucher. Die im folgenden im Katalog dargestellten Bilder und Texte zur Finissage der 25jährigen Stipendiatengeneration, zu den Vorträgen und Lesungen, zur Uraufführung der Kompositionsstipendiaten und zum Konzert mit der Finissage des Kinderateliers geben einen Eindruck der 25jährigen und aktuellen Arbeit im Künstlerhaus Lauenburg wieder. Wir freuen uns, daß wir mit Ihnen zusammen 25 Jahre zeitgenössische Künste in Lauenburg betrachten können. Zum 25jährigen Jubiläum des Künstlerhauses eröffneten wir in unmittelbarer Nähe zum Künstlerhaus die Stadtgalerie Lauenburg im Hagenström. Wir haben die begründete Zuversicht, daß zeitgenössische Künste in Lauenburg über die Stipendiaten des Künstlerhauses hier ihren Platz gefunden haben und sich weiterhin in dieser Stadt etablieren können. Mit dieser Stadtgalerie im Hagenström in der Altststadt Lauenburgs haben die Stadt Lauenburg, der Kreis Herzogtum Lauenburg und das Land Schleswig-Holstein einen wichtigen Standort zeitgenössischer Künste hinzugewonnen. Mit den seit 25 Jahren im Künstlerhaus Lauenburg entstanden Werken bildender Kunst, der Literatur und der Musik kann in der Stadt Lauenburg eine Entwicklung über 25 Jahre zeitgenössischer Künste gezeigt werden. Die inzwischen zahlreichen Besucher zeigen in ihren Äußerungen die Freude, den Stolz und hohen Identifikationsgrad mit der Kunst, die im Künstlerhaus Lauenburg entstanden ist. Wir stehen mit „einem Lächeln am Fuße der Leiter......“ Willkommen zu den Veranstaltungen des Künstlerhauses Lauenburg und in der Stadtgalerie im Hagenström. Lauenburg/Elbe im Dezember 2011 Ulrike Mechau-Krasemann, Ursula Schild | Vorstand des Künstlerhauses Lauenburg/Elbe e.V. Volker Hillmann, M.A. | Kulturmanagement Künstlerhaus Lauenburg Festrede Einwürfe zur heutigen Lage der Kunst 25 Jahre Künstlerhaus Lauenburg. Was für eine Zeit! Blicken wir 25 Jahre zurück, so landen wir in einer völlig anderen Welt. Die Mauer steht noch, Lauenburg liegt im Grenzgebiet, und das Kunstsystem ist noch recht übersichtlich und in vieler Hinsicht „handgemacht“. Das heutige Kunstsystem hat in einer ökonomisierten Gesellschaft wichtige Funktionen. Es experimentiert mit Formen von Beobachtung, der Herstellung von Aufmerksamkeit und der Bildung von Werten, die sonst nirgendwo anders vorkommen. Deshalb können sich gerade in der Kunst neue gesellschaftliche Tendenzen frühzeitig abzeichnen: Im Guten wie im Schlechten. So sind aktuell künstlerische Positionen gefragt, die erproben, wohin sich unwahrscheinliche Gestaltungen unter den Bedingungen der heutigen Arbeitswelt entwickeln können. Gerade in der neoliberalen Epoche wurden künstlerische Strategien und Verfahren laufgängig ins ökonomische System überspielt, von Theaterseminaren für Manager bis hin zum Rollenmodell des Künstlers als Vorbild für die breit angelegte Einführung prekärer Arbeitsverhältnisse. Traditionelle aufklärerische Begriffe wie z.B. „Autonomie“ oder „Subjektivität“ sind dabei im Zuge der ökonomischen Taktung zu Faktoren der Selbsttechnologie bzw. –optimierung geworden. Die Kunst als einen „Störfaktor“ zu behaupten und damit von ihrer Differenz zum gesellschaftlich Allgemeinen zu sprechen, fällt schwer in einer Zeit, in der Kunst und Arbeitssphäre sich bis zur Ununterscheidbarkeit ineinander verschlungen haben. Die Unterordnung der „künstlerischen“ Arbeit unter die ökonomische Perspektive erscheint unausweichlich. Für Kunst, die sich nicht nur aufs Anfertigen unwahrscheinlicher Gegenstände beschränkt, sondern sich im Kern als repräsentationskritisch versteht, ist es äußerst schwierig geworden, sich in einer Welt zu behaupten, die Leitmotive, an denen sich die Kunst einst abgearbeitet hatte, derartig umgewertet hat. Die Position der Künstler zu den Kunstinstitutionen kann heute nicht von dem grundlegenden Widerspruch befreit werden, mit der repräsentationskritischen künstlerischen Arbeit die Repräsentation bzw. Reproduktion der Institution innerhalb des Kunstfeldes mit zu generieren. Auch die kritischste Ausstellung, die widerständigste künstlerische Attitüde, die provokativste Geste trägt zur Selbst-Reproduktion des Kunstfeldes und seiner Institutionen bei; aus dieser Logik kommen heute weder künstlerische Arbeiten noch die Künstler heraus. Die Rolle, die die Kunst dabei spielt, ist ambivalent, denn sie wird zunehmend zum strategischen Element der Gewinnung von Reputation und zum Lieferanten für „innovative“ Methoden , die dann in anderen Marktkontexten sowie zum Umbau der Gesellschaft verwendet werden können. Einige der Ergebnisse der kritischen Kunst der neunziger Jahre sind heute zum Bestandteil des Stadtmarketings geworden (siehe Hamburg), und die wenig zimperliche „Kreativwirtschaft“ lebt vom nicht versiegenden Strom junger Kunsteleven, die sich, angetrieben von konsequent gepflegten Glamour-Versprechen, auf den steinigen Weg der Kunst begeben haben. Da es in vielen Institutionen im Zuge des mittlerweile überall verbreiteten New Public Management verstärkt um „Exzellenz“, „Innovation“, „Benchmarks“ und „Marketing“ geht, werden Dimensionen ausgeblendet, die keine oder eine zu geringe funktionale Relevanz aufweisen. Im Bildungssystem ist dies zurzeit ganz deutlich spürbar. Aber auch für die Kunst ist es fatal, dass die Techniken des Controllings mehr und mehr die Kunst-Institutionen bestimmen. Überall in den Kunst- und Kulturinstitutionen beobachten wir Output-Orientierung, Konzentration auf repräsentative Namen, Markenentwicklung. Um sich erfolgreich auf dem Kunstmarkt behaupten zu können, sind deshalb für Künstler Anpassungen an diese institutionellen Anforderungen unabdingbar, andernfalls tauchen sie nicht als ernst zu nehmende Größen auf. Für die Kunstentwicklung ist das eine absolut kontraproduktive Entwicklung, denn das „Betriebssystem“ liefert bereits Aspekte der Produktion von Kunst mit, die nicht mehr in der Hand der Kunstproduzenten selbst liegen. Kunst und Popkultur Kunst kann heute alle möglichen Materialien, Gegenstände, Medien, Kommunikationen, Handlungen zur Erzeugung neuer Formen verwenden, sie ist in keiner Weise mehr an bestimmte Verfahren gebunden. - Dies ist die ent- scheidende Leistung der Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts gewesen. Einerseits bringt die Kunst Andersheiten gegenüber rein zweckrationalen Dingen hervor, andererseits ist sie seit der Moderne damit beschäftigt, ständig Differenz zu sich selbst zu erzeugen und neue „Programme“ zu entwickeln. Da liegt der Gedanke nahe, dass Kunst in dem Sinne zum Störfaktor werden kann - was ihr tatsächlich häufig gelungen ist und auch noch gelingt bzw. gelingen kann - um die Repräsentation des Sinns in Frage zu stellen. Mit der modernen Kunst ist es immer auch um diese veränderte Sinnproduktion (im Sinne der Kunst) gegangen. Doch das hat sich in der heutigen Medien-Gesellschaft deutlich gewandelt. Der Störfaktor ist zum MainstreamPhänomen geworden. So kann die Ehe, die die Kunst mit der Medien- und Popkultur eingegangen ist, nicht mehr geschieden werden. Das hat Vor- und Nachteile. Und das wird beispielsweise in zeitgenössischen Videos deutlich wie in Do you want to? von Franz Ferdinand, in dem die Band eine Kunstgalerie aufmischt und die Geschichte des Pop von Marcel Duchamp über Dan Flavin und Andy Warhol bis hin zu Jeff Koons und Vanessa Beecroft im Zeitraffertempo erzählt. Im Zuge des Zusammengehens von Kunst und Pop ist die Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit der Kunst für unterschiedlichste Anwendungen und in vielfältigste Richtungen hin unternommen worden. Zeitgenössische Kunst wird nicht nur auf ihren ästhetischen Gehalt oder ihren Erkenntnisgewinn hin betrachtet, sondern sie ist Projektions- und Spielfläche für allerlei Aktivitäten und Transformationen. Dass sie dabei auch in den Sog der Unterhaltungsindustrie geraten ist, verwundert kaum - Kunst stellt für die Interessen der Unterhaltungsindustrie eine bedeutende Ressource dar. Es gibt zahlreiche Querverbindungen, autonome Kunst ist auch historisch nie von angewandter vollkommen getrennt gewesen. Kunst und Werbung beispielsweise haben zu keiner Zeit unabhängig voneinander existiert. Selbstbestimmte Unterhaltung In der postmodernen Situation sind die Grenzen zwischen Hoch- und Unterhaltungskultur durchlässig geworden, und zwar gerade auch dadurch, dass es immer häufiger Kunst gibt, die die Betrachter zur Teilnahme auffordert. Unter welchen Umständen wird eine solche Kunst aber zur Unterhaltung? Nahezu jede Form von Kunst kann zur reinen Unterhaltung degenerieren, wenn sie sich in einen entsprechenden Mainstream einreiht. „Mainstream“ soll hier im Sinne einer Hauptströmung verstanden werden, die Elemente eines Lifestyles beinhaltet, der Symbole und Formen hervorbringt und vermittelt und anwendet. Wie lässt sich diese Orientierung von Kunst in Richtung Unterhaltung und Event hinsichtlich ihrer historischen Entwicklung einschätzen? Wenn die Kunst in der Unterhaltungskultur aufgeht, besteht die Gefahr, dass sie eines wesentlichen Merkmals beraubt wird, das für ihre Ausdifferenzierung in den letzten Jahrhunderten entscheidend gewesen ist, nämlich ihre Autonomie. Die großen kunsttheoretischen Entwürfe des achtzehnten Jahrhunderts, allen voran Kants Kritik der Urteilskraft, formulierten ihre Ansätze angesichts einer zunehmenden Autonomisierung der Kunst, die in der Renaissance eingeleitet wurde, und in der die Kunst sich von religiösen und politischen Formvorgaben nach und nach gelöst hatte. Die Freiheit der Kunst war in diesem Sinne stets die Freiheit von fremden Einflüssen und Bestimmungen. Das freie Spiel der Kräfte und die zweckfreie Hervorbringung formaler Gestaltungen verwiesen auf die Eigendynamik der Kunst und die Freiheit der Künstlerpersönlichkeit. Ende des neunzehnten Jahrhunderts formulierte das von Prosper Merimée, Edgar Allan Poe und Charles Baudelaire aufgeworfene Programm des l’art pour l’art die absolute Freiheit der Kunst von allen äußeren Einflüssen, hier finden sich die Wurzeln für die radikalästhetischen Positionen der Avantgarden des zwanzigsten Jahrhunderts. Heute befinden wir uns am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts in einer Situation, in der sich die Frage nach der Autonomie der Kunst komplett verändert hat oder ganz anders stellt. Im zwanzigsten Jahrhundert waren durch die unterschiedlichen Avantgardebewegungen wie Konstruktivismus, Futurismus, Dadaismus, Surrealismus etc. radikale Erweiterungen des Kunstbegriffs und damit auch der Vorstellung von der Rolle des Künstlers möglich geworden, die sich entweder als Künstler- oder als Werkautonomie formiert hatten. Diese Erweiterungen des Autonomiekonzepts stellen sich heute als historisch dar, ihr innovativer Gehalt ist weitgehend verblasst. Die Lage der Kunst hat sich also weiter zugespitzt: Kunst wird heute nicht mehr nur im Sinne von auf Reflexion und Erkenntnis ausgerichtete ästhetische Praxis ausgeübt, sondern das Entertainment ist in die Kunst „implementiert“, ich benutze hier ganz bewusst, dieses schmutzigste aller neoliberalen Verben. Die Folge hiervon sind Hipness-Effekte, wie man sie heute beispielsweise in den Galerien von Berlin-Mitte beobachten kann, wenn etwa auf einer Vernissage, in der nahezu leere Räume gezeigt werden, hunderte von Menschen Schlange stehen. In diesem Kontext geht das „Werk“ im Event auf und wird Teil auch von Unterhaltungskultur. Dass die Kunst in einer kapitalistischen Gesellschaft auch die Aufgabe hat, Hipness und Coolness-zu kodieren, die wiederum zur Bildung von ästhetischen Strömungen, Lifestyles und Designs beitragen, weist ihr eine der Rollen zu, die sie in der Unterhal- tungskultur zu spielen hat (abgesehen von der Dekorierung von Privat- und Geschäftsräumen). Alles kann heute zur Kunst werden, alle Materialien und alle Vorstellungen können in eine künstlerische Arbeit eingehen, entscheidend ist lediglich, dass eine Zuschreibung von legitimierten Profis vorgenommen wird. Doch die moderne und postmoderne Entgrenzung der Kunst ist stets doppelbödig gewesen. Die kaum mehr beschränkten Gestaltungs- und Darstellungsmöglichkeiten der Kunst seit dem 20. Jahrhundert führten auch zu neuen Einengungen, die vor allem auf der institutionellen Seite deutlich werden. Merkwürdige Verkehrungen der ästhetischen Autonomie haben sich ereignet: Sie ist schon von den Künstlern und Werken auf die Verwalter des Kunstsystems übergegangen, die diese angeeignete Autonomie – eine Folge der totalen Ökonomisierung des Kunstsystems – dazu nutzen, Wertschöpfung in eigener Sache vorzunehmen. Dabei werden sie von denen unterstützt, die bislang eher skeptisch auf die Freiheitsgrade der Kunst geblickt haben: die Vertreter der Expertenkulturen, die stets einsatzbereiten Diskurs-Produzenten. Die Agenten des Kunstsystems können dabei heute so autokratisch regieren, wie es ansonsten nur Angehörige mafiaähnlicher Clans vermögen. Darüber hinaus können sie sich als „avantgardistisch“ wähnen, weil nur sie bestimmen, was im Kunstsystem überhaupt als avancierte Kunst angesehen werden kann. Hier hat das kunstsoziologische Denken Niklas Luhmanns einen Effekt gezeitigt, den es vermutlich nicht intendiert hatte. Der Soziologe hat in den neunziger Jahren das inzwischen weit verbreitete Credo geprägt, dass die Bestimmung dessen was Kunst ist, einzig dem Kunstsystem zu überlassen sei. – Ein folgenreiches Dogma, denn damit entscheiden nur die als „zugehörig“ Definierten darüber, was Kunst ist bzw. sein könnte, womit eine völlige Abhängigkeit von den so genannten „Profis“ entstanden ist. Häufig kommen diese Akteure jedoch gar nicht aus der Kunst, sondern aus Wissenschaften, die sich mit ihr als Objekt beschäftigen: der Politik, der Soziologie, der Ökonomie oder aus den Massenmedien. All das war und ist der Kunst und den Künsten in der jüngsten Vergangenheit abträglich gewesen. Ihre enge Anbindung an die „Diskurse” und die sich aus ihnen abzuleitenden Gestaltungen haben die Kunst geschwächt. Die Kunst gelangte nicht in neue Dimensionen der Freiheit, vielmehr haben sich altbekannte Konflikte des 20. Jahrhunderts - wie zum Beispiel der zwischen einer „engagierten“, politisch eingreifenden Kunst und einer, die die im Sinne des „l’art pour l’art“ auf der Freiheit der Kunst von allen außerkünstlerischen Zwecken beharrt - in neuem Gewand wiederholt. Im Zuge dieser Entwicklung ist auch eine neue nachahmende Kunst entstanden, die sich mittlerweile nahtlos in die Unterhaltungskultur eingefügt hat. Richtete sich die Moderne mit der vollen Kraft ihrer Avantgarden gegen die Nachahmung der Natur in der Kunst, so ist in der heutigen Kunst nahezu ein Mimesis-Gebot auszumachen. Was in unserer Zeit nachgeahmt wird, sind aber weder die Natur noch die Tradition, sondern es sind Begriffe und Theorien. Was in den achtziger und neunziger Jahren als konsequente Fortsetzung konzeptueller Kunst deren Verschränkung mit wissenschaftlichen Begriffen und Arbeitsweisen herausgearbeitet hatte, erscheint gegenwärtig als eine Ironie der Kunstgeschichte und der „Künstler als Forscher“ als blinder Hausmeister eines leer stehenden Gebäudes. Umso wichtiger ist es, dass Mikrozonen der Autonomie erhalten bleiben, und paradoxerweise muss heute der Staat durch Mittel, die er dafür zur Verfügung stellt, Orte der Kunst und Kultur erhalten, letztlich „Autonomiepflege“ betreiben. Aber der sind wir ja auch, dieser Staat. Und wenn er für Institutionen wie das Künstlerhaus Fördermittel bereitstellt, dann haben letztlich alle etwas davon. In diesem Sinne wünsche ich dem Künstlerhaus, dass seine Wünsche nicht enden mögen ... Prof. Dr. Pierangelo Maset | Leuphana Universität Lüneburg Videoraum linker Galerieraum Eingangsbereich rechter Galerieraum Miron Schmückle, Stipendiat 2000/2001, o.T., 2000 Akane Kimbara, Stipendiatin 2010, o.T., 2010 Nicole Schuck, Stipendiatin 2009, Elbwesen, 2009 Jan Kromke, Stipendiat 2008, Landschaft 1.7, 2008 Kyung-Hwa Choi-Ahoi, Stipendiatin 2004, Tagebuchzeichnung, 2002 Heiko Wommelsdorf 1982 geboren in Bremen 2002-05 Berufsfachschule Holzbildhauer/-in in Flensburg 2006-09 Studium an der Muthesius Kunsthochschule Kiel (Bachelor Of Fine Arts) 2009-12 Studium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (Diplom) 2011-12 Aufbaustudium Meisterschüler bei Prof. Ulrich Eller 2011 Stipendium Künstlerhaus Lauenburg/Elbe Einzelausstellungen (Auswahl): 2011 „Klanginstallationen“ Schul- und Bürgergarten Braunschweig „Tropfen“ Galerie Künstlerhaus Lauenburg/Elbe 2010 „Klanglumineszenz“ Kl. Wasserspeicher Singuhr Hörgalerie Berlin „Conton“ Prima Kunst Container Kiel 2009 „TV Phase“ Flandernbunker Kiel Gruppenausstellungen (Auswahl): Tropfen 2011 „Unterwelt“ MaximiliansForum München „Space, River, As an Image“ Kumchun Art Studio Seoul „Klang Kunst“ KKI Laboratorium Flensburg „Vol. 01 Drawings, Sounds & Ambiences“ FishingArt & Sounds e.V. Cuxhaven 2010 „max opening“ Galerie (Paulusgasse) Wien „Stallarte 10“ Roringen „obPHON‘10“ Werk IV Kirschau 2009 „Gottfried-Brockmann-Preis 2009“ Stadtgalerie Kiel „ISEA2009“ IMOCA Dublin 2008 „Quarantine Gallery #003“ IMOCA Dublin „Video-Romanzen“ Vertretung des Landes Schleswig-Holstein Berlin „European Media Art Festival 2008“ Bürgergehorsam Osnabrück 2007 „100 ... und dann weiter“ Dataport Altenholz „Klangraum Flensburg“ Museumsberg Flensburg Klanginstallation 4 Baueimer, 4 Wasserflecken 2011 In der Installation „Tropfen“ wird ein Wasserschaden simuliert. Durch mehrere im Raum verteilte Baueimer wird von der Decke tropfendes Wasser aufgefangen. Erst bei genauem Hinhören werden Rhythmen und Melodien durch das tropfende Wasser hörbar. Man differenziert zwischen den einzelnen Klanggebern (Eimer) und dem urbanen Umfeld (Autos, Passanten, Hunde, Wind, etc.), welches in den Raum dringt. Sacken Spieluhren Klanginstallation ca. 200 Sandsäcke 2011 mehrere Spieluhren Seit 2007 Die im Künstlerhaus Lauenburg/Elbe gezeigte Klanginstallation „Sacken“ besteht aus 6 Sandsacksockeln und einer 3-Kanal-Komposition aus Unterwasseraufnahmen der Elbe. Mit Hilfe eines Unterwassermikrofons wird die Elbe als Resonanzkörper erfahrbar gemacht. Es entsteht ein Ort alternativer Wahrnehmung. Zwischen den Sockeln vermischen sich die Unterwassergeräusche mit den Überwassergeräuschen und umgekehrt. Dies ist eine durch die Interaktion des Betrachters lebende Klangarbeit. Sie besteht aus mehreren Spieluhren die analog bearbeitet wurden. Durch das Ziehen an den Schnüren der Instrumente, zieht sich ein Rad auf, welches ein kleines Musikstück spielt. Die Spieluhren sind so bearbeitet, dass sie gleichzeitig spielend mit einander harmonisieren und eine neue Komposition ergeben. 1. Die Wüste, wenn die Sonne aufgeht von Robert Cohn, Literatur-Stipendiat in Lauenburg 2011 Robert Arimelech Cohn, geboren Anfang der Sechziger, Schulzeit in Argentinien und Frankreich, Studium: Études de lettres et littérature française (in Paris), Geschichte, Kunstgeschichte, Archäologie und Romanistik (in Freiburg i.Br. und Hamburg), arte lingua e cultura italiana (in Perugia, Italien), hat seit 1989 einen lieben Sohn, hat Museumsführungen über den Alten Orient, Phönizier, Kanaaniter, Skythen und sowas gemacht, war Archivar und wissenschaftlicher Mitarbeiter, war mal Gemüsehändler und Bettenbauer, hat Ausstellungen über Neugotik, über Sefarden und sowas aufgebaut, geleitet und abgerissen, macht öffentliche Stadtführungen durch St. Pauli, singt und schreibt jidische Lieder, polemisiert im Internet für die Guten, hat seine Jugend verloren, war jahrelang im Winter auf Landstraßen und Nachts in Moor & Eis mit dem Fahrrad unterwegs, macht seitdem französische Blitzgedichte, erteilt Seminare über das Judentum, hat 2008 den Hamburger Förderpreis für Literatur und 2011 ein Literatur-Stipendium in Lauenburg/Elbe gekriegt, hat Vorträge über Nahost, Israel, Antisemitismus und sowas gehalten, war mal Veranstalter von Hamburger Autorenlesungen und hat dabei seinen rosigen Teint verloren, verfasst Wikipedia-Artikel auf Deutsch und Französisch, liest bei Autorenlesungen, hat sein Herzeleid verloren und es alsbald wohlbehalten wiederbekommen, ist ein permanent ex-Schwermütiger und fuhr nie zur See, obwohl er so gerne... Ich lebe in Hamburg-St. Pauli, denn da existiert es sich ab und zu ziemlich okay. Zumal als ex-Schlemihl und halbsatter Hungerkünstler. Und bin scheints der verflixt Allereinzige in dieser 2-Millionen-Stadt, der auf Jidisch Liedertexte dichtet und der aus dem Portugiesischen und dem Ladino ins Jidische übersetzt - und der das auch noch singt. Ach. Wer versteht das schon außer den üblichen dreieinhalb Verdächtigen? Es geht hier um einen Siedler: Um einen jüdischen Siedler. Aha. Der Begriff steht fest, es ist ein feststehender Begriff, jüdischer Siedler, das ist ein unmissverständlich fester Begriff für einen Landräuber und Schurken durch und durch, so wie der Begriff Wirtschaftsasylant oder wie räuberischer Zigeuner. Oder? Nein, es ist anders, denn es ist kompliziert, viel und ungleich komplizierter, wohingegen der Begriff jüdischer Siedler ja so einfach ist, so schön einfach, einfach verdammt einfach. Nun bin ich mit Prolog und Verwirrung nahezu fertig und es kommt endlich die Geschichte über den jüdischen Siedler. Aha. Schon klar?: Die jüdischen Siedler und überhaupt die ganze völkerrechtswidrige Besetzung sind der Kern des Nahost-Konflikts mitsamt der permanenten Demütigung der Palästinenser. Oder nicht? Übrigens, von z.B. Afrika aus versteht man erstens die Pinguine zweitens in der Antarktis oder gleich Beides drittens so gut wie überhaupt nicht, denn aus Gründen der Einfachheit und der Verwirrung, also einfach aus Verwirrung glaubt man z.B. von Afrika aus fest, dass die Pinguine dort unten illegal siedeln, dass sie dort unten das prekär seltene Moos kahlfressen, dass sie den permanent gedemütigten Walrossen das knappe Land wegrauben und dass sie deren schönes knappes Antarktisgestein pausenlos und ruchlos schmutzigmachen. 2. Die Wüste, wenn die Sonne aufgeht Also nun der Siedler, der jüdische. Da sitzt er. Es ist früh und vor dem Tag, es ist in der Wüste und es ist ganz still, der Himmel ist durchsichtig, Jossi wartet auf die Sonne, Sand und Gestein warten auf die Sonne, alles wartet, fröstelt, lauscht. Jossi sitzt da, in der Wüste Negev, im Land Israel. Er sitzt da und späht aus, fröstelt, er späht und wartet auf seinen Sohn, er sieht den Schimmer im Himmel kurz vor Sonnenaufgang im Negev, er sitzt da, fröstelt und denkt. Kurz vor Sonnenaufgang ist die Wüste sehr klar, weit, kalt. Er denkt, dass seine Urgroßeltern jüdische Siedler in Marokko waren, weil sie zuvor aus Kischinew vertrieben worden waren nach dem Pogrom von 1903, wo deren Vorfahren seit zweihundert Jahren gelebt hatten. Waren Uraufführungskonzert am 22. Oktober 2011 in Lauenburg „Rhythmic Study 4“ (2009) The “Rhythmic Etude 4” is music about music. It is entirely build with materials extracted from the (in)famous prelude “Für Elise” from Beethoven and deconstructs this oversaturated monument leaving little place for identification. Unfulfilled expectations perpetrate the work and transform this object, which was once so intimate to us, into an odd, not always welcome, stranger. However, there are fugitive moments where this object regains its lost resemblance and we can feel ourselves once more in a safe, familiar place. These momentary – but ephemeral - pleasures are a source of relief and apparent satisfaction... but only because they soon will be abandoned. Daniel Moreira geboren 1984 in Brasilien, ist Komponist und Dirigent zeitgenössischer Musik. Nach einem Studium in Physik studierte Moreira Komposition und Musiktheorie in Brasilien (Universidade Federal do RS), USA (University of Texas at Austin) und Deutschland (Hochschule für Musik und Theater Hamburg). Seine Kompositionen umfassen eine breite Palette von Besetzungen, von z.B. Soli, Duos, über elektroakustische und interaktive Musik bis hin zu großen Kammergruppen und Orchester. Seine Werke wurden in den USA, Europa, Australien und Lateinamerika zur Uraufführung gebracht und in namhaften Festivals und Orten gespielt, wie z.B. in der Akademie der Künste Berlin, ISCM World New Music Days, Darmstädter Ferienkurse für neue Musik, Wet Ink Concert Series, Donaueschinger Musiktage Off-Programm, Festival Contemporâneo-RS usw. Als Dirigent studierte Moreira in den USA bei Robert Carnochan, in Deutschland bei Lorenz Nordmeyer und in Italien bei Michael Luig. Er ist Gründer und Hauptdirigent des Neue Musik Ensembles „Volumina Consort“, das schon Werke von Komponisten aus mehr als 5 Ländern uraufgeführt hat. 2008 wurde Moreira als Produktionsdirektor des Festivals Contemporânea-RS nominiert und seit 2010 ist er Mitorganisator der Hamburger Langen Nacht der Neuen Werke. Daniel ist Preisträger des 2011 DAAD-Preises von der HfMT Hamburg. www.daniel-moreira.com „Das Nein-Doch Spiel“ (2011, Uraufführung der neuen Fassung) Zwei Kinder sitzen im Bus. Das erste guckt das zweite an und sagt: “Nein.” Das zweite erwidert: “Doch.” Das erste beharrt: “Nein!” Das zweite bleibt hartnäckig: “Doch!!” Das Duell geht weiter: “NEIN! DOCH! NEIN! NEIN! DOCH! NEIN!!” Irgendwann erreicht das Spiel den Punkt, wo beide Wörter ihre Bedeutung verlieren und sich in bloß witzige Objekte – Kinderspielzeuge – verwandeln. Die zwei Kinder amüsieren sich über die lustige Kraft der Wiederholung und spielen weiter mit den Erwartungen und Reaktionen voneinander. Das absurde Spiel kommt erst dann zum Schluss, als ein anderes Spielzeug die Aufmerksamkeit der zwei Kleinen auf sich zieht. Eine Reihe weiter hinten im Bus sitzt ein viel älterer Kerl. Er schaut die zwei an und wundert sich, wie all das in eine Komposition umgesetzt werden könnte... „Der König von Papatua (Märchen ohne vesrtädnilche Worte)“ (2011, Uraufführung) “That night, the King from Papatua woke up and painfully heard his own voice tarnsrfomed itno an uncmorpeehsnilbe cloleciton fo wodrs(.)” „In dieser Nacht erwachte der König von Papatua und lauschte von Schmerz erfüllt auf seine eigene Stimme, die sich in eien unvrsetändliche Ansmmaungl vno Wrtoen vrewadelnet(.)“ * * Übersetzung: Robert Cohn Impressum Jubiläum und Ausstellung Projektleitung: Künstlerhaus Lauenburg e.V. Kuratur. Marlies Behm Assistenz: Volker Hillmann, Hans Jürgen Schild Öffentlichkeitsarbeit: Volker Hillmann Publikation Herausgeber: Künstlerhaus Lauenburg e.V. Fotos: Eva Ammermann, Jochen Hillmann Konzeption, Redaktion, Gesamtherstellung und Druck: Volker Hillmann Copyright: by Bild- und Textautoren, Künstlerhaus Lauenburg e.V. Künstlerhaus Lauenburg und Stadtgalerie Lauenburg Elbstraße 54 21481 Lauenburg 04153 - 592649 www.kuenstlerhaus-lauenburg.de [email protected] adijb[h^Wki bWk[dXkh]E[bX[ _{w w{i{zw{ { Verkaufspreis: 10 EUR Stadtgalerie Lauenburg im Hagenström