Reader Regierungsfrage - Antikapitalistische Linke

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Reader zur Regierungsfrage
für die Bundesversammlung der Antikapitalistischen Linken in Berlin
Einleitung:
Die Frage, ob sich eine sozialistische Partei wie Die LINKE an Regierungskoalitionen mit
prokapitalistischen Parteien wie SPD oder Grünen beteiligen sollte, steht im Mittelpunkt dieser
Textsammlung. Sie soll die Diskussion darüber bei der Bundesmitgliederversammlung der
Antikapitalistischen Linken am 11.1.2015 in Berlin vorbereiten und wurde aus Beiträgen auf der
AKL-Bundeswebseite zusammen gestellt. Sie dokumentieren unterschiedliche Positionen zum
taktischen Umgang mit dieser Schlüsselfrage der Arbeiterbewegung: Einige AKL-Mitglieder lehnen
jede Regierungskoalition mit Kriegs- und Kürzungsparteien ab und befürworten lediglich eine
Einzelfallunterstützung von rot-grünen (Minderheits)Regierungen – andere machen
Regierungsbündnisse der LINKEN mit SPD und Grünen von inhaltlichen Bedingungen bzw.
Haltelinien abhängig. Die gemeinsame Grundlage dieser Debatte wird im Gründungsaufruf
beschrieben: „Dabei vertritt die AKL die Überzeugung, dass die dafür notwendige Veränderung der
gesellschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit
bürgerlichen Parteien, sondern nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen
und gewerkschaftliche Kämpfe erzeugt werden kann.“ (siehe S. 26 dieses Readers)
Neben Texten, die den historischen Hintergrund dieser Debatte beleuchten, finden sich aktuelle
Beiträge zu den letzten Landtagswahlen und zur Regierungsbildung in Brandenburg und Thüringen.
Wir hoffen, mit diesem Reader zur konstruktiven Debatte in der AKL und in der Linken beitragen
zu können.
Mit sozialistischen Grüssen
Werner Ott und Heino Berg
Inhalt:
1. Zur Wahl von Bodo Ramelow (Thies Gleiss)
2. Revolution in Thüringen (Sascha Stanicic)
3. Zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen (AKL BspR)
4. Durchaus unterschiedliche Schlussfolgerungen (12 AKL Mitglieder)
5. Fehler nicht wiederholen (Lucy Redler)
6. Einheitsfront und rot-rot-grüne Regierungsbündnisse (Heino Berg)
7. Rot-Rot: Kein Exportschlager (AKL BspR)
8. Kritische Analyse statt Schönfärberei und Wunschdenken (Mitglieder Sachsen)
9. Gegen Koalitionsangebote in Bund und Ländern (Antrag AKL Berlin)
10. Mittendrin im Widerstand (Auszug aus dem AKL-Gründungsaufruf)
11. Rosa Luxemburg und die Regierungsfrage (Auszüge)
1
S. 2
S. 5
S. 7
S. 9
S. 11
S. 14
S. 19
S. 22
S. 26
S. 27
S. 28
Die Hoffnungen sind da – die politische
Substanz weniger
Zur Wahl von Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten von Thüringen.
Von Thies Gleiss, 8. Dezember 2014
1.
Bodo Ramelow ist nach erfolgreichen Koalitionsgesprächen mit der SPD und den Grünen zum
Ministerpräsidenten einer Dreiparteien-Regierung in Thüringen gewählt worden. Die LINKE ist mit
28 Prozent Wählerstimmen die zweitstärkste Partei im Land und hat mehr Stimmenprozente, aber
auch Mitglieder und realen gesellschaftlichen Einfluss als die beiden Koalitionspartnerinnen
zusammen. Eine linke Partei mit diesem Zuspruch und Einfluss muss selbstverständlich jede, auch
kleine Chance aufgreifen, Politik im Sinne ihres Programms und der Interessen ihrer WählerInnen
und Mitglieder verantwortlich umzusetzen. Jede andere Haltung wäre eine unpolitische Flucht,
letztlich auch vor sich selbst. Wir gratulieren Bodo Ramelow zu diesem Mut zur Entscheidung und
zu dem jetzt erzielten Wahlerfolg.
2.
Die Wahl von Bodo Ramelow reiht sich ein in die Folge von politischen Besonderheiten, ja
Kuriosem, die im kapitalistischen Deutschland seit dem Ende der Sowjetunion und der DDR im
Zusammenhang mit der LINKEN passierten. Eines der merkwürdigen Resultate des Endes des
bürokratischen „Feudalsozialismus“ – wie Robert Havemann die Verhältnisse in Osteuropa und der
DDR einst nannte – war in Deutschland die Tatsache, dass in dem Musterländle der kapitalistischen
West-Orientierung, einem Land mit Nato-Begeisterung und dem Antikommunismus quasi als
Staatsreligion, urplötzlich die größte linke Partei der kapitalistischen Staatenwelt existierte. Eine
Partei, die sich auf die „Bösewichter“ der deutschen Geschichte Karl Liebknecht und Rosa
Luxemburg beruft, die jedes Jahr im Januar eine der größten Aufmärsche von Linken zum
Gedenken an die revolutionäre Arbeiter*innenbewegung organisiert – und dies in direkter , aber
frecher und autonomer Fortsetzung der elenden Selbstinszenierungen der SED-Bürokraten. Eine
Partei, die in ihrem Programm den Sozialismus und die Vergesellschaftung der großen privaten
Unternehmen fordert.
25 Jahre später gibt es diese Merkwürdigkeit einer linken Massenpartei im eher rechten und nach
rechts driftenden gesellschaftlich-politischen Gesamtumfeld immer noch. Allerdings sind von den
ehemals 2 Millionen SED-Mitgliedern nur noch 16.000 in der LINKEN – die übrigen sind, sofern
sie noch leben, eher bei den Eliten, Parteien und Institutionen der heutigen Herrschenden
untergekrochen, wenn nicht sogar bei neuen rechten Vereinen oder haben ihr Auskommen in
Einsamkeit und ohne politische Macht gefunden. Die LINKE ist mittlerweile ein Zusammenschluss
von ost- und westdeutschen Linken und trotz aller Anstrengungen und Verteufelungen gelingt es
den Herrschenden von heute und ihren Medien nicht, den Massenanhang dieser Partei und ihre
parlamentarische Vertretung zu zerschlagen.
Die DDR war nicht sozialistisch. Sie war auch nicht mehr Unrechtsstaat als die BRD in
Westdeutschland und viele mit diesem verbündete und geförderte Staaten, eher weniger. Ob sie ein
bewusster „Sozialismusversuch“ war oder nicht doch von vornherein von Leuten gelenkt wurde, die
das nicht mehr zum Ziel hatten, kann beherzt diskutiert werden. Auf jeden Fall ist die DDR reale
Geschichte von realen Menschen, die bis heute einen großen Teil ihrer Interessen bei der LINKEN
aufgehoben sehen. Zum Glück für die LINKE begreift der größte Teil der bürgerlichen
Konkurrenzparteien diesen Umstand bis heute nicht.
Insbesondere in den ostdeutschen Ländern ist die LINKE deshalb wahrscheinlich die
organisatorisch stärkste Partei und sie verliert bei Wahlen eigentlich nur durch eigene Dummheit
und völlig unnötiges Anpasslertum an Zuspruch und nicht durch die Attraktivität ihrer Gegner. Die
2
LINKE hat dort Stammwähler, die leider aufgrund des liquidatorischen Kurses einiger der
Parteispitzenleute immer mal wieder und immer mehr zu Hause bleiben.
3.
Die LINKE und Bodo Ramelow haben in Thüringen auf diese Weise die Rolle als Mehrheitspartei
der neuen Regierung gewonnen. Die LINKE hat bei den Wahlen in Thüringen allerdings an
absoluten Stimmen verloren. Ein beträchtlicher Teil ihrer WählerInnen ist sogar zur
rechtsnationalistischen AFD gewechselt. Die CDU hat ihre Positionen halten können. Und eine
sowieso nicht gerade „linke“ SPD hat ihr schlechtestes Ergebnis überhaupt eingefahren. Es gab und
es gibt also bis heute keine sogenannte „Wechselstimmung“ im Land und der gesamte,
personalisierte und von politischen Inhalten, allen voran den „radikalen“ Inhalten, bereinigte
Wahlkampf von Bodo Ramelow hat auch viel dafür getan, genau diese Wechselstimmung gerade
nicht zu erzeugen. Die Pose „Ich der bessere Lieberknecht“ war ähnlich fade wie die entsprechende
Haltung von Peer Steinbrück für die SPD im Bundestagswahlkampf „Ich der bessere Merkel“.
Trotzdem ist die LINKE in die Rolle, als Mehrheitskraft eine neue Koalition zu schmieden, hinein
gewählt worden. Eine unpolitische und atomisierte Bevölkerung, die in der Masse eher die rechten
Parteien trägt, sofern sie überhaupt zur Wahl geht, aber zugleich eine linke Partei als Mehrheitskraft
bei der Regierungsbildung, die ihr Glück nicht fassen kann und diese Situation des „Du-hast-keineChance-aber-du-musst-sie nutzen“ leider nicht in einer Flucht nach vorn, sondern in inhaltlicher
Entleibung aufgelöst hat – das ist das etwas bizarre Ergebnis der Thüringenwahl.
4.
Im engeren Umfeld der Partei DIE LINKE, aber vor allem in ihrer Mitgliedschaft, hat die Chance,
in Thüringen nicht nur Regierungspartei, sondern darin Mehrheitskraft zu sein und den
Regierungschef zu stellen, euphorische Emotionen ausgelöst. Leider haben diese Emotionen nicht
zu einem stärkeren inhaltlichen Selbstbewusstsein der Partei geführt, sondern nur zu der
unpolitischen Haltung, „jetzt muss es aber klappen, egal, was es kostet“. Die Partei hat
offensichtlich ihren Verstand ausgeschaltet und die glückliche, einmalige Situation in Thüringen
nicht etwa zur Stärkung von linken Positionen genutzt, sondern zu deren Abflachung und
vorauseilender Preisgabe, nur um den möglichen Regierungsantritt nicht zu gefährden. Ob daraus –
wie schon so oft bei linken oder auch nur links blinkenden Parteien gesehen – ein klassischer
Selbstmord aus Angst vor dem Tod wird, ist noch nicht entschieden.
Die gemeinsame Stellungnahme zur DDR, die „Präambel“ zum Koalitionsvertrag von LINKE, SPD
und Grüne, ist das sichtbarste Zeichen dieser Anpassung mit womöglich tödlichem Ausgang. Sie hat
unnötigerweise der Mehrheitskraft in der neuen Regierung gleich mal das Schild „Wir sind die
Schuldigen“ umgehängt und den beiden Juniorpartnerinnen das Etikett „Wir sind die guten
Aufpasser“. So etwas ist schon fahrlässiger Umgang mit der realen Geschichte der DDR von der die
heutige LINKE ja ein reales Ergebnis ist. Selbstverleugnung hat noch nie genutzt, ebenso wenig wie
die Begleitmusik an Entschuldigungen und Distanzierungen.
5.
Die versammelte Front der politischen Gegner und ihre ideologischen Krieger in den großen
Medien haben diese inhaltliche Entleibung und Selbstkasteiung der LINKEN in Thüringen mit
Freude aufgegriffen. Die Koalitionsverhandlungen und Sondierungen gaben inhaltlich nichts her,
also konnte genüsslich die gefühlt hunderttausendste Aufführung der antikommunistischen
Volksoper und auf allen Kanälen gleichzeitig abgefeiert und abgefeuert werden. Natürlich wäre das
in jedem Fall passiert und ist ein untrügliches Zeichen der wahren politischen Verhältnisse im
vereinigten Deutschland, aber wer so agiert wie die LINKE in Thüringen, der oder die muss sich
nicht wundern, dass auch noch die lächerlichste antikommunistische Bananenflanke ihren Weg ins
Tor findet. Wie schön wäre es doch gewesen, das aufgebrachte Bürgertum hätte sich über eine echte
linke „Gefahr“, über den wirklichen Politikwechsel in Thüringen aufgeregt – und nicht nur auf die
selbstgezimmerten Pappmachekrokodile ihrer eigenen Kasperbuden eingedroschen.
3
Wir nehmen unsere Genossinnen und Genossen in Thüringen und Bodo Ramelow aber
selbstverständlich auch vor diesen Operettenangriffen in Schutz und erklären unsere Solidarität. Die
sich in den letzten Tagen manchmal abzeichnende ekelhafte antikommunistische Allianz von SPDMaulhelden bis Neonazis ist schrecklich, aber sie beweist auch, dass es in Gesamtdeutschland noch
weniger eine politische Basis für „Rot-Rot-Grün“ gibt als in Thüringen.
6.
Die neue Regierung in Thüringen steht. Dass die LINKE mit handzahmen Personen aus dem FdSSpektrum vertreten ist, war zu erwarten. Dass aber die freiwillig gewählte Rollenaufteilung „Wir
sind die Schuldigen“ und „Wir sind die Aufpasser“ auch bei den Ämterverteilungen zum Ausdruck
kommt, ist wohl nur damit zu erklären, dass Bodo Ramelow auch im engsten Sinne als
Geschäftsführer einer Verwaltungstruppe namens Regierung Angst vor „Abweichlern“ hat. Tatsache
ist, dass die SPD mit Wirtschafts- , Finanz- und Innenministerium, und die Grünen mit dem
Justizministerium die wichtigen pragmatischen und Kontrollinstanzen verwalten werden.
Der Koalitionsvertrag, der als Arbeitsprogramm dieser neuen Regierung ausgehandelt wurde, ist ein
typisches Papier, wie es in beliebigen Koalitionsverhandlungen ausgehandelt wird: Ein pompöses
Bekenntnis zur bestehenden Wirtschaftsordnung, zur Mittelstands- und Kleinkapitalistenförderung,
zu Behördeneffizienz und allgemeiner Verantwortung für Wachstum und Fortschritt. Dazu – so viel
hat Nils Böhlke für Marx21 gezählt – ganze 123 „Prüfversprechen“, also vage und unverbindliche
Ankündigungen. Am spannendsten ist dabei sicherlich die Prüfung der Einführung eines
fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehrs. Das ganze wie gewohnt unter dem
Finanzierungsvorbehalt und eingerahmt vom Bekenntnis zur Schuldenbremse. Schon am
Nachmittag nach der Wahl von Ramelow verkündete die SPD, sie sehe ihre Aufgabe vorrangig
darin, die Einhaltung der Schuldenbremse zu überwachen. Das kann heiter werden. Es wird – eine
der wenigen konkreten Ankündigungen – ein gebührenfreies Kita-Jahr geben. Aber brauchte es
dafür einen linken Ministerpräsidenten? Ansonsten sind die bildungspolitischen Inhalte des
Koalitionsvertrages erstaunlich dürr – wenn man bedenkt, dass sonst landauf und landab die große
Schnittmenge von „Rot-Rot-Grün“ in der Bildungspolitik beschworen wird. Es wird weder das
Gymnasium in Frage gestellt, noch das Projekt „Eine Schule für alle“ angepackt. 500 neue
Lehrerstellen werden geschaffen – etwas mehr will die „schwarz-rote“ Koalition im
Nachbarbundesland Sachsen neu einstellen.
Der öffentliche Dienst soll nicht verschlechtert werden. Das ist nicht gleichbedeutend mit „soll
nicht abgebaut werden“ und schon gar nicht mit der aus linker Sicht eigentlich unerlässlichen
Verbreiterung des öffentlichen Dienstes. Von allen öffentlichen Diensten sollen vor allem die VLeute beim Verfassungsschutz eingeschränkt werden. Das ist gut, aber die Äußerung vom neuen
Ministerpräsidenten, die Auflösung der geheimen Dienste stände in den nächsten fünf Jahren nicht
an, verblüfft doch sehr. Wann, wenn nicht jetzt, auf Grundlage der fürchterlichen Erfahrungen mit
dem NSU-Sumpf, soll denn eine solche im besten Fall überflüssige, aber meistens sogar gefährliche
Behörde abgeschafft werden?
Von einer links dominierten Regierung wäre eigentlich zu erwarten, dass beim Thema „Arbeit und
soziale Gerechtigkeit“ wirkliche Leuchttürme des Politikwechsels gesetzt werden. Aber der
Koalitionsvertrag in Thüringen ist in dieser Hinsicht „harmloser“ als die harmlosen
Arbeitsgrundlagen der SPD-Grüne-Regierungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Das
betrifft die Überlegungen zu einem landesweiten Mindestlohn für Staatsaufträge, das
Tariftreuegesetz oder gar eine neue Arbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst.
Zum aktuell heiß diskutierten Thema Freihandelsabkommen TTIP und CETA hat sich in Thüringen
die SPD vollständig durchgesetzt. Wie zum Hohn begleitet Wirtschaftsminister Gabriel die vagen
Thüringer Erklärungen, dass sich nichts verschlechtern darf, fast zeitgleich mit seiner Politik der
vollzogenen Tatsachen.
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Es gäbe eine Reihe von Möglichkeiten (nicht nur die TTIP-Debatte), mit denen eine neue linke
Regierung Profil und Ausstrahlung in andere Länder zeigen könnte, und die trotzdem nichts kosten.
Aber nichts davon findet sich im Koalitionsvertrag.
Werden jetzt antifaschistische Strukturen im Land signifikant gestärkt?
Wie sieht die neue Flüchtlingspolitik aus? Wie die Unterbringung und die polizeilichen
Überwachungen? Kommt die Quotierung und andere beispielhafte Frauenförderung? Wird es eine
neue Politik gegen Homophobie geben oder knickt Thüringen wie andere Bundesländer vor der
schwarzbraunen Meute ein? Werden Werbeaktionen von Jugendoffizieren der Bundeswehr an
Thüringer Schulen unterbunden? Gibt es in den öffentlichen Betrieben und Behörden in Thüringen
jetzt bald mehr und bessere Mitbestimmung? Und vieles weitere mehr.
7.
Jetzt wird in der Öffentlichkeit und natürlich im Umfeld der LINKEN laut gerufen: Gebt der neuen
Regierung und Bodo Ramelow eine Chance. Daran soll es unsererseits nicht mangeln, es ergibt sich
nach Lektüre des Koalitionsvertrages und bei Betrachtung der neuen Regierungstruppe aber die
berechtigte Frage: Hat Bodo Ramelow und seine Regierung überhaupt eine solche Chance ergriffen
oder wird er sie ergreifen? Zur Zeit sieht es danach nicht aus, sondern eher nach einem mühsam
zusammen geschustertem Räderwerk, das einzig und allein dazu dient, sich selbst ein wenig in
Bewegung zu halten und jegliche Störer, Störungen und Sand im Getriebe zu vertreiben.
SPD und Grüne trommeln gleichzeitig in allen anderen Teilen der Republik, dass die Duldung eines
– wirklich nur Duldung, das darf nicht vergessen werden – Ministerpräsidenten der LINKEN nur in
Thüringen und nicht anderswo, schon gar auf Bundesebene möglich sei. Es gibt wahrlich bessere
Begleitmusik zu einer neuen Koalition, die angeblich eine Zäsur für die deutsche Geschichte
darstellt.
Es ist zu befürchten, dass insbesondere die SPD – die Grünen haben sowieso schon die völlige
Beliebigkeit bei der Wahl ihrer Koalitionspartnerinnen zum Prinzip erhoben – die Koalition in
Thüringen nicht sehr ernsthaft verfolgen, sondern durch übergeordnete, kurzfristige Interessen, die
Konkurrenz der LINKEN vorzuführen, schnell preisgeben wird. Die LINKE täte gut daran, sich auf
diese Generalumstände und ihre mögliche schnelle Änderung einzustellen.
Thies Gleiss ist Mitglied im Bundessprecher*innen-Rat der Antikapitalistischen Linken.
5. November 2014
Revolution in Thüringen?
Warum DIE LINKE nicht mit SPD und Grünen regieren sollte.
Von Sascha Stanicic
DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen in Thüringen eine Regierungskoalition
bilden. Damit würde mit Bodo Ramelow erstmals ein LINKE-Politiker Ministerpräsident eines
Bundeslandes. Manche bürgerlichen Medien kommentieren das, als ob damit eine Revolution
ausbrechen würde.
Sicher gibt es viele Menschen, die darauf hoffen, dass unter Ramelow eine sozialere Politik
umgesetzt wird. Eine Minderheit wird befürchten, dass diese Regierungsbeteiligung den
Anpassungsprozess der LINKEN in Richtung des pro-kapitalistischen Establishments
beschleunigen wird. Und nicht wenige – immerhin nahmen 47,3 Prozent der ThüringerInnen gar
nicht an der Wahl teil – werden die Achseln zucken und weiterhin davon überzeugt sein, dass in
Regierungen abgehobene Politiker über die Köpfe der Bevölkerung hinweg handeln und dabei
selten Gutes raus kommt.
So viel Übereinstimmung macht skeptisch
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Auf die Frage, welches bei den Sondierungsgesprächen das schwierigste Thema gewesen sei,
antwortete Bodo Ramelow in der taz vom 22. Oktober: „Es gab keins.“ Alle betonen die große
Übereinstimmung der drei Parteien. Das sollte skeptisch stimmen, schließlich handelt es sich bei
SPD und Grünen immer noch um die Parteien von Hartz IV und Agenda 2010.
Die schriftlich veröffentlichte Zusammenfassung der Ergebnisse der Sondierung enthält viele
soziale Absichtserklärungen. Doch: Papier ist geduldig. Regierungshandeln und Koalitionsverträge
unterscheiden sich nicht selten deutlich. Denn: Die ganzen schönen Versprechungen müssen ja
finanziert werden. Und dem stehen die leeren öffentlichen Kassen entgegen, die durch die
Zustimmung von LINKE, SPD und Grünen zur sogenannten Schuldenbremse auch leer bleiben
werden. Erst einmal müsse ein Kassensturz durchgeführt werden, um die „haushaltspolitische
Handlungsfähigkeit Thüringens zu definieren“. – Nachtigall, ick hör dir trapsen!
Kleineres Übel ist ein Übel
Doch selbst wenn die Absichtserklärungen umgesetzt werden, ist der Verhandlungsstand kein
großer Wurf und weit von dem so oft beschworenen Politikwechsel entfernt. Da werden weder die
Kürzungen der Vorgängerregierung im Hochschulbereich zurückgenommen, noch der braun
durchsetzte Landesverfassungsschutz aufgelöst. Die meisten Formulierungen sind schwammig und
unkonkret – außer dem Bekenntnis zur Schuldenbremse halt. Das wundert nicht, ist doch der
Anspruch der drei Parteien, Partner „sowohl der Arbeitnehmer/-innen als auch der Unternehmen
und deren Organisationen“ zu sein. Von Interessenvertretung für die abhängig Beschäftigten und
sozial Benachteiligten kann also keine Rede sein.
Heraus wird bestenfalls eine Politik des kleineren Übels kommen, die früher oder später unsoziale,
arbeitnehmer- und umweltfeindliche Maßnahmen beinhalten und weit entfernt von linker
Programmatik sein wird. Das haben die bisherigen Regierungsbeteiligungen der PDS
beziehungsweise der LINKEN gezeigt. Am Ende hat DIE LINKE ihre Ziele verraten und wurde
dafür mit massenhaftem Wählerverlust abgestraft. Es kann nicht anders laufen, denn SPD und
Grüne sind pro-kapitalistische Parteien, die sich den Profiten der Konzerne verpflichtet fühlen, nicht
den Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit.
Ostdeutschland und LINKE
In der CDU/CSU macht sich angesichts eines LINKE-Ministerpräsidenten „Fassungslosigkeit“
breit. Einmal mehr wird versucht, die SED-Vergangenheit der Partei als Keule gegen linke Politik
einzusetzen. Leider reagiert DIE LINKE in Thüringen darauf nicht mit einer sozialistischen DDRKritik, sondern hat sich mit SPD und Grünen auf Formulierungen (Stichwort: „Unrechtsstaat
DDR“) geeinigt, die viele ehemalige DDR-BürgerInnen als Kotau verstehen müssen. Sozialistische
DDR-Kritik würde bedeuten, klar zu sagen, dass die Herrschaft der SED-Bürokratie über die
ostdeutsche Arbeiterklasse nichts mit Sozialismus zu tun hatte. Sie würde gleichzeitig deutlich
machen, dass die DDR an diesem bürokratisch-diktatorischen Charakter und nicht an der
Verstaatlichung der Wirtschaft als solcher gescheitert ist. Sie würde deutlich machen, dass
sozialistische Demokratie freie Wahlen und jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit auf allen Ebenen,
Verbot von Privilegien für FunktionärInnen und ähnliche Grundsätze sozialistischer Demokratie
bedeuten würde. Da diese von der LINKE-Führung aber weder in ihrer eigenen Partei, noch in den
Parlamenten und Regierungen, in denen sie vertreten ist, umgesetzt werden, können sie auch keine
sozialistische DDR-Kritik formulieren und landen bei – bürgerlicher Kritik.
Somit wird die von vielen geforderte Normalisierung im Umgang mit der LINKEN und
„Akzeptanz“ der Linkspartei in den staatlichen Strukturen des vereinigten, kapitalistischen
Deutschlands letztlich nur auf Basis der Anpassung der Partei an die herrschenden kapitalistischen
Verhältnisse möglich sein. Eine bessere Interessenvertretung für die ostdeutschen Lohnabhängigen,
Erwerbslosen und RentnerInnen kommt dabei nicht zwangsläufig heraus.
Das wird leider auch das Ergebnis sein, wenn Thüringen nun zum Modell für die Partei erhoben
wird. Leider beteiligt sich auch der, von vielen dem linken Flügel der Partei zugeordnete,
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Vorsitzende Bernd Riexinger daran. Im Neuen Deutschland vom 24.10.2014 nennt er drei
Bedingungen dafür, dass rot-rot-grüne Landesregierungen Schule machen sollten: „Höhere
Tarifbindung für Beschäftigte, mehr Lehrer, stärkerer Sozialstaat“ und wünscht sich eine
„Etablierung“ seiner Partei in der Bundesrepublik. Er nennt rot-rot-grüne Bündnisse „die richtige
Antwort auf die AfD“ und bezeichnet LINKE, SPD und Grüne als die „Parteien links der Mitte“.
Der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. Dass aus der LINKE-Führung
immer wieder neue, abgeschwächte, Bedingungen für Regierungsbeteiligungen formuliert werden
und ein linkes Lager konstruiert wird, dass es angesichts der pro-kapitalistischen Politik von SPD
und Grünen nicht gibt, bedeutet, die Partei in die falsche Richtung zu orientieren. Ergebnis rot-rotgrüner Regierungen wird nicht die Schwächung der AfD, sondern ihre Stärkung (oder die Stärkung
anderer rechter Kräfte) sein, die sich dann als einzige Anti-Establishment-Partei darstellen kann.
Was tun?
Nötig ist ein politischer Kurswechsel der LINKEN hin zu einer konsequenten Politik im Interesse
von ArbeitnehmerInnen. Eckpunkte davon könnten sein: Nein zur Schuldenbremse; Rücknahme der
Kürzungen der Vorgängerregierungen; Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und
Personalausgleich für alle Landesbeschäftigten; öffentliche Investitionsprogramme zur Schaffung
sinnvoller Arbeitsplätze; Enteignung von Unternehmen, die Arbeitsplätze abbauen; Auflösung des
Verfassungsschutzes; demokratische Kontrolle und Verwaltung landeseigener Betriebe und
Verwaltungen et cetera.
Wenn Bodo Ramelow ein solches – sozialistisches – Programm vorgelegt hätte, wären SPD und
Grüne niemals zu Sondierungsgesprächen erschienen und für alle wäre klar gewesen, dass eine
Politik im Interesse der Mehrheit der Menschen – und damit gegen die Reichen und Kapitalisten –
nur mit der LINKEN möglich ist. Auf dieser Grundlage könnte die Partei ein Bündnis mit
GewerkschafterInnen und Aktiven der sozialen Bewegungen bilden, sich auf den Aufbau von
Gegenwehr und die Selbstorganisation der einfachen Leute konzentrieren und selbstbewusst das
Ziel formulieren, von einer 28-Prozent-Partei zu einer Partei zu werden, die die Mehrheit der
Thüringer Arbeiterklasse hinter sich bringt und auf dieser Basis in der Lage sein wird, eine
tatsächlich linke Regierung zu bilden, die auch linke Politik betreiben wird.
Zuerst erschienen auf:sozialismus.info
6. Oktober 2014
Die rote Hoffnung erneuern – nicht im
Pragmatismus der Krisenverwaltung
ertränken!
Erklärung der Antikapitalistischen Linken (AKL) zu den Landtagswahlen in Brandenburg
und Thüringen
Die Wahlen in Brandenburg und Thüringen haben erneut bestätigt, was bereits bei den letzten
Europawahlen und den Landtagswahlen in Sachsen offenkundig wurde: Die bürgerliche Politik des
etablierten Parteienkartells steckt in einer tiefen Legitimationskrise. Die Hälfte der
Wahlberechtigten bleibt der Wahl fern. Das Personal der herrschenden Klasse, ihre Spitzenleute wie
die Parteien werden verachtet. Und wie immer spiegelt die Wahlbeteiligung die sozialen
Verhältnisse wider. Die Wahlen werden immer mehr zu einer Veranstaltung der materiell wie
kulturell Besserverdienenden. Diese Wahlenthaltung ist kein kollektiver Protest, keine linke
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Gesellschaftskritik, sondern individueller Ausdruck der Entpolitisierung und Ratlosigkeit Millionen
von Menschen.
Für die Partei DIE LINKE, die sich die Interessenvertretung gerade dieser Menschen, dieser Opfer
des real existierenden Kapitalismus auf die Fahnen und ins Programm geschrieben hat, ist es
schlicht eine Katastrophe, dass sie keine Politik und keine Wahlkämpfe auf die Reihe bringt, die
diese Menschen anspricht und mobilisiert. Die WählerInnen der LINKEN bleiben zuhause oder
wenden sich gar der einzigen Kraft zu, der es von rechts gelingt, Wut und Zorn großer Teile der
Bevölkerung für ihre billigen, nationalchauvinistischen und ausgrenzenden Parolen zu gewinnen –
der Alternative für Deutschland (AfD).
Die LINKE hat mit den anderen Parteien den Wettstreit um den „aufgeklärten Wähler und die
aufgeklärte Wählerin“ gesucht, mit Papierschlachten und personalisierten Wahlkämpfen. Sie kann
in diesem Wettstreit nicht gewinnen, und wenn doch, dann nur zu dem Preis der Entstellung ihrer
politisch-programmatischen Identität. Den Versuch, die LINKE als tatsächliche Alternative zu den
kapitalistischen Altparteien aufzubauen und darzustellen hat es gar nicht mehr gegeben. Trauriger
Höhepunkt ist das Wahlkampfmotto aus Thüringen: „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles
besser machen“. Lauter kann die Zugehörigkeit zum Kartell der Etablierten, und sei es sogar nur der
Wunsch nach dieser Zugehörigkeit, nicht herausgeschrien werden. DIE LINKE wird deshalb durch
die Wahlenthaltung der Menschen nicht nur mit-, sondern besonders stark bestraft und darf sich
darüber nicht beschweren.
In Brandenburg wurde DIE LINKE nicht nur als Teil der etablierten vermutet, sondern sie hat als
echte Regierungspartei ihre Abstrafung erhalten. Dreißig Prozent ihrer Wähler sind weg. Eine
Strafe, weil die Diskrepanz zwischen Tun und programmatischen Versprechen bei der LINKEN
besonders ausgeprägt ist.
Der Wahlerfolg der AfD ist deshalb mehr eine Absage an die anderen Parteien als eine Bestätigung
der kruden Inhalte dieser Neugründung. Er ist im Kontext der niedrigen Wahlbeteiligung zu sehen.
Aber es ist eine individuelle, unpolitische und damit in der Wirkung rechte Abwendung.
Als sie vor fünf Jahren in Brandenburg antraten, haben sich SPD und LINKE gemeinsam
aufgestellt, an die Hände gefasst und verkündet: Wir bekennen uns zur kapitalistischen
Marktwirtschaft – zur Haushaltssanierung im Sinne des Kapitals – zum Lissabonvertrag und dem
neuen Militarismus der EU – zur Energiepolitik im Sinne der Stromkonzerne. Ein Wechsel der
Politik der vergangenen Jahre wurde ausdrücklich nicht gewollt. Ein bisschen mehr soziale Tunke,
aber ansonsten die gleiche politische Entmündigung der Menschen und Vollstreckung der Interessen
der Herrschenden. Das ist IMMER der Auftrag an eine bürgerliche Regierung und nicht eine
Sekunde wurde in Brandenburg daran gezweifelt. DAS ist die linke Tragödie – die selbst durch die
dicksten Diäten nicht erträglicher wird.
Und doch hat selbst diese Art von Regierung und Verwaltung immer auch Schlüsselsituationen und
Bruchpunkte, wo auch eine müde linke Mitmachtruppe zur Besinnung kommen könnte. Das ist mit
den anstehenden Entscheidungen zum weiteren Ausbau des Braunkohletagebaus in der Lausitz auch
geschehen. Aber DIE LINKE war schon nach fünf Jahren so gesättigt, selbstzufrieden und
verschlafen, dass sie diese Chance auf wirkliche Weichenstellung für eine andere, nicht
kapitalistisch zerstörte und zerstörende Politik nicht wahrnehmen wollte und konnte. Das ist der
Tragödie zweiter Teil und des politischen Skandals erster. Dass eine solche Partei mit
Stimmenverlusten weggeschickt wird, ist wirklich nicht erstaunlich.
Die AKL ist der Auffassung, dass die LINKE sich nicht an einer nächsten Landesregierung in
Brandenburg beteiligen sollte. Sie hätte die wenigen fortschrittlichen Maßnahmen der letzten fünf
Jahre auch aus der Opposition heraus erreichen können, ohne die tiefen Glaubwürdigkeitsverluste
8
zu erleiden. Und sie wird die nächsten Fortschritte sogar besser aus der Opposition heraus
erreichen. DIE LINKE muss ihre Verankerung in sozialen Bewegungen und in den Milieus der
Menschen, die heute nicht mehr zur Wahl gehen, vorantreiben. Dazu ist programmatische Klarheit,
strategische Rücksichtslosigkeit und Radikalität und unkonventionelles, kühnes Auftreten
erforderlich. Die staatsmännische Pose der Partei muss komplett ersetzt werden.
In Thüringen wollte die LINKE es gleich von Anbeginn „besser“ im schlechten Sinne machen. Sie
zelebriert schon einen skandalösen Wahlkampf unter der alten Gerhard-Schröder-Losung “Wir
machen nicht alles anders, aber vieles besser”. Alle kennen die Übersetzung dieses Spruches: Keine
Angst, DIE LINKE wird an den herrschenden Verhältnissen nicht rütteln. Und wie zur doppelten
Bestätigung dieser Misere, wird ein personalisierter Wahlkampf nach dem Motto “Bodo der Retter
ist da” veranstaltet, wo auch noch der biederste Anhänger der LINKEN feststellen müsste, so viel
irrwitzig illusorische Stellvertreterpolitik kann nur im Desaster enden. Und sie wird es auch.
Das Wahlergebnis der LINKEN in Thüringen ist eine feine Sache. Eine linke Partei mit gut einem
Viertel der WählerInnenstimmen – selbst bei der niedrigen Wahlbeteiligung – sollte unbedingt
selbstbewusst fordern: Wir wollen regieren, her mit dem Ministerpräsidentenamt. Aber doch bitte
nicht mit dem politischen Ausverkauf aller Ideen an die SPD und – welch ein kleiner Sonderskandal
– sogar an die Grünen, die kriegsgeilste Truppe der gegenwärtigen Politik. Mit einem Bodo, der
niemanden der wirklich Herrschenden wehtun will, aber vom ersten Tag eine Regierung der
Schmerzen für die LINKE durchführt, wird es nicht bei einer Tragödie in zwei Teilen bleiben. Einen
solchen Ministerpräsidenten brauchen wir nicht und wollen wir nicht.
Die LINKE und noch mehr die Menschen weltweit brauchen einen Aufbruch zu neuen,
sozialistischen Welten. Den Mut zum Bruch und nicht die vom Hund Attila begleitete
Systemfrömmigkeit – die auch dann, wenn sie ohne System von der Kanzel verkündet wird,
genauso furchtbar ist wie die Krisenverwaltung aus der Staatskanzlei in Thüringen.
Nach der Wahlauszählerei reicht es nun für eine arithmetische Mehrheit von SPD, LINKE und
Grünen – aber ein wirklich politischer Wechsel wäre das nicht und wird es auch nicht im Laufe der
Legislaturperiode werden.
AKL-BundessprecherInnen-Rat, 15.September 2014
11. September 2014
Durchaus unterschiedliche Schlussfolgerungen
Reaktion auf die AKL-Stellungnahme zum Ausgang der Landtagswahlen in Brandenburg
und Thüringen
Mit der Form und teilweise auch mit dem Inhalt der Stellungnahme des AKLBundessprecher/innen-Rates (AKL-BSPR) zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen
hat sich unserer Ansicht nach der AKL-Bundessprecher/innenrat und damit auch die AKL ins
Abseits manövriert. Diese Stellungnahme ist der Endpunkt einer schon länger laufenden
Entwicklung, in der die Politik der BAG AKL in Stil und Inhalt immer weiter verändert wurden,
einige von uns hatten und haben sich deshalb auch zunehmend kaum mehr an der internen Debatte
der BAG AKL beteiligt.
Das Problem mit dieser Stellungnahme des AKL-BSPR besteht unserer Ansicht nach auf zwei
Ebenen:
– Die Form der Stellungnahme ist unserer Ansicht nach völlig falsch personalisiert und
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innerparteilich unsolidarisch, das ist und war nie unser Stil. Wir wollen eine grundsätzlich
solidarische Kultur der Debatte innerhalb der LINKEN. Diese Stellungnahme ist von ihrer Wirkung
her nicht links sondern kontraproduktiv, weil sie schon rein sprachlich eher abschreckt, anstatt zur
Auseinandersetzung mit den politischen Inhalten einzuladen. Wer innerparteiliche
Anpassungsprozesse verhindern will, leistet mit solch einer Stellungnahme diesem Anliegen einen
Bärendienst.
– Zweitens legt der Inhalt der Stellungnahme die AKL de facto fest auf eine generelle Ablehnung
von Regierungsbeteiligungen (auch auf Landesebene) ohne inhaltliche Kriterien zu benennen. Wir
stehen nach wie vor zum (ursprünglichen) Gründungskonsens der AKL von 2006, mögliche
Regierungsbeteiligungen entsprechend der jeweiligen politischen Inhalte zu bewerten (Stichwort:
Rote Haltelinien).
Wir sind uns durchaus bewusst, dass diese beiden Probleme der Stellungnahme, die wir benennen,
von unterschiedlichen Akteuren innerhalb des derzeitigen AKL-Sprecherinnenkreises geprägt
wurden und werden.
Die bisherige und wahrscheinlich auch zukünftige Regierungsbeteiligung der LINKEN in
Brandenburg und die mögliche Regierungsbeteiligung der LINKEN in Thüringen bewerten wir also
anhand (vereinbarter) politischer Inhalte. Und da kommen wir zu durchaus unterschiedlichen
Schlussfolgerungen.
In aller Kürze, ohne hier eine eingehende Analyse vorzulegen:
Die Halbierung der Stimmen der LINKEN in Brandenburg, der Verlust ganzer Milieus als
Wähler/innen hat durchaus etwas mit der Politik der LINKEN in der Landesregierung in
Brandenburg zu tun. Neben dem Problem, dass Landespartei, Landtagsfraktion und Minister/innen
zu wenig durchaus mögliche unterschiedliche Rollen eingenommen haben, konnte in Brandenburg
auch kein zentrales politisches Projekt der LINKEN in der Landesregierung festgestellt werden.
Nicht nur im Themenbereich Braunkohle-Abbau sondern auch in anderen zentralen
landespolitischen Themenbereichen (Bildung, Inneres) war eine inhaltliche Unterscheidung der
LINKEN (in der Landesregierung) von der SPD entweder nicht vorhanden oder nicht wahrnehmbar.
Parallel zur Beurteilung der Entscheidungen im Landtag müssen wir auch die Frage nach dem
Zustand der Landespartei stellen – wie sieht das Aufbaukonzept aus, wie aktiv ist die Basis, wie
breit wurde der Wahlkampf getragen und wie geht die Partei mit innerparteilichen KritikerInnen
um? Auch diese Aspekte sind unserer Meinung nach für ein Wahlergebnis relevant.
In Thüringen war das Ergebnis der LINKEN ein Erfolg. Auch für Thüringen gilt, dass inhaltliche
Kriterien eine Rolle spielen müssen, ob DIE LINKE Teil einer Landesregierung werden soll oder
nicht. Wir sind skeptisch, ob es gelingt oder gelingen könnte klare LINKE Akzente in einer
thüringischen Landesregierung zu setzen, nichtsdestotrotz, der Versuch ist es aber wert, dieses
auszuloten. Thematisch sind uns insbesondere auch Fragen wie eine völlig andere
Flüchtlingspolitik, eine andere Polizeipolitik, die Abschaffung von Geheimdiensten und eine
Absage an eine Politik des Freihandels (Stichwort TTIP) wichtig. Hier haben SPD oder Grüne
gerade jeweils aktuell schlimme Entscheidungen getroffen, hier muss DIE LINKE Thüringen hart
verhandeln. Wenn sich in den Sondierungsgesprächen heraustellt, dass es keine Bereitschaft zu
einem grundlegenden Politikwechsel gibt, muss erkennbar sein, dass dieser nicht an der LINKEN,
sondern an der SPD und/oder den GRÜNEN scheiterte. Dafür jedoch muss es aber erst einmal
Gespräche gegeben haben.
Die problematischen Grundbedingungen LINKER Regierungsbeteiligung bleiben – grundsätzlich
und konkret. Grundsätzlich ist oder wird es schwierig, unterhalb einer Bundesregierung, die auf
neoliberale Wirtschafts- und Kriegspolitik setzt, ein Bundesland LINKS mitzuregieren. Eine
LINKE an einer Landesregierung wäre nur ein Teil einer Landesregierung und damit eingebunden,
10
notwendiger Protest und Widerstand in der Politik der LINKEN darf damit nicht wegfallen. Und
konkret ist es nicht ohne, Teil einer Landessregierung zu sein, in Zeiten eines neoliberalen
Sozialabbaus und eingeschränkter Landeshaushalte. Die Debatte, ob und unter welchen
Bedingungen DIE LINKE sich an Landesregierungen in Thüringen und Brandenburg beteiligt,
sollte also innerparteilich solidarisch geführt werden, in den jeweiligen Landesverbänden
entschieden werden und vor allem nach klaren inhaltlichen Kriterien erfolgen.
Wir halten es darüberhinaus für sinnvoll und absolut notwendig, eine breite Debatte in der LINKEN
und darüber hinaus zu führen über Regierungsbeteiligungen von und Tolerierungen durch
Linksparteien, nicht nur in Deutschland, sondern mindestens auch in Europa und zu analysieren,
wann und wodurch die Wahlergebnisse nach einer Legislatur der Beteiligung oder Tolerierung
(zumeist) negativ beeinflusst wurden und wann (doch) nicht.
Michael Aggelidis,Karin Binder, Elwis Capece, Nina Eumann, Sylvia Gabelmann, Claudia Haydt, Andrej
Hunko, Christian Leye, Niema Movassat, Tobias Pflüger, Sascha Wagner, Wolfgang Zimmermann
25. September 2014
Fehler nicht wiederholen
Zur Diskussion um die Regierungsfrage in Brandenburg und Thüringen in der LINKEN und
der AKL.
Von Lucy Redler
Vereint haben bürgerliche Medien zum Sturm auf die AKL geblasen, weil diese es in einer
Stellungnahme des BundessprecherInnenrats[1]gewagt hat, das Ziel der Regierungsbildung in
Thüringen und Brandenburg deutlich zu kritisieren. Ich denke, dass Kritik einer pluralistischen
Partei gut zu Gesicht steht und dass sich mehr Strömungen und Einzelmitglieder in der Debatte um
die Richtung, die die LINKE mit ihrer Orientierung auf Rot-Rot-Grün einschlägt, zu Wort melden
sollten. Wann wenn nicht jetzt, ist ein Kurswechsel nötig?
DIE LINKE in Brandenburg hat fast die Hälfte der absoluten Stimmen verloren, dasselbe geschah
2006 nach der ersten Legislaturperiode der LINKEN in Berlin (damals 181.0000 Stimmen).
Trotzdem soll genau diese Koalition in Brandenburg nun fortgesetzt werden. 20.000 AfDWählerInnen in Brandenburg und 16.000 AfD-WählerInnen in Thüringen hatten bei der Wahl 2009
DIE LINKE gewählt. Natürlich kann DIE LINKE nicht alle WählerInnen der AfD gewinnen, aber
offenbar zieht die AfD auch Proteststimmen von Menschen, die DIE LINKE erreichen kann.
Beispielsweise wenn sich die AfD in Brandenburg im Wahlkampf als die Partei für ein
Nachtflugverbot am BER präsentiert und DIE LINKE als jene Partei gesehen wird, die im
Aufsichtsrat für das BER-Desaster mitverantwortlich ist.
Es muss uns wachrütteln, wenn 77 Prozent der NichtwählerInnen in Thüringen und Brandenburg
sagen, es gibt viele Parteien, aber keine, die etwas verändert. Es muss uns wachrütteln, wenn die
Hälfte der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie denken, es ändert sich ja doch
nichts. Wahlkampfslogans wie „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen“ sind
Wasser auf diese Mühlen.
Der AKL wird nun vorgeworfen, personalisierte Kritik an Bodo Ramelow zu äußern. Es geht
niemanden darum, den Genossen Ramelow persönlich anzugreifen oder ihm alleine die
Verantwortung für den Kurs des thüringischen Landesverbandes zuzuschreiben. Die
Personalisierung des Wahlkampfes wurde jedoch nicht von der AKL, sondern vom Landesverband
betrieben. Dass Spitzenkandidaten für den von ihnen vertretenen Kurs auch politisch direkt kritisiert
werden, wenn man diesen kritikwürdig findet, ist normal.
11
Die AKL hat sich aus Sorge über die Zukunft unserer Partei zu Wort gemeldet. Wenn DIE LINKE
ihre Aufgabe darin sieht, soziales Korrektiv von SPD und Grünen in Regierungskoalitionen zu sein,
wird sie bei unsozialer Politik landen und sich über kurz oder lang überflüssig machen. Die
Rifondazione Comunista in Italien hat einen solchen Kurs nicht überlebt. Es ist notwendig, aus
solchen Fehlern zu lernen und sie nicht zu wiederholen.
Doch anstatt sich mit den inhaltlichen Argumenten auseinander zu setzen, wird sich lauthals über
den Ton der Stellungnahme empört (teilweise in einem heftigen Ton von Wolfgang Hübner im
Neuen Deutschland,[2] der das Argument des schlechten Tons ad absurdum führt).
Man kann sich über Formulierungen in der Stellungnahme des BundessprecherInnenrats streiten
und ich selbst halte nicht alle für glücklich. Aber es geht bei der Kontroverse um etwas anderes. Die
AKL wird angegriffen und einzelne Bundestagsabgeordnete (wie zuvor Sevim Dagdelen für ihre
Kritik an den Grünen) werden kritisiert, weil sie sich dem Zug Rot-Rot-Grün in den Weg stellen.
Einem Zug, auf den erstaunlich viele Passagiere der LINKEN aus verschiedenen Strömungen
aufgesprungen sind. Auch die Sozialistische Linke spricht sich in ihrer jüngsten Erklärung offensiv
für Rot-Rot-Grün in Thüringen aus und verspricht sich davon einen Politikwechsel.[3] Ich bin der
Auffassung, dass dieser Zug vor die Wand fahren wird.
Meine Kritik richtet sich dagegen, dass in Thüringen und Brandenburg wiederholt werden soll, was
in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gescheitert ist. Im Übrigen bereiten auch
Teile der Berliner Parteispitze derzeit eine Wiederholung von Rot-Rot vor.[4]
Bereits im Wahlkampf in Thüringen wurden als Preis für eine Regierungsbeteiligung
programmatische Kernpunkte der Partei stark verwässert oder in die ferne Zukunft verschoben:
„Aus Ramelows Sicht gebe es kein k.o.-Kriterium für Koalitionsverhandlungen. Alle
landespolitischen Themen seien in Verhandlungen und Kompromissen zu bewältigen. 2009 hatte
die LINKE laut TLZ auch über Auslandseinsätze der Bundeswehr sprechen wollen, die nur auf
Bundesebene zu regeln sind. Diesen Fehler werde seine Partei nicht noch einmal begehen,
versicherte Ramelow. Zudem habe er sich auch beim Verfassungsschutz kompromissbereit gezeigt,
den die Linke eigentlich abschaffen will. Weil die SPD da nicht mitgehen wolle, sei denkbar, dass
nur V-Leute abgeschafft werden.“[5]
Offenbar haben auch die im Erfurter Programm vereinbarten Roten Haltelinien in vielen Fällen
keine Bedeutung mehr für die reale Politik unserer Partei. Das gilt nicht nur wie bereits beschrieben
in Thüringen, sondern auch in Brandenburg (Stellenabbau im Öffentlichen Dienst) und auf
Bundesebene, wo von prominenten LINKE-Mitgliedern gegenüber Journalisten oder in Talkshows
oftmals neue Standards gesetzt werden wie beispielsweise zu Waffenlieferungen.
Es ist aber auch deutlich geworden, dass die im Erfurter Programm formulierten Haltelinien gar
keine ausreichende Orientierung bieten. DIE LINKE in Brandenburg hat für den Ausbau des
Braunkohletagebaus gestimmt, hat sich zu CCS als „wichtiger Option“[6] bekannt, dem
Lissabonvertrag der EU ihren Segen gegeben und Mitverantwortung für das BER-Desaster
übernommen.[7] Es ist höchste Zeit, die Sinnhaftigkeit der Roten Haltelinien einer Prüfung zu
unterziehen. Sie führen eben nicht zwangsläufig dazu, Verschlechterungen durch
Regierungsbeteiligungen zu vermeiden. An der Stelle widerspricht sich auch die Erklärung von
Lucia Schnell von marx 21, da sie indirekt den Eindruck erweckt, die Haltelinien würden eine
Regierungsbeteiligung der LINKEN unmöglich machen. Das ist zumindest auf Landesebene
mitnichten der Fall.[8]
Das liegt an zweierlei:
Erstens sind Regierungen im Kapitalismus immer dazu da, die kapitalistischen
Eigentumsverhältnisse zu schützen. Wenn eine linke Partei nicht bereit ist – gestützt auf
Massenbewegungen – mit dem System zu brechen, macht sie sich zum Sachverwalter für Banken
12
und Konzerne. „Der Staat ist kein Fahrrad, auf das man sich einfach setzen und in beliebiger
Richtung losradeln kann“ schrieb 1991 die ehemalige linke Grüne Verena Krieger, die heute immer
wieder in der LINKEn zitiert wird.[9]
Der bürgerliche Staat und die Beteiligung von LINKEN an seinen Regierungen werden aber auch
dann nicht zu einem Vehikel für sozialistische Politik, wenn in einem Koalitionsvertrag steht, dass
es mit ihr keinen zusätzlichen Sozialabbau und keine weiteren Privatisierungen mehr geben darf.
Auch die bisherigen Kürzungs- und Privatisierungsmaßnahmen sowie Abschiebungen,
Polizeigewalt bei Demonstrationen, repressive Politik gegenüber Flüchtlingen und Rüstungsexporte
kann DIE LINKE nicht mittragen oder in Regierungen mit verantworten, wenn sie ihre
Wahlversprechen ernst nehmen will. Außerdem ist Papier geduldig: Trotz gegenteiliger
Formulierungen in einem Koalitionsvertrag kann es zu Sozialabbau und Privatisierungen kommen.
Zweitens: DIE LINKE kann in Zukunft natürlich gemeinsam mit anderen antikapitalistischen
Kräften die Regierung übernehmen – als Ausgangspunkt um die Eigentums- und Machtverhältnisse
grundlegend zu ändern. Aber: Ein angeblich linkes Lager von SPD, Grünen und LINKE gibt es gar
nicht. Im Aufruf der AKL heißt es dazu richtig: „Alle Wahlen seit 2009 haben sehr deutlich
gemacht, dass es kein ,linkes Lager‘ von SPD, Grünen und LINKE gibt und keine „Mehrheit links
von der Mitte“, die SPD und Grüne einschließt. SPD, Grüne, FDP und CDU wählen ihre
Koalitions- und Regierungsoptionen beliebig nach tages- und machtpolitischen Kriterien aus, sie
stehen geschlossen für eine Austeritätspolitik, die nur den Interessen des deutschen Kapitals dient.
Ein gemeinsam in den Wahlen erfolgreiches linkes Lager ist illusionäres Wunschdenken.“[10]
Im Aufruf der AKL werden folgerichtig „Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien“
abgelehnt: „Dabei vertritt die AKL die Überzeugung, dass die dafür notwendige Veränderung der
gesellschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit
bürgerlichen Parteien, sondern nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen
und gewerkschaftliche Kämpfe erzeugt werden kann.“
Die beiden jüngsten Beispiele für den Charakter von SPD und Grünen sind die befürwortende
Haltung des SPD-Parteikonvents zum Freihandelsabkommen TTIP (bei nur sieben Gegenstimmen!)
und der Ausverkauf durch die erste Grünen-geführte Landesregierung beim Asylrecht im Bundesrat.
Es stimmt: Unter öffentlichem Druck und dem Druck der LINKEN sind diese Parteien auch zu
Zugeständnissen bereit – wie die SPD beim Mindestlohn. Sie sind aber keine linken Parteien und
agieren nicht im Interesse von Erwerbslosen, Lohnabhängigen und Jugendlichen. Es stimmt auch,
dass weiterhin Menschen denken, eine Regierung mit SPD und Grünen sei ein kleineres Übel im
Vergleich zu einer CDU-geführten Regierung (wobei das offenbar immer weniger Menschen
glauben und wie in den letzten drei Landtagswahlen einfach der Wahlurne fern bleiben). Die
Aufgabe der LINKEN ist es dabei, gesellschaftlichen Druck und organisierten Widerstand zu
erzeugen und Menschen an Hartz IV, Agenda 2010 und rot-grüne Kriegseinsätze zu erinnern, anstatt
Illusionen in die Reformierbarkeit dieser Parteien zu schüren. Die Wahrheit ist doch, dass Parteien
wie die Grünen in den achtziger Jahren an der Seite von Bewegungen in der Opposition mehr
durchgesetzt haben als in der Koalition mit der SPD ab 1998 (unter Rot-Grün wurde der erste Krieg
von deutschem Boden seit 1945 gestartet). Und auch in Brandenburg spricht alles dafür, dass die
kleinen Verbesserungen durch Rot-Rot wie beispielsweise ein verbesserter Kita-Personalschlüssel
erstens die negativen Entscheidungen der Koalition nicht aufwiegen und zweitens durch eine
lebendige Opposition genauso hätten durchgesetzt werden können – mit dem Unterschied, dass die
LINKE ihre Glaubwürdigkeit bewahrt hätte.
Bei all dem ist richtig, dass die außerparlamentarischen Bewegungen in Deutschland – im Vergleich
zur Lage in Spanien oder Griechenland – heute schwach sind. Unsere Aufgabe ist jedoch gerade,
Menschen aufzuklären, ihre Selbstaktivität zu fördern und außerparlamentarische Bewegungen
13
aufzubauen anstatt uns in die Arme des angeblich kleineren Übels zu flüchten.
Und ja, natürlich soll DIE LINKE – gestützt auf Massenbewegungen und linke Mehrheiten in der
Zukunft regieren: Aber nicht um SPD und Grünen linken Flankenschutz zu geben, sondern um mit
den Macht- und Eigentumsverhältnisse grundlegend zu brechen. Es geht nicht darum, den
Kapitalismus zu verwalten oder ein bisschen besser machen, sondern Politik im Interesse der
Lohnabhängigen und Erwerbslosen durchsetzen und dafür mit der Logik des Profits, der
Konkurrenz und diesem System brechen.
In Bezug auf Brandenburg erscheinen vielen die kritischen Argumente einleuchtend. Aber was heißt
das für Thüringen in einer Situation, in der DIE LINKE bei 28 Prozent liegt? Vor allem, die eigene
Stärke zu nutzen, um die anderen Parteien vor uns her zu treiben und deutlich zu machen, warum
DIE LINKE die Kraft ist, um gemeinsam mit außerparlamentarischen Bewegungen Veränderungen
durchzusetzen. SpitzenvertreterInnen der LINKEN in Thüringen könnten selbstbewusst
formulieren: „Wir sind angetreten für einen grundlegend anderen Kurs als alle etablierten Parteien
zusammen. Im Gegensatz zu SPD, Grünen, CDU und AfD machen wir keine Politik für die oberen
Zehntausend. Wir wollen den NSU-Sumpf trocken legen und die Geheimdienste ersatzlos auflösen.
Wir wollen den Stellenabbau umkehren und fordern eine drastische Arbeitszeitverkürzung bei
vollem Lohn- und Personalausgleich. Wir lehnen die Schuldenbremse als Diktat der leeren Kassen
der Großen Koalition ab und verweigern uns der Stimme, wenn es um Kürzungen und
Privatisierungen geht. SPD und CDU im Bund und in Thüringen sind dafür verantwortlich, dass
Thüringen heute 16 Milliarden Euro Schulden hat und die Politik der Schuldenbremse weitere
Auswirkungen auf die Kommunen haben wird. Wir wollen nicht nur an ein paar Stellschrauben
drehen, sondern eine grundlegend andere Politik für die einfachen Menschen in Thüringen
durchsetzen. Um bessere und kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Hochschule, kostengünstige
Energie für alle und eine bedarfsgerechte Finanzierung von Krankenhäusern, Kultur und Soziales
durchzusetzen ist eine massive Umverteilung von oben nach unten und ein Bruch mit der Politik im
Interesse der Banken und Konzerne nötig, die im Bund und in Thüringen bisher betrieben wird.
Wenn SPD und Grüne – entgegen all unserer Erfahrungen – für solche Verbesserungen im Landtag
stimmen wollen, freuen wir uns. Sollten von anderen Parteien im Landtag ausnahmsweise
Gesetzesentwürfe eingebracht werden, die die Lebenssituation einfacher Menschen verbessern,
können sie immer mit der Stimme der LINKEN rechnen. Wenn sich SPD und Grüne an unseren
Demonstrationen gegen ihre eigene Politik im Bund oder anderen Ländern beteiligen wollen,
hindern wir sie nicht daran. Wir werden Verbesserungen jedoch nur erkämpfen können, wenn wir
außerparlamentarischen Widerstand aufbauen. Unsere Koalitionspartner sind in Betrieben, Schulen,
Hochschulen zu finden. Deshalb lädt DIE LINKE alle außerparlamentarischen und sozialen
Initiativen und betrieblich und gewerkschaftliche Akteure zu einem Ratschlag ein. Hier wollen wir
gemeinsam diskutieren, wie wir für zentrale Forderungen Druck entfalten können.“
Ich freue mich über fruchtbare Debatten über diese Fragen: In Brandenburg, Thüringen, Hessen und
darüber hinaus.
[1]BundessprecherInnenrat der AKL: Die rote Hoffnung erneuern – nicht im Pragmatismus der Krisenverwaltung
ertränken! 15.09.2014
[2] Wolfgang Hübner: Blutgrätsche von links, 17.09.2014
[3] BundessprecherInnenrat der Sozialistischen Linken: DIE LINKE muss sichtbares Profil (zurück) gewinnen,
18.09.2014
[4] Carola Bluhm, Malte Krückels, Udo Wolf: 10 Jahre Rot-Rot in Berlin: Ein Diskussionspapier
zur Regierungsbeteiligung der LINKEN in Berlin von 2001 bis 2011, 19.06.2014
[5] Wolfgang Schütze: Ramelow bestreitet Geheimverhandlungen mit SPD und Grünen, 22.08.14, in: Ostthüringer
Zeitung
[6] Beschluss der zweiten Tagung des 2. Landesparteitages DIE LINKE Brandenburg: DIE LINKE Brandenburg für
14
Fortsetzung der Diskussion um Technologien zur Senkung des CO²-Ausstoßes – Ohne CCS-Gesetz keine Erkundung, 5.
März 2011
[7] Vgl. auch: Lucy Redler: Exportschlager Rot-Rot? DIE LINKE vor den Landtagswahlen in Brandenburg und
Thüringen, 23.08.2014
[8] Lucia Schnell: DIE LINKE zurück zur Protestpartei, 19.09.2014
[9] Harald Wolf: Der Staat ist kein Fahrrad, Mai 2014
[10] Aufruf der AKL: Kapitalismus bedeutet Krieg, Umweltzerstörung und Armut – für eine antikapitalistische LINKE,
9.11.2013
Einheitsfront und rot-rot-grüne
Regierungsbündnisse
Anmerkungen zu einem Interview mit Bernd Riexinger. (Auszüge)
Von Heino Berg
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, erläutert in einem Interview mit marx21 vom
5.3.2014 seine Sicht auf die historischen Erfahrungen mit der Einheitsfront- und Bündnispolitik in
der deutschen Arbeiterbewegung. Diese kritische Bewertung soll an die Grundlagen dieser Politik
erinnern, auf die Unterschiede zwischen der Sozialdemokratie von heute und damals aufmerksam
machen und daraus Schlussfolgerungen für die Bündnisangebote der LINKEN an SPD und Grüne
ableiten.
Die Einheitsfrontpolitik wurde 1919 bis 1922 vom dritten und vierten Weltkongress der
Kommunistischen Internationale entwickelt und richtete sich unter anderem gegen sektiererische
Tendenzen in den jungen kommunistischen Parteien. Vor allem Lenin und Trotzki hatten sie als eine
Methode entwickelt, um den Kampf für soziale Verbesserungen mit dem Kampf für den Sturz der
bürgerlichen Ordnung und ihres Staates zu verbinden, anstatt beides in der Propaganda entgegen zu
setzen. KommunistInnen sollten ihrer Ansicht nach bereit sein, innerhalb der gewerkschaftlichen
Massenorganisationen den Einfluss der sozialdemokratischen Führung zu bekämpfen, anstatt ihn
mit rein propagandistischen Mitteln nur von außen zu entlarven. Sie dürften den Bruch mit der SPD
nicht zur Vorbedingungen für gemeinsame Aktionen gegen das Kapital und seinen Staat machen,
könnten gemeinsam mit den sozialdemokratischen ArbeiterInnen am Generalstreik gegen den
reaktionären Kapp-Putsch teilnehmen und unter bestimmten Bedingungen auch an gemeinsamen
„Arbeiterregierungen“ mit der SPD (bzw. der USPD) teilnehmen.
Nach der „Säuberung“ der KPD durch die stalinistische Komintern-Führung wurde die in den
frühen 1920er Jahren sehr erfolgreiche Einheitsfronttaktik, welche unter anderem die Gewinnung
der Mehrheit von Hunderttausenden USPD-Mitgliedern für die KPD erlaubt hatte, ausgerechnet in
dem Augenblick aufgegeben, als sie gegen die Machteroberung der Nazis entscheidend wurde: Die
stalinistische Thälmann-Führung der KPD bezeichnete nun SPD und ADGB (Allgemeinen
Deutschen Gewerkschaftsbund) als „sozialfaschistisch“ und lehnte jede Aktionseinheit mit diesen
reformistischen Arbeiterorganisationen gegen die Zertrümmerung sämtlicher Arbeiterorganisationen
rigoros ab. Die sogenannte „Einheitsfront von unten“, die den sozialdemokratischen ArbeiterInnen
angeboten wurde, machte den Bruch mit ihrer Partei zur Vorbedingung für gemeinsames Handeln
und beschränkte sie dadurch auf hilflose Appelle. Diese sektiererische Politik, die auch zur
Gründung von eigenen „RGO-Gewerkschaften“ führte und von der SPD-Führung mit der
15
Verleumdung der Kommunisten als „rotlackierte Nazis“ spiegelverkehrt ergänzt wurde, verhinderte
den gemeinsamen Widerstand gegen den Faschismus und erleichterte so den Zweiten Weltkrieg. Sie
wurde innerhalb der KPD vor allem von zwei Gruppierungen kritisiert: Von der KPO
(Kommunistische Partei – Opposition) um Heinrich Brandler und August Thalheimer (auf die sich
Bernd Riexinger bezieht) und von der Internationalen Linken Opposition um Leo Trotzki, aus der
später die IV. Internationale hervorging.
Bernd Riexinger sagt im Interview mit Recht, dass die KommunistInnen mit einer auch an SPD und
ADGB gerichteten Einheitsfrontpolitik „gute Chancen gehabt hätten, den Faschismus zu stoppen“.
Diese beschränke sich jedoch nicht nur auf die Abwehrfront gegen die Nazis, sondern sei im Kern
eine Methode, durch die gemeinsame „Alltagsforderungen“ mit Hilfe von „Übergangsforderungen“
(z.B. die nach „Produktionskontrolle“) mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft verknüpft
werden könnten.
Die stalinistische KPD-Führung, so führt Bernd Riexinger vollkommen richtig aus, habe die
sozialdemokratischen Mitglieder, die sich ja durchaus noch mit ihrer Partei identifizierten, durch die
„Beschimpfung als Sozialfaschisten“ in die Arme der SPD-Führung getrieben, anstatt sie von ihr zu
lösen und für die KPD gewinnen zu können. Die Abkehr von der ursprünglichen
Einheitsfrontpolitik habe einen Generalstreik gegen Hitlers Machtergreifung verhindert und zur
Entfesselung des Zweiten Weltkriegs beigetragen.
Aus diesen historischen Erfahrungen leitet der LINKEN-Vorsitzende zusammen mit seinem
Gesprächspartner Luigi Wolf von marx21 Konsequenzen für den Umgang mit der aktuellen
Sozialdemokratie und der Führung der DGB-Gewerkschaften ab, die in vielen Punkten sehr
lesenswert sind, in anderen aber auch gefährliche Kurzschlüsse nahe legen.
(...)
EINHEITSFRONT UND VOLKSFRONTREGIERUNGEN
Von der Taktik der Arbeitereinheitsfront grundsätzlich zu unterscheiden ist in jedem Fall die
sogenannte „Volksfrontpolitik“, welche die Kommunistische Internationale nach dem historischen
Scheitern ihrer „Sozialfaschismustheorie“ gegen den Widerstand der innerparteilichen Opposition
mit brachialen Mitteln durchsetzen konnte. Diese sah ein Regierungsbündnis von kommunistischen
Parteien nicht nur mit reformistischen Arbeiterparteien, sondern auch mit Parteien des „liberalen“
bzw. nationalen Bürgertums gegen faschistische oder kolonialistische Blöcke vor, denen die
unabhängigen Klasseninteressen der Lohnabhängigen im Zweifel untergeordnet werden sollten.
Diese Politik Stalins führte zum Beispiel während des spanischen Bürgerkriegs in die Niederlage,
weil die Arbeiterorganisationen aus Rücksicht auf diese bürgerlich-liberalen Bündnispartner die
Interessen der proletarischen und bäuerlichen Mehrheit der Bevölkerung aufgeben mussten und
diesen Verzicht auch in den eigenen Reihen mit militärischen Mitteln durchsetzten. Solche
Volksfrontregierungen ließen auch nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Ländern revolutionäre
Bewegungen scheitern. Die Einheitsfrontpolitik der jungen KPD und der ersten vier
Kominternkongresse, auf die sich Bernd Riexinger im Interview positiv bezieht, wurde durch das
Bündnis mit bürgerlichen Parteien in ihr exaktes Gegenteil verkehrt.
Ursprünglich gehörte zu den „Übergangsforderungen“ einer Einheitsfrontpolitik, die am
Bewusstseinsstand der Mehrheit der Arbeiter anknüpfte, ohne sich auf diesen zu beschränken und
mit denen Lenin und Trotzki auf die politische Spaltung der Arbeiterbewegung in
sozialdemokratische und kommunistische Parteien reagieren wollten, auch die „algebraische“
Forderung nach einer Arbeiterregierung. Also einer gemeinsamen Regierung derjenigen Parteien,
die nur von den ArbeiterInnen aufgebaut und gewählt wurden.
1923 wurden dann in Sachsen und Thüringen „Arbeiterregierungen“ bestehend aus KPD und SPD
16
gebildet. Aus Sicht der KPD waren diese eine Stufe auf dem Weg zur sozialistischen Revolution
und hatten eine dafür mobilisierende Wirkung. Sie wurden schnell von der sozialdemokratischen
Reichsregierung mit Hilfe der Reichswehr gestürzt.
Wann KommunistInnen von den reformistischen Arbeiterparteien die Bildung einer Regierung
forderten, ohne selbst in diese einzutreten (wie 1917 durch die Bolschewiki gegenüber den
Menschewiki und Sozialrevolutionären gefordert) und wann eine Regierungskoalition zwischen
einer kommunistischen und sozialdemokratischen Partei gebildet werden konnte, die ein Mittel zur
Mobilisierung der Massen für die Revolution war, hing von den konkreten Bedingungen ab. In der
Kommunistischen Internationale der frühen 1920er Jahre war aber klar, dass eine
Regierungsbeteiligung nur möglich war erstens im Bündnis mit einer anderen Arbeiterpartei, die
sich auf den Sozialismus berief, und nicht mit bürgerlichen Parteien und zweitens nicht zur
Verwaltung der kapitalistischen Verhältnisse, sondern als Mittel, diese zu überwinden.
Das taktische Ziel von revolutionären SozialistInnen bestand in diesem Zusammenhang darin,
sozialdemokratische oder zentristische Parteien an ihren eigenen sozialistischen Ansprüchen zu
messen und ihnen die Gelegenheit zu verschaffen, von der Basis dieser Parteien in der
gemeinsamen praktischen Aktion – und nicht nur anhand der kommunistischen Propaganda –
überprüft werden zu können.
GRIECHENLAND, SYRIZA UND DIE REGIERUNGSFRAGE
Die Perspektive der Arbeiterregierung ist auch aktuell dort von großer Bedeutung, wo – wie zum
Beispiel in Griechenland – unterschiedliche linke Massenparteien, also etwa Syriza und KKE,
miteinander konkurrieren, sich jeweils auf sozialistische Ziele bzw. den Kampf gegen das
Spardiktat der Troika berufen und zumindest gemeinsam die reale Chance haben, die Koalition der
sozialdemokratischen und christdemokratischen Handlanger dieser Troika in die Wüste zu schicken.
In einer solchen Situation müssen SozialistInnen den Wunsch großer Teiler der Bevölkerung nach
einen Sturz der bürgerlichen Regierung Samaras aufgreifen und den Kampf für eine gemeinsame
Regierung von Syriza, KKE (und Antarsya) unterstützen, auch wenn sie nicht mit allen
Forderungen dieser Parteien übereinstimmen können. Entscheidend ist die im Kampf für eine
solche Arbeiterregierung freigesetzte Dynamik der Klassenkämpfe, die den Betroffenen eigene,
praktische Erfahrungen mit den beteiligten Parteien erlaubt und dadurch immer wieder in der
Geschichte der Arbeiterbewegung sehr schnelle Veränderungen im gesellschaftlichen
Kräfteverhältnis herbeigeführt hat. Gleichzeitig reicht es nicht, die Bildung einer solchen Regierung
zu unterstützen. Dazu gehört auch der Kampf für ein sozialistisches Regierungsprogramm , das –
gestützt auf die Massenbewegung – zur Abschaffung des Kapitalismus führen würde. Genau dies tut
die griechische Schwesterorganisation der SAV, Xekinima, die mit der „Initiative der Eintausend“
ein Bündnis geschaffen hat, in dem Kräfte aus den verschiedenen linken Parteien und Organisation
mit dieser Zielsetzung zusammen arbeiten.
Der Hinweis auf die aktuellen Probleme der Einheitsfrontpolitik in Ländern wie Griechenland
macht zugleich aber auch deutlich, wo die fundamentalen Unterschiede zu ihrer Entwicklung im
letzten Jahrhundert liegen: Die griechische Sozialdemokratie, also die PASOK von Venizelos, hat
ähnlich wie die SPD von Gabriel, die Labour Party von Blair und Milliband oder die Parti Socialiste
von Hollande einen völlig anderen Charakter als die Sozialdemokratie nach dem Ersten Weltkrieg
(ganz zu schweigen von der revolutionären SPD des 19. Jahrhunderts). Der fundamentale
Unterschied besteht nicht in der bürgerlichen Politik ihrer Führung (die Zustimmung zu
Kriegseinsätzen ist bekanntlich kein Privileg der heutigen Sozialdemokraten), sondern in einem
qualitativ anderen Verhältnis der Arbeiterklasse zu diesen Parteien.
Während diese Kriegspolitik im ersten Weltkrieg die Sozialdemokratie noch zerrissen und zur
Entstehung der USPD als Massenpartei geführt hatte, ist ein vergleichbarer Widerstand in der
17
Sozialdemokratie des 21. Jahrhunderts nur noch unter dem Mikroskop erkennbar. Das Spardiktat
der Herrschenden in Europa wird durch eine von 45 auf 11 Prozent geschmolzene PASOK in
Griechenland umgesetzt, von Hollande in Frankreich mit ähnlichen Verlusten bei den
Kommunalwahlen im März diesen Jahres – und von Gabriel in der Großen Koalition. Die
Zustimmung zur Großen Koalition wurde mit überwältigender Mehrheit der SPD-Mitglieder in
einer Urabstimmung beschlossen. Dieses Urabstimmungsergebnis markiert das endgültige Aus für
alle von Gregor Gysi und anderen „Realos“ in der Linkspartei geschürten Hoffnungen darauf, dass
die SPD zu ihren sozialistischen Anfängen oder auch nur zu den Reformversprechungen der Ära
Brandt zurückkehren könnte.
Damit gehört der Widerspruch zwischen der Politik der SPD-Führung und ihrer Mitgliederbasis, der
nach dem 2. Weltkrieg häufig noch deutlich spürbar war und bis in die 1980er Jahre noch in
Deutschland und Großbritannien zu Zerreißproben insbesondere mit den Jugend- und
Studentenorganisationen führte, unwiderruflich der Geschichte an. Seitdem sind die
sozialdemokratischen Parteien Europas kein Bezugsrahmen mehr für klassenkämpferische
Bestrebungen in der Bevölkerung und in der Jugend, sondern nur noch ein Karrieresprungbrett für
diejenigen, welche die Errungenschaften der Arbeiterbewegung im Namen der Marktgesetze für
ihre Zerstörung benutzen wollen. Sie sind die Totengräber dieser Errungenschaften und der
Parteien, mit denen sie in der Geschichte der Arbeiterbewegung durchgesetzt werden konnten – und
keine Bündnispartner für linke Parteien GEGEN ihre Zerstörung. Alexis Tsipras und der enorme
Aufstieg von Syriza sind der praktische und positive Beweis dafür, dass die sozialdemokratischen
Parteien ihre ursprüngliche Rolle in der Geschichte ausgespielt und die Aufgabe der politischen
Interessenvertretung für die Arbeiterklasse an neue Organisationen objektiv bereits abgetreten
haben.
Die Entstehung der WASG und die Tatsache, dass sie die überkommene Parteienlandschaft in
Deutschland aufgebrochen hat, ist nicht nur dem Handeln ihrer Initiatoren zu verdanken, sondern
auch das Ergebnis eines historischen Vakuums in der politischen Interessenvertretung der
Arbeiterschaft, das die Sozialdemokratie international nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
hinterlassen hat. In allen Ländern, wo das durch die Selbstzerstörung der traditionellen
sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterorganisationen entstandene Vakuum in der
Opposition gegen die bestehende Gesellschaftsordnung nicht durch neue linke, sozialistische
Parteien wenigstens ansatzweise gefüllt werden konnte, besetzen reaktionäre oder islamistische
Organisationen das verwaiste Oppositionsfeld. Wenn sich DIE LINKE auf den Druck der
Herrschenden und ihrer Medien einlassen sollte, in Landes- oder Bundesregierungen
Mitverantwortung für die bestehenden Verhältnisse zu übernehmen, macht sie sich als
Systemopposition überflüssig und leitet einen Niedergang wie in Italien ein, wo die ehemals starke
Linke nach ihrer Regierungsbeteiligung aus dem Parlament und von der politischen Bildfläche
verschwunden ist.
KONSEQUENZEN FÜR ROT-ROT-GRÜNE REGIERUNGSBÜNDNISSE
Dieser entscheidenden Frage weichen Bernd Riexinger und Luigi Wolf aus, wenn sie über
Einheitsfrontpolitik gegenüber der SPD diskutieren, ohne die vom Fraktionsvorsitzenden Gregor
Gysi oder der Ko-Parteivorsitzenden Katja Kipping aufgeworfene Schlüsselfrage von rot-rot-grünen
Regierungsbündnissen eindeutig zu beantworten.
Wenn der LINKE-Vorsitzende meint, dass „die Rot-Rot-Grün-Debatte aus dem gewerkschaftlichen
Lager“ kommen müsse, und „nicht nur als Regierungsoption und medial stattfinden“ dürfe, dann
beugt er sich dem Druck des Regierungslagers in der Partei, das aus der katastrophalen Bilanz der
bisherigen Landeskoalitionen nichts gelernt hat und sich nun zu beinahe jedem Preis um
Neuauflagen (z.B. in Thüringen) bemüht.
18
Das Ziel einer rot-rot-grünen Regierung konnte auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit der
unsozialen Kriegspolitik der Schröder/Fischer-Kabinette bei den Zielgruppen der LINKEN nie
Begeisterung auslösen. Eine Regierungskoalition, die eine von den Interessen der Lohnabhängigen
und Erwerbslosen geprägte Partei auch noch mit den Grünen kombinieren will, welche den
erfolgreichen Teil der Mittelschichten repräsentiert und die aus dem Bundestag verschwundene FDP
politisch beerben will, ignoriert die unvereinbaren Klassenfronten der Gesellschaft und kann – wie
alle Volksfrontvarianten beziehungsweise -karikaturen – nur als parlamentarisches Konstrukt ohne
gemeinsame Interessen und Ziele in einer Sackgasse enden.
Mit der Politik der Arbeitereinheitsfront, auf die sich Riexinger und Wolf in ihrem Gespräch
berufen, hat die von ihnen angestrebte außerparlamentarische bzw. gewerkschaftliche Begleitmusik
für eine rot-rot-grüne Regierung, die laut K. Voigt die Nato-, EU- und Fiskal(also
Austeritäts)verträge nur umsetzen darf („pacta sunt servanda“), nicht das Geringste zu tun. Sie ist
das exakte Gegenteil dessen, was die Kommunistische Internationale und die KPD vor ihrer
stalinistischen Degeneration darunter verstanden hatten.
Obwohl Bernd Riexinger und marx21 den Sozial- und Stellenabbau der rot-roten Regierungen in
Berlin und Mecklenburg-Vorpommern kritisierten, stellen sie die Perspektive von
Regierungsbündnissen mit SPD und Grünen nicht grundsätzlich in Frage. Riexinger hat im
Bundestagswahlkampf immer wieder vom „linken Lager“ aus LINKE, SPD und Grünen gesprochen
und die marx21-Unterstützerin Janine Wissler hat in Hessen die Verhandlungen zu einer
Regierungsbildung geführt und ihre grundsätzliche Bereitschaft dazu betont.
Der bisherige Höhepunkt der Suche nach „innerparteilicher Geschlossenheit“, die jede
demokratische Richtungsentscheidung der Basisdelegierten zu vermeiden trachtet, ist nach dem
Hamburger Parteitag das gemeinsame „Strategiepapier“ von Sahra Wagenknecht und Dietmar
Bartsch, das rot-rot-grüne Bündnisse in Ländern und Kommunen ausdrücklich befürwortet, ohne sie
an die im Erfurter Programm aufgestellten Bedingungen zu knüpfen. Eine kritische Nachfrage des
marx 21-Redakteurs sucht man in diesem 13-seitigen Interview vergeblich.
Zumindest Bernd Riexinger warnt im letzten Satz seines Interviews davor, dass DIE LINKE
„politische Handlungsfähigkeit entwickeln“ müsse, um nicht „aus geschwächter Position in eine
Regierungsbeteiligung (zu) gehen und dann dafür abgestraft (zu) werden, weil sie eben nicht mal
Teile ihres politischen Programms durchsetzen konnten.“
Was auch immer „politische Handlungsfähigkeit“ bedeuten mag: DIE LINKE und ihr Vorsitzender
können sie nur in klarer Opposition zum kapitalistischen System und seinen Parteien entwickeln.
Seine Hinweise darauf, wie eine sozialistische Partei die historischen Erfahrungen der
Arbeiterbewegung mit der Einheitsfrontpolitik und der Methode der Übergangsforderungen nutzen
kann, um am Bewusstsein der Betroffenen anzusetzen und ihnen eine gesellschaftliche
Emanzipation anhand eigener, praktischer Aktionserfahrungen zu ermöglichen, sind besonders für
die gewerkschaftliche Verankerung der Partei hochaktuell und von unschätzbarer Bedeutung. Mit
sozialistischer Propaganda allein ist das Kapital und sein Staatsapparat der Tat nicht zu überwinden.
Die SPD bleibt trotz ihres Niedergangs eine Partei, die vor allem durch ihre Verbindung zum
Gewerkschaftsapparat für die Erhaltung des Kapitalismus eine wichtige Rolle spielt. Sie ist aber für
SozialistInnen im Unterschied zu früheren Perioden der Arbeiterbewegung kein Bündnis- oder gar
Regierungspartner mehr, sondern Gegner, der durch den Wiederaufbau von neuen Arbeiterparteien
in Deutschland und anderswo auf den Müllhaufen der Geschichte befördert werden muss.
Heino Berg ist Mitglied der Partei DIE LINKE in Göttingen und des Landessprecherrats der
Antikapitalistischen Linken (AKL) in Niedersachsen
5. Juni 2014
19
Rot-Rot: Kein Exportschlager
Braunkohle-Abbau: energetische Brücke oder programmatischer Bruch?
Vom SprecherInnen-Rat der Antikapitalistischen Linken (AKL)
Noch beim Bundesparteitag unserer Partei Mitte Mai erklärte Katja Kipping die rot-rote
Landesregierung in Brandenburg zum Exportschlager: „Und wir kämpfen mit euch gemeinsam für
eine Fortsetzung von Rot-Rot in Brandenburg. Und ich gehe noch weiter: Rot-Rot ist ein tolles
Produkt aus Brandenburg, das das Zeug zum Exportschlager hat. Lasst uns gemeinsam dafür
kämpfen, dass die Thüringer und die Sachsen dieses Produkt im Sommer importieren können!“
Genau zwei Wochen später besetzten Greenpeace-AktivistInnen das Karl-Liebknecht-Haus aus
Protest gegen den von Rot-Rot in Brandenburg geplanten Ausbau des Braunkohletagebaus
(Welzow-Süd II). Innerhalb von zwei Wochen wurde aus dem vermeintlichen „Exportschlager“ ein
Riesenproblem. Zur Erinnerung: 2009 trat die Partei in Brandenburg mit einem Nein zum Ausbau
des Braunkohletagebaus zur Wahl an.
Es hagelte innerparteiliche Kritik. In einer „Denkschrift an die linken Minister von Brandenburg“
von Mitgliedern der LINKEN, darunter auch GenossInnen der AKL, heißt es:„Die Zustimmung
linker Minister zu einem Neuaufschluss eines Braunkohletagebaues würde linke Wahlversprechen
in Brandenburg (Landesparteitag 2012) und im Bundestagswahlkampf 2013 brechen.
(Bundestagswahlprogramm S.65 “Wir wollen stattdessen ein Kohleausstiegsgesetz durchsetzen, das
ein Verbot für den Neubau von Kraftwerken und für den Neuaufschluss von Braunkohletagebauen
vorsieht.”) Wie glaubwürdig sind wir dann noch, wenn linke Minister der Neueröffnung eines
Tagebaues zustimmen? Die Schlussfolgerung der Unterzeichnenden: „Sollte die SPD die
Fortsetzung der Koalition von dem Neuaufschluss von Tagebauen abhängig machen, ist es besser,
unserem Parteiprogramm und Wahlprogrammen treu zu bleiben, die Koalition zu beenden, anstatt
Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu verlieren und vielleicht in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten.“
Wie weit die Kritik innerhalb der Partei geht, zeigt auch die Tatsache, dass alle vier
stellvertretenden Parteivorsitzenden (und weitere MdBs) am 1. Juni einen gemeinsamen Brief an
die Brandenburger MinisterInnen verfassten, in dem es heißt:
„Eine zustimmende Entscheidung zum Braunkohleplan in der Kabinettssitzung am 3. Juni 2014
wird aus unserer Sicht gravierende Folgen haben: Beginnt tatsächlich der Abbau, müssten 800
Menschen umgesiedelt werden, wäre die Zerstörung von Natur in großem Ausmaße unvermeidbar
und würde die Energiewende gefährdet.“Ihre Schlussfolgerung: „Wir möchten euch daher sehr
herzlich bitten, auf eine Vertagung der Entscheidung zu drängen, und im Falle der Aufsetzung bitten
wir die LINKEN Ministerinnen und Minister darum, mit “Nein” zu stimmen.“
Im Bundesausschuss der LINKEN erhielt ein Antrag aus Soest, der die MinisterInnen der LINKEN
in Brandenburg aufforderten gegen den Tagebau Welzow-Süd II zu stimmen, 20 Ja-, 20 NeinStimmen und sechs Enthaltungen (und wurde damit sehr knapp zu Gunsten eines etwas softeren
Textes abgelehnt).
Am 3. Juni stimmten die vier Brandenburger MinisterInnen der LINKEN trotz des Drucks und der
Kritik für Welzow Süd II. Zum einen, weil sie wie Minister Helmuth Markov meinen, dass bis zu
einem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung in 2040 Braunkohle als„Brücke in das Zeitalter
20
erneuerbarer Energien unverzichtbar“ sei und auf „absehbare Zeit eine tragende Säule für
Wirtschaft und Arbeit in der Lausitz“ sei. Zum anderen, weil sonst das rot-rote Projekt vor dem Aus
stünde – und das 3 Monate vor der Landtagswahl, bei der sich der Landesverband eine Fortsetzung
von Rot-Rot erhofft.
SPD und IG BCE argumentieren u.a. mit der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit für die 4.500
direkten und rund 5.000 weiteren indirekten Arbeitsplätze, die in Brandenburg an der Braunkohle
hängen. DIE LINKE steht für die Umstellung auf 100 Prozent erneuerbare Energien in Brandenburg
und im Bund. Es ist wichtig, dass wir uns für Bestandssicherung und Ersatzarbeitsplätzen für
betroffene KollegInnen einsetzen, damit das Thema ökologische Nachhaltigkeit nicht gegen
Arbeitsplatzsicherheit ausgespielt wird.
Als die vier MinisterInnen am 2. Juni ihre Zustimmung vorab ankündigten, ließ Greenpeace einen
für denselben Tag anberaumten runden Tisch scheitern, da dieser eine Farce sei.
Wir können das gut verstehen und wundern uns über die Äußerungen aus der Bundes-Parteispitze,
die Greenpeace dafür kritisieren.
Machterhalt oder Glaubwürdigkeit?
Katja Kipping selbst brachte am 2. Juni auf dem Punkt, worum es geht, als sie in Bezug auf den
Ausstieg aus der Braunkohle sagte: „Ich hätte es auch gern schneller. Aber ich muss auch sehen,
dass es mit einer SPD auch in Brandenburg nicht schneller geht.“
Das stimmt! Aber was ist die Schlussfolgerung daraus? Den Ausstieg aus der
Braunkohleverstromung auf später zu verschieben, um an der Regierung zu bleiben, oder an der
Position festzuhalten und aus der Regierung auszusteigen?
Wir sind der Auffassung, dass DIE LINKE die Koalition mit der SPD hätte beenden müssen, um
ihre Glaubwürdigkeit wieder herzustellen.
Der Fall Brandenburg hat nun widerlegt, was uns in den letzten Monaten in der Partei vermittelt
wurde: Dass die Regierungsbeteiligung 2001 bis 2011 in Berlin problematisch gewesen sei und
auch in anderen Bundesländern erhebliche Fehler gemacht worden seien, aber dass die
Regierungsbeteiligung in Brandenburg doch beweise, dass es auch anders laufen könne. Vergessen
war offenbar der in Brandenburg erfolgte Stellenabbau im Öffentlichen Dienst, das Bekenntnis zum
Lissabonvertrag, die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und einiges mehr.
Die Brandenburger Wahlergebnisse bei den Europa- und Kommunalwahlen im Mai diesen Jahres
wiesen bereits nach unten. Holte DIE LINKE zur Landtagswahl 2009 noch 27,2 Prozent, büßte sie
nun über sechs Prozentpunkte ein. Auch bei der Bundestagswahl 2013 verlor DIE LINKE zwischen
Prignitz und Cottbus im Landesdurchschnitt 6,1 Prozent.
Fehler oder falsche Strategie?
Was ist aber der Grund dafür, dass alle Mitte-links-Regierungen von zwei Versuchen in Italien, über
Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und nun auch Brandenburg im Endeffekt die Glaubwürdigkeit
der Linken geschwächt haben (in Italien führte die Regierungsbeteiligung der Rifondazione
Comunista gar zur Zerstörung der Partei)? Warum verlor DIE LINKE in Berlin 2006 die Hälfte der
absoluten Stimmen? Wieso stimmte der Slogan „Je stärker die LINKE, desto sozialer das Land!“ in
den von Rot-Rot regierten Ländern nicht?
Wir sind der Auffassung, dass es sich dabei nicht um die Fehler einzelner MinisterInnen handelt,
sondern um ein grundlegendes Problem von Regierungen mit bürgerlichen Parteien, die im Rahmen
des Kapitalismus bleiben und darauf abzielen, den Kapitalismus etwas weniger unsozial zu
managen. Solche Koalitionen werden immer dazu führen, dass DIE LINKE neben einigen kleinen
Verbesserungen über kurz oder lang die Politik von Abschiebungen, Kürzungen, Privatisierungen
21
oder Stellenabbau mittragen wird – auch wenn in Koalitionsverträgen etwas anderes festgehalten
wurde. Ohne eine Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse werden Verbesserungen im
Interesse der Mehrheit der Bevölkerung nicht dauerhaft durchsetzbar sein.
Das spricht nicht dagegen, bereits heute Regierungen zu übernehmen (wie SYRIZA in Zukunft in
Griechenland). Das kann aber nur auf Grundlage von Massenmobilisierungen geschehen und dem
Ziel, mit den heutigen kapitalistischen Eigentumsverhältnissen zu brechen.
Was in Griechenland möglich erscheint, ist mit SPD und Grünen in Deutschland jedoch nicht
umsetzbar. Sie stehen in der Praxis für die Prekarisierung von Arbeitsbedingungen wie die
Ausweitung der Leiharbeit. Agenda 2010, Hartz IV, die Rente mit 67, Schuldenbremse und
Bankenrettungspakete lassen grüßen. SPD und Grüne treten für die Schuldenbremse ein und setzen
sie auf Landesebene um – die Grünen derzeit allen voran gemeinsam mit der CDU in Hessen. Von
Rot-Grün ging 1999 die Zustimmung zum ersten Kriegseinsatz nach 1945 aus. Steinmeier lässt sich
heute mit einem Präsidenten der Ukraine ablichten, der Faschisten in seine Regierung einbezogen
hat.
Wenn Bundes- oder Landesregierungen, an denen SPD und Grüne beteiligt sind, etwas Progressives
beschließen, geschieht dies nicht aufgrund eines Linksrucks dieser Parteien, sondern aufgrund
gesellschaftlichen Drucks von unten. Das ist der Fall beim (löchrigen) Mindestlohn durch die Große
Koalition. Das war ebenfalls so, als die Studiengebühren in Hessen aufgrund massiven Drucks von
unten zurückgenommen wurden. Im Übrigen: Auch Schwarz-Gelb nahm Verschlechterungen wie
die Praxisgebühr zurück. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, eine Koalition mit der Union,
geschweige denn der FDP vorzuschlagen.
Veränderung beginnt mit Opposition
In unserem Aufruf für eine antikapitalistische Linke aus 2013 schreiben wir:
„Im Kapitalismus wurden alle emanzipatorischen Errungenschaften von Arbeiter-, Frauen-,
Umwelt- und anderen Bewegungen erkämpft und sind einer permanenten Gefahr ausgesetzt. (…) In
Kenntnis dieser Erfahrungen ist die AKL davon überzeugt, dass die meisten im Erfurter Programm
skizzierten Ziele nur gegen den Widerstand mächtiger Kapitalgruppen und unter Bruch mit der
Profitlogik zu erreichen und auf Dauer nur international und jenseits des Kapitalismus zu sichern
sind. Dabei vertritt die AKL die Überzeugung, dass die dafür notwendige Veränderung der
gesellschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit
bürgerlichen Parteien, sondern nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen
und gewerkschaftliche Kämpfe erzeugt werden kann. (…)
In Deutschland befindet sich DIE LINKE in der Minderheit und es gibt keine Partei im Bundestag,
mit der sie in Koalitionen ihre Ziele durchsetzen könnte. DIE LINKE steht in den meisten Fragen
allein gegen das Kartell der anderen Parlamentsparteien. Alle Wahlen seit 2009 haben sehr deutlich
gemacht, dass es kein „linkes Lager“ von SPD, Grünen und LINKE gibt und keine „Mehrheit links
von der Mitte“, die SPD und Grüne einschließt. SPD, Grüne, FDP und CDU wählen ihre
Koalitions- und Regierungsoptionen beliebig nach tages- und machtpolitischen Kriterien aus, sie
stehen geschlossen für eine Austeritätspolitik, die nur den Interessen des deutschen Kapitals dient.
Ein gemeinsam in den Wahlen erfolgreiches linkes Lager ist illusionäres Wunschdenken. Es ist also
keine Schande oder ein Manko, sondern traurige Realität, dass nur DIE LINKE konsequent die
Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertritt.
Die AKL setzt sich dafür ein, dass DIE LINKE diese Rolle künftig noch hartnäckiger und
phantasievoller ausfüllt. Dabei werden wir jeder Verbesserung, die von anderen Parteien im
Parlament beantragt werden, im Einzelfall zustimmen. Jeden Schritt in die Richtung, die Roten
Haltelinien im Erfurter Programm zu verwässern, lehnt die AKL dagegen ab.“
Wir würden uns freuen, wenn die linken Kräfte in der LINKEN sich verständigen würden, wie wir
22
in Zukunft gemeinsam der Idee eines angeblichen linken Lagers von SPD, Grünen und der
LINKEN selbstbewusst entgegen halten können: Veränderung beginnt mit Opposition – im Bund, in
Brandenburg, Sachsen und auch in Thüringen. Es ist Zeit für einen Kurswechsel.
Und: Für den 23. August ruft ein breites Bündnis aus deutschen und polnischen Bürgerinitiativen
der Region und Umweltverbänden zu einer grenzübergreifenden Menschenkette gegen die
Braunkohle auf. Beteiligen wir uns daran!
Kritische Analyse statt Schönfärberei und
Wunschdenken
Für ein klares sozialistisches Profil der sächsischen LINKEN (Auszüge)
In Auswertung der Landtagswahl in Sachsen am 31. August 2014 werden demnächst mehrere
Regionalkonferenzen der LINKEN stattfinden, auf denen auf der Grundlage des Beschlusses des
Landesvorstandes vom 1. September „eine entsprechende Diskussion zur Wahlauswertung“
organisiert werden soll. Die Unterzeichnenden begrüßen dieses Vorgehen ausdrücklich und
möchten, wie z.B. der Ortsverband Sonnenberg/Chemnitz, mit seinem offenen Brief, dazu mit dem
folgenden Text einen Beitrag leisten. Auch wir sind in großer Sorge um den derzeitigen Zustand des
Landesverbandes.
Realistische und solide Wahlanalyse
Im Beschluss des Landesvorstandes vom 1. September ist davon die Rede, dass „wir“ mit den „19
Prozent zufrieden sind, denn wir konnten uns als LINKE in Sachsen stabilisieren und zugleich neue
Wählerschichten erschließen.“ In der aktuellen Ausgabe der Landeszeitung „Links!“ wird sogar
vom Pressesprecher der Landtagsfraktion die Auffassung vertreten, dass wir mit dem „Resultat
mehr als zufrieden sein“ können. Wir sind das nicht! Vielmehr sind wir gegenteiliger Auffassung:
DIE LINKE konnte sich weder stabilisieren noch haben wir neue Wählerschichten erschlossen.
Eine zusammenfassende Aussage auf der Grundlage einer genauen Analyse des Wahlergebnisses,
einschließlich langfristiger Trends, und einer Analyse unseres Wahlkampfes muss ganz anders
lauten:
Über zehn Jahre hinweg hat DIE LINKE von Wahl zu Wahl deutlich Prozentpunkte und geradezu
dramatisch auch absolut Wählerinnen und Wähler in allen Bevölkerungsschichten verloren. Diese
besorgniserregende Entwicklung war schon weit vor dem Wahltag erkennbar. Die sächsische
LINKE hat mit einer aus unserer Sicht falschen Wahlstrategie reagiert, die, statt auf die Stärkung
unseres Oppositionsprofils zu setzen, ein völlig unrealistisches Regierungsprojekt von „Rot-RotGrün“ in Sachsen in den Mittelpunkt stellte.1
(...)
Illusionen um „Rot-Rot-Grün“ und fehlende Glaubwürdigkeit
Im Beschluss des Landesvorstandes wird angemerkt, dass „die Oppositionsparteien den
Lagerwahlkampf scheuen, wie der Teufel das Weihwasser“. Mit keinem Wort wird allerdings darauf
eingegangen, dass für eine Orientierung auf den „Lagerwahlkampf“ alle objektiven und subjektiven
Voraussetzungen fehlten. Die Illusion „Rot-Rot-Grün“ als eine der Kernbotschaften in den
Mittelpunkt des Wahlkampfes zu stellen, war eine klare Fehlentscheidung.
(...)
23
Die Orientierung auf eine rot-rot-grüne Regierung war unglaubwürdig, weil in Sachsen im
Unterschied zu Thüringen keine Wechselstimmung vorhanden war und ist. Angesichts dieses
Sachverhalts kann eine Äußerung wie „Die Zeichen mehren sich, daß für 2019 ein
Alternativbündnis möglich ist“ (LVZ 1. September 2014, Seite 2) nur als (frommer) Wunsch und
weniger als realistische Einschätzung betrachtet werden.
Die Konsequenz aus dieser unverdrossenen Orientierung auf Regierungsbeteiligung war die
Abschwächung unserer Oppositionsrolle, waren deutliche Defizite hinsichtlich eines eigenständigen
Profils der LINKEN im sächsischen Wahlkampf. DIE LINKE verlor an Glaubwürdigkeit als linke
Partei.
Die Kritik an der Regierungspolitik von CDU und FDP war halbherzig und inhaltsleer. Der
Regierung wurde vor allem vorgeworfen, sich „nichts Neues“ zu trauen. Es herrsche demzufolge
„lähmende Langeweile“. Damit und nicht etwa mit einer scharfen und konkreten Kritik der
Regierungspolitik wurde begründet, es sei „Zeit für eine Wende“.
Das Versprechen einer LINKEN „Wahlstrategie“, in Sachsen eine „politische Wende“, einen
„Politikwechsel“ bzw. einen „demokratischen Aufbruch“ zu gestalten, blieb weitgehend konturenund farblos. Dem entsprach auch die politisch nicht fundierte Losung „Wir sind die Guten. Wir sind
die Roten“.2 Der Rückgriff auf politisch verschlissene Begriffe wie „Wende“ und „demokratischer
Aufbruch“ konnte nur kontraproduktiv wirken.
Profillosigkeit und Abkehr vom Erfurter Programm
Erkennbar ist zudem ein profilloser Kurs der programmatischen und personellen Einordnung der
Partei in den bürgerlichen Politikbetrieb. Schon lange vor den Wahlen gab es in diesen
Zusammenhängen vielfältige „Höhepunkte“: fast legendär ist schon der „Wohlfühl-Plan“ vom
Oktober 2013 oder das Versprechen, „eine mehr gewitzte, spielerische, gut gelaunte Opposition“ zu
verkörpern.
Eine erfolgreiche Wahlstrategie ist daran zu messen, ob es gelingt, SympathisantInnen und
Unentschlossene zu mobilisieren, diesmal der LINKEN ihre Stimme zu geben und für sie zu
werben. Für eine sozialistische Partei ist es überdies wichtig, im Wahlkampf über die bestehenden
gesellschaftlichen und politischen Zustände aufzuklären. Diese beiden Ziele wurden aber nur
unzulänglich bzw. gar nicht in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt.
Die im Beschluss des Landesvorstandes vom 1. September enthaltene Behauptung wir hätten uns
„hoch gearbeitet mit einem extrem engagierten Wahlkampf“ trifft nur regional zu. Insgesamt aber
ist sie nach allen Umfragen für die wirklich heiße Phase des Wahlkampfes (Juli und August) nicht
belegbar. Im Gegenteil! Infratest dimap sah uns am 10. Juli noch bei 21 Prozent und am 28. August
bei 19 Prozent.
Grundsätze des Erfurter Programms von 2011 wurden in den letzten Jahren in Sachsen verwässert
oder entsorgt. Von den „roten Haltelinien“ war im Zusammenhang mit der Orientierung auf „RotRot-Grün“ zu keinem Zeitpunkt die Rede.
Unsere Alleinstellungsmerkmale als Antikriegspartei, als Partei der sozialen Gerechtigkeit, als
Partei, die sich der Privatisierung der Daseinsvorsorge und der Umverteilung von unten nach oben
widersetzt, die an der Seite der abhängig Beschäftigten, der Prekarisierten und der Mittelschichten
die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern will und einen tatsächlichen Richtungswechsel
in der Politik zu Gunsten der Interessen der Lohnabhängigen, Prekarisierten und Erwerbslosen
anstrebt, war zu wenig zu erkennen. Es muss uns doch massiv zu denken geben, dass wir 17.000
WählerInnen an die AfD – im Verhältnis zu unseren bisherigen Stimmen ist das genauso viel wie
die CDU – und 15.000 WählerInnen an die Nichtwähler verloren haben. Als Protestpartei wird die
sächsische LINKE offenkundig immer weniger wahrgenommen. Zurückgeblieben ist der Eindruck
24
vieler Menschen in Sachsen, dass DIE LINKE nicht auf linke Alternativen, z. B. in Gestalt einer
Reichtumsbremse, setzt, sondern fragwürdige Kompromisse sucht, nur um „regierungsfähig“ zu
erscheinen.
(...)
Für eine Erneuerung der LINKEN in Sachsen als kämpferische linke Partei
Das Wahlergebnis ist nicht – wie behauptet – ein Ausdruck der Stabilisierung der sächsischen
LINKEN, sondern im Gegenteil der Ausdruck einer tiefen inneren Krise. Wir wenden uns an alle
Genossinnen und Genossen, diese Krise mittels einer erneuten klaren linken Profilierung der Partei
zu lösen. Wenn die LINKE in Sachsen künftig ernst genommen werden will, muss sie auf ein Profil
als starke und deutlich vernehmbare Opposition mit linkssozialistischer Orientierung setzen. Dazu
gehört auch, dass das politische Führungspersonal glaubhaft und überzeugend für diese
Orientierung und dieses Profil steht.
Es bleibt die Hauptaufgabe der LINKEN die Interessen der Lohnabhängigen, der Mehrheit der
Bevölkerung, zu vertreten. Die bisherige Politik des sächsischen Landesverbandes führte zu einem
erheblichen Verlust bei der ehemals engen Verbindung zu den Gewerkschaften. Dieses verloren
gegangene Reformbündnis ist wieder herzustellen.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass ein Politikwechsel nicht allein durch die Übernahme
von Regierungsverantwortung eintritt, sondern außerhalb des Parlaments durch das
Zusammenwirken mit zahlreichen gesellschaftlichen AkteurInnen, insbesondere den
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, vorbereitet werden muss. Im Sinne des Erfurter
Programms muss DIE LINKE in Sachsen erneut „ein Bündnis von Gewerkschaften,
globalisierungskritischen und gesellschaftskritischen Initiativen, sozialen Bewegungen,
progressiven Menschen aus Wissenschaft und Kultur und der parteipolitischen Linken entwickeln.“
DIE LINKE ist in Sachsen eben nicht primär „Regierungspartei im Wartestand“. Ihr Ansehen steht
und fällt bei 90 Prozent der Wählerschaft damit, dass sie „zwar keine Probleme (löst)“, aber „die
Dinge beim Namen nennt“.
Um neue Gestaltungskraft in der uns derzeit durch die Wählerinnen und Wähler unmissverständlich
zugewiesenen Rolle als gesellschaftliche (sozialistische) Opposition zu gewinnen, müssen wir
unsere Alleinstellungsmerkmale vertiefen und ein klares linkes Politikangebot unterbreiten, das u.a.
folgende Grundsätze enthält:
1. DIE LINKE ist die einzige Partei in Sachsen, die sich gegen jegliche Rüstungsexporte und den
Einsatz deutscher Soldaten im Ausland wendet und im Ukrainekonflikt einseitige
Schuldzuweisungen an Russland und die damit verbundenen Sanktionen ablehnt. Wir hätten daher
im Wahlkampf als starke Stimme für den Frieden wirken müssen und müssen dies jetzt im Alltag
allseits wahrnehmbar tun.
2. Das Ansehen der LINKEN steht und fällt damit, dass wir konsequent für soziale Gerechtigkeit
streiten. Wir bleiben dabei: Harz IV hat zu mehr Armut und sozialer Ausgrenzung geführt und muss
daher abgeschafft werden. Wir kämpfen gegen jegliche Formen prekärer Beschäftigung, wie z.B.
Leiharbeit, andauernd befristete Arbeitsverhältnisse und die Betroffenen physisch und psychisch
schädigende fortschreitende Arbeitszeitverdichtung.
3. DIE LINKE war die erste Partei, die den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gefordert
hat. Gerade deshalb können die nunmehr verabschiedeten Regelungen nur der Anfang sein. Der
Kampf gegen jegliche Ausnahmen muss vor allem in Sachsen, als dem Land der Minijobs und
Niedriglöhne, weitergehen.
4. DIE LINKE versteht sich in Sachsen als konsequente Antiprivatisierungspartei. Die Bereiche der
Öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen nicht scheinbaren Haushaltszwängen geopfert werden. Sie
25
muss gegenüber der Politik der verfassungsrechtlichen Schuldenbremse eine klare linke Alternative
vertreten. Das schließt das Eintreten für eine Reichtumsbremse ein.
5. Die LINKE ist und bleibt die konsequente Vertreterin ostdeutscher Interessen. Ihre Forderung
nach Gerechtigkeit für die Menschen in Ostdeutschland beinhaltet insbesonderedie Forderung:
Angleichung der Rentenwerte, Abschaffung von Strafrenten, einheitliche Tarifverträge und gleiche
Löhne in Ost und West.
Die notwendige Ablösung der CDU, die seit 1990 trotz diverser Wahlverluste mit einer stabilen
Hegemonie regiert, erfordert mehr als rot-rot-grüne Sandkastenspiele. Notwendig ist zunächst ein
klares eigenes linkes Profil als sozialistische Partei, die als Motor in einem gesellschaftlichen
Reformbündnis den Kampf mit der CDU-Herrschaft aufnimmt. Dazu ist der Gewinn von einer
erheblichen Anzahl von Direktmandaten sowohl wahlarithmetisch als auch gesellschaftspolitisch
unabdingbar. Die Chancen dafür bestehen, wurden aber durch die Wahlstrategie ignoriert. Peter
Porsch ist daher voll zuzustimmen, der in diesem Kontext feststellte, „dass Menschen mit klarem
linken Profil, das zugleich unverwechselbar persönlich ist und sich in deutlich wahrnehmbare
Aktivitäten umsetzt, von außerordentlicher Wichtigkeit für Erfolge unserer Politik sind“.
ErstunterzeichnerInnen:
Christine Anger, Pirna, MdL Klaus Bartl, Chemnitz, Dagmar Baumgärtel, Plauen, Rainer Böhme, Sebnitz, Raimon
Brete, Chemnitz, Ricky Burzlaff, Leipzig, Ralf Büchner, Hoyerswerda, Sophie Dieckmann, Leipzig ,Roland Döring,
Hohnstein, MdL Cornelia Falken, Leipzig, Gerlinde Fleischer, Chemnitz ,Dr. Roland Fleischer, Chemnitz, Maria
Gangloff, Böhlen, Albrecht Geißler, Chemnitz, Hubert Gintschel, Chemnitz, Heinz Hoffmann, Meissen, Dietrich Holz,
Dresden, Ingrid Hornig, Chemnitz, Thomas Höllrich, Reichenbach. Gabriele Jung, Chemnitz, MdL Marion Junge,
Kamenz, Thiemo Kirmse, Chemnitz, Heiko Kosel, Bautzen, Siegfried Kretzschmar, Leipziger Land, Dr. Volker Külow,
Leipzig, Marianne Küng-Vildebrand, Leipzig, , Eberhard Langer, Chemnitz, Dietmar Lehmann, Chemnitz, Prof. Dr.
Ekkehard Lieberam, Leipzig, Heidi Lüth, Landkreis Leipzig, 1. Sprecherin der AG Senioren DIE LINKE.Sachsen,
Thomas Michaelis, Chemnitz, Johnny Michel, Chemnitz, Felix Muster, Bautzen, Dr. Dietmar Pellmann, Leipzig, Sören
Pellmann, Leipzig, MdL Lutz Richter, Pirna, Andrea Roth, Tannenbergsthal, Heinz Oehme, Chemnitz, Dr. Dietmar
Rode, Radebeul, MdL Susanne Schaper, Chemnitz, Heiko Schinkitz, Chemnitz, Angela Schneider, Chemnitz, Regina
Schulz, Kamenz, Claudia Schwander, Chemnitz, Matthias Schwander, Chemnitz,Hans-Joachim Siegel, Chemnitz,
Jochen Siegel, Chemnitz, Jens Thöricht. Zittau, Michael Walter, Dresden/Strubben, Dr. Roland Wötzel, Leipzig, Steffen
Wolf, Heidenau, MdB Jörn Wunderlich, Stollberg, Simon Zeise, Leipzig, MdB Sabine Zimmermann, Zwickau, Brigitte
Zschoche, Meißen
29. September 2014
Gegen Koalitions- und
Tolerierungsangebote im Bund und in den
Ländern – Wechselnde Mehrheiten als ein
Projekt der AKL?
Vorschlag der AKL Berlin vom 11.11.2013
AKL Berlin
Die Roten Haltelinien scheinen nicht zu garantieren, dass die Führung der LINKEN nicht doch
Koalitionen durchsetzen würde, die programmatisch abzulehnen sind. Das gilt im Bund 2017 wie
auch auf Landesebene.Auch die Thesen der Sozialistischen Linken zum Ausgang der
Bundestagswahl nähren Illusionen darüber, dass SPD und GRÜNE ihre „vorsichtigen
Kurskorrekturen nach links ernsthaft durchführen und weiter … entwickeln“ könnten, und so ein
26
wirklicher Richtungswechsel möglich würde. Danach wird die Bedeutung von Rot-Rot-Grünen
Konstellationen in den Bundesländern als Feldversuche betont. Dabei sollen ein „erkennbar sozialer
Politikwechsel“ eingeleitet werden.
Diese Positionierung reicht in unseren Augen nicht aus, um dem politischen und auch
innerparteilichen Druck auf Koalitionen etwas entgegenzusetzen. Es ist klar, dass für SPD und
GRÜNE auf der einen und für die LINKE auf der anderen Seite keine Koalitionsvereinbarung
möglich ist, ohne Grundpositionen zu opfern.Wir schlagen vor, dass die AKL ein politisches Projekt
für eine Politik der Einzelfallentscheidungen beschließt, dass sich gegen die Koalitions- und
Tolerierungsangebote richtet, bei denen sich die LINKE zwingen würde, im Parlament gegen ihre
Positionen zu stimmen.
Wie im niedersächsischen Landtagswahlprogramm, sollte die LINKE versprechen, SPD und
GRÜNE „nicht pauschal zu unterstützen oder zu tolerieren, sondern nur dort wo ihre
Maßnahmentatsächlich den Interessen der lohnabhängigen und erwerbslosen Mehrheit der
Bevölkerung entsprechen“.
Eine solche Politik schließt nicht aus, dass DIE LINKE die Wahl von einem/einer SPD-KandidatIn
als MinisterpräsidentIn oder KanzlerIn ermöglicht, um eine/n CDU-KandidatIn zu verhindern. Sie
würde aber keine Verantwortung durch einen Tolerierungs- oder Koalitionsvertrag für die Politik
einer solchen rot-grünen Minderheitsregierung übernehmen.
Zur Politik der Einzelfallentscheidung stellen sich noch viele Fragen – nicht zuletzt zum Verhalten
bei der jährlichen Haushaltsabstimmung. Aber dieses Projekt scheint uns doch vielversprechender,
als weiter zuzusehen, wie Koalitionen als einziger Weg zu anderen parlamentarischen Mehrheiten
propagiert werden. Und es bietet Anknüpfungspunkte für Aktive aus Gewerkschaften, sozialen
Bewegungen, SPD und GRÜNEN, die wirklich andere politische Mehrheiten schaffen wollen.
Mittendrin im Widerstand
Auszug aus dem Gründungsaufruf der AKL zur Regierungsfrage
Im Kapitalismus wurden alle emanzipatorischen Errungenschaften von Arbeiter-, Frauen-, Umweltund anderen Bewegungen erkämpft und sind einer permanenten Gefahr ausgesetzt. Wir stehen
europa- und weltweit solidarisch an der Seite von sozialen Bewegungen, Streiks und anderer
Kampfaktionen von Beschäftigten und Erwerbslosen – nicht nur, weil wir aus solidarischen und
menschlichen Gründen ihren Erfolg wünschen, sondern auch weil nur in diesen Kämpfen die
Konturen einer neuen, solidarischen Gesellschaft erwachsen können, dieden Kapitalismus mit all
seinen katastrophalen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Widersprüchen ablösen kann.
Weil der Kapitalismus global organisiert ist, müssen wir uns international zusammenschließen. In
Kenntnis dieser Erfahrungen ist die AKL davon überzeugt, dass die meisten im Erfurter Programm
skizzierten Ziele nur gegen den Widerstand mächtiger Kapitalgruppen und unter Bruch mit der
Profitlogik zu erreichen und auf Dauer nur international und jenseits des Kapitalismus zu sichern
sind.
Dabei vertritt die AKL die Überzeugung, dass die dafür notwendige Veränderung der
gesellschaftlichen Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit
bürgerlichen Parteien, sondern nur gestützt auf außerparlamentarische soziale Massenbewegungen
und gewerkschaftliche Kämpfe erzeugt werden kann. Dafür muss DIE LINKE eine in diesen
27
Bewegungen und den Gewerkschaften verankerte und für deren Aktivistinnen und Aktivisten offene
Partei sein. Auch in Deutschland gibt es reale soziale Bewegungen, teilweise im Rahmen
traditioneller Strukturen wie Gewerkschaften, Sozialverbänden oder Vereinen, aber vielfach auch
mit autonomen und selbstorganisierten Strukturen – im Stadtteil, in den Betrieben, Schulen und
Universitäten. Das sind die Strukturen, aus denen eine politische Oppositionskraft erwachsen kann
und muss, für die Programm und Partei der LINKEN dann eine Heimat sein könnten. Aufgabe der
Partei DIE LINKE ist es, Teil dieser Bewegungen und Interessensvertretungen zu sein und ihnen
eine politische Stimme zu geben, jedoch ohne sie zu instrumentalisieren. Es gilt, den
Alltagswiderstand zu organisieren und mit großen Protestkundgebungen und mit Streiks zu
verbinden.
In Griechenland ist die Aussicht für die Linke aktuell besser als in der BRD, gestützt auf
massenhafte Unterstützung, Streiks und Bewegungen in der Bevölkerung, die Regierung zu
übernehmen und den Bruch mit dem Kapitalismus zu wagen. Der Kampf um die Mehrheit ist dort
weiter fortgeschritten und die Linke muss ihn für sich entscheiden.
In Deutschland befindet sich DIE LINKE in der Minderheit und es gibt keine Partei im Bundestag,
mit der sie in Koalitionen ihre Ziele durchsetzen könnte. DIE LINKE steht in den meisten Fragen
allein gegen das Kartell der anderen Parlamentsparteien. Alle Wahlen seit 2009 haben sehr deutlich
gemacht, dass es kein „linkes Lager“ von SPD, Grünen und LINKE gibt und keine „Mehrheit links
von der Mitte“, die SPD und Grüne einschließt. SPD, Grüne, FDP und CDU wählen ihre
Koalitions- und Regierungsoptionen beliebig nach tages- und machtpolitischen Kriterien aus, sie
stehen geschlossen für eine Austeritätspolitik, die nur den Interessen des deutschen Kapitals dient.
Ein gemeinsam in den Wahlen erfolgreiches linkes Lager ist illusionäres Wunschdenken. Es ist also
keine Schande oder ein Manko, sondern traurige Realität, dass nur DIE LINKE konsequent die
Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertritt.
Die AKL setzt sich dafür ein, dass DIE LINKE diese Rolle künftig noch hartnäckiger und
phantasievoller ausfüllt. Dabei werden wir jeder Verbesserung, die von anderen Parteien im
Parlament beantragt werden, im Einzelfall zustimmen. Jeden Schritt in die Richtung, die Roten
Haltelinien im Erfurter Programm zu verwässern, lehnt die AKL dagegen ab. Das Erfurter
Programm hat klare Regeln und Grenzen für Beteiligungen an einer Regierung benannt. Solche
„Haltelinien“ bedürfen natürlich aktueller Ergänzungen. Heute sind für die AKL unverhandelbare
Positionen, an denen wir jede Regierungsbeteiligung auf Bundes- und Landesebene sowie RathausKoalitionen auf kommunaler Ebene messen:
•Keine Beteiligung an Kriegen und internationalen Militär- und Polizeieinsätzen sowie Rückzug der
deutschen Truppen aus allen Auslandseinsätzen
•Kein Sozial- und Personalabbau ; keine Privatisierungen öffentlichen Eigentums
•Rücknahme der Hartz-Gesetze, der Absenkung des Rentenniveaus und der Rente ab 67 und
Einführung eines Mindeststundenlohnes nicht unter 12 Euro!
•Keine Zustimmung zu den Bankenrettungsplanen; Rücknahme aller Troika-Verträge und
Ablehnung des Fiskalpakts
•Konsequenter Ausstieg aus Atom- und Kohleenergie ohne Rücksicht auf die großen Konzerne
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Rosa Luxemburg zur Regierungsfrage
Damals kam die Frage auf, als der französische Sozialist Millerand 1899 in die französische
Regierung Waldeck-Rousseau eintrat. Rosa Luxemburg nahm in mehreren Artikeln dazu Stellung.
Zunächst wehrte sie sich gegen die Versuche, die Teilnahme an Parlamenten und die
Regierungsbeteiligung zu vermengen: "Tatsächlich besteht hier nicht Analogie, sondern direkter
Gegensatz: In die Volksvertretung treten die Sozialisten ein, um die bürgerliche Klassenherrschaft
zu bekämpfen, in die bürgerliche Regierung, um die Verantwortlichkeit für die Akte dieser
Klassenherrschaft auf sich zu laden." (Die sozialistische Krise in Frankreich, 1901, GW 1/2, S. 573, hier S. 60)
"Die gesetzgebende Körperschaft und die Zentralregierung des heutigen Staates stellen vom
Standpunkt der sozialistischen Aufgaben ihrem Wesen und ihren Funktionen nach zwei
grundverschiedene Institutionen dar. Während das Parlament ein Organ der Klassen- und
Fraktionskämpfe innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, deshalb das geeignetste Terrain für den
systematischen Widerstand der Sozialisten gegen die Herrschaft der Bourgeoisie bildet, ist diese
Rolle der Arbeitervertreter im Schoße der Regierung von vornherein ausgeschlossen. Berufen, das
fertige Ergebnis der im Parlament und im Lande ausgefochtenen Parteikämpfe in die Tat
umzusetzen, ist die Zentralgewalt vor allem ein Organ der Aktion, dessen Lebensfähigkeit auf
innerer Homogenität beruht." (a.a.O., S. 58)
"Wenn die sozialdemokratischen Vertreter in den gesetzgebenden Körpern soziale Reformen
durchzuführen suchen, so haben sie volle Möglichkeit, durch ihre gleichzeitige Opposition gegen
die bürgerliche Gesetzgebung und die bürgerliche Regierung im ganzen - was sich handgreiflich
unter anderem in der Ablehnung des Budgets äußert - auch ihrem Kampf um die bürgerlichen
Reformen einen prinzipiell sozialistischen Charakter, den Charakter des proletarischen
Klassenkampfes zu verleihen. Ein Sozialdemokrat hingegen, der dieselben Reformen als Mitglied
der Regierung, das heißt gleichzeitig bei aktiver Unterstützung des bürgerlichen Staates im Ganzen
anstrebt, reduziert tatsächlich seinen Sozialismus im allerbesten Fall auf bürgerliche Demokratie
oder bürgerliche Arbeiterpolitik. Während daher das Vordringen der Sozialdemokraten in die
Volksvertretungen zur Stärkung des Klassenkampfes, also zur Förderung der Sache des Proletariats
führt, kann ihr Vordringen in die Regierungen nur die Korruption und Verwirrungen in den Reihen
der Sozialdemokratie zum Ergebnis haben." (Eine taktische Frage, GW 1/1, S. 483-486, hier S. 485)
"In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer
oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen
Staates auftreten." (a.a.O., S. 486) (...)
"Es stellt sich heraus, dass ein Minister in der heutigen Regierung nicht bloß an die bürgerliche
Gesellschaftsordnung im allgemeinen, sondern an die jeweiligen herrschenden Gruppen- und
Koterieninteressen gebunden, dass er nicht bloß Knecht der bürgerlichen Entwicklung, sondern
auch Knecht der bürgerlichen Reaktion ist." (Die sozialistische Krise in Frankreich, a.a.O., S. 61)
(…) Die Millerand unterstützende Jaurès-Richtung (Jean Jaurès war der Führer der Sozialistischen
Partei in Frankreich) "musste entweder ihre Enttäuschung eingestehen, die Zwecklosigkeit der
Teilnahme Millerands an der Regierung einsehen und seinen Rücktritt fordern oder aber sich mit
der Politik des Kabinetts zufrieden geben, sie als die Verwirklichung ihrer Erwartungen erklären
und demgemäß diese Erwartungen resp. Forderungen entsprechend der stufenweise in nichts
zusammenfallenden Aktion der Regierung immer mehr herab stimmen." (a.a.O., S. 26)
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Sozialistische Opposition im Parlament kann auf drei Wegen Verbesserungen erreichen: "indem sie
mit ihren am weitesten gehenden Forderungen den bürgerlichen Parteien eine gefährliche
Konkurrenz bereiten und sie durch den Druck der Wählermassen vorwärts drängen; dann, indem sie
die Regierung vor dem Lande bloßstellen und sie durch die öffentliche Meinung beeinflussen;
endlich, indem sie durch ihre Kritik in und außerhalb der Kammer [=dem Parlament] immer mehr
die Volksmassen um sich gruppieren und so zu einer Achtung gebietenden Macht anwachsen, mit
der Regierung und Bourgeoisie rechnen müssen.Die um Jaurès gruppierten französischen
Sozialisten haben sich mit dem Eintritt Millerands alle drei Wege verschlossen. Vor allem ist für sie
eine rückhaltlose Kritik der Regierungspolitik unmöglich geworden. Wollten sie ihre Schwäche,
ihre Halbheiten, ihre Feigheit geißeln, so würden die Hiebe auf ihren eigenen Rücken zurückfallen.
(...) Um also die Ministerschaft Millerands nicht zu kompromittieren, sehen sich Jaurès und seine
Freunde gezwungen, über alles zu schweigen, was der Arbeitermasse über die Mängel der
herrschenden Politik die Augen öffnen könnte. (...) Die erste Konsequenz der sozialistischen
Ministerschaft ist also der Verzicht auf die oberste Aufgabe der Tätigkeit der Sozialdemokratie im
allgemeinen und ihrer parlamentarischen Tätigkeit im besonderen: die politische Aufklärung und
Erziehung der Massen." (a.a.O., S. 33)
"Die Ministerschaft Millerands verwandelt die sozialistischen Kritiken seiner Freunde in der
Kammer in leere Paradestücke, in Schaustellungen der "weiten Horizonte" des Sozialismus ohne
jeden Einfluss auf die praktische Politik der Regierung.(...)
"Das Hauptmittel, die Sozialpolitik der herrschenden Klassen vorwärts zu treiben, die
rücksichtslose Kritik an ihr seitens der sozialistischen Partei wird, sobald ein Sozialist als Vertreter
der offiziellen Sozialpolitik auftritt, noch weniger möglich als die Kritik an der Gesamtpolitik der
Regierung." (a.a.O., S. 54) …
Quelle: Rosa Luxemburg über Parlament und Regierung. Debatten in der Sozialdemokratie vor 100 Jahren.
Wolfram Klein, Plochingen 2010
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