Rivista di Filosofia Neo-Scolastica, 1 (2016), pp. 115-134 Donatella Colantuono* WARUM KANN DIE SEELE EWIG LEBEN? © 2016 Vita e Pensiero / Pubblicazioni dell’Università Cattolica del Sacro Cuore BERNARD BOLZANO ÜBER EWIGKEIT UND UNENDLICHKEIT Bernard Bolzano, der weithin unbekannte Philosoph aus Böhmen (heute Tschechien) hat sich in seinem umfangreichen Werk sehr unterschiedlichen Themen gewidmet. Die moderne Bolzanoforschung schätzt an diesem Werk vor allem die mathematischen, logischen und erkenntnistheoretischen Bemühungen1. Das hängt in erster Linie mit der besseren Überprüfbarkeit dieser Wissensbereiche gegenüber den anderen zusammen. Allerdings wächst das Interesse daran zusehends. Jedenfalls war es Bernard Bolzano Zeit seines Lebens ein philosophisches Grundanliegen, die wesentlichen Probleme der Metaphysik auf einem streng wissenschaftlichen Niveau zu diskutieren2. Nicht nur dieses Anliegen, sondern vor allem auch die Arbeiten und Einsichten, die daraus entstanden sind, waren zu seiner Zeit revolutionär neu. Der Grund dafür lag in der Entwicklung und Anwendung logisch-mathematischer Methoden, mit denen Bolzano dem »Geschwätz« und »Chaos« der üblichen metaphysischen Abhandlungen entgegentreten wollte. In diesem Beitrag möchte ich am Beispiel der »ewigen Fortdauer der Seele« und – daran anknüpfend – seiner Überlegungen zur Existenz unendlicher Gegenstände nachweisen, dass die Begriffe und Argumente Bolzanos zu zentralen metaphysischen Themen sehr wohl beachtet zu werden verdienen. Das Thema »Ewigkeit« wird von Bernard Bolzano in seinem systematischen Werk zur Metaphysik – Athanasia (1827, 18382) – ausführlich dargelegt, dessen Untertitel – Gründe für die Unsterblichkeit der Seele – die Überlegung zur ewigen Fortdauer der Substanzen bereits vorausschickt. Die menschliche Seele ist Bolzano zufolge eine einfache Substanz oder ein nicht weiter teilbarer Gegenstand3, der ein »wirkli- * Universität Salzburg – College of Saint Benedict, Saint John’s University (Minnesota). Diesbezüglich vgl. J. Berg, Bolzano’s Logic, Almqvist & Wiksell, Stockholm - Göteborg - Uppsala 1962; E. Morscher (hrsg.), Bernard Bolzanos Leistungen in Logik, Mathematik und Physik, Academia, Sankt Augustin 2003; Id., Studien zur Logik Bernard Bolzanos, Academia, Sankt Augustin 2007. 2 Diesbezüglich vgl. A. Krause, Bolzanos Metaphysik, Karl Alber, Freiburg i.B. - München 2004 und S. Lapointe, Bernard Bolzano’s Theoretical Philosophy, Palgrave Macmillan, Basingstoke 2011. 3 Diesbezüglich vgl. R. Chisolm, Bolzano on the Simplicity of Soul, in W. Gombocz - H. Rutte - W. Sauer (hrsg.), Traditionen und Perspektiven der analytischen Philosophie. Festschrift für Rudolf Haller, Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1989, S. 79-88. 1 116 donatella colantuono cher« Gegenstand ist. Diese Art erneuerter Atomismus, die Bolzanos Metaphysik des Wirklichen charakterisiert, ist gewiss nur einer der Aspekte, welche der böhmische Philosoph Leibniz verdankt, wie er selbst ohne weiteres zugibt4. Aber weiterhin ist dieser Atomismus in manchen Gestalten Hintergrund für die Bearbeitung von Theorien und Begriffen, welche nicht die Metaphysik stricto sensu – hierbei von Bolzano als Wissenschaft des Übersinnlichen5 verstanden – sondern weitere Erkenntnisbereiche betreffen, wie etwa den logisch-mathematischen. Im folgenden Beitrag will ich paradigmatisch zeigen, wie sich im Werk Bolzanos originär metaphysische Fragen mit theoretischen Überlegungen aus anderen Disziplinen überschneiden. Es ist das der Fall bei seiner Theorie des Unendlichen und deren historisch-genetischer Beziehung zur These von der Ewigkeit der Seele. Um dieses Ziel zu erreichen, werde ich versuchen, zwei Fragen zu beantworten, und zwar: 1. Welche Rolle spielt das Thema »Ewigkeit der Seele« in Bolzanos Denken, insbesondere in seinem philosophischen System? Ist dieses Thema nur auf die Athanasia begrenzt oder berührt es als ein Hauptthema der Metaphysik auch andere Werke? 2. Was meint Bolzano mit »Ewigkeit der Seele«? Methodisch gesehen werde ich die Frage 1) mit kritischen Kommentaren zu einigen Hauptwerken von Bolzano diskutieren. Vor allem werde ich den Weg von der Athanasia bis zu den Paradoxien des Unendlichen (1851) verfolgen, wobei letzteres das Werk ist, in dem Bolzano sich nicht nur mit einigen Paradoxien auf dem Gebiet der Physik und Metaphysik beschäftigt, sondern auch neue Begriffe in die Mengenlehre und Topologie einführt, sowie die Definition von »Kontinuum« liefert und manche mit dem Begriff des Infinitesimalen verbundene Paradoxien untersucht. Neben diesen zwei bevorzugten Bezugnahmen werde ich gelegentlich weitere Schriften aus Bolzanos Werk zitieren, vor allem die berühmte logische Abhandlung Wissenschaftslehre (1837). Die Frage 2) werde ich beantworten durch eine Beschreibung wichtiger Passagen der oben genannten Werke. 1. Der Begriff der Ewigkeit Die Bezeichnung von Substanz als wirkliche, einfache Gegenstand legt Bolzano im ersten Kapitel der Athanasia dar. Was ist ein wirklicher Gegenstand? Und was ist die vollständige Definition von »Substanz«? Nach Bolzano ist ein wirklicher Gegenstand ein Gegenstand, der existiert. Der Existenz-Begriff, den Bolzano mit den Worten »Dasein« und »Wirklichkeit« verbin- 4 Vgl. B. Bolzano, Athanasia oder Gründe für die Unsterblichkeit der Seele, Seidel, Sulzbach 1827; II. erweiterte Ausgabe, Seidel, Sulzbach 1838, S. 303-304, Anm. 38. 5 Über Bolzanos Bezeichnung von Metaphysik vgl. ibi, Einleitung, S. 19; Id., Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und grösstentheils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherige Bearbeiter (1837), Bernard Bolzano Gesamtausgabe (BGA), Frommann-Holzboog, Stuttgart Bad Cannstatt, Reihe I, Bde. 11-14, hrsg. von J. Berg, 1985-2000, § 9, S. 37 und Id., Was ist Philosophie?, BGA Reihe IIA, Bd. 12/3, hrsg. von J. Berg - J. Loužil, 1978, S. 13-33, hier S. 17. warum kann die seele ewig leben? 117 det, ist der metaphysische Hauptbegriff, dessen Definition im Sinne eines Wirkens oder einer Wirksamkeit zuerst in der Athanasia dargelegt ist: Sein und Wirken sind zwei mit einander so eng verbundene Begriffe, dass wir sie mit einerlei Wort bezeichnen; und wenn wir von einem gewissen Dinge behaupten wollen, es sei oder habe Dasein, so sagen wir oft nur, es habe Wirklichkeit. Wirklichkeit also, oder, was eben so viel sagt, Wirksamkeit gilt uns für einerlei mit Dasein, und jedes existierende Ding nennen wir eben darum auch ein wirkliches, d.i. wirkendes Ding6. So unterscheidet Bolzano zwischen wirklichen und nicht-wirklichen Gegenständen. Substanzen und ihre Beschaffenheiten – die so genannten Adhärenzen – sind wirkliche Gegenstände7: Alles, was ist, d.h. in Wirklichkeit bestehet, in dieser Wirklichkeit entweder für immer oder auch nur für eine gewisse Zeit bestehet, gehört zu einer von folgenden zwei Arten: es ist und bestehet entweder an etwas Anderem, als Beschaffenheit desselben, oder es ist nicht eine bloße Beschaffenheit an etwas Anderem, sondern bestehet, wie man zu sagen pflegt, für sich. Beispiele des ersten geben uns Farbe, Geruch, Gewicht eines Körpers […]. Ein Beispiel des zweiten ist die Materie, aus welcher der Körper zusammengesetzt ist […] Die Wirklichkeiten der ersten Art pflegen die Weltweisen mit einem lateinischen Wort auch Adhärenzen, jene der letzten aber Substanzen zu nennen8. Wie Andrej Krause bemerkt9 sind die Substanzen – Bolzano zufolge – einfache Gegenstände10, d.h. keine Substanz hat eine Substanz als echten Teil: »Den Begriff einer Substanz wünschte ich so aufgefasst zu sehen, dass nur das Einfache (Wirkliche), das keine Adhärenz ist, eine Substanz genannt würde; so dass man also z.B. wohl die Seele eine Substanz, den Körper aber nicht eine Substanz, sondern einen Inbegriff von mehren Substanzen nennen müsste«11. 1.1. Die Ewigkeit als Mangel an Entstehung und Vergangenheit Die Definition von »Substanz« als einfacher Gegenstand dient zur Rechtfertigung für die Theorie der Ewigkeit der Seele12, indem sie außerdem von der physikalischen Id., Athanasia, Abschn. III, S, 85. Über Bolzanos Begriffe von »Substanz« und »Adhärenz« vgl. W. Künne, Substanz und Adhärenz. Zur Ontologie in Bolzanos Athanasia, »Philosophiegeschichte und logische Analyse«, 1 (1998), S. 233250 und B. Schnieder, Substanz und Adhärenz. Bolzanos Ontologie des Wirklichen, Academia, Sankt Augustin 2002. 8 Bolzano, Athanasia, Abschn. I, S. 21. 9 Vgl. Krause, Bolzanos Metaphysik, S. 62 ff. 10 Diesbezüglich vgl. E. Runggaldier, Die ‚Einfachheit‘ der Substanz bei Bolzano, in A. Hieke - O. Neumaier (hrsg.), Philosophie im Geiste Bolzanos, anlässlich des 222.Geburtstages von Bernard Bolzano Edgar Morscher gewidmet, Academia, Sankt Augustin 2003, S. 69-86. 11 B. Bolzano, Brief an Gregor Zeithammer vom 5. Januar 1835, BGA, Briefwechsel mit Johann Baptist Stoppani, Gregor Zeithammer und Johann Peter Romang 1832-1848, Reihe III (Briefwechsel), Bd. 4.2, hrsg. von J. Berg, 2007, S. 40-49, hier S. 42. 12 Diesbezüglich vgl. A Drozdek, Infinity and Bolzano’s Eschatology, »Axiomathes«, 9 (1998), S. 275-286 und A. Krause, Das Argument für die Einfachheit der menschlichen Seele in Bolzanos Athanasia, in R. Born - O. Neumaier (hrsg.), Philosophie, Wissenschaft, Wirtschaft: miteinander denken - voneinan6 7 118 donatella colantuono Theorie der Entstehung und Vergangenheit als bloße Zustandswechsel einer vorher bestehenden Materie unterstützt wird13. Erscheint diese Hypothese – wenigstens nach Bolzano – als selbstverständlich, dann sind die von einigen Denkern vorgelegten Zweifel über die Unverderblichkeit der (einfachen) Substanzen dem »Zustande sehr großer Unvollkommenheit«14 zuzuschreiben, in dem sich unsere Metaphysik befindet. Dies ist der Grund, warum Bolzano die Aufgabe für dringend hält, die Diskussion um die Unsterblichkeit durch einen Beweis zu ergänzen, welcher einer »tief in der menschlichen Vernunft verwurzelten«15 Wahrheit den höchsten Grad von Gewissheit verleihen könne. Bolzanos Diskurs nimmt das klassische Prinzip des ex nihilo nihil fit auf, ein wahrhaftes Leitmotiv der abendländischen Geistesgeschichte16, welches in der Neuzeit von Leibniz als »Satz von zureichenden Grund« aufgenommen wurde. Es handelt sich grundsätzlich um ein logisches Prinzip, das erklärt, warum Objekte existieren, statt nicht zu existieren; woraus einsichtig wird, dass ein existierendes Objekt kein nichtexistierendes zur Ursache haben könne. Bolzanos Beweisführung der These, dass nichts aus dem nichts entsteht, so wie nichts ins Nichts vergeht, beruft sich auf die Etymologie der Worte »entstehen« und »vergehen«, welche den Bezug auf eine Art Bewegung oder Veränderung in sich enthalten. Denn diese Begriffe nehmen die Zeitbestimmung in Anspruch, indem sie zeigen, dass ein Gegenstand jetzt auf unseren Wahrnehmungsapparat einwirkt, selbst wenn er früher darauf nicht einwirkte, und umgekehrt: »Könnte nun eine Substanz x in Wahrheit anfangen oder vergehen, so müßte es einen Zeitpunkt t geben, in welchem sie nicht vorhanden war oder sein wird«17. Die Behauptung, dass die einfachen Substanzen ewig sind, wird also von Bolzano als Mangel an Entstehung und Vergangenheit verstanden: »Schon aus dem bloßen Begriff einer Substanze däucht mir nemlich zu folgen, daß ein Entstehen oder Vergehen derselben nicht stattfinden könne. Substanzen, die einmal sind, müssen zu aller Zeit sein«18. Eine derartige Hypothese wird im Übrigen durch einige logische Grundsätze bestätigt. Bolzano selber hat sie am 10. Februar 1836 – und zwar ein Jahr vor der Veröffentlichung der Wissenschaftslehre – in einem Brief an seinen Schüler Franz der lernen. Akten des VI. Kongresses der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie, Linz, 1.-4. Juni 2000, öbv & hpt, Wien 2001, S. 451-455. 13 Vgl. Bolzano, Athanasia, Abschn. II, S. 69: »Sehen wir aber mit Deutlichkeit ein, daß unsere Seele eine einfache Substanz sei: so muss es uns auch ausser Zweifel sein, daß sie in Ewigkeit fortdauern werde«. 14 Ibi, Abschn. II, S. 72. 15 Ibidem. 16 Man denke, nur um einige Beispiele zu nennen, an Parmenides, nach welchem die Welt nicht zur Existenz gekommen sein kann, weil sie sonst aus dem Nichts käme (vgl. Fragment B8 9-10) und an Lucrez: «Principium cuius hinc nobis exordia sumet, nullam rem e nihilo gigni divinitus umquam» (De rerum natura, I, 149-150). 17 Bolzano, Athanasia, S. 293, Anm. 23. 18 Ibi, Abschn. II, S. 79. Vgl. auch Id., Lehrbuch der Religionswissenschaft, ein Abdruck der Vorlesungshefte eines ehemaligen Religionslehrers an einer katholischen Universität, von einigen seiner Schüler gesammelt und herausgegeben (1834), BGA Reihe I, Bde. 6-8, hrsg. von J. Loužil, 1994-2004, § 70, S. 183: »Jede Substanz etwas Beständiges ist, das weder anfangen, noch vergehen kann, sondern so ferne es einmal ist, zu aller Zeit seyn muß« und Id., Wissenschaftslehre IV, § 457, S. 138: es ist »mehr als eine rein metaphysische Wahrheit, […] daß keine Substanz in der Zeit entstehe oder vergehe«. warum kann die seele ewig leben? 119 Příhonský19 beschrieben. Das in dem Brief erläuterte Argument wird dann vom Herausgeber der zweiten Auflage der Athanasia20 [sic] in einer beigefügten Anmerkung21 erneut dargelegt, welche auf die bedeutendsten Stellen zurückkommt. Aber da der in der eben genannten Anmerkung enthaltene Beweis a priori für die Ewigkeit der Substanzen expliziten Bezug auf einige theoretische Angelpunkte der Wissenschaftslehre nimmt, ist es erforderlich, die wesentlichen Züge kurz zu erläutern. Der Hauptgegenstand der Logik Bolzanos besteht aus den Sätzen (oder Sätzen an sich). Die kanonische Form eines Satzes ist: »A hat b«, wobei [A] die Subjektvorstellung, während [b] die Prädikatvorstellung ist, die eine Beschaffenheit22 bezeichnet; beide sind durch die Kopula »haben« miteinander verbunden (die Bolzano eigentlich der Kopula »sein« vorzieht, da jene den Besitz einer Beschaffenheit deutlicher bezeichnet). Alle Sätze haben stets einen Wahrheitswert, sie können also wahr oder falsch sein. Ein Satz ist erst dann wahr, wenn die durch das Prädikat bezeichnete Beschaffenheit tatsächlich auf das Subjekt zutrifft23; es wenigstens einen der Vorstellung A entsprechenden Gegenstand gibt, und also die Subjektvorstellung des Satzes gegenständlich ist24. Das richtige Zukommen der Beschaffenheit einer Substanz innerhalb eines empirischen Satzes verlangt außerdem als notwendige Bedingung den Zeithinweis, in dem die Beschaffenheit an der Substanz anwesend ist25. Nach der in Bolzanos Paradoxien gelieferten Bezeichnung ist die Zeit eine Bestimmung der erschaffenen Substanzen, »deren Vorstellung wir zu der Vorstellung dieser Substanz hinzufügen müssen, um von je zwei einander widersprechenden Beschaffenheiten b und nicht-b ihr die eine in Wahrheit beizulegen, die andere absprechen zu können«26. In diesem Sinne ist der vollständige Aufbau eines Satzes – der einzig den Wahrheitswert empirischer Sätze festzustellen vermag – derjenige, in dem seine Subjektvorstellung die Zeitbestimmung enthält: »A in t hat b«27. Auf diesen Voraussetzungen beruht der Beweis a priori der Unsterblichkeit der Seele, welchen die Anmerkung 23 der Athanasia enthält. Dieser geht von der Definition von »Substanz« selbst aus, d.h. von einem Wirklichen, das keine Beschaffenheit an einem anderen Wirklichen ist. Aus dieser Definition ergibt sich, dass die Vorstellung einer Substanz (die wir x nennen) innerhalb eines wahren Satzes nur als Subjekt 19 Id., Brief an František Příhonský vom 10. Februar 1836, in Id., Briefe an František Příhonský 18241848, BGA Reihe III (Briefwechsel), Bd. 3.1-3, hrsg. von J. Berg, 2005, Bd. II, 1824-1835, S. 327-330, hier 328. 20 Die zweite Auflage der Athanasia datiert 1838, ein Jahr nach der Veröffentlichung der Wissenschaftslehre. Diese gibt nicht nur die von Bolzano eingeführten Anmerkungen zur ersten Auflage wieder, sondern enthält auch einige vom Herausgeber beigefügten Anmerkungen. Es wundert deshalb nicht, dass sich einige von denen auf Theorien beziehen, welche erst der Athanasia nachfolgende Schriften enthalten. 21 Bolzano, Athanasia, S. 292-293, Anm. 23. 22 Id., Wissenschaftslehre I, § 127. 23 Ibi, I, § 25, S. 112. 24 Ibi, III, § 350. 25 Ibi, II, § 183, S. 239. 26 Id., Paradoxien des Unendlichen, hrsg. von C. Tapp, Felix Meiner, Hamburg 2012 (Philosophische Bibliothek, 630), § 39, S. 77. Über Bolzanos Begriff der Zeit vgl. B. Schnieder, Bolzanos Erklärung des Zeitbegriff, »Archiv für Geschichte der Philosophie«, 91 (2009), S. 42-69. 27 Vgl. Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 45, 1.a, S. 200-202. 120 donatella colantuono wirken kann28. Weiterhin, da die Zeitbestimmung (t) – bei welcher ein Gegenstand eine Beschaffenheit hat oder nicht hat – lediglich zur Subjektvorstellung gehören kann, lautet die allgemeine Form des Satzes: »x – zum Zeitpunkt t – hat die Beschaffenheit b oder nicht-b«. Würde aber die Substanz entstehen oder vergehen, dann sollte man wohl einsehen, dass sie zum Zeitpunkt t nicht da ist (genauer gesagt, ist sie noch nicht da oder nicht mehr da). In diesem Fall wäre folgender Satz wahr: »x – zum Zeitpunkt t – hat keine Existenz«, wobei aber die Subjektvorstellung x gegenstandlos ist. Weil aber ein wahrer Satz keine gegenstandlose Subjektvorstellung haben kann29, ist folglich der Satz »x – zum Zeitpunkt t – hat keine Existenz« falsch. Das Ergebnis einer derartigen Beweisführung kann wie folgt schematisiert werden: Vorausgesetzt, dass t ein Zeitpunkt ist, dann gilt für jedes x: (1)Ist x in t eine Substanz, dann entsteht x nicht; (2)Ist x in t eine Substanz, dann vergeht x nicht30. Also: Da die Seele zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine Substanz ist, dauert sie ewig fort, d.h., sie ist unsterblich. 1.2. Die Ewigkeit als Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung Es liegt nahe, dass dieses Verfahren zu einem bedeutsamen Zusammenhang führt, demjenigen nämlich zwischen der These über die Unsterblichkeit der (einfachen) Substanzen und der (wohl gar vorrangigeren) These über die Nicht-Entstehung derselben Substanzen. Es geht laut Bolzano – seines Zeichens immerhin katholischer Priester – um einen nicht unproblematischen Punkt, der sogar sein Bekenntnis zum christlichen Dogma der Schöpfung in Frage zu stellen scheint, und der sowohl in der Athanasia als auch in der Unsterblichkeitslehre als »feindliche Meinung« bezeichnet wird31. Ihm scheint es aber noch möglich, einen Weg zur Versöhnung zwischen dem christlichen Schöpfungsbegriff und der Unsterblichkeitslehre als mangelndem Anfang der Substanzen zu verfolgen, sobald der Begriff »Schöpfung« vom Begriff »zeitliche Erschaffung der Welt« unterschieden wird. »Schöpfung« wird eher verstanden als »eine gewisse ewig fortwährende Kraftäußerung irgend eines anderen Wesens, nämlich des Schaffenden, wodurch es Ursache von dem gleichfalls fortwährenden Vorhandensein eines anderen Wesens ist«32. Sind also die Substanzen der Welt ein Ergebnis von Gottes Kraftäußerung von allgleicher Ewigkeit her, dann ist die für sie kennzeichnende Endlichkeit nicht im zeitlichen, sondern eher im schöpferischen Sinne zu verstehen. Denn der Unterschied zwischen Gott und den anderen Substanzen besteht darin, dass diese einen Grund oder eine Existenzbedingung haben; hingegen jener nicht. Gott ist Ursache der Welt, oder genauer ihre mit-ewige Ursache. Dies aber sei nicht im Sinne Spinozas zu verstehen, betont Bolzano, als ob die Welt die bloße Akzidenz einer ein28 Die Prädikatvorstellung eines Satzes kann allerdings nur eine Vorstellung der Beschaffenheit sein. Vgl. ibi, I, § 127. 29 Vgl. ibi, I, § 28. 30 Vgl. Krause, Bolzanos Metaphysik, S. 91-100. 31 Bolzano, Athanasia, Abschn. II, S. 72. 32 Ibi, S. 324, Anm. 73. warum kann die seele ewig leben? 121 zigen gar zeitlich unendlichen Substanz wäre33, sondern eher in dem Sinne, dass ein zeitlicher Vorrang der Ursache vor der Wirkung nicht anzunehmen ist. Zusammengefasst ergibt sich: (Einfache) Substanzen sind zeitlich nicht entstanden, sondern existieren (wirken) durch Gottes Kraftäußerung. Da dazu Ursache und Wirkung gleichzeitig geschehen, ist die Seele als Substanz nicht die Wirkung von Gottes Kraftäußerung, sondern existiert in dieser ewig fortdauernd. Hier klingt die Ockhamsche These von den gleichbleibenden Ursachen durch, wonach jeder existierende Gegenstand, der von anderen herstammt, weiter besteht, solange ihn derjenige, der ihm das Dasein gegeben hat, im dieses bewahrt. Folglich existiert die Ursache, die einen Gegenstand erhält zugleich mit diesem Gegenstand34. Es ist zu beachten, dass die Gleichzeitigkeit von Ursache und Wirkung nicht ein Privileg ist, das Bolzano allein dem Verhältnis zwischen Gott und den Geschöpfen vorbehält, sondern die einzige Art, wie jedes eigentliche Kausalverhältnis zu verstehen ist. Der Beweisgrund für diese Idee geht von der Unterscheidung zwischen eigentlicher Ursache und Teilursache aus: Wenn wir die Worte Ursache und Wirkung überall nur in der strengsten Bedeutung gebrauchen wollten, so dürften wir unter Ursache nur immer den Inbegriff all derjenigen Gegenstände verstehen, in deren Vorhandensein der Grund und zwar der vollständige Grund von dem Vorhandensein eines gewissen anderen Gegenstandes, welcher die Wirkung genannt wird, lieget. Wir dürften uns also nie erlauben, einen Gegenstand die Ursache eines anderen zu nennen, wenn er nicht für sich allein, sondern erst in Verbindung mit anderen Dingen im Stande ist, dem zweiten das Dasein zu geben. Denn in diesem Fall ist er nur ein Theil der Ursache, und kann also höchstens den Namen einer Theilursache verdienen35. Die Meinung, dass eine Ursache ihrer Wirkung immer vorangehen soll, stammt von der alltäglichen Sprachverwendung des Wortes »Ursache«, mit dem man etwas zu kennzeichnen pflegt, das in der Tat nur ein Teil der eigentlichen Ursache ist und das als solches eine Gleichzeitigkeit mit der Wirkung nicht impliziert. In ihrer eigentlichen Bedeutung genommen impliziert jedoch die Ursache eine zeitliche Übereinstimmung mit ihrer eigenen Wirkung. Denn die Aussage, dass eine Ursache in einem gewissen Augenblick angefangen hat zu existieren, heißt, dass sie in demselben Augenblick angefangen hat zu wirken oder ihre Wirkung zu verursachen. Ähnlich bedeutet die Aussage, dass die Ursache aufgehört hat, Ursache zu sein, dass sie aufgehört hat, zu 33 Vgl. Id., Wissenschaftslehre IV, § 483, S. 187: »Gegen diese Wahrheit [daß jeder Gegenstand, der einen besonderen Theil des Raumes (und wäre es auch nur den eines Punktes) einnimmt, auch eine eigene, von andern unterschiedene Substanz seyn müsse] verstößt man, wenn man die zahllose Menge der Körper […] für bloße Accidenzen oder Modificationen einer und eben derselben unendlichen Substanz erklärt«. 34 Vgl. Guillelmi de Ockham, Scriptum in Librum Primum Sententiarum Ordinatio, Prol. et dist. prima, ed. S. Brown, Guillelmi de Ockham Opera philosophica et theologica (OT), The Franciscan Institute, St. Bonaventure NY 1967, Bd. I, S. 355-356. 35 Bolzano, Athanasia, Abschn. II, S. 74. Bolzano weist auf die Unterscheidung von Ursache und Teilursache erst im I. Band (§ 45) der Wissenschaftslehre hin, und dann eingehender im III. Band (§ 379), obwohl diese Unterscheidung hierbei auf die Gegenstände der Logik – oder Sätze an sich – angewendet und dazu verwendet wird, den ätiologischen Begriff des Konsekutiven deutlicher auszudrücken: »Ich nenne aber einen Gegenstand A Ursache (bald die vollständige, bald eine bloße Theilursache) eines anderen B, wenn der Satz, daß A ist, den (vollständigen oder doch einen Theil-) Grund von der Wahrheit des Satzes, daß B ist, enthält« (S. 496-497). 122 donatella colantuono wirken, und dass selbst ihre Wirkung aufgehört haben muss. Übrigens braucht Bolzano nicht auf metaphysische oder göttliche Wesen zu verweisen, um das Gesetz der Gleichzeitlichkeit zu beweisen. Ihm genügt es beispielsweise darauf hinzuweisen, dass die Wirkung einer Kraft auf einen Körper oder dessen Geschwindigkeitswandel aufhört zu sein, sobald die Kraft selbst aufhört zu wirken. 2. Von der Ewigkeit der Substanzen zur Lehre des Unendlichen Bolzanos Fassung der Lehre von der Ewigkeit erschaffener Substanzen ist aber nicht frei von den von seinen Gegnern erhobenen Einwänden. Einer davon scheint mir besonders interessant, weil er eine interdisziplinäre Diskussion anregt. Dieser Einwand lautet: eine veränderliche Substanz, die der Ewigkeit her existiert, sollte schon durch eine unendliche Reihe von Veränderungen durchgegangen sein36. Und dennoch wäre es nicht sinnvoll, wenn eine solche unendliche Reihe: a) etwas Vergangenes wäre, da das Unendliche nicht vermehrt werden dürfte, während eine vergangene Reihe durch das Hinzufügen weiterer Glieder vermehrt werden kann; b) etwas Wirkliches wäre, denn alle wirklichen Dinge müssen wohl bestimmt werden, während die unendlichen nicht bestimmbar sind (Bestimmbarkeit). Selbstverständlich erfordern solche Betrachtungen eine Diskussion über den Begriff »Unendliches«, der weit über den ursprünglichen Ewigkeitsbegriff hinausgeht und in die Metaphysik reicht. Es geht für den böhmischen Denker um eine Herausforderung oder einen Anlass, die Diskussion zum Bereich seiner frühen Studien zurückzuführen: zu den mathematischen Wissenschaften. Das ist aber ein klares Zeichen dafür, dass in Bolzanos späteren Überlegungen die metaphysischen Fragen oftmals ein Theoretisieren ganz anderer Art erfordern37, und dass dazwischen eine Kontinuität besteht. Es ist ein Beweis dafür, dass der Einwand gegen die metaphysische These über die Ewigkeit der Substanzen sowohl in der Wissenschaftslehre 38 als auch in den Paradoxien 39 vorgebracht wird. Es ist wohl mehr als ein Zufall, dass letzteres selbst das Werk ist, das Bolzano der Frage des Unendlichen widmet, jener Frage, die er durch das Konzeptualisieren in der Athanasia aufgeworfen hatte. Dem Teil a) des Einwandes, wonach das Unendliche nicht vermehrt werden könne, erwidert Bolzano durch die Kritik des Begriffes »Unendliches« bei Spinoza, das als solches eben nicht vergrößert werden kann. Dadurch gelangt er zu einer Beschrei- Bolzano, Athanasia, S. 291, Anm. 22. Diesbezüglich scheint mir sehr bedeutend zu zitieren, was Bolzano im § 1 von den Paradoxien schreibt, S. 1: »Gewiß die meisten paradoxen Behauptungen, denen wir auf dem Gebiete der Mathematik begegnen, sind Sätze, die den Begriff des Unendlichen entweder unmittelbar enthalten oder doch bei ihrer versuchten Beweisführung in irgendeiner Weise sich auf ihn stützen. Noch unstreitiger ist es, daß gerade diejenigen mathematischen Paradoxien, die unsere größte Beachtung verdienen, weil die Entscheidung hochwichtiger Fragen in mancher anderen Wissenschaft, wie in der Metaphysik und Physik, von einer befriedigenden Widerlegung ihres Scheinwiderspruches abhängt, unter dieser Gattung sich finden«. 38 Id., Wissenschaftslehre I, § 87. 39 Id., Paradoxien, § 12. 36 37 warum kann die seele ewig leben? 123 bung unendlicher Mengen, denen er die Eigenschaft zuschreibt, in eine eineindeutige Beziehung zu ihren eigenen Untermengen gesetzt werden zu können40. Es ist hierbei bemerkenswert, auf die Rolle hinzuweisen, welche eine derartige Kennzeichnung der Mengen im Rahmen der Geschichte der Mathematik spielt, indem sie das Fundament zur gesamten Mengenlehre der Neuzeit legt41. Aber meines Erachtens ist es hierbei noch interessanter, dass Bolzano selber das Gewicht solcher Entdeckungen für die philosophische Forschung beansprucht, indem er hervorhebt, dass ein Mangel an mathematischen Erkenntnissen »zum Nachteil für die Erkenntnis mancher wichtigen Wahrheiten der Metaphysik«42 gereicht hätte. Mit anderen Worten ausgedrückt, braucht die Metaphysik das theoretische Gerüst anderer Disziplinen, wenn sie eine eigentlich wissenschaftliche Begründung anstrebt. Übrigens erhebt Bolzano nicht zum ersten Mal solche Ansprüche, denn das Zusammenspiel verschiedener Disziplinen hatte er bereits an anderer Stelle gefordert: Gewisse, sehr schwierige Wissenschaften, wie namentlich die Metaphysik, kann man unmöglich mit gutem Glücke zu bearbeiten hoffen, wenn man nicht alle Regeln, welche bei einem streng wissenschaftlichen Vortrage zu beobachten sind, zu einem recht deutlichen Bewußtseyn bei sich erhoben hat. Es ist sogar eine nicht unwahrscheinliche Vermuthung, daß die fast grenzenlose Verwirrung, welche in dieser und einigen andern, streng philosophischen Wissenschaften herrschet, nur daher rühre, weil wir noch keine vollkommen ausgebildete Logik besitzen43. Mit einer logischen Argumentationsreihe geht Bolzano auf den zweiten Teil des Einwands b) ein (für dessen Behandlung verweise ich auf den Abschnitt 4. dieses Beitrags). Im Folgenden beschränke ich mich auf diese Hervorhebung: das Bestimmbarkeitsprinzip, worauf sich der Einwand bezieht, ist nach Bolzano nicht nur auf die wirklichen, oder etwa nur auf jenen wirklichen Gegenstände anwendbar, die von uns wahrgenommen werden können, sondern auch auf die bloß möglichen44. 3. Der Begriff der Unendlichkeit 45 Der Beweisführung qualitativer Bestimmbarkeit des Unendlichen, welche die Möglichkeit eines wirklichen Bestehens desselben gewährleisten sollte, stellt nun Bolzano zwei Beweise für die Existenz des Unendlichen voran, die andere Wege durchlaufen. Ibi, §§ 19-20. Siehe dazu B. Van Rootselaar, Die ‚mengentheoretischen‘ Begriffe Bolzanos, in D.D. Spalt (hrsg.), Rechnen mit dem Unendlichen. Beiträge zur Entwicklung eines kontroversen Gegenstandes, Birkhäuser, Basel - Boston - Berlin 1990, S. 156-218; C. Tapp, Unendlichkeit in Mengenlehre und Theologie. Über tatsächliche und scheinbare Beziehungen, in J. Brachtendorf - T. Möllenbeck - G. Nickel - S. Schaede (hrsg.), Unendlichkeit. Interdisziplinäre Perspektiven, Mohr Siebeck, Tübingen 2008, S. 233-248. 42 Bolzano, Paradoxien, § 20, S. 28. 43 Id., Wissenschaftslehre I, § 9, S. 37. 44 Ibi, I, § 45, S. 209. 45 Zum Unendlichkeitsbegriff bei Bolzano vgl. auch F. Krickel, Teil und Inbegriff. Bernard Bolzanos Mereologie, Academia, Sankt Augustin 1995, bes. S. 249-256. 40 41 124 donatella colantuono 3.1. Der Beweis der Unendlichkeit in Bezug auf wirkliche Gegenstände46 3.1.1. Reductio ad absurdum: Unendliches ist nicht wirklich Die Existenz unendlicher Substanzen wird in der Athanasia zunächst von der göttlichen Vollkommenheit durch eine reductio ad absurdum abgeleitet: nimmt man erst an, dass das Unendliche nicht wirklich ist, dann muss man zugeben, dass selbst Gott als Wirklicher nichts Unendliches ist. Das ist aber eine für Bolzano nicht haltbare Position, auf die er auch in späteren Schriften hinweist. Man lese beispielsweise in der Wissenschaftslehre 47, dass »man doch wenigstens in Gott eine Wirklichkeit, die unendlich ist, zugeben müsse«48; und den Paradoxien49 zufolge gibt es ein Unendliches »auch auf dem Gebiet der Wirklichkeit selbst«50. Denn jeder, der zur Überzeugung der Existenz Gottes gelangt ist – eines Wesens nämlich, das die ganze Vollkommenheit auf ihrem höchstmöglichen Niveau in sich schließt51 – muss die Existenz eines Wesens annehmen, das Unendlichkeit sowohl in Bezug auf seine Erkenntnis besitzt (da er die Gesamtheit aller Wahrheiten kennt)52, als auch in Bezug auf sein Wollen (da er jedes einzelne mögliche Gute will) und auf seine Einwirkung auf das Äußere (da er allem nach seinem Willen Aktualität verleiht)53. Aus letzterem Merkmal folgt weiterhin, dass es außer ihm auch Wesen gibt, d.h. Geschöpfe, die irgendeine Spur von Unendlichkeit – wenigstens in der Menge, die sie bilden – enthalten. Denn schon früh in der Wissenschaftslehre wird die Aussage formuliert, dass »eine unendliche Menge von Wirklichkeiten noch allenfalls in Gott, oder auch unter den Substanzen im Raume zugestanden werden könne«54. Aber die Überlegung über die Existenz des Unendlichen auf dem Gebiet des Wirklichen geht so von der theologischen zur »phänomenologischen« Ebene über, wobei Bolzano zu zeigen bemüht ist, dass die Annahme des Unendlichen unter den existierenden Wesen dem Prinzip universeller Bestimmbarkeit nicht widerspricht. 3.1.2. Die Raumbestimmung Ein zweiter Beweis für die Existenz des Unendlichen unter den wirklichen Gegenständen wird in der Athanasia durch ein von der Erfahrung hergeleitetes Beispiel durchgeführt. Seine Gültigkeit beruht jedoch auf einem Begriff, dessen Bedeutung Bolzano erst in den Schriften zur Logik und Mathematik entfaltet, nämlich auf dem Begriff »Raum«. Siehe dazu L. Neidhart, Unendlichkeit im Schnittpunkt von Mathematik und Theologie, 2. Bd., Historischer und theologischer Teil, Cuvillier, Göttingen 2007, bes. S. 618-624. 47 Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 87. 48 Ibi, I, § 87, S. 413. 49 Id., Paradoxien, §§ 25-26. 50 Ibi, § 25, S. 36. 51 Vgl. auch Id., Religionswissenschaft I, § 67. 52 Vgl. auch Id., Wissenschaftslehre I, § 25, S. 113: »Aus der Allwissenheit Gottes folgt zwar, daß eine jede Wahrheit [...] ihm […] bekannt sey, und in seinem Verstande fortwährend vorgestellt werde«. 53 Über dieses Thema vgl. C. Tapp, Beobachtungen zur Lehre von der Unendlichkeit Gottes bei Bernard Bolzano, in K.F. Strasser (hrsg.), Bernard Bolzanos bessere Welt. Akten des Internationalen Tagung Salzburg, 27. und 28. Mai 2010, L. Marek, Brno 2011, S. 173-196. 54 Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 87, S. 414. 46 warum kann die seele ewig leben? 125 Ähnlich wie die Zeit wird auch der Raum als eine Bestimmung erklärt, die im Inbegriff der sogenannten »Orte, in denen [die Dinge] sich befinden« besteht. Diesem Inbegriff sollen alle wirklichen Dinge unterliegen, obwohl er selbst keine Wirklichkeit besitzt55. In den Paradoxien besteht Bolzano auf der Notwendigkeit zuzugeben, dass »auch im Raume die Menge der einfachen Teile oder Punkte, aus denen jene und dieser bestehen, unendlich [ist]«56. Genau so wie der Inbegriff von zwei neben einander stehenden Punkten unendlich ist, ist auch die Menge der von den beiden Punkten eingeschlossenen Teile unendlich. Eine solche Annahme verlangt jedoch den Begriff eines räumlichen Kontinuums57, in dem sie sich auf zwei nebeneinander stehende Punkte des Raums bezieht, zwischen denen noch unendlich viele Punkte liegen. Um Bolzanos Bezeichnung des Kontinuums zu verstehen, muss man zunächst einmal von der eben ausgedrückten Notwendigkeit der Annahme ausgehen, dass »es […] zwischen je zwei Punkten im Raume eine unendliche Menge dazwischen liegender gibt«, und dass folglich »durch zwei Punkte allein, ja auch durch drei, vier und jede bloß endliche Menge derselben noch kein Ausgedehntes erzeugt wird«58. Jeder Umfang muss ein Kontinuum sein oder eine unendliche Menge von Punkten, die auf einen genügend kleinen Abstand voneinander gesetzt sind: sobald wir uns aber einen Inbegriff von Puncten, der so geartet ist, denken, daß sich zu jedem einzelnen für eine jede auch noch so kleine Entfernung ein oder etliche Puncte, die diese Entfernung haben, in dem Inbegriffe befinden: so haben wir uns ein wahres Continuum (das entweder Linie, Fläche oder Körper seyn wird) gedacht59. Der Begriff »Kontinuum« ist also nicht allein für die geometrischen Figuren gültig, sondern auch für die Körper oder wirklichen Gegenstände, die aus dem Inbegriff von mehreren einfachen Substanzen bestehen60. Dies lässt mich zwei Definitionen des Begriffes »Kontinuum« formulieren61: die erste beruht auf dem Begriff des Raumes, während die zweite auf dem des Körpers beruht: I. Definition. Wirkliches Kontinuum beruhend auf dem Begriff des Raumes =def für jedes x gilt: x ist dann und nur dann ein wirkliches Kontinuum, wenn x ein Inbegriff von Substanzen ist und der Punkt des Ortes, in dem sich die Substanzen von x befinden, aus einem räumlichen Kontinuum besteht. II. Definition. Wirkliches Kontinuum beruhend auf dem Begriff des Körpers =def für jedes x gilt: x ist dann und nur dann ein wirkliches Kontinuum, wenn x ein Inbegriff von Substanzen ist und für jede Substanz xi von x gilt, dass es für jeden Abstand δ, der 55 Vgl. Id., § 40. Über Bolzanos Begriff des Raums vgl. P. Bucci, La teoria bolzaniana dello spazio e del tempo, «Rivista di Filosofia», 86 (1995), S. 241-259. 56 Bolzano, Paradoxien, § 17, S. 23. 57 Zum Kontinuumsbegriff bei Bolzano vgl. J. Berg, Einleitung zu B. Bolzano, Wissenschaftslehre §§ 307-348, BGA 1, 13/2, S. 22 f. und L.B. Kraus, Der Begriff des Kontinuums bei Bernard Bolzano, Academia, Sankt Augustin 2014. 58 Für dieses und voriges Zitat siehe Bolzano, Paradoxien, § 38, S. 73. 59 Id., Wissenschaftslehre III, § 315, S. 252. 60 Diesbezüglich vgl. auch Id., Paradoxien, § 38. 61 Es geht sich um die von Krause (Bolzanos Metaphysik, S. 112-113) dargelegten Erläuterungen. 126 donatella colantuono größer als 0 ist, eine Substanz xj von x gibt, die anders als xi ist, so dass der Abstand zwischen xi und xj kleiner als δ ist. Die Tatsache, dass in jedem Inbegriff der Abstand zwischen den Substanzen infinitesimal klein ist, ist die Grundlage eines Beweises für die Existenz des Unendlichen auch bei den wirklichen Gegenständen. Würde aber eine derartige Definition nicht angenommen, dann müsste man wenigstens einsehen, dass der kontinuierliche Charakter des Raumes ein Beweis für den kontinuierlichen Charakter der Körper ist, die sich in diesem befinden (I. Def.). Nun wird das in der Athanasia angeführte Beispiel, die Existenz des Unendlichen auch für die wirklichen Gegenstände zu beweisen, rückwirkend gerade durch den bisher betrachteten Begriff des wirklichen Kontinuums gerechtfertigt. Der Beweis beruht auf der Annahme, dass sich jeder Körper, der sich im Raum-Kontinuum bewegt, durch eine unendliche Reihe von wirklich existierenden Punkten bewegt: Wenn ein Körper, der vom Orte a ausgeht, mittelst einer z.B. geradlinigen Bewegung im Orte b anlangt, so ist offenbar, daß er in der Zwischenzeit durch alle zwischen den Puncten a und b gelegenen mittleren Puncte hindurchgegangen sein muß. Ist also c ein solcher zwischen a und b gelegener Punct, so ist der Durchgang des Körpers durch c ein Ereigniß, das seinen Anlagen in b als Bedingung vorhergehen muß62. Eine ähnliche Argumentation bringt Bolzano auch in seiner Wissenschaftslehre 63, mit dem einzigen Unterschied, dass er hierbei die Bewegung als eine Verschiebung in der Zeit beschreibt, aus deren unendlicher Teilbarkeit in »Augenblicke« eine Übereinstimmung derselben Zeit mit der Ewigkeit folgt: Und jede endliche Zeit, d.h. jede innerhalb zweier gegebener Augenblicke enthaltene Zeitdauer oder Zeitlänge erkläre ich als den Inbegriff aller der Augenblicke, die zwischen jenen zwei Grenzaugenblicken liegen. Diesen Erklärungen zufolge ist also kein Unterschied zwischen der Zeit und der Ewigkeit…64. So wird die unendliche Teilbarkeit des zeit-räumlichen Kontinuums zu einer Garantie für die Existenz des Unendlichen auf dem Gebiet des Wirklichen: jeder wirkliche Gegenstand, der eine Bewegung macht, geht durch eine unendliche Reihe von Punkten des Raumes und von Augenblicken der Zeit hindurch, denen eigentlich unendliche »Zustände der Existenz« entsprechen. Ich erinnere daran, dass – Bolzano zufolge – nur die existierenden Gegenstände in Raum und Zeit bestehen, und dass dem Wechsel zeit-räumlicher Bestimmungen verschiedene »Existenz-Zustände« entsprechen. Kurz gefasst, wenn sich seine zeit-räumliche Stellung ändert, ist ein Gegenstand nicht mehr derselbe, oder zumindest ist er ein Gegenstand mit ganz anderen Beschaffenheiten. So ist es beispielsweise im Fall des Raumes, wobei einer Ortsänderung auch eine Änderung der vorübergehenden Veränderungskräfte (oder der Anziehungskräfte) des Bolzano, Athanasia, S. 292, Anm. 22. Id., Wissenschaftslehre I, § 87, S. 414. 64 Id., Paradoxien, § 39, S. 77-78. 62 63 warum kann die seele ewig leben? 127 betreffenden Gegenstandes entspricht, während einer Zeitänderung eine Veränderung seiner inneren Beschaffenheiten entsprechen mag65. 3.2. Der Beweis der Unendlichkeit in Bezug auf nicht-wirkliche Gegenstände Die Frage nach der Wirklichkeit einiger Formen des Unendlichen scheint also eine Antwort durch die bisher nachkonstruierten Beweise gefunden zu haben: es geht wohl um eine durchaus bejahende Antwort66. Bolzano meint trotzdem, eine weitere Beweisführung beibringen zu müssen, indem er das Bestehen eines Unendlichen auch bei Gegenständen, die keine Wirklichkeit haben, nachzuweisen bemüht ist. Die nicht-existierenden Gegenstände sind die Gegenstände der Logik (Sätze und Vorstellungen an sich) und die Gegenstände der Mathematik (abstrakte Zahlen). 3.2.1. Das Unendliche von nicht-existierenden Dingen Besteht allerdings das von den Kritikern verwendete Argument des Unendlichen in der Unanwendbarkeit des Satzes vom Widerspruch auf die wirklichen Gegenstände – falls sie eine unendliche Anzahl ausmachen –, dann hält es Bolzano für unberechtigt, das Unendliche bei unwirklichen Gegenständen in Betracht zu ziehen und eine unendliche Menge von Wahrheiten an sich und abstrakten Zahlen anzunehmen. Und dennoch ist (streng genommen) die Annahme des Unendlichen bei nicht-existierenden Gegenständen eine Wahrheit, die für die Vernunft allein durch ihre eigenen Prinzipien viel leichter einzusehen ist, als diejenige über die Existenz einer wirklichen Unendlichkeit: diese greift jedoch in gewissen Teilen zur Erfahrung, während jene (rein erkenntnistheoretisch gesehen) der Erfahrung sogar vorangeht. Aus diesem Grund versucht Bolzano in einigen entscheidenden Abschnitten (sowohl der Wissenschaftslehre als auch der Paradoxien) nachzuweisen, dass es ein Unendliches auf dem Gebiet des Unwirklichen gibt (1), und dass der Satz vom Widerspruch auf diese anwendbar ist (2). Im Folgenden werde ich diese beiden Fragestellungen betrachten und zu zeigen versuchen, dass die Anwendung von logisch-mathematischen Prinzipien in der Metaphysik notwendig ist, um die Vernünftigkeit metaphysischer Lehren nachzuweisen. Der Beweis, dass es Wahrheiten an sich in unendlicher Zahl gibt67, ist notwendig für den Beweis des Unendlichen auf dem Gebiet des Wirklichen. In der Wissenschaftslehre kommt der Beweis vor, dass es wenigstens eine Wahrheit gibt für den Nachweis, dass es auch Wahrheiten an sich in unendlicher Zahl gibt. Die Behauptung Vgl. Id., Wissenschaftslehre I, § 45. Vgl. Id., Paradoxien, § 13, S. 13: »So ist die nächste Frage, ob er [der Begriff unendlich] auch Gegenständlichkeit habe, d.h. es auch Dinge gebe, auf die er sich anwenden läßt […] Und diese wage ich mit Entschiedenheit zu bejahen«. 67 Bezüglich »Existenz der nicht-wirklichen Gegenstände« oder »Sich-Geben derselben« ist erwähnenswert, dass Bolzano nur für wirkliche Gegenstände das Wort »Dasein« (oder »Wirklichkeit«) verwendet, während er für die Gegenstände der Logik (Sätze und Vorstellungen an sich) und der Mathematik den existentiellen Quantor »es gibt« verwendet, um zu betonen, dass es derartigen Gegenständen – den ersteren gegenüber – nicht möglich ist, Wirkungen hervorzubringen, wenigstens solange sie nicht zum Gegenstand eines Denkens und/oder eines Urteils werden. 65 66 128 donatella colantuono des »Nicht-Gebens« jedweder Wahrheit wäre nämlich widersprüchlich68. Gäbe es keinen wahren Satz – wie die Gegenposition zu Bolzano lautet –, dann wäre selbst der Satz »Es gibt keinen wahren Satz« – kraft seiner eigenen Aussage – falsch. Aber der Beweis für das Geben einer einzigen Wahrheit an sich führt zur Einsicht des Gebens unendlicher Wahrheiten an sich, wobei beide Beweise auf einem analogen Verfahren beruhen. Die Aussage, dass es außer der einzigen anerkannten Wahrheit keine weitere gibt, widerspricht dem anfänglich aufgefassten Satz einer (vermutlich) einzigen Wahrheit; denn einmal gesetzt, dass der erste Satz wahr ist, wird dieser Satz zu dem zweiten Satz werden. Ähnlich ist die Aussage, dass es außer den beiden bisher angenommenen Wahrheiten keine weitere gibt, noch ein dritter Satz, der anders als die ersten beiden ist; und dennoch, einmal festgestellt, dass die ersten beiden Sätze wahr sind, macht der weitere eine dritte Wahrheit aus. Da dieses Verfahren mehrfach – wenn nicht sogar ins Unendliche – wiederholt werden darf, kann Bolzano daraus schließen, »daß es der Wahrheiten mehre [sic!], ja unendlich viele gibt«69. Zur Illustration: Der erste Satz dieser Argumentation ist also »Es gibt keinen wahren Satz« [S]. Der zweite Satz lautet nun: »„Es gibt keinen wahren Satz“ ist wahr« [S1]. Darauf kann man den Satz [S2] bilden: »S1 ist wahr«. Dann folgt [S3]: »S2 ist wahr« usw. 3.2.2. Diskussion Bolzanos von Zweifeln an seiner These Trotz Bolzanos Überzeugung, dass sich eine unendliche Menge von Wahrheiten an sich »leicht einsehen läßt«70, erfordert der logische Skeptizismus vieler Gelehrter an der Existenz jedweder Art von Unendlichem, dass man die verschiedenen dazu erhobenen Zweifel einmal untersucht. Einer davon ist ähnlich wie jener, den Bolzano in der Athanasia erwägt und dann wieder in der Wissenschaftslehre vorbringt, ein unmissverständliches Zeichen für die thematische Kontinuität seiner Schriften: nämlich der Zweifel an der Unbestimmtheit unendlicher Mengen; die anderen, die zweitrangig sind, tauchen erst in den Paradoxien auf, quasi als eine Ergänzung zum Hauptargument. Mit diesem werde ich mich später noch beschäftigen. Im Folgendem mache ich zuerst Raum für die Untersuchung der sozusagen »geringeren« Zweifel. Dieser Untersuchung setzte ich jedoch die Bemerkung voran, dass Bolzanos Erwiderungen wohl auf einige Aussagen aus seiner anti-psychologistischen Auffassung der Logik beruhen71. 1) Der erste Zweifel lautet: Eine unendliche Menge kann es nirgends geben, weil niemand imstande ist, sich für jeden einzelnen Gegenstand entsprechende Vorstellungen zu bilden72. Worauf Bolzano so erwidert: Die Denkbarkeit des Unendlichen unterscheidet sich von seiner Darstellung durch die Einbildungskraft: Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 31, S. 145. Ibi, I, § 32, S. 147. 70 Id., Paradoxien, § 13, S. 14. 71 Vgl. Id., Wissenschaftslehre, § 19, S. 77. 72 Id., Paradoxien, § 14. 68 69 warum kann die seele ewig leben? 129 So ist z.B. auch der Begriff einer unendlichen Linie ein geometrischer Begriff, von dem somit auch eine geometrische Erklärung gegeben werden muß. Und gleichwohl ist es der produktiven Einbildungskraft sicher nicht möglich, einen Gegenstand zu erzeugen, der diesem Begriffe entspräche. Denn eine unendliche Linie vermögen wir uns durch keine Einbildungskraft zu zeichnen, sondern wir können und müssen sie nur durch den Verstand uns denken73. In diesem Sinne besteht die Denkbarkeit einer Menge von mehreren Gegenständen bloß darin, dass man sich einen Begriff vorstellt, der jedes Glied der betrachteten Menge einschließt. Zum Beispiel mag man an die Menge oder den Inbegriff der Bewohner Prags denken, ohne dass man sich zuerst einmal jeden einzelnen Bewohner vorgestellt hat, d.h. durch eine einzige Vorstellung. In diesem Fall reicht es also, den Begriff »Bewohner Prags« zu besitzen, welcher mit dem Begriff »Inbegriff« zu verbinden ist, woraus dann der »Inbegriff aller Bewohner Prags« entsteht. Es ist also nicht notwendig, sich für jedes Glied einer unendlichen Menge eine Vorstellung zu bilden. Vielmehr genügt es, von nur einem Glied der Menge eine Vorstellung zu denken und mit dem Begriff »Inbegriff« zu verbinden. 2) Der zweite Zweifel lautet: Es kann keine unendliche Menge geben, es sei denn, dass es jemanden gibt, der sie wirklich denkt. Bolzanos Erwiderung: Eine solche These impliziert die Verneinung des Gebens unendlicher Mengen von Sätzen und Wahrheiten an sich. 3) Der dritte Zweifel: Die notwendige Bedingung für das Bestehen eines Inbegriffs ist die (wenn auch noch nicht durchgängig verwirklichte) Möglichkeit seiner Denkbarkeit. Da es aber kein Wesen gibt, das imstande wäre, jeden Gegenstand einer unendlichen Menge sich einzeln vorzustellen, um dann diese Vorstellungen zusammenzustellen, ist es unmöglich, dass ein Inbegriff eine unendliche Zahl von Teilen enthält. Bolzanos Erwiderung: Das Gedacht-Werden-Können eines Gegenstandes ist nicht der Grund seiner Möglichkeit, denn die Möglichkeit kann niemals in Bezug auf ein denkendes Subjekt bestimmt werden. Das heißt: Wenn man unter »Möglichkeit« die bloße Vorstellung versteht, dann sollte man zugeben, dass das Unmögliche wohl denkbar ist, »wie wenn wir sagen, daß es keine Größe gebe und geben könne, welche durch 0 […] vorgestellt wird«74. Wenn man hingegen behaupten wollte, dass das Denken nicht eine bloße Vorstellung, sondern ein Fürwahrhalten ist, dann wäre es falsch, dass alles möglich ist, was man für wahr halten mag. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass man manchmal irrtümlich etwas Unmögliches für wahr hält, wie wenn man meint, eine Formel entdeckt zu haben, die sich nach genauer Betrachtung als falsch erweist. Die Erwiderung auf diesen dritten Zweifel erfordert es jedoch zu klären, was der Grund der Möglichkeit eines Gegenstandes ist. Dies könnte – vermutet Bolzano – in dem Fehlen an Widersprüchen bestehen. Denn es stimmt, dass alles, was einen Widerspruch enthält, unmöglich ist, wie zum Beispiel der Satz, »daß eine Kugel keine Kugel sei«75 unmöglich ist. Andererseits aber wollte man sagen, unmöglich 73 Id., Einleitung zur Grössenlehre, BGA, Nachlass, Reihe II, Bd. 7, hrsg. von J. Berg, 1975, § 11, Anm. 1, S. 73 [hier hervorgehoben]. 74 Id., Paradoxien, § 14, S. 19. 75 Ibi, § 14, S. 20. 130 donatella colantuono sei, was mit irgendeiner Wahrheit im Widerspruche steht, dann sollte man sagen: »Alles, was nicht existiert, ist unmöglich«, weil der Satz, dass es ist, der Wahrheit, dass es nicht ist, widerspricht. Diese Behauptung lässt aber nicht einmal die Unterscheidung zwischen »wirklich« und »möglich« sowie zwischen »möglich« und »notwendig« zu. Deshalb schlägt Bolzano ein Kriterium vor, das zum Maßstab für die Definition des Möglichen dienen kann: Möglich ist das, was einer bloßen Begriffswahrheit nicht widerspricht76. Es ist hierbei erwähnenswert, dass Bolzanos Möglichkeitskriterium einem seiner Wissenschaftskriterien entspricht. Damit eine Disziplin als »Wissenschaft« bestimmt werden kann, muss sie – Bolzano zufolge – über ein Gerüst von Begriffssätzen (oder von Sätzen, deren Gewissheit auf bloßen Vernunftgründen beruht) verfügen, welche nicht einmal durch Ableitungsverfahren oder Erfahrungen zu widerlegen sind77. Selbst die Naturwissenschaften beruhen auf Begriffssätzen, die allein durch Vernunftgründe einsichtig sind. Die Metaphysik hingegen besteht ausschließlich aus Begriffssätzen, die mit Erfahrungssätzen nicht widerlegt werden können78. Gibt es also einen Satz, der einer reinen Begriffswahrheit widerspricht, verdient er den Namen »unmöglicher Satz«. So ist zum Beispiel der Satz, welcher der reinen Begriffswahrheit »Gott ist unendlich« widerspricht, ein unmöglicher Satz, während derjenige, der ihr nicht widerspricht, möglich ist; genauso möglich sind alle von diesem richtig abgeleiteten Sätze, wie diejenigen über die Unendlichkeit erschaffener Substanzen. Kurz zusammengefasst: Bolzanos Verfahren besteht in der Beweisführung, dass die Leugnung der Existenz von Unendlichem auf dem Gebiet wirklicher Dinge die Leugnung des Gebens von Unendlichem bei unwirklichen Gegenständen mit einschließt. Mit anderen Worten impliziert sie, dass man durch reine Begriffswahrheiten in Widerspruch gerät. Bolzano war daher überzeugt, eine tragende Wand des von Kritikern des Unendlichen aufgebauten Gebäudes zerstört zu haben, indem er einerseits das Bestehen unendlicher Wahrheiten und Sätze an sich beweist, andererseits die Unmöglichkeit von Aussagen feststellt, die im Widerspruch zu Begriffswahrheiten stehen. Und dennoch, um die Argumentation zu beenden, bleibt noch ein Problem zu lösen: Kann man den Satz vom Widerspruch auf Unendliches anwenden? 4. Die Bestimmbarkeit unendlicher Mengen Ich komme jetzt zur Diskussion von Teil b) des Einwandes, und das ist jener, wonach eine seit ewig existierende wandelbare Substanz, die eine unendliche Folge von Veränderungen durchlaufen hat, nicht etwas Wirkliches sein könne. Folglich müssen alle wirklichen Dinge bestimmt sein, während die unendlichen nicht bestimmbar sind. Die strengste Beweisführung gegen die Existenz des Unendlichen auf dem Gebiet des Wirklichen lautet also, dass dies nichts Wirkliches sein könne, weil alle wirklichen Gegenstände bestimmt und bestimmbar sind79. Vgl. ibi, § 14. Diesbezüglich vgl. Id., Wissenschaftslehre III, § 283, S. 52: »Was aber durch Gründe der Vernunft gewiß ist, kann auch durch keine scheinbar entgegenstehenden Erfahrungen widerlegt werden«. 78 Vgl. Id., Was ist Philosophie?, S. 17. 79 Vgl. Id., Athanasia, S. 291, Anm. 22. 76 77 warum kann die seele ewig leben? 131 Die zuerst in der Athanasia entworfene Erwiderung zu diesem Einwand findet ihre ausführliche Erläuterung im Abschnitt 87 der Wissenschaftslehre. Darin vertritt Bolzano die allgemeine Auffassung, die unendlichen Mengen als etwas zu bezeichnen, was man weder angeben noch bestimmen kann. Es fragt sich nun, was eigentlich unter »angeben« und »bestimmen« zu verstehen sei. Bolzano meint mit »angeben« die Entstehung der Vorstellung eines Gegenstandes. Hierbei lautet der Beweis ähnlich wie im Fall des ersten Zweifels (vgl. 3.2.2), der die Möglichkeit einer richtigen Bestimmung unendlicher Mengen80 feststellt. Demzufolge ist aber die Fähigkeit des Angebens weder ein Faktum des Vorstellens – wie oben schon angedeutet – noch ein Darstellen in der Wirklichkeit, obwohl es »sogar nicht unmöglich ist, einen Gegenstand, der eine unendliche Menge von Theilen (etwa von einfachen Substanzen) enthält, in der Wirklichkeit darzustellen«81. Denn das Wort »bestimmen« ist treffender als »angeben«, vor allem, wenn man es nicht nur auf unwirkliche, sondern auch auf wirkliche Gegenstände bezieht. Was Bolzano eigentlich unter »bestimmen« versteht, ist hier die entscheidende Frage, worauf seine ganze Lehre der Möglichkeit des Unendlichen beruht: ein bestimmbarer Gegenstand ist einfach ein Gegenstand, auf den der Satz vom Widerspruch anwendbar ist. Im Abschnitt 45 der Wissenschaftslehre behandelt der Philosoph die Art, wie diese Bestimmung möglich ist. Er geht dabei vom »ontologischen Status« des Satzes vom Widerspruch aus. Handelt es sich um ein Denkgesetz oder um etwas anderes? Wäre es ein Denkgesetz, dann ließe es den Wahrheitswert der unendlichen Satzmenge nicht entscheiden, weil was den Wahrheitswert eines Satzes entscheidet, ist keinesfalls die Richtigkeit unserer Gedanken. Aber gilt einerseits der Satz vom Widerspruch (im Sinne von einem Gesetz des Denkens) nicht als Grund der Wahrheit, so ist es andererseits auch kein unsere Gedanken bindendes Gesetz. Es geht eher um ein Prinzip, das eine Beschaffenheit der Dinge in dem Sinne ausdrückt, dass der Widerspruch nur eine den Dingen selbst innewohnende Beschaffenheit sein kann. Hierbei betont Bolzano seinen überraschenden Standpunkt: der Satz vom Widerspruch ist deshalb nicht nur ein Gesetz des Denkens, das als Prinzip nach aristotelischem Muster für den gesamten Bereich des Wissens Geltung hat82, sondern es ist die Regel, der die Dinge selbst (und zwar die wirklichen wie die unwirklichen) zu gehorchen haben. Aber gerade aus diesem Grund ist es notwendig, den Satz vom Widerspruch so zu formulieren: »Einem jeden Gegenstande kommt eine gewisse Beschaffenheit entweder zu, oder nicht zu«83. In diesem Sinne kann der Satz vom Widerspruch als Wahrheitskriterium der Sätze betrachtet werden, und zwar nicht als Grund ihrer Wahrheit, sondern als ein Gesetz, anhand dessen festzustellen ist, ob etwas eine Beschaffenheit hat oder nicht. Ist die Beschaffenheit »wahr« und ihre entgegen gesetzte »falsch«, dann kann man mit dem Satz vom Widerspruch herausfinden, welche von diesen beiden Beschaffenheiten dem jeweils betrachteten Satz angehört. Id., Paradoxien, § 14. Id., Wissenschaftslehre I, § 87, S. 411. 82 Vgl. Aristoteles, Metaph. IV. 83 Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 45, S. 207. 80 81 132 donatella colantuono Dass ein derartiges Prinzip unterschiedslos für alle Sätze gilt, auch für die sogenannten Gemeinsätze, wobei die Subjektvorstellung eine Vielfalt von Objekten einschließt, steht nach Bolzano außer Frage. Der Satz vom Widerspruch Sagt nur, daß einem jeden einzelnen Gegenstande eine gewisse Beschaffenheit entweder zukommen, oder nicht zukommen müsse; nicht aber daß dieselbe Beschaffenheit, die einem Gegenstande zukommt, auch allen denjenigen Gegenständen gemeinschaftlich zukomme, die man mit ihm unter Einem und eben demselben Begriffe zusammenfassen kann84. So sind zum Beispiel die Sätze »alle Zahlen sind rational« und »alle Zahlen sind irrational« beide falsch und gegensätzlich, obwohl dies die Gültigkeit des Satzes vom Satz vom Widerspruch nicht berührt. Da letzterer nämlich in der Zuschreibung einer Beschaffenheit zu einem einzelnen Gegenstand besteht, erweist er sich als durchaus anwendbar auf jede einzelne Zahl, auf die sich der Gemeinbegriff bezieht. Denn man kann sagen: Die Sätze »Der Satz „die Zahl 2 ist rational“ ist wahr« und »Der Satz „die Zahl √2 ist irrational“ ist wahr« sind beide wahr. Es ist bemerkenswert, dass das hier betrachtete Beispiel eine Zahl betrifft, deren Umfang unendlich ist. Das macht deutlich, dass der Satz vom Widerspruch immer anwendbar ist, selbst im Falle unendlicher Mengen, etwa der Zahlen oder der Wahrheiten an sich. Ist aber dieses Argument für die unendlichen Hauptgegenstände der Logik (Sätze an sich und Wahrheiten an sich) gültig, dann ist es für die wirklichen Gegenstände selbstverständlich auch gültig. So ist zum Beispiel – behauptet Bolzano im Abschnitt 87 der Wissenschaftslehre – die Zahl der zwischen den Extremen a und b eines Segmentes liegenden Punkte wohl eine unendliche Größe, und dennoch ist sie erst dann bestimmbar, wenn die zwei Punkte a und b angezeigt werden, da nur diese Anzeige feststellen lässt, was zur oben genannten Größe gehört und was nicht, d.h. welcher Punkt zum betrachteten Segment gehört und welcher außerhalb liegt85. Ein ähnliches Argument wird auch in den Paradoxien vorgebracht: Doch dieses zuzugestehen, weigern sich selbst mehrere derjenigen Gelehrten, welche bei Dingen, die keine Wirklichkeit haben (wie bei den bloßen Sätzen und Wahrheiten an sich), eine Unendlichkeit nicht ableugnen zu können einsehen. Denn ein Unendliches sogar auf dem Gebiete der Wirklichkeit zuzulassen, das, meinen sie, werde durch den uralten Grundsatz, daß alles Wirkliche eine durchgängige Bestimmtheit haben muß, verboten86. Selbst in diesem Fall geht Bolzanos Erwiderung davon aus, dass man gegen den Satz vom Widerspruch nicht verstößt, wenn man einen Gegenstand für unendlich erklärt, indem man einfach behauptet, dass es eine Vielfalt von Teilen gibt, die sich von keiner abstrakten Zahl bestimmen lässt. Daraus folgt aber weder, dass diese Vielfalt überhaupt nicht bestimmbar sei, noch, dass es nur ein einzelnes Paar von entgegengesetzten und sich widersprechenden Beschaffenheiten gebe, welche beide davon jeweils zu behaupten oder zu verneinen sind. Beispielsweise: Was farblos ist – wie etwa ein Satz – kann Ibi, I, § 45, S. 210. Ibi, I, § 87, S. 412. 86 Id., Paradoxien, § 26, S. 37. 84 85 warum kann die seele ewig leben? 133 anscheinend durch die Spezifikation einer Farbe nicht bestimmt werden; was klanglos ist, kann durch die Spezifikation eines Klanges nicht bestimmt werden, usw. Trotzdem sind derartige Gegenstände nicht überhaupt nicht bestimmbar und bilden keinen Sonderfall gegenüber dem Prinzip, dass eines von zwei widersprüchlichen Prädikaten b und nicht-b jedem Gegenstand zuzuschreiben sei: denn »farblos« und »duftlos« sind Bestimmungen (wenn auch fernliegende Bestimmungen) etwa des Lehrsatzes von Pythagoras, genauso wie die einfache Behauptung, dass die zwischen a und b sich erstreckende Punktemenge unendlich ist, eine der Bestimmungen dieser Menge ist87. Wenn aber das Unendliche bestimmbar – sowohl im Sinne der Denkbarkeit als auch des Bestimmens – und als solches auch wirklich existent ist, dann ist eine Qualifizierung der unendlichen Existenzstadien, welche die einfachen Substanzen durchlaufen, möglich. Daraus ergibt sich, dass in Bolzanos Perspektive die Hypothese ihrer Unendlichkeit wenigstens plausibel (= nicht-widersprüchlich) ist. Abschließend fasse ich zusammen: Die Frage 1) nach der Rolle des Themas »Ewigkeit der Seele« in Bolzanos Denken konnte in zweifacher Hinsicht beantwortet werden. Dieses Thema ist in Bolzanos Hauptwerken nicht nur präsent, an ihm zeigt er vielmehr auf, wie zentrale Probleme der Metaphysik mit streng wissenschaftlichen und logischen Methoden diskutiert werden können. Das gelingt ihm allerdings nur im Rahmen einer gewissen Interdisziplinarität, die unser Philosoph vom Beginn seiner spekulativen Tätigkeit an als Ideal anstrebt: »Alle Wissenschaften stehen in einem gewissen Zusammenhange«88. Die Frage 2) nach der Bedeutung des Ausdrucks »Ewigkeit der Seele« beantwortet Bolzano mit zwei wesentlichen Bedingungen: unter der ontologischen Voraussetzung, dass die Seele eine einfache Substanz ist, entwickelt er die These, dass es für einfache Substanzen weder ein Entstehen noch ein Vergehen geben kann. Zudem besteht zwischen Gott (als Schöpfer) und den einfachen Substanzen eine Kausalrelation der Gleichzeitigkeit: wenn Gott ewig ist, sind auch die Substanzen ewig. Da der Begriff »Ewigkeit« impliziert, dass die Substanzen eine unendliche Reihe von Veränderungen durchgehen, zeigt Bolzano, dass das Unendliche bestimmbar ist; weil bestimmbar, daher auch möglich. So zeigt Bolzano am Begriff der ewigen Fortdauer der Seele, dass der Begriff des Unendlichen rational und logisch einsichtig diskutiert werden kann. Abstract Bernard Bolzano können wir mit Gewissheit einen vielseitigen Philosophen nennen, denn seine Interessen bedecken alle Bereiche der Logik bis zur den Wissenschaften des Übersinnlichen. Die Bolzano-Rezeption scheint sich in den letzten Jahren mehr der Metaphysik und Theologie zuzuwenden, nachdem sie sich anfänglich vorwiegend um die logisch-mathematischen Arbeiten bemüht hat. Tatsächlich hat Bolzano einen guten Teil seines Forscherlebens der systematischen Untersuchung metaphysischer Probleme gewidmet. Das geschah durchwegs mit der Absicht, diese Probleme verstandesmäßig und verständlich zu erklären. In diesem Aufsatz möchte ich die Einheit der Grundlagen von Bolzanos Denken aufzeigen. Dazu betrachte Ibidem. Id., Miscellanea theologico-philosophica, BGA, Philosophische Tagebücher 1803-1810, Reihe II B, Bde. 14-15, hrsg. von J. Berg, 2009, S. 11. 87 88 134 donatella colantuono ich einen beispielhaften Fall des Zusammenwirkens verschiedener Wissenschaftsbereiche: Die Darstellung der Unsterblichkeit des Geistes und seine Diskussion logischer und mathematischer Einwände, wie beispielsweise jenen der Unendlichkeit. Schlüsselbegriffe: Bernad Bolzano, Ewigkeit, Unendlichkeit, Seele, Unsterblichkeit Bernard Bolzano is doubtless one of the leading and multifaceted figures of Austrian philosophy in the 19th century. His achievements and contributions not only to philosophy proper but also to many other scientific and academic disciplines have been influential until today. In the last five decades the particular interest in his mathematical and logical thoughts has grown and Bolzano researchers estimate his main contribution to science and philosophy in his innovative Wissenschaftslehre. Yet according to Bolzano, the constituent disciplines of scientific philosophy are not only mathematics and logic but also metaphysics, ethics and theology. In this article I explain, beyond the logical-mathematical contributions, Bolzano’s metaphysical intentions in order to show that mathematics with logic can be understood in a more complex and deeper way with metaphysics. As an example of this interaction, I analyze Bolzano’s argument for the immortality of the soul and its connection with some logical-mathematical theories, such as the theory of infinity. Keywords: Bernard Bolzano, Eternity, Infinity, Soul, Immortality