2. K A MM E R KO N Z ERT T Ö NE E D M E R F R SPA S S LISCHE MUSIK A .30 UHR 2012, 19 A AL 2 1. N O V OZ A RT S A LLE , M H R E D LIE V OSSOLOL AV IER (194 6) M R E D N K A LE X A O T T UND OFJE W DUR E J PROK SER G U A R T E T T N R . 2 F Q S T REICH 41) 9 (1 2 9 OP. ENU TO RO SOS T 1. A L L EG IO 2. A DAG RO G E 3. A L L N, L B A RDO : MURIE V IOL INE N W IEDM A NICOL A BE Y E R T U M L V IOL A : A LO: JA N PA S EL V IOLONC KE SCHNIT T ALFREDR. 1 FÜR V IOLINE N S ON AT E 9 6 3) AV IER (1 L K D N U NTE 1. A NDA RO G E RO – 2. A L L – A L L EG O G R Z A ND O A R E 3. L H C S RE T TO 4 . A L L EG A L L EG R E T T O – O G L AR I O W IT ZK M A S BIL O H T : E V IOL IN BR A DY : G AV IN K L AV IER – PAUSE AG E F ÜR F 4 S T ÜCK T 1. CH A N TE T O V A 2. G IR) (S OU V EN E S L A V . 3 É 4. DÉF IL N HE R M A N : UL RICH A NDECK ER FA G O T T R : K AT RIN K L AV IER M OZ A R T S U E D A NG A M V 52 2 WOLFGAA LISCHER SPA S S KT« IK T EIN MUS IK A N T EN SE X T E , US E, V IOL A IN L IO V , »DORF M R 78 7) E (1 N S R S Ö EI H NTR ABA O K F ÜR Z W D N EL LO U V IOLONC IO RO OSO – TR 1. A L L EG . MAEST O T T E U 2 . MEN A BIL E IO C A N T 3. A D A G TO 4. P RE S ME R , IL IP P R Ö H P : N R HO A NN E W ICHM RDON S U S A NN L BA : MURIE ER V IOL INE CIA BE Y M U T LU L A : A S L A V IO NP E L L O: J A H AT T EL V IOLONC S S: M A NUEL S C BA KO N T R A – 13 M S C HE R I L A K I S U GIO V O N S ER MOR ABIT SPA SS O Von »Dorfmusikanten« scheint Mozart keine hohe Meinung gehabt zu haben: Sein Divertimento für zwei Hörner und Streicher parodiert stümperhafte Komponisten beim Versuch, eine Serenade zu komponieren. Köstlich verrutschte Tonfolgen, brillant verstolperte Themen und übertriebene Harmoniefolgen garantieren »musikalischen Spaß«. Auch Prokofjew sammelte »auf dem Dorf« Inspiration für sein zweites Streichquartett, in dem er volkstümlichorientalische Einflüsse aus der kaukasischen Region kunstvoll in die klassische Sonatenform einbindet. In der Sonatenform wagte auch Schnittke seine ersten Schritte auf neues Terrain: Die erste von drei Violinsonaten erschafft eine »tonale Welt mit atonalen Wegen«, in der Ironie ebenso ihren Platz findet wie eine Huldigung an das große Vorbild Bach. Mossolovs 4 Stücke inszenieren das Fagott als Charakterdarsteller. 14 2. KAMMERKONZERT F R EMD E T Ö NE Der heutige Abend lädt dazu ein, Fremdheit zuzulassen – und eben hierdurch einen besonderen Lustgewinn zu erfahren. Nicht nur wir als Hörer, auch die vier Komponisten dieses Programms haben sich ihr ausgesetzt. In ihren Werken wählen sie fremde Perspektiven auf das Material. Diese Fremdheit oder – neutraler formuliert – diese Distanz bestimmt sich für jeden anders. Ist es ein Zufall, dass drei der Komponisten Russen sind? Vielleicht. Weniger schon, dass Mozart in diesem Kreis durch einen »Musikalischen Spaß« vertreten ist. Antizipiert er doch mit diesem Spaß so manchen Streich der Virtuosen des NichtSinns des 20. Jahrhunderts, als die jene drei Russen mitunter agierten. Sergej Prokofjews (1891 – 1953) kammermusikalisches Œuvre ist äußerst schmal, die Domäne verinnerlichten bürgerlichen Musizierens war ihm wesensfremd. Sein Schaffen drängte in die epische Breite, in die großen Formate von Filmmusik, Sinfonik, Ballett und Oper. Alexander Mossolov (1900– 1973) komponierte die Vier Stücke für Fagott und Klavier nachdem der vitale Bezug zu seiner eigenen, spontan-avantgardistischen Kreativität durch die kulturpolitischen Repressalien der Stalinära zerstört worden war. Und Alfred Schnittke (1943– 1998) besann sich mit seiner Sonate für Violine und Klavier auf ein Genre, das – nach seiner Emanzipation und Blüte in der Wiener Klassik und den Beiträgen Beethovens – an Bedeutung verloren hatte: Schnittkes nur fünf Jahre später verfasstes zweites Werk für diese Besetzung wird die Fragilität des Gattungsbezug betonen, wie bereits sein Untertitel verrät: »Quasi una Sonata«. Mozart (1756 – 1791), gewiss ein Meister des kultivierten musikalischen Gesellschaftsspiels, erlaubt sich dessen lustvolle Störung, die er mit kunstvollem Ungeschick leichthändig ins Werk setzt, es in Leerlauf und Verwirrung stürzend. Alle vier schreiben so in gewisser Weise »Musik über Musik«. JE W PROKOFR. 2 J E G R E S RTE T T N S T REICH QUA Prokofjews zweites (und letztes) Streichquartett ist – im Unterschied zu seinem ersten – kein Auftragswerk. Die Wahl der Gattung geht diesmal auf seine kreative Initiative zurück. 1941 wurde der seit 1936 repatriierte Komponist mit anderen Künstlern in den Nordkaukasus evakuiert – zunächst nach Naltschik, der Hauptstadt der Kabardinischen Autonomen Republik, damals übrigens noch Kabardino-Balkarische Republik geheißen. Der Name wurde 1943 verkürzt, zeitgleich mit der auf Befehl Stalins innerhalb weniger Stunden erfolgten Deportation der Balkaren nach Zentralasien: Die muslimische Bevölkerungsgruppe war der Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht bezichtigt. Da war Prokofjew schon längst weiter über Tbilisi nach Alma Ata, und von Alma Ata nach Perm übersiedelt worden. FREMDE TÖNE 15 In Naltschik machte der Vorsitzende der dortigen Kunstkomission den Gästen Aufzeichnungen traditionellen Liedgutes zugänglich und regte zu dessen kreativer Auswertung an. Ziel war die Schaffung einer kabardinischen Kunstmusik. In seinem 1944 für das Sowjetische Informationsbüro verfassten Bericht Der Künstler und der Krieg notiert Prokofjew: »Das Material war in der Tat unverbraucht und urwüchsig […] Ich verfiel auf die Idee, ein Streichquartett zu schreiben. Es schien mir, dass eine Verbindung von neuer und unberührter östlicher Folklore mit der klassischsten aller klassischen Formen, wie sie das Streichquartett darstellt, interessante und überraschende Resultate ergeben könnte.« Das vollendete Werk wurde – zu Prokofjews größter Erleichterung – »von den dortigen Menschen, die ihre heimatlichen Lieder darin wiedererkannten, ebenso herzlich wie von der gestrengen Musikkritik aufgenommen«. Doch hinter aller Demut und Anspruchslosigkeit der offiziellen Absichtserklärung zeigt uns der intellektuelle Künstler in der Komposition selbst sehr wohl ›was eine Harke ist‹ (um in der bäuerlichen Sphäre zu bleiben). Die folkloristische Maskerade nutzt er als Lizenz, an die von der Doktrin des Sozialistischen Realismus längst verfemten Barbarismen der Frühphase der Moderne anzuknüpfen, zu welchen er 1915 als junger Komponist der Skythischen Suite seinen Beitrag geleistet hatte. Dem Material wird dabei alle »Stallwärme« ausgetrieben. Nicht anders als die bäuerliche Stube lässt Prokofjews Musik die bürgerlich-feudale Kammer hinter sich und tritt hinaus ins Freie. Das Genre dient ihm nicht als Medium intimer Aussprache eines bürgerlichen Subjekts. Statt auf Entwicklung setzt er auf Primitivismus, Reihung und Kontrast. Den Formenkanon der westeuropäischen Tradition – ein Sonatenallegro im ersten, ein Adagio in erweiterter Liedform im zweiten und ein Rondo-Finale im dritten Satz – handhabt er schablonenhaft. Der Ausdruck ist der von Befreiung und Bedrohung, von Evasion und Unheil zugleich. Scharf und hartnäckig klingt das erste von drei herb-querständigen Themen, aus denen das eröffnende Allegro sostenuto gefügt ist. Im breit stampfenden Reigen des Seitenthemas hat Prokofjews sowjetischer Biograph Iwan Nestjew einen Bezug zur ominösen Sdrawitsa-(»Trinkspruch«)-Kantate zu Stalins sechzigstem Geburtstag 1939 ausmachen wollen (gemeint ist wohl die Vertonung der Textstelle »Er hört und sieht alles, wie das Volk lebt und arbeitet.«). Die Schlussgruppe bringt eine Variation des ersten Themas. Der zweite Satz ist ein gleißendes Notturno: ein vom Cello in Sopranlage »espressivo« vorgetragenes gesangliches Thema, dessen Begleitfiguren das Spiel der kaukasischen Kamandscha, einer viersaitigen Fiedel, imitieren. Auch wo Prokofjews antiromantischer Ton in orientalisierende Süße umzuschlagen droht, wirkt die virtuose Raffinesse des Satzes im Verein mit metallischen sul ponticello-Effekten doch »erkältend«, distanzierend. In dieses Adagio ist eine Scherzo-Episode eingefügt: Über dem Pizzicato der andern Instrumente tändelt die Violine ein Ständchen. Der mutwillig-derbe Refrain des dritten Satzes ist ein synkopierter Gebirgstanz. Von starker Kontrastwirkung sind das lyrische Seitenthema in es-moll und eine zweite, eher burleske Episode sowie ein durch eine ausladende Violoncellokadenz eröffnetes Andante-molto – ein Gesang der Sologeige in hoher Lage über bewegten Zweiunddreißigstel-Figuren und -Kaskaden. In der letzten Wiederaufnahme des Refrains kommen perkussive col legno-Effekte zum Einsatz. 16 2. K AMMERKONZERT Und auch in diesem Satz klingen wieder wie im ersten voneinander harmonisch unabhängige Stimmen zusammen und tragen dazu bei, aus diesem Werk mehr und anderes zu machen als eine Verklärung sowjetischer Völkerfreundschaft. Seine Erstaufführung im verdunkelten, von der deutschen Luftwaffe bedrohten Moskau fand im September 1942 statt, mit aufgrund von Fliegeralarm, den das Publikum im Luftschutzraum verbringen musste, verspätetem Beginn. L OV R MOSSOT UND K L AV IER E D N A X A LE R FA G O T V IER S T ÜCK E F Ü Alexander Mossolov traf es härter als Prokofjew: Er, der eine der großen Zukunftshoffnungen der frühen sowjetischen Avantgarde gewesen war, dessen Kammermusik, Klaviersonaten, Lieder und Orchesterstücke, vor allem die dissonanzenreiche, bohrend rhythmische »Maschinenmusik« Sawod (Eisengießerei) auch in den Konzertsälen der westlichen Welt Furore gemacht hatte, wurde von seinen ästhetischen Gegnern zu Fall gebracht. Ein verzweifelter Brief des völlig Isolierten an Stalin verhinderte nicht, dass er wegen angeblicher öffentlicher Trunkenheit und Ruhestörung aus dem Komponistenverband ausgeschlossen und zu acht Jahren harter Zwangsarbeit verurteilt wurde. Nur der persönlichen Intervention seiner beiden prominenten Lehrer Reinhold Glière und Nikolai Mjaskowski war es zu verdanken, dass das Urteil in fünfjährige Verbannung abgemildert wurde. Seither nahm er von allen modernistischen Tendenzen Abstand und schrieb ungetrübt tonale Musik, mit der er den Forderungen des Sozialistischen Realismus zu entsprechen suchte. In den 1946 entstandenen Vier Stücken für Fagott und Klavier ist von der schockierenden Realität seines Frühwerks nichts zu spüren. Spielmusik der Resignation. A L F R ED KE SCHNIT TLINE UND K L AV IER NR . 1 S ON AT E F ÜR V IO Der 1998 in Hamburg verstorbene Alfred Schnittke ist 1934 in Engels an der Wolga geboren, damals Hauptstadt der Wolgadeutschen Autonomen Sowjetrepublik, deren Bewohner noch im Krieg deportiert werden sollten. Der Zwölfjährige begleitete seinen Vater 1946 nach Wien, als dieser Redakteur einer deutschsprachigen Zeitung der sowjetischen Besatzungsmacht wurde, und dort begann seine musikalische Ausbildung. Diese Sozialisierung hat sein gesamtes späteres Schaffen geprägt. Auch nach der Rückkehr in die Sowjetunion ist das geistige Band zu den Traditionen dieser Stadt nie zerrissen. Wie für viele Komponisten seiner Generation wurde auch für ihn der jüdisch-rumänische, 1939 in die Sowjetunion geflohene Berg- und Webern-Schüler Philip Herschkowitz zu FREMDE TÖNE 17 einer Schlüsselfigur. Herschkowitz vermittelte den von der westeuropäischen Avantgarde abgeschnittenen jungen russischen Künstlern das Vermächtnis des Schönberg-Kreises. Herschkowitz und seine Schüler, zu denen mit Schnittke auch Denisov und Gubaidulina zählten, konnten tatsächlich als »eine Art neue Wiener Schule in Moskau« bezeichnet werden. Schnittkes Annäherung an die Zwölftontechnik dokumentiert die 1963 entstandene 1. Violinsonate. Auch wenn sich Konzept und Begriff der Polystilistik in Schnittkes Schaffen erst einige Jahre später herauskristallisieren sollten, so ist bereits seine Aneignung der Reihentechnik durch einen starken Traditionsbezug charakterisiert, der den Komponisten selbst in Hinblick auf dieses Werk von »einer tonalen Welt auf atonalen Wegen« sprechen ließ. Die zugrunde gelegte 12-tönige Reihe ist tonalitätsorientiert: ihre Intervallstruktur besteht ausschließlich aus Terzfortschreitungen. Jeweils drei benachbarte Töne ergeben einen verminderten, einen übermäßigen, einen Dur- oder einen Moll-Dreiklang, oder auch eine gleichzeitige Moll- und Dur-Terz. Hinzu kommt eine allmähliche Lockerung des strengen Reihenbezugs im Verlauf der vier Sätze. Verrät diese Integration tonaler Bindungen Schnittkes Wahlverwandtschaft mit Alban Bergs »weicher« Interpretation der Zwölftontechnik, so ist die Sonate zugleich dem Vorbild Dmitri Schostakowitsch verpflichtet. Besonders Schostakowitschs Violinkonzert mit seinen dramatischen Kontrasten und dem musikalischen Zwiespalt zwischen SoloInstrument und Orchester hat großen Einfluss auf Schnittke ausgeübt. So lotet auch er in der gleichsam konzertanten Anlage der Geigenstimme seiner Sonate durch klangvolle Akkorde, Flageoletts, virtuose Doppelgriffe oder Vierteltonintonationen die technischen Möglichkeiten des Geigenspiels aus. An Schostakowitsch gemahnen zudem die skurill-grimme Motorik der beiden schnellen Sätze oder die Lyrik des dritten. Die Chiffre B-A-C-H ist – um einen Ganzton erhöht – den ersten vier Takten eines achttaktigen Akkordmodells aufgeprägt, die der langsame dritte Satz, eine Passacaglia, siebenmal wiederholt. Über dem Klavier schwingt sich die Geige in variierenden lyrischen Bögen vom tiefen G bis in höchste Lagen, um in der Coda mit Flageoletttönen zu verschweben. Neben diesem expliziten Bezug verweisen auch die kontrapunktischen Kunststücke der beiden Allegretto-Sätze (Augmentationen, Diminutionen, Imitationen etc.) auf Schnittkes Auseinandersetzung mit der Bachschen Tradition. Zudem greift die Satzfolge langsam-schnell-langsam-schnell mit der Struktur der italienischen Kirchensonate ein weiteres barockes Formmodell auf. Der rhythmisch entfesselte, geradezu jazz-artig fetzende vierte Satz resümiert Episoden der drei vorangegangenen, um am Ende eines auskomponierten Ritardandos, das noch einmal die Reihe in ihrer Grundgestalt zitiert, sein von der Geige pizzikiertes Thema über einem C-Dur-Akkord des Klaviers als Frage verklingen zu lassen. Der junge Schnittke entdeckt hier im Medium der seriellen Schreibweise eine »räumliche Wirkung« und spannungsvolle Mehrdimensionalität von »nah und fern« – Intentionen, die ihn bald zur Abkehr von eben dieser Schreibweise führen sollten. 18 2. K AMMERKONZERT WOL F A DEU S GA NG A M IK A EIN MUS L IS CHER M OZ A R T SPA S S Mozarts eigenhändiges Werkverzeichnis weist mit Datum vom 14. Juni 1787 den Eintrag auf: »Ein Musikalischer Spass, bestehend in einem Allegro, Menuett und Trio, Adagio und Finale. – 2 violini, viola, 2 corni e Baßo«. Das Autograph selbst ist undatiert. Der Anlass seiner Entstehung entzieht sich beharrlich dem Interesse der Forschung, deren Erkenntnisse die Orientierungslosigkeit eher steigern. So zeigen die Papieruntersuchungen, dass der erste Satz mindestens eineinhalb Jahre älter ist als die übrigen, aber auch bereits drei Jahre früher entstanden sein könnte. Teilweise hat Mozart Stimmen ausgeschrieben, teilweise in Partitur notiert. Die Violinstimme II des ersten Satzes hat er zudem in zwei Varianten ausgeführt, von denen keine mit einem Ungültigkeitsvermerk versehen ist. Auch die populär gewordene Bezeichnung als »DorfmusikantenSextett« führt nicht weit: Sie geht nicht auf Mozart, sondern auf einen späteren Herausgeber zurück. Durch die Dehnung des Entstehungszeitraumes verlieren biographische Spekulationen an Überzeugungskraft, wie etwa die von Hildesheimer über eine spontane kreative ›Fehlleistung‹ Mozarts anlässlich der Todesnachricht seines Vaters. Am überzeugendsten erscheint eine Assoziation Georg Kneplers. Er deutet das Werkchen als »breit ausgeführtes Exempel«, das in einer von Mozart geplanten kritischen Kompositionslehre seinen Ort hätte finden können. Im Dezember 1782 hatte er dem Vater das freilich nie zustande gekommene Projekt mit den Worten signalisiert: »… ich hätte Lust, ein Buch – eine kleine musikalische Kritik mit Exempeln – zu schreiben«. Kneplers These betätigt Hermann Aberts Beobachtung, die »eigentliche Parodie« gelte nicht den Interpreten, sondern »dem fingierten Komponisten des Stückes.« Selten sei, so Abert, »in der Musik so viel Geist aufgeboten worden, um geistlos zu erscheinen.« Und in der Tat: Der große Musikdramatiker zeigt sich hier als begnadeter Musikkomödiant. Er antizipiert die Poesie der großen Stummfilmkomiker, wenn sie unerwartet elegant eine Pirouette absolvieren oder sich betont unauffällig in die rechte Position zurück zu spielen versuchen. Als Hörer macht man eine ähnliche Erfahrung wie in einer gut gespielten Komödie von Molière: Ab einem bestimmten Moment kommt man aus dem Lachen nicht mehr heraus, gerade weil das »musikalische Subjekt« den Nonsens mit dem ernstesten Gesicht der Welt vorträgt. Das gravitätische Menuett scheint geradezu den ambitionierten Auftritt des »Bürgers als Edelmann« zu inszenieren. Das Adagio kultiviert die gedankenvoll-beseelte Gebärde, behauptet unerschütterlich, an den Fehltritten gänzlich unschuldig zu sein und geriert sich umso seriöser je halt- und hoffnungsloser die Situation wird – bis hin zum grandios missglückten Lagenwechsel des Violinisten in seiner Solokadenz. Und das Finale des polystilistischen Parcours nimmt gar Anlauf zu einem der erstrebten großen sinfonischen Form gemäßen Fugato. Der »dolce« zu blasenden Kakophonie im Menuett – als könne die dynamische Zurücknahme das Debakel mindern! – entsprechen die in fünf verschiedenen Tonarten hingerotzten Schlussakkorde des Werks, mit denen das entnervte Ensemble den Bettel hinschmeißt. FREMDE TÖNE 19