Grundformen der Hilfe Einzelfallhilfe Individuum (Primärgruppe) (Soziale) Gruppe Gruppenarbeit Individuum (Soziale) Gruppe Gemeinwesen, soziokulturelles Umfeld, Stadtteil (Soziale) Gruppe Gemeinwesenarbeit Individuum (Soziale) Gruppe Gemeinwesen, soziokulturelles Umfeld, Stadtteil Stationen der Entwicklung der sozialen Einzel(fall)hilfe • 1917 – Mary Richmond veröffentlicht ihr Buch „Social Diagnosis“, in dem Sie die Ergebnisse ihrer Beobachtungen der „friendly visitors“ der COS dokumentierte und aus der Alltagspraxis der Hausbesucherinnen eine methodische Vorgehensweise destillierte. Das Buch entwickelt ein Bild von der Sozialarbeiterin als „soziale Ärztin“. • 1927 – Nach einem Aufenthalt in Amerika veröffentlicht Alice Salomon angeregt durch Mary Richmond das Buch „Soziale Diagnose“. Ein breitere Rezeption findet die Methode in Deutschland nicht. • Nachkriegszeit – Die eigentlich Blütezeit der sozialen Einzelfallhilfe ist die Nachkriegszeit. Importiert wurden (auch und vor allem durch die rückkehrenden Emigranten) die amerikanischen Konzepte des social casework. Orientierung an der Psychoanalyse. Wichtige VertreterInnen in Deutschland: Ruth Bang, Marie Kamphuis, Herbert Lattke, Hertha Kraus. Wichtige VertreterInnen in den USA: Florence Hollis, Virginia Robinson, Ruth Smalley, Helen Perlman Definition und Merkmale der Sozialen Einzel(fall)hilfe Definition „Social Casework ist eine Kunst, bei der Erkenntnisse der Wissenschaft von den menschlichen Beziehungen und die Fertigkeit in der Pflege dieser Beziehungen dazu benutzt werden, Kräfte im Einzelmenschen und Hilfsquellen in der Gemeinschaft zu mobilisieren, die geeignet sind, eine bessere Einordnung des Klienten in seine ganze Umwelt oder in Teile seiner Umwelt herbeizuführen“ (Bowers, zit. nach Lattke 1955, S. 40). Merkmale • Soziale Einzelhilfe richtet sich immer an einzelne Individuen und lokalisiert die zu bearbeitenden „Probleme“ in den Individuen selbst. Nach Marianne Hege (1981, S: 146) ist die Grundannahme der Einzelfallhilfe dass soziale Probleme psychische Probleme sind. • Die Veränderungsabsicht bezieht sich folglich auf die Subjekte. „Die Aufgabe des Fürsorgers besteht deshalb darin, die Haltung des Klienten zu beeinflussen, auf einen Menschen einzuwirken – und das ist im Grunde genommen eine Führeraufgabe.“ (Alice Salomon 1926, S. 60). Ziel ist dabei eine bessere Balance zwischen Individuum und Umwelt. • Das Medium der Methode ist die „helfende Beziehung“. Die zentrale Frage lautet deshalb: „Wie wird die helfende Beziehung zu einem methodischen Hilfsmittel bei der persönlichen Hilfe“ (Ruth Bang 1970, S. 92). Elemente der Sozialen Einzel(fall)hilfe • In allen Konzepten finden sich mehr oder minder ausgeprägt formulierte moralische Prinzipien, die u.a. die Funktion haben, die Klienten vor Übergriffen zu sichern. • Die Phasierung des Hilfeprozesses. Orientierung am medizinischen Modell (Anamnese/Diagnose/Behandlung) • Anleitungen bzw. Techniken der Gesprächsführung (Formen der Gesprächsführung, Techniken des Fragens, nonverbale Unterstützung von Aussagen, atmosphärische Gestaltung einer Gesprächssituation, Anleitungen zum Zuhören und Beobachten usw.) Die 10. Gebote der Sozialen Arbeit „Du sollst 1. jeden Klienten als ganzen Menschen behandeln, d.h. als LeibSeele- und Geist-Einheit; 2. seine Selbsthilfekräfte entdecken und fördern; 3. ihn zum Partner am Hilfsvorgang werden lassen; 4. jeden Klienten so akzeptieren, wie er ist, und ihm Grenzen setzen, die er braucht; 5. nicht voreingenommen urteilen; 6. mit jedem Klienten dort anfangen, wo er steht; 7. mit seinen Stärken arbeiten; 8. es jedem Klienten ermöglichen, sich frei zu äußern; 9. ihm Helfen, sein Recht auf Selbstbestimmung und seine Pflicht zur Selbstverantwortung zu verwirklichen; 10. ihm helfen, sich selbst und seine Lage besser zu verstehen“ (Herbert Lattke 1961, S. 319 f.). Soziale Gruppenarbeit - Definition Wurzeln der Entdeckung der Gruppe als „pädagogisches“ Medium • Jugendbewegung • Reformpädagogik • Gruppendynamik • Nachbarschaftsheime/Settlements Definition „Gruppenarbeit ist ein Verfahren, mit dem Individuen innerhalb und durch kleine Primärgruppen geholfen werden soll, sich in wünschenswerter Richtung zu verändern. Dieses Verfahren erkennt die Kraft sozialer Kräfte an, die innerhalb kleiner Gruppen entstehen und versucht, diese Kräfte im Interesse der Veränderung von Klienten in Dienst zu nehmen. Die Bildung, Entwicklung und die Prozesse innerhalb der Gruppe werden vom Gruppenpädagogen bewusst und behutsam in Richtung der von ihm definierten Ziele seiner Hilfeleistung beeinflusst“ (Vinter 1970, S. 194 f.) Soziale Gruppenarbeit - Merkmale • Die Gruppe ist nicht Selbstzweck, sondern zugleich Ort und Medium der Erziehung. Im Mittelpunkt stehen Wachstum, Reifung, Bildung, Heilung und/oder Eingliederung des Einzelnen. Die Gruppe ist in diesem Verständnis Instrument pädagogischer Einflussnahme. • Von sozialer Gruppenarbeit kann erst dann die Rede sein, wenn ein in Gruppenpädagogik geschulter Experte als Leiter der Gruppe fungiert. Erst durch Schulung ist eine GruppenleiterIn in der Lage, sensibilisiert und technisch geschult, gezielt den Gruppenprozess im Interesse einer übergreifenden Zielsetzung zu beeinflussen. • Die Zielsetzung orientiert sich - wie schon bei der Einzelfallhilfe insbesondere bei den amerikanischen Autoren explizit an (re)integrativen Bestrebungen: es geht um soziale Anpassung (Newstetter) oder Steigerung der sozialen Funktionsfähigkeit (Konopka). Elemente der Sozialen Gruppenarbeit • Nutzung der Wissensbestände der Kleingruppenforschung (Gruppenbildungs- und –strukturierungsprozesse, Rollen etc.) • Handlungsleitende Prinzipien (Individualisieren, anfangen, wo die Gruppe steht, sich entbehrlich machen, Hilfen durch Programmgestaltung, erzieherisch richtige Grenzen setzen, (Schiller 1963, S. 139 ff.) • Phasierung des Hilfeprozesses (Faktenermittlung, Diagnose, Behandlung bei Gisela Konopka 1966) • Anleitung zu Rolle und Vorgehensweise der Gruppenpädagogen • Techniken und Verfahrensweisen (z.B. Soziometrische Verfahren, Techniken der Gesprächsmotivierung und –strukturierung wie Brainstorming, Podiumsgespräche etc.), Techniken der Selbst- und Fremdwahrnehmung wie z.B. Rollenspiel), spielerische, musische und gestalterische Elemente). Gisela Konopka Gemeinwesenarbeit - Definition Wurzeln • community organization (Verbesserung der Infrastruktur in urbanen Großstadtzentren, zumeist für Einwanderer) • community development (erwachsenenpädagogische Flankeriung der Besiedelung des mittleren Westens der USA) • Bürgerrechtsbewegung, Studentenbewegung Definition Gemeinwesenarbeit ist „die zusammenfassende Bezeichnung verschiedener, vor allem nationaler und im Laufe der Entwicklung der letzten Jahrzehnte unterschiedlicher Arbeitsformen, die auf die Verbesserung der soziokulturellen Umgebung als problematisch definierter, territorial oder funktional abgegrenzter Bevölkerungsgruppen (Gemeinwesen) gerichtet ist. Diese Verbesserung soll in methodischer Weise unter fachkundiger Begleitung durch theoretisch und praktisch ausgebildete Sozialarbeiter und unter aktiver Teilnahme der (entsprechenden) Bevölkerung(sgruppe) durchgeführt werden. Es geht hierbei um eine Anpassung der Problemgruppe an die Umgebung, um eine Veränderung der (Einstellungen, Verhaltensweisen der) Umgebung und um die gemeinsame Erarbeitung von, gemäß den entsprechenden kulturellen Normen, notwendigen Fertigkeiten oder Institutionen“ (Ludes 1977, S. 107). Gemeinwesenarbeit – Merkmale (Dieter Oelschlägel 1983, 1992) • • • • • • • Gemeinwesenarbeit zielt in ihrer Tätigkeit nicht unmittelbar auf das Individuum bzw. eine Kleingruppe, sondern auf großflächigere soziale Netzwerke, die territorial (Stadtteil, Nachbarschaft, Gemeinde, Wohnblock, Straßenzug), kategorial (bestimmte ethnisch, geschlechtsspezifisch, altersbedingt abgrenzbare Bevölkerungsgruppen), und/oder funktional (d.h. im Hinblick auf bestimmte inhaltlich bestimmbare Problemlagen wie Wohnen, Bildung etc.) abgrenzbar sind. Der Ausgangspunkt der Institutionalisierung von Gemeinwesenarbeitsprojekten liegt zumeist in sozialen Konflikten bzw. geteilten sozialen Problemen innerhalb eines sozialen Netzwerkes. Selbst in ihren konservativen Varianten werden die Probleme der Klienten immer im Kontext regionaler Bedarfs- und Bedarfsausgleichsstrukturen wahrgenommen. Gemeinwesenarbeit ist trägerübergreifend, ist orientiert an einer Koordination von und Kooperation zwischen verschiedensten Anbietergruppen sozialer Dienstleistungen innerhalb eines Gemeinwesens. Gemeinwesenarbeit ist methodenintegrativ, d.h. Gemeinwesenarbeit umfasst z.B. immer auch notwendig Formen der Gruppenarbeit, aber auch der Einzelfallhilfe. Das Ziel der Gemeinwesenarbeit ist die Aktivierung der Bevölkerung innerhalb eines Gemeinwesens, ist die Nutzung der Ressource Gemeinschaft zur Bearbeitung sozialer Problemlagen. Will Gemeinwesenarbeit zur Aktivierung der Bevölkerung beitragen, so muss sie notwendig auch Qualifizierungs- und Bildungsprozesse umfassen, die die Individuen über das bereits vorhandene Maß hinaus befähigt, ihre Probleme als Gemeinschaft selbst in die Hand zu nehmen. Konzepte der Gemeinwesenarbeit I A. Wohlfahrtsstaatliche Gemeinwesenarbeit Es geht hier weniger um Aktivierung der Bevölkerung zur politischen Einflussnahme innerhalb des Gemeinwesens, sondern um eine bessere Ausstattung von Sozialräumen mit sozialen Dienstleistungsangeboten, insbesondere auch deren Koordination und Organisation hinsichtlich der Abstimmung der unterschiedlichen, in dem jeweiligen Bereich tätigen Träger. Der Gemeinwesenarbeiter übernimmt die Rolle eines Dienstleistungsmanagers, der die technische Abstimmung von Angebot und Nachfrage zu optimieren beabsichtigt. B. Integrative Gemeinwesenarbeit (z.B. Ross 1968) Die integrative Gemeinwesenarbeit basiert auf der Annahme einer weitgehend gerechten Gesellschaft, in der die Bürger über verbriefte Freiheits-, Gestaltungs-, und (soziale) Sicherungsrechte verfügen, die es jedoch optimal zu nutzen gilt. Verbesserung der Funktionalität des Gemeinwesens bei gleichzeitiger Stärkung der Fähigkeiten zur Selbstorganisation ist die doppelte Zielrichtung dieses Ansatzes (vgl. C.W. Müller 1973a, S. 231), in dem der Sozialarbeiter die Rolle eines Katalysators der Formulierung von sozialen Bedarfslagen und deren Befriedigung im Rahmen bestehender gesetzlicher Möglichkeiten übernimmt. Konzepte der Gemeinwesenarbeit II C. Aggressive Gemeinwesenarbeit (Saul Alinsky 1974) Unter dem Begriff aggressive Gemeinwesenarbeit firmieren Ansätze, denen eine kritische Analyse der Gegenwartsgesellschaft zu Eigen ist, und die auf die Bedürfnisartikulation, Interessensvertretung und Verbesserung der Lebensbedingungen gerade benachteiligter Bevölkerungsgruppen zielen. Es bedarf der gezielten Organisation von Betroffenen zur Bildung einer Gegenmacht, die ihre Interessen auch mittels politischer Einmischung und Provokation durchzusetzen gewillt sind. Der Gemeinwesenarbeiter regt die Bildung von Bürgerorganisationen an und berät diese bei ihrem „Kampf“ gegen die etablierten Macht- und Herrschaftsstrukturen. „Neuere“ Entwicklungen • stadtteilbezogene Soziale Arbeit • Soziale Stadt und Quartiersmanagement • Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip Ertrag der klassischen Methoden der Sozialen Arbeit • Die klassischen Methoden sind Ausdruck für das Bestreben, an die Stelle der reinen Intuition und spontanen Hilfeleistung, verlässliche, kalkulierbare und effektive Verfahren zu etablieren, die planvolles berufliches Handeln erst möglich machen. • Die klassischen Methodenkonzepte haben verdeutlicht, dass sozialpädagogische Hilfeleistung nicht allein mit dem „großen Herzen“ zu leisten ist, sondern der Fundierung durch Wissen und Können bedarf. • Die klassischen Methoden haben mit der Einsicht in die Phasierung des Hilfeprozesses, der in neueren Konzepten produktiv weiterentwickelt wurde (vgl. B. Müller 1993b), einen Beitrag zur Systematisierung sozialpädagogischer Intervention geleistet. Kritik der klassischen Methoden der Sozialen Arbeit (vor allem Einzelfallhilfe und Gruppenarbeit) • Fehlende theoretische Fundierung: Die klassischen Methoden der Sozialen Arbeit erweisen sich bei genauer Betrachtung als eine diffuse Mischung von Techniken und Werten, die sich durch eine weitestgehend kritiklose Übernahme mittelstandsorientierter Werthaltungen auszeichnen. • Differenz zwischen gesellschaftlicher Funktion und Selbstwahrnehmung: Die klassischen Methodenkonzepte verschleiern das „doppelte Mandat“ der Sozialarbeit, d.h. ihr doppelter Auftrag von Hilfe und Kontrolle. (Selbstbild als „Sozialarzt“) • Individualisierung der Notlage und Pathologisierung der Klienten: Die von der Sozialen Arbeit zu „behandelnden“ Notlagen der Subjekte werden in erster Linie als psycho-soziale Notlagen wahrgenommen, als „soziale Erkrankungen“ des Einzelnen begriffen, deren Ursachen als individuelle Fehlentwicklungen und Fehlanpassungen interpretiert und folglich zum Gegenstand der Intervention werden. • Entlastung der Gesellschaft von strukturellen Problemlösungen: Die Individualisierung sozialer Probleme trägt bei zu einer Entlastung der Gesellschaft von strukturellen Lösungen.