Studentenbewegung und Methodenkritik (Kapitel 4)

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Sarah Hirsch, Barbara Kadeltz, Peter Pürrer, Christina Treiber
Müller, C.Wolfgang: Wie Helfen zum Beruf wurde (Band 2)
Sozialstaat und Gemeinwesen (Kapitel 3)
Hertha Kraus und die Rezeption von community organization
Kurz zur Person:
Studierte Volkswirtschaft, danach wurde sie Sekretärin der Quäker (= Gesellschaft der
Freunde; christl. Sekte), 1923 wurde sie Leiterin des Wohlfahrtswesen in Köln, wo sie
leerstehende Kasernen in Altenheime und Wohnungen umwandelte (settlement).
1946 gründete sie als Repräsentantin des Dachverbandes der nordamerikanischen Quäker
Nachbarschaftsheime.
Hertha Kraus ermöglichte der deutschen Sozialarbeit eine Teilnahme an internationalen
Konferenzen sozialer Arbeit und Wohlfahrt. Sie geht davon aus, dass die Entwicklung eines
Gemeinwesens von Leuten lebt, die sich zusammensetzen um einen Teil der ihnen
anvertrauten Angelegenheiten zu ordnen und zu gestalten.
Die deutsche Sozialarbeit konnte lange Zeit nichts mit den Methoden von Hertha Kraus
anfangen. Diese waren:
- soziale Mißstände zu beobachten und zu analysieren
- Öffentlichkeitsarbeit zu leisten
- Niveau der kommunalen Wohlfahrt anzuheben
Obwohl Gemeinwesenarbeit bereits in Form von Nachbarschaftsheimen gemacht wurde, war
man sich dessen nicht bewußt, weil diese Heime eher an Gruppenpädagogik orientiert waren.
Mitte der 60er Jahre befaßte sich der Verband Deutscher Nachbarschaftsheime mit der
Umstellung von Gruppenpädagogik zu Gemeinwesenarbeit. Gemeinwesenarbeit wurde
hauptsächlich über angloamerikanische Fachliteratur vermittelt. Sie besagte, dass
Sozialarbeiterinnen bei der Arbeit mit einzelnen den sozialen Kontext und die
nachbarschaftlichen Ressourcen bedenken sollten.
Historische Gründe für die amerikanische Entwicklung von Gemeinwesenarbeit und
Gemeindeaufbau
Community organization und community development wurden in der 2.Hälfte des 19. Jhd. in
den USA entwickelt.
Community organization:
Hat den Ursprung in amerikanischen Settlements. War eine Rekonstruktion
heruntergekommener großstädtischer Wohnquartiere in den überbevölkerten Elendsquartieren
der Ostküste.
Community development:
Entwicklungshilfe für die unterbevölkerten landwirtschaftlichen Einöden des mittleren
Westens.
Eine der ersten Funktion von GWA in nordamerikanischen Gemeinde war die Koordination
von Vereinen und Öffentlichkeitsarbeit.
Verband deutsche Nachbarschaftsheime
Mitte der sechziger Jahre schrumpfte das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik
Deutschland. Die Gemeindekassen leerten sich und die Lebensbedingungen verschlechterten
sich. Preiswerte Altbauwohnungen wurden total saniert und durch gewerbliche Bauten für
Konsum, Verwaltung und Dienstleistungen ersetzt. Die alteingesessenen Bewohner mußten in
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Satelitten-Siedlungen am Stadtrand ausweichen. Die Lebensqualität im Wohnumfeld sank
und die Lebenskosten stiegen. Nachbarschaftsheime, die bisher in traditionsreichen,
innerstädtischen Arbeitsquartieren tätig gewesen waren, zogen an den Stadtrand.
Burckhardthaus 1969/ Frankfurt
War eine Weiterbildungsstätte in Gemeinwesenarbeit und Gemeindeaufbau für Sozialarbeiter
und Pfarrer. Das Programm umfaßte 160 Lehrgangstage und wurde durch mehrfache
Praxisphasen vor Ort unterbrochen. Ziel des Burckhardthaus war zu verhindern das junge
Frauen vom Land, die in die Stadt zogen um Arbeit zu finden und zu heiraten, auf der Straße
landeten. Sie wurden in Wohnheimen untergebracht, bekamen eine hauswirtschaftliche
Grundausbildung und wurden anschießend an vertrauenswürdige Haushalte des Bürgertum
weitervermittelt. Daraus entstand die Evangelische weibliche Jugend Deutschlands und das
Burckhardthaus als Ausbildungsstätte für Gruppen- und Gemeindehelferinnen für diese
Mädchen.
Es gab 3 grundlegende Methoden:
1. Methoden zur Erfassung gesellschaftlicher Struktur (empirische Sozialforschung)
2. Methoden zur Arbeit mit Gruppen (Gruppenpädagogik und Gruppendynamik)
3. Methoden zur Systematisierung des gesamten Vorgehens von der Analyse bis zur
Aktion und Auswertung (Gemeinwesenarbeit)
Victor-Gollancz-Stiftung
Wurde 1948 aus Spendenmitteln gegründet
- Die Stiftung unterstütze zunächst Studierende der Sozialpädagogik und Sozialarbeit an
Fachhochschulen, Universitäten usw. mit Stipendien. Dieses Stipendium war an eine
persönliche und wirtschaftliche Betreuung der Stipendiaten durch ehrenamtliche
Mitglieder geknüpft.
- In einer nächsten Phase trat die Stiftung als eigenständiger Träger von Aus- und
Fortbildungs- Lehrgänge der Sozialen Arbeit hervor. In der Stiftung wurde sehr
methodenzentriert gearbeitet.
Es gab in der Stiftung sowohl Arbeitsgruppen für Einzelfallhilfe als auch Arbeitsgruppen die
sich mit Gemeinwesen beschäftigen. Die Untersuchungen der Arbeitsgruppe GWA forderte
für die künftige Aus- und Fortbildung in Gemeinwesenarbeit
- ökonomische und politische Rahmenbedingungen kommunaler Politik und Planung zu
bestimmen.
- Entwicklungstendenzen der Sozialarbeit im Zusammenhang mit staatlicher
Infrastrukturpolitik einzuschätzen
- Niederschlag dieser Determinanten in den Strukturen der Institutionen und Gruppen
im kommunalen Bereich zu analysieren.
Als empirisches Material standen zahlreiche Projektbeschreibungen bundesdeutscher
Gemeinwesenarbeit und Stadtteilarbeit zur Verfügung.
1975 verschwand die Victor-Gollancz-Stiftung von der Fortbildungsbildfläche, weil das
Bundesministerium für Familie, Jugend und Gesundheit die Finanzierung eingestellt hatte.
Studentenbewegung und Methodenkritik (Kapitel 4)
Der Arbeiterkreis Kritischer Sozialarbeiter (AKS)
Im Zuge der Studentenbewegung 1968 in allen großen Städten Deutschlands entwickelte sich
auch seitens der Sozialarbeit die zu Beginn aus Berliner Sozialarbeitern bestehende Gruppe
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„Arbeiterkreis Kritischer Sozialarbeiter“, die in den nächsten Jahren eine wichtige politische
Rolle innerhalb der Sozialarbeiter-Bewegung spielen sollte. Diese Gruppe verfolgte 2
Strategien: a) die radikal-demokratische Position (Reformbedürftigkeit der Gesellschaft,
Verbesserung der Arbeitsbedingungen der SA, jedoch Einhaltung der demokratischen
Spielregeln); b) die sozialistische Position (Überwindung des Kapitalismus durch
Bewußtseinsänderung der SAer)
Fast parallel dazu erschien monatlich die „Sozialpädagogische Korrespondenz“ (SPK) –
eine Art Berufszeitung, die sich für die Thematisierung und Bewältigung gemeinsamer
Konflikte und Miseren von SAern und anderen sozialen Berufssparten einsetzt.
Herausgegeben wird sie von 3 SAern der AKS.
Der im Mai 1970 in Nürnberg stattfindende Vierte Jugendhilfetag wird u.a. dazu verwendet,
die AKS und SPK über die Grenzen Berlins bekanntzumachen. Mehr noch, die AKS plante
den von der althergebrachten Arbeitsgemeinschaft für Jugendpflege und Jugendfürsorge
(AGJJ) veranstalteten Kongreß als Forum zu benützen und, gut vorbereitet, ihre Ziele zu
verkünden und evtl. durchzusetzen:
a) den Ausbeutungs- u. Klassencharakter der Jugendlichen der Arbeiterklassen zu
verdeutlichen
b) die gesellsch. Bedingungen und die bisherige system-stabilisierende Funktion der
Jugendhilfe zu demonstrieren
c) Wege für eine systemüberschreitende politische Praxis der SAer aufzeigen und sie
motivieren, diese Wege auch zu beschreiten
Der AKS brachte den Jugendhilfetag mit ihrem Auftreten gehörig durcheinander und
brüskierten den konservativen Teil der Teilnehmer. Die Sozialistische Aktion Jugendhilfetag
(unter diesen Namen trat die AKS hier in Erscheinung) zeigte auf, daß eine neue Generation
von sozialpädagogischen Praktikern sich nicht mehr widerstandslos dem überkommenen
Idealbild ihres Berufsstandes auslieferte. Auch einige der offiziellen Vertreter der AGJJ haben
erkannt, daß sie damit für die Weiterentwicklung der SA und Sozialpädagogik viel erreicht
haben.
Methodenkritik
Die SPK machte in den Jahren 1970 und 1971 den Beginn, sich mit den drei Methoden der
SA kritisch auseinanderzusetzen. Das Problem dabei war jedoch, daß diese Kritik maßgeblich
aus Lehrbuch-Übersetzungen aus dem Englischen bestand, nicht jedoch in Hinblick auf die
praktische Anwendung vor Ort reflektiert war.
Die Einzelfallhilfe wurde kritisiert, daß sie zwar die zwischenmenschlichen
Beziehungsprobleme aufgriffen, nicht jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu den
Problemen führt. An der Gruppenarbeit wurde bekrittelt, daß sie ihren politischen Anspruch
verloren habe und sich zu therapieähnlichen Behandlungsformen Einzelner ohne
Zusammenhang zum sozialen System reduziert habe. Die Kritik an der Gemeinwesenarbeit
(nach Murray G. Ross): „Da es unmöglich ist, im bestehenden ‚System‘ die Mittel den
Wünschen anzupassen, müssen die Wünsche den Mitteln angepaßt werden.“ (Müller: S 142).
Es folgt eine Spaltung des AKS zwischen den Anhängern der außerinstitutionellen,
politischen Arbeit und der Mehrheit, die sich vorrangig für die politische Tätigkeit am
Arbeitsplatz einsetzten. Diese verbleibende Mehrheit verfolgte eine Strategie durch
Langfristigkeit, Zusammenhang zwischen inner-institutionellen Demokratisierungsprozessen
und Unterstützung von betroffenen Bevölkerungsgruppen.
Bei der Analyse und Konstruktion methodischen Arbeitens in der SA sind lt. Müller 3 Ebenen
der Problemformulierung und –bearbeitung zu berücksichtigen:
a) die Makro-Ebene der gesamtgesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen
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b) die Mezzo-Ebene der Einbindung von Einrichtungen und Maßnahmen der SA innerhalb
der Institutionen, Gesetze und Rechtsverordnungen
c) die Mikro-Ebene konkreter Interaktionen zwischen SA und Klienten
In der Folge begann in Deutschland eine breite Diskussion über (insbes. alternative)
Erziehungsmethoden von Kindern und Jugendlichen (Summerhill, israelische KibbuzErziehung, etc.), die teilweise bereits von Vorreitern entwickelt waren.
Im Zuge der Hochschulreform wurde das Projektstudium an vielen Universitäten
durchgesetzt, auch in den erziehungswissenschaftl. Studien mit Schwerpunkt "Sozialarbeit
und Sozialpädagogik". Neu am Projektstudium war, daß die Studenten anhand von realen
Problemen und Situationen in den gewählten Berufsfeldern (mittels Aufbau von eigenen
Praxisfeldern) "forschend lernen" und somit Wissen aneignen. Dabei sind 4 Stufen zu
beachten:
1. Hochschullehrer wählen ein Praxisfeld aus, das gesellschaftl. relevant war
2. Vorbereitung auf die Probleme des Feldes durch Vorlesungen, Seminare und
Fachliteraturstudium, Entwicklung einer ersten "Untersuchungstätigkeit" mit kritischer
Hinterfragung der erlernten Theorie
3. Formulierung von Fern-, mittelfristigen und Nahzielen und Formulierung von meth.
Einzelschritten mit lfd. Dokumentation
4. Auswertung der gesamten Projektarbeit und Versuch, wieder an die fachwissenschaftl.
Annahmen anzuknüpfen  Abschlußarbeiten, die teilw. bei pädag. Verlagen veröffentlicht
wurden
Müller ist ein Vertreter dieses Projektstudiums und definiert 3 Strukturmerkmale für dessen
Bedeutung: Projektstudium ist Gruppenstudium; Projektstudium ist praktiziertes forschendes
Lernen; Projektstudium ist berufsfeldbezogenes Studium an wenigen, exemplarischen
Gegenständen.
Kunstreich, Timm: Grundkurs Soziale Arbeit – SECHSTER BLICK
Ansätze zu Heimalternativen
Heiminsassen, die in der Lage gewesen wären über die Vorfälle in Glücksstadt zu berichten
wurden in andere Heime gebracht (BOOCK nach Renkshausen).Dort wurden sie mit
Studenten der Pädagogischen Fakultät der Uni Franfurt konfrontiert. Dies waren Andreas
Bader, Gudrun Ensslin, Thorwald und Astrid Proll. Die Gruppe war an einer KaufhausBrandstiftung in Frankfurt beteiligt gewesen und wurden bis zum Entscheid der Revision auf
freien Fuß gesetzt mit der Auflage eine soziale Tätigkeit wahrzunehmen.
Ihre Idee war es, zur Freude der Heiminsassen, die Erziehungsheime zu leeren.
Als Alternative bot man ihnen Frankfurt, wo man bei Studenten unterkommen konnte. Viele
nutzten diese Chance und in Spitzenzeiten fanden sich 300 – 400 abgetauchte illegale
Zöglinge in studentischen Wohngemeinschaften wieder. Auf die Dauer war diese Lösung
allerdings nicht finanzierbar und die Gruppe um Bader, Ensslin bemühte sich, Alternativen
zur bisherigen Heimerziehung durchzusetzen.
Eine Forderung der Ex-Heiminsassen war eine Abschaffung der geschlossenen
Heimerziehung, als Alternativen wurden vom Jugendamt finanzierte Wohnungen gefordert.
Allerdings wollte man seitens der Ex-Heiminsassen keine sozialarbeiterische Betreuung, da es
unter den Studenten sehr unterschiedliche Meinungen über geschlossene Heimerziehung gab
(manche wollten die Heime z. B. nur offener machen). Die Heiminsassen hingegen wollten
alles abgeschafft sehen.
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Die Forderung nach Wohnungen konnte nach einer Besetzung des Frankfurter Jugendamts
durchgesetzt werden.
Zu dieser Zeit mußte die Gruppe um Bader und Ensslin untertauchen, da ein Haftbefehl gegen
sie erlassen worden war. Diese Gruppe waren aber die einzigen, die nicht Existierendes
verändern wollten, sondern es abschaffen und ersetzen wollten, was wiederum der Grund war,
weswegen die Heiminsassen genau mit dieser Gruppe zusammenarbeiten wollte.
Nachdem Verschwinden der Gruppe wurden Sozialarbeiter eingestellt, die die einzelnen
Wohngruppen betreuten. Diese vertraten sämtliche Fraktionen der linken Frankfurter
Studentenschaft, was dazu führte, dass Wohngruppen politisch bestimmt waren und aufgrund
dieser Entwicklung wurde der Einfluß des Jugendamts wieder größer.
Die geschlossene Heimerziehung wurde schließlich abgeschafft, Glückstadt 73 oder 74
infolge des Prozesses der um den damaligen Aufstand stattfand geschlossen.
Bei den Sozialarbeitern trennte sich die Spreu vom Weizen. Es gab eine Gruppe, die ernsthaft
versuchte ihre Ansprüche durchzusetzen und aufhörte in dem Projekt mitzuarbeiten. Die
andere größere Gruppe, die vor der Verbeamtung stand und diese nicht aufs Spiel setzen
wollte, passte sich an.
Mit Abschluß des Projekts kehrten wieder die alten Strukturen ein: Es gab wieder Autoritäten
(die Sozialarbeiter) und Bittsteller (die Betreuten).
Das Fehlen einer zentralen Koordinaton führte auch zu Splittergruppen unter den Zöglingen.
Die einstmalig bestandene Solidarität – Zöglinge geeint gegen Institution – war gesprengt.
Soziale Gruppenarbeit (SGA)
Anfangs war das Ziel der SGA explizit die Demokratisierung der gesellschaftlichen
Verhältnisse. Es entwickelte sich aber immer mehr auf die Anpassung und therapieähnliche
Behandlung des einzelnen hin.
Eine Definition, bei der die selbsttätig bewußte Änderung zur Demokratie hin überhaupt nicht
mehr vorkommt: SGA ist eine Methode der SA, die den einzelnen durch sinnvolle
Gruppenerlebnisse hilft, ihre soziale Funktionsfähigkeit zu steigern und ihren persönlichen
Problemen, ihren Gruppenproblemen oder den Problemen des öffentlichen Lebens besser
gewachsen zu sein.
SGA beruht auf der Überzeugung, daß sich Menschen durch diese Art der Interaktion, unter
der Leitung eines Gruppenleiters, weiterentwickeln, d. h. auf eine von der Institution
angestrebte Norm hin entwickeln.
Dem Gruppenarbeiter sind dabei folgende Prinzipien vorgegeben:
Individualisieren: Gruppe ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um dem einzelnen zu
helfen.
Anfangen, dort wo die Gruppe steht und die Menschen zu akzeptieren, ohne ihr ganzes
Verhalten zu akzeptieren.: Gruppenarbeiter bezeugt Solidarität doch nur bezogen auf die
besondere (Problem-)Situation.
Hilfe zur Programmgestaltung: Gruppenarbeiter macht Vorschläge, wenn der Gruppe nichts
einfällt
Erzieherisch richtig Grenzen setzen: Der SA versucht gewisse Normen und Vorstellungen
durchzusetzen, die nicht die der Gruppenmitglieder sein müssen.
Kritik
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Macht- u. Herrschaftsverhältnisse, Klassenkonflikt, ökonomische Ungleichheit, Konflikt
zwischen Individuum und Institution bleiben unberücksichtigt.
Überhaupt ist die gesamte Literatur über SGA darauf ausgerichtet, den Interessensgegensatz
und die Konfliktmöglichkeiten zwischen Institution und Gruppe zu überspielen, indem sie
eine mögliche Harmonie unterstellt. Dieses Harmoniekonzept setzt Gruppen voraus, die
Gruppenarbeit passiv über sich ergehen lassen bzw. sich im Rahmen des institutionellen
Spielraums bewegen.
Aus einer Kritik von C.W. Müller „In ihrer Anwendung hat Gruppenarbeit mit Gesellschaft
wenig zu tun, sondern beschäftigt sich mit den relativ zwanglosen Bereichen der Geselligkeit.
Ihre Gesellschaftsvorstellung geht an den Realitäten der kapitalistischen Gesellschaft, den
Zwängen des Arbeitsvertrages, den über den Markt vermittelten Beziehungen zwischen
Menschen vorbei….“ Von diesem Standort aus kann Demokratisierung…….nur als möglichst
perfekte Kompensation sozialer Defizite gesehen werden“.
Die Kritik an der SGA fiel auch deshalb so massiv aus, weil von vielen das Leben und
Arbeiten in Gruppen selbst erfahren wurde, in Wohngemeinschaften, Studiengruppen,
Kinderläden etc.
Im Gegensatz zu den selbstorganisierten Gruppen wird bei der SGA eine von einer Institution
zusammengestellte Gruppen gegründet, der Gruppenleiter legt fest, wie er die Gruppe dahin
bringt, wo er sie haben will. Die Kompetenz zur Problemformulierung liegt eindeutig beim
Professionellen und nicht bei der Gruppe selbst.
In der Praxis allerdings überschritt die Arbeit in und mit Gruppen von Beginn an den engen
Horizont der SGA.
Am deutlichsten ist das anhand der Jugendzentrums-Bewegung dokumentiert.
Die damals entstandenen 3 Konzepte
Selbstorganisation,
anti-kapitalistische Jugendarbeit und
emanzipatorische Konzepte
definierten „Gruppenarbeit“ zwar unterschiedlich, alle aber in deutlicher Abgrenzung zur
SGA.
Diese drei Ansätze gingen Ende der 70er Jahre in einen breiten bedürfnisorientierten Ansatz
auf.
Welche Bedeutung hat die Gruppe im jeweiligen Ansatz und inwieweit unterscheidet
sich das jeweilige Konzept von dem der traditionellen SGA?
Alle drei Ansätze kritisieren:
- den Objektstatus der Gruppe und die unkritische Anpassung an vorgegebene
gesellschaftliche Integrationsanforderungen.
- Die technokratische Anpassung an diese Verhältnisse und das Leugnen der damit
zusammenhängenden Widersprüche (technokratisches Denken meint, dass bestimmte
Probleme wie z. B. die Fragen, woraufhin ein System funktioniert, welche
Wertsetzungen seinen Funktionalismus bestimmen und ob der Funktion nicht die die
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Humanisierung geopfert wird bzw. ob es nicht nur um leistungs- und
konkurrenzbestimmte Effektivität geht)
Was macht eine Gruppe aus (unterschiedliche Ansätze der versch. Konzeptionen)?:
Die emanzipatorische Variante stellt die Gruppe als Lernfeld in jeglicher Hinsicht in den
Vordergrund, in dem sich die Jugendlichen aktuell vorfindbare Gesellschaft aneignen.
Die anti-kapitalistische Orientierung befaßt sich mit Arbeiterjugendlichen, deren
Lebensumstände durch Abhängigkeit und materielle Benachteiligung gekennzeichnet sind.
Deren Lage kann also nur im Klassenzusammenhang gesehen werden.
Beide Ansätze waren sehr theoretisch und wurden strukturunabhängig weiterentwickelt:
von Diethelm Damm
Dieser trat vor allem für eine bedürfnisorientierte Jugendarbeit ein, die sich an den tatsächlich
vorhandenen Bedürfnissen orientiert (wie auch immer diese aussehen).
von Hellmut Lessing
Der eintrat für eine offene Jugendarbeit, bei der Pädagogen nicht Probleme für die
Jugendlichen lösen, sondern unterstützend in der Durchsetzung deren Interessen wirken. Der
Pädagoge soll nicht dem Träger verantwortlich sein, sondern den Jugendlichen.
Gemeinwesenarbeit (GWA)
Bis Ende der 60er hatte die GWA nur geringe Bedeutung im deutschen Raum. Dem Begriff
fehlte der Gegenstand, da in der damaligen Sozialarbeit technologische Kontrolle- und nicht
Ermutigung zur Selbstorganisation- angesagt war.
Die Idee Gemeinwesenarbeit als 3. Methode neben SEH und SGA zu etablieren wurde zwar
viel diskutiert aber vorerst nie praktisch ausprobiert.
In einer ersten, stürmischen Phase der Entwicklung der GWA im deutschen Raum versuchte
man Bevölkerungsgruppen zu aktivieren.
Als theoretische Grundlage dafür nahm man eine Mischung aus Marx mit neueren
sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen.
Man begann über traditionelle Arbeitsmethoden hinauszugehen: so war es z.B.
selbstverständlich, dass diese erste Generation von GWA- Sozialarbeitern im selben Stadtteil
wohnte indem sie auch arbeitete. Diese ersten GWA- Sozialarbeiter waren professionelle
Sozialarbeiter, Nachbarn und Betroffene in einem.
Die erste Euphorie dieser Sozialarbeiter wurde allerdings gedämpft- man mußte sich
eingestehen, dass man die hohen theoretischen Grundsätze, die man sich gesteckt hatte im
praktischen Leben nicht realisieren konnte.
In einer zweiten Phase gab man den begonnen Ansatz allerdings nicht auf sondern versuchte
professionelle Konzepte stadtteilbezogener Arbeit zu entwickeln.
Begriffe wie: „kategoriale GWA“ oder „ funktionale GWA“ wurden eingeführt, sie
beschrieben ob es sich um Arbeit mit bestimmten Zielgruppen oder um funktionale GWA für
spezifische Funktionen handelte.
Die dritte Entwicklungsphase der GWA fand Ende der 70er Jahre statt, GWA wurde jetzt als
Arbeitsprinzip gesehen.
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Identitätsstrategien als Professionalität
 Personalifizierende Professionalität
Bei diesem Ansatz werden die gesellschaftlichen Bedingungen des Klienten weitgehend
ausgegrenzt. Notlagen der Klienten werden als persönliche Defizite interpretiert, die durch
gesetzlich verankerte Hilfen abgewendet werden können.
Verwaltung wird als Notwendigkeit (sie erhält den Status des Sozialarbeiters) und
Arbeitsteilung angesehen, Interessen des Staates werden mit den Interessen des Individuums
gleichgesetzt.
 Klinische Professionalität
Vorstellung einer relativen Unabhängigkeit individueller Defizite des Klienten von der
Gesellschaft die ihn umgibt. Der Sozialarbeiter sieht sich als „klinischer Experte“, die
Beziehung zum Klienten ist gekennzeichnet durch Beratung, Diagnose, Behandlung oder
Therapie.
 Solidarische Professionalität
Die Defizite des Klienten werden nicht als persönliche Defizite gesehen, sondern ergeben sich
aus den gesellschaftlichen Bedingungen des Klienten und seiner Klassenzugehörigkeit.
Sozialarbeiter haben mit ihren Klienten eine gleichberechtigte Beziehung.
Zwischenbilanz
Am Ende des „Sechsten Blicks“ läßt der Autor sozialarbeiterische Techniken des letzten
Jahrhunderts Revue passieren. Er unterscheidet sie grob in das „Modell Ausbau“ und das
„Modell Umbau“. Das Modell Ausbau kann man als sozialtechnologisches und das Modell
Umbau als sozial- partizipatives Modell definieren.
Schnittstellen dieser beiden Modelle bezeichnet der Autor als „Soziale Orte“ die sich aus den
Lebenswelten der Klienten ergeben und die zu Konflikten führen können wenn verschiedene
Handlungsmuster aufeinandertreffen.
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