Kinder psychisch kranker Eltern:

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Kinder psychisch kranker Eltern:
Auswirkungen psychischer Erkrankungen von Eltern auf Kinder
F. Mattejat
8. Jahreskongress Psychotherapie
des Hochschulverbundes Psychotherapie NRW
und der Psychotherapeutenkammer NRW
20./ 21. Oktober 2012
Gliederung
• Ein Ausgangspunkt: Die Arbeit mit psychisch kranken Kindern
• Häufigkeitsabschätzungen: Wie viele Kinder leben mit
psychisch kranken Eltern?
• Die Transmission von psychischen Erkrankungen: Das
Erkrankungsrisiko bei den Kindern
• Psychosoziale Belastungen bei Kindern psychisch kranker
Eltern: Ansatzpunkte für mögliche Interventionen
• Resilienz: Gelingendes Leben trotz widriger Bedingungen
Ria 1 - Kind einer psychisch kranken Mutter
• Ria ist das einzige Kind einer Mutter, die unter einer BorderlinePersönlichkeitsstörung leidet.
• Geb. 1979; Mutter bei Geburt 18 Jahre. Wechselnde Wohnorte, wechselnde
Partnerschaften, überwiegend alleine erziehend. Sehr stark wechselnde
elterliches Betreuungs- und Zuwendungsmilieu.
• Im Alter von ca. 6 bis 10 Jahren: Wiederholter sexueller Missbrauch durch die
Mutter und durch andere Personen. Keine juristische Aufklärung.
• Die Grundschul-Klassenlehrerin schildert Ria als ein extrem auffälliges und
liebebedürftiges Kind; Empfehlung für das Gymnasium.
• Zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr extrem provozierendes Verhalten
gegenüber der Mutter; Entwenden von Geld, Alkohol- und Drogenkonsum,
heftige Auseinandersetzungen. Die Mutter berichtet, sie habe Ria dabei auch
„zusammengeschlagen“.
• Ab 12 Jahren: Häufig wechselnde sexuelle Kontakte, „wobei sie sich
prostituierte“.
Ria 2 - Kind einer psychisch kranken Mutter
• Im Alter von 13 hat sich Ria von sich aus bei Jugendamt gemeldet „weil sie ein normales
Leben führen wollte“.
• Heimaufnahme mit 13; immer wieder in kurzen Abständen stationäre Aufenthalte in der
zuständigen kinderpsychiatrischen Klinik, zunehmende Verschlechterung. Mehrere
Suicidversuche.
• Verlegung nach Marburg. Seit 1997 (mit 17 Jahren) in einer speziellen
Rehabilitationseinrichtung für psychotische Jugendliche, da sie im Heim zu stark
gefährdet war.
• Ab 1997: Mehrere Stationäre Behandlungen in der Universitätsklinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie in Marburg. Trotz hoher neuroleptischer Medikation keine
durchgreifende Verbesserung.
• Arztbrief vom Mai 1998: Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie (F 20.0).
Stimmenhören und paranoide Ängste nie vollkommen abgeklungen. Stupuröse
Zustände. Imperative Stimmen, sich zu suicidieren, mehrere Suicidversuche. Immer
wieder Bericht von den Missbrauchserfahrungen mit Halluzinationen.
Häufigkeit von psychiatrisch relevanten Erkrankungen bei den Eltern von
Patienten einer stationären Inanspruchnahme-population KJP Marburg
(Mattejat & Remschmidt, 2008)
Diagnosen der Eltern
Vätern
n=978
Mütter
n=1035
Eltern
n=1083
Schizophrenien
11
1,1%
21
2,0%
31
2,9%
Affektive Störungen
(Depression/Manie)
46
4,7%
92
8,9%
129
11,9%
Neurotische und
somatoforme Störung
43
4,4%
109
10,5%
141
13,0%
Hyperkinetisches Syndrom
11
1,1%
10
1,0%
18
1,7%
Legasthenie
9
0,9%
15
1,4%
23
2,1%
Suicidale Handlungen
18
1,8%
23
2,2%
39
3,6%
Alkoholismus,
Drogenmissbrauch
186
19,0%
72
7,0%
224
20,7%
Kriminalität
39
4,0%
7
0,7%
43
4,0%
Summe: Irgendeine
psychiatrisch relevante Störung
332
33,9%
334
32,3%
523
48,3%
Genaue Analyse von ambulanten kindertherapeutischen Fällen:
Ausbildungstherapien 2008
Staatliche Prüfung Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie Schwerpunkt
Verhaltenstherapie; Sept. 2008 und 2010
• 42 Fälle; ambulante Therapien; meist leichter bis mittlerer Schweregrad. Hohes
Engagement, gute Supervision; erfolgreicher Therapieverlauf. Sehr gut dokumentiert.
[Also: Keine „desolaten“ Fälle, eher positive Auswahl.]
• In 6 (14%) Fällen hatten die leiblichen Eltern, zu denen kein Kontakt mehr bestand,
schwere psychische Störungen (Drogenabusus, Borderline-Störung)
• In 12 Fällen (= 29%) lag bei den Eltern eine Achse-V-dokumentierte psychische
Störung vor (1 Organisches Psychosyndrom; 2 „major“ Depressionen; 1
Alkoholkrankheit), mit stationären psychiatrischen Aufenthalten.
• In 21 (50%) Fällen lagen bei den Eltern psychische Auffälligkeiten oder leichtere
psychische Störungen (mit ambulanten Behandlugen / Hilfsmaßnehmen) vor.
• Insgesamt wurden somit bei 39 von 42 Fällen (93%) psychische Störungen bzw.
Auffälligkeiten der Eltern festgestellt. In drei (7%) Fällen hatten die Eltern keine
psychischen Auffälligkeiten oder Störungen.
Gliederung
• Ein Ausgangspunkt: Die Arbeit mit psychisch kranken Kindern
• Häufigkeitsabschätzungen: Wie viele Kinder leben mit
psychisch kranken Eltern?
• Die Transmission von psychischen Erkrankungen: Das
Erkrankungsrisiko bei den Kindern
• Psychosoziale Belastungen bei Kindern psychisch kranker
Eltern: Ansatzpunkte für mögliche Interventionen
• Resilienz: Gelingendes Leben trotz widriger Bedingungen
Kinder psychisch kranker Eltern:
Häufigkeitsabschätzungen für die BRD
• Epidemiologische Daten (12-Monats-Prävalenzen psychischer
Erkrankungen 15-30%) Konservative Schätzung (15% psychische
Erkrankungen): Im Verlaufe eines Jahres erleben etwa 3
Millionen Kinder einen Elternteil mit einer psychischen Störung.
• Stationäre Versorgungsdaten: 175.000 Kinder machen pro Jahr
die Erfahrung, dass ein Elternteil wegen einer psychischen
Erkrankung stationär psychiatrisch behandelt wird.
Kinder psychisch kranker Eltern:
Eingrenzung auf schwere psychische Erkrankungen
(Severe mental illness, SMI)
Menschen mit
• schizophrenen, schiozaffektiven oder anderen psychotischen Störungen, bipolar
affektiven Störungen, schweren depressiven Störungen oder Persönlichkeitsstörungen
• bei denen die Störung bereits länger (in der Regel über zwei Jahre besteht)
• und mit erheblichen Auswirkungen auf die Aktivitäten des täglichen Lebens und das
soziale Funktionsniveau einhergeht.
(AWMF S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen; 2012; Th.
Becker, Ulm)
Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen (Severe Mental
Illness; SMI)
van der Ende et al.: Parents with severe mental illness. Epidemiological data. Tijdschrift voor
Psychiatrie 53 (2011) 11, 851-853
Hochrechnung
Niederlande
Übertragen
auf die BRD
16.500.000
82.000.000
Anzahl der Personen zwischen 18 und 64
Jahren
7.300.000
49.500.000
Jahresprävalenz mit psychischen
Störungen (=18%) bei 18-64jährigen
1.300.000
9.000.000
140.000
940.500
Davon SMI-Patienten mit Kindern
67.500
445.500
Davon ca. die Hälfte mit abhängigen
Kindern
33.750
222.750
Einwohnerzahl
SMI-Patienten bei 18-64jährigen (= 1,9%
der Gesamtbev. in der Altersgruppe und
ca. 10% der Personen mit psychischen
Erkrankungen)
Gliederung
• Ein Ausgangspunkt: Die Arbeit mit psychisch kranken Kindern
• Häufigkeitsabschätzungen: Wie viele Kinder leben mit
psychisch kranken Eltern?
• Die Transmission von psychischen Erkrankungen: Das
Erkrankungsrisiko bei den Kindern
• Psychosoziale Belastungen bei Kindern psychisch kranker
Eltern: Ansatzpunkte für mögliche Interventionen
• Resilienz: Gelingendes Leben trotz widriger Bedingungen
Erkrankungsrisiken: Beispiel Schizophrenie
Lebenslanges Risiko für Schizophrenie (%).
Erstgradig Verwandte (Eltern, Geschwister, Kinder) von Patienten mit einer Schizophrenie haben ein ca. 10fach
erhöhtes Risiko, ebenfalls an einer solchen Erkrankung zu erkranken; monozygote Zwillinge haben eine höhere
Konkordanzrate als dizygote Zwillinge. Modifiziert entsprechend Zahlen aus der Literatur nach [2–4].
dz Zwillinge = dizygote (zweieiige) Zwillinge; mz Zwillinge = eineiige (monozygote) Zwillinge
AUS: SCHOSSER A, KINDLER J, MOSSAHEB N, ASCHAUER H
Genetische Aspekte affektiver Erkrankungen und der Schizophrenie. Journal für Neurologie, Neurochirurgie
und Psychiatrie 2006; 7 (4), 19-24 Abgerufen 25.02.2008 bei: http://www.kup.at/kup/pdf/6160.pdf
Lebenszeitrisiko für unipolare Depression bei Verwandten unipolar Depressiver
Erstgradig Verwandte (Eltern, Geschwister, Kinder) von Depressiven haben ein erhöhtes Risiko, ebenfalls an einer Depression zu
erkranken; monozygote Zwillinge haben eine höhere Konkordanzrate als dizygote Zwillinge. Modifiziert entsprechend Zahlen aus der
Literatur nach [1]; die Zahlen entsprechen dem Durchschnitt aus den vorliegenden Studienergebnissen. dz Zwillinge = dizygote
(zweieiige) Zwillinge; mz Zwillinge = eineiige (monozygote) Zwillinge
AUS: SCHOSSER A, KINDLER J, MOSSAHEB N, ASCHAUER H
Genetische Aspekte affektiver Erkrankungen und der Schizophrenie. Journal für Neurologie, Neurochirurgie
und Psychiatrie 2006; 7 (4), 19-24 Abgerufen 25.02.2008 bei: http://www.kup.at/kup/pdf/6160.pdf
Folgen elterlicher psychischer Erkrankungen
in der Kindheit: Beispiel depressive Störungen
Sehr gute Studienlage mit übereinstimmenden Ergebnissen:
Kinder mit einem depressiv erkrankten Elternteil (verglichen
mit Kindern von gesunden Eltern) weisen eine deutlich erhöhte
psychiatrische Störungsrate auf:
• Metaanalysen: Etwa 61% der Kinder von Eltern mit einer
schweren („major“) Depression entwickeln im Verlaufe der
Kindheit/Jugend eine psychische Störung.
• Die Wahrscheinlichkeit für psychische Störungen im Kindesund Jugendalter ist um das 4-fache erhöht (Beardslee, 2007,
2011).
Interaktion zwischen genetischen und Umweltfaktoren
Beispiel Depression:
(Caspi et al., Science, 2003 Influence of life stress on depression: Moderation by a
polymorphism in the 5-HTT gene)
• Die Arbeitsgruppe um Moffitt und Caspi untersuchte die Frage, wie
genetische Ausstattung und Umweltbelastungen zusammenwirken.
• Genetische Ausstattung: Über 800 Probanden wurden nach dem
Serotonin-Transporter-Gen (5-HTT-Gen) eingeteilt in drei Gruppen
(s/s), (s/l), (l/l).
• Umweltbelastungen: Bei jedem Probanden wurde untersucht, wie
viele mit starkem Stress verbundene Lebensereignisse er erfahren
hatte.
• Auswirkungen: Dann wurde untersucht, wie sich die genetische
Ausstattung und die Lebensereignisse auf spätere depressive
Symptome / Erkrankungen auswirken.
Depression: Interaktion zwischen genetischen und
Umweltfaktoren
(aus Caspi et al., 2003)
.50
.40
.30
.20
.10
Gruppeneinteilung
nach den Allelen
des SerotoninTransporter-Gens:
s= kurzes Allel
l = langes Allel
Beispiel: Dissoziales Verhalten bei Jugendlichen
Aus: Psychische Krankheit und Gefährlichkeit; Vorl. Hans Schanda, 7. & 14.03. 2012
Zwischenbilanz
• Gen-Umwelt-Interaktion bedeutet praktisch: Kinder von psychisch kranken Eltern
haben häufig eine erhöhte Verletzlichkeit/Sensibilität für negative Umwelteinflüsse.
D.h. sie reagieren häufiger als andere Kinder sensibel auf belastende Bedingungen
wie z.B. Misshandlungen.
• Deshalb ist es wichtig, dass gerade Kinder von psychisch kranken Eltern vor
Zusatzbelastungen geschützt werden.
• Genau das Gegenteil ist aber der Fall: Kinder von psychisch Kranken Eltern leben
häufiger unter besonders ungünstigen Rahmenbedingungen mit multiplen und
schweren Belastungen.
• Unsere Aufgabe besteht darin, die objektive Benachteiligung von Kindern psychisch
kranker Eltern aufzuheben oder zumindest abzumildern.
• Hieraus ergibt sich die Frage: Welche Belastungen kommen bei Kindern psychisch
kranker Eltern gehäuft vor und wo haben wir Ansatzpunkte für Hilfestellungen?
Gliederung
• Ein Ausgangspunkt: Die Arbeit mit psychisch kranken Kindern
• Häufigkeitsabschätzungen: Wie viele Kinder leben mit
psychisch kranken Eltern?
• Die Transmission von psychischen Erkrankungen: Das
Erkrankungsrisiko bei den Kindern
• Psychosoziale Belastungen bei Kindern psychisch
kranker Eltern: Ansatzpunkte für mögliche Interventionen
• Resilienz: Gelingendes Leben trotz widriger Bedingungen
Welche psychosozialen Belastungen treten bei Kindern
psychisch kranker Eltern gehäuft auf?
(1)
Die Situation der Kinder
(Berichte der Kinder, Interviews mit den Kindern)
(2)
Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der elterlichen Kompetenz - Die
Elterliche Fähigkeit, für die Kinder zu sorgen, sie zu schützen und zu erziehen
(Eltern-Kind-Interaktionsforschung)
(3)
Kumulierung von mehreren psychosozialen Risikofaktoren
(Epidemiologischen Forschung)
Welche psychosozialen Belastungen treten bei Kindern
psychisch kranker Eltern gehäuft auf?
(1)
Die Situation der Kinder
(Berichte der Kinder, Interviews mit den Kindern)
(2)
Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der elterlichen Kompetenz Elterliche Fähigkeit, für die Kinder zu sorgen, sie zu schützen und zu erziehen
(Eltern-Kind-Interaktionsforschung)
(3)
Kumulierung von mehreren psychosozialen Risikofaktoren
(Epidemiologischen Forschung)
Berichte der Kinder von psychisch kranken Eltern:
Wie wird eine schwere psychische Erkrankung der Eltern erlebt, wenn
Kinder mit ihren Erfahrungen alleine gelassen werden?
• Desorientierung und Angst: Sie können die Erkrankung nicht
einordnen und nicht verstehen.
• Schuldgefühle: Sie glauben, dass sie schuld sind. „Mama ist
krank/durcheinander/traurig“ weil ich böse war.
• Tabuisierung: Sie haben das (begründete) Gefühl, dass sie mit
niemandem darüber sprechen dürfen.
• Isolierung: Sie wissen nicht, mit wem sie darüber sprechen können.
Sie fühlen sich alleine gelassen, sie ziehen sich zurück.
Berichte der Kinder von psychisch kranken Eltern: Die wichtigsten
Probleme
• Betreuungsdefizit: Sie erhalten zu wenig Aufmerksamkeit.
• Abwertungserlebnisse: Eltern und sie selbst werden von anderen
abgewertet.
• Loyalitätskonflikte innerhalb der Familie: Das Gefühl, sich zwischen
Vater oder Mutter entscheiden zu müssen.
• Loyalitätskonflikt nach außen hin: Sie schämen sich für die Eltern:
Konflikt zwischen Loyalität und Distanzierung.
• Parentifizierung: Verantwortungsverschiebung: Sie übernehmen
Verantwortung für die Eltern.
Welche psychosozialen Belastungen treten bei Kindern
psychisch kranker Eltern gehäuft auf?
(1)
Die Situation der Kinder
(Berichte der Kinder, Interviews mit den Kindern)
(2)
Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der elterlichen Kompetenz Elterliche Fähigkeit, für die Kinder zu sorgen, sie zu schützen und zu erziehen
(Eltern-Kind-Interaktionsforschung)
(3)
Kumulierung von mehreren psychosozialen Risikofaktoren
(Epidemiologischen Forschung)
Elterliche Erziehungskompetenz: Entwicklungsaufgaben des Kindes, elterliche
Aufgaben und mögliche Störquellen
Entwicklungsperiode
Entwicklungsaufgaben des
Kindes
Elterliche Aufgaben und
mögliche Störquellen
Frühe Kindheit
(0-3)
BINDUNG UND
ELEMENTARE
REGULATIONEN
Aufbau der primären Bindung;
Einüben von elementaren
Regulationen (Schlafen,
Erregungsniveau; Essen;
Ausscheidung; Motorik)
Verfügbarkeit und Reaktivität:
Gestörte Eltern-Kind-Interaktion
(elterliche Reaktivität/ Feinfühligkeit);
Trennungserlebnisse; Wechsel der
Bezugspersonen.
Vorschul- /
Grundschulzeit
Einübung sozialer Regeln und
Rollen, Identifikation;
Entwicklung individueller
Durchsetzungsfähigkeit und einer
Leistungshaltung; Erwerb von
Kulturtechniken.
Unterstützung und Anleitung:
Defizite in der Beaufsichtigung, im
Setzen von Grenzen oder in der
positiven Zuwendung; inkonsequentes
Verhalten; Unterforderung oder
Überforderung. Defizite bei der
Möglichkeit zur Identifikation.
Identitätsfindung; Anpassung an
sexuelle Reifung; Ablösung vom
Elternhaus
Respekt und Partnerschaft:
Unangemessenes elterliches
Modellverhalten (eingeschränkte
Vorbildfunktion); autonomie-hemmende
Faktoren (symbiot. Verh.; überzogene
neg. Reakt.)
SOZIALISATION
Jugendalter
IDENTITÄT /
AUTONOMIE
(Selbständigkeit und
Partnerschaft)
Auswirkungen von depressiven
Erkrankungen bei Müttern im Säuglings- und Kleinkindalter
Eine große Zahl von Studien mit Interaktionsbeobachtungen von
depressiven Mütter mit ihren Säuglingen zeigt übereinstimmend :
(Wortmann-Fleischer, Downing & Hornstein, 2006) :
• Durch die Depression sind Empathie und emotionale Verfügbarkeit der Mütter
reduziert;
• Es zeigen sich Einschränkungen der mütterlichen Feinfühligkeit, die kindlichen
Signale
– adäquat wahrzunehmen
– richtig zu interpretieren,
– prompt und angemessen zu beantworten.
Teufelskreismodell der depressiven Mutter-Kind-Interaktion
(aus Schneider, 2009; Reck et al., 2004)
Mangelnde Stimulation und
Sensitivität für kindliche Signale,
negativer Affekt, Rückzug
Negatives Feedback:
Blickkontaktvermeidung,
negativer Affekt, Rückzug
Häufige Auswirkungen von elterlichen psychischen Störungen
in der mittleren Kindheit
• Dem Kind werden Übertragen erwachsenentypische und elternhafte
Aufgaben und Verantwortungen übertragen (Parentifizierung)
• Die Eltern beziehen das Kind in die elterlichen Probleme /Konflikte mit
ein (diffuse generationale Abgrenzung)
• Wegen der krankheitstypischen Einschränkungen ist die Identifikation
des Kindes mit den Eltern beeinträchtigt (eingeschränkte
Vorbildfunktion der Eltern)
Liste der Adjektive des Familien-Identifikations-Tests (FIT) und
ihre theoretisch postulierte Struktur (Mattejat &Remschmidt, 2004)
Adjektive (Polung)
lebhaft (+)
gesprächig (+)
ruhig (-)
selbstsicher (+)
selbständig (+)
ängstlich (-)
verständnisvoll (+)
rücksichtsvoll (+)
freundlich (+)
nervös (+)
launisch (+)
zufrieden (-)
Zugehörige
Persönlichkeitsdimensionen
(Theoretische Zuordnung)
Soziale Aktivität
Assertivität
Soziale Resonanzfähigkeit
Emotionale Labilität
Reale Selbstbeschreibung:
Selbstkongruenz:
Ideale Selbstbeschreibung:
So bin ich
Ich bin so, wie ich
sein möchte
So möchte ich
sein
Reale
Identifikation
mit der Mutter:
Ich bin so wie
meine Mutter
Ideale
Identifikation
mit dem Vater:
Ich möchte so
sein wie mein
Vater
Reale Identifikation mit dem
Vater:
Ich bin so wie
mein Vater
Ideale Identifikation mit der
Mutter:
Ich möchte so
sein wie
meine Mutter
Beschreibung
des Vaters:
Elternähnlichkeit:
Meine Eltern sind
sich ähnlich
So ist mein
Vater
Erläuterung:
=
Beschreibungen mit Hilfe der Adjektive
=
Auswertung durch Korrelationskoeffizienten
Beschreibung
der Mutter:
So ist meine
Mutter
Identifikationswerte in Familien mit einem
schizophrenen Elternteil und in Familien mit einem
depressiven Elternteil
Identifikationswerte in Familien mit einer psychisch
erkrankten Mutter und in Familien mit einem
psychisch erkrankten Vater
Zusammenfassung der Ergebnisse aus der FIT-Studie
mit schizophrenen und depressiven Eltern
1.
Die ideale Identifikation ist – wie in Familien ohne psychische Erkrankung - in
der Regel höher als die reale Identifikation.
2.
Die reale Identifikation mit dem gesunden Elternteil ist im Durchschnitt höher
als mit dem kranken.
3.
Die reale Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil ist höher als
mit dem gegengeschlechtlichen.
4.
Die Mutter spielt für das Identifikationsverhalten eine Schlüsselrolle.
5.
Die Identifikationswerte der Kinder schizophrener Eltern sind generell geringer
als die der Kinder depressiver Eltern.
6.
Die Identifikation ist am stärksten beeinträchtigt bei den Kindern (Jungen) von
schizophrenen Müttern.
Durchschnittliche FIT-Angaben der Kinder aufgeschlüsselt nach
der Variable „Psychische Störung eines Elternteils“ (Tagesklinik)
PearsonKorr.
Psychische Störung eines Elternteils
Kinder mit psychisch
gesunden Eltern (n=207)
1
0,9
0,8
0,7
0,6
Kinder mit psychisch
kranken Eltern (n=45)
0,5
0,4
0,3
0,2
OHNE B.
MIT B.
0,1
0
K:S
Selbsdtkongr.
K:RMId.
Reale
Mutter
K:RVId.
Reale
Vater
K:IMId.
Ideale
Mutter
K:IV Id.
Ideale
Vater
K:VM
Ähnlichk.
M-V
Welche psychosozialen Belastungen treten bei Kindern
psychisch kranker Eltern gehäuft auf?
(1)
Die Situation der Kinder
(Berichte der Kinder, Interviews mit den Kindern)
(2)
Krankheitsbedingte Beeinträchtigungen der elterlichen Kompetenz Elterliche Fähigkeit, für die Kinder zu sorgen, sie zu schützen und zu erziehen
(Eltern-Kind-Interaktionsforschung)
(3)
Kumulierung von mehreren psychosozialen Risikofaktoren
(Epidemiologischen Forschung)
Epidemiologische Forschung:
Die vier Risikofaktoren mit den stärksten Auswirkungen auf die
psychische Gesundheit der Kinder / Jugendlichen
Faktor
Häufigkeit
Auswirkung
Odds Ratio
Psychiatrische Symptome / Erkrankung bei den
Eltern
10,1%
4,0
Bedeutsame subjektive elterliche
Stressbelastung (z.B. Haushalt, Erziehung,
Arbeitstress, finanzielle Belastungen)
9,9%
4,7
Geringe psychologische Lebensqualität
(psychisches Wohlbefinden) der Eltern
10,0%
4,2
Bedeutsame Konflikte in der Familie /
Unzufriedenheit mit der Partnerschaft
5,9%
4,9
RKI Bella-Studie (Wille, 2009)
Epidemiologische Forschung:
Psychosoziale Risikofaktoren für die Entstehung psychischer
und psychosomatischer Erkrankungen
• Niedriger sozioök. Status
• Arbeitslosigkeit
• Große Familie mit geringem
Wohnraum
• Sexuelle und/oder aggressive
Misshandlung
• Eheliche Disharmonie, Scheidung,
Trennung der Eltern
• Vernachlässigung
• Häufig wechselnde frühe
Beziehungen
• Alleinerziehender Elternteil
• Verlust der Mutter
• Längere Trennung von den
Eltern in den ersten 7
Lebensjahren
Elterliche psychische Erkrankung = zentrales Kernmerkmal
alle diese Risikofaktoren kommen gehäuft vor in Familien mit
einem psychisch kranken Elternteil
Prozentsatz der Kinder mit psychischen Problemen
Kumulationseffekte:
Psychische Störungen und psychische Auffälligkeiten
bei Kindern und Jugendlichen
in Abhängigkeit von der Anzahl der Risikofaktoren (RKI, Bella, Wilke 2009)
Psych. Auffäll.
Psych. Stör.
Anzahl der Risikofaktoren
Wie müssen wir uns den Zusammenhang zwischen elterlicher
Erkrankung und psychischen Störungen beim Kind vorstellen?
Psychische
Erkrankung
bei einem
Elternteil
Verunsicherung; emot. u.
Verhaltensprobleme
beim Kind
Zusammenhang zwischen elterlicher Erkrankung und
psychischen Störungen beim Kind
Psychische
Erkrankung
bei einem
Elternteil
Erhöhte
Stressbelastung
Sprachlosigk.
Fehlende
Orientierungs
- möglichk. Reduz. elt.
Verunsicherung; emot. u.
Verhaltensprobleme
beim Kind
Kompetenz;
Eltern- KindInteraktionsprobleme
Zusätzliche
Risikofaktoren
Gliederung
• Ein Ausgangspunkt: Die Arbeit mit psychisch kranken Kindern
• Häufigkeitsabschätzungen: Wie viele Kinder leben mit
psychisch kranken Eltern?
• Die Transmission von psychischen Erkrankungen: Das
Erkrankungsrisiko bei den Kindern
• Psychosoziale Belastungen bei Kindern psychisch kranker
Eltern: Ansatzpunkte für mögliche Interventionen
• Resilienz: Gelingendes Leben trotz widriger Bedingungen
Die Kauai-Studie
• Emmy Werner, geb. 1929.
• Ansatzpunkt: Kauai-Studie (Beginn 1955).
Alle 698 auf der hawaiianischen Insel Kauai
geborene Kinder wurden 32 Jahre lang „verfolgt“.
Dabei wurden ganz unterschiedliche Risiken
erfasst (z.B. perinatale Komplikationen;
risikoreiche Umweltbedingungen wie z.B.
Armut oder psychische Erkrankung eines Elternteils).
• 1/3 der 200 Kinder, die unter risikoreichen Bedingungen
aufwuchsen, wuchsen trotz aller Widrigkeiten zu
selbständigen und erfolgreichen jungen Erwachsenen
heran.
• Resiliente Kinder: Es ist diesen Kindern gelungen eine
Widerstandskraft gegenüber risikoreichen
Lebensbedingungen zu entwickeln.
Personale Schutzfaktoren (Bengel et al., 2009)
• Temperamentsmerkmal: „Einfaches Temperament“ bzw. „resilienter
Temperamentstypus“.
• Weibliches Geschlecht (Im Kindesalter)
• Positive Wahrnehmung der eigenen Person
• Positive Lebenseinstellung und Religiosität
• Intelligenz, Kognitive Fähigkeiten, schulische Leistung
• Internale Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeitserwartung
• Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Selbstregulation
• Verfügbarkeit von aktiven Bewältigungsstrategien
• Realistische Selbsteinschätzung und Zielorientierung
• Besondere Begabungen und Kreativität
• Soziale Kompetenz
Familiäre Schutzfaktoren (Bengel et al., 2009)
• Strukturelle Familienmerkmale: Stabilität in der Familienzusammensetzung;
hinreichendes Einkommen / sozioökonomischer Status; klar geregelte Tagesstruktur
(Regeln und Rituale).
• Merkmale der Eltern-Kind-Beziehung: Sichere Bindung und positive Beziehung zu
mindestens einem Elternteil
• Autoritative Erziehung mit positiven Erziehungsmethoden
• Positives Familienklima und familiäre Kohäsion
• Positive Geschwisterbeziehung
• Elterliche Merkmale:
– Bildungsorientierung und Bildungsniveau;
– Qualität der elterlichen Beziehung;
– psychische Stabilität der Eltern
Soziale Schutzfaktoren (Bengel et al., 2009)
• Soziale Unterstützung, insbes. wahrgenommene soziale Unterstützung: Inner- und
außerfamiliär; informell und institutionell; emotional, instrumentell, informationell.
• Erwachsene als Rollenmodelle und gute Beziehung zu einem Erwachsenen
außerhalb der Familie.
• Kontakte zu Gleichaltrigen (Freundschaftsbeziehungen, Akzeptanz und Anerkennung
durch Gleichaltrige).
• Qualität der Bildungseinrichtung (u.a. Verbundenheit mit der Schule; positive
Beziehung zur Lehrerin / zum Lehrer)
Was zählt für die Kinder
von psychisch kranken Eltern?
• Die Fähigkeit und Möglichkeit über belastende/problematische und über
freudige Dinge sprechen zu können. Die Anerkennung der Wirklichkeit in
der Familie und im sozialen Netz. Die Validierung der eigenen Erfahrung.
• Die Chance sich selbst als stark und fähig zu erfahren, etwas zu können
sich für etwas interessieren, engagieren und begeistern zu können; sich
selbst intensiv und positiv zu erleben.
• Das Gefühl erwünscht zu sein, von anderen gemocht, akzeptiert, anerkannt,
geliebt zu werden. Das Gefühl, sich auf andere stützen zu können.
Rene Magritte 1898-1967
„Der Geist der Geometrie“
1936/37
Hinweise: Susanne SchlüterMüller: Bewältigungsstrategien
von Kindern psychisch kranker
Eltern am Beispiel des
surrealistischen Malers Rene
Magritte Nervenheilkunde, 6 /2008
S. 561-564.
Erich Kästner 1899-1974
Dass wir wieder werden wie
Kinder, ist eine unerfüllbare
Forderung. Aber wir können zu
verhüten versuchen, dass die
Kinder so werden wie wir.
Das Titelbild von
Emil und die
Detektive auf einer
deutschen
Briefmarke aus
dem Jahr 1999
Ria 3
• Diagnostische Einschätzung im Jahr 1999 in unserer Klinik abgeändert in
„Posttraumatische Belastungsstörung“.
• Sehr intensive Psychotherapie mit hohem Risiko und Selbstschädigungen und
hoher psychischer Belastung der Therapeutin. Gute schulische Integration.
Abitur. Klassensprecherin. Abituransprache.
• Im Jahr 2001 (mit 22 Jahren) aus der Rehabilitationseinrichtung entlassen.
• Ab 2002: Studium der Kulturwissenschaften und Besuch einer renommierten
Journalistenschule; sehr guter Abschluss.
• Seit 2006: Erfolgreiche Tätigkeit als Journalistin und Redaktionstätigkeit im
Fernsehen.
• Psychisch seit ca. 10 Jahren stabil; sehr gute Integration in Freundes- und
Bekanntenkreis.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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