Skript WS

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Entwicklungspsychologie
WS0809
von Daniela
01 Entwicklungspsychologie
Als erstes sollte man sich fragen – womit beschäftigt sich die Entwicklungspsychologie
überhaupt
Gegenstände der Entwicklungspsychologie sind
(a) Analyse intraindividueller Veränderungen des Erlebens
und Verhaltens. Fragestellung: Wie verändert sich eine
Person im Laufe eines definierten Zeitabschnittes?
(b) Analyse interindividueller Unterschiede in intraindividuellen
Veränderungen des Erlebens und Verhaltens.
Fragestellung: Gibt es Personen mit unterschiedlichen
Entwicklungsverläufen?
Ganz besonders interessiert hier die Forschung die Frage „ wieso manche Menschen trotz
widrigen Umständen psychisch und physisch gesund bleiben, wogegen andere dies nicht
schaffen.
Hier spricht man dann von Resilienz!
Resilienz: Die Fähigkeit, trotz negativer Umstände und Einflüsse seine körperliche
und geistige Gesundheit aufrechtzuerhalten.
Die Aufgaben von Entwicklungspsychologie sind somit:
1. Beschreibung
B
2. Erklärung
E
3. Vorhersage
V
4. Intervention und Modifikation
I
Beschreibung
xt1, xt2, ...... xtn
Die Entwicklungsverläufe werden
möglichst exakt beschrieben. Wenn
ein Entwicklungsphänomen erstmals
erkannt wird, liegt es nahe, es
zunächst möglichst genau zu beschreiben.
Beispiel: Beschreibung
der motorischen Entwicklungsabfolge
bei Greifbewegungen.
Erklärung
xtn = f (ytn-1)
Geht über die Beschreibung hinaus und versucht, die
zugrundeliegenden Mechanismen der Veränderung zu
identifizieren. Besonders wichtig dabei: Analyse von
Gesetzmäßigkeiten zwischen vorausgehenden Bedingungen
und dem nachfolgenden Entwicklungsereignis.
Fragestellung: Unter welchen Bedingungen kommt es
zu Entwicklungsveränderungen?
Vorhersage
xt1 --------------> xtn
xt1 --------------> ytn
Um Interventionen planen zu können, ist es oft
notwendig, die voraussichtliche künftige Entwicklung
vorhersagen zu können. Dies ist möglich, wenn man den
typischen Entwicklungsverlauf deskriptiv kennt oder
anhand der vorliegenden Bedingungen sagen kann, mit
welcher typischen Entwicklung zu rechnen ist. Beispiel:
Vorhersage des Schulerfolgs anhand der Intelligenz im
Vorschulalter.
Intervention und Modifikation
xt1 ------ Intervention --------> xtn
xt1 ------ Intervention --------> ytn
Wenn Entwicklungsdefizite oder besondere Spezialbegabungen
vorliegen, kann die Notwendigkeit bestehen,
besondere Interventionsprogramme zum Einsatz kommen
zu lassen. Beispiel: Begabungsdefizite oder Hochbegabung,
die beide spezielle Interventionen erforderlich
machen können.
Bei allen Formeln gilt:
X = ein Merkmal wie z.B. Intelligenz
t = Zeitpunkt
f = Funktion
y = Merkmal wie z.B. Schulerfolg
Definition von Entwicklung:
Hier ist zwischen 2 Definitionen zu unterscheiden; der weiten Def. und der engen Def.
Weite Definition:
Weite Definition sieht Entwicklung als intraindividuelle
Veränderung über die Zeit. Schwerpunkt auf längerfristigen
Veränderungen (z.B. nicht kurzfristigen Befindlichkeitsveränderungen)
und auf Veränderungen, die in
innerem Zusammenhang stehen (die also aufeinander
bezogen sind und auseinander hervorgehen).
Enge Definition:
Enge Definitionen gehen ebenfalls von einer Veränderung
über die Zeit aus, nehmen aber zusätzlich folgende Bedingungen
an:
(a) Zielgerichtetheit (es gibt einen angestrebten Zielzustand z.B. denkt Freud so)
(b) Irreversibilität (einmal entwickelt kann man die Veränderung nicht mehr rückgängig
machen)
(c) Universalität (jeder durchläuft diese Veränderungen)
(d) Annahme qualitativ-struktureller Transformationen (es gibt Stufen der Entwicklung, sie
läuft nicht kontinuierlich ab
Beispiel:
Raupe wird zum
Schmetterling)
Traumatische Erlebnisse wie zum Beispiel ein Unfall verändern den Menschen zwar auch,
dies wird aber nicht als Entwicklung verstanden.
Der Zeitraum den Entwicklung umfasst kann unterschiedlich lang sein – unterschieden
wird nach 4 Klassen:
1.
2.
3.
4.
Phylogenese
Anthropogenese
Ontogenese
Aktualgenese
1. Phylogenese
Weitester Entwicklungsbegriff: Die gesamte Evolution
wird unter Entwicklungsgesichtspunkten betrachtet.
Manche Verhaltensweisen des Menschen werden
möglicherweise erst verständlich, wenn man sie aus
evolutionsbiologischen Perspektiven betrachtet. Beispiel:
Die Reflexausstattung des Neugeborenen.
2. Anthropogenese
Betrachtung der gesamten Menschwerdung unter
Entwicklungsgesichtspunkten: Von den
frühesten
anthropoiden Vorformen bis zum heutigen
Menschen.
Fragestellung: Lassen sich verschiedene
Verhaltenseigenarten
des heutigen Menschen auf frühere
Verhaltensweisen zurückführen, die an andere Lebensverhältnisse
angepasst waren?
3. Ontogenese
Ontogenese bezieht sich auf den individuellen Lebenslauf
von der Konzeption bis zum Tod. Dies ist der Abschnitt, mit dem sich
Entwicklungspsychologie hauptsächlichbeschäftigt. Vorherrschend anfangs: Beschäftigung
mit dem Kindes- und Jugendalter. Heute auch Fokus auf Erwachsenenalter (bis hin zur
Bearbeitung gerontologischer Fragestellungen).
4. Aktualgenese
Aktualgenese bezieht sich auf relativ kurze Abschnitte innerhalb der Ontogenese (Beispiel:
Neue Erkenntnisse aus der Lösung eines Problems). Ontogenese setzt sich aus einer
Vielzahl von Aktualgenesen zusammen.
Meistens bevorzugt die Entwicklungspsychologie die Untersuchung des Kindes und
Jugendalters – WARUM?
(a) Im Kindes- und Jugendalter finden schnelle Veränderungen
statt, so dass sie hier besonders klar erkennbar werden.
(b) Viele Entwicklungsphänomene treten im Laufe der Kindheit
erstmals auf, so dass sich ihre Entwicklung von Anfang an verfolgen lässt.
(c) Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind im Kindesalter häufig größer als die
Unterschiede innerhalb der Altersgruppen. Die Altersvariable spielt daher eine besonders
große Rolle.
(d) Der Eintritt von Veränderungen wirkt sich relativ überdauernd auf das spätere
Verhalten aus.
Die Bedeutung der Altersvariable in der Entwicklungspsychologie
Vorzüge der Nutzung der Altersvariable
Viele Untersuchungen nehmen das Alter als unabhängige Variable und beziehen ihre
Entwicklungsreihen auf das Alter. Grundmodell:
V(Verhalten) = f (Alter)
Nachteile der Nutzung der Altersvariable
(a) Chronologisches Alter ist keine psychologische Variable, sondern eine physikalische
Größe, die nichts erklärt. Daher nur deskriptiver Nutzen, kein Erklärungswert.
(b) Durch Bezug auf Altersvariable Tendenz zur Vernachlässigung interindividueller
Unterschiede (Homogenisierungseffekt →man vernachlässigt Unterschiede zwischen z.B.
5 Jährigen).
(c)Der Bezug auf das Lebensalter erweckt den Eindruck einer festen Bindung von
Veränderungen an das Alter (Suggestion von Reifungsabhängigkeit).
Sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten der Altersvariable:
(a) Bei Variablen, die wenig interindividuelle Varianz aufweisen (z.B. bei
reifungsabhängigen Merkmalen).
(b) Wenn über einen Entwicklungsbereich noch wenig bekannt ist, kann sich mit der
Orientierung am Alter eine Kategorisierungsmöglichkeit ergeben.
Grundsätzlich ist eine Orientierung an der Altersvariablenur sinnvoll, wenn die Varianz
innerhalb einer Altersgruppe kleiner ist als die Varianz zwischen den Altersgruppen.
Alternativen zur Orientierung an der Altersvariable
(a)Verwendung der Zeitvariable: V=f(t), Vorteile:
(1) Im Unterschied zur Altersvariable frei von impliziten Annahmen zur Entwicklung (z.B.
Reifung)
(2) Alter ist Merkmal des Individuums. Wenn Entwicklung in Abhängigkeit von der Umwelt
dargestellt werden soll, lassen sich die Veränderungen mit der Zeitvariable in derselben
Dimension abbilden.
(3) Grundsätzlich gilt, dass Zeit der weitere und Alter der engere Begriff ist. Grundsätzlich
lassen sich Zeitangaben bei Bedarf in Alter zurückverwandeln.
(b) Orientierung am Entwicklungsstand
Da die Varianz innerhalb von Altersgruppen recht groß sein kann, ist es häufig sinnvoller,
vom Entwicklungsstand auszugehen. Dadurch kann u.U. eine größere Homogenität der
Gruppen erreicht werden. Voraussetzung: Diagnose des Entwicklungsstandes
(z.B. mit Testverfahren).
Konzeptionen über Entwicklungsabfolgen
Manche Wissenschaftler stellen sich die Kindesentwicklung als einen kontinuierlichen
Prozess kleiner Veränderungen vor (wie bei einem Baum der wächst) – andere sehen den
Entwicklungsprozess als eine Reihe plötzlicher diskontinuierlicher (sprunghafter)
Veränderungen (wie bei einer Raupe die zum Schmetterling wird).
Die Aufgabe der Wissenschaft besteht nun darin, zu bestimmen, welcher Ansatz mehr
Gültigkeit hat.
Ein kleines Beispiel:
Untersucht man zum Beispiel das Körperwachstum eines Kindes so würde man über die
Jahre hinweg gesehen sagen, dass es ich um eine kontinuierliche Entwicklung handelt.
Würde man sich aber die einzelnen Tage anschauen müsste man von einer
diskontinuierlichen Entwicklung ausgehen.
Es gibt 5 Arten von Entwicklungsabläufen:
1.
2.
3.
4.
5.
Addition
Substitution
Modifikation
Inklusion
Mediation
Addition:
Kumulatives Verhältnis zwischen den Entwicklungsschritten:
Späteres Verhaltensmerkmal kommt zu einem früheren hinzu, ohne dass das frühere
Merkmal aufgegeben wird. Beispiel Sprachentwicklung: Neue Worte werden gelernt, ohne
dass die alten verloren gehen.
Substitution:
Das Frühere wird mehr oder weniger vollständig durch das Spätere ersetzt. Beispiel: Die
frühe Abhängigkeit von einer Pflegeperson wird später zugunsten einer zunehmenden
Selbständigkeit aufgegeben.
Modifikation:
Der frühere Zustand wird im Laufe der Entwicklung zunehmend differenziert, generalisiert
oder stabilisiert. Beispiel: Emotionsentwicklung (Gefühle differenzieren sich); Bildung von
Klassenbegriffen erlauben Anwendung von Strukturen über die Situation hinaus, in
der sie erworben wurden (Generalisierung); Selbstkonzept (stabilisiert sich).
Inklusion:
Im Falle der Inklusion wird das Frühere in den späteren Entwicklungszustand
eingeschlossen und integriert. Beispiel: Beim Greifen entsteht zunächst eine Reihe von
Einzelbewegungen, die später zu der Greifbewegung zusammengeschlossen werden.
Mediation:
Ein früherer Entwicklungsschritt ist ein notwendiges oder förderliches Zwischenglied für
einen späteren Entwicklungsschritt. Beispiel: Fähigkeit zur Perspektiven-Übernahme
fördert Fähigkeit, die Intentionen anderer zu verstehen (und damit beispielsweise auch die
Moralentwicklung).
Die Bedeutung der Entwicklungspsychologie für die Praxis
(a) Orientierung über den Lebenslauf
Angabe von statistischen Altersnormen, auf deren
Grundlage man Entwicklungsabweichungen identifizieren
kann. Als Konsequenz möglicherweise
Interventionen, um die Abweichungen zu korrigieren.
Beispiel: Normen zur Motorikentwicklung.
(b) Ermittlung von Entwicklungs- und Veränderungsbedingungen
Wenn bekannt ist, welche Faktoren für eine
Entwicklung verantwortlich sind, kann man präventiv
tätig werden, indem man Faktoren beeinflusst,
die zu ungünstigen Entwicklungsverläufen
führen.
(c) Prognose der Stabilität und Veränderung von
Personmerkmalen
Wenn Angaben zur Stabilität bzw. Veränderbarkeit
von Merkmalen vorliegen, kann man
Prognosen zur künftigen Entwicklung abgeben.
(d)Begründung von Entwicklungs- und Interventionszielen
Wenn die entwicklungspsychologische Forschung
zeigt, dass man beispielsweise bestimmte Entwicklungsziele
früher erreichen kann oder erst später
anstreben sollte, dann ergeben sich hieraus auch
Konsequenzen für die Formulierung von Erziehungszielen.
(e) Planung von Interventionsmaßnahmen
Mit Interventionen können Fehlentwicklungen verhindert
werden. Interventionsmöglichkeiten: Prävention
von Fehlentwicklungen und Korrektur von Fehlentwicklungen.
Entwicklungspsychologie kann Aufschlüsse
darüber liefern,
(1) wo sinnvollerweise angesetzt wird,
(2) wann sinnvollerweise angesetzt wird,
(3) wie sinnvollerweise angesetzt wird.
(f) Evaluation von Entwicklungsinterventionen
Obwohl häufig vernachlässigt, ist es erforderlich, die
Effektivität der gewählten Maßnahmen zu bewerten:
Um künftige Interventionen planen zu können, sollte
man wissen, ob die angestrebten Ziele bei früheren
Interventionen erreicht werden konnten. Hier geht es
vor allem um die langzeitigen Effekte von Interventionen.
02 Entwicklungspsychologie
Psychoanalytische Theorien und Psychobiologische Theorien und Konzepte
Psychoanalytische Theorien
Keine psychologische Theorie hatte einen größeren Einfluss auf die westliche Kultur und
ihr Denken über Persönlichkeit sowie soziale Entwicklung als die psychoanalytische
Theorie
Sigmund Freuds.
1856 - 1939
Auch die
Entwicklungstheorie der Lebensspanne von Erik
(Nachfolge von Freuds Theorie) war sehr
einflussreich. (Geb. 1902 – 1994)
Erikson
Freuds Theorie der psychosexuellen
Entwicklung:
In Freuds Theorie ist Entwicklung sehr stark durch biologische Reifung vorangetrieben und
Verhalten wird seiner Meinung nach durch Bedürfnis motiviert grundlegende Triebe zu
befriedigen.
Grundannahmen:
Freud unterscheidet in seiner psychoanalytischen Theorie zwischen ES, ICH und
ÜBERICH
ES: Das Es ist völlig unbewusst und bildet die Quelle der psychischen Energie (beim
Säugling könnte dies z.B. ein Hungergefühl sein, dann weint das Baby bis es gestillt
wird). Das ES wird vom Lustprinzip geleitet mit dem Ziel , schnellstmöglich maximale
Befriedigung zu erlangen. Es bleibt lebenslang die Quelle der psychischen Energie.
ICH: Das Ich versucht Wege zu einer Triebbefriedigung zu finden, die den Normen
gerecht wird (Vermittlerrolle zwischen Es und Überich) (entsteht meistens gegen Ende des
ersten Lebensjahres)
ÜBERICH: Das Überich repräsentiert repräsentiert die Normen der Umgebung die der
Triebbefriedigung meistens entgegenstehen. (Zum Beispiel möchte das Kind kurz vorm
Abendbrot noch etwas Süßes essen und die Mutter verbietet es)Kann auch als Gewissen
gesehen werden, mit seiner Hilfe kann ein Kind sein eigenes Verhalten auf der Grundlage
von Überzeugungen, was richtig und was falsch ist, steuern. Das Überich beruht auf der
Identifikation mit seinen Eltern und Internalisierung (Übernahme)ihrer Regeln und Normen
und bei der Verletzung dieser Regeln würde das Kind Schuldgefühle erleben. (Entsteht
meistens zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr)
Anfangs ist nur das Es vorhanden, danach entstehen Ich und Überich. Im
Entwicklungsverlauf erhält das Ich eine zunehmende Bedeutung.
Entwicklungsphasen nach Freud
(b) Orale Phase ( 0 – 1 Jahre)
(c) Anale Phase (1- 3 Jahren)
(d) Phallische Phase (3- 6 Jahren)
(e) Latenzphase (6 -11 Jahren)
(f) Genitale Phase (ab 11 Jahren)
Orale Phase:
Diese wird so genannt, weil die primäre Quelle für Befriedigung und Lust orale Tätigkeiten
wie Saugen, Lutschen oder Essen sind.
Das Stillen der Mutter gibt dem Kind Sicherheit – zugleich entsteht aber auch ein Konflikt,
da man Furcht vor einem Liebesverlust hat.
Anale Phase:
Triebbefriedigung vorrangig durch Nahrungsausscheidung. Der anale Bereich wird zum
Zentrum der erotischen Interessen des Kindes.
Es ergibt sich ein Konflikt, wenn die Eltern zum ersten Mal spezielle Anforderungen an das
Kind stellen, hauptsächlich wenn sie auf Sauberkeit bestehen.
Phallische Phase:
Die genitalen Zonen dienen als Quelle der Triebbefriedigung. Die Kinder interessieren
sich auch für die Genitalien ihrer Eltern und Spielkameraden.
Ödipus- bzw. Elektrakomplex:
Heterosexuelles Verlangen nach Mutter bzw. Vater, darauf Furcht vor der Rache des
anderen Elternteils, der als Rivale gesehen wird. Identifikation mit dem Aggressor
(Mädchen mit Mutter, Junge mit Vater), um indirekt seine Wünsche zu erfüllen.
Übernahme der Normen und Werte, volle Ausbildung von Ich und Überich. Entstehung von
Abwehrmechanismen zur Kontrolle von Impulsen des Es (z.B. Verdrängung, Sublimierung)
Latenzphase:
Diese Phase ist eine Zeit der relativen Ruhe; Sexuelle Wünsche werden sicher im
Unbewussten verwahrt, und die psychische Energie kanalisiert sich in konstruktiven, sozial
akzeptablen Handlungen sowohl intellektueller als auch sozialer Art. Überich und Ich
entwickeln sich weiter.
Genitale Phase:
Wiederbelebung der frühkindlichen Arten des Lustgewinns, Zunahme der Bedeutung
der genitalen Zonen – Geschlechtsverkehr wird zum Hauptziel.
Freud glaubte, wenn in einer der Phasen die grundlegenden Bedürfnisse nicht erfüllt
werden, kann das Kind auf diese Bedürfnisse fixiert bleiben und permanent versuchen, sie
zu befriedigen. (So kann es zum Beispiel dazu kommen, dass ein Kind welches keine
angemessene orale Befriedigung erlangt hat – später orale Ersatzhandlungen wie
übermäßiges Essen, Rauche etc. sucht)
Nach Freud formt die Art, in der das Kind die Phasen der
psychosexuellen Entwicklung durchlaufen hat, die Persönlichkeit des
Individuums ein Leben lang.
Ekriksons Theorie der psychosozialen Entwicklung:
Erikson nahm acht altersabhängige Entwicklungsstufen an. Es gibt eine Reihe
psychosexueller Stufen, die im Laufe der Entwicklung durchlaufen werden müssen. Jede
Stufe birgt einen Konflikt, der von dem Kind/ Jugendlichen/Erwachsenen gelöst werden
muss. Je nachdem wie der Konflikt gelöst wird, entsteht eine spezifische Form der
Persönlichkeit.
Im Vordergrund: Ich-Entwicklung bzw. Entwicklung der Persönlichkeit. Im Gegensatz zu
Freud, bei dem die Es-Impulse und ihre Bewältigung durch Ich und Über-Ich im
Vordergrund
stehen.
Stufe
Psychosoziale Krise
1. Oral-sensorisch
2. Muskulär-anal
3. Lokomotorisch-genital
4. Latenzphase
5. Adoleszenzphase
Rollendiffusion
6. Genitalitätsphase
7. Generativitätsphase
8. Integritätsphase
Urvertrauen vs. Urmisstrauen
Autonomie vs. Selbstzweifel
Initiative vs. Schuldgefühl
Fleiß vs. Minderwertigkeitsgefühl
Identitätsfindung vs.
Intimität vs. Isolation (Rückzug)
Generativität vs. Stagnation
Ich-Integrität vs. Verzweiflung
6. Stufe:
Oral-respiratorische Zone: (0 – 1 Jahre)
Wenn Befriedigung stattfindet (regelmäßig und vorhersagbar), entsteht Vertrauen in die
Umgebung (Urvertrauen), andernfalls Urmisstrauen.
7. Stufe:
Anal-urethrale Zone: (1-3 ½ Jahre)
Kampf zwischen Fremd- und Selbstkontrolle (Kontrolledurch Eltern versus eigene Freiheit
bzw. Durchsetzung eigener Wünsche), Notwendigkeit, hier einen Mittelweg
zu finden mit der Konsequenz von Autonomie, andernfalls Selbstzweifel (vor allem wenn
starke Fremdkontrolle empfunden wird).
8. Stufe:
Lokomotorisch- genital (4 – 6 Jahre)
Kinder identifizieren sich mit den Eltern und lernen von ihnen. Das Kind setzt sich
andauernd Ziele (Turm bauen) und arbeitet auf sie hin. Entscheidender Schritt ist die
Ausbildung eines Gewissens. Die Herausforderung für das Kind besteht darin eine
Balance zu finden zwischen Schuld und Initiative. Wenn die Eltern nicht übermäßig
kontrollieren oder strafen, können Kinder hohe normative Standards und die Initiative
diesen gerecht zu werden, entwickeln, ohne Besorgnis nicht gut genug zu sein und alle zu
enttäuschen.
9. Stufe:
Latenzphase (6 Jahre bis zur Pubertät)
Entscheidend für die Ich-Entwicklung. In dieser Phase beherrschen Kinder kognitive und
soziale Fähigkeiten, die in ihrer Kultur eine Bedeutung besitzen. Sie lernen fleißig einer
Arbeit nachzugehen und gut mit Gleichaltrigen zu spielen. Erfolgreiche Erfahrungen
vermitteln den Kindern ein Gefühl von Kompetenz – Misserfolge können zu übermäßigen
Gefühlen der Minderwertigkeit führen.
10. Stufe:
Adoleszenzphase (Pubertät bis frühe Erwachsenenalter)
Entscheidende Phase um ein Grundgefühl der Identität zu entwickeln.
Besonderer Verdienst von Erikson:
Ausdehnung des psychoanalytischen Konzepts auf Altersabschnitte jenseits der Pubertät.
Beispiel Jugendalter: Körperliche Veränderungen machen es notwendig, sich verstärkt mit
sich selbst zu beschäftigen und seine Identität neu (oder erstmals bewusst) zu bestimmen.
Das zentrale Thema ist die Findung einer eigenen Identität versus die Rollendiffusion.
Identitätsfindung ist aber nicht auf Jugendalter beschränkt, sondern ist in allen
Entwicklungsphasen von Bedeutung. Im Jugendalter findet sich jedoch besondere
Akzentuierung.
Auch jenseits des Jugendalters werden drei wichtige Phasen angenommen, die
durchlaufen werden und die für die weitere Persönlichkeitsentwicklung von Bedeutung
sind:
5. Frühes Erwachsenenalter: Lernbereich Umgang mit Partnerschaft und Sexualität
6. Späteres Erwachsenenalter: Fortpflanzung, Fürsorge für die Kinder.
7. Höheres Alter: Auseinandersetzung mit dem Tod, Aufbau übergeordneter
Wertsysteme.
Ein anderes Entwicklungskonzept ist die Konzeption von Mahler.
Die Grundannahme liegt hier:
Betonung der Bedeutung von Objektbeziehungen und Selbst-Entwicklung, weniger
Konzept eines Triebwandels über verschiedene Phasen hinweg. Dies bedeutet, dass nicht
die Triebbefriedigung zentrale Stellung einnimmt, sondern das Bedürfnis nach physischem
und sozialem Kontakt und seiner Befriedigung (vor allem in den ersten drei Lebensjahren).
Die "Objekte" (vor allem die Mutter) werden weniger in Funktion der Triebbefriedigung
gesehen, sondern in ihrer Funktion, die Entwicklung des Selbst und der psychischen
Unabhängigkeit zu ermöglichen.
Entwicklungsphase
Zunächst symbiotische Mutter-Kind-Beziehung, dann Loslösung von der Mutter und
schließlich Individuation. Annahme eines Auseinanderfallens von physischer und
psychischer Geburt. Die psychische Geburt tritt erst dann ein, wenn erste Loslösungs- und
Individuationsprozesse erkennbar sind (etwa um den 4. bis 5. Lebensmonat).
Vorher befindet sich der Säugling in einem Zustand der Nicht-Differenzierung zwischen Ich
und Nicht-Ich: Es gibt noch keine Unterscheidung zwischen Selbst und Mutter.
Der folgende Loslösungs- und Individuationsprozess ist prinzipiell ein lebenslanger
Prozess, die entscheidenden Veränderungen finden aber zwischen dem 4. und 36.
Lebensmonat (also bis zum Alter von drei Jahren) statt.
Die Entwicklungsphasen im Einzelnen:
1. bis 4. Lebenswoche
"Normaler Autismus": Kind unterscheidet nur zwischen lustvollen (angenehmen) und
unlustvollen (unangenehmen) Empfindungen. Die sozialen Beziehungen sind noch
vollkommen irrelevant. Es besteht eine symbiotische Beziehung zur Mutter. Das Kind kann
nicht zwischen sich selbst und der Mutter unterscheiden.
2. bis 3. Lebensmonat
Noch immer symbiotische Beziehung zur Mutter. Aber: Säugling nimmt das
bedürfnisbefriedigende Objekt (Mutter) allmählich verschwommen wahr. Säugling lebt in
der Vorstellung einer gemeinsamen Grenze mit der Mutter. Allmählich wird erkannt,
dass keine Einheit mit der Mutter besteht.
4. bis 5. Lebensmonat
Erste Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Differenzierung. Erste
Schritte, um sich von der Einheit mit der Mutter zu lösen. Erste aktive Kontaktaufnahme
mit der Umgebung, aber noch enge Kopplung an die Mutter. Häufige checking backs, um
sich der Nähe und Zustimmung der Mutter zu vergewissern.
6. bis 15./18. Lebensmonat
Zweite Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Übungsphase. Übung der
Fortbewegung bis zum freien Laufen. Kleinkind erforscht nun aktiv die Welt. Oft so
in Aktivitäten vertieft, dass es einige Zeit ohne Mutter auskommt. Bleibt in einer optimalen
Distanz zur Mutter, die als home base angesehen wird (emotionale Sicherheit).
15./18. Lebensmonat bis 24. Lebensmonat
Dritte Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses:
Wiederannäherung. Kind ist sich seiner Getrenntheit von der Mutter nun stärker bewusst.
Konsequenz: Es empfindet größere Trennungsängste und ein gesteigertes Bedürfnis nach
Nähe zur Mutter. (erkennt man wenn Kinder „fremdeln“)
Ab Anfang des 3. Lebensjahres
Vierte Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Individuation. Integration
der Repräsentationen über die Mutter zu einem integrierten inneren Mutterbild.
Konsequenz: Mutter muss nicht immer physisch vorhanden sein, sondern ist in dem
Mutterbild repräsentiert.
Vor allem die frühe symbiotische Befriedigung und die emotionale
Verfügbarkeit der Mutter während der Wiederannäherungsphase werden als
wichtig für eine ungestörte Entwicklung gesehen.
Abweichendes Verhalten und die Entstehung von Psychopathologien werden
auf bindungsbezogene Probleme in den einzelnen Subphasen zwischen
Symbiose und Individuation zurückgeführt.
Dies ist eine typisch klassische Theorie von Marder – die heutige Psychotherapie würde
dem nicht mehr so zustimmen.
Bewertung psychoanalytischer Theorien:
Gemeinsame Kritik an den psychoanalytischen Konzeptionen:
Nur eingeschränkte empirische Prüfbarkeit, gewonnen in der Regel aus der klinischen
Praxis (häufig lediglich an klinischen Fallbeispielen), starke interpretatorische Orientierung.
Repräsentiert somit nicht die „normale“ Entwicklung.
Aber: Heuristische Fruchtbarkeit, vor allem durch Thematisierung
vernachlässigter Sachverhalte, Strukturierungshilfe
bei der Aufarbeitung von Problemen.
Psychobiologische Theorien
Bei psychobiologischen Theorien sind 4 Begriffe besonders wichtig:
5. Reifung
6. Wachstum
7. Differenzierung
8. Prägung
Reifung
Das Reifungskonzept hat in der Entwicklungspsychologie historisch lange Zeit dominiert.
Bezeichnet alle Vorgänge, die spontan aufgrund endogen
vorprogrammierter Wachstumsimpulse einsetzen. (ist genetisch/biologisch
bedingt)
Äußeren Bedingungen (Ernährung, Stimulation, Unterweisung, Konditionierung etc.) wird
nur eine unterstützende oder bahnende, aber keine determinierende Rolle zugeschrieben.
Ursprünglich auf körperliche Veränderungen bezogen (z.B. Gehirnreifung,
Größenwachstum), Reifung aber auch auf psychische Veränderungen übertragen.
Wichtige Merkmale von Reifung:
(a)Universelles Auftreten
(b) Auftreten in einem begrenzten Altersabschnitt
(c)Nachholbarkeit (bei zeitweiliger Deprivation)
(d) Nichtumkehrbarkeit (z.B. Körperwachstum; Gegenbeispiel: Lernen , denn
Gelerntes kann
verlernt werden)
Nur wenn diese Merkmale erfüllt sind, darf man von Reifung sprechen. Reifung kann
durch Deprivationsexperimente nachgewiesen werden – dies ist jedoch ethisch fraglich.
Eine Alternative wäre eine Untersuchung bei der man schaut inwieweit sich
Entwicklungsprozesse durch äußere Faktoren beeinflussen lassen und ob es dafür
besonders geeignete Zeitabschnitte gibt. So kann man Umwelteinflüsse variieren (nicht
ganz weglassen) – aber auch dies ist ethisch fraglich.
Wachstum
Wachstum bezieht sich auf quantitative Veränderungen über die Zeit.
Kann sich auf physische und psychische Veränderungen beziehen.
Beispiele: Körpergröße, Körpergewicht, mengenmäßige Zunahme an Kenntnissen,
Fertigkeiten, Gedächtnisinhalten etc. Wachstumsmodell der Entwicklung bildet die
Grundlage zur Erstellung von Wachstumskurven. Dabei wird von der Annahme
ausgegangen, dass die auftretenden Veränderungen eine Funktion des Alters sind: V=f(A).
Typischerweise wird die abhängige Variable auf der Ordinate und das Alter auf der
Abszisse abgetragen. Häufig liegen bei den Wachstumskurven implizit
Reifungshypothesen zugrunde.
Differenzierung
Differenzierung ist definiert als fortschreitende Ausgliederung von Teilgebilden aus einem
anfänglich ungegliederten einheitlichen Ganzen. Konsequenz ist eine zunehmende
Mannigfaltigkeit, Spezialisierung und Verselbständigung von Strukturen und Funktionen.
Verbunden damit ist zunehmende Verfeinerung, Erweiterung und Strukturierung
psychischer Funktionen und Verhaltensweisen. Begriff stammt ursprünglich aus
Reifungskonzepten, lässt sich aber auf andere Konzepte übertragen.
Zum Beispiel: Am Anfang kann man nur wenige Gefühle unterscheiden so zum Beispiel
wird nur zwischen Lust und Unlust differenziert mit der Zeit verzweigt sich das ganze mehr
und mehr bei Unlust wird dann zwischen Angst, Ärger etc. unterschieden und bei Lust
ebenso.
Prägung
Ist oft bei biologischen Konzepten zu finden. Definiert als einmaliger, irreversibler Vorgang
der Spezialisierung eines Auslöseschemas für bestimmte Instinkthandlungen, der nur
während einer kurzen Zeitspanne, einer kritischen oder sensiblen Periode, bald nach der
Geburt stattfinden kann.
Die Art der in Frage kommenden Auslöseschemas bzw. die Charakteristika der
Prägungsobjekte sind dabei durch spezies-spezifische Anlagen begrenzt. Beispielsweise
sind häufig Bewegung und Lautbildung eines Objektes erforderlich, damit Prägung
stattfinden kann (z.B. bei Graugänsen Konrad Lorenz).
Natürlicherweise findet Prägung auf die Mutter statt. Biologische Funktion liegt im
Überlebensvorteil durch Aufrechterhaltung der Nähe zur Mutter.
Prägung bildet Grundlage für Herausbildung und Festigung erster sozialer Bindung und
kann für späteres Sozialverhalten von Bedeutung sein (z.B. Wahl des Sexualpartners).
Außer der sozialen Prägung gibt
auch Prägung auf bestimmte
Umgebung (Biotop-Prägung) und
Prägung auf bestimmte Art der
Nahrung (Nahrungsprägung –
wachse ich zum Beispiel in einem
Haushalt auf, in dem es nie
Fleisch zu essen gab, werde ich
später Vegetarier werden) .
Anwendung des
Prägungskonzepts im
Humanbereich: Vor allem im
Bereich der Bindung.
Dabei gilt; man darf nur dann von
Prägung sprechen, wenn keine
Bekräftigung stattgefunden hat
durch Füttern)
es
eher
(z.B.
Prägung findet bevorzugt in sensiblen Perioden der Entwicklung statt. Sensible Perioden
sind definiert als biologisch vorprogrammierte Zeiträume mit besonderer Empfänglichkeit
für bestimmte Einwirkungen.
Die sensiblen Prägungsphasen sind vom Zeitpunkt des Einsetzens und von der
Ausdehnung her zwischen Spezies unterschiedlich. Evolutionsbiologischer Trend: Mit
zunehmender Höhe der phylogenetischen Entwicklung verschiebt sich der Zeitpunkt des
Beginns und die
Dauer der sensiblen Perioden. Beispielsweise bei Hunden liegt die Prägungsphase
zwischen 4. und 14. Lebenswoche, während sie bei nicht-menschlichen Primaten
zwischen 3. und 6. Lebensmonat liegt.
Es hat Versuche gegeben, auch für den Humanbereich sensible Perioden ausfindig zu
machen. In frühen Arbeiten werden zwei Zeiträume angegeben, wobei der
erste Zeitraum (bis zur 6. Lebenswoche) allgemein die Bindung an Menschen begründet,
während in einem späteren Zeitraum (bis 6 bis 8 Monate) eine Bindung an spezifische
Personen stattfindet. Bowlby geht davon aus, dass der gesamte Zeitraum vom 6.
Lebensmonat bis zum Alter von drei Jahren für die Bindung an eine Bezugsperson
von Bedeutung ist.
Insgesamt ist die strikte Übertragbarkeit auf den Humanbereich eher problematisch. Beim
Menschen spricht man eher von Bindung bei Tieren eher von Prägung.
Ethologische Ansätze
Drei zentrale Arbeitsbereiche stehen im Vordergrund bei den ethologischen Ansätzen:
(a) Artspezifische angeborene Verhaltensmuster
(b) Evolutionäre Angepasstheit des Verhaltens
(c) Lernprädispositionen
Ähnlich wie es angeborene physische Merkmale gibt, lassen sich auch artspezifische
angeborene Verhaltensmuster identifizieren. Verhalten gilt als angeboren, wenn
es vier Kriterien genügt
(a) Es ist weitgehend stereotypisiert (gleichförmig bei
allen Individuen einer Art).
(b)Es ist vorhanden, ohne dass Lernerfahrungen
vorausgingen.
(c) Es tritt universell auf (bei allen Individuen einer Art),
vor allem durch Kulturvergleich feststellbar.
(d) Es wird durch Lernerfahrungen wenig beeinflusst und
verändert. (Passt sich schon ein bisschen an aber nur ein bisschen)
Beispiele: Saugreflex, Greifreflex
Bezogen auf die evolutionäre Angepasstheit des Verhaltens wird angenommen, dass
Verhaltensmerkmale sich aufgrund eines Anpassungsvorteils herausgebildet
haben müssen. Unterschiede zwischen den Arten gehen auf unterschiedliche
Umweltgegebenheiten zurück, die eine unterschiedliche Verhaltensanpassung notwendig
gemacht haben.
Prinzip: Die am besten angepassten Verhaltensmerkmale haben sich im
Evolutionsprozess mit erhöhter Wahrscheinlichkeit durchgesetzt und sind bestehen
geblieben. Betrachtet man angeborene Verhaltensmuster, so sind sie demnach immer
auch auf ihren Überlebensvorteil hin zu sehen.
Biologisch Fundierung zeigt sich auch in Lerndispositionen. Dies zeigt sich in mehreren
Hinsichten:
(a) Die Lernformen, die einer Art zur Verfügung stehen, sind genetisch determiniert. Bei
niedrig entwickelten Arten stehen weniger Lernformen zur Verfügung als bei höher
entwickelten Arten.
(b) Es gibt spezifische sensible Perioden, in denen Lernen besonders effektiv vonstatten
geht. Beispielsweise geht der Spracherwerb in den ersten Lebensjahren besonders leicht
vonstatten.
(c) Nicht alle Lerninhalte lassen sich gleich leicht erwerben. Es gibt Verhalten, das sich
leicht erlernen lässt, und anderes, das nur schwer erworben wird.
Konsequenz
Lernen selbst ist ein Produkt der Evolution und erhöht den Überlebensvorteil der Art.
Neben den angeborenen Verhaltensweisen ergibt sich dadurch die notwendige Flexibilität,
sich verschiedenen Umweltbedingungen anzupassen. (sonst würde man sich immer gleich
verhalten)
Anwendung in der
Entwicklungspsychologie
(a) Soziale Bindung
(b) Soziale Hierarchiebildung
(c)Gesichtsausdruck und
Körpersprache
Beispiel: Kindchenschema
Soziobiologischer Ansatz
Soziobiologie ist die stringente Anwendung neodarwinistischer Evolutionstheorie auf das
Sozialverhalten von Tieren und Menschen. Ausgangspunkt: Nur derjenige agiert
erfolgreich auf der Bühne der Evolution, dessen Verhalten sich in "reproduktiver Münze"
auszahlt. Danach geht es dem Individuum darum, seine Gene weiterzugeben, um damit
das Überleben der Art zu sichern. Dabei muss es nicht immer nur um die Weitergabe der
eigenen Gene gehen, sondern es kann sich auch um die Weitergabe der Gene eines
sozialen Verbandes handeln: Damit wird gleichzeitig altruistisches Handelns innerhalb
eines Sozialverbandes erklärt.
So kommt es auch häufiger zu Kindstötungen wenn ein Leibliches Kind bei einem
Stiefelternteil aufwuchs als wenn Kinder bei den leiblichen Eltern aufwachsen.
Prinzipiell geht es also darum, genetische Interessen und Verhalten miteinander in
Beziehung zu setzen. Bewertung der psychobiologischen Ansätze:
(a)Gefahr der Überbetonung biologischer Prädispositionen und der Unterbewertung der
Lernfähigkeit
(b) Problem der Übertragbarkeit von Befunden, die an Tieren gewonnen wurden, auf den
Menschen
(c) Resultierende Gefahr: Rechtfertigung für Verhalten als biologisch gegeben
Mögliche Vorzüge:
(a) Heuristischer Nutzen zu Hypothesengenerierung
(b) Nachweise von möglichen Verhaltenstendenzen, um diesen Tendenzen durch Lernen
entgegenwirken zu können (biologische Prädisponiertheit schließt Lernen nicht aus).
(c) Sinnvoll vor allem im Bereich der Kleinkindforschung, da vor allem in der frühen
Kindheit
biologische Verhaltensgrundlagen dominierend sein dürften.
03 Entwicklungspsychologie
Lerntheorien und Sozialisationstheorien
Lerntheorien:
Es gibt 3 verschiedene Typen von Lerntheorien:
(g) Klassisches Konditionieren
(h) Operantes Konditionieren
(i) Modelllernen
Klassisches Konditionieren
Ausgangspunkt: Unkonditionierte Reaktion (schon vorhanden im Verhaltensrepertoire, z.B.
Reflex), tritt auf nach spezifischem Stimulus (unkond. Stimulus)
Beispiel: Saugreaktion nach Darbieten von Flasche oder Brust
Kopplung mit einem weiteren (konditionierten) Reiz (z.B. Glocke).
Konsequenz: Reaktion tritt auch auf, wenn nur der konditionierte Reiz dargeboten wird
(schon die Glocke führt zur Saugreaktion, konditionierte Reaktion)
Bei der Klassischen Konditionierung gibt es die Möglichkeit zur Generalisierung ( man
reagiert dann auf alle Töne mit der konditionierten Reaktion und nicht nur auf den einen
bestimmten Glockenton)
&
Es gibt die Möglichkeit der Diskriminierung (man reagiert nur auf den einen
bestimmten Glockenton)
Operantes Konditionieren
Ausgangspunkt: Operantes Verhalten , nicht an auslösenden
Reiz gebunden, tritt zufällig auf.
Beispiel: Kind drückt Hebel einer Maschine, die im Raum steht
und die Maschine wirft Süßigkeiten aus.
Verstärkung des Verhaltens durch Erfolg der Handlung –
dadurch tritt das (erfolgreiche) Handeln in Zukunft häufiger auf.
Es gibt verschiedene Arten von Verstärkern:
Kontinuierlich ( Verhalten wird immer verstärkt ) - Intermittierend (Verhalten wird nur
manchmal verstärkt)
Primäre (unmittelbare Verstärker wie Nahrung
- Sekundäre (mit ihnen kann ich
primäre Verstärker bekommen
z.B. Geld)
Externe ( Verstärkung wird von außen gegeben) - Interne (Selbstverstärkung, z.B.
belohne
ich mich nach 3 Std. lernen mit einem Eis)
Direkte
- Indirekte (Beobachtung von Verstärkung,
ich sehe wie jemand für ein bestimmtes
Verhalten belohnt wird)
Aber warum ist intermittierende Verstärkung löschungsresistenter als kontinuierliche?
Beispiel: Ein Kind drückt den Hebel einer Maschine und hat vorher für jedesmal drücken
Süßigkeiten von der Maschine bekommen. Plötzlich kommen jedoch keine Süßigkeiten
mehr raus wenn der Hebel gedrückt wird. Das Kind versucht es vielleicht noch 2-3 x und
schlussfolgert dann, dass die Maschine wohl leer sein muss.
Bei einer anderen Maschine gab es nur ab und an Süßigkeiten wenn man den Hebel
drückte. Nun kommen schon seit mehreren Versuchen keine Süßigkeiten mehr, das Kind
wird es aber weiter und weiter versuchen, da es zuvor schon gelernt hat, dass es nicht bei
jedem Versuch geklappt hat aber irgendwann wohl wieder Süßigkeiten kommen werden.
Verstärkung versus Bestrafung
Pos. Verstärkung
= Setzen eines angenehmen Stimulus (z.B. Lob)
Neg. Verstärkung
= Wegnahme eines unangenehmen Stimulus (z.B. Gitter auf dem die
Die Futterschale steht wird nicht weiter unter Strom gesetzt)
Bestrafung
= Setzen eines unangenehmen Stimulus (E -Schock oder Wegnahme
eines angenehmen Stimulus (Fernsehverbot)
Verstärkung hat immer zur Folge, dass ein Verhalten häufiger gezeigt
wird!
Modelllernen
Es hat sich gezeigt, dass klassisches und operantes Lernen nicht ausreichen, um alle
auftretenden Lernphänomene zu erklären. Bisweilen tritt neues Verhalten auf, ohne dass
eine Verstärkung stattgefunden hat. Konsequenz: Erklärung durch Modellernen.
Modelle werden aber nur dann nachgeahmt, wenn folgende Bedingungen vorliegen:
(a)Aufmerksamkeit (hängt von Merkmalen des Modells und des Beobachters ab)
(b) Behaltensprozesse
(c)Motorische Reproduktionsprozesse
(d) Motivationale Prozesse (Erfahrung oder Beobachtung positiver Konsequenzen erhöht
Wahrscheinlichkeit der Ausführung, Erfahrung oder Beobachtung negativer Konsequenzen
senkt Wahrscheinlichkeit)
Beispiel:
Ein 3 jähriges Kind sieht seinen älteren Bruder Radfahren. →Aufmerksamkeit
Es hat sich gemerkt wie man das macht →Behaltensprozess
Es versucht es nachzumachen, scheitert jedoch, da es motorisch noch nicht so weit ist →
Motorischer Reproduktionsprozess
Es ist motiviert dies zu lernen →motivationaler Prozess
Man unterscheidet somit zwischen Aneignung und Ausführung. (a) und (b) gehören
zu der Aneignung; (d) und (c) zur Ausführung. Das bedeutet, dass ein Kind sich ein
Verhalten zwar angeeignet haben kann, dies aber noch nicht bedeutet dass es es auch
ausführt. Selbst wenn motorische Reproduktionsprozesse erfüllt sind motivationale
Aspekte auschlaggebend, damit das Kind das Verhalten auch ausführt.
Sozialisationstheorien
Man kann zwischen 5 verschiedenen Sozialisationstheorien unterscheiden.
1. Trichtermodell der Sozialisation
2. Rollenmodell der Sozialisation
3. Sozialisation als Abfolge der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben
4. Anforderungs-Bewältigungs-Konzepte
5. Bidirektionales Modell der Sozialisation
Zum Begriff der Sozialisation:
Sozialisation ist ein umfassender Begriff für den Prozess des sozialen Lernens, der durch
eine wechselseitige Interaktion voneinander abhängiger oder aufeinander bezogener
Personen charakterisiert ist. Häufig sind die Interaktionsbeziehungen am Anfang der
Entwicklung asymmetrisch und werden im Laufe der Entwicklung zunehmend
symmetrischer. Beispielsweise sozialisieren anfangs typischerweise die Eltern die Kinder,
während im Laufe der Entwicklung zunehmend auch umgekehrte Sozialisationen
stattfinden.
Beispiel:
Papa hatte nie etwas mit Pferden zu tun, nun reitet seine Tochter und er lernt über dieses
Thema durch seine Tochter
1.Trichtermodell (ursprünglich steht hier eine psychoanalytische Theorie dahinter)
Zentrale Annahme in Child's Trichtermodell der Sozialisation: Sozialisation ist ein Vorgang
fortschreitender Einengung und Festlegung des Verhaltens. Der Anpassungsdruck und der
Konformitätszwang der Gesellschaft zwingen das Kind zu relativ passiver Anpassung an
die bestehenden Verhältnisse. Das Kind ist zunächst asozial und auf unmittelbaren
Lustgewinn
ausgerichtet, wird erst auf äußeren Druck zu realitätsbezogenem, sozialem Wesen. Das
breite und natürliche Verhaltensrepertoire wird dabei zunehmend eingeengt (Beispiel:
Lautrepertoire in der Sprachentwicklung).
Kritik am Trichtermodell der Sozialisation:
(a) Zu starke Betonung der passiven Sozialmachung. Sozialisation ist auch Sozialwerdung
mit Betonung der aktiven Auseinandersetzung mit der Umgebung.
(b) Keine Berücksichtigung der Wechselseitigkeit von Sozialisation.
(c) Zu starke Orientierung an der Sozialisation in den ersten Lebensjahren, bei der
vielleicht Einengungen durch Erziehung im Vordergrund stehen (Vernachlässigung der
Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in späteren Lebensabschnitten).
2.Rollenmodell der Sozialisation:
In der Rollentheorie wird Sozialisation als
Hineinwachsen des Individuums in gesellschaftlich
definierte Positionen aufgefasst. Dabei hat das
Individuum sich an Erwartungen anzupassen, die an
die Positionen geknüpft sind.
Beispiele für Rollenerwartungen:
(a) Alters- und Geschlechtsgruppen
(b) Verwandtschaftsgruppen
(c) Berufsgruppen
(d) Statusgruppen
(e) Freundschafts- und Interessengruppen
Ein Individuum kann gleichzeitig oder nacheinander verschiedene Rollen einnehmen.
Besonders, wenn inkompatible Rolleneinnahmen auftreten, kann es zu Rollenkonflikten
kommen. (Beispiel: im Job der big boss und Zuhause der Pantoffelheld)
Nacheinander eingenommene Rollen finden sich auch im Entwicklungsverlauf: Säugling,
Kleinkind, Schulkind, Lehrling etc.
Erleichternde und erschwerende Bedingungen für die Aneignung von Rollen:
(a) Charakteristika des sozialen Systems (vor allem Eindeutigkeit und Vereinbarkeit der
Rollenerwartungen)
(b) Besonderheiten der Rollensituation (vor allem Stärke des sozialen Rollendrucks,
beispielsweise in der Schule stärker als in der Freizeit)
(c) Charakteristika des Individuums (z.B. die Art des Selbstkonzepts, das im Laufe der
Entwicklung entsteht, kann die Aneignung bestimmter Rollen erschweren oder erleichtern)
3. Sozialisation als Abfolge der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben
Annahme: Jedes Individuum wird im Laufe seiner Entwicklung mit verschiedenen
Entwicklungsaufgaben konfrontiert.
Konzept von Havighurst: Sozialisation besteht darin, diese einzelnen Aufgaben in
angemessener Weise zu bewältigen. Die Bewältigung nachfolgender Aufgaben
wird erleichtert, wenn frühere Aufgaben erfolgreich bewältigt wurden. Grund: Im Umgang
mit Entwicklungsaufgaben werden Bewältigungsmechanismen aufgebaut, auf die später
zurückgegriffen werden kann.
(Eine Aufgabe kann auch der Tod eines Elternteils sein.)
Phase
1
Alter in
Monaten
0-3
Aufgabenbereich/Thema
2
3-6
3
6-12
4
12-18
Erfolgreiche Exploration
5
18-30
Individuation (Autonomie)
6
30-54
Handhaben von impulsiven
Regungen,
Geschlechtsrollenidentifikati
on, Beziehung zu
Gleichaltrigen
Physiologische Regulation
z.B. Aneignung eines SchlafWachrhythmus
Handhabungen von
Spannungen / lernen
Spannung auszuhalten
Aufbau einer effektiven
Bindung
Aufgabe der
Bezugsperson
Behutsame
Pflegeroutinen
Sensitive,
kooperative
Interaktion
Erreichbarkeit und
Bereitschafft zu
antworten
Sicherer
Bezugspunkt
Nachhaltige
Unterstützung
Klare Rollen und
Werte, flexible
Selbstkontrolle
Beispiele für Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (nach Dreher und Dreher):
(a) Aufbau neuer und reiferer Beziehungen zu Gleichaltrigen beiderlei Geschlechts
(b) Übernahme der weiblichen bzw. männlichen Geschlechtsrolle
(c) Akzeptanz der eigenen körperlichen Erscheinung
(d) Emotionale Unabhängigkeit von den Eltern bzw. von anderen Erwachsenen
(e) Vorbereitung auf Partnerschaft und Familie
(f) Vorbereitung auf eine berufliche Karriere
(g) Aufbau eines Wertesystems als Leitfaden für das eigene Verhalten
(h) Aufbau sozial verantwortlichen Verhaltens
Ein Teil der Aufgaben ist von allen Mitgliedern einer Gesellschaft zu bewältigen, während
bei anderen nur Teile der Gesellschaft damit konfrontiert werden. (z.B. Tod des Vaters)
Auf viele Aufgaben kann bereits antizipatorisch vorbereitet werden (z.B. Schuleintritt,
Heirat etc.), während andere Aufgaben plötzlich und unerwartet eintreten können (wie die
Konfrontation mit Krankheit und Tod). Die Bewältigung kann daher unterschiedlich gut
vorbereitet sein und unterschiedlich leicht gelingen. Die einzelnen Entwicklungsaufgaben
können sich dabei auf unterschiedliche Zeitdauern erstrecken.
Beispiele:
Entwicklungsaufgabe
Zeitliche Erstreckung
(a) Erhaltung der Gesundheit,
Persönlichkeitsentwicklung
Gesamter Lebenslauf
(b) Kindergartenbesuch,
Schulbesuch
Altersperiode
(c)Geburt eines Kindes,
Heirat
Meilenstein im Lebenslauf
(d) Schwangerschaft,
Prüfungsvorbereitung
Kürzere Episode
(e)Alltägliche Erledigungen,
Streitigkeiten
Kurze Zeitabschnitte
4. Anforderungs-Bewältigungs-Konzepte
Der Entwicklungsaufgaben-Konzeption von Havighurst kommt eine wichtige
Vorreiterfunktion bei der Einführung des Anforderungs-Bewältigungs-Paradigmas
in die Entwicklungspsychologie zu. Entwicklungsaufgaben stellen Anforderungen, die vom
Individuum zu lösen sind.
Die Forschung zu Entwicklungsaufgaben und ihrer Bewältigung konzentrierte sich
zunächst auf kritische Lebensereignisse, die mit größeren Einschnitten im Lebenslauf
verbunden sind.
Ursprüngliche Herangehensweise:
(a) Liste mit kritischen Lebensereignissen
(b) Zuordnung von Belastungswerten durch Rater
(c)Ankreuzung der individuell erlebten Belastungen in einem definierten Zeitraum
(d) Summierung der damit verbundenen Belastungswerte als Index für die individuelle
Belastung
Zum Beispiel:
Tod des Ehepartners
= 100 Punkte
Scheidung
= 73 Punkte
Urlaub
= 13 Punkte
Problem:
Anforderungen sind nicht mit Belastungen gleichzusetzen.
Anforderungen werden individuell unterschiedlich bewertet und werden erst durch den
Bewertungsvorgang und das Bewertungsergebnis zur Belastung.
Diese Idee wird in dem Bewältigungsmodell von Lazarus aufgegriffen, das zwei
Bewertungen umfasst:
(a)Die Bewertung der Situation
(b) Die Bewertung des vorhandenen Bewältigungspotentials
Grundmodell:
Potentielle Stressoren
(z.B. Kind schreibt morgen eine
Klassenarbeit)
Bewertung der Ausgangssituation
positiv
Stressbezogen
irrelevant
Bewertung der Bewältigungsmöglichkeiten
Bewältigungsmöglichkeiten
Können sein: lernen, Hilfe
suchen, sagen man hat
Stressreaktionen:
emotional,
kognitiv,
Bewältigungsverhalten
verhaltensbezogen
Kopfschmerzen etc.
Es gibt auch eine erweiterte Fassung zu diesem Modell, dazu siehe bitte Folien von
Lohaus.
Es ist davon auszugehen, dass eine Anforderungssituation erst dann zur Belastung wird,
wenn potentielle Bedrohungen und Schädigungen wahrgenommen werden, denen
ein als unzureichend bewertetes Bewältigungspotential gegenübersteht.
Es gibt unterschiedliche Klassifikationssysteme für Bewältigungspotential. Typischerweise
aber mindestens Unterscheidung zwischen:
(a) Einer direkten Bewältigung, die auf eine Veränderung der Belastungssituation selbst
abzielt sowie
(b) einer indirekten Bewältigung, in der die Belastungssituation nicht unmittelbar
angegangen wird (z.B. durch die Kontrolle der Belastungsreaktionen)
Den personalen Bewältigungsressourcen, die das Bewältigungspotential selbst umfassen,
stehen die sozialen Bewältigungsressourcen gegenüber, die man bei der Bewältigung von
Problemen mobilisieren kann.
Hier ist vor allem das soziale Netzwerk zu benennen, das für unterschiedliche
Problemlagen spezifische Bewältigungsfunktionen übernehmen kann und das bei der
Suche nach sozialer Unterstützung zur Verfügung steht. Zum Beispiel: sich an Eltern oder
Freunde wenden
Die Wahrscheinlichkeit einer angemessenen Problemlösung erhöht sich mit der
Verfügbarkeit eines breiten Bewältigungsrepertoires, das situationsgerecht eingesetzt
werden kann.
So kann es in Situationen, die durch eigenes Handeln kontrollierbar sind, sinnvoll sein,
problemfokussierende Strategien einzusetzen, während in unkontrollierbaren Situationen
eher der Umgang mit den eigenen Belastungsreaktionen sinnvoll ist (z.B. durch
emotionsregulierende Bewältigung oder die Suche nach sozialer
Unterstützung).
Kontrollierbar: Klassenarbeit ist in 10 Tagen – also kann ich noch lernen
Unkontrollierbar: unangekündigter Test
Obwohl Kinder und Jugendliche nicht selten einer Vielzahl von alltäglichen Anforderungen
ausgesetzt sind, kommt es selten zu Überlastungen.
Anders kann die Situation bei einer Kumulierung der Anforderungen aussehen. Wenn
kritische Lebensereignisse hinzukommen (wie Erkrankungen, Umzug, Trennung der
Eltern), kann es zu einer deutlichen Erhöhung des Belastungspotentials kommen. Durch
die Mehrfachbeanspruchung bereiten dann oftmals auch alltägliche
Probleme Mühe.
5. Bidirektionales Modell der Sozialisation
Geht von einer bidirektionalen Sozialisationsrichtung aus:
Im Laufe der Sozialisation findet ständig eine wechselseitige Beeinflussung von Eltern und
Kindern statt. Für Eltern gibt es typischerweise keine ein für allemal festgelegten
Erziehungstechniken, die sie unabhängig vom Verhalten des Kindes anwenden. Es findet
vielmehr eine ständige Anpassung in der Interaktion mit dem Kind statt.
Kontrollsystemmodell von Bell:
Eltern und Kinder besitzen ein Repertoire von hierarchisch organisierten
Verhaltensweisen, die sie in Abhängigkeit vom Verhalten des Interaktionspartners
variieren.
Jede der beiden Parteien hat eine obere und eine untere Toleranzgrenze in bezug auf die
Situationsangemessenheit, die Intensität und die Häufigkeit von Verhalten.
Wird die Obergrenze überschritten oder die Untergrenze unterschritten, erfolgen
Maßnahmen, um das Verhalten in den Toleranzbereich zurückzuführen. Dies gilt für Eltern
wie Kinder gleichermaßen.
Die Ober- und Untergrenzen werden in der Eltern- Kind-Interaktion immer wieder neu
festgelegt und verhandelt. Das Kind ist damit (ebenso wie die Eltern) aktiv an der
Sozialisation beteiligt.
Beispiel:
Ein Kind soll um 19 Uhr ins Bett gehen. Das Kind sagt dass all seine Freunde erst um 20
Uhr ins Bett gehen würden und es auch später ins Bett gehen möchte. – Die Grenzen
müssen dann neu verhandelt werden.
04 Kognitive Theorien
Die kognitiven Theorien von Jean Piaget (1896-1980) waren sehr aufschlussreich und sind
es auch heute immer noch.
Zentrale Begriffe seiner Theorie sind:
(j) Schema
(k) Assimilation
(l) Akkommodation
(m)
Assimilations-Akkommodations-Prozess
(n) Organisation
(o) Adaption
Schema:
Kognitive Denkeinheit zur Verarbeitung von Information, Verbindung von eingehender und
ausgehender Information, hierarchisch organisiert, aus Erfahrung aufgebaut, zur
Ordnungsbildung in der Umgebung.
Beispiele: Ball, Greifen
Unter das Schema Ball fallen alle Dinge die man als Bälle bezeichnen würde (bei einem
Kind sind das zum Beispiel: Mond, Luftballon, Fussball etc. Ein Erwachsener hingegen hat
spezielle Schemata für verschiedene Bälle und unterscheidet zwischen Volleyball,
Basketball, Fussball etc.)
Assimilation:
Interpretieren von Objekten oder Ereignissen entsprechend den vorhandenen Schemata
(verfügbare und bevorzugte Schemata)
Akkommodation:
Bemerken einer Diskrepanz zwischen Schema und einzuordnendem Gegenstand folgt die
Anpassung der vorhandenen kognitiven Schemata
(passt nicht in vorhandene Schemata, passt in mehrere Schemata). Beispiel: Anwendung
des
Greifschemas beim Schöpfen von Wasser oder Mond passt nicht richtig ins Schema Ball
weil man ihn nicht rollen kann.
Es kann zu 3 verschieden Prozessen bei der Assimilation und Akkommodation kommen
Assimilations-Akkommodations-Prozess:
1. Nicht-Wahrnehmen bzw. Nicht-Auftreten eines Konfliktes (Assimilation) hier würde ich
alles so interpretieren, dass es in mein Schema passt
2. Wahrnehmen eines Konfliktes ohne Lösung (Ungleichgewicht)
3. Lösung auf höherem Niveau durch Aufheben der Widersprüche (durch Akkommodation)
Organisation:
Hierarchischer Aufbau von Strukturen, deren kleinste Einheit die Schemata sind.
Entstehung immer höherer und komplexerer Systeme (Beispiel: Ball ist nicht mehr nur Ball
sondern man unterscheidet nun zwischen Basketball, Tennisball, Volleyball etc.)
Dann folgt:
Äquilibration (Versuch ein Gleichgewicht herzustellen)
Wenn Widersprüche innerhalb der Strukturen oder
zwischen Struktur und Umgebung auftreten, entsteht
ein Ungleichgewicht, das durch Veränderung
(Verbesserung) der Strukturen wieder aufgehoben wird
(Äquilibration).
Adaption:
Durch kontinuierliche Verbesserungen kommt es zu einer zunehmenden Adaptation an die
Umgebung. (Schemata werden immer besser angepasst)
Sachimmanente Entfaltungslogik
Wenn man Erkenntnisse gewinnt, dann erfolgt dies nach einer bestimmten Logik. Diese
Logik ist häufig durch die Aufgabe, die man lösen will, vorgegeben. Beispiel für solche
Erkenntnisreihen: Vom einfachen zum komplexen (Umgang mit einer Dimension vor
Umgang
mit zwei oder mehr Dimensionen). Die Entwicklung des Denkens folgt diesen
Gesetzmäßigkeiten, die durch die Natur der Dinge bereits vorgegeben sind.
Dabei gilt; dass das Einfache immer vor dem Komplexen gelernt wird. So lernt man erst zu
addieren und danach zu multiplizieren.
Laut Piaget erfolgt die Entwicklung als eine Stufenabfolge
Da durch die Natur der Dinge bestimmte Denkentwicklungslogiken vorgezeichnet sind,
kommt es zu vorhersagbaren Stufenabfolgen des Denkens, die bei jedem (universell)
auftreten.
Es können keine Stufen übersprungen werden, da die Abfolge logisch vorgezeichnet ist.
Die Stufenabfolge ergibt sich vor allem durch die Veränderung zentraler Denkstrukturen.
Die Stufen können zwar unterschiedlich schnell durchlaufen werden, können aber nicht
übersprungen werden. Manchmal scheint es aber, dass Kinder sich auf 2 Stufen
gleichzeitig befinden.
Horizontale und vertikale Verschiebung
Horizontale Verschiebung =
Denkstruktur wird bei unterschiedlichen Inhalten zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt
erworben (z.B. Mengenerhaltung bei Knetgummi und Wasser so kann es sein, dass
manche Kinder die Mengenerhaltung bei Knetgummi verstehen bei Wasser aber noch
nicht. Beispiel siehe später)
Vertikale Verschiebung =
Formal ähnliche kognitive Strukturen kehren in unterschiedlichen Entwicklungsstufen
bezüglich ähnlicher Verhaltensinhalte wieder. Beispiel räumliche Orientierung: Am Ende
der sensumotorischen Entwicklungsstufe kann Kind vom einem Punkt A über B nach C
gehen. In den späteren Entwicklungsstufen ist das Kind in der Lage, sich den Weg
vorzustellen.
4 Stufen der kognitiven
Entwickung:
Laut Piaget gibt es
1. Stufe (0-24 Monate)
Sensumotorische Phase
2. Stufe ( 2-6 Jahre)
Präoperationale Phase
3. Stufe ( 7-12 Jahre)
Phase der konkreten Operationen
1. Stufe: Sensumotorische
Entwicklung
4. Stufe
(ab 12 Jahren)
Zu dieser Stufe gehört Phase
folgendes:
der formalen Operationen
1. Reflexhandlungen
Angeborene Reflexschemata (Beispiel: Greifreflex, Saugreflex)
danach entstehen…
2. Einfache Gewohnheiten (primäre Kreisreaktionen)
Modifikation der Reflexschemata in Richtung einfacher Gewohnheiten (durch Erfahrung)
danach entstehen…
3. Aktive Wiederholung von Handlungsfolgen (sekundäre
Kreisreaktionen)
Entwicklung einer Vielfalt von Schemata, die interessante Umwelteffekte hervorbringen.
Stark nach außen gerichtet, um Effekte zu erzielen. Zum Beispiel mit der Rassel rasseln.
danach entstehen…
4. Koordination sekundärer Kreisreaktionen und Anwendung auf neue
Situationen; Herstellen von Mittel-Zweck-Verbindungen
danach entstehen…
5. Aktives Experimentieren mit Handlungsabfolgen (tertiäre
Kreisreaktionen)
Versuch und Irrtum als Verfahren beim Experimentieren mit Handlungsabfolgen. Folge:
Entdecken neuer Mittel, mit denen derselbe Zweck erreicht wird.
danach entstehen…
6. Erfinden von neuen Handlungsmustern durch verinnerlichtes Handeln
(Entwicklung der Symbolfunktion); Übergang von der sensumotorischen zur
symbolischen Art der kognitiven Handlung. Man kann sich vorstellen, was passieren
würde, wenn man etwas tun würde, ohne dass man es ausführen muss.
Die äußeren Handlungen werden im Laufe der sensumotorischen Phase verinnerlicht. Für
die
Handlungen werden kognitive Schemata gebildet, die zunehmend unabhängig von der
tatsächlichen Handlung werden. Später kann mit den Schemata operiert werden, ohne
dass die Handlung stattfinden muss. Dadurch wird verinnerlichtes Handeln möglich.
Die Ausbildung kognitiver Schemata lässt sich nicht nur bei der Motorik, sondern auch bei
der Sensorik (Wahrnehmung) zeigen. Solange kein Schema für einen Gegenstand
vorliegt, ist der Gegenstand verschwunden, sobald er aus dem Blickfeld verschwunden ist.
Es liegt
noch keine Objektpermanenz vor.
Entwicklung der Objektpermanenz (0 – 24 Monate)
9.
Monat:
Verfolgen eines Objektes mit den Augen, aber kein Suchen wenn es verschwunden ist.
1-4 Monate:
Wenn Objekt verschwunden, setzt das Kind seine Handlung fort oder sucht da, wo das
Objekt zuletzt oder zuerst auftauchte. Es findet aber noch kein richtiges aktives Suchen
statt.
4-8 Monate:
Erste Ansätze von Suchbewegungen. Sucht aber nicht mehr, wenn es Objekt nicht gleich
findet. Schwierigkeiten bereiten auch teilverdeckte Objekte.
8-12 Monate:
Erkennt teilverdeckte Objekte und deckt sie auf. Unsystematisches Suchen: Stehen
mehrere Orte zur Verfügung, wird nur am 1. Ort gesucht (A-nonB-Fehler).
12 – 18 Monate:
Kind beobachtet Ortswechsel und sucht die Orte systematisch ab.
18 – 24 Monate:
Kind sucht systematisch, auch wenn eine größere Menge von möglichen Orten zur
Verfügung steht.
Am Ende der sensumotorischen Periode sind sowohl für die Motorik als auch für die
Sensorik Schemata aufgebaut, die
(a) die Steuerung und Koordinierung der Motorik erleichtern und
(b) die Orientierung in der Umgebung verbessern.
Ursprünglich auf der Basis der Reflexe sind zunehmend komplexere sensumotorische
Pläne entstanden. Die Pläne sind mit Symbolen bezeichnet, die zunehmend auch
sprachlich und gestisch überlagert sind.
Entwicklungsverlauf und Entwicklungsergebnis in der sensumotorischen
Entwicklungsstufe
Internalisierte
Nachahmung
Sprache
Verschobene Nachahmung
(ich kann gesehende Handlung auch später
noch Nachahmen
Symbol –
Spiel (z.B. Kind
hebt Arme, d.h. heb mich
hoch)
Gesten
Symbolfunktion
2. Stufe: präoperationale Stufe (2-6 Jahren)
Kennzeichen dieser Stufe sind:
Sensumotorische
Pläne undinnerer
Objektpermanenz
(a) Innere Symbole
für Objekte, Weiterentwicklung
Schemata, aber enge
Gebundenheit an die konkret-wahrnehmbare Umgebung bzw. an die eigenen Handlungen
(b) Egozentrismus des Denkens: Nur die eigene Perspektive wird gesehen
Reflexe
(c) Statisches, wenig prozesshaftes Denken, verschiedene Zustände werden nicht
ineinander überführt, keine Reversibilität des Denkens, dadurch keine Fähigkeit zur
Mengenerhaltung
(manchmal könnte
aber auch sein,
das Kinder diese
Experimente nicht
verstehen weil,
eine sprachliche
Unklarheit vorliegt uns sie daher die Mengenerhaltung nicht verstehen zu scheinen)
es
(d) Probleme bei Erkennen von Ursache-Wirkungs-Ketten als Folge statischen Denkens.
Folge: Animistisches und magisches Denken durch Überbetonung des Konzepts der
raum-zeitlichen Nähe.
(e)Keine Beachtung mehrerer Dimensionen, dadurch Probleme bei multipler Klassifikation,
Klasseninklusion oder multipler Seriation
( Einschub Begriffserklärung: Animistisches Denken : man unterstellt Objekten ein Leben /
eine Intention)
Multiple Klassifikation:
Sortieren von Gegenständen nach mehreren Kriterien (z.B. Legosteine nach Größe, Farbe
etc.)
Klasseninklusion:
Erkennen, dass es Teilmengen innerhalb von Klassen gibt (z.B. Teilmenge der Tulpen
in der Klasse der Blumen)
Multiple Seriation:
Rangfolgen nach verschiedenen Gesichtspunkten erstellen, z.B. Gefäße nach Höhe und
Breite ordnen.
Wichtigstes Grundproblem in der präoperationalen Entwicklungsstufe: Es findet eine
Zentrierung auf eine Dimension (Perspektive, Zustand etc.) statt. Dies äußert sich in
unterschiedlichen Denkbegrenztheiten.
3. Stufe: Konkret-operationale Stufe (7-12 Jahre)
Kennzeichen dieser Stufe sind:
(a)Ablösung der Denkoperationen von den beobachteten Abläufen, aber noch bezogen auf
konkrete Handlungen und Wahrnehmungen, wenig Abstraktionsfähigkeit
(b) Herausbildung von Invarianzbegriffen (Erhaltung von Mengen etc.)
(c) Logische und arithmetische Operationen: Klassifikation, Seriation, Zahlsysteme
(d) Fähigkeit zu Operationen in Raum und Zeit
Beispiel: Wasserspiegel richtet sich nach der Schwerkraft. Also: Egal wie eine Flasche
räumlich orientiert ist: Der Wasserspiegel ist immer horizontal.
(e) Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ist möglich (bezogen auf konkrete Personen),
Erfassen der Intentionen anderer
Beispiel: 3-Berge-Versuch
Beispiel: Egozentrische Unterhaltung
bei Vorschulkindern (hier im Beispiel
herrscht eine mangelnde
Perspektivenübernahme)
(f) Zunehmende Fähigkeit zur Planung von
Handlungsabläufen und zur Koordinierung
Handlungen (durch
Perspektivenübernahme auch mit den
Handlungen anderer).
von
Allgemein: Größere Beweglichkeit des Denkens, Operieren mit mehreren
Schemata simultan, dadurch komplexeres Denken, das aber noch an
konkrete Abläufe gebunden ist.
4. Stufe: Formal-operationale Stufe
Kennzeichen dieser Stufe sind:
(a) Loslösung des Denkens von konkreten Abläufen,
abstraktes Denken
(b) Fähigkeit zu hypothetischdeduktivem Denken,
systematisches Denken nach
formal-logischen Regeln Beispiel: Einfluss von
Pendellänge und Gewicht auf die Pendelfrequenz
(c)Das Wirkliche wird zum Sonderfall des Möglichen,
können Alternativen hypothetisch durchdacht
von denen eine zur Wirklichkeit wird.
es
werden,
1.3. Methodisches Vorgehen (bei Piaget ) (obwohl sein methodisches Vorgehen auch
kritisch zu sehen ist…)
(a)Wenige Fälle, teilweise Einzelfälle, hauptsächlich die eigenen Kinder als
Versuchspersonen
(b) Unsystematische Beobachtung bzw. nicht standardisierte Befragung
(c) Einfache, wenig standardisierte Experimente
(d) Interpretative Schlussfolgerungen aus den Beobachtungen bzw. aus den Aussagen der
Kinder
Kritik (u.a.):
11. Versuchsleitereffekte
12. Abhängigkeit der Ergebnisse von den gewählten Aufgaben
ABER:
Heuristische Fruchtbarkeit (Denkanstösse nicht nur aus der Theorie, sondern auch aus
den gewählten Operationalisierungen)
Viele seiner Versuche wurden wiederholt, überprüft und weiterentwickelt.
Implikationen für die Erziehung
Es ist nicht möglich, Stufen zu überspringen, daher Notwendigkeit, Informationsvermittlung
an die jeweiligen Denkfähigkeiten anzupassen, z.B. nicht zwei Stufen oberhalb der
Auffassungsmöglichkeiten. Es ist möglich, die Denkentwicklung in Grenzen zu
beschleunigen: Durch Aufbau von Diskrepanzen zu den vorhandenen
Auffassungsmöglichkeiten. Wenn die Diskrepanzen nicht zu groß sind, entsteht ein
Ungleichgewicht, das zu neuer Akkommodation führt.
Konzepte der Neo-Piagetianer
Wichtige Vertreter: Case, Pascual-Leone (zentrale Veröffentlichungen in den 80er und
90er Jahren)
Versuch, die Theorie Piagets mit Konzepten von Informationsverarbeitungstheorien zu
verbinden
Zentral: Konstrukt der Gedächtniskapazität definiert als:
„Die maximale Anzahl unabhängiger Schemata, die ein Kind zu einem gegebenen
Zeitpunkt aktivieren kann.“
Nicht der Äquilibrationsprozess, sondern die zunehmende Effizienz bei der Ausnutzung
von vorhandenen Kapazitäten ist nach dieser Auffassung der Hauptmechanismus der
Entwicklung
Ursachen der zunehmenden Effizienz:
•Automatisierungsprozesse (z.B. beim Zählen)
•Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit
•Parallele Informationsverarbeitung
•Neurologische Reifungsprozesse (u.a. Myelinisierung)
Entwicklungsstufen nach Case:
(a) Sensumotorisches Verarbeitungsstadium Die mentalen Repräsentationen werden mit
Körperbewegungen verbunden (Bezug zwischen mentalem Schema und motorischer
Handlung)
(b) Interrelationales Verarbeitungsstadium Die mentalen Repräsentationen enthalten
Relationen zwischen Objekten, Personen und Ereignissen
(c) Dimensionales Verarbeitungsstadium Bedeutsame Dimensionen der Umgebung
werden
erkannt und extrahiert, Herstellen systematischer Beziehungen zwischen den
Dimensionen
(d) Abstraktes Verarbeitungsstadium Erwerb abstrakter Denksysteme, mit deren Hilfe
logische Schlussfolgerungen gezogen werden können
Allgemein: Ähnlichkeit mit der Stufenabfolge, die von Piaget postuliert
wurde.
Aber: Stärkere der Denkschemata, die vor dem Hintergrund der
vorhandenen Gedächtniskapazitäten aktiviert werden können.
05 Informationsverarbeitungstheorien/ Bereichsspezifische Theorien
Grundanliegen
Beschreibung des Flusses von Informationen durch das kognitive System des Menschen.
Herstellung einer Beziehung zwischen Input und Output in Bezug auf das kognitive und
physiologische System.
Entwicklungspsychologische Variante: Beschreibung von Veränderungen der
Informationsverarbeitung über das Alter.
Es gibt verschiedene Teilprozesse bei der Informationsverarbeitung
Sensorisches Gedächtnis:
Information wird kurz gespeichert in unanalysierter Form (typischerweise nur maximal
wenige Sekunden, z.B. visuelle oder auditive Information).
Arbeitsspeicher:
Verarbeitung von Information aus dem sensorischen Gedächtnis. Verknüpfung mit
Information aus dem Langzeitspeicher. Weitergabe von Information an den
Langzeitspeicher, Vorbereitung und Ausführung einer Verhaltensantwort. Charakteristikum:
Speicherplatzbegrenzung, kurze Verweildauer. Hierbei gilt : 7 + - 2 Items werden
durchschnittlich gespeichert.
Modell des Arbeitsspeichers nach Baddeley & Hitch:
Besteht aus:
10. Visuell-räumlicher-Notizblock
11. Zentrale Exekutive
12. Phonologische Schleife
Visuell-räumlicher Speicher für visuell-vorstellungsmäßige Kodierung und Verarbeitung
Phonologische Schleife für auditive und verbale Kodierung und Verarbeitung
Zentrale Exekutive zur Verteilung der Aufmerksamkeitsressourcen von und zu den
Subsystemen
Zentrale
VisuellExekutive
Phonologisch
räumlicher e Schleife
Notizblock
Langzeitspeicher:
Information kann längerfristig im Langzeitspeicher gespeichert werden.
Voraussetzung: Nutzung von Gedächtnisstrategien (Enkodierstrategien) wie
• Rehearsal-Strategien (z.B. Telefonnummer immer wieder vorsagen)
• Organisationsstrategien (wie Klassenbildungen – alle Autos, alle Blumen etc. merken)
• Anreicherungsstrategien (zur Bedeutungsanreicherung z.B. Eselsbrücken nutzen)
Prinzipiell besteht unbegrenzte Speicherkapazität, Probleme bereitet vorrangig der
Informationsabruf. Daher sind neben den Enkodierstrategien weiterhin auch
Dekodierstrategien zum Abruf von Information notwendig.
Langzeitgedächtnis ist keine einheitliche Größe. Es werden vielmehr Teilkomponenten
unterschieden:
Wichtigste Teilkomponenten:
(a) Episodisches Gedächtnis (eigene Erfahrungen, vielfach in zeitlichen Sequenzen
organisiert, skriptorientiert)
(b) Semantisches Gedächtnis (Zusammenfassung des „Weltwissens“ einer Person,
organisiert in semantischen Netzwerken)
(c) Prozedurales Gedächtnis (Gedächtnis für kognitive, motorische und
wahrnehmungsorientierte Fertigkeiten)
Kontrollprozesse:
(p) Steuerung des Prozesses der Informationsaufnahme durch
Aufmerksamkeitslenkung – ich muss wissen/mich entscheiden, worauf ich mich
konzentriere.
(q) Auswahl der Strategie zum Umgang mit einem Problem (z.B. der Enkodierungsoder Dekodierungsstrategie)
(r) Überwachung des Erfolgs des Strategieeinsatzes und des Erreichens der
gewünschten Ziele
Entwicklungsveränderungen bei der Informationsverarbeitung gibt es beim Einsatz
effizienterer Strategien
Ältere Kinder nutzen effizientere Strategien zur Informationsverarbeitung als jüngere.
Beispiel:
Frühe Studie von Flavell et al (1966): Zeigte, dass Vorschulkinder, die eine Reihe von
Objekten behalten sollten, keine systematische Strategie benutzen. Erst die
siebenjährigen benutzen zu 50% eine Hersage- Strategie (Rehearsal), um ihre
Gedächtnisleistung zu
verbessern. Im Alter von 10 Jahren benutzen nahezu alle Kinder die Strategie. Die
Behaltensleistung erhöhte sich mit dem Einsatz von Rehearsal-Strategien.
(Puppe, LKW, Tier, Puppe, LKW, Tier etc. sagt man sich immer wieder)
Es kommt zu einer Zunahme der Kapazität des Arbeitsspeichers durch folgende 3
Gegebenheiten:
• Bessere Nutzung der Kapazität des Arbeitsspeichers durch Zunahme der
Informationseinheiten (chunking) ( 19234587 wird nicht als ganze Zahl gemerkt sondern in
10er Schritten wie 19 23 45 87)
• Flexiblere Nutzung des Arbeitsspeichers durch vielfältige Verknüpfungsmöglichkeiten mit
anderen Informationen
• Höhere Effizienz der Kontrollprozesse (durch zunehmende Erfahrungsbildung) (d.h.
Menschen können ihre Aufmerksamkeit besser und gezielter fokssieren)
Zunahme automatisierter Informationsverarbeitung
Automatisierte Informationsverarbeitung erfordert keine bewusste kognitive Mühe.
Beispiel: Erlernen des Umgangs mit einer Tastatur. Zunächst muss Kapazität des
Arbeitsgedächtnisses darauf verwandt werden, jeden einzelnen Buchstaben zu suchen.
Später ist die Suche automatisiert, die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses wird frei für
andere Aufgaben (z.B.
zusätzliche Kontrollprozesse).
Kinder haben bei vielen Aufgaben begrenzte Erfahrungen und benötigen daher viel
Kapazität des Arbeitsspeichers für die jeweilige Informationsverarbeitung.
Zunahme der Verarbeitungsgeschwindigkeit
Zunehmende Verarbeitungsgeschwindigkeit lässt sich erkennen, wenn man die
Geschwindigkeit misst, mit der Kinder verschiedener Altersgruppen Aufgaben bearbeiten
(z.B. Entscheidung, was der Name eines Objektes ist).
Wichtig beispielsweise, wenn Aufgaben unter Zeitdruck zu bearbeiten sind (z.B. das
Verstehen von Instruktionen, bei denen eine bestimmte Menge an Information pro
Zeiteinheit zu verstehen und zu verarbeiten ist).
Verarbeitungsgeschwindigkeit bei 4 Aufgabentypen
8. Visuelle Suche → zum Beispiel „wo ist der Hund“
9. Mentale Rotation → Objekt vorstellen wie es sich mental dreht
10. Kopfrechnen
11. Schnelles Klopfen mit dem Finger (ältere Kinder können schneller klopfen –
warum ? Weil die Myelisierung eine erhöhte Verarbeitungsgeschwindigkeit erlaubt
und eine effektivere Synapsenbildung vorliegt.)
3
4
Zunahme des Inhaltswissens
(a) Zunahme des Umfangs semantischer Netzwerke, die wiederum das Erkennen und
Einordnen neuer Information erleichtern
(b) Zunehmende Verfügbarkeit von Handlungsskripten für bestimmte Situationen, die
sowohl die Erinnerung an Vergangenes als auch die Antizipation von Zukünftigem
erleichtern
(z.B. was ist bei einem Arztbesuch passiert und was ist nicht passiert)
Methodische Herangehensweise
Prinzip: Sorgfältige Aufgabenanalyse. Annahme dabei: Durch die Art der Aufgabe wird eine
bestimmte Herangehensweise nahegelegt.
Wenn man die Aufgabe in Teilschritte zerlegt und danach analysiert, welche Teilschritte
das Kind in welcher Reihenfolge durchläuft, lässt sich daraus auf seinen Prozess der
Informationsverarbeitung zurückschließen. Beispiel dazu „Balkenwaageproblem“ siehe
Folien.
Hier gibt es 4 verschiedene Regeln und je nach Antwortverhalten kann man erkennen
welche Regel das Kind benutzt hat.
Entwicklungsveränderungen:
Im Alter von drei Jahren ist noch keine systematische Regelnutzung erkennbar.
Im Alter von vier Jahren nutzen 50% der Kinder Regel 1, im Alter von fünf Jahren 100%
der Kinder.
Im Alter von neun Jahren finden sich die Regeln 2 und 3 zu etwa gleichen Anteilen.
Im Alter von dreizehn und siebzehn Jahren nutzen nahezu alle Kinder bzw. Jugendlichen
Regel 3.
Selbst im Erwachsenenalter nutzt nur eine Minderheit Regel 4.
Das Antwortverhalten kann bereits bei jüngeren Entwicklungsstufen korrekt erscheinen,
obwohl es durch eine falsche Regel zustande kommt.
Erst die Kombination des Antwortverhaltens über verschiedene Aufgabentypen hinweg gibt
Aufschluss über die verwandte Regel.
Weitere methodische Herangehensweisen:
• Analyse von Reaktionszeiten ( z.B. bei Reaktionszeitexperimenten; bei der mentalen
Drehung von Objekten verhält es sich nämlich so, je größer der Winkel in dem sie gedreht
werden müssen desto länger braucht man.)
• Analyse von Behaltensleistungen
• Analyse von Selbstaussagen über Problemlöseprozesse (Hierbei gibt die Person an wie
sie auf die Lösung gekommen ist. Ein Problem hierbei ist jedoch, dass man auf
Introspektion angewiesen ist.)
• Beobachtung von Problemlöseprozessen (z.B. Balkenwaageproblem)
• Fehleranalyse
Grundannahmen der Bereichsspezifischen Theorien
Die geistige Entwicklung ist vergleichbar mit dem Wissenserwerb von Erwachsenen in
spezifischen Inhaltsbereichen.
Unterschied: Kinder müssen in allen Inhaltsbereichen Lernprozesse durchlaufen (sind
universelle Novizen). Dadurch, dass Kinder typischerweise gleichermaßen
mit vielen Inhaltsbereichen konfrontiert sind, entsteht der Eindruck einer gleichartigen
Entwicklung.
Treten dagegen Spezialisierungen auf, wird deutlich, dass Entwicklung bereichsspezifisch
unterschiedlich verlaufen kann.
Beispiel 1 : Konrad mag Bagger und Bücher – kann sogar Vokabeln auf Englisch zu
diesem Thema.
Motorisch ist er nicht ganz so weit entwickelt wie seine Peers – er hat oft Angst sich zu
verletzen und bewegt sowie tobt daher nur ungern.
Beispiel 2: Wissen über Schach Schacherfahrene Kinder der dritten bis achten Klasse
behalten die Positionen von Schachfiguren besser als Erwachsene (während
die Erwachsenen beim Behalten von Zahlenkolonnen bessere Leistungen bringen).
Entwicklung lässt sich also als ein bereichsspezifischer Wissenserwerb auffassen, falls
Spezialisierungen eintreten. Falls keine Spezialisierungen vorliegen, erscheint
Entwicklung als gleichförmig über verschiedenste Funktionsbereiche hinweg. Eine
Bereichsspezifität wird in diesem Fall nicht erkennbar.
Allgemeine versus bereichsspezifische Entwicklung
Liegt keine Spezialisierung vor – hat dies eine gleichmäßige Entwicklung in allen
Inhaltsbereichen zur Folge.
Liegt eine Spezialisierung vor – hat dies eine beschleunigte Entwicklung in einzelnen
Inhaltsbereichen und unterschiedliche Entwicklung in verschiedenen Inhaltsbereichen zur
Folge.
Entwicklung fängt dabei nicht bei Null an, sondern baut auf möglicherweise angeborenen
Grundlagen auf.
Beispiel: Objektverständnis von Säuglingen (Soliditätsprinzip)
Vorgehensweise:
Säugling wird gezeigt, wie ein Ball losgelassen wird und hinter einem
Schirm verschwindet (Habituationsphase). Dann wurde physikalisch mögliches (Ball lag
auf Tisch, wenn der Schirm hochgezogen wurde) oder unmögliches Ereignis gezeigt (Ball
lag unter dem Tisch).
(siehe auch
Folien)
Ergebnis:
Schon
zweieinhalb Monate alte Säuglinge betrachten das physikalisch unmögliche Ereignis
länger und differenzieren dabei zwischen möglichen und unmöglichen Ereignissen.
In einer Kontrollbedingung wurde gesichert, dass Säuglinge nicht per se Bälle, die unter
einem Tisch liegen, länger betrachten als Bälle, die auf einem Tisch liegen. Kinder
beobachten beides gleich lange.
Aus Experimenten (vor allem von Spelke) lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass
schon Säuglinge eine Reihe physikalischer Prinzipien kennen:
Beispielsweise
• dass Objekte sich als Ganzes bewegen
• dass Objekte sich kontinuierlich (und nicht diskontinuierlich) fortbewegen (Kontinuität)
• dass sie etwas bewirken, wenn sie mit anderen Objekten zusammenstoßen (Solidität)
Ein weiteres Beispiel – diesmal zum Mengenverständnis von Säuglingen
Ergebnis: Bereits vier Monate alte Säuglinge verfügen über ein rudimentäres
Mengenverhältnis.
Fraglich hierbei ist jedoch, wie ein Baby in dem Alter, wo es noch über keine
Objektpermanenz verfügt, sich daran erinnern kann wie viele Mäuse es gesehen hat. Eine
Antwort könnte sein, dass Objektpermanenz mit Suchaufgaben getestet wurde. Bei dem
oben genannten Beispiel handelt es sich aber um eine Wahrnehmungsaufgabe welche
viel leichter ist.
Allgemein ist aber auch zu sagen, dass Piaget Altersangaben heute zu hinterfrag sind, ob
sie immer noch so gültig sind. (Sind heutige Kinder weiter in ihrer Entwicklung?)
Aufbauend auf dem vorhandenen Grundwissen kann sich eine bereichsspezifische
Entwicklung nach zwei möglichen Annahmen vollziehen:
• Anreicherungsannahme
• Umstrukturierungsannahme
Die Anreicherungsannahme:
Geht davon aus, dass Kinder über ein angeborenes oder früh erworbenes physikalisches
und
psychologisches Ausgangswissen verfügen, das im Lauf der Entwicklung lediglich weiter
ausdifferenziert wird. Qualitative Veränderungen des Wissens werden
dabei nicht angenommen.
Konsequenz:
Wenn die naiven Vorstellungen von Kindern aus einer Vielzahl isolierter
Wissenskomponenten bestehen, so sollte sich falsches Wissen leicht korrigieren lassen.
(Ein Einzelelement sollte leicht zu korrigieren sein, da es unabhängig von anderen ist)
Wenn aber enge Verknüpfungen zwischen Wissenselementen über einen gemeinsamen
Interpretationsrahmen bestehen, dürften sich einzelne Elemente weniger leicht
beeinflussen lassen.
Beispiel: Kind wird gefragt ob Menschen auf der Unterseite der Erde leben können ohne
herunterzufallen?
Darauf antwortet Robert aus der 1. Klasse: Nein sie würden herunterfallen!
Usw.
Das Problem hierbei ist:
Das Kind weiß, dass die Erde eine Kugel ist, aber es weiß auch, dass Dinge
normalerweise nach dem Schwerkraftprinzip zu Boden fallen. Beides lässt sich nicht
miteinander in Einklang bringen.
Die Umstrukturierungsannahme:
Das Wissenssystem bildet ein kohärentes System von Überzeugungen, das resistent
gegen punktuelle Veränderungen ist. Es genügt nicht, einzelne Punkte zu korrigieren
sondern man muss den Interpretationsrahmen ändern.
Kinder verfügen über einen Interpretationsrahmen, den sie auf neue Informationen
anwenden. Die Veränderung des Interpretationsrahmens ist dabei ein langwieriger
Prozess.
Wird der Interpretationsrahmen geändert, kommt es zu umfangreichen
Umstrukturierungen, die einem Paradigmenwechsel ähneln.
Neben dem naiven physikalischen Wissen ist das naive psychologische Wissen ein
weiterer Bereich, in dem nach frühen Wissensbeständen gesucht wird, die dann
angereichert bzw. umstrukturiert werden.
Frühe Bestandteile einer Theory of Mind:
• Verständnis von Wünschen und Intentionen
• Verständnis von (falschen) Überzeugungen
• Verständnis des emotionalen Zustands anderer
Verständnis von Wünschen und Intentionen
Methodisches Vorgehen: Vorschulkindern wird eine Geschichte erzählt, in der ein Akteur
eine bestimmte Absicht verfolgt (z.B. sein Kaninchen mit in den Kindergarten nehmen).
Der Akteur weiß, dass das Kaninchen entweder in der Garage oder im Vorgarten sein
kann. Er sucht in der Garage und findet je nach Bedingung
(a) das Kaninchen
(b) nichts
(c) einen Hund (nach dem allerdings nicht gesucht wurde)
Frage an das Kind:
Was wird der Akteur tun, wenn er das Kaninchen nicht findet?
Wird er im Vorgarten suchen oder in den Kindergarten gehen.
Schon dreijährige Kinder sagen weit überwiegend, der Akteur würde nun im Vorgarten
suchen.
Also:
Die Kinder haben verstanden, dass der Akteur eine Absicht bzw. einen Wunsch hatte, den
er nun weiterverfolgt.
Verständnis von falschen Überzeugungen:
Versteht ein Kind, dass andere Menschen aufgrund ihrer eigenen Überzeugungen
handeln, auch wenn das Kind weiß, dass diese falsch sind?
Kinder die Wissen, dass Jenny eine falsche Vorstellung hat würden antworten, dass Jenny
auf die Frage was sich in der Schachtel befindet „Smarties“ antworten wird.
Kinder die lediglich von ihrem eigenen Wissensbestand ausgehen, werden sagen, dass
Jenny „Bleistifte“ antworten wird.
Kinder im Alter von 3 Jahren neigen eher zur 2. Alternative. Kinder mit 4 und mehr Jahren
würden eher wie in Variante 1 antworten.
Ein Verständnis für falsche Überzeugungen liegt demnach erst mit etwa
vier bis fünf Jahren vor.
Verständnis des emotionalen Zustands anderer
• Schon am Ende des zweiten Lebensjahres beginnen Kinder, Sensitivität für den
emotionalen Zustand anderer zu zeigen und zu helfen, wenn andere Kummer haben.
• Schon mit einem Jahr nutzen Kleinkinder Signale in der Mimik der Mutter als
Hinweisreize für eigenes Verhalten (z.B. sieht die Mutter ängstlich aus, wird das Kind
innehalten mit dem was es gerade tut)
• Schon mit drei Monaten erwarten Säuglinge eine zeitliche Kontingenz zwischen Stimme
und Mimik der Mutter. Wenn beides zeitlich versetzt präsentiert wird, reagieren sie
verunsichert und fangen an zu weinen.
FAZIT:
Schon Kleinkinder im Alter von 3 Monaten haben also bestimmte Erwartungen an das
Verhalten der sozialen Umgebung.
Ähnlich wie bei der intuitiven Physik scheinen auch bei der intuitiven Psychologie
angeborene bzw. früh erworbene Wissensbestandteile vorhanden zu sein.
Die früh vorhandene intuitive Psychologie wird im Laufe der Entwicklung weiter
ausdifferenziert, wobei offen bleiben muss, ob lediglich eine Anreicherung stattfindet
oder ob es zu sukzessiven Umstrukturierungen kommt.
Kennzeichen intuitiver Theorien, die sie mit formellen wissenschaftlichen Theorien teilen:
(a) Sie identifizieren grundlegende Einheiten, um die Objektwelt einzuordnen z.B.
unbelebte Objekte werden von lebenden unterschieden
(b) Sie erklären viele einzelne Phänomene anhand einiger weniger Grundprinzipien
(c) Sie erklären Ereignisse anhand nicht-beobachtbarer Ursachen d.h. sie versuchen
Erklärungen zu finden für das was um sie herum passiert.
06 Familienentwicklungstheorien
Die Familie als soziales System
Entwicklung bezieht sich nicht isoliert auf ein Individuum, sondern bezieht auch die
Umgebung mit ein. Ein System besteht aus einer Menge ineinander verschachtelter
Strukturen, die sich gegenseitig beeinflussen. Daher ist Entwicklung immer auch vor
dem Hintergrund des Gesamtsystems, in das sie eingeschlossen ist, zu betrachten.
Die Familie ist das wichtigste System, in das Kinder eingebettet sind. Im
Entwicklungsverlauf beeinflussen dabei nicht nur die Eltern die Entwicklung ihrer Kinder,
sondern auch die Eltern entwickeln sich, indem sie im Umgang mit den Kindern lernen.
Nach Bronfenbrenner kann das soziale System aufgegliedert werden in Teilsysteme:
Dabei werden 4 wichtige Unterscheidungen gemacht:
(a)Mikrosysteme
(b)Mesosysteme
(c) Exosysteme
(d)Makrosysteme
Und hier nun eine
Auflistung, was die
einzelnen Systeme
beinhalten.
Mikrosystem:
Mikrosysteme sind
Lebensbereiche, in
denen Menschen leicht
direkte Interaktionen mit
anderen aufnehmen
können. Sie beziehen
auf die unmittelbare Umgebung eines Menschen.
Beispiele: Familie, Schule und Arbeitsplatz.
Mesosystem:
Mesosysteme sind Lebensbereiche, die Wechselbeziehungen zwischen einzelnen
Lebensbereichen umfassen, die für eine Person von Bedeutung sind.
Beispiel: Beziehung zwischen Schule und Elternhaus.
sich
Exosysteme:
Exosysteme sind Lebensbereiche, an denen eine Person nicht unmittelbar beteiligt ist,
die jedoch Einfluss auf die eigenen Lebensbereiche einer Person nehmen (z.B. Freunde
der Eltern, die über Ratschläge an die Eltern Auswirkungen auf das Kind haben können).
Makrosystem:
Makrosysteme bilden die höchste Stufe der Hierarchie. Umfassen die Gemeinsamkeiten
und Ähnlichkeiten der untergeordneten Systeme einer Subkultur bzw. einer Kultur.
Es handelt sich also um gemeinsame Einflüsse, die auf alle Mitglieder einer Kultur oder
Subkultur wirken. Zum Beispiel die Wirtschaft oder kulturelle Werte
Je nachdem welche Systemebene betrachtet wird, stehen unterschiedliche
Entwicklungsprozesse im Vordergrund. Betrachtet man zum Beispiel das Mikrosystem
„Familie“ stehen Familienentwicklung und Familienentwicklungsstadien im Vordergrund.
Stufen der Familienentwicklung
Unterteilung des Familiezyklus in eine Reihe chronologisch aufeinanderfolgender
Familienstufen.
Die Stufen werden dabei als Entwicklungsabschnitte gesehen, die durch mehr oder
weniger tiefe Einschnitte voneinander getrennt sind.
Die Stufen können eine unterschiedlich lange zeitliche Erstreckung aufweisen.
Wenn diese Stufenfolge innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Kontextes auf eine
Vielzahl von Familien zutrifft, spricht man von einer normativen Familienentwicklung. Oder
auch idealtypische Entwicklung genannt.
Es gibt 3 bedeutsame Kriterien für die Abgrenzung von Familienentwicklungsstufen:
(a)Veränderungen in der Zahl der Mitglieder einer Familie (kommt ein neues Mitglied dazu
ändert sich die Struktur)
(b) Entwicklungsstand des ersten Kindes (Vorschulkind, Schulkind etc.) (erstes Kind
darum, weil es die Vorreiterfunktion hat – beim zweiten Kind kennt man das schon)
(c)Ausscheiden der Haupterwerbsperson aus dem Arbeitsleben
Ein Klassiker ist das Stufenmodell der Familienentwicklung nach Duval:
STU
FE
BESCHREIBUNG UND ZEITLICHE
ERSTRECKUNG
I
Verheiratete Paare (ohne Kinder)
II
Familien mit Kindern, frühes Stadium (ältestes Kind: Geburt – 30 Monate)
III
Familien mit Vorschulkindern (ältestes Kind 2 ½ - 6 Jahre)
IV
Familien mit Schulkinder (ältestes Kind 6 – 13 Jahre)
V
Familien mit Jugendlichen (ältestes Kind 13 – 20 Jahre)
VI
Familien im Stadium der Ablösung junger Erwachsener (vom Weggang des
ältesten bis zum jüngsten Kind)
Eltern im mittleren Lebensalter (vom „leeren“ Nest bis zum Rückzug aus
dem Arbeitsleben)
Alternde Familienmitglieder (vom Rückzug aus dem Berufsleben bis zum
Tod beider Ehepartner)
VII
VIII
Kritik:
Das Modell stellt nur einen idealtypischen Fall aus einem großen Spektrum möglicher
Familienentwicklungsmodelle dar.
Weiterhin lassen sich auch für einzelne Phasen innerhalb der Familienentwicklung
eigenständige Phasenmodelle entwickeln (z.B. für den Übergang zur Elternschaft).
Weiterhin ist zu bedenken, dass es mittlerweile eine Vielzahl alternativer Lebensformen
gibt, für die die Familienentwicklungsmodelle im traditionellen Sinne nicht zutreffen.
Beispiele:
Verheiratet
vs.
Single oder nicht eheliche Lebensgemeinschaft
Mit Kinder
vs.
Bewusste Kinderlosigkeit
Zwei Elternteile
vs.
Ledig, geschieden oder verwitwet
Sexuelle Exklusivität
vs.
Offene Beziehung
Usw.
Es gibt mehrere Indikatoren für den familiären Wandel. Hier seien 8 genannt:
13. Rückgang der Heiratsrate
14. Zunahme an Einpersonen-Haushalten
15. Zunahmen an nichtehelicher-Lebensgemeinschaften
16. Rückgang der Geburtenzahlen
17. Kinderkosten
18. Zunahme der Scheidungsrate
19. Zunahme der Qualifikation und Erwerbstätigkeit von Frauen
20. Wandel von Lebensprinzipien und Erziehungszielen
Schlussfolgerung:
Es ist also davon auszugehen, dass es nicht mehr nur die klassischen
Familienentwicklungsstufen gibt, sondern dass zunehmende Ausdifferenzierungen
durch die Vielzahl möglicher Lebensformen und möglicher Lebenswege entstehen.
Es ist ein allgemeiner Trend zur Vereinzelung festzustellen.
Aus der Perspektive eines Anforderungs-Bewältigungssystem betrachtet gibt es
Familienentwicklungsaufgaben
Unabhängig von der Lebensform stellen sich auf den einzelnen Entwicklungsstufen des
sozialen Systems spezifische Entwicklungsaufgaben, die nicht nur das einzelne
Individuum, sondern das System betreffen, in dem das Individuum lebt.
Entwicklungsaufgaben des sozialen Systems können sein:
(Hier am Beispiel der Familie)
Situation
1. Verlassen des Elternhauses;
Alleinstehende junge Erwachsene
2. Die Verbindung von Familien
durch
Heirat
3. Familien mit jungen Kindern
4. Familien mit Jugendlichen
5. Entlassen der Kinder und
Nachelterliche Phase
Aufgabe die sich daraus
ergibt/stellt
13. Selbstdifferenzierung in
Beziehung zur Herkunftsfamilie
14. Entwicklung intimer Beziehungen
zu Gleichaltrigen
15. Eingehen eines
Arbeitsverhältnisses und
finanzielle Unabhängigkeit
(s) Bildung des Ehesystems
(t) Neuorientierung der Beziehung
mit den erweiterten Familien und
Freunden, um den Partner
einzubeziehen
12. Anpassung des Ehesystems um
Platz für die Kinder zu schaffen
13. Koordinieren von Aufgaben der
Kindererziehung, des Umgangs
mit Geld und der
Haushaltsführung
14. Neuorientierung der Beziehung
mit der erweiterten Familie um die
Eltern und Großeltern mit
einzubeziehen
a) Veränderung der Eltern-KindBeziehung um Jugendlichen zu
ermöglichen, sich inner- und
außerhalb des Familiensystems
zu bewegen
b) Neue Fokussierung auf die
ehelichen und beruflichen
Themen der mittleren
Lebensspanne
c) Hinwendung auf die gemeinsame
Pflege und Sorge für die ältere
Generation (in dieser Phase
nimmt man eine „sandwich“
Position ein, da man sich um die
eigenen Kinder sowie auch um die
eigenen Eltern kümmern muss.
a) Neuaushandeln des Ehesystems
als Zweierbeziehung
b) Entwicklung von Beziehungen mit
Erwachsenenqualität zwischen
Kindern und Eltern
c) Neuorientierung der Beziehung
um Schwiegertöchter/-söhne und
6. Familien im letzten
Lebensabschnitt
Enkel mit einzubeziehen
d) Auseinandersetzung mit
Behinderung und Tod von Eltern
bzw. Großeltern
a) Aufrechterhalten des
Funktionierens als Person und
Paar angesichts des körperlichen
Verfalls. Erkundung neuer
familiärer und sozialer
Rollenpositionen
b) Im System Raum schaffen für die
Weisheit und Erfahrung der Alten;
Unterstützung der älteren
Generation, ohne sich zu stark für
sie zu engagieren
c) Auseinandersetzung mit dem Tod
des Partners, Geschwistern etc.
Vorbereitung auf den eigenen Tod,
Lebensrückschau und Integration
Die Auseinandersetzung mit den Entwicklungsaufgaben dürften die
eigentlichen Faktoren sein, die zur Fortentwicklung einer Familie
beitragen. Je nachdem, wie die Aufgabenbewältigung gelingt, kommt es zu einer
positiven oder weniger positiven Fortentwicklung der Familie.
Mit dem Gelingen der Aufgabenbewältigung gehen Zufriedenheit, Anerkennung und Erfolg
bei späteren Aufgabenbewältigungen einher, während mit dem Misslingen
Unzufriedenheit, Missbilligung und Schwierigkeiten bei späteren Aufgabenbewältigungen
einhergehen können.
Die Bewältigung von den Familienentwicklungsaufgaben kann Stress erzeugen!
Kennzeichen: Tatsächliches oder wahrgenommenes Ungleichgewicht zwischen
Anforderungen einer Situation und den Fähigkeiten und Ressourcen der Familie zum
Umgang mit einer Situation.
Als Familienstressor gilt dabei ein auf die Familie einwirkendes Lebensereignis oder
Übergangsstadium, das im sozialen System der Familie Veränderung hervorruft oder das
Potential zur Veränderung in sich trägt.
Beispiel: Das Kind hat Schwierigkeiten in der Schule – entweder weiß die Familie damit
umzugehen und was zu tun ist oder nicht.
Es gibt 8 Unterscheidungsmerkmale für Stressoren:
1. Ursprung (familienintern z.B. Krankheit versus familienextern z.B. Arbeitslosigkeit)
2. Verbreitung (Familiensystem als Ganzes oder einzelne Familienmitglieder betroffen)
3. Abruptheit (plötzliches oder langsames Einsetzen)
4. Intensität (Schwerwiegender oder milder Stressor)
5. Anpassungsdauer (kurzfristige Anpassung möglich oder längerfristige Anpassung
notwendig)
6. Vorhersehbarkeit (kann Einsetzen des Stressors vorhergesehen werden und ist damit
Vorbereitung möglich versus tritt Stressor unvorhergesehen auf)
7. Ursache (naturgegebene Umstände z.B. Autounfall weil es glatt war versus menschlichvermeidbare Ursachen z.B. Autounfall weil betrunken gefahren)
8. Kontrollierbarkeit (Überzeugung, dass Stressor unter Kontrolle gebracht werden kann
versus Überzeugung, dass man auf Stressor keinen Einfluss hat)
Inwieweit im Umgang mit den Stressoren Probleme auftreten, hängt im wesentlichen vom
intrafamiliären Bewältigungspotential und von extrafamiliären Unterstützungssystemen ab.
Intrafamiliäres Bewältigungspotential ist unterscheidbar in
(a) persönliche Bewältigungsressourcen der Familienmitglieder
und
(b) Ressourcen des Familiensystems
Beispiele für persönliche Ressourcen der Familienmitglieder :
Persönlichkeit. Für unreife, starre, wenig angepasste und in interpersonalen Beziehungen
wenig geschickte Personen sind mehr Schwierigkeiten im Familienkontext zu erwarten.
Kommunikation. Unangemessenes Kommunikationsverhalten (z.B. nicht zuhören können,
seine Wünsche nicht klar zum Ausdruck bringen können) erschwert den sozialen Umgang
innerhalb der Familie.
Wechselseitiger Austausch. Familienmitglieder, die nicht gelernt haben, ihre Gefühle und
Gedanken auszutauschen, müssen mit mehr Problemen innerhalb der Familie rechnen.
Konfliktlösung. Wenn die Familienmitglieder über gering ausgebildete Fähigkeiten zur
Lösung von Konflikten verfügen, ist mit mehr Problemen im Familiensystem zu rechnen.
Beispiele für Ressourcen des Familiensystems:
Ökonomische Basis. Bei unsicherem Einkommen oder bei drohendem Arbeitsplatzverlust
ist ein erhöhtes Konfliktpotential innerhalb des Familiensystems zu erwarten.
Grundregeln. In Familien, in denen keine expliziten Vereinbarungen über Ziele, Werte,
Aufgabenverteilung und Verantwortlichkeiten ausgehandelt werden, besteht ein erhöhtes
Konfliktpotential.
Rigide Abkapselung und hoher Kohäsionsgrad. Problematisch können weiterhin eine
rigide Organisation bei starker Abkapselung von der Außenwelt sein. Ebenso ein hoher
Kohäsionsgrad, der den einzelnen Mitgliedern kaum Freiräume zu eigener Entwicklung
lässt.
Erziehungsstile im Umgang mit Kindern:
Es sind 4 Erziehungsstile zu unterscheiden
Ansprechbarkeit: Ausmaß an elterlicher Wärme, Unterstützung und Toleranz versus
Zurückweisung und Gleichgültigkeit
Anforderung:
Ausmaß an elterlicher Kontrolle und Anforderung
Erläuterung der 4 Erziehungsstile:
Autoritativer Erziehungsstil:
stellt hohe Anforderungen und bietet viel
Unterstützung. Autoritative Eltern setzen
ihren Kindern klare Normen und Grenzen u.
achten streng auf deren Einhaltung; gleichzeitig
gestehen sie ihren Kindern innerhalb dieser
Grenzen beträchtliche Autonomie zu, sind aufmerksam und reagieren auf die Sorgen und
Bedürfnisse ihrer Kinder, deren Perspektive sie
Respektieren und berücksichtigen.
Beispiel:
Als Klaus Timos Spielzeug wegnimmt, nimmt ihn seine
Mutter beiseite, weist darauf hin, dass das Spielzeug
Timo gehört und das Klaus Timo verärgert hat. Sie
erinnert ihn außerdem an ihre Regeln über das
Wegnehmen von Sachen die einem nicht gehören. Sie
fordert Timo auf, das Geschehende wieder in Ordnung
zu bringen. Ihr Ton ist streng aber nicht feindlich. Sie
wartet nun ab ob Klaus das Spielzeug zurückgibt.
Autoritärer Erziehungsstil: stellt hohe Anforderungen und geht wenig auf
die Kinder ein. Autoritäre Eltern reagieren nicht auf
die Bedürfnisse ihrer Kinder u. neigen dazu, ihre
Anforderungen durch die Ausübung von Gewalt und
Drohungen sowie Strafen durchzusetzen. Sie orientieren
sich an Gehorsam und Autorität und erwarten, dass sich
Beispiel:
ihre Kinder ihren Anforderungen ohne WENN und ABER
, ohne Fragen u. Erklärungen fügen.
Als Helen das Spielzeug von Mark wegnimmt kommt ihre
Mutter dazu, nimmt ihren Arm und sagt mit wütender
Stimme „Hab ich dich nicht gewarnt, anderer Leute
Sachen wegzunehmen? Gib das sofort zurück oder es
gibt heute Abend kein TV- ich hab es satt, dass du mir
nicht gehorchst“
Permissiver Erziehungsstil:
geht stark auf die Kinder ein und stellt wenig
Anforderungen. Permissive Eltern reagieren auf die
Bedürfnisse ihrer Kinder und verlangen nicht, dass sie
sich selbst regulieren oder angemessen und vernünftig
verhalten.
Beispiel:
Als Jörg das Spielzeug von Angie wegnimmt greift seine
Mutter nicht ein. Sie mag es nicht ihren Sohn zu
bestrafen, und versucht meistens nicht seine
Handlungen zu steuern, auch wenn sie mit ihm in
anderen Situationen sehr liebevoll umgeht.
Zurückweisend-vernachlässigenderErziehungsstil:
ein Erziehungsstil der durch geringe Anforderungen und
geringe Ansprechbarkeit gekennzeichnet ist.
Zurückweisend-vernachlässigende Eltern setzen dem
Verhalten ihrer Kinder keine Grenzen und kontrollieren
es auch nicht, bieten keine Unterstützung und weisen
ihre Kinder manchmal zurück oder vernachlässigen sie.
Die Eltern sind auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentriert
und nicht auf die des Kindes.
Beispiel:
als Heike, das Spielzeug von Alfred wegnimmt achtet
ihre Mutter nicht darauf, so wie sie es meistens tut. Sie
ist generell nicht sehr an ihrem Kind interessiert und
hätte es lieber, wenn ihr Mann sich damit befassen
würde, Heike Grenzen zu setzen. Selbst wenn Heike
sich anständig benimmt umarmt ihre Mutter sie selten
oder spricht ihr oder ihrem Verhalten Anerkennung aus.
Extrafamiliäres Unterstützungspotential
Man kann verschiedene Formen extrafamiliärer Unterstützung unterscheiden:
(a) Soziale Unterstützung (z.B. emotionale Unterstützung, Wertschätzung etc.)
(b) Instrumentelle Unterstützung (Hilfe durch Beratung und Therapie, professionell oder
paraprofessionell)
(c) Aktive Unterstützung (aktive Hilfeleistung durch unterstützende Tätigkeiten)
(d) Materielle Hilfe (durch Bereitstellung von Geld, Gütern oder Dienstleistungen)
Problem: Aktive Unterstützung und materielle Hilfe können zu
Abhängigkeiten der Familie führen, die neue Probleme nach
sich ziehen können.
Abschließende Bewertung:
Familienentwicklung kann als Entwicklung eines Systems aufgefasst werden, die über
verschiedene Entwicklungsstufen führt. Die Entwicklung eines Kindes kann als Teil der
Familienentwicklung betrachtet werden. Viele individuelle Entwicklungsprobleme
können besser verstanden werden, wenn sie vor dem Hintergrund des sozialen Systems
betrachtet werden, in das sie eingebunden sind.
Vergleich der wichtigsten Entwicklungstheorien
(nach den Vergleichskriterien: Definition, Reversibilität, Anlage/Umwelt und Gegenstand )
Definition
von
Entwicklu
ng
Enge
Definition
(Stufenmodel
l)
Enge
Definition
(auf ein
Endniveau
gerichtet)
Weite
Definition
Weite
Definition
Reversibilit
ät von
Entwicklun
g
Regression
z.B. bei
emotionaler
Belastung
Regression
z.B. bei
emotionaler
Belastung
Rolle von
Anlage/
Umwelt
Betonung der
Anlage
Evolutionär
angelegte
Verhaltensmuster
Reversibilität
von Lernen
Reversibilität
von Lernen
Betonung der
Umwelt
Betonung der
Umwelt
Verhaltensentwicklung
Sozialwendu
ng des
Verhaltens
Kognitive
Theorien
Enge
Definition
Interaktion
Kognitive
Entwicklung
Informationsverarbeitungsthe
orien
Familienentwick
lungs- theorien
Weite
Definition
Regression
z.B. bei
emotionaler
Belastung
Reversibilität
von Lernen
Interaktion
Kognitive
Entwicklung
Psychoanalytisc
he Theorien
Psychobiologisc
he Theorien
Lerntheorien
Sozialisationsth
eorien
Weite
Definition
Interaktion
Veränderunge Betonung der
n durch
Umwelt
Systemänderungen
Gegenstan
d der
Entwicklun
g
Affektivemotionale
Entwicklung
Entwicklung
sozialer
Systeme
Weitere Ordnungsmöglichkeit für die verschiedenen Entwicklungstheorien:
UMWELT
SUBJE Aktiv
KT
z.B.
der
Mensc
Aktiv
Interaktionistisch
e Theorien
Nicht Aktiv
Selbstgestaltungstheori
en
Nicht
aktiv
Exogenistische
Theorien
Endogenistische
Theorien
07 Frühkindliche Entwicklung
Zentrale Entwicklungsprozesse:
(a) Zellteilung , diese setzt sich kontinuierlich im Leben fort
(b) Zellmigration – Zellen wandern an ihren Bestimmungsort
(c) Zellspezialisierung (aus den ursprünglichen Stammzellen) Zellen sind dann für
bestimmte Funktionen zuständig
(d) Zellsterben (gezieltes Absterben bestimmter Zellen, die für die weitere Entwicklung des
Organismus nicht mehr benötigt werden) z.B. Schwimmflossen zwischen den Fingern
sterben ab, so dass man nachher einzelne Finger hat
Embryonalzeit:
Zeitpunkt
Größe
6-8 mm
3.-8. Woche
2 cm
3. Monat
Fötalzeit:
Zeitpunkt
4. Monat
Größe
9 cm
5. Monat
16 cm
6. Monat
25 cm
7. Monat
30 cm
8. Monat
35 cm
9. Monat
45 cm
Geburt nach
ca. 270 – 280
Tagen
Physiologische und Verhaltensmerkmale
Herzschlag, Niere entzieht Urin aus dem Blut, Gehirn
gibt bereits Impulse, die die Funktion der anderen
Organe und Feinmotorik koordinieren, isolierte Reflexe
können ausgelöst werden.
Physiologische und Verhaltensmerkmale
Deutliche Individuelle Merkmale, recht aktiv, Stoßen der
Beine, Kopfdrehen, Schließen der Finger, Drehen des
Handgelenks, Zwinkern, Stirn in Falten ziehen, Öffnen
und Schließen des Mundes
Lebhaftere Reflexe, Bewegung ist von der Mutter
spürbar
Viel spontane Aktivität, Schlaf-Wachzeiten wie bei
Neugeborenen, bevorzugte Lage und Schlafhaltung,
außerhalb des Uterus kurze Überlebensmöglichkeit (mit
Atmungsunterstützung)
Augenbewegung bei geöffnetem Auge, Greifreflex.
Kann eigenes Gewicht durch festhalten an einer Stange
halten, leichte unregelmäßige Atembewegungen,
Schluckauf
Unabhängiges Überleben möglich, bei eventueller
Geburt fähig zu Atmung, schreien, schlucken, aber
infektionsanfällig und temperaturinstabil – Wärmezufuhr
ist notwendig
Sehr aktiv, hinreichend ausgereift, um überlebensfähig
zu sein
Überlebensfähig von 180 – 334 Tagen nach der
Konzeption
Je weiter der medizinische Fortschritt voranschreitet, desto eher ist ein
Überleben des Kindes möglich!
Zum Zeitpunkt der Geburt hat man etwa 100 Milliarden Neurone (wie auch beim
Erwachsenen) Am Anfang entstehen mehr Synapsenbildungen als tatsächlich benötigt.
Bei der Gehirnentwicklung entstehen zuerst die basalen Strukturen auch die Faltung
nimmt im Laufe der Entwicklung zu.
Teratogene, die die physische und psychische Entwicklung beeinträchtigen können:
• Alkohol oder Drogen
• Spezifische Medikamente (z.B. Contergan)
• Starkes Rauchen
• Umweltgifte oder Strahlenschäden
• Infektionserkrankungen der Mutter
In frühen Schwangerschaftsabschnitten stehen strukturelle Abnormitäten im Vordergrund,
später Störungen der physiologischen und psychischen Funktionsentwicklung.
Die Apgar Skala/Index
Atmung
Puls
Grundtonus
Aussehen
Reflexe
Nach der Geburt wird der Apgar Index erhoben um zu sehen, ob das Kind lebensfähig ist.
Die Indikatoren die hier geprüft werden sind die Atmungsaktivität, Herzrate, Muskeltonus,
Farbton und Reflexreize.
Die Säuglingssterblichkeit im ersten Lebensjahr ist seit den 60 Jahren deutlich
zurückgegangen. Auch im internationalen Vergleich liegt Deutschland sehr gut ( geringe
Sterblichkeitsrate).
Nach der Geburt ist eine der meistgefürchteten Gefahren der plötzliche Kindstod (Sudden
Infant Death Syndrome, SIDS).
Ursache noch nicht abschließend geklärt. Auslöser vermutlich: Plötzliche und anhaltende
Atemunterbrechung, Fehlfunktion des Atemzentrums.
Risikofaktoren:
1. Bereits aufgetretener lebensbedrohlicher Zustand
2. An SIDS verstorbenes Geschwisterkind (besonders bei Eineiigen Zwillingen)
3. Bauchlage beim Schlafen
4. Rauchen der Mutter
5. Verzicht auf Stillen des Kindes
(Es gibt heutzutage Beatmungsmonitore für gefährdete Kinder – dieser wird den Babys um
den Bauch gebunden und wenn die Atmung aussetzt gibt es einen Alarm.)
Weiteres Entwicklungsrisiko: Frühgeburten bzw. ein Geburtsgewicht kleiner als 1500
Gramm
Trotz zunehmender Fortschritte in der Intensivmedizin ist es nicht gelungen, spätere
Entwicklungsdefizite vollständig zu vermeiden.
Im folgenden Ergebnisse einer aktuellen Marburger Studie mit 81 überlebenden (von 92
frühgeborenen Kindern), die im Alter von fünf bis sechs Jahren nachuntersucht wurden.
(Genaue Tabelle siehe Folien)
Generell ist festzuhalten:
Je kleiner/leichter das Kind bei der Geburt, desto geringer der IQ
Je kleiner/leichter das Kind bei der Geburt, desto größer ist ein Einfluss auf die kognitive
Entwicklung zu beobachten.
Auch Komplikationen bei der Geburt wie zum Beispiel eine Hirnblutung und der
Sozialstatus haben einen Einfluss auf die Intelligenz.
Ebenso kann man festhalten, dass je leichter und kleiner ein Kind bei der Geburt, desto
mehr steigt der Prozentsatz an frühgeborenen Kindern mit Behinderung. (einiges kann
jedoch durch Fördermaßnahmen kompensiert werden).
Physisches Wachstum
Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen etwa gleich groß, danach werden die Mädchen
von den Jungen überholt.
Das stärkste Wachstum findet sich in den ersten Lebensjahren. Es nimmt dann ab und
erhält
einen neuen Schub in der Pubertät (zeitversetzt bei Jungen und Mädchen).
In einer Studie wurden zwölfjährige schwedische Kinder von 1880 bis 1960 auf ihre
Körpergröße untersucht.
Erkennbar ist eine deutliche Zunahme der durchschnittlichen Körpergröße im Laufe der
letzten 100 bis 120 Jahre.
Wo liegen die Ursachen dafür?
Antwort:
21. Genetische Ursachen
22. Ernährung
Vergleicht man die Körpergrößen eines Achtjährigen in verschiedenen Ländern, so lassen
sich daraus Hinweise auf genetische Unterschiede entnehmen.
Auch Zwillingsstudien können als Beleg für genetische Einflüsse herangezogen werden.
Aus Vergleichen der Körpergrößen von Kindern in Kriegsjahren (erster und zweiter
Weltkrieg) mit Friedensjahren zeigt sich, dass neben der Genausstattung auch die
Ernährung eine Rolle spielt.
Weiterhin sind Wachstumshormone erforderlich, die ihrerseits durch eine Wechselwirkung
von genetischer Ausstattung und Umweltbedingungen beeinflusst werden.
Zusammenfassend dürfte das zunehmende durchschnittliche Größenwachstum innerhalb
ethnischer Gruppen vor allem auf die bessere Ernährungslage zurückgehen, daneben gibt
es auch ethnische Unterschiede, die in erster Linie genetisch bedingt sein dürften.
Schlaf-Wach-Phasen
Es gibt 3 wesentliche Schlaf-Wach-Zustände beim Neugeborenen:
(a) ruhiger, tiefer Schlaf
(b) aktiver, unruhiger Schlaf (Bewegungen, Lachen, Grimassen, schnelle
Augenbewegungen,
rapid eye movements, REM) REM Phasen nehmen über das Alter hin ab!
(c) Wache Aufmerksamkeit (bester Zustand für aktives Lernen)
Weitere Differenzierung der Schlaf-Wach- Zustände
Regelmäßiger Schlaf:
Geringer Muskeltonus, geringe motorische Aktivität,
Augenlieder geschlossen und ruhig, regelmäßige Atmung
Unregelmäßiger Schlaf:
Leicht erhöhter Muskeltonus, häufiges Gesichtsgrimassieren,
Lächeln, zuweilen REMs, unregelmäßige Atmung
Schläfrigkeit:
Übergangsstadium zwischen Schlaf und Wachen hinsichtlich
der Aktivität, Augen sind offen, aber fixieren nicht, können auch
kurz geschlossen sein, unregelmäßige Atmung
Wache Inaktivität:
Geringe Aktivität, Gesicht entspannt, Augen offen und hell,
regelmäßige Atmung, Fäuste offen und entspannt
Wachheit:
häufige, diffuse, motorische Aktivität mit Vokalisationen,
unregelmäßige Atmung
Schreien:
heftige motorische Aktivität, Gesichtsgrimassen, rote Haut,
Augen offen oder leicht geschlossen, Schreivokalisationen
Anzahl der Stunden, die Säuglinge mit drei und zwölf Monaten weinen (mit drei Monaten
etwa 1.4 Std. pro Tag, mit einem Jahr etwa 1.0 Std. pro Tag, eigene Daten aus Protokollen
über drei Tage)
Hohe Stabilität über drei-Tages-Intervall (r=.41bei drei Monaten und r=.62 bei einem Jahr)
Gleichzeitig sind die Kinder mit hohen Weinfrequenzen und Weindauern im Alter von drei
Monaten auch diejenigen, die im Alter von einem Jahr mehr und häufiger weinen.
Weindauer r=.51
Weinfrequenz r=.65
Also: Die gute Nachricht ist, dass das Weinen über das Alter abnimmt, die schlechte ist,
dass ein Kind, das früh viel weint, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch später mehr weint.
Die Art der Geburt hat einen Einfluss auf das Ausmaß des Weinens mit drei Monaten und
einem Jahr
Kinder die mit einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kamen weinen am wenigsten,
danach kommen die Kinder die einen ungeplanten Kaiserschnitt hat, dachen die normale
Geburt und am meisten schreien die Kinder, die mit der Zange zur Welt kamen.
Weitere Einflussgrößen:
• Koliken / Blähungen
• Elterliche Sensitivität bei der Identifikation kindlicher Signale (z.B. beim Erkennen von
Hungersignalen – tue ich als Mutter das richtige? Z.B. mein Kind weint und ich gebe ihm
Milch – es hat aber gar keinen Hunger sondern ist müde)
Gründe für Weinen:
(u) Schmerz
(v) Hunger
(w) Müdigkeit
16. Langeweile
15. Unwohlsein
Unterschiede in Stärke und Intonation/Klang des Weinens
08 Motorikentwicklung
Die Grundlage der Entwicklung von Gehirn und Nervensystem und somit Voraussetzung
dafür, dass Motorikentwicklung stattfinden kann sind:
(a)Myelinisierung der Nervenbahnen (erhöht die Leitungsgeschwindigkeit und
Reaktionsgeschwindigkeit)
(b) Ausdifferenzierung der Nervenstruktur
(c) Spezialisierung von Hirnarealen
Entwicklungstrend bei der Myelinisierung: Encephalocaudale Richtung (d.h. vom
Hirn zu den Extremitäten)
Folge: Zunahme der Wahrnehmungsund Motorikleistungen folgt ebenfalls diesem
Entwicklungstrend. Beispiel Motorik: Kopfheben, Koordination der Gesichtsmuskeln
bereits sehr früh, koordinierte Steuerung der Hand- und Fussmuskulatur erst erheblich
später.
Ähnliches gilt für die Sensorik, wobei hier allerdings wesentliche Sinnesorgane ohnehin
gehirnnah plaziert sind.
Spezialisierung von Hirnarealen:
Das ursprünglich weitgehend symmetrisch angelegte Gehirn übernimmt asymmetrisch
bestimmte Funktionen (Phänomen der Hirnlateralisation, bis etwa zur Pubertät weitgehend
abgeschlossen). Zum Beispiel ist die linke Hirnhälfte eher für die Sprachverarbeitung
zuständig, die rechte Hirnhälfte eher musikalisch.
Reflexe
Definition:
Reflexe: angeborene, festgefügte Handlungsmuster, die als Reaktion auf eine bestimmte
Art der Reizung auftreten.
Es gibt mehr als 50 Reflexe!
Hier einige Beispiele:
17. Rooting – oder Such-Relflex
18. Saugreflex
19. Greifreflex
20. Schreitreflex
21. Schreck- oder Moro-Reflex
Die Reflexe dienen der ersten Anpassung des Säuglings an seine Umgebung. Teilweise
bilden sie die Basis für die folgende motorische Entwicklung, da auf die Reflexe aufgebaut
wird. Ein Teil der Reflexe verschwindet wieder, ein Teil bleibt erhalten.
Beispiele für Reflexe, die erhalten bleiben:
• Rückziehreflex (bei schmerzhafter Berührung)
• Blinzelreaktion / Augenschließen bei hellen Lichtreizen
Beispiele für verschwindende Reflexe (zu definierten Zeitpunkten):
Schreitreflex
Schwimmreflex
Moro-Reflex
Verschwinden des Moro-Reflexes:
Alter 1 Monat: 93 % der Kinder
Alter 2 Monate: 89 % der Kinder
Alter 3 Monate: 70 % der Kinder
Alter 4 Monate: 59 % der Kinder
Alter 5 Monate: 22 % der Kinder
Alter 6 Monate: 0 % der Kinder
Konsequenz: Mit spätestens sechs Monaten sollte der Moro-Reflex verschwunden sein.
Ist er das nicht, kann das ein Hinweis auf ein neuronales Problem sein.
Das Verschwinden des Schreitreflexes hat nichts mit der kortikalen Reifung zu tun sondern
mit der Gewichtszunahme. Der Reflex bleibt prinzipiell erhalten, kann aber nicht mehr
gezeigt werden, da das Kind dafür zu schwer ist. Hält man das Baby aber in Wasser zeigt
es den Reflex wieder.
Viele Reflexe sind Ausgangspunkt für komplexere motorische Abläufe.
Beispiel Greifen: Ausgangspunkt: Greifreflex. Ausbau zu gezielter Greifbewegung.
Die ursprüngliche Reflexbewegung wird in überformter Weise in einen Bewegungsablauf
integriert. Teilweise dürften Reflexe das Lernen erleichtern, da sie bestimmte Abläufe
vorprogrammieren (z.B. Schreitreflex und Gehen oder Schwimmreflex und Schwimmen).
Möglicherweise Erklärung für das Phänomen, dass manche Bewegungsabläufe auch ohne
ausgedehnte Lernerfahrungen schnell erlernbar sind.
Allgemeines Prinzip der Motorikentwicklung:
(a) Lernen einzelner Bewegungsabfolgen
(b) Koordination einzelner Bewegungen
(c) Integration in längere Kette
(d) Zunehmende Automatisierung der Einzelabfolgen, schafft Kapazität für weiteres
Lernen
(e) Zunehmende Verfeinerung, Anpassung an
spezifische
Umgebungsbedingungen
Greifen erfolgt zum Beispiel in folgender Reihenfolge:
(x) Griff mit der ganzen Hand
(y) Scherengriff
(z) Pinzettengriff
Entwicklung des Gehens:
Aufbau von Motorikleistungen als Zusammenspiel von Reifung und Lernen zu verstehen.
Ohne Reifungsgrundlagen kann Lernen nicht stattfinden. Teilweise ist nur minimales
Lernen notwendig, wenn die Reifungsgrundlagen vorliegen. Spricht für vorgegebene
Motorikprogramme, die möglicherweise teilweise bereits in den frühen Reflexen zum
Ausdruck kommen.
Dass die frühen Reflexe bei der Motorikentwicklung eine Rolle spielen könnten, zeigt ein
Experiment, in dem Kinder systematisch trainiert wurden, den Laufreflex zu zeigen.
Verglichen wurde mit einer Kontrollgruppe, bei der passive Übungen stattfanden (passives
Bewegen der Beine) sowie mit einer weiteren Kontrollgruppe, bei der keine Intervention
erfolgte.
Ergebnis: Es zeigte sich nicht nur, dass die Kinder mit aktivem Reflex-Training den LaufReflex zunehmend häufiger zeigten (s. Graphik in Folien), sondern dass sie später auch
früher Laufen lernten.
Dies zeigt es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Reflexen und späterem Verhalten.
Beispiel für Zusammenspiel von Reifung und Lernen:
Gehenlernen bei Wickelbrett-Kindern der Hopi- und Navajo-Indianer.
Beschreibung der Wickelbrett-Nutzung:
Die Kinder können den Körper nicht drehen und ihre Arme und Beine nicht frei bewegen.
Nur der Kopf hat eine gewisse Bewegungsfreiheit, er ist aber meist zum Schutz vor Sonne
und Fliegen mit einem Tuch abgedeckt. Das Brett liegt meistens auf dem Boden oder auf
einem Bett. Es wird selten aufgestellt oder herumgetragen. Während der ersten drei
Lebensmonate werden die Kinder nur zum Baden oder zum Wechseln der Windeln
für ein paar Minuten losgebunden. Auch beim Stillen oder während des Schlafes befindet
sich der Säugling auf dem Brett. Ab dem vierten Lebensmonat nimmt dann allmählich die
tägliche Zeitdauer zu, in der sich der Säugling frei bewegen kann. Erst gegen Ende des
ersten
Lebensjahres wird schließlich das Brett überhaupt nicht mehr benutzt.
Gibt es nun Unterschiede zwischen Hopi-Kindern mit und ohne Wickelbrett-Nutzung?
Fazit:
Es gibt kaum Unterschiede, schon minimale Umweltstimulation reicht aus, um die
reifungsbedingten Anlagen zur Entfaltung zu bringen.
Dennoch ist das Ausmaß der Umweltstimulation nicht irrelevant. Fehlen beispielsweise
bestimmte Umweltstimulationen vollständig (wie beispielsweise die visuelle Erfahrung bei
blindgeborenen Kindern), so hat dies Auswirkungen auf die Motorikentwicklung, die
dadurch verzögert ist.
Vergleicht man die Motorikentwicklung bei sehenden und blind geborenen Kindern so
erhält man folgende Ergebnisse:
Fazit:
In allen Bereichen treten die Entwicklungen bei blind geborenen Kindern leicht bis deutlich
verzögert auf, da die Koordination zwischen Motorik und Anforderungen der Umgebung
erschwert ist.
Aber: Durch ein spezielles Interventionsprogramm konnten die Defizite blind geborener
Kinder teilweise wieder kompensiert werden (verstärkte Stimulation mit Objekten,
Kopplung von Objekten mit auditiven Stimulationen etc.).
Allgemein lässt sich festhalten, dass eine gewisse Umweltstimulation erforderlich ist, um
die motorische Entwicklung, die überwiegend reifungsbedingt ist, zu unterstützen.
09 Sensorikentwicklung
Allgemeines zur Sensorikentwicklung
Bei Geburt sind alle Sinnesleistungen ausgebildet.
Bereits vor der Geburt sind vorhanden:
Tastsinn (Berührung),
Geschmack,
Gehör,
Gesicht.
Die Entwicklungsabfolge bei den Sinnesleistungen entspricht weitgehend der
phylogenetischen Abfolge (niedere Tiere zu höheren).
Aber wie kann man solche Sinnesleistungen nachweisen?
Es gibt ein grundsätzliches Problem:
Nachweisbarkeit von Wahrnehmungsleistungen, wenn keine Sprache vorliegt ist
schwierig!
Daher wird als Kriterium folgendes genutzt:
Die allgemeine motorische bzw. physiologische Antwort auf
Sinnesreizung, hierfür kann man folgende Methoden zur Prüfung der
Wahrnehmungsleistung im Kindesalter nutzen:
(a) Präferenzmethode
(b) Habituationsmethode
(c)Konditionierungsmethode
(d) Überraschungsmethode
Präferenzmethode
z.B. wird diese Methode oft zur Überprüfung der visuellen Wahrnehmung genutzt.
Gemessen wird, wie lange sich ein Objekt in der Pupille spiegelt, gemessen mit
Blickbewegungskamera. Die Methode ist geeignet zur Erhebung der optischen
Wahrnehmung (Abtasten von Reizen, Präferenz von Reizen bei Vorgabe mehrerer Reize).
Weiterhin Möglichkeit zur Erhebung von Präferenzen durch Erfassung von Zu- und
Abwendungsreaktionen (z.B. bei auditiven oder olfaktorischen Reizen)
Kurz um: Wo wird wie lange hingeschaut? Oder wohin bewegt der Säugling bei auditiven
Reizen seinen Kopf. Allgemein gesagt – was wird präferiert und was abgelehnt? Das kann
man sehr gut am Verhalten des Säuglings erkennen.
Habituationsmethode
Auf einen neuen Reiz folgt eine Orientierungsreaktion (Hinwenden, Pupillenerweiterung,
Blockierung von Alpha-Wellen, Herzschlagverlangsamung, Erhöhung der
Hautleitfähigkeit). Bei Gewöhnung an den Reiz lässt die Orientierungsreaktion nach.
Auftreten einer neuen Orientierungsreaktion nach Präsentation eines neuen Reizes als
Indikator für Neuigkeitswert eines Reizes (auch: kann der Reiz überhaupt wahrgenommen
werden, kann der Reiz von anderen Reizen unterschieden werden). Geeignet für
verschiedene Sinnesmodalitäten (z.B. visuell, akustisch, olfaktorisch).
Die
durchschnittliche Herzrate bei einem
Säugling liegt
bei ca. 140 (viel höher als bei Erwachsenen)
bekommen
Säuglinge einen neuen Reiz präsentiert geht
diese Rate
runter.
Beispiel der
Habituationsmethode
Konditionierungsmethode
Geprüft wird, ob der Säugling eine konditionierte Reaktion auch bei anderem (ähnlichem)
Stimulus zeigt.
Beispiel: Saugreaktion bei Glockenton, wenn Glockenton mit Nahrungsgabe assoziiert ist.
Wird die Saugreaktion auch bei verschiedenen Glockentönen gezeigt?
Einsatz der Konditionierungsmethode, um die Reizdifferenzierungsfähigkeit von
Säuglingen zu prüfen. Darüber hinaus Möglichkeit zur Prüfung von Reizschwellen (ab
welcher Schwelle tritt die konditionierte Reaktion auf).
Ein Problem könnte hier das der Generalisierung sein. Kann der Säugling schon
differenzieren?
Überraschungsmethode
Geprüft wird, ob der Säugling auf die Darbietung eines „physikalisch unmöglichen" Reizes
überrascht reagiert. Dadurch lässt sich feststellen, ob der Säugling elementare
physikalische Gesetzmäßigkeiten kennt (z.B. dass ein springender Ball nicht in der Luft
hängen bleiben kann oder dass ein fallender Stein nicht plötzlich wieder in die Höhe fliegt).
Allgemeines zur visuellen Wahrnehmung beim Säugling
Überwiegender Teil der Forschung zur sensorischen Wahrnehmung bezieht sich auf
visuelle Wahrnehmung.
Hauptsächlich genutzte Methode: Messung der Augenbewegungen.
Neugeborene sehen ihre Umwelt noch recht verschwommen.
Hier eine Erklärung dafür:
Stelle des schärfsten Sehens (fovea centralis) ist in den ersten Monaten noch nicht voll
entwickelt.
Diese Stelle ist bei Erwachsenen dicht mit schlanken Zapfen besetzt, während beim
Neugeborenen kurze und dicke Zapfen vorliegen, die eine geringere Auflösung zulassen.
Hinzu kommt, dass auch die Akkommodationsleistung der Linse im Neugeborenenalter
unzureichend ist.
Man kann das Auflösungsvermögen eines Säuglings bestimmen.
So wird ihm ein Streifenmuster gezeigt und eine graue Fläche von gleicher Größe und
Helligkeit. Dabei wird die Breite der Streifen variiert. Besonders enge Streifen werden von
dem Säugling meistens als graue Fläche wahrgenommen. Sobald die Breite der Streifen
eine bestimmte Größe annehmen, kann er diese auch als Streifen erkennen und
Säuglinge präferieren Streifenmuster gegenüber einer grauen Fläche. D.h. man würde nun
am Verhalten erkennen, dass der Säugling die Streifen wahrnimmt, da er diese länger
anschaut.
Das Auflösungsvermögen korrespondiert mit der Fähigkeit zur
Wahrnehmung von Kontrasten in Mustern.
Beispiel: Schachbrettmuster
Jüngere Kinder präferieren einfache Schachbrettmuster
Jüngere Säuglinge präferieren einfachere Muster!
Aber warum?
Säuglinge präferieren das kontrastreichere Muster und dies ist das einfache Muster, da bei
einem komplexen Muster das Auflösungsvermögen nicht ausreicht, um überhaupt
Kontraste zu erkennen. Die Präferenz weist also auf das Auflösungsvermögen hin.
Abtastverhalten bei Säuglingen
Hier am
Sinuskurve
Erklärung für
Beispiel einer
die Defizite beim
Abtastverhalten:
Das teilweise
recht
unsystematische
Abtasten kann Folge des mangelnden visuellen Auflösungsvermögens sein.
Es ist aber darüber hinaus möglich, dass noch kein Plan für ein systematisches
Mustererkennen vorliegt:
Da das Muster ohnehin nichtssagend ist, sind alle Bildteile gleich wichtig oder unwichtig,
es wird nicht systematisch versucht, etwas zu erkennen. Dies gilt z.B. für Form- oder
Musterwahrnehmungen (wie dem Abtasten eines Dreiecks).
Mit der Verbesserung des Abtastverhaltens und des visuellen Auflösungsvermögens
kommt es zu einer zunehmenden Integration von Musterelementen zu Gesamtmustern.
Beispielsweise können Kinder mit drei Monaten sogar schon subjektiv begrenzte Muster
erkennen. Wie lässt sich dies feststellen?
Nutzung des Habituations-Dishabituations-Paradigmas:
Drei-Monate-alten Säuglingen wird sechs Mal ein Quadrat präsentiert. Danach folgt eines
der Diagramme A bis D. Die Säuglinge schauten länger, wenn die Diagramme B bis D
folgten. Erklärung: Diagramm A erscheint vertraut, deshalb wird weniger geschaut.
Dieser Muster-Ergänzungseffekt lässt sich auch bei bewegten Mustern erkennen.
Der Stab, der sich hinter dem Quader hin- und herbewegt, wird später wieder erkannt,
wenn er zusammen mit zwei einzelnen Teilstäben dargeboten wird. Nach der
Habituationsphase werden die beiden Teilstäbe präferiert (bei vier Monate alten
Säuglingen).
Mit zwölf Monaten sind bereits noch komplexere Integrationsleistungen
möglich. Die Kinder wurden an Motoradabbildungen habituiert, bei denen
33%, 50% oder 66% der Ausgangszeichnung fehlte.
Danach wurde das komplette Motorrad zusammen mit einer anderen
Zeichnung präsentiert.
Die Kinder präferierten die neue Zeichnung, wodurch sich zeigt, dass sie die andere
Abbildung als bereits bekannt registriert hatten.
Musterpräferenzen
Entscheidend sind für Kinder hierbei 3 Merkmale:
(aa)
(bb)
(cc)
Komplexität
Symmetrie
Konturen
Komplexität (mit zunehmendem Alter werden komplexere Muster präferiert, bei
Schachbrettmustern präferieren Säuglinge mit einem Monat 2x2 Muster, mit
zwei Monaten 8x8 Muster und mit drei Monaten 24x24 Muster).
Symmetrie (Kinder zeigen schon mit vier Monaten Präferenz für symmetrische Muster,
könnte gleichzeitig die Präferenz für Gesichter erklären, da auch hier in der Regel
Symmetrien vorliegen. Bei Kontrolle der Symmetrie zeigte sich jedoch, dass die
Gesichtspräferenz dadurch nicht vollständig erklärbar ist).
Konturen (Säuglinge präferieren die äußeren Konturen eines Objektes und beachten sie
bevorzugt, weiterhin Präferenz von kurvilinearen Mustern vor geradlinigen Mustern sowie
Präferenz von bewegten Mustern
vor statischen Mustern).
Allgemein gilt ein mittleres Ausmaß an Stimulation als günstig für die
Entwicklung des Säuglings. (Daher ist es wichtig bei Säuglingen mit bewegten
Mustern zu arbeiten, wenn man ihre Aufmerksamkeit erregen möchte)
Tiefenwahrnehmung
Das Phänomen der Formkonstanz
Bereits in der ersten Lebenswoche sind Säuglinge in der Lage, die Größe eines Objektes
als stabil (unabhängig von der Größe seiner Abbildung auf der Retina) zu sehen.
Wie lässt sich dies zeigen?
Auch hier Nutzung des Habituations-Dishabituations- Paradigmas:
Die Säuglinge werden an ein Objekt habituiert. Danach wird ein neuer (größerer) Stimulus
in einem Abstand präsentiert, der zu einer gleich großen Retina-Abbildung führt.
Ergebnis: Die Säuglinge betrachten den neuen Stimulus länger, was zeigt, dass sie
den neuen Stimulus als größer wahrnehmen, obwohl er auf der Retina gleich groß
abgebildet wird
Die Nutzung von Tiefengradienten
Einsatz einer visuellen Klippe. Kind befindet sich vor einem Abgrund, der mit einer
Glasplatte abgedeckt ist.
Die durch die Entfernung kleiner wirkenden Quadrate im Abgrund wirken als Tiefencues.
Frage:
Wird die Tiefe wahrgenommen und weigert sich das Kind (trotz Lockens durch die Mutter)
die Glasplatte zu betreten?
Bereits im Alter von sechs Monaten sind Kinder nicht mehr zu bewegen, auf die Glasplatte
zu kriechen. Die Tiefenwahrnehmung liegt daher bereits sehr früh vor.
Problem dabei: Es bleibt unklar, ob Tiefenwahrnehmung bereits früher vorliegt, da jüngere
Kinder ohnehin wegen mangelnder Krabbelfähigkeiten nicht auf die Platte kriechen
könnten.
Ausweg: Säuglinge auf die Glasplatte ziehen und physiologische Reaktionen messen
(Hautwiderstand, EKG). Hier zeigt sich, dass bereits wesentlich jüngere Kinder (im Alter
von zwei bis drei Monaten) reagieren.
Aber: Die Überraschung ist, dass die Herzrate auf der tiefen Seite nicht ansteigt, sondern
sinkt. Sinkende Herzrate spricht für erhöhte Aufmerksamkeit und erhöhtes Interesse, nicht
aber für erhöhte Angst. Dies wird bestätigt durch einen Vergleich der Herzraten von
5 und 9 Monate alten Säuglingen. Auch hier: bei den jüngeren Säuglingen sinkt die Rate,
bei den älteren steigt sie aber (hier scheint also Angst im Spiel zu sein).
Daraus folgt, dass die Reaktion auf Tiefe nicht angeboren ist
(wie bei beispielsweise bei Küken, die vom ersten Tag an die Tiefe meiden), sondern dass
sie
im Zusammenhang mit der Motorikentwicklung (also Krabbeln und Laufen) gelernt wird.
Weitere Variante zur Erhebung der Fähigkeit zur Nutzung von Tiefencues:
Trapezförmiges Gitter.
(Dem Kind wird ein
Auge zugeklebt)
Ausgangspunkt der Überlegungen:
Kinder wollen Objekte haben,
die vor ihnen plaziert werden, d.h.
sie werden nach ihnen greifen.
Bei einem trapezförmigen Gegenstand (einäugig im Winkel von 45 Grad
betrachtet) erscheint das längere Ende näher und das kürzere weiter entfernt.
Ergebnis:
Jüngere Kinder (unter sechs Monaten) zeigen noch keine eindeutige Tendenz, zum
längeren Ende zu greifen. Erst die älteren Kinder zeigen eine eindeutige Tendenz zum
längeren Trapezende.
Folgerung:
Eine systematische Nutzung von Tiefencues findet sich erst bei älteren Säuglingen (ab
etwa sechs Monaten).
Dies ist weitgehend mit den Untersuchungen zur visuellen Klippe kompatibel.
Aber: Wenn Widersprüche hinsichtlich der Altersangaben auftreten, lassen sie sich
vermutlich dadurch erklären, dass die Tiefencues sukzessiv erworben werden, indem
einige Lernerfahrungen früher erfolgen, andere später.
Einigkeit besteht darüber, dass zumindest im Alter von 5-6 Monaten (wenn Kinder
anfangen zu krabbeln) nahezu alle Tiefencues verfügbar sind.
Emotionswahrnehmung
Säuglinge können nicht nur Emotionen zeigen, sondern sie auch verstehen. Schon im
Alter von vier Monaten können Säuglinge verschiedene Emotionen differenzieren.
Dazu wurden Säuglinge im Alter von vier bis sechs Monaten Dias gezeigt, die
Erwachsenengesichter mit unterschiedlichen Emotionen zeigten (Freude,
Ärger, neutraler Gesichtsausdruck).
Ergebnis:
Die Säuglinge schauten länger auf die Gesichter mit dem Ausdruck von Freude,
differenzierten aber noch nicht zwischen den anderen Ausdrücken.
Das Erkennen positiver Emotionen erfolgt also zeitlich vor dem differenzierten Erkennen
negativer Emotionen.
Kleinkinder können nicht nur Emotionen erkennen, sondern sich auch davon anstecken zu
lassen (beispielsweise indem sie lachen, wenn andere lachen und ebenso weinen, wenn
andere weinen).
Möglicherweise ist dies als eine frühe Form der Empathie zu interpretieren, obwohl ein
kognitives Verständnis für die Lage des anderen allerdings noch fehlt.
Wahrscheinlicher ist jedoch der Erklärungsversuch, dass Spiegelneurone aktiviert werden
und Kinder daher dies Verhalten zeigen.
Auditive Wahrnehmung
Bereits vorgeburtlich sind Kinder in der Lage, auf Geräusche zu reagieren. Wenn
beispielsweise ein lauter, hochfrequenter Ton nahe am Bauch einer Schwangeren
auftritt, steigt die Herzschlagfrequenz des Fötus.
Säuglinge können schon vier Tage nach der Geburt Stimme der Mutter von anderen
Stimmen unterscheiden.
Nachweis durch Saugreaktion des Säuglings bei unterschiedlichen Stimmen. Säuglinge
bestimmen durch ihren Saugrhythmus, ob ihnen die Stimme der Mutteroder eine andere
Stimme vorgespielt wird.
Diese Bevorzugung gilt nicht für die Stimme des Vaters im Vergleich zu fremden Männern
(auch wenn sie den Vater in den ersten zwei Wochen gleich häufig gehört hatten wie die
Mutter). Daraus folgt, dass vermutlich schon vorgeburtliche Erfahrungen mit der
Stimme der Mutter bestehen, die die spätere Präferenz für die Stimme der Mutter
mitbestimmen.
Um dies zu prüfen, wurden Mütter gebeten, in den letzten sechs
Schwangerschaftswochen eine kurze Geschichte zweimal am Tag laut zu lesen. Nach der
Geburt konnten die Kinder durch bestimmte Saugfrequenzen entscheiden, ob sie diese
oder eine andere Geschichte präferieren. Ergebnis war eine deutliche Präferenz der
Kinder für die bekannte Geschichte.
Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch, wenn Kindern wenige Tage nach der Geburt
Geschichten in der Muttersprache und einer Fremdsprache vorgelesen werden (von
derselben Person). Die Kinder präferieren auch dann schon die Muttersprache (spricht
ebenfalls für vorgeburtliche Einflüsse).
Weitere Präferenzen bestehen für hohe Töne (bei Geräuschen oder der menschlichen
Stimme) gegenüber niedrigen Tönen. Die hohen Töne wirken dabei darüber hinaus
beruhigend auf den Säugling, niedrige Töne dagegen erregend (Bezug zu Baby talk).
Weiterhin können bestimmte Rhythmen (wie der Herzschlag) eine beruhigende Wirkung
auf Säuglinge haben. Dies könnte der Grund sein, weshalb sich auch in der Sprache mit
Säuglingen und in Kinderliedern viele rhythmische Elemente finden.
Geschmackswahrnehmung
Schon Neugeborene sind in der Lage, die wichtigsten Geschmacksrichtungen (süß, sauer,
salzig und bitter) zu unterscheiden.
Unterscheidungsfähigkeit lässt sich anhand der mimischen Reaktionen prüfen.
Intermodale Wahrnehmung
Information wird häufig kombiniert über verschiedene Wahrnehmungskanäle hinweg (z.B.
haptische mit visueller Information).
Schon Neugeborene scheinen zur Integration der Information aus verschiedenen
Sinneskanälen in der Lage zu sein.
Beispielsweise wenden sie sich einer Lautquelle zu und versuchen danach zu greifen.
Integration von haptischer und visueller Information II:
Können Säuglinge einen Schnuller visuell identifizieren, an dem sie zuvor nur gelutscht
haben?
64 Säuglinge im Alter von einem Monat lutschten zunächst an einem Schnuller, den sie
nicht sehen konnten. Danach wurden ihnen zwei Schnuller gezeigt.
72% der Säuglinge betrachteten den Schnuller länger, an dem sie zuvor gesaugt hatten.
Normalerweise würde man das umgekehrte Ergebnis erwarten (der neue Reiz sollte
interessanter sein als der alte) – dies
Ergebnis
wird aber damit erklärt, dass die
Habituationsphase noch nicht
abgeschlossen war. Da die Rate insg. aber
über
50% liegt hat man dennoch ein eindeutiges
Ergebnis.
Integration von visueller und auditiver Information:
Kinder bekommen parallel zwei Videos präsentiert
(a) ein Zug nähert sich
(b) ein Zug entfernt sich
Die Videos werden acht Mal präsentiert. In der Hälfte der Fälle wird das Geräusch lauter,
in der anderen Hälfte wird das Geräusch leiser.
Wenn die Säuglinge Bild und Geräusch integrieren können, sollten sie bei lauter
werdendem Geräusch auf den näherkommenden Zug schauen, im anderen Fall auf den
sich entfernenden Zug.
In einer Kontrollbedingung fuhr ein Zug vom oberen zum unteren Bildrand bzw.
umgekehrt. Hier gab es keine sinnvolle Verknüpfung zwischen Bild und Geräusch. Die
Säuglinge dürften in ihrem Blickverhalten hier lediglich auf dem Zufallsniveau liegen
(p=.50).
Die Ergebnisse zeigen, dass die fünf Monate alten Säuglinge in der ersten Bedingung
überzufällig häufig (p=.65) die korrekte Assoziation zwischen Bild und Ton bilden, in der
zweiten Bedingung jedoch erwartungskonform auf dem Zufallsniveau bleiben.
Fazit:
Intermodale Wahrnehmung besteht bei Teilfähigkeiten bereits von der Geburt an und
entwickelt sich in den nächsten Monaten weiter, wobei insbesondere auch die Erfahrung
(z.B die Assoziation von Gegenstand und zugehörigem Geräusch) eine Rolle spielt.
Interdependenzen zwischen Wahrnehmungs- und Motorikentwicklung
Wahrnehmungs- und Motorikentwicklung sind wechselseitig aufeinander bezogen und
werden wechselseitig gehemmt, wenn Einschränkungen stattfinden. Durchführung von
Tierversuchen, um die Wirkung von Motorikeinschränkungen auf die Wahrnehmung
zu zeigen.
Experiment:
Katzen bis zum Alter von 8 bis 12 Wochen in Dunkelheit aufgezogen, dann zwei Gruppen:
Aktive Katzen, die laufen können, und passive Katzen, die durch die aktiven Katzen
bewegt werden. Die Wahrnehmungserfahrung ist für beide Katzen identisch, nur die
motorische Erfahrung ist unterschiedlich.
Ergebnis:
Deutliche Effekte der Motorikeinschränkung auf Wahrnehmungsentwicklung.
Kriterium:
Verschiedene Wahrnehmungstests (u.a. visuelle Klippe, wo aktive Katzen die Klippe
vermieden, passive nicht).
Die Defizite konnten ausgeglichen werden, sobald die Katzen sich frei
bewegen konnten.
Bei der Tiefenwahrnehmung ist es allerdings nicht notwendig, dass Bewegung selbst
produziert ist. Auch wahrgenommene Bewegung verbessert die Tiefenwahrnehmung.
Experiment:
Katzen sehen unbewegliche, stimulationsarme Umgebung versus bewegliche,
stimulationsreiche Umgebung (drei Stunden pro Tag, sonst in Dunkelheit).
Ergebnis:
Probleme bei der Tiefenwahrnehmung treten vor allem bei den Katzen auf, die zuvor keine
Stimulation erhalten hatten.
Die Motorik trägt also hauptsächlich dazu bei, die Stimulation zu erhöhen. Wenn die
Motorik
eingeschränkt ist, aber anderweitig ausreichend Stimulation geboten ist, kann dies die
Effekte der Motorikeinschränkung kompensieren.
Übertragen auf die Säuglinge mit Wickelbrett bei den Hopi-Indianern: Dies sollte solange
für die Wahrnehmungsentwicklung irrelevant sein, wie ausreichend Stimulation durch
(passives) Herumtragen geboten wird.
10 Soziale Entwicklung: Frühe Eltern-Kind-Interaktion
Mit der frühen sozialen Entwicklung haben sich vor allem Ethologen (Verhaltensforscher)
beschäftigt.
Grund:
Frühe Verhaltensweisen des Kindes sind wahrscheinlich weniger durch Lernen zustande
gekommen, da noch wenig Lernerfahrungen möglich waren. Frühes Verhalten ist
vermutlich eher im Laufe der Evolution entstanden und biologisch festgelegt.
Danach besitzt bereits der Säugling recht hohe sozial-kommunikative Fähigkeiten.
Die Aufgabe der Eltern ist es, sich diesen Fähigkeiten entsprechend zu verhalten.
Annahme:
Komplementär zu dem angeborenen Verhaltensprogramm des Kindes
existiert ein
Verhaltensmuster der Eltern, das ebenfalls evolutionsbiologisch geprägt
ist und die Anpassung an die Interaktionsbedürfnisse des Kindes
gewährleistet.
Dies ermöglicht den Kindern, frühe Lernerfahrungen zu machen und schafft
Voraussetzungen für eine Bindung an die Eltern.
Spezifische Bindung an die Eltern erfolgt erst ab einem Alter von etwa 6 bis 8 Monaten.
Darauf wird in der folgenden Sitzung näher eingegangen. Heute stehen die
vorausgehenden Monate im Mittelpunkt und die frühe Eltern-Kind-Interaktion (als
Voraussetzung für die spätere Bindung).
Das Phänomen des Bonding
Bonding bezeichnet (in Abgrenzung zur Bindung) die emotionale Bindung
der Eltern an das Kind.
Es wird angenommen, dass ein früher Erstkontakt (unmittelbar nach der Geburt) den
Eltern die Aufnahme einer Beziehung zum Kind erleichtert. Beispielsweise konnte mittels
Studien gezeigt werden, dass Mütter mit zusätzlichem Frühkontakt mit ihren
Neugeborenen in den folgenden Wochen tendenzmäßig mehr Interaktion mit direktem
Blickkontakt (face-to-faceInteraktionen) mit ihren Säuglingen hatten, wobei die Unterschiede jedoch nicht lange
anhielten.
Die Ergebnisse derartiger Studien waren von großer praktischer Bedeutung und führten zu
folgendem:
• mehr Zurückhaltung im Einsatz von Betäubungsmitteln bei der Geburt
• Erlaubnis der Anwesenheit des Vaters bei der Geburt
• Wohnliche Gestaltung des Umfeldes der Geburt
• Belassen des Kindes bei der Mutter nach der Geburt
• Tagsüber Unterbringung des Kindes im Zimmer der Mutter (rooming in)
• Besuch (auch von Geschwistern) ist willkommen
Soziale Fertigkeiten des Säuglings
Ein Säugling verfügt ab dem Zeitpunkt seiner Geburt über soziale Fertigkeiten wie:
16. Lachen
17. Weinen
18. Imitation
19. Fähigkeit zum Blickkontakt
Lächeln
Lächelreaktionen sind ein wichtiger Bestandteil des Zustandekommens von Bonding und
Bindung. Daher treten schon früh Lächelreaktion (bereits im ersten Lebensmonat) auf.
Allerdings zunächst nicht-sozial: Auch durch nichtsoziale Stimuli auslösbar, nicht auf
spezifische Person bezogen.
Später (mit ca. 2-3 Monaten) findet ein soziales (echtes) Lächeln satt, das spezifisch auf
bestimmte Personen bezogen ist und durch spezifische Interaktionsmuster ausgelöst wird.
Weinen
Wichtigstes Signal im Säuglingsalter, das emotionale Zuwendung selbst bei Personen
bewirkt, die keine persönliche Beziehung zu dem Kind haben.
Bezugspersonen, in erster Linie die Mutter, reagieren besonders stark mit Zuwendung und
Kontaktverhalten. Setzen dabei immer wieder andere Verhaltensweisen ein, bis der
Säugling zu weinen aufhört. Die hauptsächlich zu beobachtenden tröstenden
Verhaltensmuster sind Auf-den-Arm- Nehmen, An-sich-Drücken, Stillen, Schaukeln,
beruhigendes Sprechen.
Wichtigste Gründe für das Weinen:
(a) Krankheiten (vor allem Blähungen)
(b) Hunger
(c) Müdigkeit
(d) Langeweile
Den meisten Eltern gelingt es, zumindest Schmerz- und Hungerschreie beim Säugling zu
unterscheiden und dadurch differenziert auf die Signale des Säuglings zu reagieren.
Bei der Reaktion auf den weinenden Säugling sind teilweise Verunsicherungen der
Eltern erkennbar. Die spontane Zuwendung, um das Kind zu beruhigen, wird oft durch
rationales Handeln ersetzt.
Folge: Das Kind wird nicht gleich auf den Arm genommen, um es nicht zu verwöhnen.
Aber glauben Eltern ihr Kind mit solch einem Verhalten zu verwöhnen?
Begründungen kommen aus lerntheoretischen Ansätzen, die in unzulässiger Weise auf die
frühe Mutter-Kind-Interaktion angewandt werden. Wenn auch sonst häufig ein Verhalten
durch den Erfolg verstärkt wird, so gilt das nicht für das Weinen des sehr jungen
Säuglings.
Es gibt Studien, die nachweisen, dass Säuglinge, deren Weinen in den ersten
Lebensmonaten nicht oder verzögert beantwortet wurde, gegen Ende des ersten
Lebensjahres mehr weinen als Säuglinge, auf die immer unmittelbar eingegangen wurde.
Es ist also wichtig, das Weinen des Säuglings als Signal zu verstehen und es prompt und
angemessen zu beantworten.
Frühkindliche Imitation
Schon im Alter von wenigen Tagen sind Säuglinge zu Imitationsleistungen in der Lage. Die
Häufigkeit von Imitationen nimmt zwischen dem dritten und sechsten Monat wieder ab, um
danach erneut wieder zuzunehmen. Gerade die frühen Imitationsleistungen werden von
den Eltern als ein Versuch der Kontaktaufnahme bewertet und können zur Bindung der
Eltern an das Kind beitragen. Frühkindliche Imitation erfolgt jedoch noch nicht bewusst
sondern wird durch Spiegelneurone ausgelöst.
Fähigkeit zum Blickkontakt
Schon das Neugeborene bringt Fähigkeiten zur Gesicht- zu- Gesicht-Interaktion mit,
indem es seinen Kopf der menschlichen Stimme zudreht und das Gesicht der Mutter
visuell fixiert, auch bevor ihm exaktes Sehen möglich ist. Sogar blindgeborene Kinder
führen diese
Fixierbewegung aus.
Die Eltern interpretieren diese Kopfzuwendung, ebenso wie das noch reflektorische
(endogene) Lächeln des Neugeborenen und seine Imitationsversuche als einen Versuch
zur Kommunikation.
Die früh angelegten Gesicht-zu-Gesicht-Interaktionen sind ein Hauptbestandteil der
sozialen Kommunikation zwischen Bezugsperson und Säugling. Beide Partner trachten
dabei danach, vom anderen Augenkontakt, Vokalisation und Lächelreaktionen zu erhalten.
Die gegenseitige Beeinflussung und das feine Zusammenspiel solcher Signale zwischen
den Partnern zeigen sich in Kulturvergleichen überall auf der Welt und können als
universell und damit wahrscheinlich biologisch prädisponiert aufgefasst werden.
Das Zusammenspiel von Eltern und Kind zeigt sich besonders gut bei Vokalisationen.
Kleinkinder vokalisieren nicht, während die Eltern zu ihnen sprechen. Wenn die Eltern
aber schweigen, produzieren die Kinder entsprechend viele positive oder negative Laute.
Obwohl noch keine verbalen Dialoge geführt werden können, zeigen die Verhaltensmuster
dennoch schon früh eine dialogische Struktur.
Das intuitive Elternprogramm
Nachdem bisher vor allem auf die kommunikativen Kompetenzen des Kindes eingegangen
wurde, soll im folgenden das Verhalten der Eltern im Vordergrund stehen. In den letzten
Jahren konnte eine Reihe von Verhaltensbestandteilen identifiziert werden, die nahezu
universell auftreten und von denen daher angenommen werden kann, dass sie
Bestandteile eines evolutionär angelegten Verhaltensprogrammes sind.
Zu den wichtigsten Bestandteilen dieses Verhaltensprogrammes, das auch als intuitives
Elternprogramm bezeichnet wird, gehören folgende Elternverhaltensweisen:
(a) Das Einhalten eines optimalen Reaktions-Zeitfensters
(b) Das verbale und präverbale Verhalten der Eltern
(c) Das Herstellen und Aufrechterhalten von Blickkontakt und Einhalten eines optimalen
räumlichen Abstandes
(d) Regulation des Wachheits- und Erregungszustandes
(a) Das Einhalten eines optimalen Reaktions-Zeitfensters
Sich als Verursacher erleben zu können, der etwas bewirkt, setzt voraus, dass es dem
Kind gelingt, Konsequenzen eigenen Handelns zu erkennen.
Ereignisse können vom Kind aber nur als Konsequenzen eigenen Verhaltens
wahrgenommen werden, wenn sie innerhalb einer gewissen zeitlichen Kontingenz
auftauchen. Dem Einhalten zeitlicher Kontingenzen durch die Eltern kommt daher ein
zentraler Stellenwert innerhalb des intuitiven Elternprogramms zu.
Beispiel: Ein Hund macht etwas Falsches! Man muss ihn dafür sofort bestrafen und nicht
eine Stunde später, denn sonst kann er keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem
falschen Verhalten und der Konsequenz.
Eine Reihe neuerer Studien konnte zeigen, dass die Wahrnehmung von
Kontingenzen nur bis zu einem Zeitfenster von etwa einer Sekunde
anzunehmen ist.
Das typische Elternverhalten entspricht diesem Zeitfenster.
Eltern reagieren typischerweise in einem Latenzbereich von 200 bis 800msec auf den
Säugling und ermöglichen ihm dadurch eine Kontingenzwahrnehmung. Dieses Zeitfenster
liegt oberhalb der Reflexgrenze, aber auch unterhalb des Grenzbereichs, ab dem bewusst
überlegte Reaktionen erfolgen. Die geringe zeitliche Latenz weist damit darauf hin, dass
hier offenbar ein intuitives (und über weite Strecken nicht bewusst reflektiertes)
Elternverhalten vorliegen muss. Daher stammt der Begriff des intuitiven
Elternprogramms.
(b) Das verbale und präverbale Verhalten der Eltern
Bereits in der Stillsituation wird eine Verhaltensstrukturierung durch die Mutter sichtbar, die
an eine frühe Dialogstruktur erinnert. Diese Strukturierung dient der Vorbereitung des
diachronen Charakters der späteren verbalen Kommunikation.
Noch deutlicher zeigt sich die Vorbereitung der verbalen Kommunikation an dem
"baby talk" der Eltern, bei dem auf kindliche Vokalisationen mit hoher Stimme in
übertriebener Intonation reagiert wird. Häufig werden dabei Worte wiederholt, so dass dem
Säugling eine ideale Einübung sprachlicher Kommunikation ermöglicht wird.
Der "baby talk" wird in der Interaktion mit einem Säugling aktualisiert und läuft (wie die
übrigen Bestandteile des intuitiven Elternprogrammes) weitgehend intuitiv ab. Dies zeigt
sich beispielsweise daran, dass eine bewusste Simulation des "baby talk" bei Abwesenheit
von Säuglingen nur unzureichend gelingt.
Die Bemühungen der Eltern, die sprachlichen Kompetenzen ihres Säuglings zu fördern,
werden auch als intuitive Didaktik zusammengefasst.
Selbst kleine Kinder (z.B. 5 Jahre alt) zeigen den „baby talk“.
(c) Das Herstellen und Aufrechterhalten von Blickkontakt und Einhalten eines optimalen
räumlichen Abstandes
Neben dem Säugling selbst bemühen sich auch die Eltern, Blickkontakt herzustellen. Dies
zeigt sich besonders deutlich an der Häufigkeit, mit der Eltern den Augengruß zur
Herstellung von Blickkontakt einsetzen. Es handelt sich dabei um eine
Verhaltensuniversalie, die durch Heben des Kopfes und Hochziehen der Augenbrauen
charakterisiert ist. Neben der Häufigkeit des Einsatzes fällt hierbei auch die übertrieben
langsame Ausführung auf, die dem Säugling das Erkennen erleichtern soll.
Da das visuelle System des Säuglings noch unzureichend ausgebildet ist, soll es einen
Bereich
geben, in dem der Säugling seine optimale Sehschärfe erreicht. Dieser Bereich liegt in
einem Abstand von 20 bis 25 cm, da in dieser Distanz keine Linsenkontraktion erforderlich
ist.
Es konnte gezeigt werden, dass Eltern intuitiv diesen Abstand bei ihrem Kind einhalten.
Interessant ist dabei, dass dies unabhängig von den bewussten Äußerungen der Eltern
über die Sehfähigkeiten ihrer Kinder geschieht: Selbst wenn sie der bewussten Ansicht
sind, ihr Kind könnte in einem anderen Abstand optimal erkennen, halten sie diesen
Abstand ein.
(d) Regulation des Wachheits- und Erregungszustandes
Die Eltern aktivieren den Aufmerksamkeitsstatus des Kindes und halten ihn aufrecht, um
ihm
Lernerfahrungen zu erleichtern. Sie regulieren dabei das Ausmaß der erforderlichen
Stimulation und vermeiden nach Möglichkeit Über- und Unterstimulation. Wenn die
Erregung des Kindes zu hoch geworden ist, setzen sie Maßnahmen ein, um ein optimales
Erregungsniveau wiederherzustellen. Sie nutzen dabei auch Prüfroutinen (wie die Prüfung
des Muskeltonus), um den Aktivierungszustand des Kindes festzustellen.
Zusammenfassend sind die Eltern also ohne bewusste Absicht
in der Lage, ihr Verhalten auf die Bedürfnisse des Säuglings
abzustimmen und dadurch eine Reihe didaktischer Funktionen
zu erfüllen:
(a)Hilfe bei der Erfahrung von Kausalität durch das
kontingente Reagieren
(b)Hilfe bei der Lautbildung als Vorstufe des Spracherwerbs
(c)Hilfe bei der Informationsaufnahme durch eine Optimierung
der Bereitstellung von Informationen
(d) Hilfe bei der Verhaltensregulation
Die zentralen Komponenten des intuitiven Elternprogramms wie,
(a) Das Einhalten eines optimalen Reaktions-Zeitfensters
(b) Das verbale und präverbale Verhalten der Eltern
(c) Das Herstellen und Aufrechterhalten von Blickkontakt und Einhalten eines optimalen
räumlichen Abstandes
(d) Regulation des Wachheits- und Erregungszustandes
sind alles face to face Interaktionen, die eine didaktische Funktion haben und schließlich
zu kognitiven und sozialen Entwicklungsergebnissen beim Kind führen.
z.B. in Afrika u. Asien
z.B. in den USA
u. Deutschland
Ein Untersuchungsbeispiel zur frühen Eltern-Kind-Interaktion
Ausgangspunkt der Überlegungen: Weite Teile des intuitiven Elternprogramms laufen
vorbewusst und ohne bewusste Reflektion ab. Je stärker das eigene Handeln reflektiert
wird, desto eher ist davon auszugehen, dass das intuitiv vorhandene Programm verändert
und überlagert wird.
Es wird daher davon ausgegangen, dass ein hoher Reflexionsgrad der Verwirklichung des
intuitiven Elternprogramms entgegensteht. Die Folge wäre dann längerfristig eine höhere
Problembelastung seitens der Kinder.
Die zentrale Annahme, von der im folgenden ausgegangen wird, besteht
darin, dass eine erhöhte Verhaltensreflexion seitens der Eltern die
Realisierung des intuitiven Elternprogramm behindert und damit
längerfristig zu Problemen seitens des Kindes führt.
Mögliche Verhaltensbereiche, auf die sich schon früh Auswirkungen ergeben können, sind:
(a) Schreiverhalten
(b) Schlaf-Wach-Rhythmus
(c) Krankheitsanfälligkeit
Methodische Realisation
Stichprobe
An der Untersuchung nahmen 60 Mütter mit drei Monate alten Säuglingen teil. Das Alter
der Säuglinge wurde auf drei Monate festgelegt, weil zu diesem Zeitpunkt eine
Stabilisierung des Elternverhaltens angenommen werden kann und weil auch erste
Auswirkungen des Elternverhaltens auf die Säuglinge vermutet werden können.
Design der Studie
Bei den Müttern zu Hause wurden Interaktionssequenzen gefilmt, die es ermöglichen,
Parameter des intuitiven Elternprogrammes zu erheben (Verhaltenslatenzen und
Blickkontaktraten).
Weiterhin werden Probleme seitens des Kindes erhoben (Weinen, Erkrankungen und
Schwierigkeiten, die beim Kind aufgetreten sind). Um das Ausmaß, zu dem die Mütter
über das Verhalten ihres Kindes reflektieren, zu bestimmen, wurde weiterhin ein Interview
geführt.
Verhaltenslatenz
Zur Analyse der Verhaltenslatenz wurden Verhaltensantworten der Mutter, die innerhalb
eines Zeitfensters von 0.0 bis 0.8 sec auf das Verhalten des Kindes erfolgten, in
Beziehung gesetzt zu den latenzrelevanten Aktionen des Kindes, auf die keine Reaktion
innerhalb
des Zeitfensters erfolgte.
Der Score reicht von 0.0 bis 1.0, wobei ein Score von 1.0 bedeutet, das sämtliche
Aktionen des Kindes zu mütterlichen Reaktionen innerhalb des Latenzfensters führten. Je
höher der Latenzscore, desto angemessener wird daher das mütterliche Verhalten zu
werten sein.
Blickkontaktrate
Zur Bestimmung der Blickkontaktrate wurden die Gesamtdauer des Blickkontaktes zur
Gesamtdauer der Interaktionsaufzeichnung in Beziehung gesetzt. Da eine Multiplikation
mit dem Faktor 100 vorgenommen wurde, reicht der Score hier von 0 bis 100, wobei ein
Wert von 100 indiziert, dass über die gesamte Interaktionssequenz Blickkontakt vorlag.
Feinfühligkeit
Die Feinfühligkeit der Mutter wurde mit Hilfe der neunstufigen Feinfühligkeitsskala von
Ainsworth eingeschätzt, wobei ein Wert von 0 einer sehr niedrigen und ein Wert von 9
einer sehr hohen Feinfühligkeit entspricht.
Sämtliche Operationalisierungen zur Interaktionsqualität wurden insofern "blind" erhoben,
als die Beurteiler keine über das Video hinausgehenden Informationen über die Mütter
hatten.
Reflexionsneigung
Hier wurde unterschieden, in welchem Maße die Mütter online (während der Interaktion)
und offline (außerhalb der Interaktion) über ihr Kind reflektieren. Offline zeigt sich dies
daran, dass man häufig über sein eigenes Verhalten nachdenkt und sich viele Ratschläge
zum Kind holt (Skala).
Auf online-Reflektion weist hin, dass die Mütter
(a) gehemmtes Verhalten zeigen,
(b) sich übertrieben verhalten (pretense) und
(c) bestimmtes Verhalten des Kindes forcieren, z.B. ihr Kind dazu bewegen wollen zu
lachen (enforcing).
Ergebnisse
Es zeigt sich, dass die Interaktionsqualität beeinträchtigt wird, wenn das
eigene Verhalten verstärkt reflektiert wird.
Die Zusammenhänge zwischen Interaktionsqualität und kindlicher Problemlage liegen
konsistent nicht in der erwarteten Richtung. Es ist vielmehr so, dass eine hohe
Feinfühligkeit, eine hohe Blickkontaktrate sowie eine geringe Verhaltenslatenz mit mehr
Verhaltensproblemen einhergehen.
Sinnvoll interpretieren lässt sich dieses Muster durch zwei unterschiedliche
Interpretationsalternativen:
(a) Wenn Probleme beim Kind auftreten, passen die Mütter ihr Verhalten an die
Problemlage an, indem sie in besonderem Maße auf das Kind eingehen. Sie reagieren mit
Feinfühligkeit, erhöhen die Blickkontaktrate und verbessern die Verhaltenslatenz.
(b) Mütter mit höherer Interaktionsqualität und höherer Sensitivität nehmen mehr Probleme
bei ihren Kindern wahr (alle Daten zur Problemlage wurden aus der Sicht der Mütter
erhoben).
Um zwischen den Alternativen entscheiden zu können, sind längsschnittlich erhobene
Daten erforderlich, die die auftretenden Problemlagen und darauf bezogene
Anpassungsreaktionen im Verlauf erheben (mehrmalige Erhebung vom Zeitpunkt der
Geburt an, wobei jeweils die Problemlage und das Interaktionsverhalten der Mutter bzw.
der Eltern erhoben wird).
Dazu wurde ein Kurzlängsschnitt durchgeführt, bei dem über einen Zeitraum von zwölf
Wochen von der ersten Woche nach der Geburt im wöchentlichen Abstand Erhebungen
zur kindlichen Problemlage und zur Interaktionsqualität der Mütter stattfanden.
Die Stichprobe umfasste insgesamt 20 Mutter-Kind- Dyaden, von denen die Zustimmung
vorlag, zwölf Wochen lang jeweils einmal wöchentlich eine Videosequenz des
Interaktionsverhaltens zu erstellen sowie in einem Interview Auskünfte zu
wahrgenommenen Schwierigkeiten beim Kind zu geben.
Falls die Mütter Verhaltensanpassungen an die Problemlage des Kindes vornehmen,
sollten sich entsprechend der Interpretationsalternative (a) Korrelationen zwischen dem
Ausmaß der Schwierigkeiten, die durch die Mütter wahrgenommen werden, und ihrem
Interaktionsverhalten über die Zeit hinweg nachweisen lassen.
Im Fall zweiten Interpretationsalternative (sensitive Mütter nehmen mehr Probleme wahr)
sind dagegen keine korrelativen Bezüge zwischen Problemlage und Interaktionsqualität
über die Zeit hinweg zu erwarten.
Es sollten sich jedoch Mütter mit konsistent höherer Interaktionsqualität von Müttern mit
konsistent niedrigerer Interaktionsqualität unterscheiden lassen, wobei die höhere
Interaktionsqualität mit einer erhöhten wahrgenommenen Problemlage seitens des
Kindes verknüpft sein sollte.
Um die Hypothese einer problemlagenbezogenen Sensitivitätsänderung zu prüfen, wurde
über die zwölf Erhebungszeitpunkte hinweg für jede Mutter die Korrelation zwischen den
von ihr wahrgenommenen Schwierigkeiten und den jeweils eingeschätzten
Interaktionsqualitäten berechnet. Die Korrelationen liegen für die 20 Mütter zwischen
r=-.72 und r=.39 mit einem Mittelwert von r=-.07. Obwohl insgesamt ein großer
Steubereich vorliegt, finden sich keine Hinweise auf substantielle Zusammenhänge.
Betrachtet man umgekehrt die Annahme, dass die Sensitivität als situationsunabhängig
aufzufassen ist, so findet man dazu Belege beim Vergleich der
Sensitivitätseinschätzungen für verschiedene Mütter.
Die Ergebnisse zeigen, dass die mittleren Sensitivitätseinschätzungen für die Mütter über
den Zeitraum von zwölf Wochen hinweg deutlich voneinander differieren, wobei die
Standardabweichungen im Verhältnis zu den Mittelwertsdifferenzen relativ gering sind.
Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass die eingeschätzte Sensitivität ein
relativ situationsunabhängiges Merkmal zu sein scheint, das verschiedene Mütter
voneinander unterscheidet.
Um zu prüfen, ob die situationsunabhängig sensitiveren Mütter mehr Schwierigkeiten bei
ihren Kindern wahrnehmen, wurden für die 20 Mütter jeweils ihre durchschnittliche
Sensitivität sowie die durchschnittliche Anzahl der wahrgenommenen Schwierigkeiten
berechnet.
Hier zeigt sich, dass zwischen beiden Werten eine Korrelation von r=.27 besteht, die bei
der kleinen Stichprobengröße zwar nicht die Signifikanzgrenze erreicht, aber vom Trend
her die Beziehung zwischen Sensitivität und Schwierigkeitswahrnehmung bestätigt, die
sich bereits in der vorhergehenden Studie gezeigt hatte.
Insgesamt kann also eher davon ausgegangen werden, dass relativ
situationsunabhängig interindividuelle Unterschiede zwischen den
Müttern bestehen hinsichtlich ihrer Sensitivität, die wiederum mit einer
entsprechend erhöhten bzw. reduzierten Problemwahrnehmung
einhergeht.
11 Bindung und Bindungsverhalten
Elterliche Voraussetzungen: Das Sensitivitätskonstrukt
Bereits das Kleinkind liefert der Mutter vielfache Signale (wie Weinen, Lächeln etc), auf die
die Mutter reagiert.
Für die spätere Bindung ist es wichtig, wie feinfühlig sich die Eltern gegenüber den
Signalen des Kindes verhalten.
Sensitive Eltern bemühen sich in konsistenter Weise,
(a) die Signale des Kindes zu bemerken,
(b) die Signale richtig zu interpretieren
(c) prompt zu reagieren und
(d) sich angemessen zu verhalten
Einige kindliche Signale sind die folgenden:
(dd)
Augenreiben bei Müdigkeit
(ee)
Lächeln bei Freude
(ff) Weinen und schreien bei Traurigkeit oder Schmerz
Wenn die Eltern sich feinfühlig gegenüber den Signalen des Kindes verhalten, fühlt sich
das Kind in seiner Umgebung sicher. Es kann die Umgebung bis zu einem gewissem Grad
kontrollieren, ist ihr nicht ausgeliefert.
Es erlebt, dass die Umgebung verlässlich ist und kann Vertrauen in die Welt entwickeln.
Anderenfalls leben die Kinder in einer wenig kontrollierbaren Umgebung, die wenig
Sicherheit und Vertrauen schafft.
Wie kann man dies nun erkennen und raten?
Durch die Erhebung der Sensitivität mittels Verhaltensbeobachtung des Eltern-KindVerhaltens und Globaleinschätzung auf einer neunstufigen Skala (von gar nicht feinfühlig
bis sehr feinfühlig).
Es wird weiterhin angenommen, dass es sich um ein ganzheitliches Konzept handelt. Dies
bedeutet, dass die einzelnen Komponenten hoch miteinander korrelieren sollten.
In einer eigenen Studie wurden die vier Komponenten (Signale bemerken, richtig
interpretieren, prompt und angemessen reagieren) sowie die Einschätzung der
globalen Sensitivität unabhängig voneinander erhoben (jeweils mit neunstufigen Skalen).
Stichprobe: 60 Eltern-Kind-Dyaden im Kindesalter von drei Monaten
Schlussfolgerung: Die Interpretation von Sensitivität als ganzheitliches und
eindimensionales Konstrukt wird bestätigt.
Frage: Wie verhält sich die mütterliche Sensitivität zu anderen Parametern des
Elternverhaltens (z.B. zeitliche Kontingenz und Wärme des Elternverhaltens)?
Schlussfolgerung: Sensitivität repräsentiert vor allem mütterliche Wärme (indiziert durch
Lächeln und Baby Talk) und weniger die zeitliche Kontingenz des Verhaltens. Auch die
Promptheitsratings korrelieren nicht mit den gemessenen zeitlichen Kontingenzen des
Elternverhaltens.
Mögliche Erklärung: Die Rater sind wegen der schnellen Reaktionen (in der Regel in
einem
Zeitfenster unterhalb einer Sekunde) nicht in der Lage, die Kontingenzen zu erfassen.
Kann man nun aus der mütterlichen Sensitivität auf die Qualität der Mutter-Kind-Bindung
schließen?
Die mütterliche Sensitivität weist nach Metaanalysen Korrelationen im mittleren Bereich
(etwa .30) zur Qualität der Mutter-Kind-Bindung auf. Die Ergebnisse schwanken jedoch
stark zwischen Untersuchungen (z.T. aufgrund der Verwendung unterschiedlicher
Operationalisierungen).
Eigene Studie: Keine Bezüge zwischen Sensitivitätseinschätzungen mit drei Monaten und
späteren Bindungseinschätzungen mit einem Jahr (bei Verwendung von Q-Sorts zur
Erfassung der Bindungsqualität).
Kindliche Bindungsvoraussetzungen
2 Komponenten sind hierbei wichtig:
20. Wahrnehmung
21. Kognition
Wahrnehmung: Es müssen Schemata aufgebaut sein, um Menschen voneinander
unterscheiden zu können (z.B. die Eltern von Fremden). Erst dann sind
spezifische Reaktionen auf die Eltern zu erwarten.
Kognition: Vor allem der Erwerb der Objektpermanenz wichtig, da erst dann erkannt wird,
dass Personen selbst dann noch vorhanden sind, wenn man sie nicht mehr unmittelbar
sieht.
Die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Fremden und Vertrauten
Zu den ersten sozialen Unterscheidungen, die von Kleinkindern überhaupt getroffen
werden, gehört die Unterscheidung zwischen vertraut und fremd. Nach Lewis & Feiring
gehört diese Unterscheidung neben Alter und Geschlecht zu den ersten wesentlichen
sozialen Variablen.
Wenn die Unterscheidung zwischen Vertrauten und Fremden getroffen werden kann, tritt
erstmals eine Furchtreaktion auf, wenn das kleine Kind mit einem Fremden konfrontiert
wird. Fremdelreaktion tritt um so stärker auf, je unähnlicher und unvertrauter die Person
dem Kind ist und je näher die Person dem Kind ist.
Nächste Folie zeigt Ergebnisse eines Versuchs von Lewis. Positive Reaktionen treten auf,
wenn das eigene Spiegelbild oder die Mutter sich nähern.
Relativ neutrale Reaktionen, wenn ein vierjähriges Kind (Ähnlichkeit zum Kleinkind) sich
nähert.
Deutlich negative Reaktionen ergeben sich, wenn sich ein fremder Erwachsener nähert.
Alter ist hierbei eine entscheidende Variable.
Ausmaß der Fremdelreaktion in unterschiedlichen Distanzen der fremden Person bei unter
und über 12- Monate-alten Kindern
(bei „self“ wurde ein Spiegel immer näher ans Kind bewegt)
Es gibt 3 Erklärungsansätze für die Fremdelreaktion:
Kognitive Erklärung:
Das Kind kann den Fremden nicht in die eigenen Schemata einordnen, dies führt zu
unangenehmen Gefühlen
Verhaltenserklärung:
Das Kind findet keine passende Verhaltensreaktion auf den Fremden. Die Unterbrechung
des normalen Verhaltensflusses führt zu unangenehmen Gefühlen
Erklärung durch Kontrollverlust:
Das Verhalten des Fremden ist nicht vorhersagbar. Der Kontrollverlust führt zu
unangenehmen Gefühlen.
Wenn der Höhepunkt des Fremdelns (mit etwa 24 Monaten) überschritten ist, steigt die
Bereitschaft, sich von der Mutter zu entfernen und selbständig die Umgebung zu
erkunden.
Es kommt zu einem stärkeren Anstieg der Distanz, die das Kind bereit ist, von der Mutter
zu weichen.
Das Phänomen der Bindung
Für das Phänomen der Bindung gibt es 2 Erklärungsansätze (Psychoanalyse und
Lerntheorie)
Psychoanalyse:
Kleinkinder sind oral orientiert und beziehen Lustgewinn aus oralen Aktivitäten (Saugen,
beißen, Objekte in den Mund nehmen). Das Kind bindet sich emotional an Personen, die
orale Aktivitäten ermöglichen (vor allem die Mutter, da sie in der Regel das Füttern
übernimmt). Eine besonders sichere Bindung zur Mutter sollte demnach entstehen, wenn
eine Mutter sich ruhig und ausgiebig den Fütterungsaktivitäten hingibt.
Lerntheorie:
Mutter füttert Kind, wechselt Windeln, bietet Wärme. Als Folge wird die Mutter mit
angenehmen Gefühlen assoziiert und wird konditionierter Stimulus für angenehme
Gefühle. Wenn sie einmal diesen Status erreicht hat, wird das Kind ihre Nähe suchen, um
einen
angenehmen Zustand und angenehme Gefühle zu erhalten (die bloße Anwesenheit kann
später ausreichen, da Generalisierung auftritt).
Modell: Klassische Konditionierung:
Mutter wird mit nachfolgender Bedürfnisbefriedigung assoziiert.
Das Harlow Experiment spricht jedoch gegen den Erklärungsansatz der Psychoanalyse –
hiernach kann der lerntheoretische Ansatz jedoch zutreffend sein.
Kurze Beschreibung des Experiments:
Junges Äffchen wird gleich nach der Geburt von Mutter getrennt und bekommt 2
„Ersatzmütter“ – eine aus Draht die das Futter gibt und eine aus Stoff bei der es aber kein
Futter gibt. Wird das Äffchen nun erschreckt (z.B. durch lautes Geräusch) sucht es Schutz
bei der Stoffmutter. Auch sonst verbringt es mehr Zeit bei der Stoffmutter und geht nur
zum Trinken/Essen zur Drahtmutter.
Ethologie:
Alle höheren Tiere (einschließlich des Menschen) haben bestimmte angeborene
Verhaltensweisen, die soziales Verhalten fördern (Ergebnis der Evolution).
Die Verhaltenstendenzen dienen dem Zweck, das Überleben des einzelnen und der Art zu
sichern.
Sowohl auf Seite des Kindes als auch auf Seite der Eltern gibt es weitgehend angeborene
Tendenzen, auf bestimmte Signale zu reagieren und dadurch eine Bindung herzustellen.
Entwicklungsabfolge der Bindung
(a) Ausgangspunkt: Anlage des Kindes, Nähe zu suchen (bereits in den ersten Wochen)
(b) Zunächst Bindungsverhalten bei jeder Person (bis etwa 3. Monat)
(c) Spezifische Reaktionen auf Mutter, Aktives Suchen der Mutter (3 bis 6 Monate)
(d) Entstehen der spezifischen Bindung (6 bis 9 Monate)
(e) Angst vor Fremden (9 bis 12 Monate)
(f) Mutter als zentrale Person, Spannung in Anwesenheit von Fremden, längere Trennung
von Mutter führt zu Protest, dann Verzweiflung (12 bis 24 Monate)
(g) Akzeptieren zeitweiser Trennung von Mutter, Akzeptieren von Ersatzbindungspersonen
(3 bis 4 Jahre)
(h) Frühe Bindungsfähigkeit und frühe Bindungen als Basis für spätere Bindung im
Erwachsenenalter.
Unterschied zwischen Bindung und Bindungsverhalten
Bindungsverhalten bezieht sich auf Verhaltensweisen, die dazu dienen, die Nähe der
Eltern zu sichern (z.B. Weinen, Lächeln, Nähe suchen etc.).
Bindung bezieht sich auf das „emotionale Band“ zwischen Kind und Eltern.
Bindungsverhalten tritt dementsprechend zeitlich früher auf als die Bindung seitens des
Kindes. ( mit ca. 6-8 Monaten)
Die Bindung an eine Pflegeperson wird als notwendig gesehen als sichere Ausgangsbasis
(secure base) der Erkundung der Umwelt.
Es wird ein antagonistisches Verhältnis zwischen der Aktivierung von Bindungsverhalten
und Explorationsverhalten angenommen. Wenn das Kind verunsichert
ist, wird Bindungsverhalten aktiviert und das Explorationsverhalten unterbrochen.
Fühlt sich das Kind jedoch in der Nähe seiner Bezugsperson sicher, beginnt es mit
Explorationsverhalten.
Messung der Bindungsqualität
Zur Messung der Bindungsqualität liegen verschiedene Erhebungsinstrumente vor:
Für den Bereich der frühen Kindheit sind vor allem relevant:
• Der Fremde-Situations-Test
• Das Q-Sort-Verfahren
Es gibt 4 verschiedene Bindungsstile:
22. Sichere Bindung (B-Kinder)
23. Unsicher-vermeidende Bindung (A-Kinder)
24. Unsicher-ambivalente Bindung (C-Kinder)
25. Desorganisierte Bindung (D-Kinder)
Sichere Bindung (B-Kinder):
Nutzen die Mutter als sichere Basis. Bei Trennung kann Weinen auftreten. Vermissen der
Mutter, die gegenüber anderen Personen präferiert wird, durch fremde Person nicht
vollständig zu trösten. Freude bei Wiederkehr der Mutter.
Unsicher-vermeidende Bindung (A-Kinder):
In Anwesenheit der Mutter verhalten sie sich indifferent gegenüber der Mutter. Bei
Trennung sind sie kaum beunruhigt und zeigen kaum Kummer. Sie verhalten sich
gegenüber der fremden Person wie bei der Mutter. Sie meiden Nähe und Interaktion mit
der Mutter bei der Wiedervereinigung.
Unsicher-ambivalente Bindung (C-Kinder):
Vor der Trennung suchen die Kinder die Nähe der Mutter und zeigen wenig
Explorationsverhalten.
Wenn die Mutter zurückkehrt, zeigen sie ein wütendes und aggressives Verhalten der
Mutter gegenüber. Viele weinen weiter, auch nachdem sie von der Mutter hochgehoben
wurden, und lassen sich kaum trösten. Sie reagieren wütend oder passiv, wenn sie mit der
fremden Person allein gelassen wurden.
Desorganisierte Bindung (D-Kinder):
Zeigen widersprüchliche Verhaltensmuster, die keinem der anderen Bindungsmuster
entsprechen.
Vorgehensweise bei der Beurteilung:
Man muss zuvor eine Schulung gemacht haben, um beurteilen zu dürfen!
Einschätzung des kindlichen Verhaltens im Fremde- Situations-Test auf den Skalen:
(a)Aktiver Versuch, den Kontakt aufrecht zu erhalten
(b) Wiedererlangen von Kontakt oder Nähe
(c)Widerstand gegen Kontakt oder Nähe / Wegstoßen
(d) Vermeiden von Nähe oder Interaktion / Ignorieren, Wegschauen
(e) Suchverhalten während der Trennungsepisoden
Häufigkeit der Bindungsmuster:
(a) Sichere Bindung: 60 – 70 Prozent
(b) Unsicher-vermeidende Bindung: 15 – 20 Prozent
(c)Unsicher-ambivalente Bindung: 10 – 15 Prozent
(d) Desorganisierte Bindung: 05 – 10 Prozent
Stabilität der Bindungsmuster
Teilweise werden hohe Langzeitstabilitäten für die Bindungsmuster berichtet. Nach einer
Studie von Main und Cassidy zeigen 80% der Kinder eine Stabilität von der frühen
Kindheit zum Alter von sechs Jahren (auch hier durch Fremde-Situation erhoben). An der
Studie
nahmen allerdings hauptsächlich Kinder aus der Mittelschicht teil, bei denen in diesem
Zeitraum kaum Beziehungsveränderungen stattgefunden hatten.
Es gibt aber auch kulturelle Unterschiede!
Erklärungsmöglichkeiten:
(a)Kulturelle Unterschiede im Erziehungsverhalten
(b) Unterschiede in der Beurteilung der Fremde-Situation
Bindung an die Mutter versus Bindung an den Vater
Kinder, die bei Mutter unsicher gebunden sind, sind nicht auch zwangsläufig bei Vater
unsicher gebunden.
Daher teilweise Kompensationsmöglichkeiten, wenn keine sichere Bindung zur Mutter
vorliegt.
Auch andere Familienmitglieder können Bindungsfunktionen übernehmen und Fehlendes
ausgleichen.
Faktoren, die Bindung an einen spezifischen Elternteil (Vater oder Mutter) begünstigen:
(a) Zeitanteil, der mit dem Kind verbracht wird.
(b) Spielen mit dem Kind
(c) Versorgung des Kindes
(d) Zeigen von Affekten für das Kind (zeigen, dass man es liebt)
(e) Art der Disziplinierung (Toleranz vs. Härte)
(f) Erwartungen der Eltern (negativ: zu hohe Erwartungen →Kind ist ständig in
Verliererrolle)
(g) Vorlieben der Eltern (Vorziehen des Kindes gegenüber einem anderen)
(h)Status der Eltern (zunächst Rolle der Mutter wichtiger, später Wechsel zum Vater
möglich, wenn seine Rolle höher bewertet wird)
Das Q-Sort-Verfahren
Eine Bezugsperson (Selbsteinschätzung) oder ein Beobachter (Fremdeinschätzung), der
die Interaktion des Kindes mit einer Bezugsperson über einen längeren Zeitraum
beobachtet hat, schätzt die Interaktion des Kindes mit der Bezugsperson ein.
Dazu gibt es ein Item-Set mit 90 Items, die für das Verhalten des Kindes einzuschätzen
sind.
Beispielitems:
Manchmal ist das Kind ohne klaren Grund weinerlich, wenn es nach dem Spielen zur
Mutter zurückkehrt.
Das Kind lässt sich von anderen Erwachsenen trösten, wenn es verstimmt ist oder sich
weh getan hat.
Das Kind achtet beim Spiel darauf, wo die Mutter ist. Es ruft von Zeit zu Zeit und bemerkt,
wenn die Mutter in ein anderes Zimmer geht oder wenn sie andere Aktivitäten
beginnt.
Wenn die Mutter mit dem Kind schimpft oder es ermahnt, dann wird es betroffen oder
beschämt.
Die Items sind in mehreren Einschätzungsdurchgängen auf insgesamt neun Stapel zu
verteilen, die angeben, wie gut das Verhalten des Kindes mit dem Item beschrieben wird.
Das Verfahren ist so angelegt, dass eine Gleichverteilung der Items auf die neun Stapel
erreicht wird.
Für jedes Item liegen Bewertungen durch eine Expertengruppe vor, aus denen sich ergibt,
wie stark das jeweilige Item eine sichere Bindung repräsentiert.
Nach der Einschätzung des Kindes werden die Beurteilungen des Kindes mit den
Beurteilungen der Experten verglichen. Je häufiger Items zur Einschätzung des Kindes
genutzt wurden, die Bindungssicherheit repräsentieren, desto höher ist der Wert, den das
Kind für die Bindungssicherheit erhält.
Vorteile des Q-Sort-Verfahrens:
(a)Die möglichen emotionalen Belastungen, die beim Fremde-Situations-Test auftreten
und die teilweise als ethisch bedenklich angesehen wurden, werden vermieden.
(b) Das Verfahren lässt sich sowohl als Selbst- als auch als Fremdbeurteilungsverfahren
einsetzen
(c)Das Verfahren führt zu ähnlichen (wenn auch nicht zu gleichen) Ergebnissen wie der
Fremde- Situations-Test
Verfahren zur Erhebung der Bindungsqualität lassen sich in verschiedenen Altersgruppen
(nicht nur in der frühen Kindheit) einsetzen, wobei teilweise Anpassungen an den
jeweiligen Entwicklungsstand notwendig sind.
Besonders erwähnenswert ist auch, dass die Bindungsqualität auch retrospektiv (aus der
Erwachsenensicht) erhoben werden kann. Verfahren hierzu:
das Adult Attachment Interview, das an dieser Stelle lediglich erwähnt werden soll.
Bindungsqualitäten im Erwachsenenalter Erhebungsinstrument:
Adult Attachment Interview (AAI)
Erhebung der Erinnerung an die Kindheitsbindungen aus der Erwachsenensicht (z.B.
Erinnerung an Trennungssituationen, an Zurückweisungen etc.)
Auch hierbei gibt es 4 Bindungstypen
Bindungstypen:
• Autonome bzw. sichere Bindung (B-Typ)
• Abweisende Bindung (A-Typ)
• Verstrickte Bindung (C-Typ)
• Ungelöst-desorganisierte Bindung (D-Typ)
Es gibt zwar keinen Automatismus – aber Bindungserfahrung wird meistens
weitergegeben!
12 Sprache und Kommunikation
Womit kann man sich bei dem Thema Sprache entwicklungspsychologisch beschäftigen?
Es gibt folgende 3 Dimensionen des Spracherwerbs:
Syntaktische Relation:
Relation zwischen den Zeichen (grammatische Beziehungen), entwicklungspsychologisch
wichtigstes Gebiet: Grammatikentwicklung.
Semantische Relation:
Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem (nicht-sprachliche Realität), Bedeutung der
Sprache, entwicklungspsychologisch wichtigstes Gebiet: Wortbedeutungsentwicklung
Pragmatische Relation:
Relation zwischen Zeichen und Zeichenbenutzer (Sprache als Mittel der Kommunikation
d.h. wie kann man Sprache so einsetzen, dass ein anderer einen versteht und mit dem
was man sagt etwas anfangen kann), entwicklungspsychologisch wichtigstes Gebiet:
Entwicklung sprachlicher Kommunikationsfähigkeiten
Weitere Sprachkomponenten sind:
Phoneme:
Elementare lautliche Einheiten, aus denen Sprache besteht. (Laute)
Morpheme:
Kleinste bedeutungstragende Einheiten der Sprache (Beispiel: Hund besteht aus einem
Morphem, Hunde aus zwei Morphemen).
Metalinguistisches Wissen:
Wissen über die Eigenschaften von Sprache und Sprachgebrauch. Das bedeutet, dass
man Sprache intelligenter nutzen kann
Stationen der Sprachentwicklung:
1. Jahr:
Brabbeln, Lallen. Es kommt zu einer Zunahme des Brabbelns gegen Ende des ersten
Jahres. Anfangs erkennt man Laute aus vielen Sprachen (ursprünglich sind sogar alle
Laute vorhanden),später findet aber eine Einengung auf Laute der eigenen Sprache, am
Ende des ersten Jahres kommt das erste Wort.
2. Jahr:
Einwortsätze (Holophrasen) werden gesprochen, gegen Ende des zweiten Jahres folgt die
Zusammenstellung von Worten zu Zwei-Wort- Sätzen. Somit besteht die erste Möglichkeit
zur Formulierung von Fragen (hauptsächlich durch Veränderung der Tonlage). Möglichkeit
zur Verwendung von Negationen (bedeutet „NEIN“ zu sagen).
3. Jahr:
Anpassung der Sprache, Verbesserung der Grammatikstruktur, aber teilweise noch
inkorrekte Nutzung (z.B. Übergeneralisierung grammatischer Regeln, z.B. er gehte
statt er ging). Mit 2 1/2 Wortschatz etwa 400 Worte, danach starke Zunahme.
4. Jahr:
Korrekte, aber wenig komplexe Sprache. Grammatische Grundstrukturen bekannt, aber es
werden wenig komplexe Strukturen genutzt. Wenig Passivkonstruktionen, wenig
Konditionalsätze (Wenn-Bedingung). Beginn der Nutzung des Futurs. Mit 3 1/2 Jahren
Wortschatz von über 1000 Worten.
5. Jahr:
Anpassung der Sprache an die Erwachsenensprache. Längere und komplexere Sätze.
Mehr als eine Sinneinheit innerhalb eines Satzes. Insgesamt zunehmende Annäherung an
Erwachsenensprache.
Im folgenden sollen einige Aspekte dieser Sprachentwicklung in den ersten Jahren näher
betrachtet werden.
Vorsprachliche Phase
Voraussetzungen der Sprachproduktion ist :
Die Sprachwahrnehmung oder die Fähigkeit Sprache zu analysieren
Kategoriale Wahrnehmung von Sprachlauten als Basis für Spracherwerb. Wird
beispielsweise der Sprachlaut /b/ kontinuierlich verwandelt, bis er in einen anderen
ähnlichen Sprachlaut /p/ übergeht, dann kippt bei Erwachsenen an einer bestimmten
Stelle unvermittelt die Wahrnehmung. D.h. ein Erwachsener hört entweder B oder P aber
nichts dazwischen.
Wichtigstes Charakteristikum, das dabei variiert wird:
Die Voice Onset Time (Zeitdauer zwischen dem Freilassen des Luftstromes zwischen den
Lippen und dem Einsetzen der Vibration der Stimmbänder).
Voice Onset Time (VOT) beträgt bei /ba/ ca. 15 Millisekunden und bei /pa/ bei ca. 100
Millisekunden.
Ergebnis einer Variation der VOT bei Erwachsenen: Bei VOT von weniger als 25
Millisekunden wird ein /b/ wahrgenommen, bei mehr als 25 Millisekunden ein /p/
Habituationsversuche bei Säuglingen im Alter von einem und vier Monaten: Habituation an
eine VOT von 20 (/ba/), dann Präsentation eines Lautes mit einer VOT von 40 (/ta/).
Ergebnis: Dishabituation.
Anderes Ergebnis bei Habituation an VOT von 60 (/pa/) undPräsentation eines Lautes mit
einer VOT von 80 (andere Variante von /pa/). Hier erfolgt keine Dishabituation (keine
natürliche Lautgrenze vorhanden).
Schlussfolgerung:
Schon sehr früh werden Lautkategorien unterschieden, die die
Segmentierung
des Sprachflusses ermöglichen. Der Säugling hat die selben Grenzen wie
der Erwachsene – daher geht man davon aus, dass eine Segmentierung
des Sprachflusses angeboren ist.
Die Fähigkeit zur Lautdiskrimierung geht aber bei Lauten, die in der eigenen
Muttersprache
keine Rolle spielen, schnell wieder verloren.
Frühe Stadien der Kommunikation:
Einzige Möglichkeit zur Kommunikation: Mimik und Gestik, wenn Sprache noch nicht
entwickelt ist.
Um mit Umgebung kommunizieren zu können, werden Gesten entwickelt. Einige typische
Gesten, die sich im Laufe des ersten Lebensjahres entwickeln:
• Drückt den Schnuller zur Seite – gesättigt, nicht hungrig
• Wirft Objekt weg - will es nicht haben
• Greift nach Objekt - will es haben
• Lächelt, streckt Arme aus - will hochgehoben werden
Sprachliche Phase
Grundlage:
Sensibilität gegenüber Regelmäßigkeiten in der Sprache Nutzung von
Verteilungscharakteristika und Wortpausen, um sprachliche Einheiten zu identifizieren.
(Dies ist also Voraussetzung für die Wortschatzentwicklung von Kindern)
Beispiel:
Säuglinge hören zwei Minuten ein Band mit vier verschiedenen dreisilbigen Worten, die
ohne Pause aneinandergereiht werden:
tupiro, golabu, bidaku, padoti
Nach einer Reihe von Lerndurchgängen werden neben den bekannten Wörtern auch
„Nicht-Wörter“ vorgespielt (gleiche Silben, aber in anderer Kombination). Die Kinder
achteten nun stärker auf die Nicht-Wörter (Silben in neuen Kombinationen).
Daraus folgt: Die Kinder müssen die zusammengehörenden Lautfolgen (wie bida oder
daku)
identifiziert haben.
Wortschatzentwicklung
Die verbale Entwicklung beginnt zunächst mit dem Auftreten von Brabbel-Äußerungen.
Das Ausmaß, in dem diese Äußerungen auftreten, hängt von der Zuwendung der Eltern
ab.
Anstieg mit Zuwendung der Eltern. Abfall, sobald das Kind anfängt, erste Worte zu bilden.
Sobald die ersten Worte beherrscht werden, erfolgt ein rapider Anstieg des Wortschatzes.
Wortschatzexplosion findet im Alter von 20-22 Monaten statt.
Der passive Wortschatz ist bei Kindern immer höher als der aktive!
Kinder lernen etwa 8-10 neue Wörter am Tag!
In der ersten Klasse beträgt der passive Wortschatz ca. 15.000 Wörter,
In der dritten Klasse beträgt der passive Wortschatz ca. 30.000 Wörter,
In der fünften Klasse beträgt der passive Wortschatz ca. 60.000 Wörter.
Es gibt auch Geschlechtsunterschiede beim passiven Wortschatz – ein Trend zeigt
an, dass Mädchen Jungen etwas voraus sind – Im Laufe der Entwicklung (bis 22 Monate)
nähern sie sich aber wie der an.
Es gibt auch individuelle Unterschiede!
22. Das erste Wort wird durchschnittlich mit 13 Monaten gesprochen in einer
Altersspanne von 8-18 Monaten
23. Die Sprachexplosion findet durchschnittlich mit 19 Monaten in einer Altersspanne
von 13-25 Monaten statt
24. Erste Sätze werden durchschnittlich mit 24 Monaten gesprochen die Altersspanne
beträgt 18-32 Monate
Es gibt auch Interkulturelle Gemeinsamkeiten in den Anfängen der
Wortschatzentwicklung (Es liegt eine Betonung auf Bezeichnungen für Erwachsene, Tiere,
Nahrung), kurz um: vorrangig Worte für Objekte werden genutzt!
Zuwächse finden sich abschließend auch bei der Komplexität des Satzbaues. Die
grammatischen Strukturen werden komplexer. Neben Hauptsätzen werden zunehmend
auch Nebensätze eingebaut, wodurch der Grad der Verschachtelung zunimmt. Die
Sätze werden dadurch nicht nur länger, sondern auch komplexer.
Theorien des Spracherwerbs
Im folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten Theorien des Spracherwerbs gegeben
werden. Hierbei ist vorauszuschicken, dass sich nicht alle Theorien auf den rein
quantitativen Aspekt des Spracherwerbs beziehen, sondern dass auch qualitative Aspekte
einbezogen sind.
Generell gibt es 4 verschiedene Ansätze/Theorien/Konzepte die versuchen den
Spracherwerb zu erklären:
26. Biologische Konzepte
27. Lerntheorien
28. Kognitive Theorien
29. Informationsverarbeitungstheorien
Biologistische Konzepte
Postulieren biologische Grundlagen der Sprachentwicklung, vor allem bezogen auf
phonologische (Lautproduktion) und grammatische Aspekte der Sprachentwicklung.
Wichtigste Vertreter: Lenneberg und Chomsky.
Lenneberg:
Es gibt eine angeborene Sprachbereitschaft. Sprachliche Stimulation durch die Umgebung
ist notwendige Voraussetzung zur Entfaltung der latenten Sprachbereitschaft.
Aber: Sprachliche Stimulation ist nicht Ursache der Sprachentwicklung.
Drei Annahmen:
(a) Spracherwerb ist reifungsabhängig. Insbesondere besteht eine Parallelität zwischen
Hirnreifung und Sprachentwicklung
(b)Sprachentwicklung steht im Zusammenhang mit Entwicklung der
Hemisphärendominanz (Hirnlateralisation).
(c) Für den Erwerb der Primärsprache gibt es eine kritische Periode, die den Zeitraum von
etwa zwei bis zwölf Jahren umfasst. Danach ist Hemisphärendominanz abgeschlossen,
Sprachzentrum ausgebildet. Wenn es mangels Stimulation nicht ausgebildet wurde,
kann dies nicht mehr nachgeholt werden.
Sprachspezifische Strukturen in der linken Gehirnhälfte (bei Rechtshändern)
Das Broca-Areal kontrolliert die Sprachproduktion mit Hilfe eines komplexen
Sprachproduktionsprogrammes, das an die kortikalen Regionen gesandt wird, die
wiederum Körperbewegungen kontrollieren.
Das Wernicke-Areal interpretiert Sprache aus den auditiven Impulsen der primären
auditiven Areale, die Impulse aus den Ohren erhalten.
Broca- und Wernicke Areale sind durch Nerven bahnen miteinander verbunden.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Hirnlateralisation früher abgeschlossen ist als
Lenneberg dies annahm (vermutlich bereits mit fünf Jahren, so dass ein
Primärsprachenerwerb nach diesem Zeitpunkt erschwert ist). (Laut Prof. Lohaus ist diese
Altersangabe jedoch umstritten, denn es kann auch erst mit 7 oder 8 Jahren
abgeschlossen sein)
Versuch, die Annahme eines eingeschränkten Primärsprachenerwerbs nach der Pubertät
mit Hilfe eines Fallbeispiels (Fall Genie) nachzuweisen, bei der bis zur Pubertät kaum
Berührung mit Sprache stattgefunden hatte.
Fall Genie: Geboren 1957, von Eltern für retardiert gehalten, deshalb in winzigem Raum
gehalten. Nur mit Notwendigstem versorgt. Bei Lautäußerungen Strafe vom Vater.
Niemand redete mit ihr. 1971 Befreiung mit 14 Jahren (nach Pubertät). Keinerlei
Lautproduktion, auch
kein Lachen oder Weinen. Danach kurzer Klinikaufenthalt und Wechsel zu Pflegeeltern.
Danach relativ gute Fortschritte bei der Sprachentwicklung, jedoch kein Erwerb einer
normalen Sprache, z.B. mehr passives Verständnis als aktive Sprachproduktion. Syntax
eingeschränkt. Stark stereotype Sprache. Spricht für Möglichkeit eines stark
eingeschränkten
Spracherwerbs nach der Pubertät. In Grenzen offenbar noch Erwerb einer Primärsprache
möglich, jedoch werden bei weitem nicht mehr normale Sprachkompetenzen
erreicht.
Die Einschränkungen beim Spracherwerb zeigen sich auch beim Erwerb von
Sekundärsprachen in höheren Lebensabschnitten.
Je älter man ist, desto mehr rechtshemisphärische Aktivität lässt sich beim Spracherwerb
im Gehirn erkennen. (Normalerweise z.B. bei Kindern ist eher nur die linke Hemisphäre
aktiv)
Chomsky:
Zentrales Postulat: Es gibt einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus, der
ermöglicht, Wortbedeutungen und grammatische Regeln aus der Sprache der Umgebung
zu übernehmen. Die Spracherwerbsstruktur wird als Language Acquisition Device (LAD)
bezeichnet. Sie legt fest, nach welchen Mustern in der Sprache der Umgebung zu suchen
ist.
Der linguistische Input aus der Umgebung wird vom LAD analysiert. Es entwickelt sich
eine subjektive Sprachtheorie, die nach und nach die phonologischen, semantischen und
syntaktischen Elemente der jeweiligen Sprache enthält. Aus diesem Wissen entstehen die
sprachlichen Kompetenzen des Kindes.
Der LAD enthält drei biologischen Dispositionen:
(a) Fähigkeit, über die Beschaffenheit des Regelsystems der Sprache Hypothesen zu
bilden
(b)Bestimmte Hypothesen gegenüber anderen als wahrscheinlicher zu bewerten, da sie
sprachlichen Universalien entsprechen (z.B. das Vorhandensein von Subjekt, Verb und
Objekt in allen Sprachen).
(c)Verschiedene Hypothesen zu vergleichen und zu bewerten.
Kritik an den biologischen Positionen:
(a)Keine genaue Beschreibung, wie der Spracherwerbsmechanismus arbeitet (zur
Ableitung gezielter Hypothesen wichtig)
(b) Theorien vor allem auf die formale Sprachstruktur bezogen (Syntax), weniger auf
Semantik und Pragmatik.
Lerntheorie (Gegentheorie zur biologischen Theorie)
Konditionierungslernen:
Laute, Worte und Satzkonstruktionen, die der Erwachsenensprache am ehesten ähneln,
werden bekräftigt und treten deshalb zunehmend häufiger auf.
Zunächst treten beliebige sprachliche Äußerungen auf (operantes Verhalten), bestimmte
Lautelemente (die z.B. dem Wort Mama ähneln) werden verstärkt.
Grundelemente sind Reiz, Reaktion und Verstärkung, wobei die Umwelt korrekte
Lautäußerungen systematisch verstärkt. Ursprünglich universelles Lautpotential schränkt
sich immer stärker auf das Lautpotential der Umgebung ein.
Imitationslernen:
Einfaches S-R-Lernen nur zum Erwerb einfacher Sprachprozesse geeignet. Bei
komplexen Sprachprozessen spielt nach Lerntheorie auch Modellernen eine Rolle.
Kind hat Gelegenheit, die zu erlernende Sprache von anderen (Modellen) zu hören.
Darüber hinaus wird es für die Nachahmung der gehörten Sprache bekräftigt (direkte
Bekräftigung) bzw. es beobachtet, wie das Modell bekräftigt wird (stellvertretende
Bekräftigung).
Zusätzlich notwendig: Aufmerksamkeit, Speicherkapazität, Fähigkeit zur Reproduktion
(sprachmotorische Voraussetzungen)
Hilfreich für Imitation: Erwachsene verkürzen eigene Sprache auf ein Maß, das den
Fähigkeiten von Kindern entspricht. Verkürzungen des Kindes werden allmählich erweitert,
so dass auch dadurch Lernen erleichtert wird (z.B. Kind sagt: "Da Hund", Erwachsener
wiederholt und erweitert: "Ja, da ist ein Hund".)
Kritik:
(a) Schnelligkeit des Erwerbs grammatischer Strukturen kaum ausschließlich mit S-RPrinzipien zu erklären
(b) In der Sprache ist es schwer, Stimuli, Reaktionen und Verstärkungen zu isolieren
(daher gezielte Hypothesenprüfung schwierig)
(c) Umwelt reagiert stärker auf ausgedrückte Bedeutung als auf korrekte Aussprache.
Obwohl also eher das Übermitteln der Bedeutung verstärkt wird, wird die korrekte
Aussprache gelernt. (Beispiel: Kind zeigt auf Bonbons und sagt „da haben“ – darauf die
Mutter „ du möchtest ein Bonbon haben?!“ Sie gibt ihm ein Bonbon. Somit wird das Kind
für „da haben“ positiv bestärkt – trotzdem lernen wir aber „richtig zu sprechen“ und bleiben
nicht bei den verstärkten Aussprüchen wie „da haben“
(d) Neuschöpfungen, Neukombinationen und eigenständige Regelbildungen können durch
Verstärkung und Nachahmung nicht hinreichend erklärt werden.
Kognitive Theorien
Allgemeines Prinzip: Sprachliche Fähigkeiten werden auf der Grundlage der vorhandenen
kognitiven Fähigkeiten erworben. Wenn die notwendigen kognitiven Voraussetzungen
nicht gebildet sind, kann auch kein Spracherwerb stattfinden.
Das Konzept von Piaget
Sprache ist ein Bestandteil der allgemeineren Fähigkeit, zwischen Zeichen und
Bezeichnetem zu trennen und Symbole zu verwenden, um die Realität zu repräsentieren.
Sobald es möglich ist, die Realität symbolisch zu repräsentieren, kann sich auch eine
Sprache entwickeln.
Erstmals geschieht dies am Ende der sensumotorischen Periode, wenn äußere
motorische Abläufe verinnerlicht werden und zu einem Schema zusammengefasst
werden.
Die Schemata werden mit einem Wort belegt und können dadurch noch effektiver
gespeichert und aktualisiert werden.
Kognitive Voraussetzungen legen Grenzen des Spracherwerbs fest. Stützender Befund:
Bestimmte sprachliche Fähigkeiten treten erst dann auf, wenn auch die entsprechenden
kognitiven Voraussetzungen vorliegen (z.B. Worte als Symbole erst nach Erwerb von
Objektpermanenz. Symbole machen erst Sinn, wenn Objekte auch außerhalb der
unmittelbaren Wahrnehmung weiterexistieren).
Weiterhin: Erst gegen Ende des Vorschulalters wird erkannt, dass andere Personen ihre
eigenen Perspektiven über die Realität entwickeln und dass neben der eigenen auch
andere Perspektiven existieren. Erst danach ist es möglich, dass Kinder sich in ihrer
Kommunikation auf andere Zuhörer einstellen.
Das Konzept von Sapir/Whorf
In der Verschiedenheit von Sprachen kommt eine unterschiedliche Wahrnehmung der
Realität zum Ausdruck. Die unterschiedliche Realitätswahrnehmung ergibt sich teilweise
aus funktionalen Notwendigkeiten (z.B. Notwendigkeit zur Unterscheidung von Schnee
ergibt sieben Worte für unterschiedlichen Schnee bei Eskimos).
Die unterschiedlichen Sprachdifferenziertheiten und Sprachstrukturen determinieren das
Denken und führen zu sprachspezifischen Denkmustern, die durch das Sprachmuster
nahegelegt werden.
Unterschied zu Piaget:
Sprache determiniert die kognitiven Fähigkeiten und das Denken, während bei Piaget die
kognitiven Fähigkeiten die Sprache determinieren (beim Spracherwerb).
Aber: Gegen die Position von Sapir/Whorf sprechen Experimente, die zeigen, dass auch
Kulturen, die nur über wenig Farbbegriffe verfügen (wie die Dani auf Neu-Guinea, die
sprachlich nur zwischen schwarz/dunkel und weiß/hell differenzieren), dennoch bestimmte
Farben des Farbspektrums als hervorgehoben wahrnehmen und besser erinnern. Das
Denken (Farbempfinden) wird hier also nicht durch die Sprache determiniert.
Neuere Untersuchungen an Ethnien in Brasilien, deren Sprache ohne Zahlworte
auskommt, zeigen jedoch andererseits, dass Mitglieder dieser Ethnien auch nach
ausgiebigem Training nicht in der Lage waren, Zahlbegriffe in einer anderen Sprache zu
erlernen und erfolgreich damit zu operieren, um Mengen voneinander zu differenzieren.
Die mangelnde
Differenzierung in der Primärsprache begrenzt hier offenbar die kognitiven Fähigkeiten
zum Umgang mit Zahlbegriffen.
Spricht für Einschränkung der Differenziertheit der Wahrnehmung durch Verfügbarkeit
bzw. mangelnde Verfügbarkeit von Sprachbegriffen.
Das Konzept von Wygotsky
Annahme einer wechselseitigen Beeinflussung von Sprache und Denken.
Bis etwa zwei Jahren:
(a) vorsprachliches Stadium in der Entwicklung des Denkens
(b) vorintellektuelles Stadium in der Entwicklung der Sprache (kein intelligenter Umgang
mit Sprache)
Ab etwa zwei Jahren:
(a)Denken wird versprachlicht (sprachlich überformt, s. ähnlich Piaget)
(b) Sprache wird intellektuell Sprache und Denken konvertieren und sind nicht mehr
voneinander zu trennen.
Kritik an kognitiven Theorien:
Nur allgemeine, wenig konkretisierte Beschreibung des Spracherwerbs, daher noch
weniger als bei den anderen Theorien gezielte Hypothesenprüfung möglich. Keine
zusammenhängende Theorie des Spracherwerbs, die auch Detailphänomene der Sprache
berücksichtigen würde, stattdessen sehr globale Konzepte.
Informationsverarbeitungstheorien:
Allgemeines Prinzip: Sprachliche Fähigkeiten werden auf der Grundlage der semantischer
Netzwerke erworben.
Sprachentwicklung ist das Ergebnis der graduellen Erhöhung von Verbindungsstärken im
neuronalen Netzwerk.
Kinder hören, analysieren und erkennen Sprachinput.
Analogie zu einem Computer, der die Eigenschaft besitzt, seine Speicherinhalte in
Abhängigkeit vom Input zu verändern.
Erfolgreiches Beispiel für computerbasierte neuronale Netzwerkmodelle:
Erwerb von Vergangenheitsformen.
Aus dem Input einer großen Menge englischer Sätze mit regelmäßigen und
unregelmäßigen
Vergangenheitsformen können neuronale Netzwerk- Modelle lernen, die
Vergangenheitsformen korrekt zu bilden. Im Laufe des Lernprozesses machen die Modelle
dieselben Arten von Übergeneralisierungsfehler wie die Kinder. Dies zeigt, dass die Kinder
beim Lernen offenbar in ähnlicher Weise vorgehen.
Kritik:
- Sprachpragmatik wenig berücksichtigt
- Beschränkung auf kognitive Sprachanteile
13 Sprache und Kommunikation II:
Zu unterscheiden sind:
Syntax
= Grammatik
Semantik
= Bedeutung
Sprachpragmatik
= Kommunikation
Es gibt 2 wichtige Unterscheidungen im Bereich der Syntaxentwicklung :
(gg)
Die Oberflächenstruktur
(hh)
Die Tiefenstruktur
Tiefenstruktur: Semantische Bedeutung eines Satzes. Die Tiefenstruktur wird
mit Hilfe grammatischer Regeln in die Oberflächenstruktur übersetzt.
Die Oberflächenstruktur ist das, was artikuliert wird.
Dieselbe Tiefenstruktur kann mit Hilfe unterschiedlicher Regeln in verschiedene
Oberflächenstrukturen übersetzt werden.
Beispiel: Aktiv- und Passivsatz (Der Hund jagt den Jungen oder der Junge wird von dem
Hund gejagt).
Trotz gleicher Tiefenstruktur lässt sich der Satzinhalt in verschiedene
Oberflächenstrukturen übersetzen.
Je nach den angewandten Regeln kann ein Satz leichter oder schwerer enkodiert bzw.
dekodiert werden. Das Regelsystem der Grammatik wird im Laufe der Entwicklung
aufgebaut, wobei einfache vor komplexeren Regeln gelernt werden. Ein jüngeres Kind
wird daher eine einfache Oberflächenstruktur wählen und hat auch weniger
Verständnisprobleme, wenn der Kommunikationspartner eine einfache
Oberflächenstruktur wählt.
Die Einwort-Phase
In der Phase der Einwort-Sätze übernimmt ein einzelnes Wort Funktionen, die sonst mit
komplexen grammatischen Strukturen ausgedrückt werden (holographische Phase).
Mögliche Funktionen eines Wortes in der Einwortphase:
(a) Ausruf (Vokativ)
(b) Objekt des Wollens anzeigen (z.B. Milch)
(c) Handlung einer anderen Person beschreiben
(d) Handlungsobjekt bezeichnen
(e) Handlung eines unbelebten Objekts beschreiben
(f) Handlungsempfänger beschreiben
(g) Handlungsagent beschreiben
Entwicklungsaspekte in der Einwortphase:
(a)Veränderung vom Gebrauch isolierter Einzelworte zur Aneinanderkettung von Worten
(b)Aufeinanderfolgende Einwortäußerungen können verkettet sein oder jede für sich eine
ganzheitliche Funktion übernehmen
(c) Zwei Auffassungen über die Grundlagen der Einwortsätze:
(1) Den Einwortsätzen liegen komplexere grammatische oder semantische Strukturen
zugrunde, die das Kind jedoch noch nicht ausdrücken kann
(2) Die Kinder drücken etwas aus, ohne schon über formale Sprachregeln zu verfügen
Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder mehr verstehen als sie sagen können.
Beispiel:
(Kind kann noch nicht SCH sprechen) sagt zum Vater:
K: Gib mir mal den Fiss (meint Fisch)
V: möchtest du den Fiss haben?
K.: Nein den Fiss (weil es weiss, dass der Vater Fisch sagen müsste und nicht Fiss)
Die Zweiwort-Phase
Auf die Einwort-Phase folgt die Zweiwort-Phase, in der erstmals grammatische Strukturen
sichtbar werden.
Die Pivot-Grammatik
Die frühen Zwei-Wort-Äußerungen enthalten zwei Wortklassen: Funktionswörter bzw.
Operatoren (Präpositionen, Hilfsverben, Artikel etc) und offene
Wörter bzw. Inhaltswörter (Nomen, Verben, Adjektive mit hohem Bedeutungsgehalt). Die
Funktionswörter bzw. Operatoren werden auch als Pivots (Angelpunktwörter) bezeichnet.
Drei typische Kombinationen, die von Kindern gebildet werden:
(a) Pivot - offenes Wort (z.B. mehr Auto)
(b) Offenes Wort - Pivot (z.B. Milch drin)
(c) Offenes Wort - offenes Wort (Hose nass)
Weiterhin gelten folgende Regeln:
(a) Pivots stehen in fester Position im Satz (bestimmte am Anfang, andere am Ende)
(b) Pivots in Anfangsposition sind andere als Pivots in Endposition
(c) Pivots kombinieren sich mit anderen Worten, aber nicht mit Pivot-Worten
In manchen Sprachen wurden Ausnahmen beobachtet, z.B. im Finnischen oder
Deutschen (z.B. sowohl mehr Buch als auch Mama mehr). Auch Kombinationen von PivotWorten ließen sich zeigen. Weiterhin starke individuelle Unterschiede zwischen Kindern
hinsichtlich ihrer Regeln, z.B. benutzen manche fast ausschließlich O-O-Strukturen,
andere fast ausschließlich
P-O-Strukturen. Insgesamt lässt sich keine universelle Entwicklungsabfolge feststellen.
Telegraphische Sprache
Universell lässt sich ein weiteres Prinzip des Spracherwerbs beschreiben, das nicht nur in
der Zweiwort-, sondern auch in der Mehrwortphase gilt. Alle Kinder lassen bei ihren ersten
Wortkombinationen systematisch bestimmte Satzelemente aus.
Vorwiegend sind dies Artikel, Hilfsverben oder Funktionswörter (wie Präpositionen).
Da man beim Abfassen eines Telegramms vergleichbar vorgeht, nennt man diese
Sprachform
telegraphische Sprache. Unterschied zum Telegrammstil jedoch: Ohne die Situation zu
kennen, sind viele Kinderäußerungen nicht zu verstehen.
Einen wichtigen Anteil am Erwerb von Sprachstrukturen haben Interaktionen mit
Erwachsenen. Hilfreich für das Kind sind dabei vor allem Spracherweiterungen durch
Erwachsenen.
Die beiden wichtigsten interaktiven Prozesse beim Spracherwerb sind in der nächsten
Abbildung zusammengefasst.
Es handelt sich um:
(a)Nachahmung (mit Verkürzung, Kind lässt Wörter aus)
(b) Erweiterungen durch Erwachsene (im natürlichen Kontext, systematisches Training
bewirkt wenig)
Mehrwort-Phase
Grammatische Strukturen enthalten einfache und schwierigere Regeln, die zu (je nach
Sprache) zu einer jeweils spezifischen Erwerbsabfolge führen.
Dass grammatische Regeln unterschiedlich komplex sein können, zeigt folgendes
Beispiel:
Bei Yes/No questions gibt es nur eine Umformungsregel, während bei Wh-Fragen zwei
Regeln befolgt werden müssen. Daher: Wh-Fragen schwieriger als Yes/No Fragen.
Konsequenz: Wh- Fragen müssten später erworben werden.
Viele Regeln werden zunächst übergeneralisiert, bevor eine korrekte
Nutzung erfolgt.
Semantikentwicklung
Wie kommen Kinder dazu Wortbedeutungen zu erlernen?
Wie entsteht ein Verständnis für den Inhalt von Worten?
Woher weiß ein Kind, was gemeint ist, wenn die Eltern sagen „Das ist ein ...“ (Eltern
zeigen z.B. auf ein Kaninchen – aber woher weiß das Kind, dass nicht das Fell, die Ohren,
die Farbe o.ä. gemeint ist?)
Voraussetzungen für die Semantikentwicklung
Bildung von Kategorien für die Objektwelt.
Drei- bis vier Monate alte Kinder wurden zunächst an Katzen habituiert und sahen dann
eine andere Tierart.
Ergebnis:
Es folgt eine Dishabituierung für die andere Tierart.
Folgerung:
Die Kinder habe eine Kategorie für Katzen gebildet und unterscheiden sie von
anderen Tieren.
(Einschub: Wenn Kinder in der Lage sind zu fragen „Was ist das“ lernen sie ca. 60 neue
Wörter pro Woche dazu)
Die semantische Merkmalstheorie nach Clark
Es wird angenommen, dass man einem Objekt nach und nach die charakteristischen
Merkmale zuordnet.
Beispiel:
Grundannahmen der semantischen Merkmalstheorie
(a) Bedeutung eines Wortes ergibt sich aus der Ansammlung von semantischen
Merkmalen
(b) Beim Lernen eines Wortes zunächst Konzentration auf wenige kritische Merkmale
(c)Durch Erweiterung der semantischen Merkmale Annäherung an
Erwachsenenbedeutung.
(d) Ableitung der kritischen semantischen Merkmalen aus direkt wahrnehmbaren
Merkmalen
(e)Allgemeine Merkmale vor spezifischen, Wortbedeutungen sind daher zunächst
allgemein, werden später spezifischer, dadurch Neigung zur Überdehnung von Wörtern
(z.B. Hund auch für Katze, Maus)
Beispiele für Überdehnungen:
Ball, Ballon, Murmel, Ei etc. wird alles als Ball bezeichnet
Weitere Annahme:
Unmarkierte Merkmale werden vor markierten Merkmalen gelernt (positiver Pol einer
Dimension vor negativem Pol gelernt, positiver Pol ist gleichzeitig Bezeichnung der
Dimension, z.B. bei Größe ist groß positiv und unmarkiert, klein markiert; bei Breite ist
breit unmarkiert und schmal markiert).
Markiertes Wort erhält zunächst gleiche Bedeutung wie unmarkiertes Wort (z.B.
mehr/weniger, Dimension ist Menge, zunächst wird mehr gelernt, weniger wird mit mehr
verwechselt und gleichgesetzt).
Untersuchungsbeispiel:
Kinder sollen auf den Baum zeigen, der mehr bzw. weniger Äpfel trägt. Ergebnis: Mehr
wird häufiger korrekt verstanden als weniger.
→Daher sollte man im Grundschulalter auch besser mit unmarkierten Wörtern arbeiten!
Kritik:
(a)Nicht alle Worte lassen sich als Hierarchie semantischer Merkmale beschreiben
(Beispiel: Liebe)
(b) Übergang von perzeptuellen zu semantischen Merkmalen unklar (wie werden aus der
Wahrnehmung semantische Merkmale herausgefiltert?)
Die funktionale Kernhypothese nach Nelson
Funktionen von Worten sind Schwerpunkt der Konzeption von K. Nelson. Danach
kommt die
Bedeutung von Worten hauptsächlich durch die Funktion der Worte
zustande.
Vor allem zu unterscheiden:
(a) Core relationships (zentrale Funktionen)
(b) Noncore relationships (Beziehungen, die ebenfalls mit dem Wort verbunden sind)
(c) Beschreibungsmerkmale
(d) Namen
Beispielitem zur Unterscheidung zwischen perzeptueller und funktioneller
Betrachtungsweise (Tasse oder Schüssel)
Was antwortet ein Kind auf die Frage ob es sich hier um eine Schüssel oder eine Tasse
handelt?
Sagen sie Tasse→ dann gehen sie von ihrer visuellen Wahrnehmung aus
Sagen sie Schüssel→ dann gehen sie von der Funktion aus
Kritik:
(a)Kaum empirische Belege für zentrale Stellung des funktionalen Wissens
(b) Willkürliche Trennung zwischen motorisch-funktionalen Anteilen und sensorischperzeptiven Anteilen bei Höhergewichtung des motorisch-funktionalen
Die Prototypentheorie nach Rosch
Prototyptheorien gehen von der Beobachtung aus, dass Menschen manche Mitglieder
einer Kategorie als typischer empfinden als andere (z.B. Rotkehlchen typischerer Vogel
als Huhn). Nach Merkmalstheorien haben alle Mitglieder einer Kategorien die gleichen
Merkmale. Dann müssten sie bei Zuordnungsversuchen gleich schnell zugeordnet werden
können. Ist aber nicht der Fall. Je prototypischer, desto schneller geht die Zuordnung.
Folgerung:
Manche Mitglieder einer Kategorie haben besonders viele Merkmale gemeinsam. Dies
sind die prototypischen Fälle.
Daneben gibt es Mitglieder, die nur wenige Merkmale gemeinsam haben. Dies sind
periphere Mitglieder der Kategorie.
Unterschied zu Merkmalstheorien:
Es gibt je nach vorliegenden Merkmalen Mitgliedschaft in Kategorie oder nicht. Nach
Prototypentheorie gibt es klare und weniger klare Mitgliedschaft, je nachdem wieviele
gemeinsame Merkmale vorliegen.
Beispiel:
Mond ist Prototyp der Kategorie der mondartigen Gebilde. Aber auch ein D oder eine
Banane können dieser Kategorie zugeordnet werden, wenn gemeinsame Merkmale
gesehen
werden.
Wichtigste Annahmen der Prototypentheorie:
(a)Nicht jedes Mitglied einer Kategorie hat die gleichen Merkmale
(b) Es gibt typische Exemplare und weniger typische
(c) Prototypische Mitglieder haben viele gemeinsame Merkmale mit Mitgliedern der
Kategorie
(d) Zunächst Erwerb von Basiskategorien, dann Oberund Unterkategorien (z.B. Vogel,
Singvogel). Was die Basiskategorie ist, kann bei Kindern anders sein als bei
Erwachsenen.
Ein Kind nutzt am stärksten das mittlere Abstarktionslevel!
Lexikalische Kontrasttheorie nach Clark
Die Zuordnung von Wort und Begriff erfolgt nach der lexikalischen Kontrasttheorie vor
allem nach zwei Prinzipien:
(a)Dem Prinzip des Kontrasts
(b) Dem Prinzip der Konventionalität
Prinzip des Kontrasts:
Die Bedeutung eines Wortes zu erwerben heißt, die Kontraste des Wortes zu anderen
Worten zu erwerben.
Prinzip der Konventionalität:
Es ist konventionell festgelegt, in welcher Art zwei Wörter eines Lexikons kontrastieren
(welche Bedeutung also Worte in einer Sprache haben). Anderenfalls könnte es kein
gemeinsames Wortverständnis zwischen Kommunizierenden geben.
Am Anfang der Sprachentwicklung ist das Kind bestrebt, Lücken in seinem Vokabular zu
füllen. Wenn das Kind Lücken bemerkt, sucht es nach einem
neuen Wort.
Besondere Strategien, um Lücken zu überbrücken:
(a) Einsatz von Allzweckwörtern (wie Ding etc.)
(b) Einsatz von Überdehnungen ( sagt Apfel zu einem Objekt obwohl es weiss, dass es
kein Apfel ist)
(c) Einsatz von Wortneubildungen (Erfindet ein Wort was es nicht gibt für ein Objekt, weil
es den Namen des Objektes nicht kennt)
All dies gilt nur, wenn dem Kind noch angemessene Worte zur Bezeichnung fehlen.
Constraint-Theorie nach Markman
Kinder lassen sich bei der Ableitung von Wortbedeutungen von bestimmten Vorannahmen
(constraints) leiten.
Ganzheits-Constraint:
Kind geht davon aus, dass sich Worte in einer Benennungssituation auf ganze Objekte
beziehen (und nicht auf Bestandteile eines Objektes)
Taxonomie-Constraint:
Kind geht davon aus, dass sich Worte in einer Benennungssituation auf Objekte
desselben Typs beziehen (also der Begriff „Hund“ bezieht sich auf verschiedene Hunde,
aber nicht auf eine Assoziation zwischen Hund und Hundehalsband).
Disjunktions-Constraint:
Kind geht davon aus, dass jedes Objekt nur eine Bezeichnung hat. Wenn für ein Objekt
schon eine Bezeichnung vorliegt, nimmt das Kind an, dass das neue Wort für etwas
anderes steht (z.B. für Objektteile oder Eigenschaften eines Objekts)
Untersuchung zum Disjunktions-Constraint:
Drei Jahre alte Kinder sehen Objektpaare:
- Vertrautes Objekt, für das sie einen Namen hatten und
- Nicht-vertrautes Objekt, für das sie keinen Namen hatten
Versuchsleiter sagt: Show me the blicket (Phantasiewort)
Ergebnis: Die Kinder wählen das Objekt aus, für das sie bisher keine Bezeichnung hatten.
Entwicklung der Sprachpragmatik
Die Rolle der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme Sprache zunächst egozentrisch auf
eigene Perspektive beschränkt. Erst später Fähigkeit, andere Perspektiven zu
berücksichtigen und Sprache auf andere Personen und deren Informationsstand
einzustellen.
Egozentrische Sprache:
Keine Berücksichtigung des Standpunktes des anderen, eigene Bedürfnisse und eigener
Wissensstand im Vordergrund.
Sozialisierte Sprache:
Auf die Person bezogen, mit der man gerade spricht (Berücksichtigung des
Informationsstandes des anderen, der kognitiven Kompetenzen des anderen, der
emotionalen Lage des anderen).
Es gibt verschiedene Paradigmen, die zeigen, ob ein Kind seine Sprache dem Gegenüber
und seinem Informationsstand anpasst.
Studie von Krauss und Glucksberg:
Präsentation von ungewöhnlichen Zeichen, die Kinder zwischen 4 und 10 Jahren einem
gleichaltrigen Kind beschreiben sollten. Nächstes Bild zeigt die Zeichen und
einige Beschreibungen von jüngeren Kindern, die kaumverstanden werden können. Die
anderen Kinder sollten die Zeichen heraussuchen.
Ergebnis der Studie:
Keine Verbesserung der Beschreibungsleistung von Vorschulkindern über
mehrere Durchgänge hinweg (gleichbleibende Fehlerzahl in der Kommunikationsleistung).
Gesprächsfähigkeit:
Die Beiträge jüngerer Kinder in Interaktionen sind häufig nicht aufeinander bezogen (u.a.
wegen mangelnder Perspektiveübernahmefähigkeiten)
Der Anteil thematisch aufeinander bezogener Beiträge nimmt über das Alter hinweg
deutlich zu und verbessert so die Kommunikationsfähigkeiten.
Die verbalen Kommunikationsfähigkeiten verbessern sich im Laufe der
Entwicklung deutlich gegenüber den nonverbalen. Dies lässt sich
theoretisch aus der Repräsentations-Entwicklungstheorie von Bruner
ableiten (aber ebensogut aus Piagets Theorie).
Danach wird zunächst vor allem aktional, später ikonisch, dann (vor allem ab
Grundschulalter) sprachlich-symbolisch repräsentiert.
Analog sind nonverbale Kommunikationsanteile bereits früh entwickelt (z.B. mimischgestische und zeichnerisch-symbolische Anteile), werden aber später zunehmend durch
sprachliche Fähigkeiten überlagert.
Eigene Studie hierzu:
Kindern Worte nennen, die sie pantomimisch, zeichnerisch oder sprachlich darstellen
sollen. Von anderen identifizieren lassen.
Ergebnisse: Pantomimische
Fähigkeiten stagnieren. Zeichnerische und (vor allem) sprachliche Fähigkeiten nehmen zu.
Deutlichster Anstieg bei sprachlichen Kommunikationsfähigkeiten.
Fördernde und hemmende Bedingungen des Spracherwerbs
Notwendige Bedingungen, um Sprache zu erlernen:
(a) Physische Bereitschaft zum Sprechen (physische Reifung für aktive Sprachnutzung
notwendig, für passives Sprachverständnis weniger notwendig)
(b) Mentale Bereitschaft zum Sprechen (durch Hirnreifung)
(c)Vorhandensein eines Sprachmodells (wichtig für korrekte Aussprache, korrekte
Grammatik)
(d)Gelegenheit zur Sprachpraxis (Gelegenheiten zu Interaktion mit anderen)
(f) Motivation (Wenn gelernt wird, dass Gesten und Weinen ausreicht, um alles zu
bekommen, entsteht nur geringe Motivation, sprechen zu lernen)
(g) Unterstützung (gutes Modell sein, Worte langsam und klar sprechen, Fehler
korrigieren)
Bedingungen, die Unterschiede zwischen Kindern hinsichtlich ihrer Sprachentwicklung
hervorrufen können:
(a) Gesundheitszustand
(b) Intelligenz (intelligente Kinder sprechen eher)
(c) Sozioökonomischer Status (Förderung ist hiermit verbunden)
(d) Geschlecht (Jungen langsamer als Mädchen)
(e) Wunsch zu kommunizieren
(f) Stimulation
(g) Familiengröße (Einzelkinder schneller)
(h) Geburtsreihenfolge (Erstgeborene schneller)
(i) Erziehungsmethoden (permissiver und demokratischer Erziehungstil günstig)
(j) Mehrfachgeburten (Zwillinge etc. langsamer, da häufige Interaktionen untereinander)
(k) Kontakte mit Gleichaltrigen (Sprechen günstig, um sich durchzusetzen)
(l) Persönlichkeit (gut angepaßte Kinder sprechen qualitativ und quantitativ besser)
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