Entwicklungspsychologie WS0809 von Daniela 01 Entwicklungspsychologie Als erstes sollte man sich fragen – womit beschäftigt sich die Entwicklungspsychologie überhaupt Gegenstände der Entwicklungspsychologie sind (a) Analyse intraindividueller Veränderungen des Erlebens und Verhaltens. Fragestellung: Wie verändert sich eine Person im Laufe eines definierten Zeitabschnittes? (b) Analyse interindividueller Unterschiede in intraindividuellen Veränderungen des Erlebens und Verhaltens. Fragestellung: Gibt es Personen mit unterschiedlichen Entwicklungsverläufen? Ganz besonders interessiert hier die Forschung die Frage „ wieso manche Menschen trotz widrigen Umständen psychisch und physisch gesund bleiben, wogegen andere dies nicht schaffen. Hier spricht man dann von Resilienz! Resilienz: Die Fähigkeit, trotz negativer Umstände und Einflüsse seine körperliche und geistige Gesundheit aufrechtzuerhalten. Die Aufgaben von Entwicklungspsychologie sind somit: 1. Beschreibung B 2. Erklärung E 3. Vorhersage V 4. Intervention und Modifikation I Beschreibung xt1, xt2, ...... xtn Die Entwicklungsverläufe werden möglichst exakt beschrieben. Wenn ein Entwicklungsphänomen erstmals erkannt wird, liegt es nahe, es zunächst möglichst genau zu beschreiben. Beispiel: Beschreibung der motorischen Entwicklungsabfolge bei Greifbewegungen. Erklärung xtn = f (ytn-1) Geht über die Beschreibung hinaus und versucht, die zugrundeliegenden Mechanismen der Veränderung zu identifizieren. Besonders wichtig dabei: Analyse von Gesetzmäßigkeiten zwischen vorausgehenden Bedingungen und dem nachfolgenden Entwicklungsereignis. Fragestellung: Unter welchen Bedingungen kommt es zu Entwicklungsveränderungen? Vorhersage xt1 --------------> xtn xt1 --------------> ytn Um Interventionen planen zu können, ist es oft notwendig, die voraussichtliche künftige Entwicklung vorhersagen zu können. Dies ist möglich, wenn man den typischen Entwicklungsverlauf deskriptiv kennt oder anhand der vorliegenden Bedingungen sagen kann, mit welcher typischen Entwicklung zu rechnen ist. Beispiel: Vorhersage des Schulerfolgs anhand der Intelligenz im Vorschulalter. Intervention und Modifikation xt1 ------ Intervention --------> xtn xt1 ------ Intervention --------> ytn Wenn Entwicklungsdefizite oder besondere Spezialbegabungen vorliegen, kann die Notwendigkeit bestehen, besondere Interventionsprogramme zum Einsatz kommen zu lassen. Beispiel: Begabungsdefizite oder Hochbegabung, die beide spezielle Interventionen erforderlich machen können. Bei allen Formeln gilt: X = ein Merkmal wie z.B. Intelligenz t = Zeitpunkt f = Funktion y = Merkmal wie z.B. Schulerfolg Definition von Entwicklung: Hier ist zwischen 2 Definitionen zu unterscheiden; der weiten Def. und der engen Def. Weite Definition: Weite Definition sieht Entwicklung als intraindividuelle Veränderung über die Zeit. Schwerpunkt auf längerfristigen Veränderungen (z.B. nicht kurzfristigen Befindlichkeitsveränderungen) und auf Veränderungen, die in innerem Zusammenhang stehen (die also aufeinander bezogen sind und auseinander hervorgehen). Enge Definition: Enge Definitionen gehen ebenfalls von einer Veränderung über die Zeit aus, nehmen aber zusätzlich folgende Bedingungen an: (a) Zielgerichtetheit (es gibt einen angestrebten Zielzustand z.B. denkt Freud so) (b) Irreversibilität (einmal entwickelt kann man die Veränderung nicht mehr rückgängig machen) (c) Universalität (jeder durchläuft diese Veränderungen) (d) Annahme qualitativ-struktureller Transformationen (es gibt Stufen der Entwicklung, sie läuft nicht kontinuierlich ab Beispiel: Raupe wird zum Schmetterling) Traumatische Erlebnisse wie zum Beispiel ein Unfall verändern den Menschen zwar auch, dies wird aber nicht als Entwicklung verstanden. Der Zeitraum den Entwicklung umfasst kann unterschiedlich lang sein – unterschieden wird nach 4 Klassen: 1. 2. 3. 4. Phylogenese Anthropogenese Ontogenese Aktualgenese 1. Phylogenese Weitester Entwicklungsbegriff: Die gesamte Evolution wird unter Entwicklungsgesichtspunkten betrachtet. Manche Verhaltensweisen des Menschen werden möglicherweise erst verständlich, wenn man sie aus evolutionsbiologischen Perspektiven betrachtet. Beispiel: Die Reflexausstattung des Neugeborenen. 2. Anthropogenese Betrachtung der gesamten Menschwerdung unter Entwicklungsgesichtspunkten: Von den frühesten anthropoiden Vorformen bis zum heutigen Menschen. Fragestellung: Lassen sich verschiedene Verhaltenseigenarten des heutigen Menschen auf frühere Verhaltensweisen zurückführen, die an andere Lebensverhältnisse angepasst waren? 3. Ontogenese Ontogenese bezieht sich auf den individuellen Lebenslauf von der Konzeption bis zum Tod. Dies ist der Abschnitt, mit dem sich Entwicklungspsychologie hauptsächlichbeschäftigt. Vorherrschend anfangs: Beschäftigung mit dem Kindes- und Jugendalter. Heute auch Fokus auf Erwachsenenalter (bis hin zur Bearbeitung gerontologischer Fragestellungen). 4. Aktualgenese Aktualgenese bezieht sich auf relativ kurze Abschnitte innerhalb der Ontogenese (Beispiel: Neue Erkenntnisse aus der Lösung eines Problems). Ontogenese setzt sich aus einer Vielzahl von Aktualgenesen zusammen. Meistens bevorzugt die Entwicklungspsychologie die Untersuchung des Kindes und Jugendalters – WARUM? (a) Im Kindes- und Jugendalter finden schnelle Veränderungen statt, so dass sie hier besonders klar erkennbar werden. (b) Viele Entwicklungsphänomene treten im Laufe der Kindheit erstmals auf, so dass sich ihre Entwicklung von Anfang an verfolgen lässt. (c) Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind im Kindesalter häufig größer als die Unterschiede innerhalb der Altersgruppen. Die Altersvariable spielt daher eine besonders große Rolle. (d) Der Eintritt von Veränderungen wirkt sich relativ überdauernd auf das spätere Verhalten aus. Die Bedeutung der Altersvariable in der Entwicklungspsychologie Vorzüge der Nutzung der Altersvariable Viele Untersuchungen nehmen das Alter als unabhängige Variable und beziehen ihre Entwicklungsreihen auf das Alter. Grundmodell: V(Verhalten) = f (Alter) Nachteile der Nutzung der Altersvariable (a) Chronologisches Alter ist keine psychologische Variable, sondern eine physikalische Größe, die nichts erklärt. Daher nur deskriptiver Nutzen, kein Erklärungswert. (b) Durch Bezug auf Altersvariable Tendenz zur Vernachlässigung interindividueller Unterschiede (Homogenisierungseffekt →man vernachlässigt Unterschiede zwischen z.B. 5 Jährigen). (c)Der Bezug auf das Lebensalter erweckt den Eindruck einer festen Bindung von Veränderungen an das Alter (Suggestion von Reifungsabhängigkeit). Sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten der Altersvariable: (a) Bei Variablen, die wenig interindividuelle Varianz aufweisen (z.B. bei reifungsabhängigen Merkmalen). (b) Wenn über einen Entwicklungsbereich noch wenig bekannt ist, kann sich mit der Orientierung am Alter eine Kategorisierungsmöglichkeit ergeben. Grundsätzlich ist eine Orientierung an der Altersvariablenur sinnvoll, wenn die Varianz innerhalb einer Altersgruppe kleiner ist als die Varianz zwischen den Altersgruppen. Alternativen zur Orientierung an der Altersvariable (a)Verwendung der Zeitvariable: V=f(t), Vorteile: (1) Im Unterschied zur Altersvariable frei von impliziten Annahmen zur Entwicklung (z.B. Reifung) (2) Alter ist Merkmal des Individuums. Wenn Entwicklung in Abhängigkeit von der Umwelt dargestellt werden soll, lassen sich die Veränderungen mit der Zeitvariable in derselben Dimension abbilden. (3) Grundsätzlich gilt, dass Zeit der weitere und Alter der engere Begriff ist. Grundsätzlich lassen sich Zeitangaben bei Bedarf in Alter zurückverwandeln. (b) Orientierung am Entwicklungsstand Da die Varianz innerhalb von Altersgruppen recht groß sein kann, ist es häufig sinnvoller, vom Entwicklungsstand auszugehen. Dadurch kann u.U. eine größere Homogenität der Gruppen erreicht werden. Voraussetzung: Diagnose des Entwicklungsstandes (z.B. mit Testverfahren). Konzeptionen über Entwicklungsabfolgen Manche Wissenschaftler stellen sich die Kindesentwicklung als einen kontinuierlichen Prozess kleiner Veränderungen vor (wie bei einem Baum der wächst) – andere sehen den Entwicklungsprozess als eine Reihe plötzlicher diskontinuierlicher (sprunghafter) Veränderungen (wie bei einer Raupe die zum Schmetterling wird). Die Aufgabe der Wissenschaft besteht nun darin, zu bestimmen, welcher Ansatz mehr Gültigkeit hat. Ein kleines Beispiel: Untersucht man zum Beispiel das Körperwachstum eines Kindes so würde man über die Jahre hinweg gesehen sagen, dass es ich um eine kontinuierliche Entwicklung handelt. Würde man sich aber die einzelnen Tage anschauen müsste man von einer diskontinuierlichen Entwicklung ausgehen. Es gibt 5 Arten von Entwicklungsabläufen: 1. 2. 3. 4. 5. Addition Substitution Modifikation Inklusion Mediation Addition: Kumulatives Verhältnis zwischen den Entwicklungsschritten: Späteres Verhaltensmerkmal kommt zu einem früheren hinzu, ohne dass das frühere Merkmal aufgegeben wird. Beispiel Sprachentwicklung: Neue Worte werden gelernt, ohne dass die alten verloren gehen. Substitution: Das Frühere wird mehr oder weniger vollständig durch das Spätere ersetzt. Beispiel: Die frühe Abhängigkeit von einer Pflegeperson wird später zugunsten einer zunehmenden Selbständigkeit aufgegeben. Modifikation: Der frühere Zustand wird im Laufe der Entwicklung zunehmend differenziert, generalisiert oder stabilisiert. Beispiel: Emotionsentwicklung (Gefühle differenzieren sich); Bildung von Klassenbegriffen erlauben Anwendung von Strukturen über die Situation hinaus, in der sie erworben wurden (Generalisierung); Selbstkonzept (stabilisiert sich). Inklusion: Im Falle der Inklusion wird das Frühere in den späteren Entwicklungszustand eingeschlossen und integriert. Beispiel: Beim Greifen entsteht zunächst eine Reihe von Einzelbewegungen, die später zu der Greifbewegung zusammengeschlossen werden. Mediation: Ein früherer Entwicklungsschritt ist ein notwendiges oder förderliches Zwischenglied für einen späteren Entwicklungsschritt. Beispiel: Fähigkeit zur Perspektiven-Übernahme fördert Fähigkeit, die Intentionen anderer zu verstehen (und damit beispielsweise auch die Moralentwicklung). Die Bedeutung der Entwicklungspsychologie für die Praxis (a) Orientierung über den Lebenslauf Angabe von statistischen Altersnormen, auf deren Grundlage man Entwicklungsabweichungen identifizieren kann. Als Konsequenz möglicherweise Interventionen, um die Abweichungen zu korrigieren. Beispiel: Normen zur Motorikentwicklung. (b) Ermittlung von Entwicklungs- und Veränderungsbedingungen Wenn bekannt ist, welche Faktoren für eine Entwicklung verantwortlich sind, kann man präventiv tätig werden, indem man Faktoren beeinflusst, die zu ungünstigen Entwicklungsverläufen führen. (c) Prognose der Stabilität und Veränderung von Personmerkmalen Wenn Angaben zur Stabilität bzw. Veränderbarkeit von Merkmalen vorliegen, kann man Prognosen zur künftigen Entwicklung abgeben. (d)Begründung von Entwicklungs- und Interventionszielen Wenn die entwicklungspsychologische Forschung zeigt, dass man beispielsweise bestimmte Entwicklungsziele früher erreichen kann oder erst später anstreben sollte, dann ergeben sich hieraus auch Konsequenzen für die Formulierung von Erziehungszielen. (e) Planung von Interventionsmaßnahmen Mit Interventionen können Fehlentwicklungen verhindert werden. Interventionsmöglichkeiten: Prävention von Fehlentwicklungen und Korrektur von Fehlentwicklungen. Entwicklungspsychologie kann Aufschlüsse darüber liefern, (1) wo sinnvollerweise angesetzt wird, (2) wann sinnvollerweise angesetzt wird, (3) wie sinnvollerweise angesetzt wird. (f) Evaluation von Entwicklungsinterventionen Obwohl häufig vernachlässigt, ist es erforderlich, die Effektivität der gewählten Maßnahmen zu bewerten: Um künftige Interventionen planen zu können, sollte man wissen, ob die angestrebten Ziele bei früheren Interventionen erreicht werden konnten. Hier geht es vor allem um die langzeitigen Effekte von Interventionen. 02 Entwicklungspsychologie Psychoanalytische Theorien und Psychobiologische Theorien und Konzepte Psychoanalytische Theorien Keine psychologische Theorie hatte einen größeren Einfluss auf die westliche Kultur und ihr Denken über Persönlichkeit sowie soziale Entwicklung als die psychoanalytische Theorie Sigmund Freuds. 1856 - 1939 Auch die Entwicklungstheorie der Lebensspanne von Erik (Nachfolge von Freuds Theorie) war sehr einflussreich. (Geb. 1902 – 1994) Erikson Freuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung: In Freuds Theorie ist Entwicklung sehr stark durch biologische Reifung vorangetrieben und Verhalten wird seiner Meinung nach durch Bedürfnis motiviert grundlegende Triebe zu befriedigen. Grundannahmen: Freud unterscheidet in seiner psychoanalytischen Theorie zwischen ES, ICH und ÜBERICH ES: Das Es ist völlig unbewusst und bildet die Quelle der psychischen Energie (beim Säugling könnte dies z.B. ein Hungergefühl sein, dann weint das Baby bis es gestillt wird). Das ES wird vom Lustprinzip geleitet mit dem Ziel , schnellstmöglich maximale Befriedigung zu erlangen. Es bleibt lebenslang die Quelle der psychischen Energie. ICH: Das Ich versucht Wege zu einer Triebbefriedigung zu finden, die den Normen gerecht wird (Vermittlerrolle zwischen Es und Überich) (entsteht meistens gegen Ende des ersten Lebensjahres) ÜBERICH: Das Überich repräsentiert repräsentiert die Normen der Umgebung die der Triebbefriedigung meistens entgegenstehen. (Zum Beispiel möchte das Kind kurz vorm Abendbrot noch etwas Süßes essen und die Mutter verbietet es)Kann auch als Gewissen gesehen werden, mit seiner Hilfe kann ein Kind sein eigenes Verhalten auf der Grundlage von Überzeugungen, was richtig und was falsch ist, steuern. Das Überich beruht auf der Identifikation mit seinen Eltern und Internalisierung (Übernahme)ihrer Regeln und Normen und bei der Verletzung dieser Regeln würde das Kind Schuldgefühle erleben. (Entsteht meistens zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr) Anfangs ist nur das Es vorhanden, danach entstehen Ich und Überich. Im Entwicklungsverlauf erhält das Ich eine zunehmende Bedeutung. Entwicklungsphasen nach Freud (b) Orale Phase ( 0 – 1 Jahre) (c) Anale Phase (1- 3 Jahren) (d) Phallische Phase (3- 6 Jahren) (e) Latenzphase (6 -11 Jahren) (f) Genitale Phase (ab 11 Jahren) Orale Phase: Diese wird so genannt, weil die primäre Quelle für Befriedigung und Lust orale Tätigkeiten wie Saugen, Lutschen oder Essen sind. Das Stillen der Mutter gibt dem Kind Sicherheit – zugleich entsteht aber auch ein Konflikt, da man Furcht vor einem Liebesverlust hat. Anale Phase: Triebbefriedigung vorrangig durch Nahrungsausscheidung. Der anale Bereich wird zum Zentrum der erotischen Interessen des Kindes. Es ergibt sich ein Konflikt, wenn die Eltern zum ersten Mal spezielle Anforderungen an das Kind stellen, hauptsächlich wenn sie auf Sauberkeit bestehen. Phallische Phase: Die genitalen Zonen dienen als Quelle der Triebbefriedigung. Die Kinder interessieren sich auch für die Genitalien ihrer Eltern und Spielkameraden. Ödipus- bzw. Elektrakomplex: Heterosexuelles Verlangen nach Mutter bzw. Vater, darauf Furcht vor der Rache des anderen Elternteils, der als Rivale gesehen wird. Identifikation mit dem Aggressor (Mädchen mit Mutter, Junge mit Vater), um indirekt seine Wünsche zu erfüllen. Übernahme der Normen und Werte, volle Ausbildung von Ich und Überich. Entstehung von Abwehrmechanismen zur Kontrolle von Impulsen des Es (z.B. Verdrängung, Sublimierung) Latenzphase: Diese Phase ist eine Zeit der relativen Ruhe; Sexuelle Wünsche werden sicher im Unbewussten verwahrt, und die psychische Energie kanalisiert sich in konstruktiven, sozial akzeptablen Handlungen sowohl intellektueller als auch sozialer Art. Überich und Ich entwickeln sich weiter. Genitale Phase: Wiederbelebung der frühkindlichen Arten des Lustgewinns, Zunahme der Bedeutung der genitalen Zonen – Geschlechtsverkehr wird zum Hauptziel. Freud glaubte, wenn in einer der Phasen die grundlegenden Bedürfnisse nicht erfüllt werden, kann das Kind auf diese Bedürfnisse fixiert bleiben und permanent versuchen, sie zu befriedigen. (So kann es zum Beispiel dazu kommen, dass ein Kind welches keine angemessene orale Befriedigung erlangt hat – später orale Ersatzhandlungen wie übermäßiges Essen, Rauche etc. sucht) Nach Freud formt die Art, in der das Kind die Phasen der psychosexuellen Entwicklung durchlaufen hat, die Persönlichkeit des Individuums ein Leben lang. Ekriksons Theorie der psychosozialen Entwicklung: Erikson nahm acht altersabhängige Entwicklungsstufen an. Es gibt eine Reihe psychosexueller Stufen, die im Laufe der Entwicklung durchlaufen werden müssen. Jede Stufe birgt einen Konflikt, der von dem Kind/ Jugendlichen/Erwachsenen gelöst werden muss. Je nachdem wie der Konflikt gelöst wird, entsteht eine spezifische Form der Persönlichkeit. Im Vordergrund: Ich-Entwicklung bzw. Entwicklung der Persönlichkeit. Im Gegensatz zu Freud, bei dem die Es-Impulse und ihre Bewältigung durch Ich und Über-Ich im Vordergrund stehen. Stufe Psychosoziale Krise 1. Oral-sensorisch 2. Muskulär-anal 3. Lokomotorisch-genital 4. Latenzphase 5. Adoleszenzphase Rollendiffusion 6. Genitalitätsphase 7. Generativitätsphase 8. Integritätsphase Urvertrauen vs. Urmisstrauen Autonomie vs. Selbstzweifel Initiative vs. Schuldgefühl Fleiß vs. Minderwertigkeitsgefühl Identitätsfindung vs. Intimität vs. Isolation (Rückzug) Generativität vs. Stagnation Ich-Integrität vs. Verzweiflung 6. Stufe: Oral-respiratorische Zone: (0 – 1 Jahre) Wenn Befriedigung stattfindet (regelmäßig und vorhersagbar), entsteht Vertrauen in die Umgebung (Urvertrauen), andernfalls Urmisstrauen. 7. Stufe: Anal-urethrale Zone: (1-3 ½ Jahre) Kampf zwischen Fremd- und Selbstkontrolle (Kontrolledurch Eltern versus eigene Freiheit bzw. Durchsetzung eigener Wünsche), Notwendigkeit, hier einen Mittelweg zu finden mit der Konsequenz von Autonomie, andernfalls Selbstzweifel (vor allem wenn starke Fremdkontrolle empfunden wird). 8. Stufe: Lokomotorisch- genital (4 – 6 Jahre) Kinder identifizieren sich mit den Eltern und lernen von ihnen. Das Kind setzt sich andauernd Ziele (Turm bauen) und arbeitet auf sie hin. Entscheidender Schritt ist die Ausbildung eines Gewissens. Die Herausforderung für das Kind besteht darin eine Balance zu finden zwischen Schuld und Initiative. Wenn die Eltern nicht übermäßig kontrollieren oder strafen, können Kinder hohe normative Standards und die Initiative diesen gerecht zu werden, entwickeln, ohne Besorgnis nicht gut genug zu sein und alle zu enttäuschen. 9. Stufe: Latenzphase (6 Jahre bis zur Pubertät) Entscheidend für die Ich-Entwicklung. In dieser Phase beherrschen Kinder kognitive und soziale Fähigkeiten, die in ihrer Kultur eine Bedeutung besitzen. Sie lernen fleißig einer Arbeit nachzugehen und gut mit Gleichaltrigen zu spielen. Erfolgreiche Erfahrungen vermitteln den Kindern ein Gefühl von Kompetenz – Misserfolge können zu übermäßigen Gefühlen der Minderwertigkeit führen. 10. Stufe: Adoleszenzphase (Pubertät bis frühe Erwachsenenalter) Entscheidende Phase um ein Grundgefühl der Identität zu entwickeln. Besonderer Verdienst von Erikson: Ausdehnung des psychoanalytischen Konzepts auf Altersabschnitte jenseits der Pubertät. Beispiel Jugendalter: Körperliche Veränderungen machen es notwendig, sich verstärkt mit sich selbst zu beschäftigen und seine Identität neu (oder erstmals bewusst) zu bestimmen. Das zentrale Thema ist die Findung einer eigenen Identität versus die Rollendiffusion. Identitätsfindung ist aber nicht auf Jugendalter beschränkt, sondern ist in allen Entwicklungsphasen von Bedeutung. Im Jugendalter findet sich jedoch besondere Akzentuierung. Auch jenseits des Jugendalters werden drei wichtige Phasen angenommen, die durchlaufen werden und die für die weitere Persönlichkeitsentwicklung von Bedeutung sind: 5. Frühes Erwachsenenalter: Lernbereich Umgang mit Partnerschaft und Sexualität 6. Späteres Erwachsenenalter: Fortpflanzung, Fürsorge für die Kinder. 7. Höheres Alter: Auseinandersetzung mit dem Tod, Aufbau übergeordneter Wertsysteme. Ein anderes Entwicklungskonzept ist die Konzeption von Mahler. Die Grundannahme liegt hier: Betonung der Bedeutung von Objektbeziehungen und Selbst-Entwicklung, weniger Konzept eines Triebwandels über verschiedene Phasen hinweg. Dies bedeutet, dass nicht die Triebbefriedigung zentrale Stellung einnimmt, sondern das Bedürfnis nach physischem und sozialem Kontakt und seiner Befriedigung (vor allem in den ersten drei Lebensjahren). Die "Objekte" (vor allem die Mutter) werden weniger in Funktion der Triebbefriedigung gesehen, sondern in ihrer Funktion, die Entwicklung des Selbst und der psychischen Unabhängigkeit zu ermöglichen. Entwicklungsphase Zunächst symbiotische Mutter-Kind-Beziehung, dann Loslösung von der Mutter und schließlich Individuation. Annahme eines Auseinanderfallens von physischer und psychischer Geburt. Die psychische Geburt tritt erst dann ein, wenn erste Loslösungs- und Individuationsprozesse erkennbar sind (etwa um den 4. bis 5. Lebensmonat). Vorher befindet sich der Säugling in einem Zustand der Nicht-Differenzierung zwischen Ich und Nicht-Ich: Es gibt noch keine Unterscheidung zwischen Selbst und Mutter. Der folgende Loslösungs- und Individuationsprozess ist prinzipiell ein lebenslanger Prozess, die entscheidenden Veränderungen finden aber zwischen dem 4. und 36. Lebensmonat (also bis zum Alter von drei Jahren) statt. Die Entwicklungsphasen im Einzelnen: 1. bis 4. Lebenswoche "Normaler Autismus": Kind unterscheidet nur zwischen lustvollen (angenehmen) und unlustvollen (unangenehmen) Empfindungen. Die sozialen Beziehungen sind noch vollkommen irrelevant. Es besteht eine symbiotische Beziehung zur Mutter. Das Kind kann nicht zwischen sich selbst und der Mutter unterscheiden. 2. bis 3. Lebensmonat Noch immer symbiotische Beziehung zur Mutter. Aber: Säugling nimmt das bedürfnisbefriedigende Objekt (Mutter) allmählich verschwommen wahr. Säugling lebt in der Vorstellung einer gemeinsamen Grenze mit der Mutter. Allmählich wird erkannt, dass keine Einheit mit der Mutter besteht. 4. bis 5. Lebensmonat Erste Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Differenzierung. Erste Schritte, um sich von der Einheit mit der Mutter zu lösen. Erste aktive Kontaktaufnahme mit der Umgebung, aber noch enge Kopplung an die Mutter. Häufige checking backs, um sich der Nähe und Zustimmung der Mutter zu vergewissern. 6. bis 15./18. Lebensmonat Zweite Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Übungsphase. Übung der Fortbewegung bis zum freien Laufen. Kleinkind erforscht nun aktiv die Welt. Oft so in Aktivitäten vertieft, dass es einige Zeit ohne Mutter auskommt. Bleibt in einer optimalen Distanz zur Mutter, die als home base angesehen wird (emotionale Sicherheit). 15./18. Lebensmonat bis 24. Lebensmonat Dritte Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Wiederannäherung. Kind ist sich seiner Getrenntheit von der Mutter nun stärker bewusst. Konsequenz: Es empfindet größere Trennungsängste und ein gesteigertes Bedürfnis nach Nähe zur Mutter. (erkennt man wenn Kinder „fremdeln“) Ab Anfang des 3. Lebensjahres Vierte Subphase des Loslösungs- und Individuationsprozesses: Individuation. Integration der Repräsentationen über die Mutter zu einem integrierten inneren Mutterbild. Konsequenz: Mutter muss nicht immer physisch vorhanden sein, sondern ist in dem Mutterbild repräsentiert. Vor allem die frühe symbiotische Befriedigung und die emotionale Verfügbarkeit der Mutter während der Wiederannäherungsphase werden als wichtig für eine ungestörte Entwicklung gesehen. Abweichendes Verhalten und die Entstehung von Psychopathologien werden auf bindungsbezogene Probleme in den einzelnen Subphasen zwischen Symbiose und Individuation zurückgeführt. Dies ist eine typisch klassische Theorie von Marder – die heutige Psychotherapie würde dem nicht mehr so zustimmen. Bewertung psychoanalytischer Theorien: Gemeinsame Kritik an den psychoanalytischen Konzeptionen: Nur eingeschränkte empirische Prüfbarkeit, gewonnen in der Regel aus der klinischen Praxis (häufig lediglich an klinischen Fallbeispielen), starke interpretatorische Orientierung. Repräsentiert somit nicht die „normale“ Entwicklung. Aber: Heuristische Fruchtbarkeit, vor allem durch Thematisierung vernachlässigter Sachverhalte, Strukturierungshilfe bei der Aufarbeitung von Problemen. Psychobiologische Theorien Bei psychobiologischen Theorien sind 4 Begriffe besonders wichtig: 5. Reifung 6. Wachstum 7. Differenzierung 8. Prägung Reifung Das Reifungskonzept hat in der Entwicklungspsychologie historisch lange Zeit dominiert. Bezeichnet alle Vorgänge, die spontan aufgrund endogen vorprogrammierter Wachstumsimpulse einsetzen. (ist genetisch/biologisch bedingt) Äußeren Bedingungen (Ernährung, Stimulation, Unterweisung, Konditionierung etc.) wird nur eine unterstützende oder bahnende, aber keine determinierende Rolle zugeschrieben. Ursprünglich auf körperliche Veränderungen bezogen (z.B. Gehirnreifung, Größenwachstum), Reifung aber auch auf psychische Veränderungen übertragen. Wichtige Merkmale von Reifung: (a)Universelles Auftreten (b) Auftreten in einem begrenzten Altersabschnitt (c)Nachholbarkeit (bei zeitweiliger Deprivation) (d) Nichtumkehrbarkeit (z.B. Körperwachstum; Gegenbeispiel: Lernen , denn Gelerntes kann verlernt werden) Nur wenn diese Merkmale erfüllt sind, darf man von Reifung sprechen. Reifung kann durch Deprivationsexperimente nachgewiesen werden – dies ist jedoch ethisch fraglich. Eine Alternative wäre eine Untersuchung bei der man schaut inwieweit sich Entwicklungsprozesse durch äußere Faktoren beeinflussen lassen und ob es dafür besonders geeignete Zeitabschnitte gibt. So kann man Umwelteinflüsse variieren (nicht ganz weglassen) – aber auch dies ist ethisch fraglich. Wachstum Wachstum bezieht sich auf quantitative Veränderungen über die Zeit. Kann sich auf physische und psychische Veränderungen beziehen. Beispiele: Körpergröße, Körpergewicht, mengenmäßige Zunahme an Kenntnissen, Fertigkeiten, Gedächtnisinhalten etc. Wachstumsmodell der Entwicklung bildet die Grundlage zur Erstellung von Wachstumskurven. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass die auftretenden Veränderungen eine Funktion des Alters sind: V=f(A). Typischerweise wird die abhängige Variable auf der Ordinate und das Alter auf der Abszisse abgetragen. Häufig liegen bei den Wachstumskurven implizit Reifungshypothesen zugrunde. Differenzierung Differenzierung ist definiert als fortschreitende Ausgliederung von Teilgebilden aus einem anfänglich ungegliederten einheitlichen Ganzen. Konsequenz ist eine zunehmende Mannigfaltigkeit, Spezialisierung und Verselbständigung von Strukturen und Funktionen. Verbunden damit ist zunehmende Verfeinerung, Erweiterung und Strukturierung psychischer Funktionen und Verhaltensweisen. Begriff stammt ursprünglich aus Reifungskonzepten, lässt sich aber auf andere Konzepte übertragen. Zum Beispiel: Am Anfang kann man nur wenige Gefühle unterscheiden so zum Beispiel wird nur zwischen Lust und Unlust differenziert mit der Zeit verzweigt sich das ganze mehr und mehr bei Unlust wird dann zwischen Angst, Ärger etc. unterschieden und bei Lust ebenso. Prägung Ist oft bei biologischen Konzepten zu finden. Definiert als einmaliger, irreversibler Vorgang der Spezialisierung eines Auslöseschemas für bestimmte Instinkthandlungen, der nur während einer kurzen Zeitspanne, einer kritischen oder sensiblen Periode, bald nach der Geburt stattfinden kann. Die Art der in Frage kommenden Auslöseschemas bzw. die Charakteristika der Prägungsobjekte sind dabei durch spezies-spezifische Anlagen begrenzt. Beispielsweise sind häufig Bewegung und Lautbildung eines Objektes erforderlich, damit Prägung stattfinden kann (z.B. bei Graugänsen Konrad Lorenz). Natürlicherweise findet Prägung auf die Mutter statt. Biologische Funktion liegt im Überlebensvorteil durch Aufrechterhaltung der Nähe zur Mutter. Prägung bildet Grundlage für Herausbildung und Festigung erster sozialer Bindung und kann für späteres Sozialverhalten von Bedeutung sein (z.B. Wahl des Sexualpartners). Außer der sozialen Prägung gibt auch Prägung auf bestimmte Umgebung (Biotop-Prägung) und Prägung auf bestimmte Art der Nahrung (Nahrungsprägung – wachse ich zum Beispiel in einem Haushalt auf, in dem es nie Fleisch zu essen gab, werde ich später Vegetarier werden) . Anwendung des Prägungskonzepts im Humanbereich: Vor allem im Bereich der Bindung. Dabei gilt; man darf nur dann von Prägung sprechen, wenn keine Bekräftigung stattgefunden hat durch Füttern) es eher (z.B. Prägung findet bevorzugt in sensiblen Perioden der Entwicklung statt. Sensible Perioden sind definiert als biologisch vorprogrammierte Zeiträume mit besonderer Empfänglichkeit für bestimmte Einwirkungen. Die sensiblen Prägungsphasen sind vom Zeitpunkt des Einsetzens und von der Ausdehnung her zwischen Spezies unterschiedlich. Evolutionsbiologischer Trend: Mit zunehmender Höhe der phylogenetischen Entwicklung verschiebt sich der Zeitpunkt des Beginns und die Dauer der sensiblen Perioden. Beispielsweise bei Hunden liegt die Prägungsphase zwischen 4. und 14. Lebenswoche, während sie bei nicht-menschlichen Primaten zwischen 3. und 6. Lebensmonat liegt. Es hat Versuche gegeben, auch für den Humanbereich sensible Perioden ausfindig zu machen. In frühen Arbeiten werden zwei Zeiträume angegeben, wobei der erste Zeitraum (bis zur 6. Lebenswoche) allgemein die Bindung an Menschen begründet, während in einem späteren Zeitraum (bis 6 bis 8 Monate) eine Bindung an spezifische Personen stattfindet. Bowlby geht davon aus, dass der gesamte Zeitraum vom 6. Lebensmonat bis zum Alter von drei Jahren für die Bindung an eine Bezugsperson von Bedeutung ist. Insgesamt ist die strikte Übertragbarkeit auf den Humanbereich eher problematisch. Beim Menschen spricht man eher von Bindung bei Tieren eher von Prägung. Ethologische Ansätze Drei zentrale Arbeitsbereiche stehen im Vordergrund bei den ethologischen Ansätzen: (a) Artspezifische angeborene Verhaltensmuster (b) Evolutionäre Angepasstheit des Verhaltens (c) Lernprädispositionen Ähnlich wie es angeborene physische Merkmale gibt, lassen sich auch artspezifische angeborene Verhaltensmuster identifizieren. Verhalten gilt als angeboren, wenn es vier Kriterien genügt (a) Es ist weitgehend stereotypisiert (gleichförmig bei allen Individuen einer Art). (b)Es ist vorhanden, ohne dass Lernerfahrungen vorausgingen. (c) Es tritt universell auf (bei allen Individuen einer Art), vor allem durch Kulturvergleich feststellbar. (d) Es wird durch Lernerfahrungen wenig beeinflusst und verändert. (Passt sich schon ein bisschen an aber nur ein bisschen) Beispiele: Saugreflex, Greifreflex Bezogen auf die evolutionäre Angepasstheit des Verhaltens wird angenommen, dass Verhaltensmerkmale sich aufgrund eines Anpassungsvorteils herausgebildet haben müssen. Unterschiede zwischen den Arten gehen auf unterschiedliche Umweltgegebenheiten zurück, die eine unterschiedliche Verhaltensanpassung notwendig gemacht haben. Prinzip: Die am besten angepassten Verhaltensmerkmale haben sich im Evolutionsprozess mit erhöhter Wahrscheinlichkeit durchgesetzt und sind bestehen geblieben. Betrachtet man angeborene Verhaltensmuster, so sind sie demnach immer auch auf ihren Überlebensvorteil hin zu sehen. Biologisch Fundierung zeigt sich auch in Lerndispositionen. Dies zeigt sich in mehreren Hinsichten: (a) Die Lernformen, die einer Art zur Verfügung stehen, sind genetisch determiniert. Bei niedrig entwickelten Arten stehen weniger Lernformen zur Verfügung als bei höher entwickelten Arten. (b) Es gibt spezifische sensible Perioden, in denen Lernen besonders effektiv vonstatten geht. Beispielsweise geht der Spracherwerb in den ersten Lebensjahren besonders leicht vonstatten. (c) Nicht alle Lerninhalte lassen sich gleich leicht erwerben. Es gibt Verhalten, das sich leicht erlernen lässt, und anderes, das nur schwer erworben wird. Konsequenz Lernen selbst ist ein Produkt der Evolution und erhöht den Überlebensvorteil der Art. Neben den angeborenen Verhaltensweisen ergibt sich dadurch die notwendige Flexibilität, sich verschiedenen Umweltbedingungen anzupassen. (sonst würde man sich immer gleich verhalten) Anwendung in der Entwicklungspsychologie (a) Soziale Bindung (b) Soziale Hierarchiebildung (c)Gesichtsausdruck und Körpersprache Beispiel: Kindchenschema Soziobiologischer Ansatz Soziobiologie ist die stringente Anwendung neodarwinistischer Evolutionstheorie auf das Sozialverhalten von Tieren und Menschen. Ausgangspunkt: Nur derjenige agiert erfolgreich auf der Bühne der Evolution, dessen Verhalten sich in "reproduktiver Münze" auszahlt. Danach geht es dem Individuum darum, seine Gene weiterzugeben, um damit das Überleben der Art zu sichern. Dabei muss es nicht immer nur um die Weitergabe der eigenen Gene gehen, sondern es kann sich auch um die Weitergabe der Gene eines sozialen Verbandes handeln: Damit wird gleichzeitig altruistisches Handelns innerhalb eines Sozialverbandes erklärt. So kommt es auch häufiger zu Kindstötungen wenn ein Leibliches Kind bei einem Stiefelternteil aufwuchs als wenn Kinder bei den leiblichen Eltern aufwachsen. Prinzipiell geht es also darum, genetische Interessen und Verhalten miteinander in Beziehung zu setzen. Bewertung der psychobiologischen Ansätze: (a)Gefahr der Überbetonung biologischer Prädispositionen und der Unterbewertung der Lernfähigkeit (b) Problem der Übertragbarkeit von Befunden, die an Tieren gewonnen wurden, auf den Menschen (c) Resultierende Gefahr: Rechtfertigung für Verhalten als biologisch gegeben Mögliche Vorzüge: (a) Heuristischer Nutzen zu Hypothesengenerierung (b) Nachweise von möglichen Verhaltenstendenzen, um diesen Tendenzen durch Lernen entgegenwirken zu können (biologische Prädisponiertheit schließt Lernen nicht aus). (c) Sinnvoll vor allem im Bereich der Kleinkindforschung, da vor allem in der frühen Kindheit biologische Verhaltensgrundlagen dominierend sein dürften. 03 Entwicklungspsychologie Lerntheorien und Sozialisationstheorien Lerntheorien: Es gibt 3 verschiedene Typen von Lerntheorien: (g) Klassisches Konditionieren (h) Operantes Konditionieren (i) Modelllernen Klassisches Konditionieren Ausgangspunkt: Unkonditionierte Reaktion (schon vorhanden im Verhaltensrepertoire, z.B. Reflex), tritt auf nach spezifischem Stimulus (unkond. Stimulus) Beispiel: Saugreaktion nach Darbieten von Flasche oder Brust Kopplung mit einem weiteren (konditionierten) Reiz (z.B. Glocke). Konsequenz: Reaktion tritt auch auf, wenn nur der konditionierte Reiz dargeboten wird (schon die Glocke führt zur Saugreaktion, konditionierte Reaktion) Bei der Klassischen Konditionierung gibt es die Möglichkeit zur Generalisierung ( man reagiert dann auf alle Töne mit der konditionierten Reaktion und nicht nur auf den einen bestimmten Glockenton) & Es gibt die Möglichkeit der Diskriminierung (man reagiert nur auf den einen bestimmten Glockenton) Operantes Konditionieren Ausgangspunkt: Operantes Verhalten , nicht an auslösenden Reiz gebunden, tritt zufällig auf. Beispiel: Kind drückt Hebel einer Maschine, die im Raum steht und die Maschine wirft Süßigkeiten aus. Verstärkung des Verhaltens durch Erfolg der Handlung – dadurch tritt das (erfolgreiche) Handeln in Zukunft häufiger auf. Es gibt verschiedene Arten von Verstärkern: Kontinuierlich ( Verhalten wird immer verstärkt ) - Intermittierend (Verhalten wird nur manchmal verstärkt) Primäre (unmittelbare Verstärker wie Nahrung - Sekundäre (mit ihnen kann ich primäre Verstärker bekommen z.B. Geld) Externe ( Verstärkung wird von außen gegeben) - Interne (Selbstverstärkung, z.B. belohne ich mich nach 3 Std. lernen mit einem Eis) Direkte - Indirekte (Beobachtung von Verstärkung, ich sehe wie jemand für ein bestimmtes Verhalten belohnt wird) Aber warum ist intermittierende Verstärkung löschungsresistenter als kontinuierliche? Beispiel: Ein Kind drückt den Hebel einer Maschine und hat vorher für jedesmal drücken Süßigkeiten von der Maschine bekommen. Plötzlich kommen jedoch keine Süßigkeiten mehr raus wenn der Hebel gedrückt wird. Das Kind versucht es vielleicht noch 2-3 x und schlussfolgert dann, dass die Maschine wohl leer sein muss. Bei einer anderen Maschine gab es nur ab und an Süßigkeiten wenn man den Hebel drückte. Nun kommen schon seit mehreren Versuchen keine Süßigkeiten mehr, das Kind wird es aber weiter und weiter versuchen, da es zuvor schon gelernt hat, dass es nicht bei jedem Versuch geklappt hat aber irgendwann wohl wieder Süßigkeiten kommen werden. Verstärkung versus Bestrafung Pos. Verstärkung = Setzen eines angenehmen Stimulus (z.B. Lob) Neg. Verstärkung = Wegnahme eines unangenehmen Stimulus (z.B. Gitter auf dem die Die Futterschale steht wird nicht weiter unter Strom gesetzt) Bestrafung = Setzen eines unangenehmen Stimulus (E -Schock oder Wegnahme eines angenehmen Stimulus (Fernsehverbot) Verstärkung hat immer zur Folge, dass ein Verhalten häufiger gezeigt wird! Modelllernen Es hat sich gezeigt, dass klassisches und operantes Lernen nicht ausreichen, um alle auftretenden Lernphänomene zu erklären. Bisweilen tritt neues Verhalten auf, ohne dass eine Verstärkung stattgefunden hat. Konsequenz: Erklärung durch Modellernen. Modelle werden aber nur dann nachgeahmt, wenn folgende Bedingungen vorliegen: (a)Aufmerksamkeit (hängt von Merkmalen des Modells und des Beobachters ab) (b) Behaltensprozesse (c)Motorische Reproduktionsprozesse (d) Motivationale Prozesse (Erfahrung oder Beobachtung positiver Konsequenzen erhöht Wahrscheinlichkeit der Ausführung, Erfahrung oder Beobachtung negativer Konsequenzen senkt Wahrscheinlichkeit) Beispiel: Ein 3 jähriges Kind sieht seinen älteren Bruder Radfahren. →Aufmerksamkeit Es hat sich gemerkt wie man das macht →Behaltensprozess Es versucht es nachzumachen, scheitert jedoch, da es motorisch noch nicht so weit ist → Motorischer Reproduktionsprozess Es ist motiviert dies zu lernen →motivationaler Prozess Man unterscheidet somit zwischen Aneignung und Ausführung. (a) und (b) gehören zu der Aneignung; (d) und (c) zur Ausführung. Das bedeutet, dass ein Kind sich ein Verhalten zwar angeeignet haben kann, dies aber noch nicht bedeutet dass es es auch ausführt. Selbst wenn motorische Reproduktionsprozesse erfüllt sind motivationale Aspekte auschlaggebend, damit das Kind das Verhalten auch ausführt. Sozialisationstheorien Man kann zwischen 5 verschiedenen Sozialisationstheorien unterscheiden. 1. Trichtermodell der Sozialisation 2. Rollenmodell der Sozialisation 3. Sozialisation als Abfolge der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben 4. Anforderungs-Bewältigungs-Konzepte 5. Bidirektionales Modell der Sozialisation Zum Begriff der Sozialisation: Sozialisation ist ein umfassender Begriff für den Prozess des sozialen Lernens, der durch eine wechselseitige Interaktion voneinander abhängiger oder aufeinander bezogener Personen charakterisiert ist. Häufig sind die Interaktionsbeziehungen am Anfang der Entwicklung asymmetrisch und werden im Laufe der Entwicklung zunehmend symmetrischer. Beispielsweise sozialisieren anfangs typischerweise die Eltern die Kinder, während im Laufe der Entwicklung zunehmend auch umgekehrte Sozialisationen stattfinden. Beispiel: Papa hatte nie etwas mit Pferden zu tun, nun reitet seine Tochter und er lernt über dieses Thema durch seine Tochter 1.Trichtermodell (ursprünglich steht hier eine psychoanalytische Theorie dahinter) Zentrale Annahme in Child's Trichtermodell der Sozialisation: Sozialisation ist ein Vorgang fortschreitender Einengung und Festlegung des Verhaltens. Der Anpassungsdruck und der Konformitätszwang der Gesellschaft zwingen das Kind zu relativ passiver Anpassung an die bestehenden Verhältnisse. Das Kind ist zunächst asozial und auf unmittelbaren Lustgewinn ausgerichtet, wird erst auf äußeren Druck zu realitätsbezogenem, sozialem Wesen. Das breite und natürliche Verhaltensrepertoire wird dabei zunehmend eingeengt (Beispiel: Lautrepertoire in der Sprachentwicklung). Kritik am Trichtermodell der Sozialisation: (a) Zu starke Betonung der passiven Sozialmachung. Sozialisation ist auch Sozialwerdung mit Betonung der aktiven Auseinandersetzung mit der Umgebung. (b) Keine Berücksichtigung der Wechselseitigkeit von Sozialisation. (c) Zu starke Orientierung an der Sozialisation in den ersten Lebensjahren, bei der vielleicht Einengungen durch Erziehung im Vordergrund stehen (Vernachlässigung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in späteren Lebensabschnitten). 2.Rollenmodell der Sozialisation: In der Rollentheorie wird Sozialisation als Hineinwachsen des Individuums in gesellschaftlich definierte Positionen aufgefasst. Dabei hat das Individuum sich an Erwartungen anzupassen, die an die Positionen geknüpft sind. Beispiele für Rollenerwartungen: (a) Alters- und Geschlechtsgruppen (b) Verwandtschaftsgruppen (c) Berufsgruppen (d) Statusgruppen (e) Freundschafts- und Interessengruppen Ein Individuum kann gleichzeitig oder nacheinander verschiedene Rollen einnehmen. Besonders, wenn inkompatible Rolleneinnahmen auftreten, kann es zu Rollenkonflikten kommen. (Beispiel: im Job der big boss und Zuhause der Pantoffelheld) Nacheinander eingenommene Rollen finden sich auch im Entwicklungsverlauf: Säugling, Kleinkind, Schulkind, Lehrling etc. Erleichternde und erschwerende Bedingungen für die Aneignung von Rollen: (a) Charakteristika des sozialen Systems (vor allem Eindeutigkeit und Vereinbarkeit der Rollenerwartungen) (b) Besonderheiten der Rollensituation (vor allem Stärke des sozialen Rollendrucks, beispielsweise in der Schule stärker als in der Freizeit) (c) Charakteristika des Individuums (z.B. die Art des Selbstkonzepts, das im Laufe der Entwicklung entsteht, kann die Aneignung bestimmter Rollen erschweren oder erleichtern) 3. Sozialisation als Abfolge der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben Annahme: Jedes Individuum wird im Laufe seiner Entwicklung mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben konfrontiert. Konzept von Havighurst: Sozialisation besteht darin, diese einzelnen Aufgaben in angemessener Weise zu bewältigen. Die Bewältigung nachfolgender Aufgaben wird erleichtert, wenn frühere Aufgaben erfolgreich bewältigt wurden. Grund: Im Umgang mit Entwicklungsaufgaben werden Bewältigungsmechanismen aufgebaut, auf die später zurückgegriffen werden kann. (Eine Aufgabe kann auch der Tod eines Elternteils sein.) Phase 1 Alter in Monaten 0-3 Aufgabenbereich/Thema 2 3-6 3 6-12 4 12-18 Erfolgreiche Exploration 5 18-30 Individuation (Autonomie) 6 30-54 Handhaben von impulsiven Regungen, Geschlechtsrollenidentifikati on, Beziehung zu Gleichaltrigen Physiologische Regulation z.B. Aneignung eines SchlafWachrhythmus Handhabungen von Spannungen / lernen Spannung auszuhalten Aufbau einer effektiven Bindung Aufgabe der Bezugsperson Behutsame Pflegeroutinen Sensitive, kooperative Interaktion Erreichbarkeit und Bereitschafft zu antworten Sicherer Bezugspunkt Nachhaltige Unterstützung Klare Rollen und Werte, flexible Selbstkontrolle Beispiele für Entwicklungsaufgaben des Jugendalters (nach Dreher und Dreher): (a) Aufbau neuer und reiferer Beziehungen zu Gleichaltrigen beiderlei Geschlechts (b) Übernahme der weiblichen bzw. männlichen Geschlechtsrolle (c) Akzeptanz der eigenen körperlichen Erscheinung (d) Emotionale Unabhängigkeit von den Eltern bzw. von anderen Erwachsenen (e) Vorbereitung auf Partnerschaft und Familie (f) Vorbereitung auf eine berufliche Karriere (g) Aufbau eines Wertesystems als Leitfaden für das eigene Verhalten (h) Aufbau sozial verantwortlichen Verhaltens Ein Teil der Aufgaben ist von allen Mitgliedern einer Gesellschaft zu bewältigen, während bei anderen nur Teile der Gesellschaft damit konfrontiert werden. (z.B. Tod des Vaters) Auf viele Aufgaben kann bereits antizipatorisch vorbereitet werden (z.B. Schuleintritt, Heirat etc.), während andere Aufgaben plötzlich und unerwartet eintreten können (wie die Konfrontation mit Krankheit und Tod). Die Bewältigung kann daher unterschiedlich gut vorbereitet sein und unterschiedlich leicht gelingen. Die einzelnen Entwicklungsaufgaben können sich dabei auf unterschiedliche Zeitdauern erstrecken. Beispiele: Entwicklungsaufgabe Zeitliche Erstreckung (a) Erhaltung der Gesundheit, Persönlichkeitsentwicklung Gesamter Lebenslauf (b) Kindergartenbesuch, Schulbesuch Altersperiode (c)Geburt eines Kindes, Heirat Meilenstein im Lebenslauf (d) Schwangerschaft, Prüfungsvorbereitung Kürzere Episode (e)Alltägliche Erledigungen, Streitigkeiten Kurze Zeitabschnitte 4. Anforderungs-Bewältigungs-Konzepte Der Entwicklungsaufgaben-Konzeption von Havighurst kommt eine wichtige Vorreiterfunktion bei der Einführung des Anforderungs-Bewältigungs-Paradigmas in die Entwicklungspsychologie zu. Entwicklungsaufgaben stellen Anforderungen, die vom Individuum zu lösen sind. Die Forschung zu Entwicklungsaufgaben und ihrer Bewältigung konzentrierte sich zunächst auf kritische Lebensereignisse, die mit größeren Einschnitten im Lebenslauf verbunden sind. Ursprüngliche Herangehensweise: (a) Liste mit kritischen Lebensereignissen (b) Zuordnung von Belastungswerten durch Rater (c)Ankreuzung der individuell erlebten Belastungen in einem definierten Zeitraum (d) Summierung der damit verbundenen Belastungswerte als Index für die individuelle Belastung Zum Beispiel: Tod des Ehepartners = 100 Punkte Scheidung = 73 Punkte Urlaub = 13 Punkte Problem: Anforderungen sind nicht mit Belastungen gleichzusetzen. Anforderungen werden individuell unterschiedlich bewertet und werden erst durch den Bewertungsvorgang und das Bewertungsergebnis zur Belastung. Diese Idee wird in dem Bewältigungsmodell von Lazarus aufgegriffen, das zwei Bewertungen umfasst: (a)Die Bewertung der Situation (b) Die Bewertung des vorhandenen Bewältigungspotentials Grundmodell: Potentielle Stressoren (z.B. Kind schreibt morgen eine Klassenarbeit) Bewertung der Ausgangssituation positiv Stressbezogen irrelevant Bewertung der Bewältigungsmöglichkeiten Bewältigungsmöglichkeiten Können sein: lernen, Hilfe suchen, sagen man hat Stressreaktionen: emotional, kognitiv, Bewältigungsverhalten verhaltensbezogen Kopfschmerzen etc. Es gibt auch eine erweiterte Fassung zu diesem Modell, dazu siehe bitte Folien von Lohaus. Es ist davon auszugehen, dass eine Anforderungssituation erst dann zur Belastung wird, wenn potentielle Bedrohungen und Schädigungen wahrgenommen werden, denen ein als unzureichend bewertetes Bewältigungspotential gegenübersteht. Es gibt unterschiedliche Klassifikationssysteme für Bewältigungspotential. Typischerweise aber mindestens Unterscheidung zwischen: (a) Einer direkten Bewältigung, die auf eine Veränderung der Belastungssituation selbst abzielt sowie (b) einer indirekten Bewältigung, in der die Belastungssituation nicht unmittelbar angegangen wird (z.B. durch die Kontrolle der Belastungsreaktionen) Den personalen Bewältigungsressourcen, die das Bewältigungspotential selbst umfassen, stehen die sozialen Bewältigungsressourcen gegenüber, die man bei der Bewältigung von Problemen mobilisieren kann. Hier ist vor allem das soziale Netzwerk zu benennen, das für unterschiedliche Problemlagen spezifische Bewältigungsfunktionen übernehmen kann und das bei der Suche nach sozialer Unterstützung zur Verfügung steht. Zum Beispiel: sich an Eltern oder Freunde wenden Die Wahrscheinlichkeit einer angemessenen Problemlösung erhöht sich mit der Verfügbarkeit eines breiten Bewältigungsrepertoires, das situationsgerecht eingesetzt werden kann. So kann es in Situationen, die durch eigenes Handeln kontrollierbar sind, sinnvoll sein, problemfokussierende Strategien einzusetzen, während in unkontrollierbaren Situationen eher der Umgang mit den eigenen Belastungsreaktionen sinnvoll ist (z.B. durch emotionsregulierende Bewältigung oder die Suche nach sozialer Unterstützung). Kontrollierbar: Klassenarbeit ist in 10 Tagen – also kann ich noch lernen Unkontrollierbar: unangekündigter Test Obwohl Kinder und Jugendliche nicht selten einer Vielzahl von alltäglichen Anforderungen ausgesetzt sind, kommt es selten zu Überlastungen. Anders kann die Situation bei einer Kumulierung der Anforderungen aussehen. Wenn kritische Lebensereignisse hinzukommen (wie Erkrankungen, Umzug, Trennung der Eltern), kann es zu einer deutlichen Erhöhung des Belastungspotentials kommen. Durch die Mehrfachbeanspruchung bereiten dann oftmals auch alltägliche Probleme Mühe. 5. Bidirektionales Modell der Sozialisation Geht von einer bidirektionalen Sozialisationsrichtung aus: Im Laufe der Sozialisation findet ständig eine wechselseitige Beeinflussung von Eltern und Kindern statt. Für Eltern gibt es typischerweise keine ein für allemal festgelegten Erziehungstechniken, die sie unabhängig vom Verhalten des Kindes anwenden. Es findet vielmehr eine ständige Anpassung in der Interaktion mit dem Kind statt. Kontrollsystemmodell von Bell: Eltern und Kinder besitzen ein Repertoire von hierarchisch organisierten Verhaltensweisen, die sie in Abhängigkeit vom Verhalten des Interaktionspartners variieren. Jede der beiden Parteien hat eine obere und eine untere Toleranzgrenze in bezug auf die Situationsangemessenheit, die Intensität und die Häufigkeit von Verhalten. Wird die Obergrenze überschritten oder die Untergrenze unterschritten, erfolgen Maßnahmen, um das Verhalten in den Toleranzbereich zurückzuführen. Dies gilt für Eltern wie Kinder gleichermaßen. Die Ober- und Untergrenzen werden in der Eltern- Kind-Interaktion immer wieder neu festgelegt und verhandelt. Das Kind ist damit (ebenso wie die Eltern) aktiv an der Sozialisation beteiligt. Beispiel: Ein Kind soll um 19 Uhr ins Bett gehen. Das Kind sagt dass all seine Freunde erst um 20 Uhr ins Bett gehen würden und es auch später ins Bett gehen möchte. – Die Grenzen müssen dann neu verhandelt werden. 04 Kognitive Theorien Die kognitiven Theorien von Jean Piaget (1896-1980) waren sehr aufschlussreich und sind es auch heute immer noch. Zentrale Begriffe seiner Theorie sind: (j) Schema (k) Assimilation (l) Akkommodation (m) Assimilations-Akkommodations-Prozess (n) Organisation (o) Adaption Schema: Kognitive Denkeinheit zur Verarbeitung von Information, Verbindung von eingehender und ausgehender Information, hierarchisch organisiert, aus Erfahrung aufgebaut, zur Ordnungsbildung in der Umgebung. Beispiele: Ball, Greifen Unter das Schema Ball fallen alle Dinge die man als Bälle bezeichnen würde (bei einem Kind sind das zum Beispiel: Mond, Luftballon, Fussball etc. Ein Erwachsener hingegen hat spezielle Schemata für verschiedene Bälle und unterscheidet zwischen Volleyball, Basketball, Fussball etc.) Assimilation: Interpretieren von Objekten oder Ereignissen entsprechend den vorhandenen Schemata (verfügbare und bevorzugte Schemata) Akkommodation: Bemerken einer Diskrepanz zwischen Schema und einzuordnendem Gegenstand folgt die Anpassung der vorhandenen kognitiven Schemata (passt nicht in vorhandene Schemata, passt in mehrere Schemata). Beispiel: Anwendung des Greifschemas beim Schöpfen von Wasser oder Mond passt nicht richtig ins Schema Ball weil man ihn nicht rollen kann. Es kann zu 3 verschieden Prozessen bei der Assimilation und Akkommodation kommen Assimilations-Akkommodations-Prozess: 1. Nicht-Wahrnehmen bzw. Nicht-Auftreten eines Konfliktes (Assimilation) hier würde ich alles so interpretieren, dass es in mein Schema passt 2. Wahrnehmen eines Konfliktes ohne Lösung (Ungleichgewicht) 3. Lösung auf höherem Niveau durch Aufheben der Widersprüche (durch Akkommodation) Organisation: Hierarchischer Aufbau von Strukturen, deren kleinste Einheit die Schemata sind. Entstehung immer höherer und komplexerer Systeme (Beispiel: Ball ist nicht mehr nur Ball sondern man unterscheidet nun zwischen Basketball, Tennisball, Volleyball etc.) Dann folgt: Äquilibration (Versuch ein Gleichgewicht herzustellen) Wenn Widersprüche innerhalb der Strukturen oder zwischen Struktur und Umgebung auftreten, entsteht ein Ungleichgewicht, das durch Veränderung (Verbesserung) der Strukturen wieder aufgehoben wird (Äquilibration). Adaption: Durch kontinuierliche Verbesserungen kommt es zu einer zunehmenden Adaptation an die Umgebung. (Schemata werden immer besser angepasst) Sachimmanente Entfaltungslogik Wenn man Erkenntnisse gewinnt, dann erfolgt dies nach einer bestimmten Logik. Diese Logik ist häufig durch die Aufgabe, die man lösen will, vorgegeben. Beispiel für solche Erkenntnisreihen: Vom einfachen zum komplexen (Umgang mit einer Dimension vor Umgang mit zwei oder mehr Dimensionen). Die Entwicklung des Denkens folgt diesen Gesetzmäßigkeiten, die durch die Natur der Dinge bereits vorgegeben sind. Dabei gilt; dass das Einfache immer vor dem Komplexen gelernt wird. So lernt man erst zu addieren und danach zu multiplizieren. Laut Piaget erfolgt die Entwicklung als eine Stufenabfolge Da durch die Natur der Dinge bestimmte Denkentwicklungslogiken vorgezeichnet sind, kommt es zu vorhersagbaren Stufenabfolgen des Denkens, die bei jedem (universell) auftreten. Es können keine Stufen übersprungen werden, da die Abfolge logisch vorgezeichnet ist. Die Stufenabfolge ergibt sich vor allem durch die Veränderung zentraler Denkstrukturen. Die Stufen können zwar unterschiedlich schnell durchlaufen werden, können aber nicht übersprungen werden. Manchmal scheint es aber, dass Kinder sich auf 2 Stufen gleichzeitig befinden. Horizontale und vertikale Verschiebung Horizontale Verschiebung = Denkstruktur wird bei unterschiedlichen Inhalten zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt erworben (z.B. Mengenerhaltung bei Knetgummi und Wasser so kann es sein, dass manche Kinder die Mengenerhaltung bei Knetgummi verstehen bei Wasser aber noch nicht. Beispiel siehe später) Vertikale Verschiebung = Formal ähnliche kognitive Strukturen kehren in unterschiedlichen Entwicklungsstufen bezüglich ähnlicher Verhaltensinhalte wieder. Beispiel räumliche Orientierung: Am Ende der sensumotorischen Entwicklungsstufe kann Kind vom einem Punkt A über B nach C gehen. In den späteren Entwicklungsstufen ist das Kind in der Lage, sich den Weg vorzustellen. 4 Stufen der kognitiven Entwickung: Laut Piaget gibt es 1. Stufe (0-24 Monate) Sensumotorische Phase 2. Stufe ( 2-6 Jahre) Präoperationale Phase 3. Stufe ( 7-12 Jahre) Phase der konkreten Operationen 1. Stufe: Sensumotorische Entwicklung 4. Stufe (ab 12 Jahren) Zu dieser Stufe gehört Phase folgendes: der formalen Operationen 1. Reflexhandlungen Angeborene Reflexschemata (Beispiel: Greifreflex, Saugreflex) danach entstehen… 2. Einfache Gewohnheiten (primäre Kreisreaktionen) Modifikation der Reflexschemata in Richtung einfacher Gewohnheiten (durch Erfahrung) danach entstehen… 3. Aktive Wiederholung von Handlungsfolgen (sekundäre Kreisreaktionen) Entwicklung einer Vielfalt von Schemata, die interessante Umwelteffekte hervorbringen. Stark nach außen gerichtet, um Effekte zu erzielen. Zum Beispiel mit der Rassel rasseln. danach entstehen… 4. Koordination sekundärer Kreisreaktionen und Anwendung auf neue Situationen; Herstellen von Mittel-Zweck-Verbindungen danach entstehen… 5. Aktives Experimentieren mit Handlungsabfolgen (tertiäre Kreisreaktionen) Versuch und Irrtum als Verfahren beim Experimentieren mit Handlungsabfolgen. Folge: Entdecken neuer Mittel, mit denen derselbe Zweck erreicht wird. danach entstehen… 6. Erfinden von neuen Handlungsmustern durch verinnerlichtes Handeln (Entwicklung der Symbolfunktion); Übergang von der sensumotorischen zur symbolischen Art der kognitiven Handlung. Man kann sich vorstellen, was passieren würde, wenn man etwas tun würde, ohne dass man es ausführen muss. Die äußeren Handlungen werden im Laufe der sensumotorischen Phase verinnerlicht. Für die Handlungen werden kognitive Schemata gebildet, die zunehmend unabhängig von der tatsächlichen Handlung werden. Später kann mit den Schemata operiert werden, ohne dass die Handlung stattfinden muss. Dadurch wird verinnerlichtes Handeln möglich. Die Ausbildung kognitiver Schemata lässt sich nicht nur bei der Motorik, sondern auch bei der Sensorik (Wahrnehmung) zeigen. Solange kein Schema für einen Gegenstand vorliegt, ist der Gegenstand verschwunden, sobald er aus dem Blickfeld verschwunden ist. Es liegt noch keine Objektpermanenz vor. Entwicklung der Objektpermanenz (0 – 24 Monate) 9. Monat: Verfolgen eines Objektes mit den Augen, aber kein Suchen wenn es verschwunden ist. 1-4 Monate: Wenn Objekt verschwunden, setzt das Kind seine Handlung fort oder sucht da, wo das Objekt zuletzt oder zuerst auftauchte. Es findet aber noch kein richtiges aktives Suchen statt. 4-8 Monate: Erste Ansätze von Suchbewegungen. Sucht aber nicht mehr, wenn es Objekt nicht gleich findet. Schwierigkeiten bereiten auch teilverdeckte Objekte. 8-12 Monate: Erkennt teilverdeckte Objekte und deckt sie auf. Unsystematisches Suchen: Stehen mehrere Orte zur Verfügung, wird nur am 1. Ort gesucht (A-nonB-Fehler). 12 – 18 Monate: Kind beobachtet Ortswechsel und sucht die Orte systematisch ab. 18 – 24 Monate: Kind sucht systematisch, auch wenn eine größere Menge von möglichen Orten zur Verfügung steht. Am Ende der sensumotorischen Periode sind sowohl für die Motorik als auch für die Sensorik Schemata aufgebaut, die (a) die Steuerung und Koordinierung der Motorik erleichtern und (b) die Orientierung in der Umgebung verbessern. Ursprünglich auf der Basis der Reflexe sind zunehmend komplexere sensumotorische Pläne entstanden. Die Pläne sind mit Symbolen bezeichnet, die zunehmend auch sprachlich und gestisch überlagert sind. Entwicklungsverlauf und Entwicklungsergebnis in der sensumotorischen Entwicklungsstufe Internalisierte Nachahmung Sprache Verschobene Nachahmung (ich kann gesehende Handlung auch später noch Nachahmen Symbol – Spiel (z.B. Kind hebt Arme, d.h. heb mich hoch) Gesten Symbolfunktion 2. Stufe: präoperationale Stufe (2-6 Jahren) Kennzeichen dieser Stufe sind: Sensumotorische Pläne undinnerer Objektpermanenz (a) Innere Symbole für Objekte, Weiterentwicklung Schemata, aber enge Gebundenheit an die konkret-wahrnehmbare Umgebung bzw. an die eigenen Handlungen (b) Egozentrismus des Denkens: Nur die eigene Perspektive wird gesehen Reflexe (c) Statisches, wenig prozesshaftes Denken, verschiedene Zustände werden nicht ineinander überführt, keine Reversibilität des Denkens, dadurch keine Fähigkeit zur Mengenerhaltung (manchmal könnte aber auch sein, das Kinder diese Experimente nicht verstehen weil, eine sprachliche Unklarheit vorliegt uns sie daher die Mengenerhaltung nicht verstehen zu scheinen) es (d) Probleme bei Erkennen von Ursache-Wirkungs-Ketten als Folge statischen Denkens. Folge: Animistisches und magisches Denken durch Überbetonung des Konzepts der raum-zeitlichen Nähe. (e)Keine Beachtung mehrerer Dimensionen, dadurch Probleme bei multipler Klassifikation, Klasseninklusion oder multipler Seriation ( Einschub Begriffserklärung: Animistisches Denken : man unterstellt Objekten ein Leben / eine Intention) Multiple Klassifikation: Sortieren von Gegenständen nach mehreren Kriterien (z.B. Legosteine nach Größe, Farbe etc.) Klasseninklusion: Erkennen, dass es Teilmengen innerhalb von Klassen gibt (z.B. Teilmenge der Tulpen in der Klasse der Blumen) Multiple Seriation: Rangfolgen nach verschiedenen Gesichtspunkten erstellen, z.B. Gefäße nach Höhe und Breite ordnen. Wichtigstes Grundproblem in der präoperationalen Entwicklungsstufe: Es findet eine Zentrierung auf eine Dimension (Perspektive, Zustand etc.) statt. Dies äußert sich in unterschiedlichen Denkbegrenztheiten. 3. Stufe: Konkret-operationale Stufe (7-12 Jahre) Kennzeichen dieser Stufe sind: (a)Ablösung der Denkoperationen von den beobachteten Abläufen, aber noch bezogen auf konkrete Handlungen und Wahrnehmungen, wenig Abstraktionsfähigkeit (b) Herausbildung von Invarianzbegriffen (Erhaltung von Mengen etc.) (c) Logische und arithmetische Operationen: Klassifikation, Seriation, Zahlsysteme (d) Fähigkeit zu Operationen in Raum und Zeit Beispiel: Wasserspiegel richtet sich nach der Schwerkraft. Also: Egal wie eine Flasche räumlich orientiert ist: Der Wasserspiegel ist immer horizontal. (e) Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ist möglich (bezogen auf konkrete Personen), Erfassen der Intentionen anderer Beispiel: 3-Berge-Versuch Beispiel: Egozentrische Unterhaltung bei Vorschulkindern (hier im Beispiel herrscht eine mangelnde Perspektivenübernahme) (f) Zunehmende Fähigkeit zur Planung von Handlungsabläufen und zur Koordinierung Handlungen (durch Perspektivenübernahme auch mit den Handlungen anderer). von Allgemein: Größere Beweglichkeit des Denkens, Operieren mit mehreren Schemata simultan, dadurch komplexeres Denken, das aber noch an konkrete Abläufe gebunden ist. 4. Stufe: Formal-operationale Stufe Kennzeichen dieser Stufe sind: (a) Loslösung des Denkens von konkreten Abläufen, abstraktes Denken (b) Fähigkeit zu hypothetischdeduktivem Denken, systematisches Denken nach formal-logischen Regeln Beispiel: Einfluss von Pendellänge und Gewicht auf die Pendelfrequenz (c)Das Wirkliche wird zum Sonderfall des Möglichen, können Alternativen hypothetisch durchdacht von denen eine zur Wirklichkeit wird. es werden, 1.3. Methodisches Vorgehen (bei Piaget ) (obwohl sein methodisches Vorgehen auch kritisch zu sehen ist…) (a)Wenige Fälle, teilweise Einzelfälle, hauptsächlich die eigenen Kinder als Versuchspersonen (b) Unsystematische Beobachtung bzw. nicht standardisierte Befragung (c) Einfache, wenig standardisierte Experimente (d) Interpretative Schlussfolgerungen aus den Beobachtungen bzw. aus den Aussagen der Kinder Kritik (u.a.): 11. Versuchsleitereffekte 12. Abhängigkeit der Ergebnisse von den gewählten Aufgaben ABER: Heuristische Fruchtbarkeit (Denkanstösse nicht nur aus der Theorie, sondern auch aus den gewählten Operationalisierungen) Viele seiner Versuche wurden wiederholt, überprüft und weiterentwickelt. Implikationen für die Erziehung Es ist nicht möglich, Stufen zu überspringen, daher Notwendigkeit, Informationsvermittlung an die jeweiligen Denkfähigkeiten anzupassen, z.B. nicht zwei Stufen oberhalb der Auffassungsmöglichkeiten. Es ist möglich, die Denkentwicklung in Grenzen zu beschleunigen: Durch Aufbau von Diskrepanzen zu den vorhandenen Auffassungsmöglichkeiten. Wenn die Diskrepanzen nicht zu groß sind, entsteht ein Ungleichgewicht, das zu neuer Akkommodation führt. Konzepte der Neo-Piagetianer Wichtige Vertreter: Case, Pascual-Leone (zentrale Veröffentlichungen in den 80er und 90er Jahren) Versuch, die Theorie Piagets mit Konzepten von Informationsverarbeitungstheorien zu verbinden Zentral: Konstrukt der Gedächtniskapazität definiert als: „Die maximale Anzahl unabhängiger Schemata, die ein Kind zu einem gegebenen Zeitpunkt aktivieren kann.“ Nicht der Äquilibrationsprozess, sondern die zunehmende Effizienz bei der Ausnutzung von vorhandenen Kapazitäten ist nach dieser Auffassung der Hauptmechanismus der Entwicklung Ursachen der zunehmenden Effizienz: •Automatisierungsprozesse (z.B. beim Zählen) •Erhöhung der Verarbeitungsgeschwindigkeit •Parallele Informationsverarbeitung •Neurologische Reifungsprozesse (u.a. Myelinisierung) Entwicklungsstufen nach Case: (a) Sensumotorisches Verarbeitungsstadium Die mentalen Repräsentationen werden mit Körperbewegungen verbunden (Bezug zwischen mentalem Schema und motorischer Handlung) (b) Interrelationales Verarbeitungsstadium Die mentalen Repräsentationen enthalten Relationen zwischen Objekten, Personen und Ereignissen (c) Dimensionales Verarbeitungsstadium Bedeutsame Dimensionen der Umgebung werden erkannt und extrahiert, Herstellen systematischer Beziehungen zwischen den Dimensionen (d) Abstraktes Verarbeitungsstadium Erwerb abstrakter Denksysteme, mit deren Hilfe logische Schlussfolgerungen gezogen werden können Allgemein: Ähnlichkeit mit der Stufenabfolge, die von Piaget postuliert wurde. Aber: Stärkere der Denkschemata, die vor dem Hintergrund der vorhandenen Gedächtniskapazitäten aktiviert werden können. 05 Informationsverarbeitungstheorien/ Bereichsspezifische Theorien Grundanliegen Beschreibung des Flusses von Informationen durch das kognitive System des Menschen. Herstellung einer Beziehung zwischen Input und Output in Bezug auf das kognitive und physiologische System. Entwicklungspsychologische Variante: Beschreibung von Veränderungen der Informationsverarbeitung über das Alter. Es gibt verschiedene Teilprozesse bei der Informationsverarbeitung Sensorisches Gedächtnis: Information wird kurz gespeichert in unanalysierter Form (typischerweise nur maximal wenige Sekunden, z.B. visuelle oder auditive Information). Arbeitsspeicher: Verarbeitung von Information aus dem sensorischen Gedächtnis. Verknüpfung mit Information aus dem Langzeitspeicher. Weitergabe von Information an den Langzeitspeicher, Vorbereitung und Ausführung einer Verhaltensantwort. Charakteristikum: Speicherplatzbegrenzung, kurze Verweildauer. Hierbei gilt : 7 + - 2 Items werden durchschnittlich gespeichert. Modell des Arbeitsspeichers nach Baddeley & Hitch: Besteht aus: 10. Visuell-räumlicher-Notizblock 11. Zentrale Exekutive 12. Phonologische Schleife Visuell-räumlicher Speicher für visuell-vorstellungsmäßige Kodierung und Verarbeitung Phonologische Schleife für auditive und verbale Kodierung und Verarbeitung Zentrale Exekutive zur Verteilung der Aufmerksamkeitsressourcen von und zu den Subsystemen Zentrale VisuellExekutive Phonologisch räumlicher e Schleife Notizblock Langzeitspeicher: Information kann längerfristig im Langzeitspeicher gespeichert werden. Voraussetzung: Nutzung von Gedächtnisstrategien (Enkodierstrategien) wie • Rehearsal-Strategien (z.B. Telefonnummer immer wieder vorsagen) • Organisationsstrategien (wie Klassenbildungen – alle Autos, alle Blumen etc. merken) • Anreicherungsstrategien (zur Bedeutungsanreicherung z.B. Eselsbrücken nutzen) Prinzipiell besteht unbegrenzte Speicherkapazität, Probleme bereitet vorrangig der Informationsabruf. Daher sind neben den Enkodierstrategien weiterhin auch Dekodierstrategien zum Abruf von Information notwendig. Langzeitgedächtnis ist keine einheitliche Größe. Es werden vielmehr Teilkomponenten unterschieden: Wichtigste Teilkomponenten: (a) Episodisches Gedächtnis (eigene Erfahrungen, vielfach in zeitlichen Sequenzen organisiert, skriptorientiert) (b) Semantisches Gedächtnis (Zusammenfassung des „Weltwissens“ einer Person, organisiert in semantischen Netzwerken) (c) Prozedurales Gedächtnis (Gedächtnis für kognitive, motorische und wahrnehmungsorientierte Fertigkeiten) Kontrollprozesse: (p) Steuerung des Prozesses der Informationsaufnahme durch Aufmerksamkeitslenkung – ich muss wissen/mich entscheiden, worauf ich mich konzentriere. (q) Auswahl der Strategie zum Umgang mit einem Problem (z.B. der Enkodierungsoder Dekodierungsstrategie) (r) Überwachung des Erfolgs des Strategieeinsatzes und des Erreichens der gewünschten Ziele Entwicklungsveränderungen bei der Informationsverarbeitung gibt es beim Einsatz effizienterer Strategien Ältere Kinder nutzen effizientere Strategien zur Informationsverarbeitung als jüngere. Beispiel: Frühe Studie von Flavell et al (1966): Zeigte, dass Vorschulkinder, die eine Reihe von Objekten behalten sollten, keine systematische Strategie benutzen. Erst die siebenjährigen benutzen zu 50% eine Hersage- Strategie (Rehearsal), um ihre Gedächtnisleistung zu verbessern. Im Alter von 10 Jahren benutzen nahezu alle Kinder die Strategie. Die Behaltensleistung erhöhte sich mit dem Einsatz von Rehearsal-Strategien. (Puppe, LKW, Tier, Puppe, LKW, Tier etc. sagt man sich immer wieder) Es kommt zu einer Zunahme der Kapazität des Arbeitsspeichers durch folgende 3 Gegebenheiten: • Bessere Nutzung der Kapazität des Arbeitsspeichers durch Zunahme der Informationseinheiten (chunking) ( 19234587 wird nicht als ganze Zahl gemerkt sondern in 10er Schritten wie 19 23 45 87) • Flexiblere Nutzung des Arbeitsspeichers durch vielfältige Verknüpfungsmöglichkeiten mit anderen Informationen • Höhere Effizienz der Kontrollprozesse (durch zunehmende Erfahrungsbildung) (d.h. Menschen können ihre Aufmerksamkeit besser und gezielter fokssieren) Zunahme automatisierter Informationsverarbeitung Automatisierte Informationsverarbeitung erfordert keine bewusste kognitive Mühe. Beispiel: Erlernen des Umgangs mit einer Tastatur. Zunächst muss Kapazität des Arbeitsgedächtnisses darauf verwandt werden, jeden einzelnen Buchstaben zu suchen. Später ist die Suche automatisiert, die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses wird frei für andere Aufgaben (z.B. zusätzliche Kontrollprozesse). Kinder haben bei vielen Aufgaben begrenzte Erfahrungen und benötigen daher viel Kapazität des Arbeitsspeichers für die jeweilige Informationsverarbeitung. Zunahme der Verarbeitungsgeschwindigkeit Zunehmende Verarbeitungsgeschwindigkeit lässt sich erkennen, wenn man die Geschwindigkeit misst, mit der Kinder verschiedener Altersgruppen Aufgaben bearbeiten (z.B. Entscheidung, was der Name eines Objektes ist). Wichtig beispielsweise, wenn Aufgaben unter Zeitdruck zu bearbeiten sind (z.B. das Verstehen von Instruktionen, bei denen eine bestimmte Menge an Information pro Zeiteinheit zu verstehen und zu verarbeiten ist). Verarbeitungsgeschwindigkeit bei 4 Aufgabentypen 8. Visuelle Suche → zum Beispiel „wo ist der Hund“ 9. Mentale Rotation → Objekt vorstellen wie es sich mental dreht 10. Kopfrechnen 11. Schnelles Klopfen mit dem Finger (ältere Kinder können schneller klopfen – warum ? Weil die Myelisierung eine erhöhte Verarbeitungsgeschwindigkeit erlaubt und eine effektivere Synapsenbildung vorliegt.) 3 4 Zunahme des Inhaltswissens (a) Zunahme des Umfangs semantischer Netzwerke, die wiederum das Erkennen und Einordnen neuer Information erleichtern (b) Zunehmende Verfügbarkeit von Handlungsskripten für bestimmte Situationen, die sowohl die Erinnerung an Vergangenes als auch die Antizipation von Zukünftigem erleichtern (z.B. was ist bei einem Arztbesuch passiert und was ist nicht passiert) Methodische Herangehensweise Prinzip: Sorgfältige Aufgabenanalyse. Annahme dabei: Durch die Art der Aufgabe wird eine bestimmte Herangehensweise nahegelegt. Wenn man die Aufgabe in Teilschritte zerlegt und danach analysiert, welche Teilschritte das Kind in welcher Reihenfolge durchläuft, lässt sich daraus auf seinen Prozess der Informationsverarbeitung zurückschließen. Beispiel dazu „Balkenwaageproblem“ siehe Folien. Hier gibt es 4 verschiedene Regeln und je nach Antwortverhalten kann man erkennen welche Regel das Kind benutzt hat. Entwicklungsveränderungen: Im Alter von drei Jahren ist noch keine systematische Regelnutzung erkennbar. Im Alter von vier Jahren nutzen 50% der Kinder Regel 1, im Alter von fünf Jahren 100% der Kinder. Im Alter von neun Jahren finden sich die Regeln 2 und 3 zu etwa gleichen Anteilen. Im Alter von dreizehn und siebzehn Jahren nutzen nahezu alle Kinder bzw. Jugendlichen Regel 3. Selbst im Erwachsenenalter nutzt nur eine Minderheit Regel 4. Das Antwortverhalten kann bereits bei jüngeren Entwicklungsstufen korrekt erscheinen, obwohl es durch eine falsche Regel zustande kommt. Erst die Kombination des Antwortverhaltens über verschiedene Aufgabentypen hinweg gibt Aufschluss über die verwandte Regel. Weitere methodische Herangehensweisen: • Analyse von Reaktionszeiten ( z.B. bei Reaktionszeitexperimenten; bei der mentalen Drehung von Objekten verhält es sich nämlich so, je größer der Winkel in dem sie gedreht werden müssen desto länger braucht man.) • Analyse von Behaltensleistungen • Analyse von Selbstaussagen über Problemlöseprozesse (Hierbei gibt die Person an wie sie auf die Lösung gekommen ist. Ein Problem hierbei ist jedoch, dass man auf Introspektion angewiesen ist.) • Beobachtung von Problemlöseprozessen (z.B. Balkenwaageproblem) • Fehleranalyse Grundannahmen der Bereichsspezifischen Theorien Die geistige Entwicklung ist vergleichbar mit dem Wissenserwerb von Erwachsenen in spezifischen Inhaltsbereichen. Unterschied: Kinder müssen in allen Inhaltsbereichen Lernprozesse durchlaufen (sind universelle Novizen). Dadurch, dass Kinder typischerweise gleichermaßen mit vielen Inhaltsbereichen konfrontiert sind, entsteht der Eindruck einer gleichartigen Entwicklung. Treten dagegen Spezialisierungen auf, wird deutlich, dass Entwicklung bereichsspezifisch unterschiedlich verlaufen kann. Beispiel 1 : Konrad mag Bagger und Bücher – kann sogar Vokabeln auf Englisch zu diesem Thema. Motorisch ist er nicht ganz so weit entwickelt wie seine Peers – er hat oft Angst sich zu verletzen und bewegt sowie tobt daher nur ungern. Beispiel 2: Wissen über Schach Schacherfahrene Kinder der dritten bis achten Klasse behalten die Positionen von Schachfiguren besser als Erwachsene (während die Erwachsenen beim Behalten von Zahlenkolonnen bessere Leistungen bringen). Entwicklung lässt sich also als ein bereichsspezifischer Wissenserwerb auffassen, falls Spezialisierungen eintreten. Falls keine Spezialisierungen vorliegen, erscheint Entwicklung als gleichförmig über verschiedenste Funktionsbereiche hinweg. Eine Bereichsspezifität wird in diesem Fall nicht erkennbar. Allgemeine versus bereichsspezifische Entwicklung Liegt keine Spezialisierung vor – hat dies eine gleichmäßige Entwicklung in allen Inhaltsbereichen zur Folge. Liegt eine Spezialisierung vor – hat dies eine beschleunigte Entwicklung in einzelnen Inhaltsbereichen und unterschiedliche Entwicklung in verschiedenen Inhaltsbereichen zur Folge. Entwicklung fängt dabei nicht bei Null an, sondern baut auf möglicherweise angeborenen Grundlagen auf. Beispiel: Objektverständnis von Säuglingen (Soliditätsprinzip) Vorgehensweise: Säugling wird gezeigt, wie ein Ball losgelassen wird und hinter einem Schirm verschwindet (Habituationsphase). Dann wurde physikalisch mögliches (Ball lag auf Tisch, wenn der Schirm hochgezogen wurde) oder unmögliches Ereignis gezeigt (Ball lag unter dem Tisch). (siehe auch Folien) Ergebnis: Schon zweieinhalb Monate alte Säuglinge betrachten das physikalisch unmögliche Ereignis länger und differenzieren dabei zwischen möglichen und unmöglichen Ereignissen. In einer Kontrollbedingung wurde gesichert, dass Säuglinge nicht per se Bälle, die unter einem Tisch liegen, länger betrachten als Bälle, die auf einem Tisch liegen. Kinder beobachten beides gleich lange. Aus Experimenten (vor allem von Spelke) lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass schon Säuglinge eine Reihe physikalischer Prinzipien kennen: Beispielsweise • dass Objekte sich als Ganzes bewegen • dass Objekte sich kontinuierlich (und nicht diskontinuierlich) fortbewegen (Kontinuität) • dass sie etwas bewirken, wenn sie mit anderen Objekten zusammenstoßen (Solidität) Ein weiteres Beispiel – diesmal zum Mengenverständnis von Säuglingen Ergebnis: Bereits vier Monate alte Säuglinge verfügen über ein rudimentäres Mengenverhältnis. Fraglich hierbei ist jedoch, wie ein Baby in dem Alter, wo es noch über keine Objektpermanenz verfügt, sich daran erinnern kann wie viele Mäuse es gesehen hat. Eine Antwort könnte sein, dass Objektpermanenz mit Suchaufgaben getestet wurde. Bei dem oben genannten Beispiel handelt es sich aber um eine Wahrnehmungsaufgabe welche viel leichter ist. Allgemein ist aber auch zu sagen, dass Piaget Altersangaben heute zu hinterfrag sind, ob sie immer noch so gültig sind. (Sind heutige Kinder weiter in ihrer Entwicklung?) Aufbauend auf dem vorhandenen Grundwissen kann sich eine bereichsspezifische Entwicklung nach zwei möglichen Annahmen vollziehen: • Anreicherungsannahme • Umstrukturierungsannahme Die Anreicherungsannahme: Geht davon aus, dass Kinder über ein angeborenes oder früh erworbenes physikalisches und psychologisches Ausgangswissen verfügen, das im Lauf der Entwicklung lediglich weiter ausdifferenziert wird. Qualitative Veränderungen des Wissens werden dabei nicht angenommen. Konsequenz: Wenn die naiven Vorstellungen von Kindern aus einer Vielzahl isolierter Wissenskomponenten bestehen, so sollte sich falsches Wissen leicht korrigieren lassen. (Ein Einzelelement sollte leicht zu korrigieren sein, da es unabhängig von anderen ist) Wenn aber enge Verknüpfungen zwischen Wissenselementen über einen gemeinsamen Interpretationsrahmen bestehen, dürften sich einzelne Elemente weniger leicht beeinflussen lassen. Beispiel: Kind wird gefragt ob Menschen auf der Unterseite der Erde leben können ohne herunterzufallen? Darauf antwortet Robert aus der 1. Klasse: Nein sie würden herunterfallen! Usw. Das Problem hierbei ist: Das Kind weiß, dass die Erde eine Kugel ist, aber es weiß auch, dass Dinge normalerweise nach dem Schwerkraftprinzip zu Boden fallen. Beides lässt sich nicht miteinander in Einklang bringen. Die Umstrukturierungsannahme: Das Wissenssystem bildet ein kohärentes System von Überzeugungen, das resistent gegen punktuelle Veränderungen ist. Es genügt nicht, einzelne Punkte zu korrigieren sondern man muss den Interpretationsrahmen ändern. Kinder verfügen über einen Interpretationsrahmen, den sie auf neue Informationen anwenden. Die Veränderung des Interpretationsrahmens ist dabei ein langwieriger Prozess. Wird der Interpretationsrahmen geändert, kommt es zu umfangreichen Umstrukturierungen, die einem Paradigmenwechsel ähneln. Neben dem naiven physikalischen Wissen ist das naive psychologische Wissen ein weiterer Bereich, in dem nach frühen Wissensbeständen gesucht wird, die dann angereichert bzw. umstrukturiert werden. Frühe Bestandteile einer Theory of Mind: • Verständnis von Wünschen und Intentionen • Verständnis von (falschen) Überzeugungen • Verständnis des emotionalen Zustands anderer Verständnis von Wünschen und Intentionen Methodisches Vorgehen: Vorschulkindern wird eine Geschichte erzählt, in der ein Akteur eine bestimmte Absicht verfolgt (z.B. sein Kaninchen mit in den Kindergarten nehmen). Der Akteur weiß, dass das Kaninchen entweder in der Garage oder im Vorgarten sein kann. Er sucht in der Garage und findet je nach Bedingung (a) das Kaninchen (b) nichts (c) einen Hund (nach dem allerdings nicht gesucht wurde) Frage an das Kind: Was wird der Akteur tun, wenn er das Kaninchen nicht findet? Wird er im Vorgarten suchen oder in den Kindergarten gehen. Schon dreijährige Kinder sagen weit überwiegend, der Akteur würde nun im Vorgarten suchen. Also: Die Kinder haben verstanden, dass der Akteur eine Absicht bzw. einen Wunsch hatte, den er nun weiterverfolgt. Verständnis von falschen Überzeugungen: Versteht ein Kind, dass andere Menschen aufgrund ihrer eigenen Überzeugungen handeln, auch wenn das Kind weiß, dass diese falsch sind? Kinder die Wissen, dass Jenny eine falsche Vorstellung hat würden antworten, dass Jenny auf die Frage was sich in der Schachtel befindet „Smarties“ antworten wird. Kinder die lediglich von ihrem eigenen Wissensbestand ausgehen, werden sagen, dass Jenny „Bleistifte“ antworten wird. Kinder im Alter von 3 Jahren neigen eher zur 2. Alternative. Kinder mit 4 und mehr Jahren würden eher wie in Variante 1 antworten. Ein Verständnis für falsche Überzeugungen liegt demnach erst mit etwa vier bis fünf Jahren vor. Verständnis des emotionalen Zustands anderer • Schon am Ende des zweiten Lebensjahres beginnen Kinder, Sensitivität für den emotionalen Zustand anderer zu zeigen und zu helfen, wenn andere Kummer haben. • Schon mit einem Jahr nutzen Kleinkinder Signale in der Mimik der Mutter als Hinweisreize für eigenes Verhalten (z.B. sieht die Mutter ängstlich aus, wird das Kind innehalten mit dem was es gerade tut) • Schon mit drei Monaten erwarten Säuglinge eine zeitliche Kontingenz zwischen Stimme und Mimik der Mutter. Wenn beides zeitlich versetzt präsentiert wird, reagieren sie verunsichert und fangen an zu weinen. FAZIT: Schon Kleinkinder im Alter von 3 Monaten haben also bestimmte Erwartungen an das Verhalten der sozialen Umgebung. Ähnlich wie bei der intuitiven Physik scheinen auch bei der intuitiven Psychologie angeborene bzw. früh erworbene Wissensbestandteile vorhanden zu sein. Die früh vorhandene intuitive Psychologie wird im Laufe der Entwicklung weiter ausdifferenziert, wobei offen bleiben muss, ob lediglich eine Anreicherung stattfindet oder ob es zu sukzessiven Umstrukturierungen kommt. Kennzeichen intuitiver Theorien, die sie mit formellen wissenschaftlichen Theorien teilen: (a) Sie identifizieren grundlegende Einheiten, um die Objektwelt einzuordnen z.B. unbelebte Objekte werden von lebenden unterschieden (b) Sie erklären viele einzelne Phänomene anhand einiger weniger Grundprinzipien (c) Sie erklären Ereignisse anhand nicht-beobachtbarer Ursachen d.h. sie versuchen Erklärungen zu finden für das was um sie herum passiert. 06 Familienentwicklungstheorien Die Familie als soziales System Entwicklung bezieht sich nicht isoliert auf ein Individuum, sondern bezieht auch die Umgebung mit ein. Ein System besteht aus einer Menge ineinander verschachtelter Strukturen, die sich gegenseitig beeinflussen. Daher ist Entwicklung immer auch vor dem Hintergrund des Gesamtsystems, in das sie eingeschlossen ist, zu betrachten. Die Familie ist das wichtigste System, in das Kinder eingebettet sind. Im Entwicklungsverlauf beeinflussen dabei nicht nur die Eltern die Entwicklung ihrer Kinder, sondern auch die Eltern entwickeln sich, indem sie im Umgang mit den Kindern lernen. Nach Bronfenbrenner kann das soziale System aufgegliedert werden in Teilsysteme: Dabei werden 4 wichtige Unterscheidungen gemacht: (a)Mikrosysteme (b)Mesosysteme (c) Exosysteme (d)Makrosysteme Und hier nun eine Auflistung, was die einzelnen Systeme beinhalten. Mikrosystem: Mikrosysteme sind Lebensbereiche, in denen Menschen leicht direkte Interaktionen mit anderen aufnehmen können. Sie beziehen auf die unmittelbare Umgebung eines Menschen. Beispiele: Familie, Schule und Arbeitsplatz. Mesosystem: Mesosysteme sind Lebensbereiche, die Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Lebensbereichen umfassen, die für eine Person von Bedeutung sind. Beispiel: Beziehung zwischen Schule und Elternhaus. sich Exosysteme: Exosysteme sind Lebensbereiche, an denen eine Person nicht unmittelbar beteiligt ist, die jedoch Einfluss auf die eigenen Lebensbereiche einer Person nehmen (z.B. Freunde der Eltern, die über Ratschläge an die Eltern Auswirkungen auf das Kind haben können). Makrosystem: Makrosysteme bilden die höchste Stufe der Hierarchie. Umfassen die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten der untergeordneten Systeme einer Subkultur bzw. einer Kultur. Es handelt sich also um gemeinsame Einflüsse, die auf alle Mitglieder einer Kultur oder Subkultur wirken. Zum Beispiel die Wirtschaft oder kulturelle Werte Je nachdem welche Systemebene betrachtet wird, stehen unterschiedliche Entwicklungsprozesse im Vordergrund. Betrachtet man zum Beispiel das Mikrosystem „Familie“ stehen Familienentwicklung und Familienentwicklungsstadien im Vordergrund. Stufen der Familienentwicklung Unterteilung des Familiezyklus in eine Reihe chronologisch aufeinanderfolgender Familienstufen. Die Stufen werden dabei als Entwicklungsabschnitte gesehen, die durch mehr oder weniger tiefe Einschnitte voneinander getrennt sind. Die Stufen können eine unterschiedlich lange zeitliche Erstreckung aufweisen. Wenn diese Stufenfolge innerhalb eines bestimmten gesellschaftlichen Kontextes auf eine Vielzahl von Familien zutrifft, spricht man von einer normativen Familienentwicklung. Oder auch idealtypische Entwicklung genannt. Es gibt 3 bedeutsame Kriterien für die Abgrenzung von Familienentwicklungsstufen: (a)Veränderungen in der Zahl der Mitglieder einer Familie (kommt ein neues Mitglied dazu ändert sich die Struktur) (b) Entwicklungsstand des ersten Kindes (Vorschulkind, Schulkind etc.) (erstes Kind darum, weil es die Vorreiterfunktion hat – beim zweiten Kind kennt man das schon) (c)Ausscheiden der Haupterwerbsperson aus dem Arbeitsleben Ein Klassiker ist das Stufenmodell der Familienentwicklung nach Duval: STU FE BESCHREIBUNG UND ZEITLICHE ERSTRECKUNG I Verheiratete Paare (ohne Kinder) II Familien mit Kindern, frühes Stadium (ältestes Kind: Geburt – 30 Monate) III Familien mit Vorschulkindern (ältestes Kind 2 ½ - 6 Jahre) IV Familien mit Schulkinder (ältestes Kind 6 – 13 Jahre) V Familien mit Jugendlichen (ältestes Kind 13 – 20 Jahre) VI Familien im Stadium der Ablösung junger Erwachsener (vom Weggang des ältesten bis zum jüngsten Kind) Eltern im mittleren Lebensalter (vom „leeren“ Nest bis zum Rückzug aus dem Arbeitsleben) Alternde Familienmitglieder (vom Rückzug aus dem Berufsleben bis zum Tod beider Ehepartner) VII VIII Kritik: Das Modell stellt nur einen idealtypischen Fall aus einem großen Spektrum möglicher Familienentwicklungsmodelle dar. Weiterhin lassen sich auch für einzelne Phasen innerhalb der Familienentwicklung eigenständige Phasenmodelle entwickeln (z.B. für den Übergang zur Elternschaft). Weiterhin ist zu bedenken, dass es mittlerweile eine Vielzahl alternativer Lebensformen gibt, für die die Familienentwicklungsmodelle im traditionellen Sinne nicht zutreffen. Beispiele: Verheiratet vs. Single oder nicht eheliche Lebensgemeinschaft Mit Kinder vs. Bewusste Kinderlosigkeit Zwei Elternteile vs. Ledig, geschieden oder verwitwet Sexuelle Exklusivität vs. Offene Beziehung Usw. Es gibt mehrere Indikatoren für den familiären Wandel. Hier seien 8 genannt: 13. Rückgang der Heiratsrate 14. Zunahme an Einpersonen-Haushalten 15. Zunahmen an nichtehelicher-Lebensgemeinschaften 16. Rückgang der Geburtenzahlen 17. Kinderkosten 18. Zunahme der Scheidungsrate 19. Zunahme der Qualifikation und Erwerbstätigkeit von Frauen 20. Wandel von Lebensprinzipien und Erziehungszielen Schlussfolgerung: Es ist also davon auszugehen, dass es nicht mehr nur die klassischen Familienentwicklungsstufen gibt, sondern dass zunehmende Ausdifferenzierungen durch die Vielzahl möglicher Lebensformen und möglicher Lebenswege entstehen. Es ist ein allgemeiner Trend zur Vereinzelung festzustellen. Aus der Perspektive eines Anforderungs-Bewältigungssystem betrachtet gibt es Familienentwicklungsaufgaben Unabhängig von der Lebensform stellen sich auf den einzelnen Entwicklungsstufen des sozialen Systems spezifische Entwicklungsaufgaben, die nicht nur das einzelne Individuum, sondern das System betreffen, in dem das Individuum lebt. Entwicklungsaufgaben des sozialen Systems können sein: (Hier am Beispiel der Familie) Situation 1. Verlassen des Elternhauses; Alleinstehende junge Erwachsene 2. Die Verbindung von Familien durch Heirat 3. Familien mit jungen Kindern 4. Familien mit Jugendlichen 5. Entlassen der Kinder und Nachelterliche Phase Aufgabe die sich daraus ergibt/stellt 13. Selbstdifferenzierung in Beziehung zur Herkunftsfamilie 14. Entwicklung intimer Beziehungen zu Gleichaltrigen 15. Eingehen eines Arbeitsverhältnisses und finanzielle Unabhängigkeit (s) Bildung des Ehesystems (t) Neuorientierung der Beziehung mit den erweiterten Familien und Freunden, um den Partner einzubeziehen 12. Anpassung des Ehesystems um Platz für die Kinder zu schaffen 13. Koordinieren von Aufgaben der Kindererziehung, des Umgangs mit Geld und der Haushaltsführung 14. Neuorientierung der Beziehung mit der erweiterten Familie um die Eltern und Großeltern mit einzubeziehen a) Veränderung der Eltern-KindBeziehung um Jugendlichen zu ermöglichen, sich inner- und außerhalb des Familiensystems zu bewegen b) Neue Fokussierung auf die ehelichen und beruflichen Themen der mittleren Lebensspanne c) Hinwendung auf die gemeinsame Pflege und Sorge für die ältere Generation (in dieser Phase nimmt man eine „sandwich“ Position ein, da man sich um die eigenen Kinder sowie auch um die eigenen Eltern kümmern muss. a) Neuaushandeln des Ehesystems als Zweierbeziehung b) Entwicklung von Beziehungen mit Erwachsenenqualität zwischen Kindern und Eltern c) Neuorientierung der Beziehung um Schwiegertöchter/-söhne und 6. Familien im letzten Lebensabschnitt Enkel mit einzubeziehen d) Auseinandersetzung mit Behinderung und Tod von Eltern bzw. Großeltern a) Aufrechterhalten des Funktionierens als Person und Paar angesichts des körperlichen Verfalls. Erkundung neuer familiärer und sozialer Rollenpositionen b) Im System Raum schaffen für die Weisheit und Erfahrung der Alten; Unterstützung der älteren Generation, ohne sich zu stark für sie zu engagieren c) Auseinandersetzung mit dem Tod des Partners, Geschwistern etc. Vorbereitung auf den eigenen Tod, Lebensrückschau und Integration Die Auseinandersetzung mit den Entwicklungsaufgaben dürften die eigentlichen Faktoren sein, die zur Fortentwicklung einer Familie beitragen. Je nachdem, wie die Aufgabenbewältigung gelingt, kommt es zu einer positiven oder weniger positiven Fortentwicklung der Familie. Mit dem Gelingen der Aufgabenbewältigung gehen Zufriedenheit, Anerkennung und Erfolg bei späteren Aufgabenbewältigungen einher, während mit dem Misslingen Unzufriedenheit, Missbilligung und Schwierigkeiten bei späteren Aufgabenbewältigungen einhergehen können. Die Bewältigung von den Familienentwicklungsaufgaben kann Stress erzeugen! Kennzeichen: Tatsächliches oder wahrgenommenes Ungleichgewicht zwischen Anforderungen einer Situation und den Fähigkeiten und Ressourcen der Familie zum Umgang mit einer Situation. Als Familienstressor gilt dabei ein auf die Familie einwirkendes Lebensereignis oder Übergangsstadium, das im sozialen System der Familie Veränderung hervorruft oder das Potential zur Veränderung in sich trägt. Beispiel: Das Kind hat Schwierigkeiten in der Schule – entweder weiß die Familie damit umzugehen und was zu tun ist oder nicht. Es gibt 8 Unterscheidungsmerkmale für Stressoren: 1. Ursprung (familienintern z.B. Krankheit versus familienextern z.B. Arbeitslosigkeit) 2. Verbreitung (Familiensystem als Ganzes oder einzelne Familienmitglieder betroffen) 3. Abruptheit (plötzliches oder langsames Einsetzen) 4. Intensität (Schwerwiegender oder milder Stressor) 5. Anpassungsdauer (kurzfristige Anpassung möglich oder längerfristige Anpassung notwendig) 6. Vorhersehbarkeit (kann Einsetzen des Stressors vorhergesehen werden und ist damit Vorbereitung möglich versus tritt Stressor unvorhergesehen auf) 7. Ursache (naturgegebene Umstände z.B. Autounfall weil es glatt war versus menschlichvermeidbare Ursachen z.B. Autounfall weil betrunken gefahren) 8. Kontrollierbarkeit (Überzeugung, dass Stressor unter Kontrolle gebracht werden kann versus Überzeugung, dass man auf Stressor keinen Einfluss hat) Inwieweit im Umgang mit den Stressoren Probleme auftreten, hängt im wesentlichen vom intrafamiliären Bewältigungspotential und von extrafamiliären Unterstützungssystemen ab. Intrafamiliäres Bewältigungspotential ist unterscheidbar in (a) persönliche Bewältigungsressourcen der Familienmitglieder und (b) Ressourcen des Familiensystems Beispiele für persönliche Ressourcen der Familienmitglieder : Persönlichkeit. Für unreife, starre, wenig angepasste und in interpersonalen Beziehungen wenig geschickte Personen sind mehr Schwierigkeiten im Familienkontext zu erwarten. Kommunikation. Unangemessenes Kommunikationsverhalten (z.B. nicht zuhören können, seine Wünsche nicht klar zum Ausdruck bringen können) erschwert den sozialen Umgang innerhalb der Familie. Wechselseitiger Austausch. Familienmitglieder, die nicht gelernt haben, ihre Gefühle und Gedanken auszutauschen, müssen mit mehr Problemen innerhalb der Familie rechnen. Konfliktlösung. Wenn die Familienmitglieder über gering ausgebildete Fähigkeiten zur Lösung von Konflikten verfügen, ist mit mehr Problemen im Familiensystem zu rechnen. Beispiele für Ressourcen des Familiensystems: Ökonomische Basis. Bei unsicherem Einkommen oder bei drohendem Arbeitsplatzverlust ist ein erhöhtes Konfliktpotential innerhalb des Familiensystems zu erwarten. Grundregeln. In Familien, in denen keine expliziten Vereinbarungen über Ziele, Werte, Aufgabenverteilung und Verantwortlichkeiten ausgehandelt werden, besteht ein erhöhtes Konfliktpotential. Rigide Abkapselung und hoher Kohäsionsgrad. Problematisch können weiterhin eine rigide Organisation bei starker Abkapselung von der Außenwelt sein. Ebenso ein hoher Kohäsionsgrad, der den einzelnen Mitgliedern kaum Freiräume zu eigener Entwicklung lässt. Erziehungsstile im Umgang mit Kindern: Es sind 4 Erziehungsstile zu unterscheiden Ansprechbarkeit: Ausmaß an elterlicher Wärme, Unterstützung und Toleranz versus Zurückweisung und Gleichgültigkeit Anforderung: Ausmaß an elterlicher Kontrolle und Anforderung Erläuterung der 4 Erziehungsstile: Autoritativer Erziehungsstil: stellt hohe Anforderungen und bietet viel Unterstützung. Autoritative Eltern setzen ihren Kindern klare Normen und Grenzen u. achten streng auf deren Einhaltung; gleichzeitig gestehen sie ihren Kindern innerhalb dieser Grenzen beträchtliche Autonomie zu, sind aufmerksam und reagieren auf die Sorgen und Bedürfnisse ihrer Kinder, deren Perspektive sie Respektieren und berücksichtigen. Beispiel: Als Klaus Timos Spielzeug wegnimmt, nimmt ihn seine Mutter beiseite, weist darauf hin, dass das Spielzeug Timo gehört und das Klaus Timo verärgert hat. Sie erinnert ihn außerdem an ihre Regeln über das Wegnehmen von Sachen die einem nicht gehören. Sie fordert Timo auf, das Geschehende wieder in Ordnung zu bringen. Ihr Ton ist streng aber nicht feindlich. Sie wartet nun ab ob Klaus das Spielzeug zurückgibt. Autoritärer Erziehungsstil: stellt hohe Anforderungen und geht wenig auf die Kinder ein. Autoritäre Eltern reagieren nicht auf die Bedürfnisse ihrer Kinder u. neigen dazu, ihre Anforderungen durch die Ausübung von Gewalt und Drohungen sowie Strafen durchzusetzen. Sie orientieren sich an Gehorsam und Autorität und erwarten, dass sich Beispiel: ihre Kinder ihren Anforderungen ohne WENN und ABER , ohne Fragen u. Erklärungen fügen. Als Helen das Spielzeug von Mark wegnimmt kommt ihre Mutter dazu, nimmt ihren Arm und sagt mit wütender Stimme „Hab ich dich nicht gewarnt, anderer Leute Sachen wegzunehmen? Gib das sofort zurück oder es gibt heute Abend kein TV- ich hab es satt, dass du mir nicht gehorchst“ Permissiver Erziehungsstil: geht stark auf die Kinder ein und stellt wenig Anforderungen. Permissive Eltern reagieren auf die Bedürfnisse ihrer Kinder und verlangen nicht, dass sie sich selbst regulieren oder angemessen und vernünftig verhalten. Beispiel: Als Jörg das Spielzeug von Angie wegnimmt greift seine Mutter nicht ein. Sie mag es nicht ihren Sohn zu bestrafen, und versucht meistens nicht seine Handlungen zu steuern, auch wenn sie mit ihm in anderen Situationen sehr liebevoll umgeht. Zurückweisend-vernachlässigenderErziehungsstil: ein Erziehungsstil der durch geringe Anforderungen und geringe Ansprechbarkeit gekennzeichnet ist. Zurückweisend-vernachlässigende Eltern setzen dem Verhalten ihrer Kinder keine Grenzen und kontrollieren es auch nicht, bieten keine Unterstützung und weisen ihre Kinder manchmal zurück oder vernachlässigen sie. Die Eltern sind auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentriert und nicht auf die des Kindes. Beispiel: als Heike, das Spielzeug von Alfred wegnimmt achtet ihre Mutter nicht darauf, so wie sie es meistens tut. Sie ist generell nicht sehr an ihrem Kind interessiert und hätte es lieber, wenn ihr Mann sich damit befassen würde, Heike Grenzen zu setzen. Selbst wenn Heike sich anständig benimmt umarmt ihre Mutter sie selten oder spricht ihr oder ihrem Verhalten Anerkennung aus. Extrafamiliäres Unterstützungspotential Man kann verschiedene Formen extrafamiliärer Unterstützung unterscheiden: (a) Soziale Unterstützung (z.B. emotionale Unterstützung, Wertschätzung etc.) (b) Instrumentelle Unterstützung (Hilfe durch Beratung und Therapie, professionell oder paraprofessionell) (c) Aktive Unterstützung (aktive Hilfeleistung durch unterstützende Tätigkeiten) (d) Materielle Hilfe (durch Bereitstellung von Geld, Gütern oder Dienstleistungen) Problem: Aktive Unterstützung und materielle Hilfe können zu Abhängigkeiten der Familie führen, die neue Probleme nach sich ziehen können. Abschließende Bewertung: Familienentwicklung kann als Entwicklung eines Systems aufgefasst werden, die über verschiedene Entwicklungsstufen führt. Die Entwicklung eines Kindes kann als Teil der Familienentwicklung betrachtet werden. Viele individuelle Entwicklungsprobleme können besser verstanden werden, wenn sie vor dem Hintergrund des sozialen Systems betrachtet werden, in das sie eingebunden sind. Vergleich der wichtigsten Entwicklungstheorien (nach den Vergleichskriterien: Definition, Reversibilität, Anlage/Umwelt und Gegenstand ) Definition von Entwicklu ng Enge Definition (Stufenmodel l) Enge Definition (auf ein Endniveau gerichtet) Weite Definition Weite Definition Reversibilit ät von Entwicklun g Regression z.B. bei emotionaler Belastung Regression z.B. bei emotionaler Belastung Rolle von Anlage/ Umwelt Betonung der Anlage Evolutionär angelegte Verhaltensmuster Reversibilität von Lernen Reversibilität von Lernen Betonung der Umwelt Betonung der Umwelt Verhaltensentwicklung Sozialwendu ng des Verhaltens Kognitive Theorien Enge Definition Interaktion Kognitive Entwicklung Informationsverarbeitungsthe orien Familienentwick lungs- theorien Weite Definition Regression z.B. bei emotionaler Belastung Reversibilität von Lernen Interaktion Kognitive Entwicklung Psychoanalytisc he Theorien Psychobiologisc he Theorien Lerntheorien Sozialisationsth eorien Weite Definition Interaktion Veränderunge Betonung der n durch Umwelt Systemänderungen Gegenstan d der Entwicklun g Affektivemotionale Entwicklung Entwicklung sozialer Systeme Weitere Ordnungsmöglichkeit für die verschiedenen Entwicklungstheorien: UMWELT SUBJE Aktiv KT z.B. der Mensc Aktiv Interaktionistisch e Theorien Nicht Aktiv Selbstgestaltungstheori en Nicht aktiv Exogenistische Theorien Endogenistische Theorien 07 Frühkindliche Entwicklung Zentrale Entwicklungsprozesse: (a) Zellteilung , diese setzt sich kontinuierlich im Leben fort (b) Zellmigration – Zellen wandern an ihren Bestimmungsort (c) Zellspezialisierung (aus den ursprünglichen Stammzellen) Zellen sind dann für bestimmte Funktionen zuständig (d) Zellsterben (gezieltes Absterben bestimmter Zellen, die für die weitere Entwicklung des Organismus nicht mehr benötigt werden) z.B. Schwimmflossen zwischen den Fingern sterben ab, so dass man nachher einzelne Finger hat Embryonalzeit: Zeitpunkt Größe 6-8 mm 3.-8. Woche 2 cm 3. Monat Fötalzeit: Zeitpunkt 4. Monat Größe 9 cm 5. Monat 16 cm 6. Monat 25 cm 7. Monat 30 cm 8. Monat 35 cm 9. Monat 45 cm Geburt nach ca. 270 – 280 Tagen Physiologische und Verhaltensmerkmale Herzschlag, Niere entzieht Urin aus dem Blut, Gehirn gibt bereits Impulse, die die Funktion der anderen Organe und Feinmotorik koordinieren, isolierte Reflexe können ausgelöst werden. Physiologische und Verhaltensmerkmale Deutliche Individuelle Merkmale, recht aktiv, Stoßen der Beine, Kopfdrehen, Schließen der Finger, Drehen des Handgelenks, Zwinkern, Stirn in Falten ziehen, Öffnen und Schließen des Mundes Lebhaftere Reflexe, Bewegung ist von der Mutter spürbar Viel spontane Aktivität, Schlaf-Wachzeiten wie bei Neugeborenen, bevorzugte Lage und Schlafhaltung, außerhalb des Uterus kurze Überlebensmöglichkeit (mit Atmungsunterstützung) Augenbewegung bei geöffnetem Auge, Greifreflex. Kann eigenes Gewicht durch festhalten an einer Stange halten, leichte unregelmäßige Atembewegungen, Schluckauf Unabhängiges Überleben möglich, bei eventueller Geburt fähig zu Atmung, schreien, schlucken, aber infektionsanfällig und temperaturinstabil – Wärmezufuhr ist notwendig Sehr aktiv, hinreichend ausgereift, um überlebensfähig zu sein Überlebensfähig von 180 – 334 Tagen nach der Konzeption Je weiter der medizinische Fortschritt voranschreitet, desto eher ist ein Überleben des Kindes möglich! Zum Zeitpunkt der Geburt hat man etwa 100 Milliarden Neurone (wie auch beim Erwachsenen) Am Anfang entstehen mehr Synapsenbildungen als tatsächlich benötigt. Bei der Gehirnentwicklung entstehen zuerst die basalen Strukturen auch die Faltung nimmt im Laufe der Entwicklung zu. Teratogene, die die physische und psychische Entwicklung beeinträchtigen können: • Alkohol oder Drogen • Spezifische Medikamente (z.B. Contergan) • Starkes Rauchen • Umweltgifte oder Strahlenschäden • Infektionserkrankungen der Mutter In frühen Schwangerschaftsabschnitten stehen strukturelle Abnormitäten im Vordergrund, später Störungen der physiologischen und psychischen Funktionsentwicklung. Die Apgar Skala/Index Atmung Puls Grundtonus Aussehen Reflexe Nach der Geburt wird der Apgar Index erhoben um zu sehen, ob das Kind lebensfähig ist. Die Indikatoren die hier geprüft werden sind die Atmungsaktivität, Herzrate, Muskeltonus, Farbton und Reflexreize. Die Säuglingssterblichkeit im ersten Lebensjahr ist seit den 60 Jahren deutlich zurückgegangen. Auch im internationalen Vergleich liegt Deutschland sehr gut ( geringe Sterblichkeitsrate). Nach der Geburt ist eine der meistgefürchteten Gefahren der plötzliche Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS). Ursache noch nicht abschließend geklärt. Auslöser vermutlich: Plötzliche und anhaltende Atemunterbrechung, Fehlfunktion des Atemzentrums. Risikofaktoren: 1. Bereits aufgetretener lebensbedrohlicher Zustand 2. An SIDS verstorbenes Geschwisterkind (besonders bei Eineiigen Zwillingen) 3. Bauchlage beim Schlafen 4. Rauchen der Mutter 5. Verzicht auf Stillen des Kindes (Es gibt heutzutage Beatmungsmonitore für gefährdete Kinder – dieser wird den Babys um den Bauch gebunden und wenn die Atmung aussetzt gibt es einen Alarm.) Weiteres Entwicklungsrisiko: Frühgeburten bzw. ein Geburtsgewicht kleiner als 1500 Gramm Trotz zunehmender Fortschritte in der Intensivmedizin ist es nicht gelungen, spätere Entwicklungsdefizite vollständig zu vermeiden. Im folgenden Ergebnisse einer aktuellen Marburger Studie mit 81 überlebenden (von 92 frühgeborenen Kindern), die im Alter von fünf bis sechs Jahren nachuntersucht wurden. (Genaue Tabelle siehe Folien) Generell ist festzuhalten: Je kleiner/leichter das Kind bei der Geburt, desto geringer der IQ Je kleiner/leichter das Kind bei der Geburt, desto größer ist ein Einfluss auf die kognitive Entwicklung zu beobachten. Auch Komplikationen bei der Geburt wie zum Beispiel eine Hirnblutung und der Sozialstatus haben einen Einfluss auf die Intelligenz. Ebenso kann man festhalten, dass je leichter und kleiner ein Kind bei der Geburt, desto mehr steigt der Prozentsatz an frühgeborenen Kindern mit Behinderung. (einiges kann jedoch durch Fördermaßnahmen kompensiert werden). Physisches Wachstum Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen etwa gleich groß, danach werden die Mädchen von den Jungen überholt. Das stärkste Wachstum findet sich in den ersten Lebensjahren. Es nimmt dann ab und erhält einen neuen Schub in der Pubertät (zeitversetzt bei Jungen und Mädchen). In einer Studie wurden zwölfjährige schwedische Kinder von 1880 bis 1960 auf ihre Körpergröße untersucht. Erkennbar ist eine deutliche Zunahme der durchschnittlichen Körpergröße im Laufe der letzten 100 bis 120 Jahre. Wo liegen die Ursachen dafür? Antwort: 21. Genetische Ursachen 22. Ernährung Vergleicht man die Körpergrößen eines Achtjährigen in verschiedenen Ländern, so lassen sich daraus Hinweise auf genetische Unterschiede entnehmen. Auch Zwillingsstudien können als Beleg für genetische Einflüsse herangezogen werden. Aus Vergleichen der Körpergrößen von Kindern in Kriegsjahren (erster und zweiter Weltkrieg) mit Friedensjahren zeigt sich, dass neben der Genausstattung auch die Ernährung eine Rolle spielt. Weiterhin sind Wachstumshormone erforderlich, die ihrerseits durch eine Wechselwirkung von genetischer Ausstattung und Umweltbedingungen beeinflusst werden. Zusammenfassend dürfte das zunehmende durchschnittliche Größenwachstum innerhalb ethnischer Gruppen vor allem auf die bessere Ernährungslage zurückgehen, daneben gibt es auch ethnische Unterschiede, die in erster Linie genetisch bedingt sein dürften. Schlaf-Wach-Phasen Es gibt 3 wesentliche Schlaf-Wach-Zustände beim Neugeborenen: (a) ruhiger, tiefer Schlaf (b) aktiver, unruhiger Schlaf (Bewegungen, Lachen, Grimassen, schnelle Augenbewegungen, rapid eye movements, REM) REM Phasen nehmen über das Alter hin ab! (c) Wache Aufmerksamkeit (bester Zustand für aktives Lernen) Weitere Differenzierung der Schlaf-Wach- Zustände Regelmäßiger Schlaf: Geringer Muskeltonus, geringe motorische Aktivität, Augenlieder geschlossen und ruhig, regelmäßige Atmung Unregelmäßiger Schlaf: Leicht erhöhter Muskeltonus, häufiges Gesichtsgrimassieren, Lächeln, zuweilen REMs, unregelmäßige Atmung Schläfrigkeit: Übergangsstadium zwischen Schlaf und Wachen hinsichtlich der Aktivität, Augen sind offen, aber fixieren nicht, können auch kurz geschlossen sein, unregelmäßige Atmung Wache Inaktivität: Geringe Aktivität, Gesicht entspannt, Augen offen und hell, regelmäßige Atmung, Fäuste offen und entspannt Wachheit: häufige, diffuse, motorische Aktivität mit Vokalisationen, unregelmäßige Atmung Schreien: heftige motorische Aktivität, Gesichtsgrimassen, rote Haut, Augen offen oder leicht geschlossen, Schreivokalisationen Anzahl der Stunden, die Säuglinge mit drei und zwölf Monaten weinen (mit drei Monaten etwa 1.4 Std. pro Tag, mit einem Jahr etwa 1.0 Std. pro Tag, eigene Daten aus Protokollen über drei Tage) Hohe Stabilität über drei-Tages-Intervall (r=.41bei drei Monaten und r=.62 bei einem Jahr) Gleichzeitig sind die Kinder mit hohen Weinfrequenzen und Weindauern im Alter von drei Monaten auch diejenigen, die im Alter von einem Jahr mehr und häufiger weinen. Weindauer r=.51 Weinfrequenz r=.65 Also: Die gute Nachricht ist, dass das Weinen über das Alter abnimmt, die schlechte ist, dass ein Kind, das früh viel weint, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch später mehr weint. Die Art der Geburt hat einen Einfluss auf das Ausmaß des Weinens mit drei Monaten und einem Jahr Kinder die mit einem geplanten Kaiserschnitt zur Welt kamen weinen am wenigsten, danach kommen die Kinder die einen ungeplanten Kaiserschnitt hat, dachen die normale Geburt und am meisten schreien die Kinder, die mit der Zange zur Welt kamen. Weitere Einflussgrößen: • Koliken / Blähungen • Elterliche Sensitivität bei der Identifikation kindlicher Signale (z.B. beim Erkennen von Hungersignalen – tue ich als Mutter das richtige? Z.B. mein Kind weint und ich gebe ihm Milch – es hat aber gar keinen Hunger sondern ist müde) Gründe für Weinen: (u) Schmerz (v) Hunger (w) Müdigkeit 16. Langeweile 15. Unwohlsein Unterschiede in Stärke und Intonation/Klang des Weinens 08 Motorikentwicklung Die Grundlage der Entwicklung von Gehirn und Nervensystem und somit Voraussetzung dafür, dass Motorikentwicklung stattfinden kann sind: (a)Myelinisierung der Nervenbahnen (erhöht die Leitungsgeschwindigkeit und Reaktionsgeschwindigkeit) (b) Ausdifferenzierung der Nervenstruktur (c) Spezialisierung von Hirnarealen Entwicklungstrend bei der Myelinisierung: Encephalocaudale Richtung (d.h. vom Hirn zu den Extremitäten) Folge: Zunahme der Wahrnehmungsund Motorikleistungen folgt ebenfalls diesem Entwicklungstrend. Beispiel Motorik: Kopfheben, Koordination der Gesichtsmuskeln bereits sehr früh, koordinierte Steuerung der Hand- und Fussmuskulatur erst erheblich später. Ähnliches gilt für die Sensorik, wobei hier allerdings wesentliche Sinnesorgane ohnehin gehirnnah plaziert sind. Spezialisierung von Hirnarealen: Das ursprünglich weitgehend symmetrisch angelegte Gehirn übernimmt asymmetrisch bestimmte Funktionen (Phänomen der Hirnlateralisation, bis etwa zur Pubertät weitgehend abgeschlossen). Zum Beispiel ist die linke Hirnhälfte eher für die Sprachverarbeitung zuständig, die rechte Hirnhälfte eher musikalisch. Reflexe Definition: Reflexe: angeborene, festgefügte Handlungsmuster, die als Reaktion auf eine bestimmte Art der Reizung auftreten. Es gibt mehr als 50 Reflexe! Hier einige Beispiele: 17. Rooting – oder Such-Relflex 18. Saugreflex 19. Greifreflex 20. Schreitreflex 21. Schreck- oder Moro-Reflex Die Reflexe dienen der ersten Anpassung des Säuglings an seine Umgebung. Teilweise bilden sie die Basis für die folgende motorische Entwicklung, da auf die Reflexe aufgebaut wird. Ein Teil der Reflexe verschwindet wieder, ein Teil bleibt erhalten. Beispiele für Reflexe, die erhalten bleiben: • Rückziehreflex (bei schmerzhafter Berührung) • Blinzelreaktion / Augenschließen bei hellen Lichtreizen Beispiele für verschwindende Reflexe (zu definierten Zeitpunkten): Schreitreflex Schwimmreflex Moro-Reflex Verschwinden des Moro-Reflexes: Alter 1 Monat: 93 % der Kinder Alter 2 Monate: 89 % der Kinder Alter 3 Monate: 70 % der Kinder Alter 4 Monate: 59 % der Kinder Alter 5 Monate: 22 % der Kinder Alter 6 Monate: 0 % der Kinder Konsequenz: Mit spätestens sechs Monaten sollte der Moro-Reflex verschwunden sein. Ist er das nicht, kann das ein Hinweis auf ein neuronales Problem sein. Das Verschwinden des Schreitreflexes hat nichts mit der kortikalen Reifung zu tun sondern mit der Gewichtszunahme. Der Reflex bleibt prinzipiell erhalten, kann aber nicht mehr gezeigt werden, da das Kind dafür zu schwer ist. Hält man das Baby aber in Wasser zeigt es den Reflex wieder. Viele Reflexe sind Ausgangspunkt für komplexere motorische Abläufe. Beispiel Greifen: Ausgangspunkt: Greifreflex. Ausbau zu gezielter Greifbewegung. Die ursprüngliche Reflexbewegung wird in überformter Weise in einen Bewegungsablauf integriert. Teilweise dürften Reflexe das Lernen erleichtern, da sie bestimmte Abläufe vorprogrammieren (z.B. Schreitreflex und Gehen oder Schwimmreflex und Schwimmen). Möglicherweise Erklärung für das Phänomen, dass manche Bewegungsabläufe auch ohne ausgedehnte Lernerfahrungen schnell erlernbar sind. Allgemeines Prinzip der Motorikentwicklung: (a) Lernen einzelner Bewegungsabfolgen (b) Koordination einzelner Bewegungen (c) Integration in längere Kette (d) Zunehmende Automatisierung der Einzelabfolgen, schafft Kapazität für weiteres Lernen (e) Zunehmende Verfeinerung, Anpassung an spezifische Umgebungsbedingungen Greifen erfolgt zum Beispiel in folgender Reihenfolge: (x) Griff mit der ganzen Hand (y) Scherengriff (z) Pinzettengriff Entwicklung des Gehens: Aufbau von Motorikleistungen als Zusammenspiel von Reifung und Lernen zu verstehen. Ohne Reifungsgrundlagen kann Lernen nicht stattfinden. Teilweise ist nur minimales Lernen notwendig, wenn die Reifungsgrundlagen vorliegen. Spricht für vorgegebene Motorikprogramme, die möglicherweise teilweise bereits in den frühen Reflexen zum Ausdruck kommen. Dass die frühen Reflexe bei der Motorikentwicklung eine Rolle spielen könnten, zeigt ein Experiment, in dem Kinder systematisch trainiert wurden, den Laufreflex zu zeigen. Verglichen wurde mit einer Kontrollgruppe, bei der passive Übungen stattfanden (passives Bewegen der Beine) sowie mit einer weiteren Kontrollgruppe, bei der keine Intervention erfolgte. Ergebnis: Es zeigte sich nicht nur, dass die Kinder mit aktivem Reflex-Training den LaufReflex zunehmend häufiger zeigten (s. Graphik in Folien), sondern dass sie später auch früher Laufen lernten. Dies zeigt es gibt auch einen Zusammenhang zwischen Reflexen und späterem Verhalten. Beispiel für Zusammenspiel von Reifung und Lernen: Gehenlernen bei Wickelbrett-Kindern der Hopi- und Navajo-Indianer. Beschreibung der Wickelbrett-Nutzung: Die Kinder können den Körper nicht drehen und ihre Arme und Beine nicht frei bewegen. Nur der Kopf hat eine gewisse Bewegungsfreiheit, er ist aber meist zum Schutz vor Sonne und Fliegen mit einem Tuch abgedeckt. Das Brett liegt meistens auf dem Boden oder auf einem Bett. Es wird selten aufgestellt oder herumgetragen. Während der ersten drei Lebensmonate werden die Kinder nur zum Baden oder zum Wechseln der Windeln für ein paar Minuten losgebunden. Auch beim Stillen oder während des Schlafes befindet sich der Säugling auf dem Brett. Ab dem vierten Lebensmonat nimmt dann allmählich die tägliche Zeitdauer zu, in der sich der Säugling frei bewegen kann. Erst gegen Ende des ersten Lebensjahres wird schließlich das Brett überhaupt nicht mehr benutzt. Gibt es nun Unterschiede zwischen Hopi-Kindern mit und ohne Wickelbrett-Nutzung? Fazit: Es gibt kaum Unterschiede, schon minimale Umweltstimulation reicht aus, um die reifungsbedingten Anlagen zur Entfaltung zu bringen. Dennoch ist das Ausmaß der Umweltstimulation nicht irrelevant. Fehlen beispielsweise bestimmte Umweltstimulationen vollständig (wie beispielsweise die visuelle Erfahrung bei blindgeborenen Kindern), so hat dies Auswirkungen auf die Motorikentwicklung, die dadurch verzögert ist. Vergleicht man die Motorikentwicklung bei sehenden und blind geborenen Kindern so erhält man folgende Ergebnisse: Fazit: In allen Bereichen treten die Entwicklungen bei blind geborenen Kindern leicht bis deutlich verzögert auf, da die Koordination zwischen Motorik und Anforderungen der Umgebung erschwert ist. Aber: Durch ein spezielles Interventionsprogramm konnten die Defizite blind geborener Kinder teilweise wieder kompensiert werden (verstärkte Stimulation mit Objekten, Kopplung von Objekten mit auditiven Stimulationen etc.). Allgemein lässt sich festhalten, dass eine gewisse Umweltstimulation erforderlich ist, um die motorische Entwicklung, die überwiegend reifungsbedingt ist, zu unterstützen. 09 Sensorikentwicklung Allgemeines zur Sensorikentwicklung Bei Geburt sind alle Sinnesleistungen ausgebildet. Bereits vor der Geburt sind vorhanden: Tastsinn (Berührung), Geschmack, Gehör, Gesicht. Die Entwicklungsabfolge bei den Sinnesleistungen entspricht weitgehend der phylogenetischen Abfolge (niedere Tiere zu höheren). Aber wie kann man solche Sinnesleistungen nachweisen? Es gibt ein grundsätzliches Problem: Nachweisbarkeit von Wahrnehmungsleistungen, wenn keine Sprache vorliegt ist schwierig! Daher wird als Kriterium folgendes genutzt: Die allgemeine motorische bzw. physiologische Antwort auf Sinnesreizung, hierfür kann man folgende Methoden zur Prüfung der Wahrnehmungsleistung im Kindesalter nutzen: (a) Präferenzmethode (b) Habituationsmethode (c)Konditionierungsmethode (d) Überraschungsmethode Präferenzmethode z.B. wird diese Methode oft zur Überprüfung der visuellen Wahrnehmung genutzt. Gemessen wird, wie lange sich ein Objekt in der Pupille spiegelt, gemessen mit Blickbewegungskamera. Die Methode ist geeignet zur Erhebung der optischen Wahrnehmung (Abtasten von Reizen, Präferenz von Reizen bei Vorgabe mehrerer Reize). Weiterhin Möglichkeit zur Erhebung von Präferenzen durch Erfassung von Zu- und Abwendungsreaktionen (z.B. bei auditiven oder olfaktorischen Reizen) Kurz um: Wo wird wie lange hingeschaut? Oder wohin bewegt der Säugling bei auditiven Reizen seinen Kopf. Allgemein gesagt – was wird präferiert und was abgelehnt? Das kann man sehr gut am Verhalten des Säuglings erkennen. Habituationsmethode Auf einen neuen Reiz folgt eine Orientierungsreaktion (Hinwenden, Pupillenerweiterung, Blockierung von Alpha-Wellen, Herzschlagverlangsamung, Erhöhung der Hautleitfähigkeit). Bei Gewöhnung an den Reiz lässt die Orientierungsreaktion nach. Auftreten einer neuen Orientierungsreaktion nach Präsentation eines neuen Reizes als Indikator für Neuigkeitswert eines Reizes (auch: kann der Reiz überhaupt wahrgenommen werden, kann der Reiz von anderen Reizen unterschieden werden). Geeignet für verschiedene Sinnesmodalitäten (z.B. visuell, akustisch, olfaktorisch). Die durchschnittliche Herzrate bei einem Säugling liegt bei ca. 140 (viel höher als bei Erwachsenen) bekommen Säuglinge einen neuen Reiz präsentiert geht diese Rate runter. Beispiel der Habituationsmethode Konditionierungsmethode Geprüft wird, ob der Säugling eine konditionierte Reaktion auch bei anderem (ähnlichem) Stimulus zeigt. Beispiel: Saugreaktion bei Glockenton, wenn Glockenton mit Nahrungsgabe assoziiert ist. Wird die Saugreaktion auch bei verschiedenen Glockentönen gezeigt? Einsatz der Konditionierungsmethode, um die Reizdifferenzierungsfähigkeit von Säuglingen zu prüfen. Darüber hinaus Möglichkeit zur Prüfung von Reizschwellen (ab welcher Schwelle tritt die konditionierte Reaktion auf). Ein Problem könnte hier das der Generalisierung sein. Kann der Säugling schon differenzieren? Überraschungsmethode Geprüft wird, ob der Säugling auf die Darbietung eines „physikalisch unmöglichen" Reizes überrascht reagiert. Dadurch lässt sich feststellen, ob der Säugling elementare physikalische Gesetzmäßigkeiten kennt (z.B. dass ein springender Ball nicht in der Luft hängen bleiben kann oder dass ein fallender Stein nicht plötzlich wieder in die Höhe fliegt). Allgemeines zur visuellen Wahrnehmung beim Säugling Überwiegender Teil der Forschung zur sensorischen Wahrnehmung bezieht sich auf visuelle Wahrnehmung. Hauptsächlich genutzte Methode: Messung der Augenbewegungen. Neugeborene sehen ihre Umwelt noch recht verschwommen. Hier eine Erklärung dafür: Stelle des schärfsten Sehens (fovea centralis) ist in den ersten Monaten noch nicht voll entwickelt. Diese Stelle ist bei Erwachsenen dicht mit schlanken Zapfen besetzt, während beim Neugeborenen kurze und dicke Zapfen vorliegen, die eine geringere Auflösung zulassen. Hinzu kommt, dass auch die Akkommodationsleistung der Linse im Neugeborenenalter unzureichend ist. Man kann das Auflösungsvermögen eines Säuglings bestimmen. So wird ihm ein Streifenmuster gezeigt und eine graue Fläche von gleicher Größe und Helligkeit. Dabei wird die Breite der Streifen variiert. Besonders enge Streifen werden von dem Säugling meistens als graue Fläche wahrgenommen. Sobald die Breite der Streifen eine bestimmte Größe annehmen, kann er diese auch als Streifen erkennen und Säuglinge präferieren Streifenmuster gegenüber einer grauen Fläche. D.h. man würde nun am Verhalten erkennen, dass der Säugling die Streifen wahrnimmt, da er diese länger anschaut. Das Auflösungsvermögen korrespondiert mit der Fähigkeit zur Wahrnehmung von Kontrasten in Mustern. Beispiel: Schachbrettmuster Jüngere Kinder präferieren einfache Schachbrettmuster Jüngere Säuglinge präferieren einfachere Muster! Aber warum? Säuglinge präferieren das kontrastreichere Muster und dies ist das einfache Muster, da bei einem komplexen Muster das Auflösungsvermögen nicht ausreicht, um überhaupt Kontraste zu erkennen. Die Präferenz weist also auf das Auflösungsvermögen hin. Abtastverhalten bei Säuglingen Hier am Sinuskurve Erklärung für Beispiel einer die Defizite beim Abtastverhalten: Das teilweise recht unsystematische Abtasten kann Folge des mangelnden visuellen Auflösungsvermögens sein. Es ist aber darüber hinaus möglich, dass noch kein Plan für ein systematisches Mustererkennen vorliegt: Da das Muster ohnehin nichtssagend ist, sind alle Bildteile gleich wichtig oder unwichtig, es wird nicht systematisch versucht, etwas zu erkennen. Dies gilt z.B. für Form- oder Musterwahrnehmungen (wie dem Abtasten eines Dreiecks). Mit der Verbesserung des Abtastverhaltens und des visuellen Auflösungsvermögens kommt es zu einer zunehmenden Integration von Musterelementen zu Gesamtmustern. Beispielsweise können Kinder mit drei Monaten sogar schon subjektiv begrenzte Muster erkennen. Wie lässt sich dies feststellen? Nutzung des Habituations-Dishabituations-Paradigmas: Drei-Monate-alten Säuglingen wird sechs Mal ein Quadrat präsentiert. Danach folgt eines der Diagramme A bis D. Die Säuglinge schauten länger, wenn die Diagramme B bis D folgten. Erklärung: Diagramm A erscheint vertraut, deshalb wird weniger geschaut. Dieser Muster-Ergänzungseffekt lässt sich auch bei bewegten Mustern erkennen. Der Stab, der sich hinter dem Quader hin- und herbewegt, wird später wieder erkannt, wenn er zusammen mit zwei einzelnen Teilstäben dargeboten wird. Nach der Habituationsphase werden die beiden Teilstäbe präferiert (bei vier Monate alten Säuglingen). Mit zwölf Monaten sind bereits noch komplexere Integrationsleistungen möglich. Die Kinder wurden an Motoradabbildungen habituiert, bei denen 33%, 50% oder 66% der Ausgangszeichnung fehlte. Danach wurde das komplette Motorrad zusammen mit einer anderen Zeichnung präsentiert. Die Kinder präferierten die neue Zeichnung, wodurch sich zeigt, dass sie die andere Abbildung als bereits bekannt registriert hatten. Musterpräferenzen Entscheidend sind für Kinder hierbei 3 Merkmale: (aa) (bb) (cc) Komplexität Symmetrie Konturen Komplexität (mit zunehmendem Alter werden komplexere Muster präferiert, bei Schachbrettmustern präferieren Säuglinge mit einem Monat 2x2 Muster, mit zwei Monaten 8x8 Muster und mit drei Monaten 24x24 Muster). Symmetrie (Kinder zeigen schon mit vier Monaten Präferenz für symmetrische Muster, könnte gleichzeitig die Präferenz für Gesichter erklären, da auch hier in der Regel Symmetrien vorliegen. Bei Kontrolle der Symmetrie zeigte sich jedoch, dass die Gesichtspräferenz dadurch nicht vollständig erklärbar ist). Konturen (Säuglinge präferieren die äußeren Konturen eines Objektes und beachten sie bevorzugt, weiterhin Präferenz von kurvilinearen Mustern vor geradlinigen Mustern sowie Präferenz von bewegten Mustern vor statischen Mustern). Allgemein gilt ein mittleres Ausmaß an Stimulation als günstig für die Entwicklung des Säuglings. (Daher ist es wichtig bei Säuglingen mit bewegten Mustern zu arbeiten, wenn man ihre Aufmerksamkeit erregen möchte) Tiefenwahrnehmung Das Phänomen der Formkonstanz Bereits in der ersten Lebenswoche sind Säuglinge in der Lage, die Größe eines Objektes als stabil (unabhängig von der Größe seiner Abbildung auf der Retina) zu sehen. Wie lässt sich dies zeigen? Auch hier Nutzung des Habituations-Dishabituations- Paradigmas: Die Säuglinge werden an ein Objekt habituiert. Danach wird ein neuer (größerer) Stimulus in einem Abstand präsentiert, der zu einer gleich großen Retina-Abbildung führt. Ergebnis: Die Säuglinge betrachten den neuen Stimulus länger, was zeigt, dass sie den neuen Stimulus als größer wahrnehmen, obwohl er auf der Retina gleich groß abgebildet wird Die Nutzung von Tiefengradienten Einsatz einer visuellen Klippe. Kind befindet sich vor einem Abgrund, der mit einer Glasplatte abgedeckt ist. Die durch die Entfernung kleiner wirkenden Quadrate im Abgrund wirken als Tiefencues. Frage: Wird die Tiefe wahrgenommen und weigert sich das Kind (trotz Lockens durch die Mutter) die Glasplatte zu betreten? Bereits im Alter von sechs Monaten sind Kinder nicht mehr zu bewegen, auf die Glasplatte zu kriechen. Die Tiefenwahrnehmung liegt daher bereits sehr früh vor. Problem dabei: Es bleibt unklar, ob Tiefenwahrnehmung bereits früher vorliegt, da jüngere Kinder ohnehin wegen mangelnder Krabbelfähigkeiten nicht auf die Platte kriechen könnten. Ausweg: Säuglinge auf die Glasplatte ziehen und physiologische Reaktionen messen (Hautwiderstand, EKG). Hier zeigt sich, dass bereits wesentlich jüngere Kinder (im Alter von zwei bis drei Monaten) reagieren. Aber: Die Überraschung ist, dass die Herzrate auf der tiefen Seite nicht ansteigt, sondern sinkt. Sinkende Herzrate spricht für erhöhte Aufmerksamkeit und erhöhtes Interesse, nicht aber für erhöhte Angst. Dies wird bestätigt durch einen Vergleich der Herzraten von 5 und 9 Monate alten Säuglingen. Auch hier: bei den jüngeren Säuglingen sinkt die Rate, bei den älteren steigt sie aber (hier scheint also Angst im Spiel zu sein). Daraus folgt, dass die Reaktion auf Tiefe nicht angeboren ist (wie bei beispielsweise bei Küken, die vom ersten Tag an die Tiefe meiden), sondern dass sie im Zusammenhang mit der Motorikentwicklung (also Krabbeln und Laufen) gelernt wird. Weitere Variante zur Erhebung der Fähigkeit zur Nutzung von Tiefencues: Trapezförmiges Gitter. (Dem Kind wird ein Auge zugeklebt) Ausgangspunkt der Überlegungen: Kinder wollen Objekte haben, die vor ihnen plaziert werden, d.h. sie werden nach ihnen greifen. Bei einem trapezförmigen Gegenstand (einäugig im Winkel von 45 Grad betrachtet) erscheint das längere Ende näher und das kürzere weiter entfernt. Ergebnis: Jüngere Kinder (unter sechs Monaten) zeigen noch keine eindeutige Tendenz, zum längeren Ende zu greifen. Erst die älteren Kinder zeigen eine eindeutige Tendenz zum längeren Trapezende. Folgerung: Eine systematische Nutzung von Tiefencues findet sich erst bei älteren Säuglingen (ab etwa sechs Monaten). Dies ist weitgehend mit den Untersuchungen zur visuellen Klippe kompatibel. Aber: Wenn Widersprüche hinsichtlich der Altersangaben auftreten, lassen sie sich vermutlich dadurch erklären, dass die Tiefencues sukzessiv erworben werden, indem einige Lernerfahrungen früher erfolgen, andere später. Einigkeit besteht darüber, dass zumindest im Alter von 5-6 Monaten (wenn Kinder anfangen zu krabbeln) nahezu alle Tiefencues verfügbar sind. Emotionswahrnehmung Säuglinge können nicht nur Emotionen zeigen, sondern sie auch verstehen. Schon im Alter von vier Monaten können Säuglinge verschiedene Emotionen differenzieren. Dazu wurden Säuglinge im Alter von vier bis sechs Monaten Dias gezeigt, die Erwachsenengesichter mit unterschiedlichen Emotionen zeigten (Freude, Ärger, neutraler Gesichtsausdruck). Ergebnis: Die Säuglinge schauten länger auf die Gesichter mit dem Ausdruck von Freude, differenzierten aber noch nicht zwischen den anderen Ausdrücken. Das Erkennen positiver Emotionen erfolgt also zeitlich vor dem differenzierten Erkennen negativer Emotionen. Kleinkinder können nicht nur Emotionen erkennen, sondern sich auch davon anstecken zu lassen (beispielsweise indem sie lachen, wenn andere lachen und ebenso weinen, wenn andere weinen). Möglicherweise ist dies als eine frühe Form der Empathie zu interpretieren, obwohl ein kognitives Verständnis für die Lage des anderen allerdings noch fehlt. Wahrscheinlicher ist jedoch der Erklärungsversuch, dass Spiegelneurone aktiviert werden und Kinder daher dies Verhalten zeigen. Auditive Wahrnehmung Bereits vorgeburtlich sind Kinder in der Lage, auf Geräusche zu reagieren. Wenn beispielsweise ein lauter, hochfrequenter Ton nahe am Bauch einer Schwangeren auftritt, steigt die Herzschlagfrequenz des Fötus. Säuglinge können schon vier Tage nach der Geburt Stimme der Mutter von anderen Stimmen unterscheiden. Nachweis durch Saugreaktion des Säuglings bei unterschiedlichen Stimmen. Säuglinge bestimmen durch ihren Saugrhythmus, ob ihnen die Stimme der Mutteroder eine andere Stimme vorgespielt wird. Diese Bevorzugung gilt nicht für die Stimme des Vaters im Vergleich zu fremden Männern (auch wenn sie den Vater in den ersten zwei Wochen gleich häufig gehört hatten wie die Mutter). Daraus folgt, dass vermutlich schon vorgeburtliche Erfahrungen mit der Stimme der Mutter bestehen, die die spätere Präferenz für die Stimme der Mutter mitbestimmen. Um dies zu prüfen, wurden Mütter gebeten, in den letzten sechs Schwangerschaftswochen eine kurze Geschichte zweimal am Tag laut zu lesen. Nach der Geburt konnten die Kinder durch bestimmte Saugfrequenzen entscheiden, ob sie diese oder eine andere Geschichte präferieren. Ergebnis war eine deutliche Präferenz der Kinder für die bekannte Geschichte. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch, wenn Kindern wenige Tage nach der Geburt Geschichten in der Muttersprache und einer Fremdsprache vorgelesen werden (von derselben Person). Die Kinder präferieren auch dann schon die Muttersprache (spricht ebenfalls für vorgeburtliche Einflüsse). Weitere Präferenzen bestehen für hohe Töne (bei Geräuschen oder der menschlichen Stimme) gegenüber niedrigen Tönen. Die hohen Töne wirken dabei darüber hinaus beruhigend auf den Säugling, niedrige Töne dagegen erregend (Bezug zu Baby talk). Weiterhin können bestimmte Rhythmen (wie der Herzschlag) eine beruhigende Wirkung auf Säuglinge haben. Dies könnte der Grund sein, weshalb sich auch in der Sprache mit Säuglingen und in Kinderliedern viele rhythmische Elemente finden. Geschmackswahrnehmung Schon Neugeborene sind in der Lage, die wichtigsten Geschmacksrichtungen (süß, sauer, salzig und bitter) zu unterscheiden. Unterscheidungsfähigkeit lässt sich anhand der mimischen Reaktionen prüfen. Intermodale Wahrnehmung Information wird häufig kombiniert über verschiedene Wahrnehmungskanäle hinweg (z.B. haptische mit visueller Information). Schon Neugeborene scheinen zur Integration der Information aus verschiedenen Sinneskanälen in der Lage zu sein. Beispielsweise wenden sie sich einer Lautquelle zu und versuchen danach zu greifen. Integration von haptischer und visueller Information II: Können Säuglinge einen Schnuller visuell identifizieren, an dem sie zuvor nur gelutscht haben? 64 Säuglinge im Alter von einem Monat lutschten zunächst an einem Schnuller, den sie nicht sehen konnten. Danach wurden ihnen zwei Schnuller gezeigt. 72% der Säuglinge betrachteten den Schnuller länger, an dem sie zuvor gesaugt hatten. Normalerweise würde man das umgekehrte Ergebnis erwarten (der neue Reiz sollte interessanter sein als der alte) – dies Ergebnis wird aber damit erklärt, dass die Habituationsphase noch nicht abgeschlossen war. Da die Rate insg. aber über 50% liegt hat man dennoch ein eindeutiges Ergebnis. Integration von visueller und auditiver Information: Kinder bekommen parallel zwei Videos präsentiert (a) ein Zug nähert sich (b) ein Zug entfernt sich Die Videos werden acht Mal präsentiert. In der Hälfte der Fälle wird das Geräusch lauter, in der anderen Hälfte wird das Geräusch leiser. Wenn die Säuglinge Bild und Geräusch integrieren können, sollten sie bei lauter werdendem Geräusch auf den näherkommenden Zug schauen, im anderen Fall auf den sich entfernenden Zug. In einer Kontrollbedingung fuhr ein Zug vom oberen zum unteren Bildrand bzw. umgekehrt. Hier gab es keine sinnvolle Verknüpfung zwischen Bild und Geräusch. Die Säuglinge dürften in ihrem Blickverhalten hier lediglich auf dem Zufallsniveau liegen (p=.50). Die Ergebnisse zeigen, dass die fünf Monate alten Säuglinge in der ersten Bedingung überzufällig häufig (p=.65) die korrekte Assoziation zwischen Bild und Ton bilden, in der zweiten Bedingung jedoch erwartungskonform auf dem Zufallsniveau bleiben. Fazit: Intermodale Wahrnehmung besteht bei Teilfähigkeiten bereits von der Geburt an und entwickelt sich in den nächsten Monaten weiter, wobei insbesondere auch die Erfahrung (z.B die Assoziation von Gegenstand und zugehörigem Geräusch) eine Rolle spielt. Interdependenzen zwischen Wahrnehmungs- und Motorikentwicklung Wahrnehmungs- und Motorikentwicklung sind wechselseitig aufeinander bezogen und werden wechselseitig gehemmt, wenn Einschränkungen stattfinden. Durchführung von Tierversuchen, um die Wirkung von Motorikeinschränkungen auf die Wahrnehmung zu zeigen. Experiment: Katzen bis zum Alter von 8 bis 12 Wochen in Dunkelheit aufgezogen, dann zwei Gruppen: Aktive Katzen, die laufen können, und passive Katzen, die durch die aktiven Katzen bewegt werden. Die Wahrnehmungserfahrung ist für beide Katzen identisch, nur die motorische Erfahrung ist unterschiedlich. Ergebnis: Deutliche Effekte der Motorikeinschränkung auf Wahrnehmungsentwicklung. Kriterium: Verschiedene Wahrnehmungstests (u.a. visuelle Klippe, wo aktive Katzen die Klippe vermieden, passive nicht). Die Defizite konnten ausgeglichen werden, sobald die Katzen sich frei bewegen konnten. Bei der Tiefenwahrnehmung ist es allerdings nicht notwendig, dass Bewegung selbst produziert ist. Auch wahrgenommene Bewegung verbessert die Tiefenwahrnehmung. Experiment: Katzen sehen unbewegliche, stimulationsarme Umgebung versus bewegliche, stimulationsreiche Umgebung (drei Stunden pro Tag, sonst in Dunkelheit). Ergebnis: Probleme bei der Tiefenwahrnehmung treten vor allem bei den Katzen auf, die zuvor keine Stimulation erhalten hatten. Die Motorik trägt also hauptsächlich dazu bei, die Stimulation zu erhöhen. Wenn die Motorik eingeschränkt ist, aber anderweitig ausreichend Stimulation geboten ist, kann dies die Effekte der Motorikeinschränkung kompensieren. Übertragen auf die Säuglinge mit Wickelbrett bei den Hopi-Indianern: Dies sollte solange für die Wahrnehmungsentwicklung irrelevant sein, wie ausreichend Stimulation durch (passives) Herumtragen geboten wird. 10 Soziale Entwicklung: Frühe Eltern-Kind-Interaktion Mit der frühen sozialen Entwicklung haben sich vor allem Ethologen (Verhaltensforscher) beschäftigt. Grund: Frühe Verhaltensweisen des Kindes sind wahrscheinlich weniger durch Lernen zustande gekommen, da noch wenig Lernerfahrungen möglich waren. Frühes Verhalten ist vermutlich eher im Laufe der Evolution entstanden und biologisch festgelegt. Danach besitzt bereits der Säugling recht hohe sozial-kommunikative Fähigkeiten. Die Aufgabe der Eltern ist es, sich diesen Fähigkeiten entsprechend zu verhalten. Annahme: Komplementär zu dem angeborenen Verhaltensprogramm des Kindes existiert ein Verhaltensmuster der Eltern, das ebenfalls evolutionsbiologisch geprägt ist und die Anpassung an die Interaktionsbedürfnisse des Kindes gewährleistet. Dies ermöglicht den Kindern, frühe Lernerfahrungen zu machen und schafft Voraussetzungen für eine Bindung an die Eltern. Spezifische Bindung an die Eltern erfolgt erst ab einem Alter von etwa 6 bis 8 Monaten. Darauf wird in der folgenden Sitzung näher eingegangen. Heute stehen die vorausgehenden Monate im Mittelpunkt und die frühe Eltern-Kind-Interaktion (als Voraussetzung für die spätere Bindung). Das Phänomen des Bonding Bonding bezeichnet (in Abgrenzung zur Bindung) die emotionale Bindung der Eltern an das Kind. Es wird angenommen, dass ein früher Erstkontakt (unmittelbar nach der Geburt) den Eltern die Aufnahme einer Beziehung zum Kind erleichtert. Beispielsweise konnte mittels Studien gezeigt werden, dass Mütter mit zusätzlichem Frühkontakt mit ihren Neugeborenen in den folgenden Wochen tendenzmäßig mehr Interaktion mit direktem Blickkontakt (face-to-faceInteraktionen) mit ihren Säuglingen hatten, wobei die Unterschiede jedoch nicht lange anhielten. Die Ergebnisse derartiger Studien waren von großer praktischer Bedeutung und führten zu folgendem: • mehr Zurückhaltung im Einsatz von Betäubungsmitteln bei der Geburt • Erlaubnis der Anwesenheit des Vaters bei der Geburt • Wohnliche Gestaltung des Umfeldes der Geburt • Belassen des Kindes bei der Mutter nach der Geburt • Tagsüber Unterbringung des Kindes im Zimmer der Mutter (rooming in) • Besuch (auch von Geschwistern) ist willkommen Soziale Fertigkeiten des Säuglings Ein Säugling verfügt ab dem Zeitpunkt seiner Geburt über soziale Fertigkeiten wie: 16. Lachen 17. Weinen 18. Imitation 19. Fähigkeit zum Blickkontakt Lächeln Lächelreaktionen sind ein wichtiger Bestandteil des Zustandekommens von Bonding und Bindung. Daher treten schon früh Lächelreaktion (bereits im ersten Lebensmonat) auf. Allerdings zunächst nicht-sozial: Auch durch nichtsoziale Stimuli auslösbar, nicht auf spezifische Person bezogen. Später (mit ca. 2-3 Monaten) findet ein soziales (echtes) Lächeln satt, das spezifisch auf bestimmte Personen bezogen ist und durch spezifische Interaktionsmuster ausgelöst wird. Weinen Wichtigstes Signal im Säuglingsalter, das emotionale Zuwendung selbst bei Personen bewirkt, die keine persönliche Beziehung zu dem Kind haben. Bezugspersonen, in erster Linie die Mutter, reagieren besonders stark mit Zuwendung und Kontaktverhalten. Setzen dabei immer wieder andere Verhaltensweisen ein, bis der Säugling zu weinen aufhört. Die hauptsächlich zu beobachtenden tröstenden Verhaltensmuster sind Auf-den-Arm- Nehmen, An-sich-Drücken, Stillen, Schaukeln, beruhigendes Sprechen. Wichtigste Gründe für das Weinen: (a) Krankheiten (vor allem Blähungen) (b) Hunger (c) Müdigkeit (d) Langeweile Den meisten Eltern gelingt es, zumindest Schmerz- und Hungerschreie beim Säugling zu unterscheiden und dadurch differenziert auf die Signale des Säuglings zu reagieren. Bei der Reaktion auf den weinenden Säugling sind teilweise Verunsicherungen der Eltern erkennbar. Die spontane Zuwendung, um das Kind zu beruhigen, wird oft durch rationales Handeln ersetzt. Folge: Das Kind wird nicht gleich auf den Arm genommen, um es nicht zu verwöhnen. Aber glauben Eltern ihr Kind mit solch einem Verhalten zu verwöhnen? Begründungen kommen aus lerntheoretischen Ansätzen, die in unzulässiger Weise auf die frühe Mutter-Kind-Interaktion angewandt werden. Wenn auch sonst häufig ein Verhalten durch den Erfolg verstärkt wird, so gilt das nicht für das Weinen des sehr jungen Säuglings. Es gibt Studien, die nachweisen, dass Säuglinge, deren Weinen in den ersten Lebensmonaten nicht oder verzögert beantwortet wurde, gegen Ende des ersten Lebensjahres mehr weinen als Säuglinge, auf die immer unmittelbar eingegangen wurde. Es ist also wichtig, das Weinen des Säuglings als Signal zu verstehen und es prompt und angemessen zu beantworten. Frühkindliche Imitation Schon im Alter von wenigen Tagen sind Säuglinge zu Imitationsleistungen in der Lage. Die Häufigkeit von Imitationen nimmt zwischen dem dritten und sechsten Monat wieder ab, um danach erneut wieder zuzunehmen. Gerade die frühen Imitationsleistungen werden von den Eltern als ein Versuch der Kontaktaufnahme bewertet und können zur Bindung der Eltern an das Kind beitragen. Frühkindliche Imitation erfolgt jedoch noch nicht bewusst sondern wird durch Spiegelneurone ausgelöst. Fähigkeit zum Blickkontakt Schon das Neugeborene bringt Fähigkeiten zur Gesicht- zu- Gesicht-Interaktion mit, indem es seinen Kopf der menschlichen Stimme zudreht und das Gesicht der Mutter visuell fixiert, auch bevor ihm exaktes Sehen möglich ist. Sogar blindgeborene Kinder führen diese Fixierbewegung aus. Die Eltern interpretieren diese Kopfzuwendung, ebenso wie das noch reflektorische (endogene) Lächeln des Neugeborenen und seine Imitationsversuche als einen Versuch zur Kommunikation. Die früh angelegten Gesicht-zu-Gesicht-Interaktionen sind ein Hauptbestandteil der sozialen Kommunikation zwischen Bezugsperson und Säugling. Beide Partner trachten dabei danach, vom anderen Augenkontakt, Vokalisation und Lächelreaktionen zu erhalten. Die gegenseitige Beeinflussung und das feine Zusammenspiel solcher Signale zwischen den Partnern zeigen sich in Kulturvergleichen überall auf der Welt und können als universell und damit wahrscheinlich biologisch prädisponiert aufgefasst werden. Das Zusammenspiel von Eltern und Kind zeigt sich besonders gut bei Vokalisationen. Kleinkinder vokalisieren nicht, während die Eltern zu ihnen sprechen. Wenn die Eltern aber schweigen, produzieren die Kinder entsprechend viele positive oder negative Laute. Obwohl noch keine verbalen Dialoge geführt werden können, zeigen die Verhaltensmuster dennoch schon früh eine dialogische Struktur. Das intuitive Elternprogramm Nachdem bisher vor allem auf die kommunikativen Kompetenzen des Kindes eingegangen wurde, soll im folgenden das Verhalten der Eltern im Vordergrund stehen. In den letzten Jahren konnte eine Reihe von Verhaltensbestandteilen identifiziert werden, die nahezu universell auftreten und von denen daher angenommen werden kann, dass sie Bestandteile eines evolutionär angelegten Verhaltensprogrammes sind. Zu den wichtigsten Bestandteilen dieses Verhaltensprogrammes, das auch als intuitives Elternprogramm bezeichnet wird, gehören folgende Elternverhaltensweisen: (a) Das Einhalten eines optimalen Reaktions-Zeitfensters (b) Das verbale und präverbale Verhalten der Eltern (c) Das Herstellen und Aufrechterhalten von Blickkontakt und Einhalten eines optimalen räumlichen Abstandes (d) Regulation des Wachheits- und Erregungszustandes (a) Das Einhalten eines optimalen Reaktions-Zeitfensters Sich als Verursacher erleben zu können, der etwas bewirkt, setzt voraus, dass es dem Kind gelingt, Konsequenzen eigenen Handelns zu erkennen. Ereignisse können vom Kind aber nur als Konsequenzen eigenen Verhaltens wahrgenommen werden, wenn sie innerhalb einer gewissen zeitlichen Kontingenz auftauchen. Dem Einhalten zeitlicher Kontingenzen durch die Eltern kommt daher ein zentraler Stellenwert innerhalb des intuitiven Elternprogramms zu. Beispiel: Ein Hund macht etwas Falsches! Man muss ihn dafür sofort bestrafen und nicht eine Stunde später, denn sonst kann er keinen Zusammenhang herstellen zwischen dem falschen Verhalten und der Konsequenz. Eine Reihe neuerer Studien konnte zeigen, dass die Wahrnehmung von Kontingenzen nur bis zu einem Zeitfenster von etwa einer Sekunde anzunehmen ist. Das typische Elternverhalten entspricht diesem Zeitfenster. Eltern reagieren typischerweise in einem Latenzbereich von 200 bis 800msec auf den Säugling und ermöglichen ihm dadurch eine Kontingenzwahrnehmung. Dieses Zeitfenster liegt oberhalb der Reflexgrenze, aber auch unterhalb des Grenzbereichs, ab dem bewusst überlegte Reaktionen erfolgen. Die geringe zeitliche Latenz weist damit darauf hin, dass hier offenbar ein intuitives (und über weite Strecken nicht bewusst reflektiertes) Elternverhalten vorliegen muss. Daher stammt der Begriff des intuitiven Elternprogramms. (b) Das verbale und präverbale Verhalten der Eltern Bereits in der Stillsituation wird eine Verhaltensstrukturierung durch die Mutter sichtbar, die an eine frühe Dialogstruktur erinnert. Diese Strukturierung dient der Vorbereitung des diachronen Charakters der späteren verbalen Kommunikation. Noch deutlicher zeigt sich die Vorbereitung der verbalen Kommunikation an dem "baby talk" der Eltern, bei dem auf kindliche Vokalisationen mit hoher Stimme in übertriebener Intonation reagiert wird. Häufig werden dabei Worte wiederholt, so dass dem Säugling eine ideale Einübung sprachlicher Kommunikation ermöglicht wird. Der "baby talk" wird in der Interaktion mit einem Säugling aktualisiert und läuft (wie die übrigen Bestandteile des intuitiven Elternprogrammes) weitgehend intuitiv ab. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass eine bewusste Simulation des "baby talk" bei Abwesenheit von Säuglingen nur unzureichend gelingt. Die Bemühungen der Eltern, die sprachlichen Kompetenzen ihres Säuglings zu fördern, werden auch als intuitive Didaktik zusammengefasst. Selbst kleine Kinder (z.B. 5 Jahre alt) zeigen den „baby talk“. (c) Das Herstellen und Aufrechterhalten von Blickkontakt und Einhalten eines optimalen räumlichen Abstandes Neben dem Säugling selbst bemühen sich auch die Eltern, Blickkontakt herzustellen. Dies zeigt sich besonders deutlich an der Häufigkeit, mit der Eltern den Augengruß zur Herstellung von Blickkontakt einsetzen. Es handelt sich dabei um eine Verhaltensuniversalie, die durch Heben des Kopfes und Hochziehen der Augenbrauen charakterisiert ist. Neben der Häufigkeit des Einsatzes fällt hierbei auch die übertrieben langsame Ausführung auf, die dem Säugling das Erkennen erleichtern soll. Da das visuelle System des Säuglings noch unzureichend ausgebildet ist, soll es einen Bereich geben, in dem der Säugling seine optimale Sehschärfe erreicht. Dieser Bereich liegt in einem Abstand von 20 bis 25 cm, da in dieser Distanz keine Linsenkontraktion erforderlich ist. Es konnte gezeigt werden, dass Eltern intuitiv diesen Abstand bei ihrem Kind einhalten. Interessant ist dabei, dass dies unabhängig von den bewussten Äußerungen der Eltern über die Sehfähigkeiten ihrer Kinder geschieht: Selbst wenn sie der bewussten Ansicht sind, ihr Kind könnte in einem anderen Abstand optimal erkennen, halten sie diesen Abstand ein. (d) Regulation des Wachheits- und Erregungszustandes Die Eltern aktivieren den Aufmerksamkeitsstatus des Kindes und halten ihn aufrecht, um ihm Lernerfahrungen zu erleichtern. Sie regulieren dabei das Ausmaß der erforderlichen Stimulation und vermeiden nach Möglichkeit Über- und Unterstimulation. Wenn die Erregung des Kindes zu hoch geworden ist, setzen sie Maßnahmen ein, um ein optimales Erregungsniveau wiederherzustellen. Sie nutzen dabei auch Prüfroutinen (wie die Prüfung des Muskeltonus), um den Aktivierungszustand des Kindes festzustellen. Zusammenfassend sind die Eltern also ohne bewusste Absicht in der Lage, ihr Verhalten auf die Bedürfnisse des Säuglings abzustimmen und dadurch eine Reihe didaktischer Funktionen zu erfüllen: (a)Hilfe bei der Erfahrung von Kausalität durch das kontingente Reagieren (b)Hilfe bei der Lautbildung als Vorstufe des Spracherwerbs (c)Hilfe bei der Informationsaufnahme durch eine Optimierung der Bereitstellung von Informationen (d) Hilfe bei der Verhaltensregulation Die zentralen Komponenten des intuitiven Elternprogramms wie, (a) Das Einhalten eines optimalen Reaktions-Zeitfensters (b) Das verbale und präverbale Verhalten der Eltern (c) Das Herstellen und Aufrechterhalten von Blickkontakt und Einhalten eines optimalen räumlichen Abstandes (d) Regulation des Wachheits- und Erregungszustandes sind alles face to face Interaktionen, die eine didaktische Funktion haben und schließlich zu kognitiven und sozialen Entwicklungsergebnissen beim Kind führen. z.B. in Afrika u. Asien z.B. in den USA u. Deutschland Ein Untersuchungsbeispiel zur frühen Eltern-Kind-Interaktion Ausgangspunkt der Überlegungen: Weite Teile des intuitiven Elternprogramms laufen vorbewusst und ohne bewusste Reflektion ab. Je stärker das eigene Handeln reflektiert wird, desto eher ist davon auszugehen, dass das intuitiv vorhandene Programm verändert und überlagert wird. Es wird daher davon ausgegangen, dass ein hoher Reflexionsgrad der Verwirklichung des intuitiven Elternprogramms entgegensteht. Die Folge wäre dann längerfristig eine höhere Problembelastung seitens der Kinder. Die zentrale Annahme, von der im folgenden ausgegangen wird, besteht darin, dass eine erhöhte Verhaltensreflexion seitens der Eltern die Realisierung des intuitiven Elternprogramm behindert und damit längerfristig zu Problemen seitens des Kindes führt. Mögliche Verhaltensbereiche, auf die sich schon früh Auswirkungen ergeben können, sind: (a) Schreiverhalten (b) Schlaf-Wach-Rhythmus (c) Krankheitsanfälligkeit Methodische Realisation Stichprobe An der Untersuchung nahmen 60 Mütter mit drei Monate alten Säuglingen teil. Das Alter der Säuglinge wurde auf drei Monate festgelegt, weil zu diesem Zeitpunkt eine Stabilisierung des Elternverhaltens angenommen werden kann und weil auch erste Auswirkungen des Elternverhaltens auf die Säuglinge vermutet werden können. Design der Studie Bei den Müttern zu Hause wurden Interaktionssequenzen gefilmt, die es ermöglichen, Parameter des intuitiven Elternprogrammes zu erheben (Verhaltenslatenzen und Blickkontaktraten). Weiterhin werden Probleme seitens des Kindes erhoben (Weinen, Erkrankungen und Schwierigkeiten, die beim Kind aufgetreten sind). Um das Ausmaß, zu dem die Mütter über das Verhalten ihres Kindes reflektieren, zu bestimmen, wurde weiterhin ein Interview geführt. Verhaltenslatenz Zur Analyse der Verhaltenslatenz wurden Verhaltensantworten der Mutter, die innerhalb eines Zeitfensters von 0.0 bis 0.8 sec auf das Verhalten des Kindes erfolgten, in Beziehung gesetzt zu den latenzrelevanten Aktionen des Kindes, auf die keine Reaktion innerhalb des Zeitfensters erfolgte. Der Score reicht von 0.0 bis 1.0, wobei ein Score von 1.0 bedeutet, das sämtliche Aktionen des Kindes zu mütterlichen Reaktionen innerhalb des Latenzfensters führten. Je höher der Latenzscore, desto angemessener wird daher das mütterliche Verhalten zu werten sein. Blickkontaktrate Zur Bestimmung der Blickkontaktrate wurden die Gesamtdauer des Blickkontaktes zur Gesamtdauer der Interaktionsaufzeichnung in Beziehung gesetzt. Da eine Multiplikation mit dem Faktor 100 vorgenommen wurde, reicht der Score hier von 0 bis 100, wobei ein Wert von 100 indiziert, dass über die gesamte Interaktionssequenz Blickkontakt vorlag. Feinfühligkeit Die Feinfühligkeit der Mutter wurde mit Hilfe der neunstufigen Feinfühligkeitsskala von Ainsworth eingeschätzt, wobei ein Wert von 0 einer sehr niedrigen und ein Wert von 9 einer sehr hohen Feinfühligkeit entspricht. Sämtliche Operationalisierungen zur Interaktionsqualität wurden insofern "blind" erhoben, als die Beurteiler keine über das Video hinausgehenden Informationen über die Mütter hatten. Reflexionsneigung Hier wurde unterschieden, in welchem Maße die Mütter online (während der Interaktion) und offline (außerhalb der Interaktion) über ihr Kind reflektieren. Offline zeigt sich dies daran, dass man häufig über sein eigenes Verhalten nachdenkt und sich viele Ratschläge zum Kind holt (Skala). Auf online-Reflektion weist hin, dass die Mütter (a) gehemmtes Verhalten zeigen, (b) sich übertrieben verhalten (pretense) und (c) bestimmtes Verhalten des Kindes forcieren, z.B. ihr Kind dazu bewegen wollen zu lachen (enforcing). Ergebnisse Es zeigt sich, dass die Interaktionsqualität beeinträchtigt wird, wenn das eigene Verhalten verstärkt reflektiert wird. Die Zusammenhänge zwischen Interaktionsqualität und kindlicher Problemlage liegen konsistent nicht in der erwarteten Richtung. Es ist vielmehr so, dass eine hohe Feinfühligkeit, eine hohe Blickkontaktrate sowie eine geringe Verhaltenslatenz mit mehr Verhaltensproblemen einhergehen. Sinnvoll interpretieren lässt sich dieses Muster durch zwei unterschiedliche Interpretationsalternativen: (a) Wenn Probleme beim Kind auftreten, passen die Mütter ihr Verhalten an die Problemlage an, indem sie in besonderem Maße auf das Kind eingehen. Sie reagieren mit Feinfühligkeit, erhöhen die Blickkontaktrate und verbessern die Verhaltenslatenz. (b) Mütter mit höherer Interaktionsqualität und höherer Sensitivität nehmen mehr Probleme bei ihren Kindern wahr (alle Daten zur Problemlage wurden aus der Sicht der Mütter erhoben). Um zwischen den Alternativen entscheiden zu können, sind längsschnittlich erhobene Daten erforderlich, die die auftretenden Problemlagen und darauf bezogene Anpassungsreaktionen im Verlauf erheben (mehrmalige Erhebung vom Zeitpunkt der Geburt an, wobei jeweils die Problemlage und das Interaktionsverhalten der Mutter bzw. der Eltern erhoben wird). Dazu wurde ein Kurzlängsschnitt durchgeführt, bei dem über einen Zeitraum von zwölf Wochen von der ersten Woche nach der Geburt im wöchentlichen Abstand Erhebungen zur kindlichen Problemlage und zur Interaktionsqualität der Mütter stattfanden. Die Stichprobe umfasste insgesamt 20 Mutter-Kind- Dyaden, von denen die Zustimmung vorlag, zwölf Wochen lang jeweils einmal wöchentlich eine Videosequenz des Interaktionsverhaltens zu erstellen sowie in einem Interview Auskünfte zu wahrgenommenen Schwierigkeiten beim Kind zu geben. Falls die Mütter Verhaltensanpassungen an die Problemlage des Kindes vornehmen, sollten sich entsprechend der Interpretationsalternative (a) Korrelationen zwischen dem Ausmaß der Schwierigkeiten, die durch die Mütter wahrgenommen werden, und ihrem Interaktionsverhalten über die Zeit hinweg nachweisen lassen. Im Fall zweiten Interpretationsalternative (sensitive Mütter nehmen mehr Probleme wahr) sind dagegen keine korrelativen Bezüge zwischen Problemlage und Interaktionsqualität über die Zeit hinweg zu erwarten. Es sollten sich jedoch Mütter mit konsistent höherer Interaktionsqualität von Müttern mit konsistent niedrigerer Interaktionsqualität unterscheiden lassen, wobei die höhere Interaktionsqualität mit einer erhöhten wahrgenommenen Problemlage seitens des Kindes verknüpft sein sollte. Um die Hypothese einer problemlagenbezogenen Sensitivitätsänderung zu prüfen, wurde über die zwölf Erhebungszeitpunkte hinweg für jede Mutter die Korrelation zwischen den von ihr wahrgenommenen Schwierigkeiten und den jeweils eingeschätzten Interaktionsqualitäten berechnet. Die Korrelationen liegen für die 20 Mütter zwischen r=-.72 und r=.39 mit einem Mittelwert von r=-.07. Obwohl insgesamt ein großer Steubereich vorliegt, finden sich keine Hinweise auf substantielle Zusammenhänge. Betrachtet man umgekehrt die Annahme, dass die Sensitivität als situationsunabhängig aufzufassen ist, so findet man dazu Belege beim Vergleich der Sensitivitätseinschätzungen für verschiedene Mütter. Die Ergebnisse zeigen, dass die mittleren Sensitivitätseinschätzungen für die Mütter über den Zeitraum von zwölf Wochen hinweg deutlich voneinander differieren, wobei die Standardabweichungen im Verhältnis zu den Mittelwertsdifferenzen relativ gering sind. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ableiten, dass die eingeschätzte Sensitivität ein relativ situationsunabhängiges Merkmal zu sein scheint, das verschiedene Mütter voneinander unterscheidet. Um zu prüfen, ob die situationsunabhängig sensitiveren Mütter mehr Schwierigkeiten bei ihren Kindern wahrnehmen, wurden für die 20 Mütter jeweils ihre durchschnittliche Sensitivität sowie die durchschnittliche Anzahl der wahrgenommenen Schwierigkeiten berechnet. Hier zeigt sich, dass zwischen beiden Werten eine Korrelation von r=.27 besteht, die bei der kleinen Stichprobengröße zwar nicht die Signifikanzgrenze erreicht, aber vom Trend her die Beziehung zwischen Sensitivität und Schwierigkeitswahrnehmung bestätigt, die sich bereits in der vorhergehenden Studie gezeigt hatte. Insgesamt kann also eher davon ausgegangen werden, dass relativ situationsunabhängig interindividuelle Unterschiede zwischen den Müttern bestehen hinsichtlich ihrer Sensitivität, die wiederum mit einer entsprechend erhöhten bzw. reduzierten Problemwahrnehmung einhergeht. 11 Bindung und Bindungsverhalten Elterliche Voraussetzungen: Das Sensitivitätskonstrukt Bereits das Kleinkind liefert der Mutter vielfache Signale (wie Weinen, Lächeln etc), auf die die Mutter reagiert. Für die spätere Bindung ist es wichtig, wie feinfühlig sich die Eltern gegenüber den Signalen des Kindes verhalten. Sensitive Eltern bemühen sich in konsistenter Weise, (a) die Signale des Kindes zu bemerken, (b) die Signale richtig zu interpretieren (c) prompt zu reagieren und (d) sich angemessen zu verhalten Einige kindliche Signale sind die folgenden: (dd) Augenreiben bei Müdigkeit (ee) Lächeln bei Freude (ff) Weinen und schreien bei Traurigkeit oder Schmerz Wenn die Eltern sich feinfühlig gegenüber den Signalen des Kindes verhalten, fühlt sich das Kind in seiner Umgebung sicher. Es kann die Umgebung bis zu einem gewissem Grad kontrollieren, ist ihr nicht ausgeliefert. Es erlebt, dass die Umgebung verlässlich ist und kann Vertrauen in die Welt entwickeln. Anderenfalls leben die Kinder in einer wenig kontrollierbaren Umgebung, die wenig Sicherheit und Vertrauen schafft. Wie kann man dies nun erkennen und raten? Durch die Erhebung der Sensitivität mittels Verhaltensbeobachtung des Eltern-KindVerhaltens und Globaleinschätzung auf einer neunstufigen Skala (von gar nicht feinfühlig bis sehr feinfühlig). Es wird weiterhin angenommen, dass es sich um ein ganzheitliches Konzept handelt. Dies bedeutet, dass die einzelnen Komponenten hoch miteinander korrelieren sollten. In einer eigenen Studie wurden die vier Komponenten (Signale bemerken, richtig interpretieren, prompt und angemessen reagieren) sowie die Einschätzung der globalen Sensitivität unabhängig voneinander erhoben (jeweils mit neunstufigen Skalen). Stichprobe: 60 Eltern-Kind-Dyaden im Kindesalter von drei Monaten Schlussfolgerung: Die Interpretation von Sensitivität als ganzheitliches und eindimensionales Konstrukt wird bestätigt. Frage: Wie verhält sich die mütterliche Sensitivität zu anderen Parametern des Elternverhaltens (z.B. zeitliche Kontingenz und Wärme des Elternverhaltens)? Schlussfolgerung: Sensitivität repräsentiert vor allem mütterliche Wärme (indiziert durch Lächeln und Baby Talk) und weniger die zeitliche Kontingenz des Verhaltens. Auch die Promptheitsratings korrelieren nicht mit den gemessenen zeitlichen Kontingenzen des Elternverhaltens. Mögliche Erklärung: Die Rater sind wegen der schnellen Reaktionen (in der Regel in einem Zeitfenster unterhalb einer Sekunde) nicht in der Lage, die Kontingenzen zu erfassen. Kann man nun aus der mütterlichen Sensitivität auf die Qualität der Mutter-Kind-Bindung schließen? Die mütterliche Sensitivität weist nach Metaanalysen Korrelationen im mittleren Bereich (etwa .30) zur Qualität der Mutter-Kind-Bindung auf. Die Ergebnisse schwanken jedoch stark zwischen Untersuchungen (z.T. aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Operationalisierungen). Eigene Studie: Keine Bezüge zwischen Sensitivitätseinschätzungen mit drei Monaten und späteren Bindungseinschätzungen mit einem Jahr (bei Verwendung von Q-Sorts zur Erfassung der Bindungsqualität). Kindliche Bindungsvoraussetzungen 2 Komponenten sind hierbei wichtig: 20. Wahrnehmung 21. Kognition Wahrnehmung: Es müssen Schemata aufgebaut sein, um Menschen voneinander unterscheiden zu können (z.B. die Eltern von Fremden). Erst dann sind spezifische Reaktionen auf die Eltern zu erwarten. Kognition: Vor allem der Erwerb der Objektpermanenz wichtig, da erst dann erkannt wird, dass Personen selbst dann noch vorhanden sind, wenn man sie nicht mehr unmittelbar sieht. Die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Fremden und Vertrauten Zu den ersten sozialen Unterscheidungen, die von Kleinkindern überhaupt getroffen werden, gehört die Unterscheidung zwischen vertraut und fremd. Nach Lewis & Feiring gehört diese Unterscheidung neben Alter und Geschlecht zu den ersten wesentlichen sozialen Variablen. Wenn die Unterscheidung zwischen Vertrauten und Fremden getroffen werden kann, tritt erstmals eine Furchtreaktion auf, wenn das kleine Kind mit einem Fremden konfrontiert wird. Fremdelreaktion tritt um so stärker auf, je unähnlicher und unvertrauter die Person dem Kind ist und je näher die Person dem Kind ist. Nächste Folie zeigt Ergebnisse eines Versuchs von Lewis. Positive Reaktionen treten auf, wenn das eigene Spiegelbild oder die Mutter sich nähern. Relativ neutrale Reaktionen, wenn ein vierjähriges Kind (Ähnlichkeit zum Kleinkind) sich nähert. Deutlich negative Reaktionen ergeben sich, wenn sich ein fremder Erwachsener nähert. Alter ist hierbei eine entscheidende Variable. Ausmaß der Fremdelreaktion in unterschiedlichen Distanzen der fremden Person bei unter und über 12- Monate-alten Kindern (bei „self“ wurde ein Spiegel immer näher ans Kind bewegt) Es gibt 3 Erklärungsansätze für die Fremdelreaktion: Kognitive Erklärung: Das Kind kann den Fremden nicht in die eigenen Schemata einordnen, dies führt zu unangenehmen Gefühlen Verhaltenserklärung: Das Kind findet keine passende Verhaltensreaktion auf den Fremden. Die Unterbrechung des normalen Verhaltensflusses führt zu unangenehmen Gefühlen Erklärung durch Kontrollverlust: Das Verhalten des Fremden ist nicht vorhersagbar. Der Kontrollverlust führt zu unangenehmen Gefühlen. Wenn der Höhepunkt des Fremdelns (mit etwa 24 Monaten) überschritten ist, steigt die Bereitschaft, sich von der Mutter zu entfernen und selbständig die Umgebung zu erkunden. Es kommt zu einem stärkeren Anstieg der Distanz, die das Kind bereit ist, von der Mutter zu weichen. Das Phänomen der Bindung Für das Phänomen der Bindung gibt es 2 Erklärungsansätze (Psychoanalyse und Lerntheorie) Psychoanalyse: Kleinkinder sind oral orientiert und beziehen Lustgewinn aus oralen Aktivitäten (Saugen, beißen, Objekte in den Mund nehmen). Das Kind bindet sich emotional an Personen, die orale Aktivitäten ermöglichen (vor allem die Mutter, da sie in der Regel das Füttern übernimmt). Eine besonders sichere Bindung zur Mutter sollte demnach entstehen, wenn eine Mutter sich ruhig und ausgiebig den Fütterungsaktivitäten hingibt. Lerntheorie: Mutter füttert Kind, wechselt Windeln, bietet Wärme. Als Folge wird die Mutter mit angenehmen Gefühlen assoziiert und wird konditionierter Stimulus für angenehme Gefühle. Wenn sie einmal diesen Status erreicht hat, wird das Kind ihre Nähe suchen, um einen angenehmen Zustand und angenehme Gefühle zu erhalten (die bloße Anwesenheit kann später ausreichen, da Generalisierung auftritt). Modell: Klassische Konditionierung: Mutter wird mit nachfolgender Bedürfnisbefriedigung assoziiert. Das Harlow Experiment spricht jedoch gegen den Erklärungsansatz der Psychoanalyse – hiernach kann der lerntheoretische Ansatz jedoch zutreffend sein. Kurze Beschreibung des Experiments: Junges Äffchen wird gleich nach der Geburt von Mutter getrennt und bekommt 2 „Ersatzmütter“ – eine aus Draht die das Futter gibt und eine aus Stoff bei der es aber kein Futter gibt. Wird das Äffchen nun erschreckt (z.B. durch lautes Geräusch) sucht es Schutz bei der Stoffmutter. Auch sonst verbringt es mehr Zeit bei der Stoffmutter und geht nur zum Trinken/Essen zur Drahtmutter. Ethologie: Alle höheren Tiere (einschließlich des Menschen) haben bestimmte angeborene Verhaltensweisen, die soziales Verhalten fördern (Ergebnis der Evolution). Die Verhaltenstendenzen dienen dem Zweck, das Überleben des einzelnen und der Art zu sichern. Sowohl auf Seite des Kindes als auch auf Seite der Eltern gibt es weitgehend angeborene Tendenzen, auf bestimmte Signale zu reagieren und dadurch eine Bindung herzustellen. Entwicklungsabfolge der Bindung (a) Ausgangspunkt: Anlage des Kindes, Nähe zu suchen (bereits in den ersten Wochen) (b) Zunächst Bindungsverhalten bei jeder Person (bis etwa 3. Monat) (c) Spezifische Reaktionen auf Mutter, Aktives Suchen der Mutter (3 bis 6 Monate) (d) Entstehen der spezifischen Bindung (6 bis 9 Monate) (e) Angst vor Fremden (9 bis 12 Monate) (f) Mutter als zentrale Person, Spannung in Anwesenheit von Fremden, längere Trennung von Mutter führt zu Protest, dann Verzweiflung (12 bis 24 Monate) (g) Akzeptieren zeitweiser Trennung von Mutter, Akzeptieren von Ersatzbindungspersonen (3 bis 4 Jahre) (h) Frühe Bindungsfähigkeit und frühe Bindungen als Basis für spätere Bindung im Erwachsenenalter. Unterschied zwischen Bindung und Bindungsverhalten Bindungsverhalten bezieht sich auf Verhaltensweisen, die dazu dienen, die Nähe der Eltern zu sichern (z.B. Weinen, Lächeln, Nähe suchen etc.). Bindung bezieht sich auf das „emotionale Band“ zwischen Kind und Eltern. Bindungsverhalten tritt dementsprechend zeitlich früher auf als die Bindung seitens des Kindes. ( mit ca. 6-8 Monaten) Die Bindung an eine Pflegeperson wird als notwendig gesehen als sichere Ausgangsbasis (secure base) der Erkundung der Umwelt. Es wird ein antagonistisches Verhältnis zwischen der Aktivierung von Bindungsverhalten und Explorationsverhalten angenommen. Wenn das Kind verunsichert ist, wird Bindungsverhalten aktiviert und das Explorationsverhalten unterbrochen. Fühlt sich das Kind jedoch in der Nähe seiner Bezugsperson sicher, beginnt es mit Explorationsverhalten. Messung der Bindungsqualität Zur Messung der Bindungsqualität liegen verschiedene Erhebungsinstrumente vor: Für den Bereich der frühen Kindheit sind vor allem relevant: • Der Fremde-Situations-Test • Das Q-Sort-Verfahren Es gibt 4 verschiedene Bindungsstile: 22. Sichere Bindung (B-Kinder) 23. Unsicher-vermeidende Bindung (A-Kinder) 24. Unsicher-ambivalente Bindung (C-Kinder) 25. Desorganisierte Bindung (D-Kinder) Sichere Bindung (B-Kinder): Nutzen die Mutter als sichere Basis. Bei Trennung kann Weinen auftreten. Vermissen der Mutter, die gegenüber anderen Personen präferiert wird, durch fremde Person nicht vollständig zu trösten. Freude bei Wiederkehr der Mutter. Unsicher-vermeidende Bindung (A-Kinder): In Anwesenheit der Mutter verhalten sie sich indifferent gegenüber der Mutter. Bei Trennung sind sie kaum beunruhigt und zeigen kaum Kummer. Sie verhalten sich gegenüber der fremden Person wie bei der Mutter. Sie meiden Nähe und Interaktion mit der Mutter bei der Wiedervereinigung. Unsicher-ambivalente Bindung (C-Kinder): Vor der Trennung suchen die Kinder die Nähe der Mutter und zeigen wenig Explorationsverhalten. Wenn die Mutter zurückkehrt, zeigen sie ein wütendes und aggressives Verhalten der Mutter gegenüber. Viele weinen weiter, auch nachdem sie von der Mutter hochgehoben wurden, und lassen sich kaum trösten. Sie reagieren wütend oder passiv, wenn sie mit der fremden Person allein gelassen wurden. Desorganisierte Bindung (D-Kinder): Zeigen widersprüchliche Verhaltensmuster, die keinem der anderen Bindungsmuster entsprechen. Vorgehensweise bei der Beurteilung: Man muss zuvor eine Schulung gemacht haben, um beurteilen zu dürfen! Einschätzung des kindlichen Verhaltens im Fremde- Situations-Test auf den Skalen: (a)Aktiver Versuch, den Kontakt aufrecht zu erhalten (b) Wiedererlangen von Kontakt oder Nähe (c)Widerstand gegen Kontakt oder Nähe / Wegstoßen (d) Vermeiden von Nähe oder Interaktion / Ignorieren, Wegschauen (e) Suchverhalten während der Trennungsepisoden Häufigkeit der Bindungsmuster: (a) Sichere Bindung: 60 – 70 Prozent (b) Unsicher-vermeidende Bindung: 15 – 20 Prozent (c)Unsicher-ambivalente Bindung: 10 – 15 Prozent (d) Desorganisierte Bindung: 05 – 10 Prozent Stabilität der Bindungsmuster Teilweise werden hohe Langzeitstabilitäten für die Bindungsmuster berichtet. Nach einer Studie von Main und Cassidy zeigen 80% der Kinder eine Stabilität von der frühen Kindheit zum Alter von sechs Jahren (auch hier durch Fremde-Situation erhoben). An der Studie nahmen allerdings hauptsächlich Kinder aus der Mittelschicht teil, bei denen in diesem Zeitraum kaum Beziehungsveränderungen stattgefunden hatten. Es gibt aber auch kulturelle Unterschiede! Erklärungsmöglichkeiten: (a)Kulturelle Unterschiede im Erziehungsverhalten (b) Unterschiede in der Beurteilung der Fremde-Situation Bindung an die Mutter versus Bindung an den Vater Kinder, die bei Mutter unsicher gebunden sind, sind nicht auch zwangsläufig bei Vater unsicher gebunden. Daher teilweise Kompensationsmöglichkeiten, wenn keine sichere Bindung zur Mutter vorliegt. Auch andere Familienmitglieder können Bindungsfunktionen übernehmen und Fehlendes ausgleichen. Faktoren, die Bindung an einen spezifischen Elternteil (Vater oder Mutter) begünstigen: (a) Zeitanteil, der mit dem Kind verbracht wird. (b) Spielen mit dem Kind (c) Versorgung des Kindes (d) Zeigen von Affekten für das Kind (zeigen, dass man es liebt) (e) Art der Disziplinierung (Toleranz vs. Härte) (f) Erwartungen der Eltern (negativ: zu hohe Erwartungen →Kind ist ständig in Verliererrolle) (g) Vorlieben der Eltern (Vorziehen des Kindes gegenüber einem anderen) (h)Status der Eltern (zunächst Rolle der Mutter wichtiger, später Wechsel zum Vater möglich, wenn seine Rolle höher bewertet wird) Das Q-Sort-Verfahren Eine Bezugsperson (Selbsteinschätzung) oder ein Beobachter (Fremdeinschätzung), der die Interaktion des Kindes mit einer Bezugsperson über einen längeren Zeitraum beobachtet hat, schätzt die Interaktion des Kindes mit der Bezugsperson ein. Dazu gibt es ein Item-Set mit 90 Items, die für das Verhalten des Kindes einzuschätzen sind. Beispielitems: Manchmal ist das Kind ohne klaren Grund weinerlich, wenn es nach dem Spielen zur Mutter zurückkehrt. Das Kind lässt sich von anderen Erwachsenen trösten, wenn es verstimmt ist oder sich weh getan hat. Das Kind achtet beim Spiel darauf, wo die Mutter ist. Es ruft von Zeit zu Zeit und bemerkt, wenn die Mutter in ein anderes Zimmer geht oder wenn sie andere Aktivitäten beginnt. Wenn die Mutter mit dem Kind schimpft oder es ermahnt, dann wird es betroffen oder beschämt. Die Items sind in mehreren Einschätzungsdurchgängen auf insgesamt neun Stapel zu verteilen, die angeben, wie gut das Verhalten des Kindes mit dem Item beschrieben wird. Das Verfahren ist so angelegt, dass eine Gleichverteilung der Items auf die neun Stapel erreicht wird. Für jedes Item liegen Bewertungen durch eine Expertengruppe vor, aus denen sich ergibt, wie stark das jeweilige Item eine sichere Bindung repräsentiert. Nach der Einschätzung des Kindes werden die Beurteilungen des Kindes mit den Beurteilungen der Experten verglichen. Je häufiger Items zur Einschätzung des Kindes genutzt wurden, die Bindungssicherheit repräsentieren, desto höher ist der Wert, den das Kind für die Bindungssicherheit erhält. Vorteile des Q-Sort-Verfahrens: (a)Die möglichen emotionalen Belastungen, die beim Fremde-Situations-Test auftreten und die teilweise als ethisch bedenklich angesehen wurden, werden vermieden. (b) Das Verfahren lässt sich sowohl als Selbst- als auch als Fremdbeurteilungsverfahren einsetzen (c)Das Verfahren führt zu ähnlichen (wenn auch nicht zu gleichen) Ergebnissen wie der Fremde- Situations-Test Verfahren zur Erhebung der Bindungsqualität lassen sich in verschiedenen Altersgruppen (nicht nur in der frühen Kindheit) einsetzen, wobei teilweise Anpassungen an den jeweiligen Entwicklungsstand notwendig sind. Besonders erwähnenswert ist auch, dass die Bindungsqualität auch retrospektiv (aus der Erwachsenensicht) erhoben werden kann. Verfahren hierzu: das Adult Attachment Interview, das an dieser Stelle lediglich erwähnt werden soll. Bindungsqualitäten im Erwachsenenalter Erhebungsinstrument: Adult Attachment Interview (AAI) Erhebung der Erinnerung an die Kindheitsbindungen aus der Erwachsenensicht (z.B. Erinnerung an Trennungssituationen, an Zurückweisungen etc.) Auch hierbei gibt es 4 Bindungstypen Bindungstypen: • Autonome bzw. sichere Bindung (B-Typ) • Abweisende Bindung (A-Typ) • Verstrickte Bindung (C-Typ) • Ungelöst-desorganisierte Bindung (D-Typ) Es gibt zwar keinen Automatismus – aber Bindungserfahrung wird meistens weitergegeben! 12 Sprache und Kommunikation Womit kann man sich bei dem Thema Sprache entwicklungspsychologisch beschäftigen? Es gibt folgende 3 Dimensionen des Spracherwerbs: Syntaktische Relation: Relation zwischen den Zeichen (grammatische Beziehungen), entwicklungspsychologisch wichtigstes Gebiet: Grammatikentwicklung. Semantische Relation: Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem (nicht-sprachliche Realität), Bedeutung der Sprache, entwicklungspsychologisch wichtigstes Gebiet: Wortbedeutungsentwicklung Pragmatische Relation: Relation zwischen Zeichen und Zeichenbenutzer (Sprache als Mittel der Kommunikation d.h. wie kann man Sprache so einsetzen, dass ein anderer einen versteht und mit dem was man sagt etwas anfangen kann), entwicklungspsychologisch wichtigstes Gebiet: Entwicklung sprachlicher Kommunikationsfähigkeiten Weitere Sprachkomponenten sind: Phoneme: Elementare lautliche Einheiten, aus denen Sprache besteht. (Laute) Morpheme: Kleinste bedeutungstragende Einheiten der Sprache (Beispiel: Hund besteht aus einem Morphem, Hunde aus zwei Morphemen). Metalinguistisches Wissen: Wissen über die Eigenschaften von Sprache und Sprachgebrauch. Das bedeutet, dass man Sprache intelligenter nutzen kann Stationen der Sprachentwicklung: 1. Jahr: Brabbeln, Lallen. Es kommt zu einer Zunahme des Brabbelns gegen Ende des ersten Jahres. Anfangs erkennt man Laute aus vielen Sprachen (ursprünglich sind sogar alle Laute vorhanden),später findet aber eine Einengung auf Laute der eigenen Sprache, am Ende des ersten Jahres kommt das erste Wort. 2. Jahr: Einwortsätze (Holophrasen) werden gesprochen, gegen Ende des zweiten Jahres folgt die Zusammenstellung von Worten zu Zwei-Wort- Sätzen. Somit besteht die erste Möglichkeit zur Formulierung von Fragen (hauptsächlich durch Veränderung der Tonlage). Möglichkeit zur Verwendung von Negationen (bedeutet „NEIN“ zu sagen). 3. Jahr: Anpassung der Sprache, Verbesserung der Grammatikstruktur, aber teilweise noch inkorrekte Nutzung (z.B. Übergeneralisierung grammatischer Regeln, z.B. er gehte statt er ging). Mit 2 1/2 Wortschatz etwa 400 Worte, danach starke Zunahme. 4. Jahr: Korrekte, aber wenig komplexe Sprache. Grammatische Grundstrukturen bekannt, aber es werden wenig komplexe Strukturen genutzt. Wenig Passivkonstruktionen, wenig Konditionalsätze (Wenn-Bedingung). Beginn der Nutzung des Futurs. Mit 3 1/2 Jahren Wortschatz von über 1000 Worten. 5. Jahr: Anpassung der Sprache an die Erwachsenensprache. Längere und komplexere Sätze. Mehr als eine Sinneinheit innerhalb eines Satzes. Insgesamt zunehmende Annäherung an Erwachsenensprache. Im folgenden sollen einige Aspekte dieser Sprachentwicklung in den ersten Jahren näher betrachtet werden. Vorsprachliche Phase Voraussetzungen der Sprachproduktion ist : Die Sprachwahrnehmung oder die Fähigkeit Sprache zu analysieren Kategoriale Wahrnehmung von Sprachlauten als Basis für Spracherwerb. Wird beispielsweise der Sprachlaut /b/ kontinuierlich verwandelt, bis er in einen anderen ähnlichen Sprachlaut /p/ übergeht, dann kippt bei Erwachsenen an einer bestimmten Stelle unvermittelt die Wahrnehmung. D.h. ein Erwachsener hört entweder B oder P aber nichts dazwischen. Wichtigstes Charakteristikum, das dabei variiert wird: Die Voice Onset Time (Zeitdauer zwischen dem Freilassen des Luftstromes zwischen den Lippen und dem Einsetzen der Vibration der Stimmbänder). Voice Onset Time (VOT) beträgt bei /ba/ ca. 15 Millisekunden und bei /pa/ bei ca. 100 Millisekunden. Ergebnis einer Variation der VOT bei Erwachsenen: Bei VOT von weniger als 25 Millisekunden wird ein /b/ wahrgenommen, bei mehr als 25 Millisekunden ein /p/ Habituationsversuche bei Säuglingen im Alter von einem und vier Monaten: Habituation an eine VOT von 20 (/ba/), dann Präsentation eines Lautes mit einer VOT von 40 (/ta/). Ergebnis: Dishabituation. Anderes Ergebnis bei Habituation an VOT von 60 (/pa/) undPräsentation eines Lautes mit einer VOT von 80 (andere Variante von /pa/). Hier erfolgt keine Dishabituation (keine natürliche Lautgrenze vorhanden). Schlussfolgerung: Schon sehr früh werden Lautkategorien unterschieden, die die Segmentierung des Sprachflusses ermöglichen. Der Säugling hat die selben Grenzen wie der Erwachsene – daher geht man davon aus, dass eine Segmentierung des Sprachflusses angeboren ist. Die Fähigkeit zur Lautdiskrimierung geht aber bei Lauten, die in der eigenen Muttersprache keine Rolle spielen, schnell wieder verloren. Frühe Stadien der Kommunikation: Einzige Möglichkeit zur Kommunikation: Mimik und Gestik, wenn Sprache noch nicht entwickelt ist. Um mit Umgebung kommunizieren zu können, werden Gesten entwickelt. Einige typische Gesten, die sich im Laufe des ersten Lebensjahres entwickeln: • Drückt den Schnuller zur Seite – gesättigt, nicht hungrig • Wirft Objekt weg - will es nicht haben • Greift nach Objekt - will es haben • Lächelt, streckt Arme aus - will hochgehoben werden Sprachliche Phase Grundlage: Sensibilität gegenüber Regelmäßigkeiten in der Sprache Nutzung von Verteilungscharakteristika und Wortpausen, um sprachliche Einheiten zu identifizieren. (Dies ist also Voraussetzung für die Wortschatzentwicklung von Kindern) Beispiel: Säuglinge hören zwei Minuten ein Band mit vier verschiedenen dreisilbigen Worten, die ohne Pause aneinandergereiht werden: tupiro, golabu, bidaku, padoti Nach einer Reihe von Lerndurchgängen werden neben den bekannten Wörtern auch „Nicht-Wörter“ vorgespielt (gleiche Silben, aber in anderer Kombination). Die Kinder achteten nun stärker auf die Nicht-Wörter (Silben in neuen Kombinationen). Daraus folgt: Die Kinder müssen die zusammengehörenden Lautfolgen (wie bida oder daku) identifiziert haben. Wortschatzentwicklung Die verbale Entwicklung beginnt zunächst mit dem Auftreten von Brabbel-Äußerungen. Das Ausmaß, in dem diese Äußerungen auftreten, hängt von der Zuwendung der Eltern ab. Anstieg mit Zuwendung der Eltern. Abfall, sobald das Kind anfängt, erste Worte zu bilden. Sobald die ersten Worte beherrscht werden, erfolgt ein rapider Anstieg des Wortschatzes. Wortschatzexplosion findet im Alter von 20-22 Monaten statt. Der passive Wortschatz ist bei Kindern immer höher als der aktive! Kinder lernen etwa 8-10 neue Wörter am Tag! In der ersten Klasse beträgt der passive Wortschatz ca. 15.000 Wörter, In der dritten Klasse beträgt der passive Wortschatz ca. 30.000 Wörter, In der fünften Klasse beträgt der passive Wortschatz ca. 60.000 Wörter. Es gibt auch Geschlechtsunterschiede beim passiven Wortschatz – ein Trend zeigt an, dass Mädchen Jungen etwas voraus sind – Im Laufe der Entwicklung (bis 22 Monate) nähern sie sich aber wie der an. Es gibt auch individuelle Unterschiede! 22. Das erste Wort wird durchschnittlich mit 13 Monaten gesprochen in einer Altersspanne von 8-18 Monaten 23. Die Sprachexplosion findet durchschnittlich mit 19 Monaten in einer Altersspanne von 13-25 Monaten statt 24. Erste Sätze werden durchschnittlich mit 24 Monaten gesprochen die Altersspanne beträgt 18-32 Monate Es gibt auch Interkulturelle Gemeinsamkeiten in den Anfängen der Wortschatzentwicklung (Es liegt eine Betonung auf Bezeichnungen für Erwachsene, Tiere, Nahrung), kurz um: vorrangig Worte für Objekte werden genutzt! Zuwächse finden sich abschließend auch bei der Komplexität des Satzbaues. Die grammatischen Strukturen werden komplexer. Neben Hauptsätzen werden zunehmend auch Nebensätze eingebaut, wodurch der Grad der Verschachtelung zunimmt. Die Sätze werden dadurch nicht nur länger, sondern auch komplexer. Theorien des Spracherwerbs Im folgenden soll ein Überblick über die wichtigsten Theorien des Spracherwerbs gegeben werden. Hierbei ist vorauszuschicken, dass sich nicht alle Theorien auf den rein quantitativen Aspekt des Spracherwerbs beziehen, sondern dass auch qualitative Aspekte einbezogen sind. Generell gibt es 4 verschiedene Ansätze/Theorien/Konzepte die versuchen den Spracherwerb zu erklären: 26. Biologische Konzepte 27. Lerntheorien 28. Kognitive Theorien 29. Informationsverarbeitungstheorien Biologistische Konzepte Postulieren biologische Grundlagen der Sprachentwicklung, vor allem bezogen auf phonologische (Lautproduktion) und grammatische Aspekte der Sprachentwicklung. Wichtigste Vertreter: Lenneberg und Chomsky. Lenneberg: Es gibt eine angeborene Sprachbereitschaft. Sprachliche Stimulation durch die Umgebung ist notwendige Voraussetzung zur Entfaltung der latenten Sprachbereitschaft. Aber: Sprachliche Stimulation ist nicht Ursache der Sprachentwicklung. Drei Annahmen: (a) Spracherwerb ist reifungsabhängig. Insbesondere besteht eine Parallelität zwischen Hirnreifung und Sprachentwicklung (b)Sprachentwicklung steht im Zusammenhang mit Entwicklung der Hemisphärendominanz (Hirnlateralisation). (c) Für den Erwerb der Primärsprache gibt es eine kritische Periode, die den Zeitraum von etwa zwei bis zwölf Jahren umfasst. Danach ist Hemisphärendominanz abgeschlossen, Sprachzentrum ausgebildet. Wenn es mangels Stimulation nicht ausgebildet wurde, kann dies nicht mehr nachgeholt werden. Sprachspezifische Strukturen in der linken Gehirnhälfte (bei Rechtshändern) Das Broca-Areal kontrolliert die Sprachproduktion mit Hilfe eines komplexen Sprachproduktionsprogrammes, das an die kortikalen Regionen gesandt wird, die wiederum Körperbewegungen kontrollieren. Das Wernicke-Areal interpretiert Sprache aus den auditiven Impulsen der primären auditiven Areale, die Impulse aus den Ohren erhalten. Broca- und Wernicke Areale sind durch Nerven bahnen miteinander verbunden. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Hirnlateralisation früher abgeschlossen ist als Lenneberg dies annahm (vermutlich bereits mit fünf Jahren, so dass ein Primärsprachenerwerb nach diesem Zeitpunkt erschwert ist). (Laut Prof. Lohaus ist diese Altersangabe jedoch umstritten, denn es kann auch erst mit 7 oder 8 Jahren abgeschlossen sein) Versuch, die Annahme eines eingeschränkten Primärsprachenerwerbs nach der Pubertät mit Hilfe eines Fallbeispiels (Fall Genie) nachzuweisen, bei der bis zur Pubertät kaum Berührung mit Sprache stattgefunden hatte. Fall Genie: Geboren 1957, von Eltern für retardiert gehalten, deshalb in winzigem Raum gehalten. Nur mit Notwendigstem versorgt. Bei Lautäußerungen Strafe vom Vater. Niemand redete mit ihr. 1971 Befreiung mit 14 Jahren (nach Pubertät). Keinerlei Lautproduktion, auch kein Lachen oder Weinen. Danach kurzer Klinikaufenthalt und Wechsel zu Pflegeeltern. Danach relativ gute Fortschritte bei der Sprachentwicklung, jedoch kein Erwerb einer normalen Sprache, z.B. mehr passives Verständnis als aktive Sprachproduktion. Syntax eingeschränkt. Stark stereotype Sprache. Spricht für Möglichkeit eines stark eingeschränkten Spracherwerbs nach der Pubertät. In Grenzen offenbar noch Erwerb einer Primärsprache möglich, jedoch werden bei weitem nicht mehr normale Sprachkompetenzen erreicht. Die Einschränkungen beim Spracherwerb zeigen sich auch beim Erwerb von Sekundärsprachen in höheren Lebensabschnitten. Je älter man ist, desto mehr rechtshemisphärische Aktivität lässt sich beim Spracherwerb im Gehirn erkennen. (Normalerweise z.B. bei Kindern ist eher nur die linke Hemisphäre aktiv) Chomsky: Zentrales Postulat: Es gibt einen angeborenen Spracherwerbsmechanismus, der ermöglicht, Wortbedeutungen und grammatische Regeln aus der Sprache der Umgebung zu übernehmen. Die Spracherwerbsstruktur wird als Language Acquisition Device (LAD) bezeichnet. Sie legt fest, nach welchen Mustern in der Sprache der Umgebung zu suchen ist. Der linguistische Input aus der Umgebung wird vom LAD analysiert. Es entwickelt sich eine subjektive Sprachtheorie, die nach und nach die phonologischen, semantischen und syntaktischen Elemente der jeweiligen Sprache enthält. Aus diesem Wissen entstehen die sprachlichen Kompetenzen des Kindes. Der LAD enthält drei biologischen Dispositionen: (a) Fähigkeit, über die Beschaffenheit des Regelsystems der Sprache Hypothesen zu bilden (b)Bestimmte Hypothesen gegenüber anderen als wahrscheinlicher zu bewerten, da sie sprachlichen Universalien entsprechen (z.B. das Vorhandensein von Subjekt, Verb und Objekt in allen Sprachen). (c)Verschiedene Hypothesen zu vergleichen und zu bewerten. Kritik an den biologischen Positionen: (a)Keine genaue Beschreibung, wie der Spracherwerbsmechanismus arbeitet (zur Ableitung gezielter Hypothesen wichtig) (b) Theorien vor allem auf die formale Sprachstruktur bezogen (Syntax), weniger auf Semantik und Pragmatik. Lerntheorie (Gegentheorie zur biologischen Theorie) Konditionierungslernen: Laute, Worte und Satzkonstruktionen, die der Erwachsenensprache am ehesten ähneln, werden bekräftigt und treten deshalb zunehmend häufiger auf. Zunächst treten beliebige sprachliche Äußerungen auf (operantes Verhalten), bestimmte Lautelemente (die z.B. dem Wort Mama ähneln) werden verstärkt. Grundelemente sind Reiz, Reaktion und Verstärkung, wobei die Umwelt korrekte Lautäußerungen systematisch verstärkt. Ursprünglich universelles Lautpotential schränkt sich immer stärker auf das Lautpotential der Umgebung ein. Imitationslernen: Einfaches S-R-Lernen nur zum Erwerb einfacher Sprachprozesse geeignet. Bei komplexen Sprachprozessen spielt nach Lerntheorie auch Modellernen eine Rolle. Kind hat Gelegenheit, die zu erlernende Sprache von anderen (Modellen) zu hören. Darüber hinaus wird es für die Nachahmung der gehörten Sprache bekräftigt (direkte Bekräftigung) bzw. es beobachtet, wie das Modell bekräftigt wird (stellvertretende Bekräftigung). Zusätzlich notwendig: Aufmerksamkeit, Speicherkapazität, Fähigkeit zur Reproduktion (sprachmotorische Voraussetzungen) Hilfreich für Imitation: Erwachsene verkürzen eigene Sprache auf ein Maß, das den Fähigkeiten von Kindern entspricht. Verkürzungen des Kindes werden allmählich erweitert, so dass auch dadurch Lernen erleichtert wird (z.B. Kind sagt: "Da Hund", Erwachsener wiederholt und erweitert: "Ja, da ist ein Hund".) Kritik: (a) Schnelligkeit des Erwerbs grammatischer Strukturen kaum ausschließlich mit S-RPrinzipien zu erklären (b) In der Sprache ist es schwer, Stimuli, Reaktionen und Verstärkungen zu isolieren (daher gezielte Hypothesenprüfung schwierig) (c) Umwelt reagiert stärker auf ausgedrückte Bedeutung als auf korrekte Aussprache. Obwohl also eher das Übermitteln der Bedeutung verstärkt wird, wird die korrekte Aussprache gelernt. (Beispiel: Kind zeigt auf Bonbons und sagt „da haben“ – darauf die Mutter „ du möchtest ein Bonbon haben?!“ Sie gibt ihm ein Bonbon. Somit wird das Kind für „da haben“ positiv bestärkt – trotzdem lernen wir aber „richtig zu sprechen“ und bleiben nicht bei den verstärkten Aussprüchen wie „da haben“ (d) Neuschöpfungen, Neukombinationen und eigenständige Regelbildungen können durch Verstärkung und Nachahmung nicht hinreichend erklärt werden. Kognitive Theorien Allgemeines Prinzip: Sprachliche Fähigkeiten werden auf der Grundlage der vorhandenen kognitiven Fähigkeiten erworben. Wenn die notwendigen kognitiven Voraussetzungen nicht gebildet sind, kann auch kein Spracherwerb stattfinden. Das Konzept von Piaget Sprache ist ein Bestandteil der allgemeineren Fähigkeit, zwischen Zeichen und Bezeichnetem zu trennen und Symbole zu verwenden, um die Realität zu repräsentieren. Sobald es möglich ist, die Realität symbolisch zu repräsentieren, kann sich auch eine Sprache entwickeln. Erstmals geschieht dies am Ende der sensumotorischen Periode, wenn äußere motorische Abläufe verinnerlicht werden und zu einem Schema zusammengefasst werden. Die Schemata werden mit einem Wort belegt und können dadurch noch effektiver gespeichert und aktualisiert werden. Kognitive Voraussetzungen legen Grenzen des Spracherwerbs fest. Stützender Befund: Bestimmte sprachliche Fähigkeiten treten erst dann auf, wenn auch die entsprechenden kognitiven Voraussetzungen vorliegen (z.B. Worte als Symbole erst nach Erwerb von Objektpermanenz. Symbole machen erst Sinn, wenn Objekte auch außerhalb der unmittelbaren Wahrnehmung weiterexistieren). Weiterhin: Erst gegen Ende des Vorschulalters wird erkannt, dass andere Personen ihre eigenen Perspektiven über die Realität entwickeln und dass neben der eigenen auch andere Perspektiven existieren. Erst danach ist es möglich, dass Kinder sich in ihrer Kommunikation auf andere Zuhörer einstellen. Das Konzept von Sapir/Whorf In der Verschiedenheit von Sprachen kommt eine unterschiedliche Wahrnehmung der Realität zum Ausdruck. Die unterschiedliche Realitätswahrnehmung ergibt sich teilweise aus funktionalen Notwendigkeiten (z.B. Notwendigkeit zur Unterscheidung von Schnee ergibt sieben Worte für unterschiedlichen Schnee bei Eskimos). Die unterschiedlichen Sprachdifferenziertheiten und Sprachstrukturen determinieren das Denken und führen zu sprachspezifischen Denkmustern, die durch das Sprachmuster nahegelegt werden. Unterschied zu Piaget: Sprache determiniert die kognitiven Fähigkeiten und das Denken, während bei Piaget die kognitiven Fähigkeiten die Sprache determinieren (beim Spracherwerb). Aber: Gegen die Position von Sapir/Whorf sprechen Experimente, die zeigen, dass auch Kulturen, die nur über wenig Farbbegriffe verfügen (wie die Dani auf Neu-Guinea, die sprachlich nur zwischen schwarz/dunkel und weiß/hell differenzieren), dennoch bestimmte Farben des Farbspektrums als hervorgehoben wahrnehmen und besser erinnern. Das Denken (Farbempfinden) wird hier also nicht durch die Sprache determiniert. Neuere Untersuchungen an Ethnien in Brasilien, deren Sprache ohne Zahlworte auskommt, zeigen jedoch andererseits, dass Mitglieder dieser Ethnien auch nach ausgiebigem Training nicht in der Lage waren, Zahlbegriffe in einer anderen Sprache zu erlernen und erfolgreich damit zu operieren, um Mengen voneinander zu differenzieren. Die mangelnde Differenzierung in der Primärsprache begrenzt hier offenbar die kognitiven Fähigkeiten zum Umgang mit Zahlbegriffen. Spricht für Einschränkung der Differenziertheit der Wahrnehmung durch Verfügbarkeit bzw. mangelnde Verfügbarkeit von Sprachbegriffen. Das Konzept von Wygotsky Annahme einer wechselseitigen Beeinflussung von Sprache und Denken. Bis etwa zwei Jahren: (a) vorsprachliches Stadium in der Entwicklung des Denkens (b) vorintellektuelles Stadium in der Entwicklung der Sprache (kein intelligenter Umgang mit Sprache) Ab etwa zwei Jahren: (a)Denken wird versprachlicht (sprachlich überformt, s. ähnlich Piaget) (b) Sprache wird intellektuell Sprache und Denken konvertieren und sind nicht mehr voneinander zu trennen. Kritik an kognitiven Theorien: Nur allgemeine, wenig konkretisierte Beschreibung des Spracherwerbs, daher noch weniger als bei den anderen Theorien gezielte Hypothesenprüfung möglich. Keine zusammenhängende Theorie des Spracherwerbs, die auch Detailphänomene der Sprache berücksichtigen würde, stattdessen sehr globale Konzepte. Informationsverarbeitungstheorien: Allgemeines Prinzip: Sprachliche Fähigkeiten werden auf der Grundlage der semantischer Netzwerke erworben. Sprachentwicklung ist das Ergebnis der graduellen Erhöhung von Verbindungsstärken im neuronalen Netzwerk. Kinder hören, analysieren und erkennen Sprachinput. Analogie zu einem Computer, der die Eigenschaft besitzt, seine Speicherinhalte in Abhängigkeit vom Input zu verändern. Erfolgreiches Beispiel für computerbasierte neuronale Netzwerkmodelle: Erwerb von Vergangenheitsformen. Aus dem Input einer großen Menge englischer Sätze mit regelmäßigen und unregelmäßigen Vergangenheitsformen können neuronale Netzwerk- Modelle lernen, die Vergangenheitsformen korrekt zu bilden. Im Laufe des Lernprozesses machen die Modelle dieselben Arten von Übergeneralisierungsfehler wie die Kinder. Dies zeigt, dass die Kinder beim Lernen offenbar in ähnlicher Weise vorgehen. Kritik: - Sprachpragmatik wenig berücksichtigt - Beschränkung auf kognitive Sprachanteile 13 Sprache und Kommunikation II: Zu unterscheiden sind: Syntax = Grammatik Semantik = Bedeutung Sprachpragmatik = Kommunikation Es gibt 2 wichtige Unterscheidungen im Bereich der Syntaxentwicklung : (gg) Die Oberflächenstruktur (hh) Die Tiefenstruktur Tiefenstruktur: Semantische Bedeutung eines Satzes. Die Tiefenstruktur wird mit Hilfe grammatischer Regeln in die Oberflächenstruktur übersetzt. Die Oberflächenstruktur ist das, was artikuliert wird. Dieselbe Tiefenstruktur kann mit Hilfe unterschiedlicher Regeln in verschiedene Oberflächenstrukturen übersetzt werden. Beispiel: Aktiv- und Passivsatz (Der Hund jagt den Jungen oder der Junge wird von dem Hund gejagt). Trotz gleicher Tiefenstruktur lässt sich der Satzinhalt in verschiedene Oberflächenstrukturen übersetzen. Je nach den angewandten Regeln kann ein Satz leichter oder schwerer enkodiert bzw. dekodiert werden. Das Regelsystem der Grammatik wird im Laufe der Entwicklung aufgebaut, wobei einfache vor komplexeren Regeln gelernt werden. Ein jüngeres Kind wird daher eine einfache Oberflächenstruktur wählen und hat auch weniger Verständnisprobleme, wenn der Kommunikationspartner eine einfache Oberflächenstruktur wählt. Die Einwort-Phase In der Phase der Einwort-Sätze übernimmt ein einzelnes Wort Funktionen, die sonst mit komplexen grammatischen Strukturen ausgedrückt werden (holographische Phase). Mögliche Funktionen eines Wortes in der Einwortphase: (a) Ausruf (Vokativ) (b) Objekt des Wollens anzeigen (z.B. Milch) (c) Handlung einer anderen Person beschreiben (d) Handlungsobjekt bezeichnen (e) Handlung eines unbelebten Objekts beschreiben (f) Handlungsempfänger beschreiben (g) Handlungsagent beschreiben Entwicklungsaspekte in der Einwortphase: (a)Veränderung vom Gebrauch isolierter Einzelworte zur Aneinanderkettung von Worten (b)Aufeinanderfolgende Einwortäußerungen können verkettet sein oder jede für sich eine ganzheitliche Funktion übernehmen (c) Zwei Auffassungen über die Grundlagen der Einwortsätze: (1) Den Einwortsätzen liegen komplexere grammatische oder semantische Strukturen zugrunde, die das Kind jedoch noch nicht ausdrücken kann (2) Die Kinder drücken etwas aus, ohne schon über formale Sprachregeln zu verfügen Es gibt Hinweise darauf, dass Kinder mehr verstehen als sie sagen können. Beispiel: (Kind kann noch nicht SCH sprechen) sagt zum Vater: K: Gib mir mal den Fiss (meint Fisch) V: möchtest du den Fiss haben? K.: Nein den Fiss (weil es weiss, dass der Vater Fisch sagen müsste und nicht Fiss) Die Zweiwort-Phase Auf die Einwort-Phase folgt die Zweiwort-Phase, in der erstmals grammatische Strukturen sichtbar werden. Die Pivot-Grammatik Die frühen Zwei-Wort-Äußerungen enthalten zwei Wortklassen: Funktionswörter bzw. Operatoren (Präpositionen, Hilfsverben, Artikel etc) und offene Wörter bzw. Inhaltswörter (Nomen, Verben, Adjektive mit hohem Bedeutungsgehalt). Die Funktionswörter bzw. Operatoren werden auch als Pivots (Angelpunktwörter) bezeichnet. Drei typische Kombinationen, die von Kindern gebildet werden: (a) Pivot - offenes Wort (z.B. mehr Auto) (b) Offenes Wort - Pivot (z.B. Milch drin) (c) Offenes Wort - offenes Wort (Hose nass) Weiterhin gelten folgende Regeln: (a) Pivots stehen in fester Position im Satz (bestimmte am Anfang, andere am Ende) (b) Pivots in Anfangsposition sind andere als Pivots in Endposition (c) Pivots kombinieren sich mit anderen Worten, aber nicht mit Pivot-Worten In manchen Sprachen wurden Ausnahmen beobachtet, z.B. im Finnischen oder Deutschen (z.B. sowohl mehr Buch als auch Mama mehr). Auch Kombinationen von PivotWorten ließen sich zeigen. Weiterhin starke individuelle Unterschiede zwischen Kindern hinsichtlich ihrer Regeln, z.B. benutzen manche fast ausschließlich O-O-Strukturen, andere fast ausschließlich P-O-Strukturen. Insgesamt lässt sich keine universelle Entwicklungsabfolge feststellen. Telegraphische Sprache Universell lässt sich ein weiteres Prinzip des Spracherwerbs beschreiben, das nicht nur in der Zweiwort-, sondern auch in der Mehrwortphase gilt. Alle Kinder lassen bei ihren ersten Wortkombinationen systematisch bestimmte Satzelemente aus. Vorwiegend sind dies Artikel, Hilfsverben oder Funktionswörter (wie Präpositionen). Da man beim Abfassen eines Telegramms vergleichbar vorgeht, nennt man diese Sprachform telegraphische Sprache. Unterschied zum Telegrammstil jedoch: Ohne die Situation zu kennen, sind viele Kinderäußerungen nicht zu verstehen. Einen wichtigen Anteil am Erwerb von Sprachstrukturen haben Interaktionen mit Erwachsenen. Hilfreich für das Kind sind dabei vor allem Spracherweiterungen durch Erwachsenen. Die beiden wichtigsten interaktiven Prozesse beim Spracherwerb sind in der nächsten Abbildung zusammengefasst. Es handelt sich um: (a)Nachahmung (mit Verkürzung, Kind lässt Wörter aus) (b) Erweiterungen durch Erwachsene (im natürlichen Kontext, systematisches Training bewirkt wenig) Mehrwort-Phase Grammatische Strukturen enthalten einfache und schwierigere Regeln, die zu (je nach Sprache) zu einer jeweils spezifischen Erwerbsabfolge führen. Dass grammatische Regeln unterschiedlich komplex sein können, zeigt folgendes Beispiel: Bei Yes/No questions gibt es nur eine Umformungsregel, während bei Wh-Fragen zwei Regeln befolgt werden müssen. Daher: Wh-Fragen schwieriger als Yes/No Fragen. Konsequenz: Wh- Fragen müssten später erworben werden. Viele Regeln werden zunächst übergeneralisiert, bevor eine korrekte Nutzung erfolgt. Semantikentwicklung Wie kommen Kinder dazu Wortbedeutungen zu erlernen? Wie entsteht ein Verständnis für den Inhalt von Worten? Woher weiß ein Kind, was gemeint ist, wenn die Eltern sagen „Das ist ein ...“ (Eltern zeigen z.B. auf ein Kaninchen – aber woher weiß das Kind, dass nicht das Fell, die Ohren, die Farbe o.ä. gemeint ist?) Voraussetzungen für die Semantikentwicklung Bildung von Kategorien für die Objektwelt. Drei- bis vier Monate alte Kinder wurden zunächst an Katzen habituiert und sahen dann eine andere Tierart. Ergebnis: Es folgt eine Dishabituierung für die andere Tierart. Folgerung: Die Kinder habe eine Kategorie für Katzen gebildet und unterscheiden sie von anderen Tieren. (Einschub: Wenn Kinder in der Lage sind zu fragen „Was ist das“ lernen sie ca. 60 neue Wörter pro Woche dazu) Die semantische Merkmalstheorie nach Clark Es wird angenommen, dass man einem Objekt nach und nach die charakteristischen Merkmale zuordnet. Beispiel: Grundannahmen der semantischen Merkmalstheorie (a) Bedeutung eines Wortes ergibt sich aus der Ansammlung von semantischen Merkmalen (b) Beim Lernen eines Wortes zunächst Konzentration auf wenige kritische Merkmale (c)Durch Erweiterung der semantischen Merkmale Annäherung an Erwachsenenbedeutung. (d) Ableitung der kritischen semantischen Merkmalen aus direkt wahrnehmbaren Merkmalen (e)Allgemeine Merkmale vor spezifischen, Wortbedeutungen sind daher zunächst allgemein, werden später spezifischer, dadurch Neigung zur Überdehnung von Wörtern (z.B. Hund auch für Katze, Maus) Beispiele für Überdehnungen: Ball, Ballon, Murmel, Ei etc. wird alles als Ball bezeichnet Weitere Annahme: Unmarkierte Merkmale werden vor markierten Merkmalen gelernt (positiver Pol einer Dimension vor negativem Pol gelernt, positiver Pol ist gleichzeitig Bezeichnung der Dimension, z.B. bei Größe ist groß positiv und unmarkiert, klein markiert; bei Breite ist breit unmarkiert und schmal markiert). Markiertes Wort erhält zunächst gleiche Bedeutung wie unmarkiertes Wort (z.B. mehr/weniger, Dimension ist Menge, zunächst wird mehr gelernt, weniger wird mit mehr verwechselt und gleichgesetzt). Untersuchungsbeispiel: Kinder sollen auf den Baum zeigen, der mehr bzw. weniger Äpfel trägt. Ergebnis: Mehr wird häufiger korrekt verstanden als weniger. →Daher sollte man im Grundschulalter auch besser mit unmarkierten Wörtern arbeiten! Kritik: (a)Nicht alle Worte lassen sich als Hierarchie semantischer Merkmale beschreiben (Beispiel: Liebe) (b) Übergang von perzeptuellen zu semantischen Merkmalen unklar (wie werden aus der Wahrnehmung semantische Merkmale herausgefiltert?) Die funktionale Kernhypothese nach Nelson Funktionen von Worten sind Schwerpunkt der Konzeption von K. Nelson. Danach kommt die Bedeutung von Worten hauptsächlich durch die Funktion der Worte zustande. Vor allem zu unterscheiden: (a) Core relationships (zentrale Funktionen) (b) Noncore relationships (Beziehungen, die ebenfalls mit dem Wort verbunden sind) (c) Beschreibungsmerkmale (d) Namen Beispielitem zur Unterscheidung zwischen perzeptueller und funktioneller Betrachtungsweise (Tasse oder Schüssel) Was antwortet ein Kind auf die Frage ob es sich hier um eine Schüssel oder eine Tasse handelt? Sagen sie Tasse→ dann gehen sie von ihrer visuellen Wahrnehmung aus Sagen sie Schüssel→ dann gehen sie von der Funktion aus Kritik: (a)Kaum empirische Belege für zentrale Stellung des funktionalen Wissens (b) Willkürliche Trennung zwischen motorisch-funktionalen Anteilen und sensorischperzeptiven Anteilen bei Höhergewichtung des motorisch-funktionalen Die Prototypentheorie nach Rosch Prototyptheorien gehen von der Beobachtung aus, dass Menschen manche Mitglieder einer Kategorie als typischer empfinden als andere (z.B. Rotkehlchen typischerer Vogel als Huhn). Nach Merkmalstheorien haben alle Mitglieder einer Kategorien die gleichen Merkmale. Dann müssten sie bei Zuordnungsversuchen gleich schnell zugeordnet werden können. Ist aber nicht der Fall. Je prototypischer, desto schneller geht die Zuordnung. Folgerung: Manche Mitglieder einer Kategorie haben besonders viele Merkmale gemeinsam. Dies sind die prototypischen Fälle. Daneben gibt es Mitglieder, die nur wenige Merkmale gemeinsam haben. Dies sind periphere Mitglieder der Kategorie. Unterschied zu Merkmalstheorien: Es gibt je nach vorliegenden Merkmalen Mitgliedschaft in Kategorie oder nicht. Nach Prototypentheorie gibt es klare und weniger klare Mitgliedschaft, je nachdem wieviele gemeinsame Merkmale vorliegen. Beispiel: Mond ist Prototyp der Kategorie der mondartigen Gebilde. Aber auch ein D oder eine Banane können dieser Kategorie zugeordnet werden, wenn gemeinsame Merkmale gesehen werden. Wichtigste Annahmen der Prototypentheorie: (a)Nicht jedes Mitglied einer Kategorie hat die gleichen Merkmale (b) Es gibt typische Exemplare und weniger typische (c) Prototypische Mitglieder haben viele gemeinsame Merkmale mit Mitgliedern der Kategorie (d) Zunächst Erwerb von Basiskategorien, dann Oberund Unterkategorien (z.B. Vogel, Singvogel). Was die Basiskategorie ist, kann bei Kindern anders sein als bei Erwachsenen. Ein Kind nutzt am stärksten das mittlere Abstarktionslevel! Lexikalische Kontrasttheorie nach Clark Die Zuordnung von Wort und Begriff erfolgt nach der lexikalischen Kontrasttheorie vor allem nach zwei Prinzipien: (a)Dem Prinzip des Kontrasts (b) Dem Prinzip der Konventionalität Prinzip des Kontrasts: Die Bedeutung eines Wortes zu erwerben heißt, die Kontraste des Wortes zu anderen Worten zu erwerben. Prinzip der Konventionalität: Es ist konventionell festgelegt, in welcher Art zwei Wörter eines Lexikons kontrastieren (welche Bedeutung also Worte in einer Sprache haben). Anderenfalls könnte es kein gemeinsames Wortverständnis zwischen Kommunizierenden geben. Am Anfang der Sprachentwicklung ist das Kind bestrebt, Lücken in seinem Vokabular zu füllen. Wenn das Kind Lücken bemerkt, sucht es nach einem neuen Wort. Besondere Strategien, um Lücken zu überbrücken: (a) Einsatz von Allzweckwörtern (wie Ding etc.) (b) Einsatz von Überdehnungen ( sagt Apfel zu einem Objekt obwohl es weiss, dass es kein Apfel ist) (c) Einsatz von Wortneubildungen (Erfindet ein Wort was es nicht gibt für ein Objekt, weil es den Namen des Objektes nicht kennt) All dies gilt nur, wenn dem Kind noch angemessene Worte zur Bezeichnung fehlen. Constraint-Theorie nach Markman Kinder lassen sich bei der Ableitung von Wortbedeutungen von bestimmten Vorannahmen (constraints) leiten. Ganzheits-Constraint: Kind geht davon aus, dass sich Worte in einer Benennungssituation auf ganze Objekte beziehen (und nicht auf Bestandteile eines Objektes) Taxonomie-Constraint: Kind geht davon aus, dass sich Worte in einer Benennungssituation auf Objekte desselben Typs beziehen (also der Begriff „Hund“ bezieht sich auf verschiedene Hunde, aber nicht auf eine Assoziation zwischen Hund und Hundehalsband). Disjunktions-Constraint: Kind geht davon aus, dass jedes Objekt nur eine Bezeichnung hat. Wenn für ein Objekt schon eine Bezeichnung vorliegt, nimmt das Kind an, dass das neue Wort für etwas anderes steht (z.B. für Objektteile oder Eigenschaften eines Objekts) Untersuchung zum Disjunktions-Constraint: Drei Jahre alte Kinder sehen Objektpaare: - Vertrautes Objekt, für das sie einen Namen hatten und - Nicht-vertrautes Objekt, für das sie keinen Namen hatten Versuchsleiter sagt: Show me the blicket (Phantasiewort) Ergebnis: Die Kinder wählen das Objekt aus, für das sie bisher keine Bezeichnung hatten. Entwicklung der Sprachpragmatik Die Rolle der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme Sprache zunächst egozentrisch auf eigene Perspektive beschränkt. Erst später Fähigkeit, andere Perspektiven zu berücksichtigen und Sprache auf andere Personen und deren Informationsstand einzustellen. Egozentrische Sprache: Keine Berücksichtigung des Standpunktes des anderen, eigene Bedürfnisse und eigener Wissensstand im Vordergrund. Sozialisierte Sprache: Auf die Person bezogen, mit der man gerade spricht (Berücksichtigung des Informationsstandes des anderen, der kognitiven Kompetenzen des anderen, der emotionalen Lage des anderen). Es gibt verschiedene Paradigmen, die zeigen, ob ein Kind seine Sprache dem Gegenüber und seinem Informationsstand anpasst. Studie von Krauss und Glucksberg: Präsentation von ungewöhnlichen Zeichen, die Kinder zwischen 4 und 10 Jahren einem gleichaltrigen Kind beschreiben sollten. Nächstes Bild zeigt die Zeichen und einige Beschreibungen von jüngeren Kindern, die kaumverstanden werden können. Die anderen Kinder sollten die Zeichen heraussuchen. Ergebnis der Studie: Keine Verbesserung der Beschreibungsleistung von Vorschulkindern über mehrere Durchgänge hinweg (gleichbleibende Fehlerzahl in der Kommunikationsleistung). Gesprächsfähigkeit: Die Beiträge jüngerer Kinder in Interaktionen sind häufig nicht aufeinander bezogen (u.a. wegen mangelnder Perspektiveübernahmefähigkeiten) Der Anteil thematisch aufeinander bezogener Beiträge nimmt über das Alter hinweg deutlich zu und verbessert so die Kommunikationsfähigkeiten. Die verbalen Kommunikationsfähigkeiten verbessern sich im Laufe der Entwicklung deutlich gegenüber den nonverbalen. Dies lässt sich theoretisch aus der Repräsentations-Entwicklungstheorie von Bruner ableiten (aber ebensogut aus Piagets Theorie). Danach wird zunächst vor allem aktional, später ikonisch, dann (vor allem ab Grundschulalter) sprachlich-symbolisch repräsentiert. Analog sind nonverbale Kommunikationsanteile bereits früh entwickelt (z.B. mimischgestische und zeichnerisch-symbolische Anteile), werden aber später zunehmend durch sprachliche Fähigkeiten überlagert. Eigene Studie hierzu: Kindern Worte nennen, die sie pantomimisch, zeichnerisch oder sprachlich darstellen sollen. Von anderen identifizieren lassen. Ergebnisse: Pantomimische Fähigkeiten stagnieren. Zeichnerische und (vor allem) sprachliche Fähigkeiten nehmen zu. Deutlichster Anstieg bei sprachlichen Kommunikationsfähigkeiten. Fördernde und hemmende Bedingungen des Spracherwerbs Notwendige Bedingungen, um Sprache zu erlernen: (a) Physische Bereitschaft zum Sprechen (physische Reifung für aktive Sprachnutzung notwendig, für passives Sprachverständnis weniger notwendig) (b) Mentale Bereitschaft zum Sprechen (durch Hirnreifung) (c)Vorhandensein eines Sprachmodells (wichtig für korrekte Aussprache, korrekte Grammatik) (d)Gelegenheit zur Sprachpraxis (Gelegenheiten zu Interaktion mit anderen) (f) Motivation (Wenn gelernt wird, dass Gesten und Weinen ausreicht, um alles zu bekommen, entsteht nur geringe Motivation, sprechen zu lernen) (g) Unterstützung (gutes Modell sein, Worte langsam und klar sprechen, Fehler korrigieren) Bedingungen, die Unterschiede zwischen Kindern hinsichtlich ihrer Sprachentwicklung hervorrufen können: (a) Gesundheitszustand (b) Intelligenz (intelligente Kinder sprechen eher) (c) Sozioökonomischer Status (Förderung ist hiermit verbunden) (d) Geschlecht (Jungen langsamer als Mädchen) (e) Wunsch zu kommunizieren (f) Stimulation (g) Familiengröße (Einzelkinder schneller) (h) Geburtsreihenfolge (Erstgeborene schneller) (i) Erziehungsmethoden (permissiver und demokratischer Erziehungstil günstig) (j) Mehrfachgeburten (Zwillinge etc. langsamer, da häufige Interaktionen untereinander) (k) Kontakte mit Gleichaltrigen (Sprechen günstig, um sich durchzusetzen) (l) Persönlichkeit (gut angepaßte Kinder sprechen qualitativ und quantitativ besser)