Dr. habil. Burkhard Utecht Berufsakademie Thüringen – Staatliche Studienakademie Studienbereich Wirtschaft Studienstandort Eisenach VWL im 6. Semester Finanzwissenschaft Ausgewählte Konzepte der Steuerwirkungslehre 1. Steuerlastverteilung („Inzidenz“) einer bei den Güternachfragern erhobenen speziellen Verbrauchsteuer (Mengensteuer) 2. „Mehrbelastung“ selektiver Steuern am Beispiel der speziellen Verbrauchsteuer 1. Steuerlastverteilung („Inzidenz“) einer bei den Güternachfragern erhobenen speziellen Verbrauchsteuer (Mengensteuer) Abb. a: Marktgleichgewicht ohne Verbrauchsteuer Abb. b: Verschiebung des Marktgleichgewichts infolge der Verbrauchsteuer Abb. c: Effektive Steuerlastverteilung der speziellen Verbrauchsteuer Abb. d: Effektive Steuerlastverteilung bei geringer Preisreaktion der Nachfrage Nachtrag: Misst man die sich aus der speziellen Verbrauchsteuer ergebenden Belastungen nicht an der effektiven Verteilung der Steuerlast (des Steuerzahlbetrags), sondern stattdessen an den sich ergebenden Verlusten bei der Konsumenten- und Produzentenrente, so zeigt sich, dass die jeweilige Belastung der Konsumenten und Produzenten − wohlfahrtstheoretisch gesehen − noch größer als ihre Steuerlast ist. Konsumentenrente: Zahlungsbereitschaft der Konsumenten abzüglich tatsächliche Zahlung Produzentenrente: Deckungsbeitrag = Nettoumsatz abzüglich variable Kosten Zur grafischen Vereinfachung wird vom Fall vollkommener Konkurrenz ausgegangen: Die Konsumentenrente entspricht der Fläche unterhalb der Nachfragekurve (= Zahlungsbereitschaft) abzüglich der Fläche des Bruttoumsatz-Rechtecks (= tatsächliche Zahlung, Konsumentenpreis x Absatzmenge). Die Produzentenrente entspricht der Fläche des Nettoumsatz-Rechtecks (= Produzentenpreis x Absatzmenge) abzüglich der Fläche unter der Güterangebotskurve (= variable Kosten). (Anmerkung: Bei vollkommener Konkurrenz entspricht die Güterangebotskurve der Grenzkostenkurve, denn dann gilt im Gewinnmaximum: Produzentenpreis = Grenzkosten). Abbildung e verdeutlicht die Konsequenzen: Die Konsumenten verlieren durch die Erhebung der speziellen Verbrauchsteuer Konsumentenrente im Umfang der blau markierten Fläche. Der Verlust an Konsumentenrente ist folglich um die Fläche des Dreiecks ABE* größer als die Steuerlast der Konsumenten. Die Produzenten verlieren durch die Erhebung der speziellen Verbrauchsteuer Produzentenrente im Umfang der orange markierten Fläche. Der Verlust an Produzentenrente ist folglich um die Fläche des Dreiecks BE*E** größer als die Steuerlast der Produzenten. Abb. e: Verlust an Konsumenten- und Produzentenrente infolge der speziellen Verbrauchsteuer 2. „Mehrbelastung“ selektiver Steuern am Beispiel der speziellen Verbrauchsteuer Bei dem Problem der „Mehrbelastung“ geht es um die Frage, inwiefern unterschiedliche Steuerarten bei demselben Steueraufkommen zu unterschiedlichen Wohlfahrtswirkungen für die betroffenen Steuersubjekte führen. Aus Sicht der finanzwissenschaftlichen Theorie führen alle selektiven Steuern zu größeren Nutzeneinbußen für die betroffenen Steuersubjekte, als wenn ihnen derselbe individuelle Steuerbetrag über die Erhebung einer pauschalen Steuer abgeschöpft werden würde. Unter einer selektiven Steuer ist dabei jede Steuer zu verstehen, deren Bemessungsgrundlage in irgendeiner Form an Wirtschaftsaktivitäten der Steuersubjekte anknüpft. Die „Mehrbelastung“ der selektiven Steuer (auch Zusatzlast oder Excess Burden genannt), ist dann jene Nutzeneinbuße, die über diejenige Nutzeneinbuße hinausgeht, die sich bei einer aufkommensgleichen Pauschalsteuer ergeben würde. Wir wollen dieses Konzept anhand einer speziellen Verbrauchsteuer verdeutlichen: Betrachtet wird ein Individuum, das über ein gegebenes Budget B verfügt und dieses vollständig auf zwei Güter (Gut 1 und Gut 2) aufzuteilen wünscht, wobei beide Güter für das Individuum „normale“ (superiore) Güter sind. Im Ausgangspunkt seien beide Güter unbesteuert. Die Budgetrestriktion (Budgetgerade) des Individuums ist dann B = p1·x1 + p2·x2, wobei p1 (p2) den Preis von Gut 1 (Gut 2) pro Mengeneinheit des Gutes und x1 (x2) die nachgefragte Menge des jeweiligen Gutes angibt. Die optimale Budgetaufteilung ist dann derjenige Punkt der Budgetgeraden, bei der die höchste erreichbare Indifferenzkurve des Individuums gerade noch berührt (tangiert) wird (in der unteren Abbildung Punkt E*). Abb. a: Optimale Budgetaufteilung ohne Verbrauchsteuer Wir nehmen nun an, dass der Staat auf Gut 1 eine spezielle Verbrauchsteuer in Form einer Mengensteuer erhebt: Auf jede vom Individuum erworbene Mengeneinheit des Gutes 1 erhebt der Staat einen Steuerbetrag (Steuersatz) in Höhe von t. Zur Vereinfachung wollen wir dabei annehmen, dass die (gleichgewichtigen) Produzentenpreise hiervon unbeeinflusst bleiben. Das Individuum zahlt nun also für jede Mengeneinheit des Gutes 1 einen Konsumentenpreis in Höhe von p1+t > p1. Die Budgetrestriktion ist nun B = (p1+t)·x1 + p2·x2. Die Einführung der speziellen Verbrauchsteuer auf Gut 1 führt zu einer Innendrehung der Budgetgeraden um ihren Schnittpunkt mit der x2-Achse. Einerseits vermindert sich hierdurch die Kaufkraft des Budgets B, was in der Wirkung einer Budgetminderung (Einkommensminderung) gleichkommt. Andererseits verteuert sich durch die Verbrauchsteuereinführung das besteuerte Gut 1 relativ gegenüber dem unbesteuerten Gut 2. Sowohl die Kaufkraftminderung als auch die relative Verteuerung von Gut 1 führen dazu, dass das Individuum von Gut 1 weniger nachfragen wird (negativer „Einkommenseffekt“ und negativer „Substitutionseffekt“ von Gut 1). Im Hinblick auf Gut 2 sind verschiedene Gesamtwirkungen möglich: Die Kaufkraftminderung wirkt für sich betrachtet auf eine Minderung der Nachfrage nach Gut 2 (negativer „Einkommenseffekt“), die relative Verbilligung von Gut 2 für sich betrachtet auf eine Erhöhung der Nachfrage nach Gut 2 (positiver „Substitutionseffekt“). Welcher Effekt überwiegt, hängt von der Präferenzordnung des Individuums ab. Im Fall der unteren Abbildung b ist unterstellt, dass der Substitutionseffekt von Gut 2 dessen Einkommenseffekt überwiegt, die Nachfrage des Individuums nach Gut 2 also zunimmt. Wieder wählt das Individuum denjenigen Punkt seiner (neuen) Budgetgeraden, der die höchste erreichbare Indifferenzkurve berührt (Punkt E**). Der vertikale Abstand zwischen Punkt E** und der alten Budgetgeraden (Strecke E**A) gibt dabei den − in Mengeneinheiten von Gut 2 gerechneten − Verbrauchsteuer-Gesamtbetrag an, den das Individuum für seinen Verbrauch von Gut 1 zahlen muss (= Steuerzahlbetrag T / Preis von Gut 2 p2). Der Ausdruck T/p2 gibt also an, wie viele Einheiten von Gut 2 das Individuum mit dem entrichteten Steuerbetrag T = t·x1** kaufen könnte, wenn es ihn nicht an den Staat abführen müsste. Abb. b: Optimale Budgetaufteilung bei spezieller Verbrauchsteuer auf Gut 1 (Mengensteuer) Der Staat könnte denselben Steuerbetrag T alternativ auch durch eine Pauschalsteuer bei dem Individuum erheben, d.h. durch eine Steuer, deren Höhe unabhängig von den Wirtschaftsaktivitäten des Individuums ist. In diesem Fall lautet dessen Budgetrestriktion B-T = p1·x1 + p2·x2. Gegenüber dem steuerfreien Ausgangspunkt kommt es folglich zu einer Parallelverschiebung der Budgetgeraden nach innen (grüne Budgetgerade), wobei die neue Budgetgerade bei unverändertem Steuerbetrag T ebenfalls durch Punkt E** (Optimalpunkt bei der speziellen Verbrauchsteuer auf Gut 1) verläuft. Bei der Erhebung der Pauschalsteuer bleiben jedoch die relativen Preise der Güter 1 und 2 unbeeinflusst, sodass 1. die Steigung der neuen Budgetgeraden derjenigen der alten Budgetgeraden vor der Steuereinführung entspricht, und 2. es zu keinen „Substitutionseffekten“, sondern nur zu „Einkommenseffekten“ kommt. Wieder wählt das Individuum denjenigen Punkt seiner Budgetgeraden, bei dem die höchste erreichbare Indifferenzkurve berührt wird (Punkt E***). Die mit der Pauschalsteuererhebung verbundene Minderung des verfügbaren Budgets führt dazu, dass das Individuum von beiden Gütern gegenüber dem steuerfreien Fall (Punkt E*) weniger nachfragen wird (negative „Einkommenseffekte“). Gegenüber dem Fall der (aufkommensgleichen) speziellen Verbrauchsteuer auf Gut 1 (Punkt E**) wird jedoch die Nachfrage nach Gut 1 höher, die Nachfrage nach Gut 2 dagegen niedriger ausfallen, weil bei der Pauschalsteuer die „Substitutionseffekte“ fortfallen. Aus der nachfolgenden Abbildung c ist dabei zu erkennen, dass das Individuum im Punkt E*** gegenüber Punkt E** ein höheres Nutzenniveau, d.h. eine höher liegende Indifferenzkurve erreichen kann. Die künstliche Verzerrung der relativen Preise im Fall der speziellen Verbrauchsteuer bzw. die hieraus herrührenden Substitutionseffekte führen also zu einem niedrigeren Nutzenniveau für das Individuum, als wenn derselbe Steuerbetrag durch eine Pauschalsteuer erhoben werden würde. Die spezielle Verbrauchsteuer ist also gegenüber der aufkommensgleichen Pauschalsteuer mit einer „Mehrbelastung“ (Zusatzlast) für das Individuum verbunden. Abb. c: Optimale Budgetaufteilung bei aufkommensgleicher Pauschalsteuer