of Arts Dalhousie University Halifax, Nova Scotia

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E r i c Adam Ruchle
Submitted in partial f u l f i l h e a t of the requirements
for the degree of Master: of Arts
Dalhousie University
Halifax, N o v a Scotia
Septamber 1998
8 Copyright by Eric
a Xuchle,
1998
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Kapitel 1 . D i e Hell-Dunkel-Bildlichkeit der europaischen
Mystik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
.
Kapitel 2
.
Novalis
Kapitel 3
.
Buchners Lenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .4 1
Hymnen an d i e N a c h t
. . . . . . . . . . . . , . . . . . O3 1
The
following traces the historical development
conception of
of
the
light and darkness as represented in the
philosophy, mysticisrn, and literature of western culture,
The ultimate purpose of such an examination, as wiI1 be
apparent, is
to
demonstrate
the
essential
relation
of
imagery to the dialectic of intellectual history, namely as
to the logically developing context in which it is placed.
The images of light and darkness, in particular, play a
seminal
role
in
giving
expression
to
the
changing
orientation of the western mind to being and knowing.
A
small number of examples, chosen from the point of view ot
their respective light-dark imagery, function sufficiently
to trace the developrnent of this orientation from ancient to
modern times.
Among the illustrative material chosen here,
those which corne principally under consideration are Meister
Eckhart's concept of the Seelenfunke, Novalis' H y m n e n an die
Nacht, and Georg Büchner's Lenz.
I w o u l d like to express my gratitude to Prof. Dr. Hans-
Gunther Schwarz for considerable help continually extended
to me throughout my studies at Dalhousie University, and, in
particular, for essential support in the production of this
thesis, to Prof. Dr. Friedrich Gaede.
In addition, bountiful thanks are extended to Christine
Payrhuber,
Aaron Kuchle, and above al1 Kelli Meagher
for
constant intellectual consultation and friendship during the
writing process.
Unforgotten remain, of course, rny dear parents, without
whose spiritual nourishment and guidance nothing could ever
have been brought to fruition.
Schon
frühgriechischen
irn
rnytholugischen
Weltbild
entsteht eine Vorstellung von Licht und Finsternis, die
sinnbildlich
auf
Entfaltung
die
Geistesgeschichte hindeutet.
und
Finsternis
Widerspiels
in
den
zugrundeliegen.
Hesiods Theogonie stellt Licht
Zusammenhang eines
selbstaridiger
N a c h dem
europaischen
der
Wechsel- und
Daseinsrnachte, die
dm
Kosmos
Erbe vor allem Hesiods liefert
Karl Philipp Moritz in seiner Gotterlehre eine pragnante
Beschreibung des kosmischen Urzustands:
Zuerst ist das Chaos, dann die weite Erde, der
finstere Tartarus - und Amor, der schonste unter den
unsterblichen Gottern [ . . . ] Das Gebildete und Schone
entwickelt sich aus dem Unfonnlichen und Ungebildeten.
- Das Licht steigt aus der Finsternis empor. - Die
Nacht v e m h l t sich m i t d m Erebus, dem alten Sitze
der Finsternis, und gebiert den ~ t h e rund den Tag.
Die Nacht ist r e i c h an mannigfaltigen Geburten, denn
sie hüllt a l l e die Gestalten in sich e h , welche das
Licht des Tages vor unserm Blick entfa1tet.l
Die Gottin der Nacht
(Nyx) und der Gott der Finsternis
(Erebus) sind beide dem Chaos entsprungen.
Die von dm
~ t h e rund der Cottin des Tages vertretene Lichtseite des
Kosmos wird erst durch d i e schopferische Kraft des Dunklen
hervorgebracht, das heiIZt aus der Liebesverbindung zwischen
Karl Philipp Moritz,
1967) 14.
Gotterlehre (Berlin: F . A. Herbig,
Nacht und ~insternis.
Dunklen
-
wie
Hier begimt
~ o r i t z deutlich
eine Vorstellung vom
-
hervorhebt
als
dern
Ungesonderten, dem auch absolute Fruchtbarkeit imewohnt
-
ein immer wiederkehrendes Motiv, das unter anderem noch ganz
konkret i r n Humanismus in Form zum Beispiel der Naturlehre
von
Paracelsus
Kontinuitat
auftaucht
imerhalb
der
-
ein
markantes
westlichen
Beispiel
der
Geistesgeschichte.
Paracelsus beschreibt an einer Stelle die Erschaffung der
Erde durch die prima materia bzw. den "Urstoff":
Also hat [ . . . ] Gott aus einer Masse und Materie alle
Geschopfe entnommen, herausgezogen und geschieden,
ohne daE S p a e dabei entstanden sind, und E r hat alles
i n seine 'letzte Materie' gebracht, was Er sich
vorgenormen hatte in sechs Tagen zu erschaffen.
Er
hat herausgezogen, was zu den S t e m e n gehort und es zu
Sternen gemacht , der Finsternis entnommen, was zum
L i c h t gehort und es zu Licht gemacht und so ein
jegliches nach seiner eigenen Art und an seine
besondere Statte [ . . . ] Wie nun aus einer solchen
schwarzen, schmutzigen Erde die edelsten und feinsten
Farben hervorgehen, so sind auch mancherlei Geschopfe
aus dern 'Urstoff' hervorgegangen, der zuerst in seiner
Ungeschiedenheit nur Unflat gewesen ist.
Schaut das
Element des Wassers an, wenn es ungeschieden ist! Und
dann sehet hin, wie daraus Metalle, alle Steine, alle
glazenden Rubine, leuchtenden Karfunkel, Kristalle,
Gold und Silber ents tehen [ . . . ] .*
Die mythologische Entstehungsgechichte von Finsternis und
Licht setzt sich irn Mythos
fort, in dm die erst
spater
geborenen, von Jupiter geführten Kinder Rheas und Saturnus'
das Reich des Vaters und seiner Titanen erobern.
2
Moritz
Paracelsus, ~ebendigesErbe (Zürich: Rascher Verlag, 1942)
beschreibt
Eroberung
folgende
auf
im
Sime
Unmefibaren unter das
die
Weise
einer
Notwendigkeit
Unterorünung
des
dieser
Unformlich-
liedle MalSi', das von den olympischen
Gottern reprasentiert werde und den Geist der griechischen
Kunst ausmache:
Gerade die Vermeidung des Ungeheueren, das edle Ma&,
wodurch allen Bildungen ihre Grenzen vorgeschrieben
wurden, ist e i n Hauptzug in der schonen Kunst der
Alten; und nicht umsonst drehet sich ihre Phantasie in
den altesten Dichtungen imer um die Vorstellung, dai3
das
Unformliche,
Ungebildete,
Uribegrenzte
erst
vertilgt und besiegt werden mus, ehe der Lauf der
Dinge in sein G l e i s kommt - 3
Die
Einkerkerung
Vergessenheit
des
der
Titanen
Tartans
ist
in
der
unterirdischen
Vorahnung
des
weiteren
Verlaufs der europaischen Geistesgeschichte - oder genauer
ausgedrückt,
ihr
Ungesonderte
wird
B e g i ~ : das
abgewertet
~rkenntnisbereich verdrangt.
Dunkle,
und
aus
das
dem
UrsprünglichSeins-
und
Es taucht doch immer wieder
auf als Gegenposition zu der des
Lichts als Bereich des
Gesonderten, das heiBt des ordnenden, urteilenden Prinzips
des menschlichen BewuBtseins.
Platon
Übergang vom vorplatonischen Hell-Dunkel-Dualismus
Dem
Lichtmetaphysik, die
zur
mit
Platon
ihren
eigentlichen
Anfang findet, spürt Dieter Bremer einsichtsvoll nach':
Das
Verlangen der wachsenden Ratio, den Seinsgrund aller Dinge
gedanklich zu fixieren, hebt anfangs die mythologische HellDunkel-Zusammengehorigkeit
nicht
auf;
das
Heraklitsche
Alifeuer fast seinem Wesen nach Licht und Finsternis in ein
dynamisches , nie zu Ruhe gelangendes ~erhaltnis
, das das
eigentliche Wesen des Kosmos ausmacht.
Alle Dinge bewegen
sich dementsprechend stadig zwischen Gegenpolen; die Sonne
geht auf und ab, der Mensch befindet sich immer irgendwo
zwischen Schlafen und Wachen, Leben und Todt Erkemtnis und
usw.
Wahn,
Dieser von
Heraklit
aufgefaste, dynamische
Seinsgrund gehort aber noch keiner Metaphysik; er ist noch
in der Immanenz der sich stadig wandelnden Natur befangen ,
Der Aufgang der Metaphysik zeichnet sich laut Bremer so aus,
daB sie einer Denktendenz entspricht, "den Seinsgrund in die
absolute Position eines Bestaridigen zu bringen, das allern
Wechsel
und Gegensatz enthoben i ~ t . " ~Diese Denktendenz
selbst
entspringe
p
gleichsam
einem
"Daseinswillen
zum
p
Dieter Bremer,"Hinweise zuni griechischen Ursprung und zur
europaischen Geschichte der Lichtmetaphysik," Archiv für
Begriffsgeschichte 17.1(1973): 8-24.
Bremer 14-15.
sestandigen1'6.
Für
~aseinswille so
Philosophen
den
auBern,
daB
es
würde
sich
Menschen
dem
dieser
ontisch
notwendig sei, sich aus der Finsternis der Unkenntnis und
Licht der Erkemtnis per ration-
ins
zu bewegen.
Das
philosophische Denken überschreitet alsdann die Schranken
der
sirinlichen
Welt,
und
damit
muf3
die
Naturgegenstand, der vom Dualismus des Auf-
wird,
bes timmt
ihre
Sonne
als
und Abgehens
Erkemtnisfunktion
etwa
als
Manifestation des Eferaklitschen Allfeuers verlieren und zum
bloB auf etwas Andersartiges verweisenden Sinnbild werden,
zum Verweis auf die Quelle eines übersimlichen Lichts.
beginnt mit
Idee,
Es
Platon die Spaltung zwischen Erscheinung und
wobei das erste das bloi3e Abbild des zweiten wird.
Das simliche Licht ist dementsprechend bloBes Abbild des
eigentlichen Lichtes, das noetische Gewigheit der Welt dem
erkemenden
agathon,
gewahrt.
Das
Gute
"Leuchtendste
des
Seienden",
Geist
das
" intelligible Helle"
keine
notwendige
ist
unter
von
oder aletheia ausstrahlt .
Befangenheit
des
anderem
dern
das
Es gibt
erkenntnissuchenden
Geistes i n diesem Idealismus zwischen Licht und Finsternis,
sondern der Geist vermag sich der Simenwelt zu entheben und
das
reine Licht der E r k e m t n i s
eidetischen
Formen,
ihren
erhellen
festlegbarerz
lassen, um
Sinngehalt
ihre
zu
Bremer 30. Hier ist eine Konzeption, die übrigens vom
Standpunkt der Geistesgeschichte hilfreich ist, dem s i e
stellt den Versuch dar, die Tendenz anthropologisch zu
begründen .
Resp. 518 cg. und 5 4 0 a8.
erfassen.
Die platonische Sonne ist sowohl Erkenntnis- als
Seinsgrund; der Eidos eines sinnlichen Gegenstandes ist das,
was an ihm unveraderlich und unendlich ist .
Somit hat die
stets im Wandeln befangene Materie keine Realitat
- eine
Erinnerung an die Einkerkerung der Titanen im Tartarus.
Plotin
Die negative Auslegung der Dunkelheit, der Klarheit und
Deutlichkeit der Erkemtnis zuliebe, fuhrt zu einer ganz
konsequenten Abneigung
gegen die
simliche Welt
und
irn
allgemeinen gegen die Materie, die dem unwandelbare Wahrheit
verlangenden Geist feindlich gegenübersteht. Dies wird klar
schon bei Platon, aber steigert sich und nimmt zugleich eine
andere
Richtung
bei
seinem
Nachfolger
Plotin,
dessen
Ernanationslehre die Materie ganz unbeleuchtet vom Einen und
Guten laBt .
Die materielle Wel t der steten Wandelbarkei t
ist an sich nichtig und menschenfeindlich, denn der Mensch
gelangt zur Selbstverwirklichung, indem er die sinrilichen
und
dem
tranzendenten,
einheitsspendenden Einen zu gewinnen sucht .
D a m i t ist ein
Augen
schlieBt
weiterer
Schritt
in
Einheit
der
mit
westlichen
Metaphysik
und
im
besonderen der Lichtmetaphysik gemacht : Die einzelne Seele
ist ein Licht, das das Wesen des Menschen ausmacht, indem es
VI. iii. 9 ,
Ennead VI. ix. 10-11.
a Ennead
ist und das sich nur anschauen laBt,
vom Einem emaniert
indem die AuBenwelt
ausgeçchaltet wird-
Die
unendliche
Ideenwelt Platons wird zwar neugestaltet in Form vom Nous
bzw. der zweiten Hypostasis, aber diese ist nur zweitranging
und
deshalb
von
begrenztem
Wert;
Gott
oder
die
erste
Hypostasis ist der Ratio enthoben, denn er ist als hochste
Einheit ohne alle Merhaie, die ihn von anderen EEtitaten
underscheiden würden, und jenseits der Trennung von Subjekt
und
Objekt,
Daher
die das bewuf3te Denken
auf
gewinnt
der
Übersteigerung
bzw.
Geist
Vereinigung
Negation
der
angewiesen
mit
Ratio
bis
kt.
Gott
durch
zur
reinen
Kontemplation und endlich Ekstase - Selbstnegation in der
Elirninierung
begimt
also
mystischen,
der
die
Subjekt-Objekt-Trennung.
Mit
contemplatio-Tradition
anschaulichen
der
die
Denkweise,
Plotin
westlichen
der
Ratio-
Bezogenheit des sich in Begriffen bewegenden, analytischen
westlichen D e n k e n s gegenübersteht.
Vorstellungen von Licht und Finsternis nach der Antike
Im griechischen Denken sind zwei ganz unterschiedliche
Richtungen
in
der
Ausbildung
der
europaischen
Lichtvorstellung potentiel1 vorhanden, die s i c h im Lauf der
Zeit i m m e r starker voneinander differenzieren.
Sie finden
beide ihren gemeinsamen Ursprung im griechischen Geist, wie
ex im D e n k e n Platons und auch i r n Neuplatonismus zum Ausdruck
komt
Das
Erkenntnistheoretische
und
das
Ontologische
fallen hier noch untrennbar zusammen. Die platonische S o m e
des Guten als das "Leuchtendste des Seienden" (agathon) ist
das absolute Einheitsmoment und als solches dem Verstadnis
entrückt, zugleich aber gewahrt es durch die "intelligible
Hellen (aletheia) dem Verstand Erkemtnisgewigheit.
ganz
allgemein
resultiert
verursachten
ausgedrilckt:
allmahlich
Absondenmg
Ontologischen.
Unterordnung
der
aus
Die
des
Die
des
zweite
Lichtvorstellung
erste
von
Zuerst
der
Philosophie
Erkenntnistheoretischen vom
ist
dagegen
Resultat
Erkenntnistheoretischen
Ontologische, die diese in Versohnung
unter
bringen soll.
diese Begriffe jeweils zu begründen, gehen wir
einer
das
Um
au£ den
geschichtlichen Hintergrund, der ihnen zugrundeliegt, tiefer
ein :
1) Mit der von Platon eingeführten totalen Scheidung von
sinnlicher und geistiger Welt ist ein Natur-Geist-Dualismuç
geboren, der vor allem über die Stoiker bis in die Neuzeit
wirkt
und
zur
Voraussetzung
der
materialistisch-
mechanistischen Stromung der Neuzeit wird.1°
Die radikale
Konsequenz des philosophischen Dualismus besteht darin, daB
der Geist endgtiltig aus der Natur ausgeschlossen und diese
dadurch des
Si~gehaltes beraubt
werden einander unverwandt.
wird: Geist und Natur
Auffallend ist dabei, daB irn
selben Moment, in dem sich das dualistische Weltbild mit
Platon entwickelt, eine Lichtrnetaphysik beginnt, die als
10
Vgl. La Mettrie: L'home machine.
Folge die ontisch negative Bewertung der ~insternishat, mit
der ihre Exklusion aus dem ~rkenntnisf
eld zusammenharigt ,
Dies hat
dominiert.
zur
das westliche Denken bis
auch
Aufklarung
Die Frage ist d m , wie diese zwei Phanornene,
das heiBt der Geist-Materie-Dualismus und die platonische
Lichtmetaphysik, zusammenhagen.
Zwischen den beiden ist ein unverkennbarer Widerspruch zu
sehen, der von der Geistesgeschichte aufgelost werden muB:
Da
das
"Dunkle"
hi los op hie
Philosophie
als
abgelehnt
das
wird,
Nicht-Festlegbare
kann
auch
von
die
Lichtvorstellung
vertretene
von
kaum
der
dieser
ihre
metaphysische Signifikanz als absolutes Einheitsmoment, das
heiBt
als
agathon
behalten.
Die
partikularen
Erkenntnisgegenstande der wirklichen Welt lassen sich von
keinem
Einheitsprinzip
umfassen,
zu dem
die
Erkemtnis
keinen Zugang hat .
Weil das Licht von den Philosophen
allmahlich auf
bloB
eine
analytische Erkemtnisfunktion
begrenzt wird, verliert es deshalb immer mehr die Merkmale
einer religiosen bzw. metaphysischen
Menschheit"".
"Grundkategorie der
Den Philosophen erimert die Sonne von dem
J. Ratzinger, "Licht und Erleuchtung: Erwagungen zu
Stellung und Entwicklung des Themas in der abenlandischen
Geistesgeschichte," Studium Generale 13 (1960): 368.
Man wird erinnert an ein paralleles Phaornen in der
Malerei: Im Mittelalter wird die Maierei vom Goldgrund
dominiert, der das Signal der Transzendenz und der
Ailgegenwart G o t t e s
ist.
Aber, wie Hermann Pongs
feststellt, dieser wird im 15. und 16. Jahrhundert - d.h.
nach der Renaissance - allmahlich sakularisiert: "Neben das
'sakrale Leuchtlicht' tritt das 'natürliche Licht' (Sonne,
Moment
nicht
an
mehr
an Gott:
Diese
erste,
letztlich
diesseits-gebundene, rationalistische Vorstellung des Lichts
führt
in
der
menschlichen
Aufklarung
Verstandes,
zur
wie
Konzeption
es
etwa
vom
von
Licht
John
des
Locke
definiert wird:
Light, true light, in the mind is or can be nothing
else but the evidence or truth of any proposition; and
if it be not a self-evident proposition, al1 the light
it has, or cari have, is from the clearness and
validity of those proofs upon which it is received.
To talk of any other light of the understanding, is to
put ourselves in the dark, or in the power of the
Prince of Darkness, and by our own consent to give
ourselves up to delusion [ . . . ] .12
Das, was Locke als " t ~ light
e
in the mind" beschreibt, ist
nichts anderes als eine sakularisierte aletheia, die ihren
Ursprung nicht mehr kemt.
2) Dort, wo es sich mit der rationalistischen Tradition
auseinandersetzt,
Licht betont.
wird
das
Metaphysisch-Tranzendente
am
Das geschieht vor allem in der auf Plotin
zurückgehenden mystischen Tradition, aus der eine zweite
Lichtvorstellung entsteht: das Offenbarungslicht.
tragt
das
transzendente
Moment
der
Dieses
platonischen
(Fackeln, Kerzen) . " H e X m a ~
Pongs, "Die Lichtsyrnbolik in der Dichtung seit der
Renaissancen (Teil 1), Studium Generale l3(196O): 631.
l2
John Locke, The Works of John Locke in ten volumes
(reprint of London 1823 edition, Aalen: Scientia Verlag,
1963), Vol 3 , 155.
M o n d ) und das ' künstliche Licht '
Lichtvorstellung weiter.
Lndem die zweite Lichtvorstellung
von der rationalistischen Tradition angegriffen wird und
sich mit ihr auseinandersetzt, wird letztere zum Ausdruck
der Hinfalligkeit des menschlichen Verstandes.
die ~ahrheit zum
Dieser macht
Gegenstand des Urteils, das heiBt er
analysiert, und schafft damit das, was gerade i r n
unio-
Erlebnis des Mystikers bzw. in der absoluten Einheit des
Seinsgrundes, aufgehoben ist.
Auf diese Weise tritt im
religiosen
Bereich
und
mys tischen
übermenschliche,
trandzendente Offenbarung an die Stelle menschlichen Denkens
als ~rkenntnisrnedium.
Von der dem Offenbarungsbegriff
inharenten mystischen
Verstandeskritik nicht zu abstrahieren ist die Kritik an dem
der westlichen philosophie typischen Dualismus, dem die von
der Mystik angegriffene Erkemtnis- und Seinsvorstellung
entspringt.
auf
Die europaische Mystik ist allerdings zum Teil
platonisch-neuplatonischem Boden gewachsen und setzt
sich deshalb dualistischen Tendenzen aus, die zur Ablehnung
des Dunklen geführt hat.
Aber schon bei Dionysus Areopagita
und insbesondere seit der Begegnung der Mystik mit der
Scholastik - also ungefahr von Meister Eckhart an13 - wird
die Finsternis ausdrücklich positiv von den Mystikern mit
Gott identifiziert als daç, was über alles Wahrnehmbare bzw.
das
Wirkliche
Mogliche.
13
hinausragt,
das
heigt
als
das
Absolut-
Die Finsternis ist für den mystischen Monismus
siehe unten, 22-31.
gleichsam die Rückseite des Lichts, die Voraussetzung aller
Of fenbarung .
In der Neuzeit kommt die uralte, wesentlich europaische
Auseinandersetzung zwischen Ratio und Offenbarung nicht zu
Ende, sondern n i m r n t allmahlich neue Gestalt an: Nach der
Aufklarung geht es mehr um eine Auseinandersetzung zwischen
dem Verstandes- und dem Anschauungsvermogen des Menschen-
Indem das imaginative Anschauungsvermogen die Offenbarung
sakularisiert und diese dadurch dem Menschen zueigen macht
-
und damit auch einen dem Menschen unmittelbaren, ihm selbst
innewohnenden Zugang zum Unendlichen schafft
-
verwandelt
çich gleichsam der Theologe bzw. Mystiker in den Dichter;
die religiose Rolle übernimmt jetzt die Dichtung.
Au£
diese paradoxe Weise kommt die Finsternis immer mehr
zur Geltung
-
n a l i c h als Gegenteil des rationalen Lichts
des Bewugtseins bzw. als die ursprünglich-undifferenzierte,
alles potentiel1
beinhaltende
Dunkelseite des
Kosmos
-
einbezüglich des Mikrokosmos, um den Terminus Paracelsi zu
benutzen, das heiBt des Menschen. Der Sprung zur Entdeckung
des UnbewuBten hat also hier eine Begründung, und in der Tat
wird
in
der
Moderne
letztendlich
-
zuerst
als
philosophisches Thema bei Eduard von Hartmann14, aber bald
auch noch als ein der empirischen Wissenschaft zugewiesenes,
das heii3t psychologisches Thema
(vgl. C.G. Jung) -
die
14 Eduard von Hartmann, Philosophie des UnbewuBten (Berlin:
C. Duncker, 1882). Hartmann behandelt das UnbewuBte hier
noch unter anderem als metaphysisches Thema.
~ifferenzierung zwischen dem
dunklen
Unbewugten und
lichten BewuBtsein konkret behandelt.
dem
Mit der Entwicklung
insbesondere der Tiefenpsychologie bei S. Freud und C. G.
Jung erreicht die Lichtmetaphysik
itir
vorfaufiges Ende;
Licht und Finsternis sind jetzt ausschliei3lich subjektive
Entitaten, von denen es nunmehr gilt, sie als Komponente des
menschlichen Geistes anthropologisch bzw. psychologisch zu
erforschen.
In den folgenden Kapiteln verfolgen wir die Entfaltung
der
vom
europaischen
Geist
demonstierten
Hell-Dunkel-
Bildlichkeit mit Hilfe von hauptsachlich drei Textquelien:
1)
den
des
Aussagen
Mystikers
Meister
Eckhart
zum
Seelenfunken, 2) den H y m n e n an d i e Nacht von Friedrich von
Hardenberg (Novalis) und 3) Georg Büchners Lenz.
Diese drei
Kapitel werden eine konsequente Entwicklung der Hell-DunkelBildlichkeit offenbaren, die - wie oben in skizzierter Form
vorgestellt wurde
-
einer geschichtlich sich konsequent
wandelnden Seins- und Erke~tnisvorsteiiung entspricht: Der
Übergang von der westlichen Mystik, wie sie vor allem von
Meister Eckhart vertreten wurde, zur modernen westlichen
Dichtung bedeutet anfangs, bei Novalis, die Weiterführung
der Monismus-Tradition, in der der wesentliche Zusammenhang
von Licht (als ~irklichkeit,Manifestation, Offenbarung) und
Finsternis
(als Moglichkeit, Potenz) au£ den unendlichen
Zusammenhang der Dinge im Sinne absoluter Vernunf t hinweist
- und folglich
Welt.
auf die Wesensverbindung zwischen Ich und
Allerdings ist die moderne Dichtung nur insofern
modem und deshalb von der Mystik unterschieden, a l s die
Verbindungs- und Gestaltungspotenz der Finsternis b l o B in
der
Suhjektivitat
gesucht
wird,
was
letztendlich
eine
Reaktion auf die Verwandlung des europaischen Weltbildes
durch den wissenschaftlichen, cartesianischen Dualismus ist:
dieser s t e l l t
dem
Subjekt
eine blof3 kausal-quantitative
bestimmte Wirklichkeit und Objektivitat gegeniiber.
Man wird
sich folglich in der Moderne einer Ich-Welt-Spaltung bewuBt,
die zu dem modernen SelbstbewuBtsein des Autors wesentlich
beitragt.
Die der Moderne inharente Problematik und Krise
bringt Büchner anschaulich zutage, indem in seinem Lenz die
Finsternis nicht m e h r
ontisch positiv
dargestellt wird,
sondern als bloi3e Privation und daher Lebensbedrohung, als
Selbstbedrohung
einer
Subjektivitat,
die
keine
Objektivitatsverankerung mehr kennt und darum haltlos wird.
Kapitel 1
DIE H E L L - m L - B I L D L I C R K E X T DER EUROPAISCHEN MYSTIK
Um das Wesentliche der europaischen Lichtmetaphysik und
ihre
geschichtlichen
Erkenntnisvorgang,
Folgen
dem
au£
kurz
die
zusamrnenzufassen:
europaische
Der
Philosophie
basiert, hat, der Gewigheit zuliebe, die Bestadigkeit und
Bestimmtheit ihrer Erkenntnisobjekte zur Voraussetzung.
Licht wird
im Akt
zwischen Ich und
unterbricht
die
der
Welt,
Das
Sinneswahrnehrnung zum Vermittler
Sein Mangel,
Wahrnehmungsvermittlung,
die
Finsternis,
indem
sie
die
Qualitaten, durch die ein Gegenstand erkaruit wird, verhüllt
bzw. negiert.
Der Beginn der westlichen Philosophie mit
ihrem Erkenntnisdrang deutet sich in dem Moment an, in dern
Platon
und
seine
Nachfolger
das
Licht,
unbewuBt
verabsolutieren und ihm den hochstmoglichen ontischen Wert
schenken, der im platonischen Denken mit dem agathon-Begriff
(das "Leuchtendste des Seienden" ) zum Vorschein kommt .
Wie
die GewiBheitsneigung in der Entwicklung des europaischen
Geistes allniahlich zu einer Unterordnung der phaomenalen
Welt unter Abstraktionen führt und deshalb die originelle
metaphysische Basis der Lichtmetaphysik verlorengeht, ist in
der Einleitung bereits erklart worden.L5 Die Tatsache, d a B
das Licht der Erkenntnis çeinen tranzendenten Ursprung als
agathon verliert und immanent zurn Licht des menschlichen
Verstandes wird, kommt, zum Beispiel, in den fur das 18.
Jahrhundert
typischen
Begriffen
"Aufklarung"
und
"aufgeklarte Menschheit" zum Ausdruck.
Wie schon gesagt, wird der Finsternis vorn Standpunkt der
rationalistischen Licht-Ideologie kein positiver ontischer
Gehalt zugeschrieben.
Vorstellung
vorn
Es ist unschwer zu erkennen, welche
Sein
dahintersteckt:
"Sein"
heiBt
letztendlich Erkennbarkei t irn Sinne von Intelligibili tat .
Deshalb heiBt "das Dunkle" in der Sprache, zum Beispiel, das
"Unklare", "Vagen oder "Zweideutige"
- also das, was
per se der Eindeutigkeit eines Begriffes entzieht.
sich
Ohne
Weiteres ist an dieser Stelle zu sagen, dalS die Vertreter
der mystischen Tradition das
"Dunkle", wie es in diesem
Kontext Bedeutung findet, über das Klare fast ausnahmslos
bevorzugen, was ihre Ausdrucksfom betrifft.
Um V e r s t a d n i s
für diesen wichtigen Ansatzpunkt zu gewinnen
-
das heigt,
15
ES ist kaum zu übersehen, dal3 es hier um eine
Verallgemeinerung geht, indem bloB eine Tendenz in der
Geschichte der Philosophie unter die Lupe genommen wird.
Man k a m in dieser Hinsicht einwenden, da& die westliche
Philosophie auch mystischen Tendenzen ausgesetzt sei, wie
diese sich zum Beispiel bei Fichte und auch dem gesamten
deutschen Idealismus unbestreitbar manifestieren.
Die
formelmai3ige Beschrakung ist aber insofern notig, als es
zur
Illustrierung
einer
d i a 1 ektischen
Bewegungsweise
insbesondere der europaischen Geschichte dient, ohne die die
geschichtliche Notwendigkeit der Mystik (oder überhaupt)
vollig unbesehen bleiben würde.
warum
die
Mystiker
sich
gezwungen
begriffliche Sprache zu vermeiden -,
sehen,
eindeutige,
ist es dem modernen
Verstand hilfreich, ein sprachpsychologisches Argument Erich
Fromms zu berücksichtigen, der seine position in diesern
Zusammenhang ganz konsequent als zu einem
"nontheistic
mysticismWl6 gehorend erklart:
If (a) concept becomes alienated - that is, separated
from the experience to which it refers - it loses its
reality and is transformed into an artifact of man's
mind. The fiction is thereby created that anyone who
uses the concept is referring to the substratum of
experience underlying it.
Once this happens - and
this process of the alienation of concepts is the rule
rather than the exception - the idea expressing an
experience has been transformed into an ideology that
usurps the place of the underlying reality within the
living human being.l7
und weiter, das "Nichttheistische",das ihm dies logisch
zur Folge hat:
'God' is one of many different poetic expressions of
the highest value in humanism, not a reality in
itself .la
1st also die Vorstellung einer "nichttheistischen Mystik" an
sich widersprüchlich?
Nein, denn die westliche Mystik
birgt ganz im Gegenteil einen gewissen ~ t h e i s m u spotentiel1
in
sich, der,
sich spater
entfaltend,
Erich Fromm, You shall be as Gods
Rinehart and Winston, 1969) 19.
l7 Fromm 18.
1"romm
19.
l6
letztendlich im
(New York: Holt,
modernen
humanis tischen
Denken
geschichtlichen
zur
Manifestation gelangen wird - w i e Fromm selbst Beweis dafür
leistet.
Das, was Fromm - modern formuliert
- den "highest
value in humanism'~nennt, ist gerade die "underlying reality
within
the
living
human
being"
-
das,
was
sich
nur
individuel1 erleben und erfassen M B t , was allen Begrif f en
Potenz und Voraussetzung ist.
Der Unterschied zwischen dem
die Tradition des Neuplationismus s i c h aneignenden Mystiker
einerseits und dem humanis tischen Psychologen wie etwa Car1
Jung oder Erich Fromm andererseits ist folgender: Wo das
"Erlebnissubstratw
im
einen
Fa11
uberpersonlicher Gott verstanden wird,
transzendent
a h
zu dem man Zugang
d u r c h die Seele hat, gehort es im anderen Fail der Seele
oder der Psyche selbst, ohne daa eine Objektivitat augerhalb
der Menschheit zu suchen ware - das heiBt, ohne VermittlungDas sogenannte " Substrat" als menschliche Pçyche wird j e t z t
die
Objektivitat
transzendenten.
dieses
eine
immanente
statt
Die westliche Mystik ist aber
wesentlichen
Vemittlungsmoment
mittelalterlicher
-
Unterschieds
zwischen
-
ein
einer
- ungeachtet
geschichtliches
antiindividualistischer,
Go t teshingebung
und
dem
Selbsthdigkeitsgefühl des modernen Individualismus. das die
moderne Sensibilitat gleichsam als Geburtsrecht anerkennt.
Dort. wo man versucht, das Unaussprechliche i r n Gegensatz
zum
Eindeutigen
auszusprechen,
nimmt
man
eine
geistige
Haltung ein, die im westlichen Kulturraum vor allem in der
Mystik traditionelle Verankerung gefunden hat.19
Plotin,
~ionysiusAreopagita und Augustinus sind u n t e r anderen die
Wegbereiter, denen diese Verankerung
zu
verdanken
ist.
Naturlich gibt es in anderen Kulturen jeweilige Traditionen,
die
Erlebnisse
ahnliche
Ausdruck bringen.20
des
Geistes
traditionellen
zum
Aber die westliche mystische Tradition
zeich.net sich insofern aus, als die Problematik des Wortes
und
des
Urteils
als
Resultat
der
Begegnung
rationalen Tradition bewuBtes Thema wird.
mit
der
Wahrend der von
der Lichtmetaphysik ausgehende philosophische Dualismus, der
der
analytischen Denkweise der
europaischen Philosophie
innewohnt, die Kluft zwischen Sein und Erkennen geoffnet
hat, verweilt der Mystiker lieber irn existentiellen Bereich,
wo Sein und Erkemen noch, vor aller gedanklichen Fixierung
des zu erkennenden Objekts, verbunden sind.
Ganz in der
neuplatonischen Tradition wird dieses uber alle Bestimmheit
hinausragende, absolut-fruchtbare Etwas von den Mystikern
mit
Gott ,
also
identifiziert.
einer
Irn
uberpersonlichen
Sinne
der
Transzendenz
alttestamentarischen
Vorstellung ist dieser Gott der Namenlose,
über den man nur
Wie die D i c h t u n g u. a. den Faden dieser Tradition nach
deren Untergang in der Moderne aufnimmt, wird am ~eispiel
von Novalis demonstriert werden.
2 0 Die wichtigste unter diesen vom europaischen Standpunkt
ist die hebraisch-alttestamentarische Tradition, die die
Problematik der Mystik auffallend antizipiert.
Die
biblische
Leitvorstellung
n-lich
eines
namenlosen,
unsichtbaren Gottes sol1 die Hebraer von der Abgotterei und
ihrer Neigung zu den ~artikularitaten der sichtbaren Welt
befreien.
19
sagen kann, dal3 Er s t , aber nicht, w i e Er ist, das heiBt,
er exiçtiert jenseits aller Differenzierung des Wesens.
Naturlich impliziert eine solche Gottesvorstellung, dag das
Sein Gottes rein potentiel1 ist, was als Denkrichtung in der
Mystik zwar vorhanden ist und sie deshalb von der Theologie
und auch der Philosophie radikal unterscheidet.
Aber dies
schlieBt Gott von der gezeugten, pluralen Welt wesensmagig
nicht aus - ein Paradoxon, das die Vorstellungsweise und das
Themenfeld der Mystik au£ einmal andeutend vor Augen führt .
Wo in der Philosophie die Seinsbereiche des Moglichen und
des Wirklichen sich ausschliegen, wie die der westlichen
Philosophie inharente Lichtideologie demonstriert, geh6ren
s i e im Monismus der westlichen Mystik wesentlich zusammen
Diese sucht die Einheit zwischen dem Wirklichen und dem
- in Fromms "substrate of
Moglichen im gottlichen Sein
experience"
-
anschaulich
zu
machen,
wobei
Licht
Finsternis eine zentrale bildliche Rolle spielen,
Vorgang
zu
untersuchen,
werden
die
und
Um diesen
schriftlichen
Überlieferungen zweier Autoren in diesem Kapitel eingeführt,
die der Blütenzeit
erstens
die
von
der europaischen Mystik
Meister
Eckhart
(um
entspringen:
1260-13271,
dem
einflugreichen deutschen Prediger der Scholastik-Zeit; und
zweitens von dessen fl&nischem Nachfolger Jan van Ruusbroec
(1293-1381)-
Eckharts un das "Seelenfünkleinw zentrierte Lehre liefert
ein Beispiel dafür, w a s irn ersten Kapitel unter den Begriff
vom
antirationalistischen
wurde,
das
von
man
der
immanent
an
Aufklarung
reduziert .
anschaul iches Denken
eingeführt
~ffenbarungslicht
auf
Weil dieser Begrif f von
Wichtigkeit ist, nicht nur zum theoretischen Verstaànis des
sondern
Seelenfünklein-Begriffs,
urn
auch
seine
weitere
Entfaltung als Thema in der Dichtung und insbesondere bei
der Licht-Dunkel-Symbolik in der dichterischen Gestaltung
Novalis'
zu begreifen, sol1 hier
vermittelt
werden .
rnoglichst
knapp
Man
so
konnte
eine
Erklarung
davon
"anschauliches Denken"
formulieren:
Im
Gegensatz
zum
vermittelten Erfassen des begrifflichen Denkenç, das ein
empirisches
auch
und
subjektives
Erlebnissubstrat
voraussetzt - und, wie Fromm meint, dazu tendiert, sich von
diesem sozusagen zu "entfrernden" -, basiert das anschauliche
Denken unmittelbar auf diesem Substrat selbst.
"Erfassen
ohne
Abs trahieren"
impïiziert,
Wie ein
ist
diesern
sinnlich-konkreten "Denken" ein Gefühl für das Ganze bzw.
für das Wesen eines Gegenstandes als einer Seinseinheit
eigen - eine Seinseinheit, die nicht durch Selektion eines
partikularen Seinsrnomentes vereinfacht und damit vielleicht
auch verkarint wird.
Diese
Begriffserlauterung
reicht
als
theoretische
Ausrüstung aus, sich Eckharts Geist anzunahern.
Im Gegensatz zum platonischen ~rkemtnislicht,das die
Permanenz der Ideenwelt, die allem Wechsel der ph-omenalen
WeIt enthoben ist, der Ratio offenbart, besteht die ewig
sich wiederholende Wiedergeburt Christi als arca
mentis
gerade darin, da8 sie die Ratio übersteigt.
Im ersten Fail
findet die Offenbarung auBerhalb des Individuuns statt ; im
zweiten hingegen gerade
wesentlicher
Gegensatz:
in
ihm
selbst-
wo
bei
Platon
Und noch ein
der
eine
Ratio
zugarigliche, f ixierte Welt entdeckt wird, finden wir bei
Eckhart
nichts
Offenbarung
Fixiertes
erfahrt
vernunft " verlaBt .
nur
Diese
oder
Intel1igibles, denri
derjenige, der
seine
die
"würkende
wird nmlich durch die gottliche
Vernunft bzw. den Seelenfunken erlost, und zwar auf folgende
Weise :
Diu würkende vernunft enmac niht geben daz si niht
enhât, noch si enmac niht zwei bilde miteinander
gehaben: si hât wol einz vor unde daz ander nâch. Der
luft und das lieht zeigent wol vil bilde unde vil
werme miteinander: doch eniïaht da niht gesehen d e m e
Alsô tuot diu wirkende
einz nâch d m andern.
vernunft, wan si ouch alsô ist. Aber sô got wirket an
der stat der wirkenden vernunft, s ô gebirt er rnanic
bilde miteinander in eime purite ( . . . ) Entriuwen, daz
offenbâret unde bewêret, daz ez der vernunfte werc
niht enist, wan si enhât des adels noch der rîcheit
niht; mêr: ez ist des werc unde des geburt, der alliu
bilde miteinander in ime selber hât.*=
Gott wird bei Eckhart also das absolute Erkenntnisubstrat,
das
alles
potentiel1
enthalt,
was
zum
partikularen
Gegenstand der Wahrnehmung und Erkemtnis werden k a m .
als
Seelenfunke
und
(intellectus agens)
tatige
werden
als
oder
endliche
absolutes
Gott
Vernunft
Gegensatzpaar
Deustche Mystiker des 14. Jahrhunderts, Band 2: Meister
Eckhart. Hrsg. von Franz Pfeiffer. Aalen: Scientia Verlag,
*l
erfaBt: Der eine ist für die Synthesis der einheitlichen
Substanz zustadig, die alle Partikularitat der Welt in sich
fagt,
die andere fur ihre zergliedernde Vereinzelung und
Auflosung
der substanziellen Einheit.
se auf
Mensch per
weltIiche
Erkenntnis
das
zu
Natürlich ist der
endliche Denken angewiesen, urn
erwerben,
menschliche Notwendigkeit bejaht.
was
Eckhart
als
Nur geht es in diesem
Kontext um den Geist, der seinen Ursprung in Gott vergiBt;
der Intellekt mufi sich seiner Abharigigkeit und Begrenztheit
bewuBt sein.
Als absolutes Gegensatzpaar gefaBt wird der
Unterschied zwischen gottlicher und tatiger Vemunft zu d m
zwischen Sein und Nichtsein, Leben und Tod, dem wer nur
Einzelheiten kennt, die in keiner Notwendigkeitsbeziehung
zueinander stehen, verliert die Beziehung zur Weltsubstanz,
also zu Gott.
Das beschreibt Eckhart selbst:
(Christus sagte:) 'Ich eribin niht kornen ûf ertrîche
friden ze machende, sunder daz swert, umbe daz ich
alliu dinc abe gesnîde und abescheide den bruoder, daz
kint, die muoter, den friunt, die gewêrliche dîn
vîande sint. '
Wan swaz dix heimelich ist, daz ist
gewêrliche dîn vîant. Wil dîn ouge alliu dinc sehen
und dîn ôre alliu dinc hoeren unde dîn herze alliu
dinc gedenken, in der wârheit, in allen disen dingen
muoz dîn sêle zerstrouwet werden.22
Um Gott auf die Seele wirken zu lassen, mu% diese çich in
die "verborgene stille dunstemisse" zurückziehen; "Dar umbe
sprach der prophête ' i c h wil sitzen und wil swîgen unde wil
22
Eckhart 14.
hoeren, waz got in mir spreche . '
Wan ez s ô verborgen i s t ,
dar umbe kom diz wort in der naht in deme dünsternüsse. "23
sieht
Man
schon hier, daB
Erke~tniswert zuschreibt .
Eckhart
Finsternis einen
der
Erinnert man sich zum Beispiel ,
das letzte Zitat lesend, an die Vorstellung vom Dunklen als
dem sprachlich Vielschichtigen, dem Zwei- oder ~ehrdeutigen,
dann enthüllt sich ein analoger Sprung zur ~ckhart'schen
Was im Kleinen der Fa11 ist, so auch - nach dem
Finsternis.
monistischen Weltbild der Mystik - im Grogen: Wenn etwas der
Erkemtnis eines Gegenstandes zugrunde liegt, was auch das
empirische "Substratn eines Wortes ist, so muB es auch fur
Gott als dem "Ail-Wortm odex der Logos gelten.
Und ferner:
Dies betrifft das gottliche Wesen, das in der zweiten Person
der
im
Dreieinigkeit,
ewige
Wiedergeburt
in der
Fiinklein gleichsetzt.
Eckhart
-
Gottessohn
auch wenn
verkorpert
ist,
dessen
Eckhart mit
Menschenseele
dem
Es ist dabei nicht zu übersehen, dag
man
explizit herauslesen kann
es
-
aus
seinen
Schriften nicht
Licht und Finsternis nicht b l o B
symbolisch oder metaphorisch meint, sondern im eigentlichen
Sinne.
Bewuût figürliche Sprache ware in diesem Fa11 ein
unzulassiger Widerspruch zum weltanschaulichen Kontext des
Eckhartschen Wortgebrauchs, denn das sprachliche Verwenden
eines
Konkretums
Dualismus voraus,
23
Eckhart 9.
im
den
übertragenen
Eckhart
Sinn
setzt
gerade
den
und die Mystik naturgemaB
müssen.
bek-pfen
In diesem Sime stimmen wir mit dem
Urteil Josef Kochs uberein, der dasselbe betont .
Die
Finsternis
Wesensdifferenzierung
Gottes
als
absolute
ist
das ,
liegt.
Potenz;
was
Sie partizipiert
aus
ihr
aller
hinter
wird
am
der
Sein
Logos
hervorgebracht, nach i h r sehnt sich die Seele wie nach dem
Hochsten :
Wenn der Mensch sich abwendet von sich selber und
allen geschaffenen Dingen, - soweit du das tust,
soweit wirst du in Einheit und Seligkeit versetzt in
dem ~ünkleinder Seele, das mit Zeit und Raum noch nie
Berührung hatte. Dieser Funke widersetzt sich allen
Kreaturen und will nichts, denn bloi3 Gott, wie er in
sich selber ist, Ihm genügt nicht am Vater noch am
Sohne noch am heiligen Geiste, überhaupt nicht an den
drei
Personen, sofern eine jegliche in ihrem
Eigenwesen beharrt. Ja ich behaupte, dafi dieses Licht
auch kein Genügen findet an der Vereinigung mit dem
Zeugungsvermogen der gottlichen Natur. Ich will noch
mehr behaupten, was noch wunderbarer lautet: Ich sage
in vollem Ernst, dai3 dieses Licht sich nicht einmal
zufrieden gibt mit dem einfaltigen, in volliger Stille
verharrenden gottlichen Wesen, das weder gibt noch
ernpfagt; sondern es will wissen, von wo dieses Wesen
herkomme, es will in den einfaltigen Grund, in die
stille Wüste, in die nie etwas Unterschiedliches
hineinlugte, weder Vater noch Sohn noch heiliger
Geist.
Erst in dem Imersten, wo niemand heimisch
ist, da gibt sich dieses Licht zufrieden, und in ihm
ist es imiger zu Hause als in sich selber; denn
dieser Grund ist eine reine Stille, die in sich selber
unbeweglich bleibt, und von dieser ~nbeweglichkeit
werden alle Dinge bewegt. Von i h r ernpfangen alle die
ihr Leben, die unter Leitung der Vernunft leben und
sich in sich selbst zurückgezogen haben.25
Josef Koch, "Über die Lichtsymbolik im Bereich der
Philosophie und der Mystik des Mittelalters," Studium
Generale 11 (1960): 667.
2 5 Meister Eckhart, Predigten und Traktate (Leipzig: InselVerlag, 1927) 381-38224
Mit diesem Zitat erreichen wir einen wichtigen Punkt in
der Erklarung dessen, woraus mystische Finsternis besteht.
Das Sein der Welt faBt Licht und Finsternis zusammen; sie
sind zwei Momente des Seins, die voneinander untrennbar
sind: Das Moment des Lichtes ist Differenzierung und Akt,
und das der Finsternis Einfachheit und Potenz.
folgt
notwendig d m
Zweiten
logisch und metaphysisch.
Das Erste
- nicht zeitlich, sondern
Die Einsicht Eckharts in dieser
Hinsicht lost das klassische, existentielle Problem, das
Plotin früher mit dem manationsbegriff zu losen versucht
hat: W a r u r n gibt es eine Welt des Werdens
-
oder, anders
ausgedrückt : Warum gebiert die Finsternis das Licht , damit
aus einer
in sich geschlossenen Einheit eine Plurali tat
entstehe?
Die
durch
Eckharts
Bildlichkeit
vermittelte
Antwort
lautet so: Die Finsternis oder undifferenzierte Einheit kann
allein nicht bestehen; ihr positiver Gehalt als Potenz setzt
die
Moglichkeit
des
Lichtes
Man
voraus.
Problematik genauer erklaren: Eckbarts
" stille
kann
die
Finsternis " 26
hat zwei mogliche Aspekte in Beziehung zur wirklichen Welt.
Erstens
angesehen
kann
sie
werden,
transzendiert
alle
Negierung
aller
26
ontisch
denn
negativ
ihre
als
absolute
Differenzierung.
Eckhart, Predigten 381.
Wesensnegierung
Bestimmtheit,
Sie
Einfachheit
ist
die,
also
die
als
der
~rkenntnisvoraussetzung,
verbindlich ist.
Menschheit
existentiell
Nur von diesem Standpunkt aus kann sie
auch moralisch als negativ angesehen werden.
Grundhaltung der westlichen Philosophie.
aber ihre wesentliche Begrenztheit
-
Das
ist die
Hier findet man
die Einseitigkeit der
Licht-1deologie des philosophischen Dualismus
-
denn es
gibt auch eine ontisch positive Seite der Finsternis: Sie
ist die Voraussetzung des Seins, denn die Pluralitat der
Wesensdifferenzierung ist von einer Einheit unabhagig, die
die Pluralitat in sich fai3t und auch transzendiert - ein
Gottes,
Aspekt
indem
Er
traditionsgemai3 eben
absolute Einheit der Welt angesehen wird.
gabe
als
die
Aber ohne L i c h t
es diese zweite, positive Rolle nicht; ohne nkt keine
Potenz.
Dann
Die Finsternis mügte sich alsdann selbst negieren.
ist
sie,
wie
Aristoteles
"Beraubung des Lichts" .27
Hier
komen
wir
formuliert, die
blof3e
"E'insternis" hieBe soviel w i e
an
Ruusbroec
anknüpfen.
Seine
Begrifflichkeit weicht einigermagen von der Eckhartschen ab,
aber die hinter ihr steckende Bildlichkeit haben die zwei
Geister vollig gemein.
beiden
- -
Fallen
-
die
Es geht nalich letztendlich in
insofern
als
~eispieie einer
p
p
27
erimert man sich ganz natürlich am Beginn von
Hegels Wissenschaft der Logik, d.h. der "Lehre vom Sein".
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesartaelte Werke in 21 Bailden
(Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1978), Bd. 11, 43-44. Eckhart
lost das Werdensproblem paradox-bildlich, Hegel rein
theore tisch .
28
Hier
Gemeintendenz der westlichen Mystik zu verstehen sind - um
das paradoxe Verhal tnis von Licht
und ~insternis, das das
Wesen Gottes veranschaulichen soll.
Das
gottlichen ~icht-Dunkel-Verhaltnisses
Paradoxe des
erreicht
mit
claritudo29
dem
seine
Ruusbroecschen
Spitze.
Begriff
Der
von
Begriff
caliginosa
scheint
so
widersprüchlich zu sein, da& man darüber nicht reden kann.
Das ist Absicht, und
Kontext:
im
so verwendet Ruusbroec das Bild
"Sie sind von M i m e trunken und in einer dunkelen
Klarheit in Gott entschlafen. " 3 0
In der "Trurikenheit", von
der Ruusbroec
spricht, findet man
Beispiel
geistigen
des
in der Tat ein gutes
Zwischenzustandes,
in
man
dem
zwischen Wort und Gefuhl schwebt, wo sie eins sind
-
das
heiBt wo Gott der V a t e r und Gott der Sohn eins sind:
I . . . ] a l l e s , was im Vater unausgesprochen in der
Einheit
lebt,
[ist] auch
im
Sohne
lebendig
ausgeflossen in der Offenbarheit: und der einfache
Grund unseres ewigen Bildes bleibt
allzeit
in
Dunkelheit und ohne Weise.
Aber die unbegrenzte
Klarheit, die hier ausstrahlt, die offenbart und
bringt die Verborgenheit Gottes hervor in Art und
Weise . 3 1
Lateinische Übersetzung vom
~ittelniederladischen
"doncker claern, oder
"dunkler Klarheit".
J a n van
Ruusbroec, Opera omnia (Brepols: Tielt; Lannoo; Turnhout,
19881, Vol. CI, 152.
Aus d a Buch von der hochsten Wahrheit. In: D r e i
Schriften des Mystikers Johann van ~uysbroeck (Leipzig: Th.
Grieben's Verlag, 1901) 223.
3 1 Ruusbroec, Drei Schrif ten 157.
29
Bei Eckhart ist das, was der gottlichen Dreifaltigkeit
zugrundeliegt,
auch
jenseits
der
if ferenzierung
Personen; bei Ruusbroec ist Gott der Vater
Strudel der EinheitlichkeitW32-
ihrer
- der "grundlose
Potenz, Gott der Sohn Akt.
Hier liegt zwischen den beiden Mystikern eine Diskrepanz,
die bloB begrif f lich und deshalb in der
Interpretation
unerheblich ist, denn die Anschauungsweise ist ihnen dennoch
gemein.
Die
theoretische Differenzierung
zwischen den
Mystikern wird kornpensiert durch Ruusbroecs Schlüsselbegriff
der Überwesenheit.
Das Wesen von Gott dem Vater besteht
gerade darin, daB er von einer überwesen tlichen Einhei t 3 3
bes timmt wird .
Uberwesentlich, aber nicht wesenslos: da
ergibt sich dieselbe paradoxe Losung des Werdensproblems,
die wir bei der Eckhartschen Vorstellung des Seelenfunkens
gesehen
haben .
DaB
die
Begriffe,
die
der
Mystiker
verwendet , sich nicht systernatisieren lassen, wird nach der
Aufklarung nicht mehr akzeptiert.
Auch Goethe nennt die
Mystik "eine unreife Philosophie,"34 was die eigentümliche
Ausdrucksform der ~ y s t i kvollig aui3er Betracht laBt .
Jede
mystische Aussage ist Produkt eines Individualerlebnisses,
und ist insofern diesem subordiniert.
Das Wort hat einen
relativen Wert; das wird nicht nur von dem Mystiker erkannt,
sondexn auch indirekt diskutiert; das Philosophische an der
Ruusbroec, Drei Schriften 160.
Ruusbreoc, Drei Schriften 155.
34
Joham Wolfgang Goethe: Goethes Werke in 14 Banden
(Hamburg: Christian Wegner Verlag, 1963). XII, 493 (Maximen
und Reflexionen 905.).
32
33
Mystik
ist
die
Kritik
am
Philosophieren.
So
spricht
Eckhart :
Swie ez doch ein unwizzen heize und e i n unbekantheit,
sô h ê t ez doch mê inne dan allez wizzen unde bekennen
ûzewendic disem: w a n d l z ûzewendic unwizzen daz reizet
unde ziuhet dich von allen wizzenden dingen und ouch
von dir selben.35
35
E c k h a r t 10.
Schon der
Tite1
sagt
Grundsatzliches
aus
über
die
dichterische Haltung von Novalis in seinem Werk: "Hymnen"
deutet auf seine religiose Geistesherkunft hin, die dam
weitere Bestimmung in dem deutlichen Bezug auf die mystische
Tradition findet, in der die Finsternis, die Nacht, als
Gegenstand der Religiositat hervorgehoben wird.
Vom bereits
Gesagten her ist klar, daB Gottesvorstellung und -erlebnis
der Mystik das Licht auch faBt, und zwar als etwas, das
nicht von der Finsternis zu abstrahieren ist.
Es ist ohne
Weiteres anzunehmen, daB d i e Betonung der Nacht in diesem
Zusammenhang auf eine Wirklichkeitsflucht hinweist - einen
Ruckzug zum Moglichen, das eine Negierung des Wirklichen mit
sich tragt, was als der Moderne charakteristisch anzusehen
ist.
Gerhard Schulz hat jedoch Recht in seiner Analyse des
Werkes,35
wenn
er
behauptet,
die
ausschlieglich "als Preisgesang auf
Hymnen
[...]
seien
nicht
alles Nachtige,
Dunkle zu verstehen,"36 was in d e r Tat d i e Flucht in den Tod
Gerhard Schulz, Kommentar zu H y m n e n an d i e Nacht. Novalis
Werke (München: Verlag C. H. Beck, 1969) 620-640.
3 6 Schulz 623.
3s
bedeutete.
Wie Schulz auch bemerkt, gehoren in der in dem
manifestierten
Werk
Weltvorstellung
Finsternis untrennbar zusammen.
das
Licht
und
die
So impliziert es die Konig-
Konigin-Symbolik: Der "Konig der irdischen ~ a t u "37
r paart
sich mit der "~eltkonigin"~~
bzw.
der
Hinter
symbolischen
Zusammengehorigkeit liegt
der Konigin der Nacht.
der
Gestaltmg
eine
Tag-Nacht-
uralte Bildlichkeit, die
Novalis geschichtlich mit der griechischen Mythologie in
Verbindung
bringt .39
Obwohl es der Forschwlg unabdingbar ist, kann man die
dichterischen Aussagen der H'en nicht nur vom Standpunkt
der
geistesgeschichtlichen Kontinuitat
dadurch
werden
das
analysieren,
Individualit~tsbewuBtsein
insbesondere die Sehnsuchtsthematik des Werkes
Kürze:
das,
was
Novalis
als
modernen
de=
und
- in aller
Dichter
in
Zusammenhang seiner Zeit stellt - vollig ignoriert.
den
Wenn
man jedoch die Hymnen von diesem Standpunkt aus betrachtet,
hebt
sich
Symbolischen
vieles
Wichtige
deutlich
ab:
sogleich
Erstens
vom
erkennt
Universal-
man
eine
unverkennbare, w e n n auch symbolisch-verkleidete Kritik an
die aufklarerische Ideologie seiner Zeit.
Es wird nalich
über "des irdischen Gewalt" geklagt:
37
Friedrich, Freiherr von Hardenberg (Novalis), Novalis
Werke (München: Verlag C. W. Beck, 1969) 41, Von hier an
ais "Novalis" zitiert.
3e Novalis 4 2 .
39 siehe oben 1-3.
MuB immer der Morgen wiederkommen?
Endet nie des
Irdischen Gewalt? unselige Geschaftigkeit verzehrt den
himmlischen Anflug der Nacht.
Wird nie der Liebe
geheimes Opfer brennen?
Zugemessen ward dem Lichte
seine Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht
Herrschaf t .40
Au£ welche Zeit bezieht sich hier das "ward"?
Bestimmt
nicht auf den Uxzustand der Menschheit; hier offenbart sich
von Novalis, das sich bemüht ,
das geschichtliche Be-tsein
der dialektischen Notwendigkeit der historischen Entwicklung
des
Geistes
nachzuspüren,
sie
intuitiv
dichterisch anschaulich zu machen:
Erde eine
als
erfassen
und
Es gab erstens auf die
"Vorzeitn,41 die Zeit der Gotter, als die Erde
"unendlich",42 " war,
zu
der Gotter Aufenthalt, und ihre ~ e i m a t " ~ ~
"Flüsse, Baume,
sinnU44 hatten.
Blumen
In diesem
und
Tiere
menschlichen
Zustand standen die Menschen
harmonisch in einem Wesenszusammenhang mit der Welt, in dern
sich
Welt
Simplifiziert
und
gesagt:
Mensch
Keine
wechselseitig
Trennung
spiegelten.
bestand
zwischen
Subj ekt und Ob jekt .
Novalis veranschaulicht den Übergang von der Vorzeit der
Gotter zur Neuzeit, in der jene Trennung entsteht, die durch
die Todesangçt hervorgerufen wird:
Hier wui3ten selbst die Gotter keinen Rat
Der die beklommene Brust mit Trost erfuilteDes Wut kein Flehn und keine G a b e stillte;
*O
41
42
43
44
Novalis
Novalis
Novalis
Novalis
Novalis
42.
52.
46.
46.
46.
Es war der Todt der dieses Lustgelag
Mit Angst und Schmerz und T r a e n unterbrach.4s
Die
Gotter
werden,
weil
muf3ten
dem
sie
entgegenstanden,
deswegen
der
dus
Natur
der
Erkenntnisdrang
zur
objektiven
der
getrieben
Menschheit
Wahrheit
und
der
Bestandigkeit der Erkemtnisgegenstbde tendiert - Bremers
lsDaseinswiile zum ~est&digenl*46.
Der
menschliche
Geist
gelangt zu einem Grad der Selbsterkenntnis, in der er sich
und seine Begriffe von der wandelnden Welt unabhagig sieht,
was zugleich diese aber von ihm trennt, Das Liebesverhaltnis
zwischen Subjekt und Objekt lost sich auf und hinterlaBt
eine
dem
Subjekt
gleichgültige
Welt
der
blogen
durch
Quantitat und Kausaiitat bestimmte Materie:
Zu Ende neigte d i e alte Welt sich.
Des jungen
Geschlechts Lustgarten verwelkte - hinauf in den
freieren, wüsten Raum strebten die unkindlichen,
wachsenden Menschen.
Die Gotter verschwanden mit
ihrem Gefolge - Einsam und leblos stand die Natur.
Mit eiserner Kette band sie die düxre Zahl und das
strenge MaB. 4 7
Geboren
ist
Sachverhalt der
also
in diesern von Novalis beschxiebenen
Duaiismus
der
westlichen
Weltvorstellung von Tag und Nacht, worin
einfach und pragnant formuliert
und die Liebe scheucht."48
Vorzeit
45
46
47
48
die materielle Welt
Novalis 4 6 - 4 7 .
siehe oben, 4 .
Novalis 4 7 .
Novalis 4 3 .
- wie
- "das Licht
Daher wird
mit
philosophischen
[...]
es Novalis
die Nacht
das, was
in der
dem kindlichen Menschen
harmonisch verband, nun von dem erwachsenen Menschen bewuBt
als
Phantasie erkannt, die
in der
unbewuBt beim Wahrnehmen tatig war:
zerfiel
in
le ben^."^^
dunkle
Worte
die
Subjektivitat einst
"Wie in Staub und Lüf te
unermegliche
Blüte
des
Durch den Dualismus von Wort und Ding geht die
Objektivitat des
Urteils verloren, und
in das
"tiefere
Heiligtum, in des Gemüts hohern Raum" zieht "mit ihren
Machten die Seele der Weltn[ . . .1 .
Sobald die Gotter, die
in den Hymnen als Symbol der Urverbindung zwischen Mensch
und Welt fungieren, ihre Wirklichkeit verlieren, wird ihre
Heimat nicht mehr die Lichtwelt, sondem die Finsternis:
den Schleier der Nacht warfen sie über sich.
Die Nacht ward der Offenbarungen machtiger SchoB - in
ihn kehrten die Gotter zuruck - schlummerten ein, um
in neuen herrlichen Gestalten auszugehen über die
veranderte Welt
[...]
Die originelle Unendlichkeit der Erde verwandelt sich
durch
die
Ratio
in
die
des
Geistes,
das
heiBt
der
"Phantasie",s2 der absolute Gestaltungspotenz imewohnt , die
aber insofern "schlummert", als sie von der Lichtwelt bzw.
der Wirklichkeit
verwirklichen
abgelehnt wird und deshalb
kam
-
ein
Vorgang,
der
sich nicht
das
für
die
Offenbarung zustaridige Licht voraussetzt.
GemaB dem Novalischen Tag-Nacht-Gegensatzverhaltnis, das
das Gedicht motivlich strukturiert, darf man die Nacht
49
50
51
52
Novalis
Novalis
Novalis
Novalis
47.
48.
48.
47.
-
im
Vergleich zur Tagewelt der objektiven Wirklichkeit - nur als
subjektiven
Erfahrungsbereich ansehen; es
um
"die
zentriert
sich
geht
unendlichen Augen, die die Nacht in uns" 0ffnet.~3
Die
Sehnsuchtsthematik
der
Hymnen
symbolisch un den Tod der Geliebten in der 3. Hymne,
in der
sich die Ich-~ezogenheitder Beschreibung des personlichen
Erlebnisses deutlich von den anderen H y m n e n absetzt.
findet die Überwindung des Todes statt
Geliebten, sondern
Hier
- nicht bloB der
- übertragen - der endlichen, materiellen
Welt - das heiBt, die Überwindung der Ich-Welt-Spaltung, die
das Ich in Isolation treibt.
Insofern stellt die Geliebte
die Welt schlechthin dar:
Einst da ich bittre Traen vergo&, da in Schmerz
aufgelost rneine Hoffnung zerrann, und ich einsam stand
am dürren Hügel, der in engen, dunkeln Raum die
Gestalt meines Lebens barg [ . . . ] Wie ich da nach Hulfe
umherschaute, v o m r t s nicht konnte und ruckwarts
nicht, und am fliehenden, verloschten Leben mit
unendlicher Sehnsucht hing: - da k m aus blauen Fernen
- von den Hohen meiner alten Seligkeit ein
D&rnerungsschauer - und mit einemmale riB das Band der
Geburt - des Lichtes Fessei. Hin floh die irdische
Herrlichkeit und meine Trauer mit ihr - zusammen floB
die Wehrnut in eine neue, unergrüridliche Welt - du
Nachtbegeisterung, Schlummer des Himmels kamst über
mich - die Gegend hob sich sacht empor; über der
Gegend schwebte mein entbundner, neugeborner Geist.
Zur Staubwolke wurde der Hügel - durch die Wolke sah
ich die verklarten Züge der Geliebten. In ihren Augen
ruhte die Ewigkeit - ich fai3te ihre H a n d e , und die
Tranen wurden ein funkelndes, unzerreiBliches Band
[ . . . ] Es war der erste, einzige T r a m - und erst
seitdem fühl ich ewigen, unwandelbaren Glauben an den
Himmel der Nacht und sein Licht, die Geliebte.54
s3
s4
Novalis 42.
Novalis 4 3 .
Durch bewuBt subjektiv projizierte Wiedergestaltung der
wirklichen
Welt,
der
toten
Geliebten,
wird
diese
wiederbelebt. Das Liebesverhaltnis zwischen Ich und Welt,
das in der Gotterzeit bestand, wird hier vom Subjekt aus
wiederhergestellt; das Licht, die Wirklichkeit, ist "die
Geliebte", die
die
"Nachtbegeisterung" verklart.
Die
personliche Erlosung ist Folge der Wiedervereinigung
des
Lichts mit der Finsternis.
Der Autor erkennt offensichtlich die Subjektivitat dieser
Erlosung, aber gleichwohl bedeutet sie ihm die Moglichkeit
einer universell-menschlichen Erlosung:
- wenn
das Licht nicht mehr die Nacht und die Liebe scheucht
- wenn der Schlummer ewig und nur Ein unerschopflicher
Txaum sein wird.55
Nun weiB ich, wenn der letzte Morgen sein wird
Diese
Erloçungsutopie,
Geschichtsvorstellung
die
der
H
sich
~
M
von
selbst
~ ergibt,
R
la%
aus
der
sich
so
de£inieren: Die Erlosung von der d m Ich fremd gewordenen,
endlichen Welt verlangt die Flucht des Ich in die Nacht die
Negierung
der
~irklichkeit, die
personlichen Tod versteht.
gaz
nach
Novalis
als
einen
Ihm folgt eine Wiedergeburt -
~ckhart'schen Wortgebrauch.
In
diesem
Sinn
betrachtet Novalis die erlosende Rolle des Todes und der
Auferstehung Christi:
Der Jüngling [Christus] bist du, der seit langer Zeit
auf unsern Grabern steht in tiefen Sinnen;
Ein trostlich Zeichen in der Dunkelheit 55
Novalis 43-44.
Der hohern Menschheit freudiges Beginnen.
Was uns gesenkt in t i e f e Traurigkeit
Zieht uns mit süBer Sehnsucht nun von h i m e n .
Im Tode ward das ewge Leben kund,
Du bist der Tod und macht uns erst gesund.56
Damit wird das Licht wiedergeboren von i m e n , das heif3t
als
subjektive
Verwandlung
Verwandlung
versohnt
das
der
Wirklichkeit .
Subjekt
wieder
Die
mit
der
Wirklichkeit:
Getrost, das Leben schreitet
Zum ewgen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklart sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerflieBen
Zum goldnen Lebenswein,
w i r werden sie genieBen
Und lichte Sterne sein.
Die Lieb ist frei gegeben,
Und keine T r e m u n g mehr.
Es wogt das volle Leben
Wie ein unendlich Meer.
Nur Eine Nacht der W o m e Ein ewiges Gedicht Und unser aller Sonne
1st Gottes Arigesi~ht.5~
Die Sonne oder die Quelle der Offenbarung liegt in der
Subjektivitat;
jeder
Stern" f ü r sich sein
sol1
dementsprechend
" ein
lichter
- das Individuum wird verabsolutiert,
schlechthin mit Gott identifiziert.
Die Sprache, die Novalis
in den
Hym2.2en
an die N a c h t
verwendet, ist unverkennbar die eines Mystikers.
letztendlich auch in diesem Fall, wie wir vorher
56
57
Novalis 48-49.
Novalis 51.
Es geht
in der
Diskussion
der
gesehen
Mystik
haben,
ein
um
Anschauungsvemogen, das die individuelle Erfahrung der Welt
ermoglicht
- nur erscheint hier das subjektive Moment in
erhohter Form.
muB
man
Erwagung
d e
Das hat eine wesentliche Begründung: erstens
Geschichtsvorstellung des
ziehen .
Werkes
dieser rnacht die
Nach
wieder
Erkemtnis
in
das
unmittelbase Gotteserlebnis, das sich auf etwas auBerhalb
des
Subjekts
Bestehendes
bezieht,
unmoglich:
"[
. . .1
ins
tiefere Heiligtum, in des Gemüts hohern Raum zog mit ihren
Machten
die
Seele
der
Welt. " %
Konfrontation von I c h und Welt .
bewirkt
Das
die
Wahrend also die absolute
Lebenspotenz, die ~insternis, bei den Mystikern auBerhalb
der Subjektivitat gesehen wird, liegt sie bei Novalis in der
- "dieser Welt entfliehendW59 -
Subjektivitat selbst, die
den Zugang zur ~nendlichkeitpotentiel1 in sich selber hat.
Diese
Vorstellung
Ich
vom
hagt
wesentlich
mit
der
Reaktion gegen den cartesianischen Geist-Materie-~ualismus
zusammen,
den
Novalis
in
der
Entwicklung der Ratio darstellt .
den
cartesianischen
Dunkel-Symbolik,
Ausdruck
Duaîismus
indem
verleiht:
Da&
s ie
als
Folge
der
Mit dem Widerspruch gegen
vertieft
einem
Licht
Hymne
5.
sich
modernen
und
die
Licht-
Daseinsproblern
Finsternis
überhaupt
voneinander unterschieden werden, ist fur Novalis Resultat
der menschlichen Urteilsanlage, deren Entstehen die Genesis
58
59
Novalis 4 8 Novalis 50.
beschreibt und zum Grund der Austreibung der Menschen aus
dan Paradies macht; das Essen vorn Erkenntnisbaum führt zur
Ich-Welt- und Tag-Nacht-Unterscheidunçi.
Von d a Augenblick
an, in dem die Ratio die Kluft zwischen Licht und ~insternis
offnet, steht auch nur der Ratio die Moglichkeit offen, sie
durch Selbsterkenntnis zu überbrücken.
Die Nacht, die jedem
Menschen zugarigliche Durikelseite, rnuB entratselt werden, um
den Zusmenhang zwischen ihm und der Welt zu verstehen oder
wiederherzustellen.
Es ist oft richtig behauptet worden, d a B es bei Büchners
Lenz nicht bloB um eine psychologische Krankheitsgeschichte
geht, sondern auch um eine wichtige poetische Leistung, die
in der Forschung als solche behandelt werden x n ~ I 3 . ~ Der
~
dichterischen Einheit des Werkes haben sich demzufolge viele
Interpreten auf jeweils unterschiedliche Weise anzunahern
versucht, mit der Folge ganz unterschiedlicher Ergebnisse.
Hermann
Pongs
liefext
zum
Beispiel
eine
Gesamtinterpretation, die die Geisteszerrüttung von Lenz aus
dem Leiden des Individuums an der kosmischen Polaritat von
Licht und Finsternis bzw. dem Ringen miteinander von "hellen
und dunklen Machten des Daseins"61 abableitet.
die
psychologische
Spannung
der
Damit findet
Lenz-Figur
zwischen
"Triebnatur und Geistnatur" 6 2 kosmische Widerspiegelung und
60 zum Beispiel Ludwig Büttner: "Die Erzaehlung Lenz ist
weit mehr als ein Krankheitsprotokoll oder 'eine klinische
Sie ist ein
Studiet, wie Robert Muhler annimmt.
dichterisches Meisterwerk, das uns im Innersten aufrührt und
die geistige Krise eines jungen intelligenten, zerrissenen
und empfindlichen Menschen darstellt." Büchners Bild vom
Menschen (Nürnberg: Verlag Hans Carl, 1967) 4 3 61 H e r m a n n Pongs
" Büchners Lenz," Georg Büchner ( D a m stadt :
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1965) 138.
62 Pongs, "Biichners Lenzn 1 4 2
.
folglich eine rnetaphysische Dimension-
Damit
hat Pongs
einen entscheidenden Ansatzpunkt zur Interpretation von Lenz
entdeckt, indem er auf die Rolle der Hell-Dunkel-~olari
tat
im Lenz-Fragment hinweist.
Leider aber ist seine Auffassung
dieser Motivik allzu forrnelhaft und oberflachlich, um deren
strukturelle Rolle bei
Darstellung der
sich
der Vermittlung
einer bildlichen
letztendlich als
Geisteszerruttung
manifestierenden Ich-Welt-Problematik zu erfassen.
Eine
tiefere Untersuchung der Natur von Licht und Finsternis wird
zeigen, daB s i e in Lenz auBerst vielschichtig und durchaus
nicht
statisch
Verhal tnis
Fragments
ist, vielmehr
zeigt,
das
als
sich
als
ein
wandelndes
Hauptgliederungsmoment
den psychologischen Verfall
des
des
Protagonisten
nicht nur dichterisch konkretisiert, sondern metaphysisch
und
erkenntistheoretisch
interpretatorische
deutbar
Anriahenmg
ist
macht.
Eine
notwendig,
solche
um
die
kulturhistorische Signifikanz der Büchnerschen Darstellung
des Falles Lenz' aufhellen zu konnen.
Die folgende Untersuchung wird zeigen, daB sich der im
Dorf abspielende Haupttext des Lenz-Fragments in drei Teile
strukturiert,
die
sich
alle
voneineinder
durch
Selbstprojektionen Lenz ' in verschiedenen Stufen seines von
der Lichtsymbolik bildlich
absetzen.
implizierten Weltverhaltnisses
Diese Selbstprojektionen sind: 1) das Kind, das
am Tiscn i m Pfarrhaus s i t z t ; 2) das kranke Maedchen i n der
Hütte; und 3) das tote Kind, das Lenz zu erwecken versucht.
Es ist offensichtlich, dass mit der Licht-Dunkel-Motivik ein
~indesmotiv verknuepft
wird.63
Die
Assoziation
dieser
beiden Motivsphaeren erhellt ihren jeweiligen symbolischen
Darüber hinaus fungiert d i e Exposi tionsszene des
GehaI t ,
Werkes - das heiBt, die Szene i r n Gebirge vor der Ankunft in
Waldbach
-
Figur.
In dieser Szene entfaltet sich auch erstrnals die
a l s Einführung in d i e Gesamtproblematik der Lenz-
~icht-~unkel-Symbolik.
D i e gxpositionsszeae
Gleich
B e g i ~ der
zu
Geschichte
wird
ein
Mensch
vorgestellt, dessen Verhaltnis zur W e l t prekar k t ; Lenz ist
ein Gebirgswanderer - ein Mensch also, der keine f e s t e
in
Verankerung
der
Welt
geniesst,
Alltagsweit entfernt und isoliert k t .
und
der
von
der
Der G r u n d dafür
offenbart sich durch die Natursymbolik der Szene:
"Anfangs
d r a g t e es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang,
der graue Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die
Formen bald verschlang, bald d i e gewaltigen Glieder halb
enthüllte
[
..
Lichtsymbolik
]
n64
des
Hier
Werkes
wird
schon
das
erste
sichtbar:
Moment
der
Licht
als
In den H y m n e n an die Nacht von Novalis geht, wie wir
gesehen haben, der Kindheitszustand der ~enschheitder durch
Erkenntnis verursachten Tag-Nacht-Spaltung voran.
64
Georg Buechner, Gesammel te Werke (Augsburg: Wilhelm
Goldmann Verlag, 1978) 101.
63
Erkenntnis.
Der Nebel droht stadig, die konkrete Welt, die
Lenz umfasst, ins Nichts aufzulosen, und damit den Wanderer
au£ seine Isolation hinzuweisen.
Alle Bestimmtheit einer
messbaren und insofern dem Menschen leicht beherrschbaren
Gegenstandswelt
ist aufgehoben.
Und weiter:
es
"[,..]
dragte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlorenen
Traumen, aber er fand nichts . " 65
Verlust
der
Es ist insgesamt der
Selbstverst~dlichkeit des
einst
erlebten
Verhaltnisses zur objektiven Welt, deren Verkorperung die
von Lenz innerlich und auBerlich weit entfernte Alltagswelt
ist
- der Zustand, zu
dem
die
ehemaligen Kinder
verlorenen Paradieses einmal verdammt wurden.
des
Daraus ist es
konçequent zu schliegen, da& Buechner durch die Lenz-Figur
eine
Darstellung
der
an
Geschichtsentfaltung
stehenden,
vermittelt, wenn
hinter
man
der
allem
Schwelle
gesamten
ihrer
Menschheit
menschlichen
Handeln
letztendlich den Trieb nach Erkenntnis bzw. Gott zu sehen
vermag .
Der erkenntnissuchende Wanderer hort ab und zu mit dem
Wandern auf, wenn er glaubt, endlich die Welt zu erfassen:
Nur m a n c h m a l , wenn der Sturm das Gewolk in die Taler
warf, [ . . . ] und die Wolken wie wilde, wiehernde Rose
heraussprengten, und der Sonnenschein dazwischen
Schwert an den
durchging und sein blitzendes
Schneeflachen zog, so dal ein helles, blendendes Licht
über die Gipfei in die Taler schnitt [ . . .] rif3 es ihm
65
Büchner 101.
in der Brust, er stand, keuchend, den L e i b vorwarts
gebogen, Augen und Mund weit offen, er meinte, er
musse den Sturm in sich ziehen, A i l e s in sich fassen,
er dehnte, sich aus und iag über die Erde, er wühlte
sich in das Al1 hinein [ . . . 1 .6 6
Aber das "belle, blendende Lichtn der Erkemtnis erweist
sich ihm sofort wieder als ein irreales "Schattenspiel",und
er wandert weiter: "Aber es waren nur Augeriblicke, und dann
erhob
er
sich
nüchtern,
£est,
ruhig,
als
ware
ein
Schattenspiel vor ihm vorübergezogen, er wugte von nichts
rnehrnG7
-
das mystische
unio-~rlebnis ist bloB
ein auf
nichts auf3erhalb des Subjekts verweisender T r a m .
Der
nachste logische Schritt wird dann unerbittlich gemacht:
bei Eintritt der Nacht verselbststdndigt sich das Fehlen von
Licht - und zwar nicht nur in der Natur selbst als bloBe
Finsternis, in der sich die konkrete Welt vollig auflost
(
"Himmel und Erde verschmolzen in Eins . " 6 8 ] , sondern auch im
eigenen
BewuBtsein
von
Lenz
als
die
noch
konkretere
Bedrohung des Wahnsinns: "Es faste ihn eine namenlose Angst
in diesem Nichts, er war im Leeren
ihm was Entsetzliches nach
Rossen hinter ihn. " 6 9
[.
.. ]
[
. . .]
Es war als ginge
als jage der Wahnsinn auf
W i r wollen mit Aristoteles in dies-
Kontext die Finsternis aïs
die bose,
menschenfeindliche
"Beraubung des Lichts' bezeichnen, die das Subjekt in die
66
67
6a
69
Büchner
Büchner
Büchner
Büchner
101-102.
102.
102.
102.
Leere der
Isolation von der WeIt
Menschen nicht ertragen komen
[.
.. ]
-
wirft
"etwas,
das
ES ware an dieser
."'O
S t e l l e nicht voreilig das zweite wesentliche, dem ersten eng
verwandte Moment der Lichtsymbolik - nalich L i c h t als Sein
- vorzustellen,
denn
es
ist eben mittels der paradoxen
Vexselbstst&ndigung einer Nullitat, das heiBt des Nichts als
~ahnsinn, dass die existentielle Angst Lenz', die seinen
Erke~tnisverlustbeim Schwinden des Lichts beiwohnt, in den
Vordergrund
tritt.
Denn
verlorenen Verhaltnisses
die Angst
nicht
nur
ist
zum
Produkt seines
Erkenntnisgrund,
sondern wichtiger zum Seinsgrund, der das erkemende Ich und
die erkannte Welt umfaBt,
Hier wird letzten Endes nicht nur
das endgültige ~rgebnis der Geschichte von Lenz, sondern
damit die wesentliche moderne Problematik von Erkenntnis und
Sein antizipiert.
D u s erhellte Kindergesicht
Die Expositionsszene ist insofern von grogem Belang, ais
sie die Problematik der Lenz-Figur anhand der Lichtsymbolik
in ihrem ganzen Umf ang au£reif3t.
Angedeutet wird dadurch,
wie schon gesagt, der weitere Verlauf der Geschichte, der sehr
simpflifiziert
ausgedrückt
-
der
Versuch
und
letztendlich das Scheitern von Lenz k t , eine unmittelbare
- -- -- - .
70
Büchner 102.
Umahe zur Welt wiederherzustellen - zugleich das Scheitern
des Regressionsversuchs, zum unreflektierten Geisteszustand
Bei der nachtlichen Ankunft von Lenz zeichnet sich das
Dorf
Waldbach
so
aus,
daB
durch
dessen
Hauser
Licht
ausstrahlt, was auf Lenz wohltuend einwirkt:
Er ging durch das Dorf, die Lichter schienen durch die
Fenster, er sah hinein im Vorbeigehen, Kinder am
Tische, alte Weiber, Madchen, Alles rubige, stille
Gesichter, es w a r ihm, als müsse das Licht von ihnen
ausstrahlen, es ward ihm leicht [ . . .] .1'
Den einfachen Dorfieuten ist das Licht wesensverwandt;
sie sind
noch
naturnah, ungespalten, l i c h t h a f t .
Ihre
wesensbedingte Ferne zum gespaltenen Lenz findet dadurch
Ausdruck, daB dieser, noch der Wanderer , die Iichthaften
Leute durch deren Fenster betrachtet.
Er ist drauBen, aus
der Idylle ausgeschlossen, auf die Betrachter-Haltung des
reflektierenden Menschen angewiesen.
Als
Lenz aber das Haus des Pfarrers Oberlin endlich
erreicht, fühlt er sich nicht sofort "leicht", denn er mus
sich den um den Tisch sitzenden Leuten vorstellen.
fragt ihn, ob " ( . . . ]
er nicht gedruckt
[
. . .] " 7 2
Oberlin
sei, und
Lenz ist sofort begierig, sich von seiner Vergangenheit zu
distanzieren: "Ja, aber belieben Sie, mich nicht darnach zu
71
7*
Büchner 102 .
Büchner 102.
beurteilen. " 7 3
Dann begimt er, sich durch Unterhaltung in
den Kreis der Dorfleute zu integrieren, wodurch er ruhig
wird.
So betrachtet er die Leute in dieser Szene:
[ . . . 1 nach und nach wurde' er ruhiger , daç heimliche
Zimmer und die stillen Gesichter, die aus d m Schatten
hervortraten, das helle Kindergesicht, auf dem alles
Licht zu ruhen schien und das neugierig, vertraulich
aufschaute, bis zur Mutter, die hinten im Schatten
engelgleich stille sas [ . . . ] es war i h als traten
alte Gestalten, vergessene Gesichter wieder aus dem
Dunkeln. alte Lieder wachten auf, er war weg, weit
weg .7 4
Das beleuchtete Kind ist eine Projektion des eigenen Ich
von Lenz in seinen Kindheitszustand, in den er noch ein
Vertrauensverhaltnis zur Mutter bzw.
zur Welt batte.
Er
fühlt sich wieder "zu Hausw7s - aber nicht im nomalen Sinn
von allgemeinem Sich-wohl-Fühlen, sondern eben weil die
Situation des "heimlichen Zimmers" Lenz regressiv in die
Sphare -
ferner durch die alten Lieder und vergessenen
Gesichter evoziert
-
Lichtsymbolik des
Werkes
der Kindesvergangenheit rückt.
wird
hier
durch
Die
ihre weitere
Verknüpfung mit den Dorfleuten und noch entscheidender, mit
d m Kind noch differenzierter: das
Licht ist Symbol der
E r k e m t n i s und d e s Seins. wie sie noch in unproblematischer
Versohnung miteinander prasent sind im ungespaltenen Wesen
73
74
75
Büchner 103.
Biichner 103 .
Büchner 103 .
Das Licht signalisiert bei Lenz das Verlangen,
des Kindes.
das bedrückende, isolierende SelbstbewuBtsein loszuwerden,
um die kindliche, paradiesische Nahe der Menschheit zur
Natur wiederherzustellen .
Insofern gründet die christliche
Religiositaet 2er Lenz-Figur ausschliei3lich au£ den Worten
Jesu: "Lasset die Kindlein, und wehret ihnen nicht, zu mir
zu kommen; dem solcher ist das Hi1~nelreich,"~5
Weil das Kind eine Selbstprojektion von Lenz ist und
dieser noch die Betrachterdistanz bewahren muB, k a m er sich
mit der ~rojektionnicht konkret identifizieren.
Er kann
also das heimliche Gefühl ins ihm zugewiesenen Schlafzimmer
nicht rnitbringen; er ist erneut isoliert, de=
das Erlebnis
des Zimmers irn Pfarrhaus, "mit seinen Lichtern und lieben
Gesichtern
[
..- 1 ,
w77
wird
zu "Schatten" und
"Tram"
.'8
Sogleich behauptet sich wieder die existentielle Gefahr der
Finsternis: " [ .
verschlang
..]
das Licht war erloschen, die Finsternis
Alles;
eine
unnennbare
Angst
erfaBte
ihn
Es gelingt Lenz aber allrnahlich, sich ins Dorfleben zu
integrieren, indem er Marrer Oberlin standig begleitet und
dabei an den Geschaften des Dorfes teilnimmt.
hin
76
77
78
79
zu
einer
Episode,
in
der
sich
Mattaeus 19 :1 4 . Luther ' sche Übersetzung .
Büchner 103.
Büchner 103.
Büchner 103.
Dies leitet
die
fruhere
Selbstprojektion
zur
eigentlichen
~elbstidentifikation
entwickelt:
Eines Morgens ging er hinaus, die Nacht war Schnee
gefallen, im Ta1 lag heller Sonnenschein [ . - . ] Er kam
bald vom Weg ab und eine sanfte Hohe hinauf, keine
Spur von FuBtritten mehr, neben einem Tannenwalde hin,
die Sonne schnitt mistalle, der Schnee war leicht und
f lockig, [ . . - ] Alles so still, [ . , , ] es wurde ihm
heimlich nach
und
nach,
[. ..]
ein heimliches
Weihnachtsgefühl beschlich ihri, er meinte manchmal,
seine Muttex müBe hinter einem Baume hervortreten,
grog, und ihm sagen, sie hatte ihm dies Alles
beschert; wie er hinunterging, sah er, daB um seinen
Schatten sich ein Regenbogen von Strahlen legte, als
hatte ihn was an der Stirn berührt, das Wesen sprach
ihn an.80
Das in der vorangehenden Szene erschienene symbolische
Schema von Licht-Kind- utt ter kommt hier erneut vor.
Die
Mutter tritt als Vertreterin der Welt hervor, und diese
prasentiert sie Lenz als ein ihm Geschenktes. Deshalb fühlt
er sich in der natürlichen Umgebung "heimlich"; er ist mit
ihr
in
der
Vereinigung
eines
Mutter-Kind-
Vertrauensverhaltnisses. Endlich weist die ~ichtsymbolikder
Szene au£ das metaphysiche Moment der Ich-Welt-Vereinigung
als
eiries
mystisch-ekstatischen
Sonnenstrahlen bilden
unio-Erlebnisses:
sich zun Regenbogen
Symbol der Versohnung der Menschheit mit Gott.
eo Büchner 105-6.
-
Die
das uralte
Diese Szene leitet den Teil der Erzahlung ein, in d m
sich Lenz unter den Dorfleuten geheilt bzw. mit der Welt
versohnt sieht.
Die Erzahlung spielt sich weiter ab, indem
er sich eine Beschaftigung such und damit eine kurstfristige
raison d'etre findet.
folgenden Sonntag
dieser
ihm gern
glücklich,
wobei
Er
anstelle
gestattet.
die
beschliegt, die Predigt des
Oberlins
Er
ist
Finsternis
übernehmen, w a s
zu
in dieser
seiner
Periode
Existenz,
die
"Seine Nachte wurden
existentielle Angst aufgehoben wird:
rUhig."81 Die Predigt führt Lenz wiederum in e i n e mystische
Berührung m i t Gott und dem Univers-
("Jetzt ein anderes
sich
Sein, gottliche, zuckende Lippen bückten
nieder und sogen sich an seine Lippen
.
[. .]
."82)
über
ihm
Aber die
Geschichte kann nicht mit einer solchen Harmonie enden; es
muB
die
bedrohende
Finsternis
zu
ihrer
Expositionsszene versprochenen Geltung kommen
Tat,
schlagt
der
Zustand
Geschichte vollig um.
Büchner 10 6.
e2 Büchner 115.
Lenz'
im
in
der
- und, in der
nachsten
Teil
der
Das kranke Madchea
Kaufmann kommt
und
Faden
der
führt
der
über
das
Kunstgesprach mit
Geschichte
gerichteten Ermahnung K a u f m a m s ,
bis
" [ . . .]
zu
der
diesem
an
Lenz
er s o l l e sich ein
Ziel stecken."83 Lenz reagiert heftig dagegen:
Hier weg, weg! nach
mich doch in Ruhe!
mir ein wenig wohl
nicht, mit den zwei
Haus? T o l l werden dort? [ . . . ] LaBt
ein bischen Ruhe jetzt, wo es
wird. Hier weg? Ich verstehe das
Worten ist die Welt verhunzt.84
Nur
Lenz sieht in den Worten Kaufmanns die Gefahrdung seiner
noch labilen Hei~sverfassung durch die Ansprüche der von
Kaufmann vertretenen, feindlichen AuBenwelt.
Damit deutet
sich an, was in der Hütte-Szene vollbracht wird.
Unmittelbar
nach
diesem
unglucklichen
Geprach
geht
Oberlin in der Begleitung Kaufmanris auf eine Reise in die
Schweiz.
Weil es Lenz "~nheirnlich"~~
i s t , chne Oberlin im
Haus zu bleiben, beschlief3t er, die anderen bis ins Gebirg
zu begleiten.
Auf dem Ruckweg nach Waldbach gerat der jetzt
allein reitende Lenz in einen traumhaften Geisteszustand.
wird
Es
AuBenwelt
"[.
83
84
.. ]
alsdann
finster,
wobei
die
Bestimmtheiten
der
- wie in der Expositionsszene - aufgehoben werden:
es verschmolz
Büchner 111.
Buchner 111.
Buchner I l S .
ihm Alles
in eine Linie, wie eine
steigende und sinkende Welle, es war ihm als lage er an
einem unendlichen Meer, das leise au£ und ab wogte.
Das
darauf
Folgende
bildet
die
vollige
Umkehr
der
initialen Erlosungsszene, in der Lenz nach seiner Ankunft in
Waldbach dem Dunklen, das ihm jetzt wieder droht, entzogen
wird.
Er kommt zu einer Hütte, in der ein krankes Madchen
liegt und eine alte Frau "mit schnarrender Stimme aus einem
singt.
Gesangbuchn
Die Dichte der Hell-Dunkel-Motivik
dieser Szene ist eindringlich: Die mechanisch schnarrende
ist
Frau
im
Dunkeln;
de=
fehlt
ihr
die
aus
einer
unmittelbaren Nahe zur Natur hervorgehende Lebendigkeit der
Religiositat, die Lenz vorher als dem einfachen Volk zueigen
gesehen hat :
. . .]
dieser Glaube, dieser ewige Himmel im Leben:
j e t z t erst ging ihm die heilige Schrift auf. Wie den
Leuten die Natur so nah trat, alles in himmlischen
Mysterien; aber nicht gewaltsam majestatisch, sondern
noch vertraut.e8
[
Als
Mutter
des
Madchens
führt
die
alte
Frau
die
symbolische Mutter-Natur-Assoziation weiter: Jetzt entlarvt
sich die AuBenwelt als nichtig, ja als der Tod selbst.
Licht
der
Lampe
dagegen
fallt
ausschliel3lich
auf
Das
das
"bleiche ~ e s i c h t
" 8 9 des Madchens , dessen physische Krankheit
O6
87
Büchner 112.
Büchner 112.
se Biichner
89
105.
Büchner 112.
au£ die wachsende imere Krankheit von Lenz verweist und
nunmehr der Selbstprojektion von Lenz im verschlimmerten
Geisteszustand dient.
içt
Das Kind- utt ter-~ertrauensverhaltnis
hier offensichtlich gefahrdet; es scheint, als ob d i e
Mutter, bald
ihr Lied schnarrend, bald mit den Nachbarn
plaudernd - wenig Interesse an ihrem kranken Kind h a t .
AuBerdem kann hier vom Topos "Licht in der Finsternisa im
Zusammenhang mit der Dorfexistenz kaum die Rede sein, denn
wie kann das Licht weiterfungieren, als Seinssymbol die
Wesensverwandtheit und -verbindung zwischen Mensch und Welt
bzw. Subjekt und Objekt darzustellen, wenn das Madchen krank
ist?
Weiter entwickelt sich also die Lichtsymbolik der
Szene:
Durch das leise Singen des Madchens und die Stimme der
Alten zugleich tonte das Sausen des Windes bald naher,
bald ferner, und der bald helle, bald verhüllte Mond
warf sein wechselndes Licht traumartig in die Stube
[...]
Lenz sah auf, -d
der Mond warf sein stilles
Licht auf ihre [des Madchens] Züge, von denen ein
unheimlicher Glanz
zu strahlen schien; zugleich
schnarrte die Alte und über diesem Wechseln und Sinken
des Lichts, den Tonen und Stimmen schlief endlich Lenz
tief ein.90
Lenzens Zuflucht in die Sphkire der einfachen Dorfleute
bietet keine Erlosung mehr vom gespaltenen Selbst, denn die
au£ Irrealitat hinweisende Unbestimmtheit der ins Vage der
Lichtschwankung suspendierten Augenwelt bricht mit diesem
Büchner 113.
Das v o m Mond
"wechselnden Licht" in die Hütte hinein.
erhellte Angesicht des Madchens ist ihm in (iiesern Moment gariz
im Gegensatz zu dem des am Tisch sitzenden Kindes -
Das
unheimlich.
Weltverhaltnisses
heimliche
erweist
sich
des
Licht
also
als
gesunden
Fiktion,
die
sogemante objektive, auger dem Subjekt bestehende R e a l i tat
als irrealer T r a m .
Lenz gerat nach diesem Erlebnis in einen allgemeinen
Zustand der ~erzweifelung:"Die Welt war ihm helle gewesen,
und er spürte in sich ein Regen und W i r n m e l n nach einem
Abgrund,
Nachdem
zu d m ihn eine unerbittliche Gewalt hinriB."91
die
Ausenwelt,
mit
der
Lenz
eine
Verbindung
wiederherzustellen sich sehnte, sich als bedeutungslos und
nichtig entlarvt, rnuf3 die existentielle Angst wieder in sein
BewuBtsein als konkrete Lebensbedrohung ziehen, die das
Licht beraubt, denn hier, wie bei Eintritt der Nacht in der
Expositionsszene, existiert nichts mehr auBer dem einzelnen
Geist und der Finsternis, das heiBt der absoluten Negation
seiner
Erke~tnismoglichkeit.
vollzieht sich diese Bedrohung.
91
Büchner 114.
In
der
nachsten
Szene
Das
t o t e Kind
Die eng mit dem Kindesmotiv verbundene Lichtsymbolik von
Lenz
- und damit die Geschichte selbst - erreicht mit der
Szene, in der Lenz ein totes Kind zu erwecken versucht, die
Es handelt s i c h hier um
endgültige Phase.
Selbstprojektion
von
Wiederbelebung der
Lenz; die
Bitte
Kindesleiche
lauft
an
eine dritte
Gott
parallel
urn
die
mit
dern
stadigen verzweifelten Versuch von Lenz, die innere Leere
das Gefiihl des Erstorbenseins - die
seiner Existenz b z w .
Folge der in der letzten Szene stattfindenden Entdeckung der
Sinnlosigkeit der Welt
sich zu wecken
gerichtet, den
Ekstase
als
.
[. .]
-
zu entkommen, " [ . . .] eine Glut in
."92
Lenz vorher
letztendlichen
Universum wahrnahm.
nicht mehr, de=
Es
ist eine
in Momenten
Bitte
der
mystischen
zwischen
Sinnbezug
an Gott
Ich
und
Bei den Dorfleuten gibt es diesen Gott
sie haben jetzt überhaupt kein Interesse
mehr an dem Kind.
Mit dem Tod des Kindes hort also das
Vertrauensverhaltnis zwischen Subjekt (Kind/Ich) und Objekt
(Dorfieute/Welt) vollig
auf, und
die
Leute
gehen
blof3
"gleichgiltig ihrem Geschaefte nach"93, als ob das Kind nie
gelebt hatte.
Das Kind - wie Lenz
verstoien, von Gott selbst abgewiesen.
92
93
Büchner 115.
Büchner 115.
- ist aus der Welt
Der schonen Leiche
bleibt deshalb nur der Verfall; sie ist blosse Materie, ohne
ein hoheres, sinn- und lebenschenkendes Prinzip:
Lenz schauderte, wie er die kalten Glieder berührte
und die halbgeoffneten glasernen Augen sah- Das Kind
k m ihm so verlassen vor, und er sich so allein und
einsam; er warf sich über die Leiche nieder; der Tod
erschreckte ihn, ein heftiger Schmerz faBte ihn an,
diese Züge, dieses stille Gesicht sollten verwesen, er
warf sich nieder, er betete mit allem Jammer der
Verzweiflung, daB Gott ein Zeichen an ihm tue, und das
Kind beleben moge [ . . . ] D a m erhob er sich und sprach
laut und fest: 'Stehe auf und.wandle!' Aber die W a d e
hallten ihm nüchtern den Ton nach, dal3 es zu spotten
schien, und die Leiche blieb kalt.94
Die in der Expositionsszene antizipierte Bedrohung der
b6sen Finsternis realisiert sich jetzt: Lenz wird sofort vorn
Wahnsinn gepackt und wird von ihm ins Gebirge "gejagtN95.
Damit wird die Welt
selbst von Lenz als gottverlassene
Leiche erlebt, wie es die Lichtsymbolik génz entscheidend
zeigt :
So k m er auf s i e Hohe des Gebirges, und das ungewisse
Licht dehnte sich hinuriter, wo die weiBen Steinmassen
lagen, und der Hirnmel war ein dummes blaues Auge, und
der Mond stand ganz lacherlich drin, einfaltig. Lenz
muBte laut lachen, und mit dem Lachen griff der
Atheismus in ihn und faf5te ihn gariz sicher und ruhig
und fest.
Er wuf3te nicht mehr, w a s ihn vorhin so
bewegt hatte, [ . . . ] er ging kalt und unerschütterlich
durch das unheimliche Dunkel - es war i h r n Alles leer
und hohl [ . . . ] . 9 6
94
95
96
Büchner 115-16.
Büchner 116.
Buchner 116.
Das, was vorher S m 0 1 des Seins- und Erkenntnisgrundes
der Dinge war, enthüllt sich hier bloB als der Schein vom
toten, dummen Auge; insofern, als das Licht in den Kontext
einer simlosen Welt gestellt wird, besteht sein Wesen jetzt
darin, daB
es
bloB
dem
offenbart oder vermittelt.
Subjekt
diese
feindliche Welt
Endlich wird das Licht also, wie
vorausgesagt, seines eigentlichen Wesens als Erkenntnis- und
Seinsgrund beraubt.
Dass Lenzens Seele mit dem ~ i n dstirbt, zeigt sich irn
Rest der Geschichte durch die vollkommene Gleichgültigkeit,
Ex bemüht sich
mit der er sich und die Welt betrachtet.
nicht
weiter,
eliminieren,
die
um
Spaltung
zum
zwischen
Ich
und
Welt
zu
kindlich-ungespaltenen Zustand
zu
gelangen, sondern gibt der Spa1tung nach, j a vergroBert sie
bewuBt ;
er
bek&npft
"wahnwitzigsten Possen
Langeweile,
indem
er
a~szusinnen"9~sucht, also
die
seine
Vergangenheit als Wahrheitssucher vergif3t und stattdessen
nihilistisch die welt als Spielball seines willkürlichen
Geistes betrachtet: "Es war,
[
. . .]
als komte ex die Welt
mit den Zahnen zermalmen und sie dem Schopfer ins Gesicht
speien. "98
Die
innere Leere
Lenz' steigert sich ganz
konsequent bis zurn Selbstentleibungsversuch. Das Scheitern
97
g8
Büchner 121.
Büchner 116.
der Absicht, in Waldbach ein gesundes Verhaltnis zur Welt
wiederherzustellen, ist jetzt vollig
realisiert :
Er mul3
wegen des Selbstmordversuchs auf Befehl Oberlins Waldbach Lenz ' personliche Idylle des gottgesegneten Kindesreiches
verlassen.
-
Im Wagen sieht er, als er zurück nach Waldbach
schaut, wie '' [ . . .] die Gegenst-de
sich in der ~insternis
[...Iw99verlieren. Die Finsternis verschlingt die Idylle.
Wie schon gesagt, bietet die von Buchner dargestellte
geistige
~erfallsgeschichte von
Lenz
kulturhistorische
-
Einsicht in die Entwicklung des modernen Bewatseins
zugleich
in
die
mit
Erkenntnisproblematik.
vermittelt
Büchner
Lichtsymbolik;
wenn
ihm
Den
mittels
verbundene
Seins-
kulturhistorischen
seiner
und
und
Rahmen
Verwendung
der
man das Licht in Lenz als Symbol
einerseits des Seins und andererseits der Erkenntnis sieht,
erkennt man als das endgiiltige Ergebnis der Geschichte den
Untergang der europaischen Lichtmetaphorik.
Ausdruck
der
misensituation
der
Dieser ist
europaischen
Geistesgeschichte, in der der traditionell mit d e m Licht
identifizierte absolute Seins- und ~rkemtnisgrundschwindet
bzw. d m Subjekt unzuganglich wird.
g9
Büchner 123 .
Das macht
Büchner
allein schon mit seinem Lenz-Fragment
-
also ohne Rücksicht
au£ seine anderen Werke und direkte Aussagen, die sonst zu
derselben
Deutung
zumindest
Nihilismus,
führen
Verkünder
der
konnten
des
in der
Tat
- zum
spater
die
Wegbereiter
sich
spatere
Geschichte des Abendlandes bes timmen wird,
oder
verbreitenden
Entfaltung
der
In seiner Diskussion der
Lichtsymbolik der
deutschen
Romantik zitiert August Langen eine wichtige Stelle aus J.
H. Mercks Aufsatz "Über die Landschafts-Mahlereyff:
Der echte Maler, so sagt Merck, muB 'in ewigen Traumen
von Hell-dunkel' leben: alle 'Gespenstererscheinungen
von Streiflichtern und Schlagschatten anstaunen' oder
die D W e r u r i g beobachten, 'die so alles, was von L i c h t
und
Schatten zerstreuet war, in einen Buridel
bindet , ' IOo
In den
vorausgegangenen Kapiteln
haben
wir
mit
dem
Urzustand des europaischen Geistes angefangen, in dem der
T r a m von Hell-Dunkel als vom Zusammenspiel existentieller
Grundmachte das Grunderlebnis der Welt - "in ein Bündel"
gebunden
und
perzipiert
-
ausrnachte.
Das
Merck-Zitat
signalisiert den Endpunkt der geschichtlichen Verwandlung
dieses Hell-Dunkel-Trames, die dahin gelangt, daB dieser
von der Menschheit als T r a m erkannt wird; das Traumen von
Hell-Dunkel wird nunmehr dem Künstler vorgeschrieben, es
wird
ein bewuBt
durchgeführter Geistesvorgang, der
sich
insoweit von der objektiven Welt unterscheidet. Das ist die
-
--
-
- -
IO0 August Langen, "Zur Lichtsymbolik der deutçchen Romantik"
Marchen, Mythos, Dichtung: Festschrift zum 90. Geburtstag
Friedrich von der Leyens (München: Verlag C.H. Beck, 1963)
457.
logische Entwicklung zur Moderne, auf eine e i n f ache Formel
gebracht .
Grundvoraussetzung einer Untersuchung wie diese, die die
Manifestationen des europaischen Geistes
- in
vom Standpunkt der Hell-Dunkel-Bildlichkeit
-
diesem Fail
geschichtlich
zu erfassen sucht, ist die Moglichkeit, sie uberhaupt unter
eine Formel zu bringen.
Man kann
zwar kaum in Zweifel
ziehen, daB Licht und Finsternis fundamentale Symbole sind,
die als solche jeweils einen unendlichen Gehalt umfassen.
Aber
die
EinbuBen
an
Mannigfaltigkeit,
an
der
diese
Untersuchung allerdings leiden mub, darf auf keine Anmassung
einer allzu beschrakten Perspektive hindeuten: ein Symbol,
ais
Archetypus
im
Jung3schen
Sinn
ist
an
sich
oder
potentiel1 unendlich, aber die Art und Weise, wie es sich in
der Sprache eines bestimten
bestimmten
Kulturraums
verwirklicht,
ist
und
jedoch
Individuums und ferner eines
zu
einer
endlich,
Interpretation vollkommen geeignet.
bestimmten
und
daher
Zeit
zur
BüchEer, Georg. Gesammelte Werke. Augsburg: Wilhelm Goldmann
Verlag, 1978.
Eckhart, Meister. Predigten und Traktate- Krsg- und übzt.
von Friedrich Schulze-Maizier, Leipzig: Insel-Verlag,
Fromm, Erich. You shall be as Gods. New York: Holt, Rinehart
and Winston, 1969.
Goethe, Johann Wolfgang. Goethes Werke (Hamburger Ausgabe) .
14 B a d e .
Hrsg. von Werner Weber und Hans Joachim
Schrimpf. Hamburg: Christian Wegner Verlag, 1963.
von Hardenberg, Friedrich, Freiherr (Novalis). Novalis
Werke. Hrsg. von Gerhard Schulz. Miinchen: Verlag C. H.
Beck, 1969.
von Hartmann, Eduard. Philosophie des Unbewugten. Berlin: C Duncker, 1882.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. Gesammelte Werke in 21
Banden- Hrsg. von Friedrich Hogemann und Walter Jaeschke.
Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1978.
Locke, John. The Works of John Locke in ten volumes. Reprint
of London 1823 edition. Aalen: Scientia Verlag, 1963.
Moritz, Karl Philipp. Gotterlehre. Berlin: F. A. ~ e r b i g ,
1967.
Paracelsus. L e b e n d i q e s Erbe. Hrsg.
Zurich: Rascher Verlag, 1942.
von
JoIande
Jacobi.
van Ruusbroec, Jan. Drei Schriften des Mvstikers Johann van
Ruysbroeck.
Übsz. von Franz A. LambertLeipzig: Th.
Grieben's Verlag, 1901.
van Ruusbroec. Opera omnia. Ed. by Dr. G. de Barre. Trans.
from Middle Dutch by Ph. Crowley and K. Rolfson. Brepois:
T i e l t ; Lannoo; Turnhout, 1988.
Bremer, Dieter. "Hinweise zum griechischen Ursprung und zur
europaischen Geschichte der Lichtmetaphysik." Archiv für
Begriffsgeschichte 17.1(1973): 7-35.
Büttner, Ludwig. Büchners
Verlag Hans Carl, 1967.
Bild
vom
Menschen.
Nurnberg:
Koch, Josef . "Über die Lichtsymbolik im Bereich der
Philosophie und der Mystik des Mittelalters". Studium
Generale 11 (1960): 653-670,
Langen, August. "Zur Lichtsymbolik der deutschen Romantik".
Marchen, Mythos, Dichtung: Festschrift zum 90. Geburtstaq
Friedrich von der Leyens. Hrsg. von Hugo Kuhn und Kurt
Schier. München: Verlag C.H. B e c k , 1963. 4 4 7 - 4 8 5 .
Pongs, Hermann. "Büchners Lenzn. Georg Büchner. Hrsg. von
Wo 1fgang
Martens.
Dams tadt :
Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, 1965. 138450.
Pongs, Hermann. "Die Lichtsymbolik in der Dichtung seit der
Renaissancen (Teil 1). Studium Generale 13(1960): 628646.
Ratzinger, J. " L i c h t und Erleuchtung: Erwagungen zu Stellung
und Entwicklung des Themas in der
abenladischen
Geistesgeschichte." Studium Generale 13 (1960): 368-378.
Schulz, Gerhard. Kommentarteil zu Novalis Werke. Hrsg - von
Gerhard Schulz. München: Verlag C. H. Beck, 1969.
IMAGE EVALUATION
TEST TARGET (QA-3)
1 SOmm
6"
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1653 East Main
-.- Rochester.
,
,
NY
USA
=
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- Phone: 61482-0300
Street
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14609
71
F a 71W88-5989
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