Harnwegsinfektionen im Säuglings- und Kleinkindesalter unter

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Harnwegsinfektionen im Säuglingsund Kleinkindesalter unter
besonderer Berücksichtigung der
dilatativen Uropathien
(erweiterten Harnwegen)
D. Weitzel, N. Karabul
Modellversuch der AOK und des Fördervereins zur
Früherkennung von Nierenerkrankungen e.V.
Wiesbaden, 29.03.2004
Einleitung
Bei erweiterten Harnwegen besteht ein hohes Risiko für Harnwegsinfektionen.
Klinisch sind Harnwegsinfektionen bei Neugeborenen und Kleinkinder schwierig zu
erkennen, da sie oft afebril (nicht fieberhaft) verlaufen, häufiges Wasserlassen bzw.
Brennen beim Wasserlassen nicht mitteilen können. Fieber kann vielfältige Ursachen
haben und die zur Diagnose führende Uringewinnung oft Schwierigkeiten bereiten.
Die verzögerte Diagnose kann einerseits zu Gedeihstörungen und andererseits zu
schweren septischen Krankheitsbildern führen.
Definition der Harnwegsinfektion
“Die Besiedlung des Harntraktes mit Mikroorganismen wird als Harnwegsinfektion
bezeichnet. Sie wird in der Regel durch Bakterien verursacht, Pilzinfektionen und
virale Infektionen sind selten“, (Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie,
2000).
Uringewinnung bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern
Beutelurin :
•
Genitale und Damm mit klarem Wasser waschen
•
Nach der Flüssigkeitszufuhr Auffangbeutel um Genitale kleben
•
Auf kurze Auffangzeiten achten, da nachgewiesene Keime sowohl vom
Harntrakt als auch vom Damm kommen können
•
daher bis zu 50% falsch krankhafte Befunde, Fahad et al. 65,8%
kontaminiert.
Abbildung1: Anbringen des Urinauffangbeutels
2
Katheterurin:
•
sterile Uringewinnung, Alternative zur Blasenpunktion
•
Keimeinschleppung möglich
•
bei sek. Urethrastenose möglich
Suprapubische Blasenpunktion:
•
sterile Uringewinnung, daher absolut verlässlich
•
volle Blase erforderlich
•
geringe Blutung möglich,
•
Punktionsrisiko sehr gering im Vergleich zum diagnostischen Gewinn
Abbildung 2: Suprapubische Punktion
3
Urindiagnostik bei Harnwegsinfektion
Sensitivität und Spezifität von der Urinanalyse durch Teststreifen (Urinstix) und
Mikroskop:
Test
Leukozytenesterase
positiv
Nitrit positiv
Leukozytenesterase oder Nitrit
positiv
Mikroskop (Leukozyten)
positiv
Mikroskop (Bakterien)
positiv
Leukozytenesterase oder Nitrit
oder Mikroskop positiv
Sensitivität (%)
83 (67-94)
Spezifität (%)
78 (64-92)
53 (15-82)
93 (90-100)
98 (90-100)
72 (58-91)
73 (32-100)
81 (45-98)
81 (16-99)
83 (11-100)
99,8 (99-100)
70 (60-92)
Tabelle 1: Sensitivität und Spezifität von der Urinanalyse durch Teststreifen und Mikroskop.
Modifiziert nach American Academy of Pediatrics Committee on Quality Improvement Pediatrics
(1999) S. 843- 852 aus www.aafp.org Stand 10.03.04.
4
Kriterien für die Diagnose einer Harnwegsinfektionen
Uringewinnung Mikrobiologie
Wahrscheinlichkeit einer
Infektion
Blasenpunktion
Vorkommen jeglicher
Gram-negativer
Bakterien
Gram-positive
Kokken: > Tausende
>99%
Katheterurin
>105
95%
104 bis 105
Infektion wahrscheinlich
103 bis 104
verdächtig; wiederholen
<103
Infektion unwahrscheinlich
Junge: >104
Infektion wahrscheinlich
Mädchen: 3 Spezies
>=105
95%
2 Spezies >=105
90%
1 Spezie >=105
80%
5 x 104 bis 105
verdächtig; wiederholen
104 bis 5 x 104
Symptomatisch verdächtig;
wiederholen Asymptomatisch:
Infektion unwahrscheinlich
Mittelstrahlurin
<104
Infektion unwahrscheinlich
Tabelle 2: Modifiziert nach Hellerstein S. Recurrent urinary tract infections in children. Pediatr
Infect Dis 1982; 1: 271-281.
Kontaminierte Urinkulturen
Vergleich von Katheter- und Beutelurin:
Katheterurin
Beutelurin
·
62,8% kontaminiert
9,1% versus
dadurch die Folgen:
·
4,8% unnötig behandelt
·
4,1% unnötige radiologische Diagnostik
·
12,4% unnötige stationäre Aufnahme
(Fahad et al. 2000, Journal of Pediatrics, Vol.137, Nr.2.)
5
Definition der dilatativen Uropathie
0
=
keine dilatative Uropathie, Nierenbeckenerweiterung < 99-er Perzentile
1
=
Nierenbeckenerweiterung > 99-er Perzentile
2
=
Nierenbeckenerweiterung >99-er Perzentile + Kelche aufgeweitet, Fornix
spitz
3
=
Nierenbeckenerweiterung >99-er Perzentile + Kelche aufgeweitet, Fornix
stumpf
4
=
Nierenbeckenerweiterung >99-er Perzentile + Kelche ausgewalzt,
Parenchym verschmälert
6
Abbildung 3: Einteilung der dilatativen Uropathien nach dem Konsensuspapier aus der Monatsschrift
Kinderheilkunde, Beetz (2002).
Empfehlung bei dilatativer Uropathie
Infektionsprophylaxe in Form von
·
wöchentlichen Urinkontrolllen. Am besten den Teststreifen direkt in den
frischen Urin reinhalten. Bei Auffälligkeiten sollte der Kinder- bzw. der
betreuende Arzt aufgesucht werden. Wenn der Urin auch dort auffällig ist oder
bei Fieber unklarer Ursache
· Blasenpunktion
Bei auffälligem Urinbefund Vorgehen nach Schemata (siehe letzte Seite).
Besonders häufig zur Harnwegsinfektionen führende Ursachen ist die Phimose
(siehe Abbildung).
Abbildung 4: Bild einer Phimose.
7
HWI <1 Jahr n=446 / Sgl n=14 893
3,00%
2,53%
2,50%
2,10%
2,00%
1,55%
1,50%
1,00%
0,50%
0,23%
0,00%
Alle Sgl.
m (mit
Circumcision)
m (ohne
Circumcision)
w
Abbildung 5: Häufigkeit der Harnwegsinfektionen bei Säuglingen mit und ohne Circumcision.
Aus Newborn Circumcision Decreases incidence of urinary tract infections during the first year
of life, Pediatrics Vol.4: 789-793, 2000.
Eine Beschneidung ist von präventiver Bedeutung zur Vermeidung von
Harnwegsinfektionen.
20
15
10
5
0
HWI ja
Screening
Dilatative Uropathie
Abbildung 6: Häufigkeit der Harnwegsinfektionen bei Kindern mit dilatativer Uropathie.
• Screening-Kollektiv 2156, HWI 32
• Dilatative Uropathie 162, HWI 25
• Relatives Risiko 10,4
• Konfidenzintervall 6,32 bis 17,11
• exakter Fisher-Test p<0,001 (hochsignifikant)
Das Risiko für Kinder mit Phimose ist um ein 10faches erhöht, dadurch stellt die
Phimose bei dilatativen Uropathien ein zusätzliches Infektionsrisiko für eine
Harnwegsinfektion dar.
8
Woran sind Harnwegsinfektionen sonographisch zu erkennen?
Harnwegsinfektionen führen
· zur Urothelschwellung (Abb. 7, 8)
o im Nierenbecken (Wandverdickung)
o im Harnleiter (Wandverdickung)
o in der Blase (echogene Blasenbinnenstruktur)
· zur Volumenvermehrung der Niere (Abb. 11, 12)
· zur Aufhebung der Rinden-Mark-Differenzierung (Abb. 12, 17)
· zur Ureteratonie (Abb. 9, 15)
· zu Reflexen im Urin (Abb. 10, 16)
o im Nierenbecken
o im Harnleiter
o in der Blase
· zur Durchblutungsveränderung (Abb. 10, 13, 14, 18)
o Durchblutungsverminderung in den Nieren
o Durchblutungsvermehrung in den Harnleitern
Diese Parameter ermöglichen damit in der akuten Phase die Lokalisation der
Harnwegsinfektion.
Urothelschwellung
Abbildung 7: Sonographische Bilder von Urothelschwellungen an der Niere.
9
Nierenbeckenwandverdickung mit erhöhter Echogenität
Vor Therapie
Drei Tage nach antibiotischer Behandlung
Abbildung 8: Sonographische Bilder von Nierenbeckenwandverdickungen an der Niere.
Harnleiteratonie
Urothelschwellung
Abbildung 9: Sonographische Bilder einer Harnleiteratonie und Urothelschwellung
an der Niere.
Während der akuten Zystitis
Abbildung 10: Mehrdurchblutung der Wand im Powerdoppler
und sedimentierende Reflexe im Blasenlumen.
10
3 Tage nach Behandlung
Sonographische Hinweise für eine akute Pyelonephritis
an verschiedenen Beispielen
Abbildung 11: Vor der Pyelonephritis, Patient mit Nierenbeckendilatation.
Rinden-Mark-Differenzierung erhalten.
Während der Pyelonephritis
Abbildung 12: Man beachte die Änderung des Nierenvolumens.
• Nierenvolumen erhöht
• Unscharfe Rinden-Mark-Differenzierung
• Verdickte und echogene Nierenbeckenwand
• Nierenbeckendilatation
11
Akute Pyelonephritis
Abbildung 13:
· verminderter Blutfuß im Powerdoppler an der betroffenen Niere
· Unscharfe Rinden-Mark-Differenzierung
· Verdickte und echogene Pyelonwand
· erhöhte perihliäre Echogenität
Fokale Pyelonephritis
Abbildung 14:
Normale Duchblutung
des oberen Pols
verminderte Durchblutung
im Powerdoppler unterer
Pol der rechten Niere
mit Pyelonwandverdickung
12
Angina mit sekundärer Pyonephrose
Abbildung 15:
Malrotierte Niere rechts
Nierenbeckenweite 16 mm seit NGS
1 Monat später Pyonephrose
Nierenbeckenweite 34 mm
3 Tage nach Angina /
Urinbefund vorher o.p.B.
Harnwegsinfektion bei Megaureter
Megaureter
Abbildung 16: Ein Kind mit einem idiopathischen Megaureter. Der Familie fiel eine akute
Makrohämaturie ohne Fieber auf. Dies führte zur sofortigen Vorstellung in der Klinik. Bei der
Urinuntersuchung wurde eine Leukozyt- und Kristallurie festgestellt, die systemischen
Entzündungszeichen waren negativ. Die mikrobiologischen Untersuchungen ergaben eine
Proteusinfektion (Proteus mirabilis), im Ultraschall des Urogenitaltraktes sahen wir eine kristalline
13
Struktur in der Harnblase (siehe Ultraschallbild). Normale Durchblutung der betroffenen Niere im
Powerdoppler bei der Kontrolluntersuchung.
Chronische Pyelonephritis
Abbildung 17:
· Narbige Einziehungen der Rindenkontur auf Kelchhälse
· Verlust der Rinden-Mark-Differenzierung
· Volumenverminderung der Niere
· Nierenbeckenwandverdickung
Sonographische und nuklearmedizinische Diagnostik
Abbildung 18:
Verminderter Blutfluß
im Powerdoppler am oberen
Pol der rechten Niere
Perfusionsausfall
am oberen Pol
Funktionsanteil < 45%
Zur Vermeidung von Narben sind die frühe Diagnose und die gezielte Therapie
erforderlich. Da Säuglinge und Kleinkinder in der akuten Phase nicht ausreichend
Flüssigkeit zu sich nehmen und Antibiotika oft erbrechen, ist beim gesicherten
Nachweis der Harnwegsinfektion eine intravenöse Therapie sinnvoll. Unser
tagesklinisches Konzept lehnt sich an die Leitlinien der amerikanischen
Gesellschaft für Pädiatrie.
14
Diagnostik und Therapie der ersten Harnwegsinfektion
bei Säuglingen und Kleinkindern1
Risikokollektiv mit
dilatativen Uropathien
2 Monate bis 2 Jahre
unklares Fieber
Unmittelbare antibiotische
Therapie erforderlich?
nein
Beutelurin
ja
Ultraschall
Urinanalyse positiv für
Nierenvolumen? Durchblutung im Powerdoppler?
NBKS-Dilatation? Urothelschwellung?
Sedimentierende Reflexe in Blase? Blasenwand?
-Leukozyten – Esterase oder
-Nitrite
oder
-Leukozyten
HW/ wahrscheinlich
nein
Harnwegsinfektion
unwahrscheinlich
Urinkultur
spontan
nein
Kein
Harnwegsinfekt
Uringewinnung: Blasenpunktion
Infektparameter: BSG, CRP, Leukos
Therapiebeginn: parenterale Antibiose
reichliche Flüssigkeit
Urinkultur
positiv
Pyelonephritis
Klinisches Ansprechen in 48 Std.
Umsteigen auf orale Antibiose
7 – 14 Tage Antibiose,
ensprechend Kultur
Kein
Ansprechen
auf Antibose
Urinkultur?
Obstruktive Uropathie?
nein
Antibiotikawechsel
Entlastung
Diagnostik nach Entfieberung
Reflux? – Miktiosonographie: dilatierender Reflux® Radiologisches MCN?
Luft-Miktionszystographie: nicht dilatierender Reflux
Narbenbildung?- Powerdoppler: fokale Durchblutungsstörung,
Funktion, indirekter Refluxnachweis.
1
Abbildung 19: Vorgehen in der Kindertagesklinik DKD, Wiesbaden.
15
Zusammenfassung
·
Harnwegsinfektionen sind im Säuglings- und Kleinkindalter gefährlich, weil sie
oft zu spät erkannt werden.
·
Kinder mit dilatativen Uropathien (erweiterten Harnwegen) stellen ein
besonderes Kollektiv mit einem höheren Risiko für Harnwegsinfektionen dar.
·
Spät erkannte HWI hinterlassen Schäden an den Nieren, diese können zu
Narbenentwicklung und später zu Bluthochdruck führen.
·
Bei der Uringewinnung ist die Blasenpunktion die sterilste Methode, da man
sonst mit Kontaminationen rechnen muss.
·
Die regelmäßigen Urinselbstkontrollen (in der Regel wöchentlich, bei Fieber
und beim ungewöhnlichen Verhalten des Kindes), die durch die vorher
angelernten Eltern durchgeführt wird, ist eine gute prophylaktische
Maßnahme, um Harnwegsinfektionen früh zu erkennen.
16
Referenzen:
1. American Academy of Pediatrics Committee on Quality Improvement
Pediatrics (1999) S. 843- 852.
2. Beetz, R., Bökenkamp, A., Brandis, M., Hoyer, P., John, U., Kemper, M. J.,
Kirschstein, M., Kuwertz-Bröking, E., Misselwitz, J., Müller-Wiefel, D. E.,
Rascher, W. (2002) Diagnostik bei konnatalen Dilatationen der Harnwege.
Monatsschrift Kinderheilkunde 150: 76 - 84.
3. Fahad et al. 2000, Journal of Pediatrics, Vol.137, Nr.2.
4. Hellerstein S. Recurrent urinary tract infections in children. Pediatr Infect Dis
1982; 1: 271-281.
5. Schoen, E.J., Colby, C.J., Ray, G.T.: Newborn Circumcision Decreases
incidence of urinary tract infections during the first year of life,Pediatrics
Vol.4:789-793,2000
17
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