Studie Consumer Markets Die Zukunft des Einkaufens Perspektiven für den Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland und der Schweiz Eine Studie von GDI Gottlieb Duttweiler Institute und KPMG Inhaltsverzeichnis 1Ausgangslage������������������ 4 2 Kernkompetenzen des Lebens­ mitteleinzelhandels (LEH): Bedrohung und Perspektive����� 6 2.1Logistik 2.2Bündelung 2.3Kundennähe 2.4Produktkenntnis 2.5Kundenbindung 2.6Produktauswahl 7 9 10 12 13 15 3 Triebkräfte des Wandels������� 16 3.1Alterung der Bevölkerung 3.2Entstrukturierung des Alltags: Unmittelbarkeit, zunehmende Spontaneität und Entplanung 3.3Technologische Entwicklungen 3.4Energiepreise und die Auswirkungen auf die individuelle Mobilität 3.5 Wandel der Werthaltungen zu Essen und Ernährung © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 17 18 19 21 23 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH����������������������� 24 1Online wird im LEH nicht Marktstandard 2Nischenlösungen mit breitem Umbruchpotenzial 3 Lebensmitteleinkauf um die Ecke gewinnt weiter an Bedeutung 4Kommunikationskompetenz als Chance 5 Wachsende Schnittmenge zwischen LEH und Gastronomie 6 Der Hypermarkt vor dem langsamen Abstieg 7Mischgenutzte Flächen schaffen soziales Umfeld 8 Gesundheit für Kunden und Mitarbeiter als Erfolgsfaktor 9Emotionalität schlägt Effizienzoptimierung 10 Individualisierung des Genusses mit Flagship Stores für Fans 25 26 27 28 29 30 5 Szenarien zur Zukunft des LEH� 36 1All Mart – „business as usual“ 2Small Mart – „Tante Emma 2.0“ 3 Call Mart – die Online-Food-Welt 4Smart Mart – Shopping- und Formatvielfalt um die Ecke 37 38 38 39 6 Perspektiven für die LEH-Formate������������������ 40 30 7Fazit�������������������������� 42 32 33 8Anhang����������������������� 44 34 8.1 Befragte Experten 8.2Literatur © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 44 44 4 1 Ausgangslage Die Einzelhandelsbranche befindet sich in einem rasanten Umbruch. Ganze Shop-Gruppen sind aus dem Stadtbild fast verschwunden (wie Musikgeschäfte), andere dünnen kräftig aus (Buchhandel, Elektronik, seit Kurzem Schuhe) und für die Schwergewichte der Branche, die Warenhäuser, ist kein Ende ihrer seit Jahrzehnten andauernden Krise in Sicht. Wichtigster Treiber dieser Veränderung ist fast durchgängig das Internet, das völlig neue Vertriebswege geöffnet und neue Formen des Kundenverhaltens ermöglicht hat. Nur ein Segment des Einzelhandels scheint bisher von diesen Umbrüchen unbehelligt: der Lebensmitteleinzelhandel. Alle Online-Angreifer sind bisher gescheitert (Webvan), wurden aus ihren Wachstumsträumen gerissen (Ocado) oder haben sich in Nischen positioniert (LeShop). In den europäischen Staaten liegt der Online-Marktanteil im Lebensmitteleinzelhandel im meist niedrigen einstelligen Prozentbereich. Nur 21 Prozent der Konsumenten in Deutschland können sich laut einer aktuellen Befragung von KPMG vorstellen, dass der Online-Kauf von Lebensmitteln für sie attraktiv werden könnte – mit Abstand der geringste Wert von allen untersuchten Produktkategorien.1 Zwar bestehen zwischen verschiedenen Ländern große Unterschiede bezüglich der Akzeptanz des Online-Einkaufs von Lebensmitteln. In Großbritannien können sich laut einer KPMG-Studie von 2011 bereits rund 60 Prozent der Bevölkerung vorstellen, Lebensmittel bevorzugt online einzukaufen, in den USA beträgt dieser Wert gerade einmal 21 Prozent.2 Doch in allen Märkten liegen diese Akzeptanzwerte deutlich unter denen für die meisten anderen Warengruppen: Bei Flugbuchungen beispielsweise liegt die Online-Akzeptanz in den USA mehr als dreimal so hoch wie beim Nahrungseinkauf. Noch geringer werden die Werte, wenn es sich nicht um potenzielle Bereitschaft, sondern um tatsächliche Transaktionen handelt. In der Schweiz kaufen laut der Studie „Der Schweizer Online-Handel – Internetnutzung 2011“ der Universität St. Gallen gerade einmal 6,7 Prozent der Bevöl- kerung je nach Situation online Lebensmittel ein. Dieser Wert hat sich im Vergleich zur vorangehenden Studie von 2009 sogar reduziert. In Deutschland sind die Werte laut einer Nestlé-Studie3 vergleichbar mit den Schweizer Werten. Also Entwarnung? Kann sich der Lebensmitteleinzelhandel wie auf einer Insel der Seligen dauerhaft in einer OfflineSonderrolle sonnen, während der übrige Einzelhandel sein Geschäftsmodell gerade radikal umstellen muss? Weil Lebensmittel etwas Besonderes sind, weil die Konsumenten ihre Äpfel und Tomaten, Filets und Joghurts selbst prüfen und aussuchen wollen, wird deshalb auch der Lebensmitteleinzelhandel etwas Besonderes bleiben? Selbst wenn dem so sein sollte: Die LEH-Branche steht dennoch vor großen Herausforderungen. Das betrifft in erster Linie das Non-Food-Sortiment, das bereits heute wachsender Konkurrenz ausgesetzt ist: Niemand muss Fernseher oder Windeln im Supermarkt kaufen. Teile des Food-Sortiments könnten folgen, insbesondere außerhalb des Frischebereichs. Für Kekse, Nudeln oder Getränke gibt es eine wachsende Zahl von Vertriebs- und Logistikalternativen zum traditionellen LEH. Der harte Kern des LEH-Sortiments droht also immer kleiner zu werden. Neue Technologien und ein sich rapide wandelndes Konkurrenzumfeld bieten neben Herausforderungen aber auch neue Chancen und Geschäftsmodelle – wenn sie rechtzeitig erkannt und unternehmerisch umgesetzt werden. Beispiele dafür liefert der Blick auf die vergangenen zwei Jahrzehnte in der Musikindustrie: •Mit der digitalen Revolution entstand im Internet ein neuer, leistungsfähiger Vertriebsweg. Doch es war ein Branchenfremder, Apple, der mit iTunes diese Chance nutzte. • Zu einem hochattraktiven Marketingkanal entwickelten sich Plattformen für Online-Videos. Aber es ist ein ­Branchenfremder, Google, der mit YouTube den Markt dominiert. •Das „Machen“ von Musikstars verlagerte sich aus den Marketingabteilungen der Plattenfirmen in die Öffentlichkeit der elektronischen Medien. Aber es war ein ­Branchenfremder, Endemol, der mit Casting-Shows wie „Deutschland sucht den Superstar“ diesen Markt erschloss. KPMG / EHI: Trends im Handel 2020, S. 44 f. KPMG: Consumers and Convergence V: The Converged Lifestyle, 2011. 3 Nestlé-Studie 2011; So is(s)t Deutschland; Deutscher Fachverlag. 1 2 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Ausgangslage 5 •Der Rückgang der erzielbaren Umsätze für Musikträger ging mit einem drastischen Anstieg der Erlöse für das Live-Erleben von Musik einher, insbesondere durch Konzerte. Doch keiner der Marktführer der Musikindustrie schaffte den Einstieg in diesen Markt. Auch wenn sich die LEH-Branche in vielen Punkten deutlich von der Musikindustrie unterscheidet: Technologischen Wandel und neue Geschäftsmodelle erleben beide Branchen. Realistische Blicke auf die zukünftige Marktentwicklung können dabei helfen, die daraus resultierenden Chancen frühzeitig zu identifizieren und zu nutzen. Die vorliegende Studie des GDI Gottlieb Duttweiler Institute in Zusammenarbeit mit KPMG in Deutschland und KPMG in der Schweiz soll dazu beitragen. Gemeinsam mit Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft wurden die Triebkräfte für die weitere Entwicklung des Lebensmittelmarkts analysiert, Kernkompetenzen des Handels sowie die Risikofaktoren identifiziert, Thesen für die zukünftige Entwicklung des Sektors formuliert und Zukunftsszenarien für den Lebensmitteleinzelhandel entworfen. In den Expertengesprächen und bei der Szenario-Entwicklung wurde jeweils das Jahr 2025 als Orientierungswert gesetzt: nah genug, um es zu erleben – aber fern genug, um nicht einfach die Trends der vergangenen Jahre fortschreiben zu können. Über diesen Zeitraum gesehen ist es keine Frage, ob es zu disruptiven Innovationen in der Branche kommt, sondern welche es sein werden und wer von ihnen profitieren kann. In diesem Sinn soll diese Studie Denkanstöße zur Strategieentwicklung im Lebensmitteleinzelhandel liefern, die Akteure im Markt dazu animieren, „out of the box“ zu denken, und letztlich als Entscheidungshilfe für die strategische Ausrichtung dienen. Die Methoden Für diese Studie wurden unterschiedliche Methoden angewendet. • Zum Verständnis der aktuellen Entwicklungen bezüglich der Einzelhandelsformate wurde in aktuellen Publikationen und in der Fachliteratur recherchiert. Zudem wurden Innovationen von Händlern weltweit beobachtet sowie technologische und gesellschaftliche Entwicklungen außerhalb der Handelsbranche daraufhin überprüft, ob sie eine Konkurrenz oder Bedrohung für die traditionellen Kernkompetenzen des Handels darstellen. • Mögliche Treiber für die Entstehung neuer Formate oder die Bedeutungsverschiebung bestehender Formate wurden anhand von Expertengesprächen untersucht. Entsprechend dem Ansatz der STEEPAnalyse (Social, Technological, Economic, Environmental, Political) wurden die Treiber in fünf Gruppen eingeteilt: gesellschaftliche, technologische, wirtschaftliche, ökologische und politische Triebkräfte. • Für die abschließende Erstellung der vier Szenarien für die zukünftige Entwicklung des Lebensmitteleinzelhandels wurden die Resultate von Literatur­ recherche, Workshops und Expertengesprächen zusammengetragen und in Beziehung zu den zwei Kernentwicklungsachsen gesetzt: Entwicklung der (Logistik-)Kosten und Entwicklung der (Konsumenten-)Wertvorstellungen. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 6 2 Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive 7 Kernkompetenzen des LEH 1. Logistik (B2B-Kompetenz bis zum Laden) 2. Bündelung (alles aus einer Hand, maximale Sortimente) 3. Kundennähe 4. Produktkenntnis (Expertise im Einkauf und im Laden) 5. Kundenbindung (emotional, dauerhafte Akzeptanz zwischen Käufer und Verkäufer) 6. Produktauswahl (Kuratieren des Warenangebots) In der Vergangenheit bedeutete eine Strukturveränderung im Lebensmitteleinzelhandel meist die Verschiebung von Marktanteilen zwischen einzelnen stationären Formaten. Zurzeit jedoch gerät die Branche an sich aus verschiedensten Richtungen unter Druck. Neben der Online-Konkurrenz betrifft das insbesondere den Boom des Mobile Shopping: Hier entstehen neue Märkte und Formate, bei denen nicht absehbar ist, ob die daraus resultierenden Umsätze auf neue Wettbewerber und andere konvergierende Branchen entfallen oder mehrheitlich in die Kassen der traditionellen Einzelhändler fließen. Zudem sind viele Konsumenten nach Expertenmeinung unzufrieden damit, wie ihnen Lebensmittel zum Kauf angeboten werden (vgl. Kap. 3.5). Auch die Zuversicht, von den derzeitigen Anbietern in Zukunft bedürfnisgerecht bedient zu werden, hat demnach bei den Kunden rapide abgenommen. Entsprechend werden deutliche Brüche in der weiteren Entwicklung im LEH wahrscheinlicher. Jede der historisch erworbenen Kernkompetenzen des Lebensmitteleinzelhandels ist heute durch neue Technologien und / oder neue Wettbewerber gefährdet. Dieses Kapitel zeigt eine Übersicht über den aktuellen Stand. große Gütermengen an für sie günstig gelegene Stationen liefern, die Konsumenten ihrerseits können ihren Haushaltsbedarf an für sie gut erreichbaren Ladenstandorten decken. Mithilfe moderner IT-Systeme behalten die Händler den Überblick über mehrere Hundert (Discounter) oder auch mehr als 10.000 unterschiedliche Artikel (Verbrauchermärkte) von Hunderten von Lieferanten und sie verarbeiten Millionen von Kundendaten und Transaktionen, um jederzeit in jedem Laden qualitativ hochwertige Ware zu günstigen Preisen verfügbar zu machen. Wer diese Pflichtaufgabe nicht beherrscht, wird im Wettbewerb nicht lange bestehen können. Theoretisch war es sowohl für Konsumenten als auch für Produzenten schon immer verlockend, den Handel zu umgehen und stattdessen direkt miteinander in Kontakt zu treten und die vom Groß- und Einzelhandel (Intermediär) beanspruchten Margen untereinander zu teilen. Doch Industrialisierung, Massenproduktion und Globalisierung vergrößerten die Distanz zwischen Herstellern und Verbrauchern – der Einzelhandel konnte seine Position festigen, die Kommunikation mit dem Kunden dominieren und seine Logistikkompetenz ausbauen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten kehrte sich die Lage aber um: 2.1 Logistik „Wahrscheinlich wird der jetzige LEH den Schritt zum Services-Dienstleister (B2C-Logistiker) nicht machen, sondern dieser Schritt wird von neuen Anbietern durchgeführt.“ Uwe Spiegel, T-Systems In den 150 Jahren seit dem Beginn von Massenproduktion und -konsum haben der deutsche und der Schweizer LEH die Logistik für die Zwischenstation(en) zwischen Produzenten und Konsumenten optimiert: Hersteller können • Die Individualisierung und Produktvielfalt führten zu tendenziell kleineren Stückzahlen für jeden einzelnen Artikel. • Die Revolution der Telekommunikation ermöglichte den Aufbau direkter Verbindungen zwischen Produzent und Konsument. • Die exponentielle Zunahme von Daten sowie deren Verarbeitungs- und Kombinationsmöglichkeiten (Big Data) machten es für Produzenten attraktiver, den direkten Kontakt zu ihren Kunden zu suchen. Die Ausschaltung des Intermediärs wird dadurch nicht nur ökonomisch attraktiv, sondern ist heute auch technisch machbar. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 8 Abo-Services Bei Abonnements für bestimmte Produkte oder Produktkategorien wird der Bezahlvorgang weitgehend von der Warenlieferung getrennt. Diese Waren können entweder vom Kunden selbst (beispielsweise beim Windelabo für den Bedarf junger Eltern)4 oder vom Produzenten oder Händler ausgewählt werden. So ist es beim derzeit wachstumsträchtigsten Abo-Dienst, der Biokiste: In vielen Orten werden Konsumenten der ökologisch bewussten Lohas5 -Zielgruppen wöchentlich einmal mit frischen, biologisch angebauten Erzeugnissen aus der Region beliefert. In Zürich bietet beispielsweise der Brüederhof seit Jahren SaisonBiogemüse-Abonnements an und liefert das Gemüse direkt an Pick-up-Stellen in der Stadt. Was genau in der Kiste liegt, ist von der Saison, den Ernteergebnissen und der Entscheidung des jeweiligen Lieferanten abhängig. Der Rechnungsbetrag wird in der Regel per Lastschrift vom Bankkonto des Kunden abgebucht. Für die befragten Experten stellen insbesondere AboServices für Non-Food-Artikel und standardisierte Lebensmittel eine Gefahr für die stationären Lebensmitteleinzelhändler dar. Allerdings entstehe durch solche Angebote auch eine Notwendigkeit, in die Qualität der stationären Läden und in zusätzliche Services zu investieren. Auf diese Weise könne erreicht werden, dass Abo-Services auf Lebensphasen besonders eingeschränkter Mobilität fokussiert blieben, etwa während Krankheiten oder bei Familien in der Babyphase. Alternativ kann die Abonnententechnologie in das Ladenkonzept integriert werden; so sind beispielsweise in die Temma-Läden der REWE Bestellterminals und Abholstationen für mymuesli.com ­integriert. Da der etablierte Handel verständlicherweise kein Interesse zeigt, den Produzenten direkten Zugang zum Endkunden zu ermöglichen, eröffnen sich Chancen für Neueinsteiger, die logistische Lücke zwischen Herstellern und Kunden zu schließen. Ein interessanter Neueinsteiger ist Alice.com: Das Unternehmen betreibt eine Website, die wie ein normaler Online-Shop aussieht, faktisch aber nur die Nachfrage von Endkunden an die Produzenten weiterleitet – und anschließend die logistisch effiziente Bündelung der Einkäufe sowie die Zustellung organisiert. Das hier ange­ botene Produktspektrum ist bislang auf verpackte Markenartikel beschränkt. Das gesamte Frischesegment wird bis dato nicht angeboten; allerdings muss es nicht bei dieser Beschränkung bleiben. Führende Einzelhandelsvertreter fühlen sich vor dieser Bedrohung derzeit noch gut geschützt. Unter anderem aufgrund der extrem dünnen Margen im deutschen Lebensmitteleinzelhandel. Karl-Erivan Haub, Geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter, TengelmannGruppe: „Der Preis ist dort viel transparenter als etwa bei Textilien und die Produkte sind vergleichbarer. Wenn ein Neueinsteiger die gleichen Produkte anbietet, bei denen schon die Konzerne mit weit größerem Einkaufsvolumen kaum etwas verdienen, zahlt er bei jedem Verkauf ein paar Cents drauf.“ Auch für die LEH-Konzerne selbst, so MigrosGeneraldirektor Herbert Bolliger, seien die Kosten des Online-Verkaufs „nicht geringer als beim Normalverkauf im Laden“. Kompetenzvorsprung und Kostenstruktur sprechen derzeit für den traditionellen Lebensmitteleinzelhandel. Doch halten viele der befragten Experten hier einen strukturellen Wandel für möglich. Dabei sei insbesondere auf die steigende Kompetenz der Hersteller zu achten, die durch Technologie immer stärker in die LEH-Logistik eingebunden werden: Je direkter ihnen die Abverkaufsdaten übermittelt werden, desto genauer können sie die Regale des Handels füllen – oder selbst den Kontakt zum Endkunden aufbauen. Gänzlich neue Marktverhältnisse würden sich zudem zwangsläufig einstellen, wenn das bisherige „Outsourcing der letzten Meile“ von den Endkunden nicht mehr auf eigene Kosten übernommen werden würde. Umgekehrt äußern sich – in Abgrenzung zum eigenen Kompetenzprofil – gerade die Vertreter von Logistik- und Kommunikationsunternehmen unter den befragten Experten 4 5 In der Schweiz liefert beispielsweise Baby Müller ein vergleichsweise günstiges Babysortiment nach Hause. Abkürzung für: Lifestyle of Health and Sustainability. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive 9 skeptisch über die Chancen der Lebensmittelhandelsunternehmen, in der Direktlogistik erfolgreich zu sein. Die direkte Verbindung zwischen Produzent und Konsument ist ein so einfaches und schlüssiges Konzept, dass sich immer wieder neue Akteure an ihm versuchen werden. Zumindest als vorbeugende Maßnahme für die Erneuerung der Logistikkompetenz erscheint es interessant, den eigenen Einstieg in die Direktlogistik durchzuspielen: Wenn eines Tages für den Weg von Produzent zu Konsument kein Umweg mehr über einen Laden nötig sein sollte, wird immer noch jemand den Weg zum Haus des Konsumenten übernehmen müssen. Kernkompetenz: Logistik ! ! ! Kennzeichen Bedrohung Perspektive •B2B-Kompetenz bis zum Laden •Ausschaltung des Zwischenhandels (Alice. com, Biokiste, bofrost) •Eigener Einstieg in die Direkt­ logistik 2.2 Bündelung „Will der Kunde wirklich jeden Tag 20 verschiedene Lieferungen von 20 verschiedenen Anbietern? Gerade in der Bündelung liegt doch eine Kernkompetenz des Handels.“ Stefan Genth, HDE Über Jahrzehnte war es in vielen Branchen ein Erfolgsrezept, einzelne Produkte zu einem attraktiven Angebot für Konsumenten zu bündeln. Pauschalreisen bündelten Flug, Unterkunft und Reiseleitung, Investmentfonds bündelten Aktien, Anleihen und Optionen in Fonds-Sparplänen, Plattenfirmen bündelten Hits und andere Musikstücke auf einem Album und Lebensmitteleinzelhändler bündelten die Angebote einer Vielzahl von Herstellern, um den Kunden alles aus einer Hand bieten zu können. Das Konzept fußte in der Regel auf einer Mischkalkulation, bei der einige Produkte oder strategische Sortimente als Türöffner für jenen Teil des Angebots dienen, der die Marge bringt. Anfang der 90er-Jahre wurde die Bündelung für die ersten Branchen zum Problem, weil immer weniger Konsumenten es akzeptierten, von den Unternehmen vorkonfigurierte Produkte oder Sortiments-Mixe zu kaufen. Im LEH ging das mit sinkender Auswahl einher. So wurden anstelle von drei Markenprodukten zunächst nur noch zwei und später nur noch eins sowie eine Handelsmarke angeboten. In den Augen des Kunden war die Verringerung des Angebots eine Spätfolge der Bündelung. In der Musikindustrie büßte die Bundle-Hardware-CD Marktanteile an die Downloads ein. Als mit iTunes das erste legale und von den Nutzern akzeptierte Download-Modell einen neuen Musikmarkt schaffte, beruhte dieser auf dem Kauf einzelner Musikstücke, die Bundle-Fähigkeit der Industrie war Vergangenheit.6 Eine ähnliche Entwicklung durchlief die Reisebranche: Mit dem Aufkommen von Online-Flugbuchung und einfachen Hotelreservierungssystemen für Endkunden entfiel für immer mehr Kunden die Notwendigkeit, auf die Pakete der Pauschalanbieter zurückzugreifen. Heute ist auch hier zu beobachten, dass der Trend sich fortsetzt und der Kunde Online-Plattformen für Informationszwecke nutzt, Flüge und Übernachtungsleistungen aber direkt bei Airlines und Hotels kauft. 6 Für eine Darstellung des Strukturwandels der Branche: Renner, Tim: Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft der Musikund Medienindustrie, Rogner & Bernhard, 2008. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 10 Im stationären Einzelhandel geriet die Bündelungskompetenz ebenfalls unter Druck – durch die neuen, ebenso breiten wie tiefen Sortimente bei E-Commerce-Anbietern. Das Angebot eines Shops wie Amazon.com umfasst eine Vielfalt an Produkten, die niemals in den Regalen eines Einzelhändlers Platz finden könnte; und die „Laufwege“ auf der Website sind deutlich kürzer als im Laden. Erfahrungen in Sortimentsoptimierung, die vom begrenzten Raum eines physischen Standorts ausgehen, werden durch den praktisch unbegrenzten Raum der Online-Konkurrenz entwertet. Zwar sind die Anbieter im Online-Lebensmittelhandel von der Vollständigkeit noch weit entfernt, die Amazon in anderen Segmenten bietet, aber Spezialisten wie der Londoner Online-Händler Ocado zeigen in Ansätzen, womit es auch die stationären Lebensmittelhändler in Deutschland und der Schweiz bald zu tun haben könnten. Wenn Bündelungskonzepte auch weiterhin erfolgreich sein sollen, müssen sie ihren Zusatznutzen für den Konsumenten unter Beweis stellen. Ein Beispiel hierfür sind vorkonfigurierte Zutatenbündel für einzelne Mahlzeiten: Wenn auf einzelne Rezepte abgestimmt alle Ingredienzen für ein Dinner mit Freunden gemeinsam angeboten werden, handelt es sich nicht mehr um eine reine Ansammlung verschiedener Lebensmittel, sondern um die Zutaten für einen gelungenen Abend. Auch Event-Themen im Laden („Italienische Wochen“, „Eröffnung der Grillsaison“) können die Bündelungskompetenz des Händlers demonstrieren und mit einem Kundennutzen verbinden. Eine weitere Möglichkeit, Bündel zu schnüren, wird sich im Bereich der Befriedigung des Grundbedarfs eröffnen. Gerade jener Teil des Einkaufs, der notwendig, aber nicht emotional aufladbar ist, kann relativ leicht online und mit weiteren Zusatzdienstleistungen abgewickelt werden. Eine Minimierung des Einkaufsaufwands im Laden durch zeitlich vorhergehende Bündelung bietet Convenience und steigert die Kundenbindung. „In den Zentren werden wir eine Entwicklung sehen hin zu Erlebnisorientierung, zu ConceptStores und Flagship Stores, wo auch die Hersteller selbst stärker präsent sein werden.“ Daniel Pulko, Schenker Kernkompetenz: Bündelung ! •Alles aus einer ! ! Kennzeichen Bedrohung Perspektive Hand •Maximale ­Sortimente •E-Commerce •M-Commerce (Amazon, Ocado) •Erlebniseinkauf •Convenience 2.3 Kundennähe „Der Kunde wird in Zukunft vom Handel noch stärker ein Markenversprechen erwarten. Sowohl für die Handelsmarken als auch für den Handel als Stefan Genth, HDE Marke.“ In der Fernsehwerbung taucht sie manchmal noch auf: die Kundennähe der selbstständigen Lebensmittelhändler. Mal ist es der Manager, der sich in den Laden seiner Kindertage zurückträumt, wo ihm damals Sahnebonbons zugesteckt wurden, mal ist es der Basketballstar, dem die Metzgersfrau sagt, wie groß er doch dadurch geworden sei, dass sie ihm früher immer ein Extrastück Wurst gegeben habe. Beides sind keine Werbespots für Handelsunternehmen – aber sie bedienen sich des Mythos von der engen und über viele Jahre gepflegten Beziehung zwischen Einzelhändlern und ihren Kunden. Ein Mythos in der Tat. Denn eine direkte und langfristige Beziehung zwischen Kundschaft und Personal ist im Einzelhandel längst eher Ausnahme als Regel. Den meisten Beschäftigten sind weder Namen noch Lebensumstände ihrer Kunden bekannt – sogar bei langfristigen Kundenverhältnissen kann dadurch keine wirkliche Kundennähe entstehen. Und das in einer Zeit, in der Kundendaten eines der wertvollsten Assets im gesamten Wirtschaftsleben werden. Big Data, also die Kenntnis und Verarbeitung möglichst vieler solcher Daten, wird von einigen Experten bereits als das „Öl des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet. Mittels Data Mining und Client Analytics verfügen einige Online-Händler bereits © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive 11 nach wenigen Transaktionen über wesentlich mehr Informationen über einen Kunden als ein Einzelhändler nach mehreren Hundert Einkäufen. den Einzelhändler eine typische Transaktion des 21. Jahrhunderts: Die individualisierten Vorteile werden mit der Preisgabe persönlicher Daten bezahlt. Die großen Einzelhandelskonzerne träumen davon, es ihnen gleichzutun. „Wir bekommen endlich die Chance, unsere Kunden kennenzulernen“, sagt etwa Karl-Erivan Haub, Geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter der Tengelmann-Gruppe. Neue Kommunikationsformen zwischen dem Laden und / oder seinen Produkten sowie dem Kunden und / oder seinen Geräten bringen den Zentralen neue Erkenntnisse über Einzelkunden und Zielgruppen, die zu Individualisierung beziehungsweise Optimierung des Angebots führen können. Doch seinen eigentlichen Kompetenzvorsprung in Sachen Kundennähe muss der stationäre Lebensmitteleinzelhandel dort unter Beweis stellen, wo er sein Alleinstellungsmerkmal hat: im Laden, in der direkten Beziehung zwischen Händler und Kunde, zwischen Käufer und Verkäufer. Hier liegt einer der wichtigsten Gründe für die Renaissance des Nachbarschaftsladens: Er bietet eine persönliche Beziehung, die keiner der anonymen Anbieter im Netz oder auf der grünen Wiese bieten kann. Eine weitere Möglichkeit für den Einzelhändler, seine langfristige Beziehung zum Kunden beidseitig nutzbar zu machen, sind Warenkorbanalysen, bei denen dem Kunden monatlich oder jährlich eine statistische Auswertung seiner Einkäufe erstellt wird – beispielsweise unter besonderer Berücksichtigung gesunder Ernährungsweise oder des Anteils von Bioprodukten. Sofern solche Auswertungen als rein freiwillige Zusatzleistung angeboten werden, werden sie von den Kunden nicht als problematische Datensammlerei angesehen, sondern als nützliche Lebenshilfe. Hier liegt aber auch für Supermärkte und sogar Discounter ein noch weitgehend unausgeschöpftes Potenzial: Premium-Services für Stammkunden. Die klassischen Kundenbindungsmaßnahmen des Handels, wie einst Rabattmarken und heute Kundenkarten, wollen eine Beziehung zwischen Unternehmen und Kunde aufbauen, indem sie den Einkauf primär preiswerter machen – der einzelne Laden vor Ort kann eine Beziehung zu seinen Stammkunden aufbauen, indem er deren Einkauf besser macht. Ob mit speziellen Abo-Services („Zwei Liter Halbfett-Frischmilch wie jeden Dienstag, Frau Müller?“), individualisierten Angeboten („Ihre zehn Lieblingsprodukte zu Ihrem Lieblingspreis“), dem Reservieren von Sonderangeboten („Haben wir extra für Sie zurückgelegt“) oder eigenen Verträgen („Wenn Sie mir garantieren, in diesem Jahr für mindestens 1.000 Euro bei mir einzukaufen, garantiere ich Ihnen, dass Sie alles, was Sie samstags einkaufen, nach Hause geliefert bekommen“): Premium-Services für Stammkunden können in der so kompetitiven Einzelhandelslandschaft den entscheidenden Wettbewerbsvorteil bringen. Was sich für den Kunden als Extra-Service oder als eine Individualisierung von Preisvorteilen darstellt, ist für Kernkompetenz: direkte Beziehung zum Kunden ! ! ! Kennzeichen Bedrohung Perspektive •Kundennähe •Data Mining •Client Analysis •PremiumServices •Nachbarschaftsläden © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 12 2.4 Produktkenntnis „Es wird verstärkt eine Nachfrage geben bezüglich der Transparenz der gesamten Herstellungskette im LEH. Den Menschen wird es extrem wichtig werden, was sie essen, wo es herkommt und wie es hergestellt wird.“ Uwe Spiegel, T-Systems Die richtigen Produkte für seine Kunden auszuwählen, ist seit Generationen die beste Überlebensgarantie für einen Einzelhändler – seine Kunden sollen ihm die Ware ja nicht nur abkaufen, sondern auch so zufrieden damit sein, dass sie zum nächsten Einkauf wiederkommen. Und um zu wissen, welches die richtigen Produkte sind, muss der Händler wissen, woher diese Produkte kommen und welche Eigenschaften sie kennzeichnen, um bewusst eine Auswahl für seinen Laden und seine Kunden treffen zu können. Diese Auswahl treffen und begründen zu können, wird in Zeiten bewussten Konsums immer wichtiger: Kunden wollen nicht nur über die wichtigsten Produkteigenschaften informiert werden, sondern zusätzlich wissen, ob ein Produkt zum Beispiel biologisch / ökologisch her­gestellt wurde, ob es aus der eigenen Region stammt oder garantiert ohne Kinderarbeit produziert wurde. Wann immer etwas schiefgeht – vom Wurm im Salat über Schimmel im Joghurt bis zum nationalen Lebensmittel­ skandal – kann sich der Einzelhändler der Verantwortung für die von ihm angebotenen Produkte nicht entziehen. Weshalb es für ihn umso wichtiger ist, diese Verantwortung auch tatsächlich anzunehmen. Mehrere der für diese Studie befragten Experten prognostizieren, dass die Händler in steigendem Ausmaß für alle Stufen der Herstellungskette von der Aussaat bis zur Entsorgung Informationen sammeln und bereitstellen müssen – und auch selbst Produzenten und Lieferanten auf die Einhaltung von ihnen vorgegebener Standards verpflichten. „Sich intensiver damit auseinandersetzen, wie und wo die Produkte hergestellt werden – das ist eine Chance für den Handel.“ Stefan Genth, HDE Auch in einer stärkeren Beschäftigung mit der Produktion selbst wird vielfach Potenzial gesehen, etwa in der Integration handwerklicher Tätigkeiten in die Läden. In einigen Supermärkten arbeiten heute schon eigene Pasta-Macher, denen die Kunden quasi bei der Herstellung ihrer eigenen Ravioli zuschauen können. Der Edeka-Vorstandsvorsitzende Markus Mosa sieht besondere Chancen in der Stärkung des handwerklichen Potenzials bei Backwaren, die dort bereits begonnene Entwicklung sei „noch lange nicht optimiert“. Die handwerkliche Kompetenz, die so für einzelne Produktkategorien im Laden demonstriert wird, strahlt auf das übrige Sortiment des Händlers ab. Noch einen Schritt produktionsnäher können Lebensmittel­ einzelhändler werden, indem sie nicht in die (handwerkliche) Weiterverarbeitung von Lebensmitteln einsteigen, sondern in die (bäuerliche) Nahrungsmittelproduktion. Das kann durch eine für den Kunden transparente Kooperation mit lokalen Erzeugern geschehen (etwa durch „Patenschaften“ für Apfelbäume oder Schweine) oder auch durch direkte Rohstoffproduktion beziehungsweise den eigenen Rohstoffanbau auf oder in der Nähe der Ladenfläche. Ein Beispiel hierfür sind Urban-Farming-Konzepte, die sich angepasst an die jeweilige Grundstückssituation fast beliebig skalieren lassen. Start-ups wie Urban Farmers AG aus Zürich oder Efficient City Farming aus Berlin produzieren Module, die Fischzucht und Gemüseanbau kombinieren – vom Einsteigermodell in handelsüblichen Transportcontainern bis zur Agrarisierung kompletter (Flach-)Dächer. Doch sosehr die Einzelhändler auch ihre Produktkenntnis vertiefen und erweitern, auch in diesem Kompetenzfeld erwächst ihnen durch den technischen Fortschritt eine Bedrohung. Via Augmented Reality können auf jedes einzelne Produkt fast beliebig umfangreiche und individualisierte Informationsebenen aufgetragen werden, vergleichbar mit Schichten einer Lackierung. Darunter sind potenziell auch Informationen, über die der Einzelhändler gar nicht verfügen kann, so etwa, ob ein bestimmtes Produkt beim jeweiligen Kunden Allergien auslösen könnte oder wie es die Freunde des Kunden via Social Media bewertet © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive 13 haben. Im Wettbewerb um die Produktkenntnis kann der Einzelhändler also durchaus gegen die auf der Verpackung gedruckten Informationen gewinnen, nicht jedoch gegen die online mit dem Produkt verknüpften Informationen. Erfolgversprechender ist es deshalb, im Datenwettstreit auf möglichst umfassende Information zu setzen, indem den Kunden die Möglichkeit geboten wird, ihre eigenen Informationen mit denen des Herstellers und des Händlers und weiterer Content- und Kontextanbieter wie Freunde oder Medien zu verbinden. ! Kernkompetenz: Produktkenntnis ! ! Kennzeichen Bedrohung Perspektive •Expertise im Einkauf und im Laden •Augmented Reality •Produktionsnähe, •(selektives) Handwerk 2.5 Kundenbindung Das Bemühen um den Kunden – ob durch Lächeln, freundliche Worte oder schlicht Aufmerksamkeit für dessen Anliegen – ist im LEH entscheidend. Denn die persönliche Beziehung zwischen zwei Menschen ist das Einzige, was ein M- oder E-Commerce-Shop seinen Kunden niemals bieten kann.7 Augmented Shopping Noch steht Augmented Reality vor einem ganz praktischen Problem: Wie sollen die verschiedenen Informationsebenen, die über jeden Gegenstand, jede Situation des wahren Lebens gelegt werden können, so personalisiert werden, dass jeweils nur der sie sieht, für den sie auch bestimmt sind? Das (derzeit meist hierfür verwendete) Smartphone ist da nicht mehr als eine Zwischentechnologie – weil es nicht direkt ins Bild integriert wird, sondern einen anderen Blickwinkel erzwingt. Mit einer Datenbrille, wie sie Google derzeit erprobt, lassen sich hingegen Zusatzinformationen einblenden, die nur vom Träger der Brille wahrgenommen werden. Noch einen Schritt weiter gehen Augmented Reality-Kontaktlinsen, wie sie an der Universität Washington getestet werden. Ebenso ist eine direkte Kontaktaufnahme mit dem Gehirn, ohne Umwege über Geräte, technisch nicht ausgeschlossen – wenngleich als Shopping-Technologie derzeit (noch) kaum vorstellbar. „Kundenbindung empfinde ich als falschen Begriff, kein Kunde möchte gebunden werden. Kundenbegeisterung wäre eher das richtige Wort. Der Kunde muss freiwillig emotional vom Unternehmen so angetan sein, dass er immer wiederkommt.“ Manfred Maus, Obi Allerdings kann inzwischen bei einigen Kunden praktisch gar keine persönliche Beziehung mehr aufgebaut werden – weil diese kaum den Blick vom Bildschirm ihres Smartphones 7 zumindest so lange nicht, wie Avatare wie iPhone’s Siri noch nicht viel Menschliches an sich haben. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 14 heben, wenn sie den Laden betreten, und schon gar nicht die Ohrstöpsel ihres iPods aus den Ohren nehmen. Elektronische Geräte werden heute von vielen Menschen als eine Art Schutzwall gegen soziale Kontakte eingesetzt. „Es kommt geradezu zu einem autistischen Cocooning“, schreiben Gordon Nemitz und Christian Rieder über eine Verhaltensstudie unter Schweizer Heavy-SmartphoneUsern. „Das Individuum holt sich die reale Welt seines unmittelbaren sozialen Umfeldes in die aktuelle Situation und entkoppelt sich dabei vom konkreten Raum und von den darin befindlichen Gesprächspartnern.“8 „Der persönliche Kontakt zwischen Verkäufer und Kunden (‚sich kennen‘) wird ein weiterer wichtiger Faktor. Hier ist das Problem, dass man im LEH insbesondere bei den Personalkosten recht rigide ist und auf der anderen Seite von den Mitarbeitern Vertrauen und positive Einstellung gegenüber den Kunden verlangt wird.“ Roland Berner, REWE Group Theoretisch kann auf diese Weise auch der Einkaufsakt in den Smartphone-Kokon der Konsumenten hineingelangen. Besonders hoffnungsvoll wirkt in diesem Zusammenhang ein M-Commerce-Experiment von Tesco in Südkorea aus dem Jahr 2011: Durch Kiosk-Displays in U-Bahn-Stationen mit der Möglichkeit der direkten Order via Mobilgerät gelang es Tesco, die Aufmerksamkeitsschwelle der Nutzer zu überwinden und relevante Umsatzzuwächse zu erzielen.9 Gegensteuern können Einzelhändler vor allem, indem sie ihr eigenes Angebot angenehmer und interessanter machen. Dies lässt sich beispielsweise erreichen, indem Einkaufen zum Social Event aufgewertet wird – etwa indem die Geselligkeit des gemeinsamen Essens auf das gemeinsame Einkaufen für das gemeinsame Essen ausgeweitet wird. Auch andere Formen der Verwandlung einer Einkaufs- in eine Lebenswelt können dazu führen, dass Läden von der kokonartigen Verschiebung der Aufmerksamkeit von der realen Umgebung zur virtuellen Gemeinschaft mit Freunden profitieren. ! Kernkompetenz: Kundenbindung ! Kennzeichen ! Bedrohung •Sich wandelnde •Emotional Kommunika­ •Dauerhafte tionsgewohnAkzeptanz heiten und neue zwischen Käufer technische und Verkäufer Möglichkeiten für den Homo Smartphone, soziale Netzwerke Perspektive •Bemühen um die Sympathie der Kunden •Lebenswelt statt Einkaufswelt In der Praxis wird allerdings vielen Einzelhändlern das Gegenteil passieren. Denn das soziale Umfeld, wie es sich in den persönlichen elektronischen Medien spiegelt, wird insbesondere dann der realen Umwelt vorgezogen, wenn diese Realität als besonders unangenehm, lästig oder un­interessant gilt. Einzelhändler, die bisher nur ein geringes Maß an Sympathie ihrer Kunden gewonnen haben, werden mit zunehmender Vereinnahmung durch die Technik weniger und weniger die Gelegenheit haben, dies nachzuholen. 8 9 Nemitz, Gordon; Rieder, Christian: Living Mobile. Wie Smartphones unser Leben verändern, in: GDI Impuls 02 / 2011. Franziska von Lewinski: Tesco hat es richtig gemacht, in: Absatzwirtschaft, 25.11.2011, S. 57. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Kernkompetenzen des LEH: Bedrohung und Perspektive 15 2.6 Produktauswahl Für Produktentwickler ist es normal, sich über den Handel zu ärgern. Denn die Einkäufer der Handelskonzerne sind es, die darüber entscheiden, welche Produktinnovationen der Hersteller es in die Regale der Supermärkte schaffen – und damit überhaupt die Chance erhalten, sich dem Urteil der Konsumenten zu stellen. Die überwältigende Mehrheit der neuen Produkte schaffte und schafft das nicht: Die Produktauswahl durch den Einzelhandel bildet die Balance zwischen Alt und Neu, Tradition und Innovation. Der Platz im Regal ist dabei der limitierende Faktor – wenn das neue Getränk, der neue Ketchup ins Sortiment kommen soll, muss in aller Regel ein anderes Produkt dafür Platz machen. Das (vermutete) Kundeninteresse ist dabei die wichtigste Leitlinie: Von einem neuen Produkt, das die Kunden nicht kaufen, hat schließlich keiner der Beteiligten etwas. „Kunden kaufen immer weniger Tomaten aus Spanien oder Holland, sondern Tomaten von Edeka oder von Rewe. Das ist ein Einstieg in diese Markenwelt der Qualitätsversprechen.“ Daniel Pulko, Schenker Diese Kuratorfunktion des Handels gerät allerdings durch die zunehmende Auffächerung und Individualisierung des Angebots unter Druck: In immer mehr Produktgruppen bieten die Hersteller den Kunden die Möglichkeit, ihr persönliches Produkt zu konfigurieren. Ob im Müsli-Mix (mit mymuesli.com) oder in der Schokoladen-Geschmacksrichtung (in der „bunten Schokowelt“ von Ritter Sport in Berlin), der Kunde kann für sich persönlich entscheiden, welches Produkt er wählen möchte, ohne dass der begrenzte Platz im Regal seine Auswahl bestimmt. „Betriebsformen, welche die Individualität auf allen Ebenen in den Fokus stellen, sind zukunftsfähig. Bei den Sortimenten wie bei der Konsumentenansprache – Individualität ist das Nonplusultra.“ Martin Ruppmann, Markenverband 10 Die Produktindividualisierung im direkten Austausch zwischen Produzent und Konsumenten wird nach Ansicht der meisten Experten kein Massenmarkt im Lebensmittel­ einzelhandel werden: Butter, Nudeln oder Kekse seien den meisten Kunden nicht interessant oder prestigeträchtig genug, um den Aufwand der Personalisierung zu betreiben. Zudem sei der Kreis derjenigen beschränkt, die sich überhaupt auf solche Konfigurationsoptionen einließen. „Es wünschen sich eben keine 30 Prozent der Bevölkerung das individualisierte Produkt – 95 Prozent sind schlicht zu faul dazu“, resümiert der Handelsforscher Thomas Rudolph von der Universität St. Gallen: Der Anteil von fünf Prozent der Bevölkerung, die den Produktionsprozess auf diese Weise mitgestalten wollten, sei in der Schweiz über Jahre konstant geblieben.10 Dennoch dürfte im Bewusstsein der Kunden der limitierende Faktor der Regalfläche immer weiter in den Hintergrund gedrängt werden – weil sie in E- und M-Commerce die Erfahrung potenziell unbegrenzter Sortimente machen. Für den Händler erhöht sich damit die Notwendigkeit, seine Selektionsfunktion positiv zu begründen. Nicht „Wenn Sie es hier nicht finden, haben wir es eben nicht“, sondern „Alles, was Sie hier finden, ist speziell von uns ausgewählt, um Ihnen zu gefallen“. Hieraus entsteht ein wachsendes Potenzial für Produkte, die exklusiv bei einer spezifischen Handelskette erhältlich sind und damit den Einkauf einzigartig machen. Hoch spezialisierte Kenner-Shops, die Einrichtung von Themenwelten im Laden oder produkt­orientierte Events können ebenfalls dazu beitragen, die Expertise des Warenkurators auch für den Kunden sichtbar zu machen. ! Kernkompetenz: Produktauswahl ! ! Kennzeichen Bedrohung Perspektive •Kuratieren des Warenangebots •Produktindividualisierung •Mass Custo­ mization (mymuesli.com) •Hoch spezialisierte KennerShops, Themenwelten •Events Rudolph, Thomas: Die Ermächtigung des Konsumenten, in: GDI Impuls 02 / 09, S. 16–21. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 16 3 Triebkräfte des Wandels © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Triebkräfte des Wandels 17 Altersquotient 70 60 50 40 Die wichtigsten Triebkräfte für den Wandel in den (westlichen) Gesellschaften beeinflussen ebenfalls gravierend die Entwicklung im Lebensmitteleinzelhandel – kein Wunder bei einer Branche, die zum täglichen Leben praktisch aller Menschen gehört. Diese Einflussfaktoren wurzeln in der Regel in langfristig und weit über Landesgrenzen hinaus wirkenden Kräften. Einschneidende Ereignisse wie die Ölkrise (1973), der Mauerfall (1989), der New EconomyBoom (2000) oder die Weltfinanzkrise (2008) können gar zu jähen Brüchen bei diesen langen Wellen führen. Illustriert wird das durch den Vergleich der wichtigsten Einflussfaktoren, die für die Studie „Detailhandel Schweiz 2015“ des GDI 2005 genannt wurden,11 mit den Triebkräften, die im Rahmen einer Vorstudie und in den Expertengesprächen für diese Studie identifiziert wurden. Die im Folgenden aufgeführten wichtigsten drei Faktoren haben im Zeitablauf ihre bedeutende Rolle behalten: • Demografische Alterungsprozesse • Informationstechnologien und Vernetzung • Energieknappheit Neue Einflussfaktoren haben sich hingegen aus dem Trend zur Entstrukturierung von Lebensläufen und -abläufen ergeben. Neben dem Megatrend der Individualisierung spielen dabei die Verbreitung des Mobile Internet im Allgemeinen und der Smartphones (mit entsprechend sich verändernden sozialen Verhaltensmustern) im Besonderen eine Rolle. 3.1 Alterung der Bevölkerung Europa schrumpft (vielleicht) und wird älter (bestimmt). Die Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Ländern Europas wird von der EU-Statistikbehörde Eurostat sehr unterschiedlich eingeschätzt: langfristiges Wachstum in den skandinavischen Staaten, in Frankreich, Großbritannien und der Schweiz, rückläufige Einwohnerzahlen vor allem in Ost­ europa und in Deutschland. Die größten Unsicherheitsfaktoren in diesen langfristigen Bevölkerungsprognosen sind die Geburtenraten (die von der zukünftigen Sozialpolitik 11 30 20 10 0 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Deutschland Irland Spanien Frankreich Italien Österreich UK Schweiz Quelle: Eurostat, Bevölkerungsvorausschätzung 2010 stark beeinflusst werden) sowie die Zahl der Zu- oder Abwanderer, die stark von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung beeinflusst wird. Der Alterungsprozess setzt sich hingegen überall in Europa fort, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und Tempo. Die Abbildung zeigt die prognostizierte Entwicklung des Altersquotienten in einigen europäischen Ländern. Er misst den Anteil der Personen ab 65 Jahren in Relation zur Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren. Im Jahr 2010 lag dieser Koeffizient in Europa im Durchschnitt bei 26 Prozent, 2020 wird er bei 31 Prozent liegen, 2030 bei 38 Prozent, 2050 bei 50 Prozent. In Deutschland dürfte diese 50-Prozent-Schallmauer bereits früh erreicht werden, etwa im Jahr 2030, in der Schweiz wird damit 15 Jahre später gerechnet. Für die Betriebsformen im LEH spielt die Alterung der Bevölkerung eine wichtige Rolle. In diesem Punkt sind sich alle befragten Experten einig. Die neuen Alten haben Zeit und Geld, wünschen sich sozialen Austausch und legen Wert auf Genuss. Der Lebensmittelhändler in der Nähe übernimmt neben der Versorgungsfunktion immer mehr auch die Rolle des sozialen Treffpunkts. Für Personen, die nicht (mehr) berufstätig sind, hat der nahe Laden eine bedeutende Rolle im Alltag. Bosshart, D., Staib, S., (2005); Detailhandel Schweiz 2015, GDI Studie Nr. 23 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 18 3.2 Entstrukturierung des Alltags: Unmittelbarkeit, zunehmende Spontaneität und Entplanung Click and Collect Click and Collect verbindet E-Commerce mit stationärem Handel: Lebensmittel oder auch Non-FoodArtikel werden online bestellt und bei einem Laden oder einem anderen Abholpunkt dem Kunden übergeben. Der Einkaufswagen kann dabei an beliebigen Orten zu beliebigen Zeiten gefüllt werden – erst zur physischen Abholung der Einkäufe müssen die Abläufe von Konsument und Händler synchronisiert werden. Dieses Format setzt bei aller modernen Technologie an einer Tradition an, die im Zeitalter der Selbstbedienung verschüttet wurde. Vor 50 Jahren war es noch üblich, dass Hausfrauen ihre Einkaufslisten beim Kaufmann deponierten und später die gepackte Tasche abholten. Heute wird die Einkaufsliste online deponiert, um dann die Waren vor Ort abzuholen. Bei frischen Lebensmitteln präferieren die deutschen Konsumenten dabei laut einer Studie von A.T. Kearney den Supermarkt als Abholpunkt – 47 Prozent der Befragten würden am liebsten dort ihre Frischeprodukte abholen, lediglich 35 Prozent stimmten für die Lieferung nach Hause und nur neun Prozent für eine Pick-up-Station.12 Für Non-Food wird Click and Collect schon seit Längerem angewendet, im deutschen LEH gibt es entsprechende Angebote von Rewe und Real; auch Edeka experimentiert in Baden-Württemberg mit einem Click-and-Collect-Service.13 Dem Supermarkt werden als Abholpunkt von den Experten besonders gute Chancen eingeräumt, da dort nicht standardisierbare Produkte wie Obst und Gemüse hinzugekauft werden könnten. Allerdings werden auch andere Abholpunkte diskutiert und von den OnlineHändlern eingesetzt: Vom Convenience Shop über eine speziell dafür vorgesehene Drop-off-Stelle bis zum Abholen bei einem Drittanbieter wie Bahn, Tankstelle oder Post ist alles denk- und umsetzbar. Wann, wie oft und was gegessen wird, hängt von der Gestaltung des Tagesablaufs ab. Der Anteil der Personen, die klar strukturierte und regelmäßige Tagesabläufe haben, ist stark rückläufig. Unregelmäßige Arbeitszeiten, Wochenend- und Schichtarbeit sowie freiberufliche Tätigkeit nehmen zu und tragen dazu bei, dass der Alltag keine festgelegten Strukturen hat und Mahlzeiten entsprechend in nicht vordefinierten Zeitfenstern eingenommen werden. Die Folge: Es wird mehr kalt als warm gegessen, Convenience Food und Fast Food gewinnen an Bedeutung, Ernährungsdefizite entstehen. Bei berufstätigen Müttern kommt dieses Problem laut der Nestlé-Studie 2011 „So i(s)st Deutschland“ ganz besonders stark zum Ausdruck: Mütter mit entstrukturiertem Alltag ernähren ihre Kinder vermehrt mit Convenience Food, die Kinder lernen nicht, wie man sich gesund ernährt und selber kocht.14 Ebenfalls zur Entstrukturierung des Alltags trägt seit einigen Jahren die wachsende Bedeutung von Smartphones im Leben vieler Menschen bei. Insbesondere die für alle Lebenslagen geeigneten Applikationen (Apps) sorgen dafür, dass Planung und Vorausschau für ihre Nutzer weniger wichtig werden:15 Stadtpläne, Terminkalender und andere konventionelle Orientierungshilfen haben ausgedient, „there’s an app for that“. Das Leben konzentriert sich weit stärker als früher auf die Jetztzeit. Wer seine Ernährung nicht planen kann oder will und wenig Zeit fürs Essen hat, kauft tendenziell ein, was er im Moment gerade braucht. Auf Sortiments­ebene bedeutet das für den Lebensmitteleinzelhandel, dass die Nachfrage nach Convenience-Produkten weiter steigen wird, wobei das Bedürfnis nach gesunder Convenience als junger Alternative noch nicht ausgereizt scheint. Für Betriebsformen bedeutet dies, dass Formate, die mit dem Sortiment und den Öffnungszeiten dem entstrukturierten Menschen entgegenkommen, im Vorteil sind. Flexible Bestellung, flexible Lieferung, flexible Abholorte – das vollumfänglich flexible Betriebsmodell, das dem entstrukturierten Alltag vieler Menschen angepasst werden kann, dürfte erst noch im Entstehen sein. Studie von A.T. Kearney zum Online-Lebensmittelhandel, 2012. www.edekadrive.de. Nestlé-Studie 2011; So is(s)t Deutschland; Deutscher Fachverlag. 15 Marxer, Marion: Generation App, in: GDI Impuls 02 / 10, S. 16–19. 12 13 14 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Triebkräfte des Wandels 19 Weltweiter Absatz internetfähiger Geräte Angaben in Milliarden Einheiten 3 2,5 Tablets 2 1,5 1 Smartphones 0,5 Personal Computer 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012E 2013E 2014E 2015E Quelle: Gartner, IDC, Strategy Analytics, Company Filings, BI Intelligence estimates 3.3 Technologische Entwicklungen Technologien zur Vernetzung werden in den nächsten zehn Jahren weiterhin den Detailhandel in seinen Prozessen sowie den Konsumenten in seinem Verhalten prägen. Die Vernetzung findet auf drei Ebenen statt: Computer zu Computer, Ding zu Ding, Mensch zu Ding. Das Internet wurde 2012 von 76 Prozent der deutschen Bevölkerung genutzt. Bei den 60- bis 69-Jährigen lag der Anteil bereits bei 60 Prozent, bei den über 70-Jährigen erst bei 28 Prozent. Dafür lag die Zunahme der Nutzung in dieser Altersgruppe am höchsten.16 Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann man aber davon ausgehen, dass die heute 50- bis 60-Jährigen in 15 Jahren das Internet nach wie vor nutzen und der heute noch vorhandene Alters-Gap bei der Nutzung verschwunden sein wird. In 15 Jahren wird das Netz noch mehr als heute auch ein „Seniorenmedium“ sein. Eine ähnliche Entwicklung steht bei der Verbreitung von Smartphones und Tablet PCs bevor, die für den Handel von besonderer Relevanz sind, da sie neue Formen der Marktbearbeitung, der Bezahlung und der Kommunikation ermöglichen und einen neuen Absatzkanal darstellen. 2011 hat der weltweite Absatz von Smartphones erstmals den von PCs überschritten,17 die noch sichtbare starke Konzentration auf jüngere Nutzer mit hoher Kaufkraft wird sich im Zuge der Expansion in Richtung Durchschnittsbevölkerung reduzie­ren. Entsprechend schnell steigt die mobile Internetnutzung – Trend zur Convenience Aktuell expandieren sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz die etablierten Handelskonzerne im Convenience-Segment. Sie reagieren damit auf den Trend zur Re-Urbanisierung und nehmen die Auswirkungen von Alterung und eingeschränkter persönlicher Mobilität vorweg. Rewe beispielsweise folgt mit Rewe City, Rewe to go und Temma gleich mehreren Convenience Shop-Konzepten mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die beiden LEH-Marktführer in der Schweiz sind mit jeweils einem Convenience-Konzept am Start: Coop betreibt seit 1995 Coop Pronto (238 Standorte Ende 2011), teilweise umgesetzt an Tankstellen, aber auch in Form von Stand-alone-Läden.18 Migros eröffnete 2009 den Convenience-Shop Migrolino als einheitliches Convenience-Shop-Konzept in der Nachfolge von avec.-Läden und Tankstellen-Shops. Bis Ende 2011 wurden 120 Läden eröffnet, weitere 54 werden aktuell noch als Shell-Läden betrieben. Initiative D21: (N)Onliner Atlas 2012. www.canalys.com/newsroom/smart-phones-overtake-client-pcs-2011. 18 http://www.coop-pronto.ch/home/ueber_uns/unternehmen.html. 16 17 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 20 in Deutschland beispielsweise zwischen 2009 und 2012 von elf auf 23 Prozent aller Online-Nutzer. Die Analysefirma eMarketing prognostiziert zudem einen Anstieg für Groß­ britannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien bis auf ca. 35 Prozent im Jahr 2015 (siehe Abbildung Seite 19 „Weltweiter Absatz internetfähiger Geräte“).19 Post-POS Der Schritt von der Bedienung zur Selbstbedienung revolutionierte das Ladenkonzept und führte zu einer Reihe neuer Handelsformate – der Schritt von „an der Kasse bezahlen“ zu „wann und wo und wie auch immer bezahlen“ könnte im Lauf der Jahrzehnte Ähnliches bewirken. Der Übergang vom (räumlich fixierten) Bezahlvorgang an einer Kasse zum räumlich potenziell völlig flexiblen Selbstzahlen ohne Kasse und Kassierer (wie beim Mobile Shopping möglich) kann völlig neue Detailhandelsformate möglich machen. Bislang haben virtuelle Shopping-Systeme das Einkaufsverhalten in realen Läden technisch nachgebaut: Einkaufswagen werden befüllt und am Ende zur Kasse geschoben. Die dahinter stehende Vorstellung eines bewussten Einkaufsakts korrespondiert aber nicht mehr in jedem Fall mit dem tatsächlichen Verhalten. Der Trend zum Spontankauf, zu absoluter Flexibilität bezüglich Ort und Zeitpunkt des Einkaufs, lässt sich in vielen Einzelhandelssegmenten bereits feststellen. Viele Experten prognostizieren auch für den Lebensmitteleinzelhandel eine schnelle Zunahme flexibler Angebote: „Unmittelbarkeit gewinnt die Oberhand über geplantes Verhalten.“ (Ernst Dieter Berninghaus). Das kann bis zu einer Auflösung der Beziehung zwischen Produkt und Preis führen. In anderen Branchen ist das bereits Praxis: die Flatrate für Telekommunikation oder Kino, der All-inclusive-Urlaub oder Buffet­ angebote in der Gastronomie. Ein Beispiel für eine Flatrate, bei der die Erlöse auf eine Vielzahl von Produzenten verteilt und der Anteil der einzelnen Unternehmen erst im Nachhinein festgelegt wird, ist Flattr, ein aus Schweden stammendes freiwilliges Bezahlsystem für Online-Content. Die zunehmende Zahl von Flatrate-Systemen steigert sowohl die Bekanntheit als auch die Akzeptanz solcher Payment-Konzepte und lässt Alternativen zur Ladenkasse, ob im realen oder virtuellen Store, durchsetzbarer erscheinen. Für den stationären Handel allgemein sind diese Smart Devices Chance und Gefahr gleichermaßen. Alle Information der Welt ist am eigenen POS verfügbar, dementsprechend sind Preisvergleiche einfach möglich. Vor allem für Güter mit investivem Charakter wird der POS so zum Showroom, gekauft wird günstiger online, die Ware wird nach Hause geliefert.20 Für das Segment des Lebensmittelhandels wird diese Gefahr als weniger groß eingeschätzt. Das Sparpotenzial bei Lebensmitteln ist geringer als bei Gütern mit investivem Charakter. Bei nicht standardisierten Lebensmitteln wie Obst und Gemüse spielen zudem Aussehen und Geruch eine entscheidende Rolle beim Kaufentscheid. Im Fokus stehen hier eher standardisierte, lange haltbare Lebensmittel und (typischerweise im LEH-Sortiment enthaltene) Non-Food-Artikel des täglichen Bedarfs. Während die neuen Mobile Devices für sich alleine die Spielregeln des Lebensmitteleinzelhandels noch nicht neu schreiben, können Software und Applikationen diese Rolle übernehmen. QR-Code- und Barcode-Scanning sind bereits etabliert, neue Veränderungsimpulse können beispielsweise entstehen, wenn Apps den gesamten Einkaufsvorgang integrieren oder sich ein sicheres und praktikables MobilePayment-System durchsetzt. RFID (Radio-Frequency Identification) steht seit Jahren als Zukunftstechnologie des Handels zur Diskussion. Der Einsatz von Funketiketten in Lager und Regal wird aber inzwischen von den Experten nicht mehr als Zukunftsthema, sondern eher als „ongoing“ (Ernst Dieter Berninghaus) gesehen. Die Vernetzung von Dingen mit Dingen, im Falle des Handels von Artikeln und Gebinden mit Warenlagersystemen oder mit Kassen, steht dabei im Zentrum. Für den Konsumenten könnte RFID in erster Linie bedeuten, dass in den Läden weniger Out-of-Stock-Situationen eintreten21 und die Bezahlung revolutioniert werden könnte. NFC (Near Field Communication) ist eine mit RFID verwandte Technologie, die ebenfalls kontaktlose Übertragung von Daten zwischen Dingen und Geräten ermöglicht, allerdings nur auf sehr kurzen Distanzen von wenigen Zentimetern.22 Deshalb gilt NFC als aussichtsreicher Kandidat, um Smartphones zu einem elektronischen Portemonnaie aufzurüsten, das von Mobile Coupons über Kundenkartenfunktionen, Ladenlokalisierung, Scannerfunktionen und abrufbare Produktinformationen bis zur Bezahlung an der Als mobile Nutzung gilt hier mindestens ein mobiler Internetzugriff im Monat. Kühne, M., (2010); The Story of Unstoring; GDI Studie Nr. 33. 21 Unter anderem indem Waren- und Abverkaufsdaten über die gesamte Lieferkette integriert werden, vgl. www.onenetwork.com. 22 www.cosmo-id.de. 19 20 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Triebkräfte des Wandels 21 Nominale und reale Ölpreisentwicklung 1861 bis 2011 Angaben in US-Dollar je Barrel 120 110 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 Nominal Real (in US-Dollar 2011) 2011 2005 1999 1993 1987 1981 1975 1969 1963 1957 1951 1945 1939 1933 1927 1921 1915 1909 1903 1897 1891 1885 1879 1873 1867 1861 0 Quelle: BP, Jashuah Kasse alles kann. Im Blick auf die zukünftige Entwicklung der Handelsformate halten die befragten Experten die Auswirkungen solcher neuen Technologien jedoch für begrenzt. Die Hardware, die als Träger fortgeschrittener Handelstechnologien benötigt wird, ist in der Schweiz und in Deutschland bereits weit verbreitet und erfährt heute schon ein hohes Maß an sozialer Akzeptanz. Innovationen, die via Smartphone und Cloud zu einer Erleichterung beziehungsweise Verbesserung des realen Lebens führen, werden begeistert aufgenommen und verbreiten sich schnell. Technologien durchlaufen derzeit parallel unterschiedliche Entwicklungen, die jedoch alle darauf abzielen, die Auswahl, Bezahlung und Lieferung von Lebensmitteln voneinander und in geografischer Sicht von der physischen Ladenfläche komplett zu entkoppeln. 3.4 Energiepreise und die Aus­ wirkungen auf die individuelle Mobilität Food Printing Eine mögliche Endstufe der Lebensmittelproduktion wird gemäß der weltweit bekanntesten Science Fiction-Erzählung Mitte des 23. Jahrhunderts erreicht: der Replikator aus „Star Trek“. Diese dezent in die Wände des Raumschiffs „Enterprise“ eingebaute Maschine kann jedes beliebige Produkt im Handumdrehen herstellen – also sämtliche materiellen Bedürfnisse befriedigen. Die 3D-Drucker von heute sind von dieser Perfektionsstufe zwar noch weit entfernt, markieren aber den Beginn des Übergangs von der Massen- zur Individualproduktion physischer Objekte. Auch das erste „gedruckte“ Steak wurde bereits gegessen: von Gabor Forgacs, Biophysik-Professor an der University of Missouri. Die von ihm gegründete Firma Organovo ist ein Pionier der Bioprinting-Technologie. Die wichtigsten Einsatzgebiete werden bis auf Weiteres im medizinischen Bereich angesiedelt sein, doch die Erfahrungen mit der künstlichen Produktion organischen Materials können von dort auf die Lebensmittelherstellung übergreifen. Der Detailhandel ist abhängig von Transportsystemen, welche nach wie vor und auch in absehbarer Zukunft vorwiegend durch flüssige, fossile Brennstoffe betrieben werden. Erdöl hat daneben auch als Mineraldünger für die © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 22 Trendwende in der Ernährung / Esskultur Dem Ursprung nahe Viel investieren Bewusst nachhaltig handeln Geldmacherei Ernährung/ Esskultur in den 60ern Diätwahn Was mir persönlich wichtig ist Gemütlich und vertraut 70ern Rein funktionale Bedürfnisbefriedigung 80ern Gesundheit ignorieren Gesellschaftliche Wertvorstellungen der Zukunft Bewusst gesund 90ern Zukunft Unreflektiert und übermäßig Vielseitiges und verlässliches Angebot Heute Bewährt und unbeschwert Kurzfristige (Profit-)Orientierung Faire Preise Entfremdet Ambivalente Industrie-Convenience Quelle: CVM 2011, n=10 0, © GDI / Nextpractice Nahrungsmittelproduktion, für chemische industrielle Prozesse, als Heizstoff und zur Stromerzeugung eine hohe Bedeutung. Es liegt nahe, dass vor allem langfristig wirksame Preistrends für Öl sich auch auf den Lebensmitteleinzelhandel und dessen Formate auswirken. Der Erdölpreis befand sich im Jahr 2011 konstant über 100 US-Dollar je Barrel23 und ist somit auch real auf einem Höchststand, vergleichbar mit dem Niveau der zweiten Ölkrise von 1980. Wie 1973 und 1979 / 1980 ist auch dieses Mal der hohe Erdölpreis in Verbindung mit einer politischen Krise aufgetreten (dem arabischen Frühling). Allerdings sehen viele Experten inzwischen die „Grenzen des Wachstums“, von denen vor 40 Jahren erstmals gesprochen wurde, tatsächlich erreicht (siehe Seite 21, Abbildung „Nominale und reale Ölpreisentwicklung 1861 bis 2011“). Der Weltmarktpreis für Erdöl ist wohl die wichtigste einzelne Kennzahl für die zukünftige Formatentwicklung im Lebensmittel­einzelhandel. Falls das Szenario dauerhaft hoher Ölpreise eintritt, so wie es von der Mehrheit der Energieexperten sowie der Einzelhändler24 erwartet wird, wird sich daraus eine beschleunigte Abkehr von einer Einzelhandelsstruktur ergeben, die in Jahrzehnten billiger Energie und steigender Mobilität aufgebaut wurde. Das beeinträchtigt die Aussichten von Formaten, die auf die Anfahrt von Kunden mit dem eigenen Auto ausgerichtet sind, und erhöht das Potenzial für Einzelhandelslösungen in Laufweite von Wohnort oder Arbeitsplatz. Die Entwicklung der Energiepreise hat aber auch erheblich Auswirkungen auf die weitere Entwicklung von OnlineShopping und Lieferservices. Je teurer Mobilität wird, desto größer ist der Bedarf an optimierten logistischen Lösungen bis zum Konsumenten. Davon können einzelne Lieferlösungen profitieren: Ein Lastwagen, der an 50 Haushalte liefert, ist energieeffizienter als 50 Haushalte, die mit ihrem Auto zum Einkauf fahren. Und andere Lieferlösungen können darunter leiden: Ein Laden, an den 50 Lieferanten liefern, ist energieeffizienter als 50 Lieferanten, die jeder für sich ihre Endkunden beliefern. Neue Konzepte für die Verkürzung und Bündelung individueller Warenbewegungen sind eine der wesentlichen Folgen steigender Energiepreise. Optimierte Zwischenlösungen zwischen konventionellem POS und Kunden sind Drop-offStellen, beispielsweise bei revitalisierten Kiosks, Convenience Shops, Kleinfilialen oder neu definierten reinen Abholformaten. Der Vorstandsvorsitzende der Edeka AG, Markus Mosa, ist der Überzeugung, dass nur reinen Abholformaten mit vorhergehender Bestellung und Konfektionie- Eine erstmals Ende Mai 2012 wieder unterschrittene Schallmauer. 62 Prozent der 2011 vom EHI befragten Einzelhandelsunternehmen im deutschsprachigen Raum gingen mittelfristig von steigenden Transportkosten aus (KPMG / EHI: Trends im Handel 2020, S. 33). 23 24 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Triebkräfte des Wandels 23 rung (Click and Collect) hohe Bedeutung zukommt. Interessant sind auch Überlegungen, die sich um geografisch flexible Abholstationen herum zentrieren, beispielsweise der unbemannte Food Box-LKW. Bei diesem kann der Kunde seine Ware aus nummerkodierten (Temperatur-) Fächern vor seinem Haus entnehmen.25 Diese Variante der B2C-Logistik setzt neben der Energieeffizienz auf eine zusätzliche sub­­stanzielle Reduktion der Personalkosten in der Logistikkette. 3.5 Wandel der Werthaltungen zu Essen und Ernährung Das GDI Gottlieb Duttweiler Institute untersucht seit 2008 periodisch die Werte und Einstellungen der Schweizer Bevölkerung in Bezug auf Lebensmittel und Ernährung mit Hilfe des „Consumer Value Monitor Food“. Danach hat sich die Konfliktlinie „Science versus Romance“ als zentrale Achse in den Erhebungen zu Werthaltungen beim Einkaufen, Zubereiten und Genießen von Essen herausgestellt.26 Science steht dabei für die Technisierung der Lebensmittelproduktion und -distribution, das strikt Rationale und bewusst Planende. Romance hingegen steht für das Intuitive im Umgang mit Essen, wo weitgehend Traditionen, Rituale und Gewohnheiten das Wie, Was und Wann des Essens bestimmen (siehe Abbildung S. 22). Nach Wahrnehmung der Konsumenten wird dabei derzeit der Science-Aspekt überbetont. Es geht zu stark um das auf bestimmte Kriterien (wie Gesundheit, Nachhaltigkeit, Genuss etc.) hin optimierte Essen, wohingegen der Romance-Aspekt des Unbeschwerten, Entspannten, wie es die Konsumenten in der Rückschau den 60er- und 70erJahren zuschreiben, zunehmend verloren gegangen ist. Der Widerspruch zwischen der herrschenden Esskultur und den eigenen Vorstellungen in Bezug auf die Ernährung ist den Konsumenten zwar seit Langem vertraut. Doch zeigen die Daten des Wertemonitors keine Gewöhnungseffekte, sondern eine wachsende Unzufriedenheit. Fast drei Viertel aller Befragten setzen die „heutige Ernährung“ nicht mit der aus ihrer Sicht „optimalen Ernährung“ gleich und sehen auch für die Zukunft keine positive Entwicklung. Wo vor zwei Jahren noch 32 Prozent zuversichtlich auf die Ernäh- rung der Zukunft blickten, sind es heute nur noch 20 Prozent. Gut sieben von zehn Befragten sind mit dem heutigen Ernährungsangebot unzufrieden und glauben auch nicht daran, dass sich in Zukunft etwas zum Positiven verändern wird. Während die Positionierung entlang der Science-RomanceKonfliktlinie in Deutschland wie der Schweiz ähnlich ausgeprägt ist,27 gibt es zwischen beiden Ländern traditionell einen deutlichen Unterschied bezüglich der Positionierung entlang der Preis-Qualitäts-Konfliktlinie: • In der Schweiz ist die Preisorientierung im Vergleich zu Deutschland weniger stark ausgeprägt, wenngleich ­steigend. • In Deutschland ist die Qualitätsorientierung weniger stark ausgeprägt als in der Schweiz, jedoch ebenfalls steigend. Nicht wenige der für die vorliegende Studie befragten Experten sehen die alle anderen Faktoren dominierende Preisorientierung der Kunden beim Lebensmitteleinkauf als spezifisch „deutsches Phänomen“. In der Schweizer Bevölkerung trifft dies bisher nur in geringerem Maße zu. Wissenschaftliche Erhebungen zeugen jedoch von einer stetig zunehmenden Preissensibilität in der Schweiz. Hierbei steht nicht das absolute Preisniveau im Vordergrund, vielmehr werden bei repräsentativen Befragungen das PreisLeistungs-Verhältnis sowie der (un)faire Preis immer wichtiger.28 Insofern kann in puncto Preissensitivität von einer zunehmenden Konvergenz des deutschen und des Schweizer Lebensmittelmarktes ausgegangen werden. Preis und Preis-Leistungs-Versprechen geben weniger denn je hinreichende Orientierung für die in Bezug auf Lebens­ mittel(qualität) verunsicherten Verbraucher. Der Preis wird vielmehr als Teil des Problems, des zu geringen Vertrauens, als Ausgangspunkt für Nahrungsmittelskandale gesehen. Aus diesem Grund ist von einer steigenden Bereitschaft der Konsumenten auszugehen, sich auf neue Handelsformate einzulassen, sofern diese glaubwürdige (bezahlbare), authentische und nachhaltige Ernährungsangebote machen. Das vorherrschende Preis- und Qualitätsempfinden prägt mehr denn je die Disposition des Konsumenten, sich auf Neuerungen bei Produkten wie Handelsformaten im Lebensmittel­einzelhandel einzulassen. Im Herbst 2012 wurden in Kalifornien erstmals autonome Fahrzeuge für den Straßenverkehr zugelassen. Die vor allem von Google vorange­ triebene Technologie soll nach den Worten von Google-Mitgründer Sergej Brin vor allem von Menschen genutzt werden, die sonst nicht am Straßenverkehr teilnehmen könnten. Aber auch im Gütertransport bieten selbstfahrende Kraftfahrzeuge enorme Potenziale. Studie von KPMG in den USA: „Self-Driving Cars – The Next Revolution“ (vom 8.6.2012): http://www.kpmg.com/US/en/IssuesAndInsights/ArticlesPublications/ Pages/self-driving-cars-next-revolution.aspx. 26 Vgl. hierzu die seit 2008 vom GDI erhobenen Daten des „Consumer Value Monitor Food“, so in GDI Studien Nr. 35, 2010, und Nr. 38, 2012. Sofern im Folgenden auf Daten des „Consumer Value Monitor Food“ Bezug genommen wird, handelt es sich um die Studie von 2012: Hauser, Mirjam: Consumer Value Monitor Food. Wie Konsumenten in Zukunft essen wollen. 27 So abzulesen aus der ersten Erhebung für den „Consumer Value Monitor Food“ des GDI von 2008, die in Deutschland und der Schweiz parallel abgehalten wurde. 28 Laut „Consumer Value Monitor Food“ des GDI von 2012 wurden diese beiden Themen von den befragten Schweizer Konsumenten doppelt so oft angesprochen wie noch zwei Jahre zuvor. 25 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 24 4 Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 29 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 25 1 Online wird im LEH nicht Marktstandard Während der Online-Einkauf von Non-Food-Artikeln eine relevante Größe erreicht hat und noch wachsen kann, wird der Online-Anteil im Food-Markt in Deutschland und der Schweiz mit hoher Wahrscheinlichkeit moderat bleiben. Ansatzpunkte im LEH bieten sich vordringlich bei Sortimenten, die nicht verderben und stetig in Haushalten gebraucht werden. In einer hoch virtualisierten Handelsstruktur liegt die Chance des LEH gerade darin, reale Menschen an realen Orten zusammenzubringen. „Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, meine Lebensmittel online zu kaufen. Mir fehlt das Feeling, die Lebensmittel zu sehen und zu erleben.“ Martin Ruppmann, Markenverband Beim Einkauf von Lebensmitteln spielt die Unmittelbarkeit der Bedürfnisbefriedigung eine wichtige Rolle. Die Ernährung wird nur von wenigen Menschen über Tage hinweg geplant. Abhängig von der Haushaltsform fällt die Entscheidung, welche Mahlzeit als nächstes wann und wo zu sich genommen wird, häufig spontan. Die weiter fortschreitende Entstrukturierung des Alltags begünstigt laut der Nestlé-Studie 2011 „So is(s)t Deutschland“ kurzfristige Entscheidungen bezüglich der Wahl und des Orts der Mahlzeit. Diese Entwicklung wird zusätzlich unterstützt durch die weitere Verbreitung von Smartphones als Motor für wachsende Spontaneität im Arbeits- und Freizeitverhalten. „Die Einkäufe der Zukunft sind nicht die geplanten langfristigen Einkäufe. Convenience und Frische spielen bei Food die große Rolle. Es wird in Mahlzeiten und weniger in Bevorratung gedacht. Der Kunden handelt unmittelbar.“ Ernst Dieter Berninghaus, Migros „Wir werden dazu kommen, dass auch frische Lebensmittel bis nach Hause geliefert werden. Wohl eher nicht flächendeckend, aber doch zumindest in den Ballungszentren.“ Daniel Pulko, Schenker Einige Experten sehen als zentrales Hindernis für die weitere Verbreitung von Online-Food-Einkäufen mit Heim­ lieferung oder Anlieferung an Drop-off-Stellen die Logistikkosten. Der Edeka-Vorstandsvorsitzende Markus Mosa hält dieses Hindernis geradezu für unüberwindlich: „Beim Online-LEH ist die letzte Meile unter Berücksichtigung der hygienerechtlichen Vorschriften nicht mit vertretbarem Aufwand lösbar.“ Der Retail Consultant Hans Eysink Smeets stellt zwei (ebenfalls schwer umsetzbare) Bedingungen: „Wenn das Logistiknetz feinmaschig genug ist und die Kosten des Versendens eines 5-Euro-Produktes nur noch marginal sind, sind die Türen für Kleinproduzenten zum Endverbraucher offen.“ Zudem ist aus Konsumentensicht ergänzend zu fragen, ob diese auf das Angebot grundsätzlich zugreifen wollen. Wegen der hohen durchschnittlichen Bevölkerungsdichte sind in Deutschland und in der Schweiz hohe Geschäftsdichte und lange Ladenöffnungszeiten weit verbreitet, zudem spielen die fünf Sinne für den Einkauf vieler Lebensmittel eine wesentliche Rolle und die Bereitschaft der Käufer, sich in ihrer Flexibilität durch Lieferzeitpunkte einschränken zu lassen, ist gering.30 „Ich hätte schon vor Jahren einen viel größeren Boom im Online-Bereich für Food erwartet; wir sehen aber auch, dass gewisse Sättigungsgrenzen doch relativ schnell erreicht werden. Der Kunde geht dann doch lieber in den Laden, wenn der nah und schnell erreichbar ist.“ Ernst Dieter Berninghaus, Migros Einig sind sich die befragten Experten, dass der Online-LEH für unterschiedliche Warengruppen, beispielsweise Obst und Gemüse sowie das Trockensortiment, auf differenzierte Resonanz beim Kunden stößt. In den Augen der überwie- Auch wenn die einzelnen Thesen jeweils mit Zitaten aus den geführten Experteninterviews unterlegt sind, handelt es sich doch bei Formulierung und Begründung jeweils um die Position der Verfasser der Studie. 30 Nestlé-Studie 2011: So is(s)t Deutschland, in: Deutscher Fachverlag, S. 124. 29 © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 26 genden Mehrzahl besteht für frische Ware online eine deutlich höhere Vertrauensschwelle als für andere Sortimente. Insofern sind einige Sortimente für Online-Anbieter leichter handhabbar und mittelfristig erfolgversprechend, sofern der Kunde bereit ist, sich auf einzelne Sortimente online einzulassen. In diesem Zusammenhang werden immer wieder Mineralwasser, Süßgetränke, Milch und Artikel aus dem Near-Food-Bereich genannt. In diesen Produktkategorien fällt das Problem der längeren Lieferzeiten nicht so stark ins Gewicht, auch die Prozesse und das Warenhandling sind weniger komplex, sodass die Kosten für die Distribution verhältnismäßig günstiger ausfallen können. Von Konsumentenseite aus spricht es für gute Aussichten des OnlineAngebots, dass diese Produkte kein starkes, positiv besetztes Einkaufserlebnis vermitteln und auch (allein schon des Gewichts wegen) ein Lieferdienst eher als Innovation denn als Rückschritt angesehen würde. „Bezüglich des Einkaufsverhaltens für Lebensmittel ist der Mensch träge. Man kauft dieselben Produkte am selben Ort über Jahre. Wirkliche Änderungen kommen durch Umzug oder neue Lebenssituationen zustande.“ 2 Thomas Hochreutener, GfK Nischenlösungen mit breitem Umbruchpotenzial Die Vorstellung von optimaler Ernährung weicht sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz zunehmend von der Realität ab. Die Unzufriedenheit mit dem Ernährungs­ angebot wächst ebenso wie der Wunsch nach „sicheren“ authentischen Nahrungsmitteln. Der Nährboden für neue (heute noch) Nischenmodelle ist gegeben – die unternehmerische Chance liegt darin, Erfolgreiches aus der Nische in der Breite auszurollen. Dioxin in den Eiern in Deutschland und abgelaufenes Fleisch in den Frischetheken der großen Händler in der Schweiz, Meldungen über Östrogenaufnahme über Kunststoffver­ packungen und als Rindfleisch gekennzeichnetes Pferdefleisch: Das Vertrauen der Konsumenten in die großen Händler wird immer wieder erschüttert. Wenn es etwas 31 32 gibt, dass sich die Verbraucher für den Lebensmittelhandel der Zukunft wünschen, dann sind es Formate für biologisch angebaute Nahrungsmittel von Bauern aus der Region. Oder kürzer: Wochenmärkte. Im „Consumer Value Monitor Food“ wurde dieses Handelsformat von den befragten Schweizern sowohl als typisch für die gute alte Zeit (60er- und 70er-Jahre) beurteilt als auch als dasjenige Format, das in der Zukunft seine Bedeutung gegenüber heute am meisten steigern kann.31 „Es gibt auch Menschen, die haben das Vertrauen in den LEH komplett verloren – und Bauern, die Ackerfläche an Konsumenten vermieten, die dort ihre eigenen Nahrungsmittel anbauen. Es gibt also auch einen Trend, der von der ganzen Lebensmittelindustrie wegführt. Möglicherweise wird es auch einen ähnlichen Trend hinsichtlich des gesamten technischen Fortschritts geben.“ Michael Gerling, EHI Retail Institute Diese romantische Sehnsucht trifft auf das Effizienzdenken der großen Einzelhändler, deren Prozesse auf die Einhaltung lebensmittelrechtlicher Vorschriften und den ökonomischen Mehrwert von Produkten und Sortimenten ausgerichtet sind. Und die, völlig berechtigt, die Frage stellen, wie ernst die Konsumenten es wirklich mit der Rückkehr zur Region meinen. So Ferdinand Hirsig, Mitglied der Geschäftsleitung der Fenaco-Gruppe: „Für eine starke Verbreitung regionaler Modelle wäre eine massive Änderung des Konsumverhaltens nötig. Im Winter müssten vorwiegend Rotkohl, Rosenkohl und Ähnliches gegessen werden, da die regionalen Anbieter nichts anderes produzieren können.“ Für diese Polarität zwischen Science und Romance, Trend und Gegentrend gibt es keine Lösung. Aber viele Zwischenstufen. Norbert Bolz spricht vom Potenzial der Hybride, die in der Konfliktzone zwischen Trend und Gegentrend entstehen können: „Hocheffizient vereinen Hybride die positiven Eigenschaften von beiden Seiten. Die Gegensätze, denen sie entstammen, mischen sich auf – und erzeugen Zwischenlösungen, je nach Bedarf neu konfigurierbar.“32 Für die traditionellen Lebensmitteleinzelhändler ergibt sich damit ein weites Feld möglicher Kombinationen zwischen Vernunft und Sehnsucht, zwischen Super- und Wochenmarkt. Beispiele hierfür wären: Hauser, Mirjam: Beim Essen herrscht Wechselstimmung, in: GDI Impuls 02 / 2012. Bolz, Norbert: Gegensätze mischen sich auf, in: GDI Impuls 04/2011. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 27 • Einrichtung eines Biolieferdienstes in Kooperation mit regionalen Frischeproduzenten (und der regionalen Großmarkthalle, um das winterliche Rotkohlproblem zu lösen) • Verstärkte Integration von Metzgern, Bäckern, Käsern und weiteren Experten in das Supermarktformat • Bediente Theken mit Fachleuten und regionalen ­Spezialitäten • Veranstaltung von „Butterfahrten“ zu regionalen Herstellern zum Aufbau von Vertrauen zwischen Konsumenten und Produzenten und zur Bindung der Kunden an den Händler. Entscheidend für den ökonomischen Erfolg solcher Hybridbildungen ist dabei nicht so sehr, wie profitabel oder imagefördernd die einzelnen Experimente sind – sondern wie sehr es den Handelsunternehmen gelingt, an einer Stelle erfolgreiche Pilotprojekte in die Fläche zu integrieren, ohne dabei durch die Standardisierung des Modells den Charakter wieder zu zerstören. „Viele innovative Modelle geraten aufgrund fehlender Multiplizierbarkeit ins Stocken“, resümiert Migros-Generaldirektor Herbert Bolliger. Um aus der Nische in den Mainstream zu gelangen, ist es notwendig, dass in den Unternehmenszentralen neue Kombinationen zwischen Vernunft und Romantik nicht so sehr als Kosmetik oder als Ablasshandel zur Gewissensberuhigung angesehen werden, sondern als potenzielle Geschäftsmodelle von morgen. 3 Lebensmitteleinkauf um die Ecke gewinnt weiter an Bedeutung Lebensmittel in der Nähe von Wohn- und Arbeitsort zu (fast) jeder Zeit einkaufen zu können, gewinnt noch mehr an Bedeutung. Was online (heute noch) nicht möglich ist, wird der Laden in der Nähe bieten können: ein Angebot an Frische und Convenience in Laufweite erreichbar, inklusive echtem sozialen Austausch. „Mit den demografischen Trends, dem Trend zu mehr Convenience, mehr Frische und mehr Regio­ nalität sind ganz klar kleinflächigere Formate begünstigt. Diese Formate sind Convenience- und Frische-lastig – Non-Food spielt dabei keine Rolle. Nähe und Erreichbarkeit gewinnen.“ Ernst Dieter Berninghaus, Migros „Ein Discounter ist für jeden Deutschen innerhalb von fünf Minuten Fahrdistanz erreichbar. Wo ist da der Platz für die kleinen Nachbarschaftsläden?“ Michael Gerling, EHI Retail Institute Nähe und Erreichbarkeit eines Ladens sind zwei der wichtigsten Kriterien beim Einkauf von Lebensmitteln. Es sprechen etliche Argumente dafür, dass sich Kleinflächen in der Nachbarschaft mit einem Mischangebot aus Convenience und Frische und der Bevölkerung der Umgebung angepassten Öffnungszeiten weiter verbreiten werden. Entscheidend für den Grad der Ausbreitung von kleinflächigen Nachbarschaftsformaten wird in erster Linie die Entwicklung der individuellen Mobilität der älteren Bevölkerung sein: Mit dem Rollator läuft man nicht weit, und ohne eigenes Auto ist der Bewegungsradius stark eingeschränkt. Die Ansichten dazu, wie sich die individuelle Mobilität in Deutschland und der Schweiz entwickeln wird, gehen allerdings unter den Experten weit auseinander. Martin Ruppmann, Geschäftsführer des VKE-Kosmetikverbands innerhalb des Markenverbands Deutschland, geht beispielsweise davon aus, dass wir „auch in 15 Jahren mehrheitlich zum Einkaufen rollen werden“. Ebenfalls möglich könnte die umgekehrte Richtung sein – das Einkaufen rollt zu uns. In den US-Städten beispielsweise schießen seit drei Jahren Food-Trucks aus dem Boden und nehmen dem traditionellen LEH genauso wie der Gastronomie Umsatz weg. Ob eher der Laden zum Kunden oder der Kunde zum Laden kommen wird, hängt stark davon ab, wie sich der Preis der individuellen Mobilität entwickeln wird: Hier hat man es mit einem komplexen Mix von technischen Innovationen im Hybrid- und Elektromotorbereich, Machtkonstellationen zwischen Rohstofflieferanten, Staaten und der Automobilindustrie sowie Prognosen zur globalen und nationalen konjunkturellen Entwicklung zu tun. Wird die individuelle Mobilität über gestiegene Preise und fehlenden technischen Fortschritt eingeschränkt, steigt die Bedeutung von nahe gelegenen Einkaufsstätten und / oder von Lieferdiensten sehr stark. Fällt dieser Faktor geringer aus, bleiben immer noch die Alterung und die flexibilisierten Tagesstrukturen der arbeitenden Bevölkerung, welche die Entwicklung von Kleinflächen in Laufweite mit Convenience-Sortimenten fördern können. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 28 Die Hinwendung zu Kleinflächen und zum Nahbereich findet aktuell bereits bei vielen Handelsunternehmen statt und wird sich weiter fortsetzen. Je stärker dieser Trend von den Konsumenten in Verbindung mit einer Rückbesinnung auf das Tante-Emma-Format vergangener Jahrzehnte gebracht wird, desto stärker werden unabhängige Kaufleute oder auch nachbarschaftliche Communitys die Entwicklung prägen. 4 Kommunikationskompetenz als Chance Einkauf ist für viele Menschen (noch) stark mit Kommunikation verbunden. Doch je mehr Handelsvolumen über OnlineKanäle abgewickelt wird, desto weniger wird dieses Kommunikationsbedürfnis befriedigt. Der LEH hat dadurch die Chance, neue kommunikative Funktionen zu übernehmen – vom Einkaufsbummel wie auf dem Wochenmarkt bis zum Klatsch. Erreichbar wird das durch eine Ladengestaltung, die nicht zum Eilen zwingt, sondern zum Verweilen einlädt. „Täglicher Einkauf beim Nahversorger ist ein Erlebnis an und für sich. Der Laden ist eine Begegnungsstätte.“ Ernst Dieter Berninghaus, Migros Seit Menschengedenken sind Einkauf und Kommunikation eng miteinander verbunden. Von der Agora im antiken Griechenland bis zum Marktplatz in den europäischen Altstädten war der Ort des täglichen (oder wöchentlichen) Einkaufs auch gleichzeitig der wichtigste Ort für den Austausch von Nachrichten und Meinungen, wichtigen und unwichtigen Neuigkeiten aller Art. Und noch in den heutigen Teleshopping-Kanälen werden die Produkte in der Regel in Form eines Gesprächs zwischen Moderator (Kunde) und Experte (Verkäufer) angepriesen. Im Zuge der logistischen Optimierung und starken Preisorientierung in den vergangenen Jahrzehnten hat der Lebensmitteleinzelhandel seine Kommunikationsfunktion jedoch weitgehend eingebüßt. Das Ladendesign wurde auf hohen Durchsatz ausgerichtet, der Kunde sollte bestmöglich mit Waren kommunizieren, nicht mit Menschen. Die Verbindung von Einkauf und Kommunikation verlagerte sich in die Fuß­gängerzonen und Shopping Malls, wo Shopping und Einkaufsbummel die notwendige Zeit eingeräumt wurde. „Wir müssen Persönlichkeiten im Laden fördern. Metzger, Degustationspersonal. Weitere Fachleute im Laden sind gefragt. Der Preis ist dabei nicht das Thema, es geht darum, sich etwas Gutes zu tun, und darum, rund um das Produkt und dessen Zubereitung mehr zu erfahren.“ Ferdinand Hirsig, Fenaco In den kommenden Jahren kann es dem Lebensmitteleinzelhandel gelingen, Kommunikationsterrain zurückzugewinnen. Denn immer mehr Non-Food-Handelsumsatz wandert von den realen Läden in Online-Shops ab und damit in weitgehend kommunikationslose Einkaufsformen. Man trifft sich nicht mehr so selbstverständlich samstags in der Fußgängerzone – aber man geht weiterhin zum Einkauf in den Supermarkt. Diese Offline-Präferenz kann sich in Kommunikationskompetenz verwandeln, der Lebensmittel­ einkauf wie schon vor Jahrtausenden zum Thema oder einfach nur zum Anlass der Unterhaltung werden: „Shopping’s coming home.“ „Es gibt immer mehr ältere Leute, die einsamer werden. Das Einkaufen hilft, persönlichen Austausch zwischen Menschen zu fördern. Die Langsamkeit, die Nähe und die persönliche Bekanntschaft werden wieder einen größeren Stellenwert im LEH bekommen.“ Roland Berner, REWE Group Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Händler diese Chance auch nutzen. Dazu gehören insbesondere: • Eine neue Philosophie der Ladengestaltung: Das Geschäft (und seine direkte Umgebung) sollten nicht so sehr zum Eilen, sondern vielmehr zum Verweilen einladen, etwa durch das Aufstellen von Bänken im Laden, das Aufbrechen bislang geschlossener Regalfronten oder durch Anwohner-Flohmärkte auf dem Parkplatz. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 29 • Neue Formen der Ladennutzung: Hier ist zum einen eine Nutzung als Veranstaltungsfläche denkbar, etwa für Abendessen oder Vorträge, zum anderen eine Kombination mit weiteren Dienstleistungen, von der Massage über ein Fotostudio bis zur Bürgerinformation. • Kommunikativeres Verhalten der Beschäftigten: Man muss zwar nicht unbedingt jeden Kunden wie den viel zitierten König behandeln, aber doch als das, was er in aller Regel ist: ein Nachbar. Die Begrüßung sowie der Austausch von Neuigkeiten und Klatsch sind nicht so sehr eine Störung des Ablaufs (und Vergeudung von Arbeitszeit) als vielmehr ein Beitrag zur nachhaltigen Standortsicherung. 5 Wachsende Schnittmenge zwischen LEH und Gastronomie Die Flexibilität in der Gesellschaft steigt weiter. Zeit bleibt knapp und der Zwang bleibt bestehen, sich schnell zwischendurch zu ernähren. Auch wenn der Lebensmittel­ einzelhandel schon viele Schnellverpflegungsmöglichkeiten anbietet, ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Umgekehrt ist die Bewegungsrichtung bei Gastrobetrieben, Takeaways etc. Sie bieten schon kleine Handelssortimente an, Erweiterungspotenzial besteht und wird genutzt. „Der Gastronomiemarkt fragmentiert sich immer stärker. Sowohl Händler als auch Gastronomen dringen in neue benachbarte Geschäftsfelder ein, welche momentan von anderen besetzt sind.“ Walter Brandenberger, Scana Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten so weit gewandelt, dass nicht mehr die Essenszeiten bestimmen, wann wir arbeiten, sondern die Arbeitszeiten bestimmen, wann und wo wir essen. Das hat zur Folge, dass Essen während der Woche häufig einen rein funktionalen Charakter bekommt und immer dann zu sich genommen wird, wenn die Zeit dafür vorhanden ist. Zusammen mit flexibleren und mobileren Erwerbstätigen führt das dazu, dass Lebensmittel zum Direktverzehr quasi überall nachge- fragt werden und auch das Wasserbad an der Tankstelle zum Aufwärmen von Convenience-Produkten zur Gastro­ alternative wird. „Die Flächengestaltung in den Filialen wird zunehmend flexibler. Vielleicht wird so auch wieder die Konvergenz von Handel und Gastronomie geschaffen.“ Roland Berner, REWE Group Die Vermischung der Betriebsformen und Ausprägungen zwischen Gastronomiebetrieben und dem Lebensmitteleinzelhandel nimmt dabei deutlich zu. Im Handel wird das Sortiment an Produkten zum Direktverzehr ausgebaut und umgekehrt bieten einige Gastronomen ausgewählte Lebensmittel in ihrer Gaststätte zum Verkauf an. Jamie’s Italian beispielsweise, eine vorwiegend in England vertretene Kette von italienischen Restaurants unter Leitung von Jamie Oliver, bietet im Restaurant eine ganze Kollektion von Pasta, Käse, Saucen und Kräutern aus eigener Produktion zum Kauf an – mit den mitgelieferten Rezepten kann jeder Gast versuchen, zu Hause Jamie Oliver nachzukochen. Noch gering ausgeprägt ist im Lebensmitteleinzelhandel die Bereitschaft, selbst zum Gastronomiebetrieb zu werden, in dem Produkte nicht nur zum Direktverzehr außer Haus angeboten werden, sondern auch im Laden selbst verzehrt werden können. Hier könnte in naher Zukunft aus mehreren Gründen ein Stimmungswechsel eintreten: • Eine Ausdünnung der Non-Food- und Near-Food-Sortimente durch die Konkurrenz von Online-Anbietern kann Flächen frei machen, die für andere Nutzungen als Ladenregale zur Verfügung stehen. Gastronomie wäre eine der möglichen Nutzungsarten. • Eine zunehmende Flexibilisierung der Ladengestaltung kann zu „atmenden“ Einrichtungen führen: Teilflächen können zu bestimmten Tageszeiten als Gastronomiefläche und zu anderen Zeiten als Verkaufsfläche genutzt werden. • Bei einer verstärkten Integration von Lebensmittelhandwerkern in die Läden kann mit gastronomischem Service der Erlebnischarakter gestärkt werden: Wenn ein PastaProduzent im Supermarkt frische Tortellini herstellt, liegt es auf der Hand, dass die Kunden diese auch genauso frisch konsumieren können sollten. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 30 6 Der Hypermarkt vor dem langsamen Abstieg Der Non-Food-Absatz über Online-Kanäle nimmt zu, der Preis der individuellen Mobilität wird zumindest phasenweise an Schmerzgrenzen stoßen. Der Trend zum urbanen Wohnen verstärkt sich. All das läuft gegen die Hypermärkte mit ihrem hohen Non-Food-Anteil und ihren meist auf das Auto optimierten Standorten. Umnutzungen und Schließungen können die Folge sein. „Großflächen werden wahrscheinlich vermehrt verschwinden oder das Sterben der Großflächen wird vielleicht durch eine ‚Eventisierung‘ des Ladens etwas verlängert. Der Hypermarkt wie auch die Warenhäuser sind am Ende des Lifecycles.“ Hans Eysink Smeets, Retail Strategy Consultant In keinem Punkt waren sich die für diese Studie befragten Experten so einig wie in ihrem skeptischen Ausblick für die Hypermärkte, also Großflächenstandorte mit Großparkplätzen auf der grünen Wiese. Gegen sie spricht das Internet: Non-Food-Sortimente nehmen in Hypermärkten traditionell ein starkes Gewicht ein. Sie sind am stärksten von der Online-Konkurrenz betroffen. Gegen sie spricht der Ölpreis: Die Kosten individueller Mobilität sind deutlich höher als noch vor zehn Jahren und vieles spricht dafür, dass diese Kosten hoch bleiben oder gar noch weiter steigen werden. Die Fahrt mit dem eigenen Auto zum Einkauf läuft so Gefahr, zum Luxus zu werden – und nur mit Besserverdienenden lassen sich die Frequenzen nicht erreichen, die Hypermärkte für ihren Erfolg brauchen. Gegen sie spricht die Flexibilisierung: Der wöchentliche Großeinkauf entspricht bei immer mehr Menschen nicht mehr ihrem Lebensrhythmus. Leben und Arbeiten werden flexibler, Planungszeiträume schrumpfen, in der Tendenz macht niemand außer Großküchen mehr feste Speisepläne für die nächste Woche. Und gegen sie spricht die Demografie: Von einer alternden Gesellschaft wird eher das kleine Format in Laufweite profitieren (siehe Kapitel 5.2) als eine Big Box draußen vor den Toren der Stadt. Schon heute liegen in Deutschland 81 Prozent aller neu eröffneten Shopping Center in Innenstädten.33 33 „Die Großfläche muss weg von dem Konzept: ‚Ein Eingang und ein Ausgang mit 50 Kassen.‘ Das ganze Konzept muss zunehmend heruntergebrochen werden.“ Roland Berner, REWE Group Eine Business as usual-Strategie für die bereits bestehenden Hypermärkte kann mit großer Wahrscheinlichkeit nur zum Absterben des Segments führen. Denn sobald die Kundenfrequenz sinkt, kann auch die Lebensmittelvielfalt nicht mehr rentabel sein, die sich die heutigen Hypermärkte leisten. Damit schwächt sich ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal ab, das bislang für viele Kunden ein wichtiges Argument für die Fahrt zum Hypermarkt war – wenn der spanische „Gran Capitán“-Käse, den es sonst nirgends im Ort gibt, auch im Hypermarkt aus dem Sortiment verschwindet, gibt es für einige Käseliebhaber einen Grund weniger, dorthin zum Einkaufen zu fahren. Und die Chancen steigen, dass in der Stadt ein Käsespezialgeschäft sein Auskommen findet. Die einzige Chance, die zumindest einige Experten den Großflächen geben, ist eine konsequente „Eventisierung“ der Flächen. Das Einkaufszentrum in „eine Art Disneyland“ zu verwandeln, ist die Empfehlung von Manfred Maus, Gründer der Baumarktkette OBI. Mit einer EntertainmentStrategie können neue Besuchsanreize geweckt und damit die Frequenz aufrechterhalten werden. Auch für Edutainment, etwa Veranstaltungen rund um das Thema Ernährung, dürfte es ein gewisses Potenzial geben. 7 Mischgenutzte Flächen schaffen soziales Umfeld Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter bilden die neue Nabelschnur zum sozialen Umfeld in einer virtuellen Welt. Der Wunsch nach einem sozialen Umfeld in der realen Welt steigt vor allem, wenn auch nicht nur in Gebieten mit hohem Anteil an Single-Haushalten. Hier bieten sich dem LEH Chancen für Mischkonzepte, etwa indem frei werdende (Non-Food-)Flächen durch Services und „Being Spaces“ (Ferdinand Hirsig) belegt werden. KPMG / EHI: Trends im Handel 2020, S. 17. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 31 „Der Laden müsste multifunktional werden. Die teure Fläche sollte je nach Tageszeitpunkt und Bedürfnissen stark unterschiedlich genutzt werden können. Parallel oder sequenziell. Bis heute ist das noch nicht gelungen.“ Ferdinand Hirsig, Fenaco Traditionell ist die multifunktionale Nutzung von Handels­ flächen eine Notlösung in der Provinz. Wenn im Dorf nicht genügend Kaufkraft vorhanden ist, um einen Einzelhändler am Leben zu erhalten, wird die Ladenfläche eben noch für weitere Dienstleistungen genutzt: Fax- und Kopiergeräte, Post, Bar, Reisebüro, Fotoladen oder andere Services. In Zukunft können sich solche (oder andere) multifunktionalen Nutzungen auch an Handelsstandorten in Groß- oder Kleinstädten durchsetzen – und zwar sowohl zur Lösung eines Problems als auch zur Nutzung neuer Chancen. In den großen Städten besteht das Problem in hohen Flächenkosten. Bei Quadratmetermieten, die deutlich über 100 Euro pro Monat liegen können, schmerzt jede Minute, die ein Laden geschlossen ist. Hier liegt, so Ferdinand Hirsig, ein starker Anreiz zur polyvalenten Nutzung, insbesondere in Kombination mit Gastronomie (siehe Kapitel 5.4): „Was am Tag ein Laden ist, sollte am Abend auch Bar sein können und am Morgen ein Café.“ Mischformate und Hybridformen entstehen aktuell in verschiedensten Kombinationen in Deutschland und in der Schweiz: vom Waschsalon, der zugleich ein Kaffeehaus ist, bis zur Post, die auch Lebensmittelhändler ist. Und ein Teil der Ladenfläche wird bei vielen Händlern auch heute schon polyvalent genutzt, beispielsweise im Wechsel zwischen Sonderverkaufsfläche für Non-Food-Waren und Verkostungsstand. Allerdings erstreckt sich hier die jeweilige Nutzung über vergleichsweise lange Zeiträume, also mehrere Tage oder Wochen. Tageszeitspezifische Hybride werden sukzessive an Bedeutung gewinnen. Sofern die Geschäftsmodelle sich nicht zeitgleich auf derselben Fläche integrieren lassen (Nagelstudio und Coffeeshop), müssen Warendisposition, Regalierung und Regalbestückung flexibilisiert werden. Denkbar werden Modelle, in denen Flächen im Tageszyklus unterschiedliche Nutzungsformen erfahren. Toilettenpapier und Waschpulver beispielsweise stünden nur nachmittags und abends im Regal, wenn der Konsument tendenziell nach Hause unterwegs ist und schwere und sperrige Verbrauchsgüter kauft. Morgens und mittags hingegen würden die Flächen dem Verkauf sowie dem Konsum von vorgefertigten Mahlzeiten wie auch Getränken gewidmet – oder der Abgabe von dreckiger Wäsche als Abholstation für Groß­wäschereien. Als weitere Option können auch rein tageszeitspezifische Ernährungsbedürfnisse sequenziell auf der Fläche abgebildet werden. In einem erweiterten Sinn können die Nutzungsmöglichkeiten über verschiedene Services und Clubformate, vom Kochclub bis zum langen Tisch, angeboten werden. Lebensmittelhandwerk kann abhängig von der Tageszeit variabel vorgeführt und inszeniert werden. In Kleinstädten in ländlichen Räumen liegt das Mietniveau für Einzelhandelsflächen naturgemäß deutlich niedriger. Dort gewinnt dafür ein anderes Problem an Gewicht: der Rückgang an Kaufkraft und individueller Mobilität. Stefan Genth: „Aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland wird die Ladendichte abnehmen – und Regionen, die heute noch über eine sehr gute Einzelhandelsstruktur verfügen, werden diese verlieren, weil die Einwohnerdichte nicht mehr gegeben ist.“ „Auf dem Land entstehen neue Chancen für eine Bündelung von Service-Dienstleistung mit Einzelhandelsfunktionen. Service- und Gesundheitszentren oder Arztpraxen, vielleicht auch nur temporär in Betrieb, zusammen mit Handelsleistungen.“ Stefan Genth, HDE Zudem ändert sich in einer alternden Gesellschaft die Nachfrage nach Dienstleistungen: Die meisten Fachhändler verkaufen relativ wenige Produkte an ältere Leute, dafür profitieren Ärzte und Apotheken. Mit genau solchen Anbietern sollten sich, so Genth, ländliche Kaufleute „zur Bündelung von Service-Dienstleistung mit Einzelhandelsfunktionen“ zusammenschließen – eine Art „Dienst­leistungs­ würfel“, wie in der DDR multifunktionale Service-Standorte hießen. Durch die Bündelung kann auch bei schrumpfender Kaufkraft und Bevölkerungsdichte ein vitales soziales und kommunikatives Umfeld erhalten bleiben; und der Lebensmitteleinzelhandel, der weiterhin mit seiner Offline-Stärke punkten kann, ist in einer guten Position, um die Konsolidierung aktiv voranzutreiben. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 32 8 Gesundheit für Kunden und Mitarbeiter als Erfolgsfaktor Der Gesundheit wird in der alternden Gesellschaft ein immer höherer Wert beigemessen – es geht in Deutschland und in der Schweiz darum, gesund und agil alt zu werden. Einer der wichtigsten Faktoren hierfür ist die Ernährung. Beim Gesundheitsimage kann der LEH nicht nur durch Produktauswahl, Warenpräsentation und Herkunftsgarantie punkten, sondern auch durch sein Personal: Gesunde Mitarbeiter werden mit gesunden Produkten und den Angeboten, die der Lebensmittelhändler rund um das Thema Gesundheit macht, assoziiert. „Einzelhändler könnten Events zum Thema Gesundheit lancieren: also Ernährungskunde­ unterricht durch den Lebensmitteleinzelhändler. Weder in Deutschland noch in der Schweiz wird dieses Thema meines Wissens explizit in den Schulen behandelt.“ Manfred Maus, Obi Gesundheit ist und bleibt das Ernährungsthema Nummer eins. In den Interviews, die im Rahmen des „Consumer Value Monitor Food“ des GDI geführt wurden, sprachen 88 Prozent als Befragte im Verlauf des Gesprächs über gesunde Ernährung und immerhin 77 Prozent denken auch über deren nicht gesunde Aspekte nach – kein anderes Thema wurde auch nur annähernd so oft angesprochen. 34 Allerdings erstreckt sich der Gesundheitsbegriff deutlich weiter als nur auf die direkt messbaren Qualitäten von Lebensmitteln. Ebenso entscheidend wie untadelige Produktqualität ist heute schon und wird insbesondere für den zukünftigen Gesundheitsbegriff sein, wie viel Zeit in die Zubereitung und den Verzehr einer Mahlzeit investiert wird. fertigen würde, möglichst viel davon zu sparen), sondern sie wird gebraucht, um damit eine Rendite zu erzielen – wenn auch keine finanziell-quantitative, sondern eine persönliche, qualitative. „Im Food-Bereich zählen Aspekte wie Vertrauen und Sicherheit sehr stark. Je mehr Skandale, desto lauter wird der Ruf nach Sicherheit und Transparenz. Nachvollziehbare Labels können so erfolgreich sein.“ Thomas Hochreutener, GfK „Mit 80 Jahren möchten Menschen die letzten 20 Jahre noch optimal ausnutzen. Daher werden sie extrem darauf achten, wie sie sich ernähren.“ Uwe Spiegel, T-Systems Für die Lebensmitteleinzelhändler wird es deshalb wichtig werden, auch ihren eigenen Gesundheitsbegriff über das Angebot allgemein „gesunder“ Produkte hinaus konzeptionell auszuweiten. Gesunde Lebensmittel sind Pflicht; zum Wohlbefinden der Kunden beizutragen, ist Kür. Dafür werden neue Angebote für die Förderung und Verankerung einer nachhaltigen und gesunden Ernährung benötigt. Zu diesem Zweck muss der Handel die mehr und mehr verfügbaren Informationen zu Produkten in alters-, berufs- und krankheitsbedingte Zusammenhänge einbetten. Beispiele hierfür können die Ausarbeitung individualisierter Ernährungsmuster sowie die Analyse von Warenkörben und den darin enthaltenen Produkten in Bezug auf mögliche gesundheitliche Implikationen sein. Nicht zu vergessen ist auch, dass der Handel dazu beitragen kann, in welcher Art, in welchem Geist und mit welchem Zeiteinsatz Lebensmittel zubereitet und genossen werden, etwa durch Convenience Food, Kochpakete oder Vermittlung von Kochfreundschaften. Der Trend dazu, Zeit in die Nahrungszubereitung und ihre Aufnahme zu investieren, geht auf die italienische Slow Food-Bewegung 1989 zurück.35 Nach mehr als zwei Jahrzehnten wird der vormals avantgardistische Gedanke ­mittlerweile von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt. Schon der Begriff „investieren“ kennzeichnet diese neue Einstellung: Zeit wird nicht mehr verbraucht (was es recht- 34 35 GDI: Consumer Value Monitor Food 2012, S. 19. Bosshart, David: The Age of Less, S. 135. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 33 „Der Kunde macht den Händler verantwortlich für Qualität, Herkunft und Beschaffenheit der Produkte. Der Kunde interessiert sich nicht dafür, wer rechtlich verantwortlich ist – er hält sich an den Handel. Also wird der Handel allein dadurch schon gezwungen, stärker auf die Herstellungsprozesse Einfluss zu nehmen.“ Stefan Genth, HDE Von vielen Arbeitgebern wird dabei unterschätzt, wie wichtig gesunde Mitarbeiter für ein glaubhaftes Vertreten des Themas Gesundheit sind. „Mit depressiven Mitarbeitern kriege ich keine zufriedenen Kunden“, sagt OBIGründer Manfred Maus: „Körperlich, geistig und seelisch gesund müssen die Mitarbeiter sein, und das ist Führungsaufgabe.“ „Das Vermitteln von Gesundheit ist ein Thema des gesamten Handels und nicht ein Thema einzelner Formate. Zielgruppenorientierte Sortimente (z.B. Allergikersortimente) werden in Deutschland ein großes Potenzial haben. Über das Vermitteln von Wissen bezüglich solcher Produkte wächst dann auch das Vertrauen in die Märkte.“ Roland Berner, REWE Group 9 Emotionalität schlägt Effizienzoptimierung Kaum eine Produktgruppe ist in der Summe so stark mit Emotionen aufgeladen wie Lebensmittel. Allerdings wurde die emotionale Seite der Ernährung vom Handel überall dort zurückgedrängt, wo sie in Konkurrenz zur Effizienzoptimierung und im Bann einer dominierenden Preisorientierung des Kunden stand. Da den Effizienzwettbewerb gegen Online-Anbieter allenfalls Hard-Discounter bestehen, liegen 36 viele Wachstumspotenziale eher in der Emotionalisierung der Läden. Großer Hebel wird die Differenzierung und unterschiedliche Beschichtung von Teilsortimenten mit Emotionen sein. „Früchte, Gemüse, Brot und Fleisch sind nicht dasselbe wie WC-Papier oder Mineralwasser. Bei Ersteren spielen unsere Sinne quasi bei jedem Einkauf eine Rolle, während das bei WC-Papier nicht der Fall ist.“ Ferdinand Hirsig, Fenaco Lebensmittel sind Mittel zum Leben. Und deshalb seit Jahrtausenden und auch in absehbarer Zukunft die Produkt­ gruppe, zu der die Menschen die engste Beziehung überhaupt aufgebaut haben. Es handelt sich um ein zutiefst emotionales Verhältnis – das sich die Konsumenten auch nicht wegnehmen lassen wollen. Sie wünschen sich Authentizität bei Lebensmitteln, finden derzeit aber weder bei Händlern noch bei Herstellern befriedigende Angebote und sehen zudem auch keine Lösung dieses Sehnsuchtsproblems.36 Der Lebensmitteleinzelhandel hat seine Kunden mit diesem Problem jahrzehntelang alleingelassen. Die Logistik- und Effizienzoptimierung sowie Preissenkungen galten als die entscheidenden Faktoren im Wettbewerb der Branche – vor allem in Deutschland, wo Tempo und Richtung der Bewegung stärker als irgendwo sonst von den Discount-Anbietern vorgegeben wurden. Die Verkaufsräume wurden so gestaltet, dass sie einen schnellen und weitestgehend kommunikationsfreien Einkauf ermöglichten. Eine Beziehung zwischen Kunden und Produkten aufzubauen, über­ ließen die Händler den Marketingbemühungen der Hersteller. „Die Ansprüche der Kunden an Qualität, Frische und Warenpräsentation steigen. Da könnte das Format, das wir heute als Voll­sortiment bezeichnen, an Stärke gewinnen.“ Stefan Genth, HDE GDI: Consumer Value Monitor Food 2012, S. 10 f. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 34 Hier sind substanzielle Änderungen zu erwarten: • Online verstärkt den Effizienzwettbewerb: Wenn OnlineAnbieter mit etwas gegen den klassischen Einzelhandel punkten können, dann mit Effizienz. Sie können für sich und ihre Kunden Preise, Lagerhaltung, B2B- und B2C-Logistik in einer Weise optimieren, mit der allenfalls die Discount-Formate mithalten können. Das Vertrauen des Kunden kristallisiert sich hier rund um die technische Fertigkeit des Händlers, seine Lieferfähigkeit und Liefertreue für Basissortimente, nicht aber um die Qualität der Lebensmittel oder das Vertrauen in die Person des Lebensmittelhändlers. Es ist der „verlässliche Partner“, der sich über seine Zuverlässigkeit in der Verfügbarkeit von Lebensmitteln zum rechten Zeitpunkt empfiehlt und den Haushalt damit „am Laufen hält“. • Sofern man den nüchternen Effizienzwettbewerb nicht gewinnen kann, ist es essenziell (und überlebenswichtig), Wettbewerbsvorteile in anderen für den Kunden wesent­ lichen Bereichen zu schaffen. Emotion ist der stärkste hiervon: Das Erlebnis eines echten Einkaufs in echten Läden mit echten Menschen lässt sich online vielleicht simulieren, aber nicht nachmachen. Diese Emotionen lagern sich bei den entsprechenden Sortimenten rund um die Qualität der Ware, die Beratung und den Service durch den Händler sowie um die LEH-Marke ab. Emotional aufgeladene Ware und ein positives menschliches Umfeld sind die Faktoren, die (in Teilen) wegführen können von der nüchternen Effizienzmaschine des Basisversorgers. • In diesem Spannungsfeld hat das klassische Marketing ausgedient. Es beruhte auf dem Grundsatz, möglichst klare Botschaften an möglichst klare Zielgruppen auszusenden und deren Kaufentscheidungen zu beeinflussen. Inzwischen ist aus dieser Einwegkommunikation eine Begegnung auf Augenhöhe geworden: Die Konsumenten beeinflussen die Unternehmen mindestens genauso stark wie umgekehrt, Märkte sind tatsächlich Gespräche. Und die Entwicklung von Social Media und Mobile Internet kann sogar dazu führen, dass sich die traditionelle Kommunikationsrichtung schlicht umdreht: Jeder potenzielle Kunde formuliert seine ganz individuellen Bedürfnisse und seine Identität und beeinflusst damit die Produktionsentscheidungen der Hersteller. Dann gewinnen nicht mehr die Unternehmen mit dem besten Lautsprecher – sondern die mit dem besten Hörgerät. Und dann sind die Offline-Einzelhändler in der vorteilhaften Situation, tatsächlich realen Menschen real zuhören zu können. 37 Emotionalisierung von Begegnungen im Laden wie von Produkten setzt voraus, seinen Kunden zuhören zu können. Um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, muss signalisiert werden, dass Gespräche erwünscht sind. Dafür muss Emotion an die Stelle von Effizienz treten – oder ihr zumindest gleichberechtigt zur Seite gestellt werden. Wenn Emotionalisierung auf beiden Seiten gelingen soll, muss sie sich auch und gerade für die Konsumenten authentisch anfühlen. Die italienische Konsumpsychologin Simonetta Carbonaro warnt den Handel sogar vor dem „Pump up the Volume einer unechten Emotionalisierung“. So habe etwa das Experience Marketing der großen Einkaufszentren nicht etwa mehr Wohlbefinden, sondern vor allem mehr Lärm erzeugt: „Das hat uns so sehr überreizt, dass wir gar nicht in Kontakt mit unseren Bedürfnissen oder unserer Vernunft kommen – vom Kontakt mit unserer eigenen Gefühlswelt beim Einkaufen ganz zu schweigen.“37 Die Kunst des Zuhörens steht also am Beginn der Emotio­ nalisierung. Das dauerhafte Gespräch, das Vertrauen in Menschen und Marke schafft, ist das zweite Element. Emotion ist Chance und Zwang zugleich, seinen Kunden völlig neu kennenzulernen. 10 Individualisierung des Genusses mit Flagship Stores für Fans Individualisierung findet seit Jahren in allen Konsumbereichen statt – vom Computer über Parfüms bis zur Schokolade. Dabei handelt es sich in aller Regel um individuelle Online-Produktkonfigurationen. Bei den Lebensmitteln zeichnet sich allerdings auch ein umgekehrter Weg ab: Die Individualisierer gehen offline in Ballungsräume und machen ihre POS zur individuellen Erlebnisstätte für spezifische Sortimente. Carbonaro, Simonetta: Die Produkte schreien uns förmlich an. https://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Trend-News/Detail-Page/Die-Produkteschreien-uns-foermlich-an. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Zehn Thesen zur Zukunft des LEH 35 „Das Thema Individualität hat vermutlich in 15 Jahren einen noch höheren Stellenwert. Das kann bedeuten, dass die klassischen Markenartikler dann auch individuelle Müslimischungen anbieten oder aber, dass die Start-ups, welche es online in diesem Bereich gibt, auch offline einen POS aufbauen.“ Martin Ruppmann, Markenverband Der individualisierte Konsum schickt sich an, die breiten Massen zu erreichen. Internet und neue Produktionsprozesse machen es möglich, dass der Kunde sein Produkt online oder im Laden selbst konfiguriert. Die „Losgröße 1“, früher nur bei Handwerkern, Künstlern und Maschinenbauern erreichbar, wird als Mass Customization in immer mehr Branchen zum Industriestandard. Bei Lebensmitteln gibt es online bereits heute mehrere Anbieter von indivi­ dualisierter Schokolade, persönlichen Müsli- und Teemischun­gen. „Supermarktsortimente könnten kleiner werden, dafür entstehen daneben Category Killers oder Fetischanbieter im Kleinen.“ Hans Eysink Smeets, Retail Strategy Consultant Für Industrieprodukte ist diese Art der Produktindividualisierung prinzipiell unbegrenzt möglich: Jedes einzelne Bauteil kann nach individuellem Kundenwunsch variiert werden, bei jeder Mischung kann die Zusammensetzung nach Belieben verändert werden. Wo Lebensmittel diesem industriellen Muster entsprechen, können die Hersteller, mit oder ohne Umweg über den Handel, ihre Produkte individualisieren. Viele Lebensmittel sind allerdings gerade keine Industrie-, sondern Naturprodukte. Hier sind es die feinen Unterschiede von Lage, Bodenbeschaffenheit, Sorte oder Wetter, die praktisch von alleine für eine Individualisierung des Produkts sorgen. Denn ein Rioja ist kein Chianti ist kein Cabernet, von den Unterschieden zwischen den einzelnen Rioja-Weingütern und -Jahrgängen ganz zu schweigen. Das Produkt ist also nicht deshalb einzigartig, weil der Konsument es so konfiguriert, sondern weil es ein Naturprodukt ist. Die Vielfalt, die sich bei Naturprodukten wie Wein, Käse, Olivenöl oder Honig bietet, lässt sich in keinem Ladenregal abbilden. Daraus entstehen für den Lebensmitteleinzelhandel Chance und Risiko zugleich. Risiko, weil die Gefahr besteht, dass sich Aficionados, die Fans dieser Produkt­ gattung, um einen Online-Shop versammeln, der ihnen ein potenziell unbegrenzt tiefes Warenangebot sowie eine Plattform für Diskussion und Austausch bieten kann. Und Chance, weil es sich für Freunde der kleinen Geschmacks- oder Geruchsnuancen von Naturprodukten geradezu anbietet, ihr Produkterlebnis in der realen Welt zu zelebrieren. Stark fokussierte Spezialitäten-Shops haben sich für einige Produktgattungen wie Wein, Käse oder Tee in den Städten gehalten. In dem Maß jedoch, in dem der Einkauf standardisierter Produkte in die Online-Welt abwandert, werden im klassischen LEH zusätzliche Flächen für jene Formate frei, deren Kunden das Offline-Erlebnis brauchen. Und aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen, meist kleinen Produzenten wird hier die Produkt- und Logistikkompetenz des Händlers auch weiterhin unverzichtbar sein: Das Käsegeschäft ist dem Appenzeller-Flagship Store nachhaltig überlegen. Es ist zu vermuten, dass dies eher ohne den Handel geschehen wird: Der Prozess der Individualisierung von Lebensmitteln hat auch einen Erlebnischarakter, wenn man ihn richtig inszeniert. Hier werden vor allem die renommierten Markenartikler die Inszenierung nicht aus der Hand geben wollen. Wohin diese Entwicklung führen kann, zeigt derzeit schon Ritter Sport: In einem Flagship Store in Berlin gibt es nicht nur das gesamte Sortiment, die Kunden können sich vor Ort auch ihre eigene Schokoladentafel kreieren. Zudem hat sich Ritter Sport an Chocri beteiligt, einem Startup, das individualisierte Schokolade online anbietet.38 38 http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/berliner-wirtschaft/ritter-sport-steigt-bei-onlinevertrieb-chocri-ein/1935714.html. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 36 5 Szenarien zur Zukunft des LEH © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Szenarien zur Zukunft des LEH 37 Das Bild des Lebensmitteleinzelhandels im Jahr 2025 wird nach allen Äußerungen und Gesprächen wesentlich von den Entwicklungen in zwei zentralen Parametern bestimmt: den Logistikkosten und der Werthaltung der Konsumenten. • All Mart: niedrige Logistikkosten, Emotionalität • Small Mart: hohe Logistikkosten, Emotionalität • Call Mart: niedrige Logistikkosten, Funktionalität • Smart Mart: hohe Logistikkosten, Funktionalität Die Logistikkosten werden in erster Linie von der Entwicklung der Energiepreise beeinflusst werden. Hierbei ist unerheblich, auf welchen Primärenergieträgern die Entwicklung basiert. Wir halten für die Ära der Kohlenwasserstoffe wie alternativer Energieträger dauerhaft hohe Logistikkosten für das wahrscheinliche Szenario. Diese Formen sind in ihrer Definition wesenhaft unterschiedlich, können aber aufgrund des nicht durchgängig einheitlichen Konsumentenverhaltens parallel auftreten. Sofern diese parallel existieren, sind Folgewirkungen und Interdependenzen zu erwarten, so beispielsweise die Auswahl eines funktionalen Handelsformats infolge einer hohen emotionalen Bindung in anderen Sortimentsbereichen. Die Welt des Kunden wird aufgrund der technischen Entwicklung durch mehr und mehr persönliche Gestaltungsoptionen bereichert. Der bereits heute bestehende Konflikt zwischen Funktionalität und emotionaler „Aufladung“ des Konsumaktes wird dadurch allerdings nicht aufgehoben, sondern bleibt in unterschiedlichen Ausprägungen erhalten. Es ist unsere Überzeugung, dass der LEH-Konsum 2025 vordringlich durch die Sehnsucht der Kunden nach Wärme, (Selbst-)Erfüllung und menschlicher Beziehung geprägt sein wird. Aus der Kombination dieser beiden Parameter in ihren unterschiedlichen Ausprägungen ergeben sich vier Grundformen für den Lebensmitteleinzelhandel der Zukunft: Logistikkosten hoch Smart Mart Emotionalität All Mart Funktionalität Call Mart Logistikkosten niedrig • All Mart: niedrig bis mittel • Small Mart: hoch • Call Mart: niedrig • Smart Mart: mittel bis hoch 1 All Mart „business as usual“ Uneingeschränkte individuelle Mobilität und hohe emotionale ­Präferenz für den physischen Einkauf im Laden Szenarien zur Zukunft des LEH Small Mart Die Wahrscheinlichkeit, dass spezifische Kombinationen der beiden Parameter auftreten, schätzen wir wie folgt ein: Dies ist das Business as usual-Szenario für den Lebensmittelhandel in seiner heutigen Form. Auch nicht zentral gelegene und nicht wohnortnahe Standorte können vom Kunden mehrheitlich gut erreicht werden, die Kunden sind weiterhin bereit, in stationären Formaten ihre Lebensmittel einzukaufen und die Logistik zwischen Laden und Wohnort selbst zu leisten. Jedoch bringt auch dieses Szenario Änderungen mit sich. Der Online-Handel wird bis 2025 in allen Sortimenten des Non-Food und Near-Food sowie der nicht frischen Basissortimente signifikante Marktanteile erreichen. Insofern wird der Handel seine Sortimente substanziell umbauen und durch Services rund um das gesamte Sortiment sowie gezielte Produktauswahl emotionale Berührungspunkte auf der Fläche schaffen müssen. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 38 Wesentliche Elemente, deren Integration die emotionale Präferenz für den physischen LEH in der Zukunft mit konstituieren wird, sind: • Gastronomie • Freizeitgestaltung (Kochkurse, Weinverköstigungen, Lesungen etc.) • Fabbing (Produktion direkt im Laden) • Integrierte Gesundheitsdienstleistungen und ambulante medizintechnische Maßnahmen • Medikamentenabholung und Überwachung der regel­ mäßigen Einnahme • Dienstleistungen rund um das Fortbewegungsmittel / Auto. Ohne Zweifel bietet dieses Szenario den traditionellen LEHFormaten bessere Möglichkeiten, ihre Position zu konsolidieren und das eigene Geschäftsmodell ohne große Frik­ tionen in die Zukunft hinein fortzuentwickeln. 2 Small Mart „Tante Emma 2.0“ Hohe Logistikkosten / eingeschränkte ­individuelle Mobilität und hohe Wert­schätzung für soziale Kontakte In diesem Szenario kommt es zu akzentuiert unterschied­ lichen Entwicklungen der heutigen Formate im LEH. Individuelle motorisierte Mobilität kann vor allem aus Kostengründen nicht mehr als gegeben vorausgesetzt werden. Breite Konsumentenschichten nutzen vermehrt den öffent­ lichen Verkehr, gehen zu Fuß oder verwenden SharingSysteme. Geringere Mobilität akzentuiert die sozialen Folgen der vorherrschenden demografischen und soziologischen Entwicklung, Alterung und Vereinsamung. Online-Formate haben Schwierigkeiten, sich substanziell im LEH durchzusetzen, weil Preisvorteile fehlen und / oder Lieferdienste nicht dem flexiblen Lebensstil der Kunden entsprechen. Wesentliche Elemente, die die Präferenz für eine durch soziale Kontakte gekennzeichnete Form des LEH in der Zukunft mit konstituieren werden, sind: • Beschränkte Transportfähigkeit • Kundennähe • Regionalität • Convenience • Spontaneität des Einkaufs • Genussorientierung. 39 Dieses Szenario wird mit großer Wahrscheinlichkeit zu wesentlichen Wettbewerbsverschiebungen führen. Treibende Kraft sind dabei selbstständige Unternehmerkaufleute und weniger große, technisch innovative Marktteilnehmer. Betreiber der Läden sind Einzel­unternehmer, Nachbarschaftsvereine oder Communitys (eigenständig oder in Netzwerken), die zum alten Tante-Emma-Prinzip zurückkehren oder dieses an die neuen technischen Möglichkeiten anpassen. 3 Call Mart die Online-Food-Welt Hohe Mobilität und niedrige Logistik­kosten treffen auf hohe Affinität zu neuen Technologien Der technische Fortschritt in Produktinformation, Vertrieb und Distribution ermöglicht attraktive und effiziente Warenverteilungslösungen jenseits der traditionellen Handelsfläche. Die Kernkompetenzen des Lebensmittelhändlers werden damit aus der Bindung an die Ladenfläche gelöst. Der Konsument wird technisch in die Lage versetzt, zu jeder Zeit und an jedem Ort seine Lebensmittelversorgung zu steuern und zu modifizieren. Hierbei wählt er aus einem stark erweiterten Produktsortiment aus, das ihm direkt vom Hersteller oder über Händler angeboten und von vielen Dritten beurteilt und kommentiert wird. Wesentliche Elemente, die die Präferenz für eine nicht primär stationäre Form des LEH in der Zukunft mit konstituieren werden, sind: • Stark ausgeweitete Sortimente, die über Produzenten und Händler angeboten werden • Technologiebasierte kommunikative Kompetenz des Warenverkäufers als Antwort auf die Technologieaffinität des Kunden • Lieferabos und NOS-Programme (Never Out of Stock) für die Basisversorgung des Haushalts • Laden- und online- beziehungsweise mobilebasierte Kategorie­experten mit extrem tiefem Sortiment (zum Beispiel mit 200 Olivenölsorten) • Online- beziehungsweise Mobile Convenience (zum Beispiel Was-soll-ich-heute-kochen-App mit automatischer ­Bestellung und rechtzeitiger Lieferung fehlender Zutaten) • Online- beziehungsweise Mobile-Expressversorgung: ­Lieferungen von Spontankäufen und im Haushalt fehlenden Lebensmitteln auf sehr zeitnaher Basis (Lebensmitteltaxi).39 Eine eher fantastisch klingende Variante ist hier der „Tacocopter“, ein aus dem Silicon Valley stammendes Konzept für einen unbemannten Lieferservice aus der Luft. Beim jetzigen Stand der Technik nicht mehr als ein Scherz – aber durch die rasante Entwicklung von Drohnen- und Navigationstechnologie wohl nicht mehr lange. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Szenarien zur Zukunft des LEH 39 Online ist in diesem Szenario eine echte Bedrohung für den klassischen, flächenbasierten Lebensmittelhandel. Das Ausmaß des Online-Erfolgs steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Attraktivität des Einkaufserlebnisses im klassischen LEH sowie der räumlichen Distanz zum (nächsten) Laden. Ein Nebeneffekt der Online-Dominanz im Lebensmitteleinzelhandel in diesem Szenario dürfte eine Zunahme hoch spezialisierter Nischenanbieter sein – zum einen wegen der Verfügbarkeit anderweitig nicht mehr benötigter Einzelhandelsflächen, zum anderen, weil gerade die Kunden von Experten in einer Kategorie für Events rund um Genuss und Geschmack empfänglich sind. Auch bei größtmöglichem Optimismus in Bezug auf die Entwicklung logistischer Leistungsfähigkeit ist davon auszugehen, dass gewisse Grundlieferzeiten bestehen bleiben. Deren weitere Verkürzung wird von der Zunahme von Convenience- und Impulskäufen online beziehungsweise über Mobile abhängen. Dieses Szenario bietet Raum für eine Neugestaltung von Beziehungsstrukturen zwischen Konsument, Produzent, Händler und Lieferant. Kaufkanäle können hierbei flexibilisiert und verstärktem Wechsel unterworfen werden, befördert durch Online-Meinungsbildung / Social Media, unabhängige Beurteilungsplattformen und Optimierungsplattformen, die für einen Einkauf Preisvergleiche zwischen mehreren Anbietern ermöglichen. Lebensmitteleinzelhandel wird damit in diesem Szenario tendenziell zu einem echten „spot market“, sofern die Kundenbindung des Handels nicht deutlich erhöht wird. Dieses Szenario weist damit geringe Markteinstiegsbarrieren auf, was insbesondere für branchenfremde „Spieler“ mit Kompetenzschwerpunkten in den Bereichen Kundenkommunikation und der Analyse von Konsumpräferenzen sowie Logistikdienstleistungen interessant ist. 4 Smart Mart Shopping- und Format­vielfalt um die Ecke ortnaher Standorte, allerdings nicht nur als Point of Sale, sondern ebenso als Point of Delivery oder gar als Point of Production (etwa durch 3-D-Druck). Produzenten und Händler liefern motorisiert an Abholorte (beispielsweise Märkte, Hallen, Convenience Shops, Drop-off-Stellen), wo der Kunde sie zu Fuß abholt. Aufgrund der technologischen Verdichtung können regionale und lokale Produzenten den Kunden direkt erreichen und werden damit für diesen preislich attraktiver. Logistikkosten für Sortimentsbestandteile, die lange Wege bis zum Kunden haben, bestimmen die Grenzen seines maximalen Warenkorbs. Wesentliche Elemente, die die Präferenz für Smart Marts mit konstituieren werden, sind: • Stark ausgeweitete Sortimente, die über Produzenten und Händler angeboten werden • Technologiebasierte kommunikative Kompetenz des Warenverkäufers als Antwort auf die Technologieaffinität des Kunden • Dezentrale Versorgungspunkte, die eine deutliche Optimierung / Absenkung der B2C-Logistikkosten erlauben und zugleich eine reduzierte Umschlagsfunktion (das heißt Ort der Auswahl und Kaufentscheidung) erfüllen. Das Smart Mart-Szenario schafft Raum für Innovationen und senkt ebenfalls aufgrund des geforderten Kompetenzprofils die Markteintrittsbarrieren ab. Für meist großflächige, auf der grünen Wiese liegende Handelsformate ist dieses Szenario negativ zu bewerten. In abgeschwächter Form gilt dies auch für innerstädtische Formate, die ebenfalls wesentlich auf einer durch den Kunden motorisiert zu leistenden B2C-Logistik basieren. Umgekehrt bietet die Entwicklung wohnortnaher Standorte Supermärkten und Discountern gleichermaßen Potenziale, ohne dass bis dato bei den bestehenden Marktteilnehmern echte Wettbewerbsvorteile bei der Entwicklung in diese Richtung erkennbar wären. Chancen bieten sich ebenso dem Ausbau bestehender Kleinformate. Parallel hierzu können regional Nischen wie Bauernmärkte, lokale Gemüseabos oder auch der Eier- und Milchmann eine Renaissance erleben. Bedingung hierfür ist jedoch, dass diese technisch den Kunden abholen und preislich konkurrenzfähig sind. Ausgeprägte Online- und Technologie­affinität bei eingeschränkter individueller Mobilität und hohen Logistikkosten In diesem Szenario treffen teure Wege auf eine hohe Vernetzung und wachsende Bereitschaft der Kunden, moderne Technologie in der eigenen Lebensmittelversorgung einzusetzen. Konsequenz ist die Renaissance wohn- © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 40 6 Perspektiven für die LEH-Formate Perspektiven für Großflächen Logistikkosten hoch Small Mart –– Smart Mart –– Emotionalität Funktionalität All Mart + Call Mart –– Logistikkosten niedrig Perspektiven für Discount Logistikkosten hoch Small Mart +/– Smart Mart – Emotionalität Funktionalität All Mart +/– Call Mart –– Logistikkosten niedrig © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Perspektiven für die LEH-Formate 41 Die vier abgebildeten Szenarien skizzieren die für uns unterschiedlich wahrscheinlichen Zustände des deutschen und des Schweizer Lebensmittelhandels 2025. Jedes Szenario weist individuelle Charakteristika und Bedingtheiten auf, die bei Eintritt Änderungen bestehender Handelsformate oder den Aufbau neuer Formate nach sich ziehen werden. Umgekehrt kann aus heutiger Sicht auf Basis der vier Szenarien analysiert werden, welche bestehenden Formate besonders geeignet sind, das „Sollprofil“ der einzelnen Szenarien zu erfüllen. Im Folgenden haben wir aus Sicht der heute bestehenden Formate diese Sichtweise auf die Szenarien für den deutschen und den Schweizer Lebensmittelmarkt konsolidiert. Perspektiven für Convenience Shops ++ hohes Maß an Kompatibilität + mittleres Maß an Kompatibilität +/- durchschnittliche Kompatibilität - geringe Kompatibilität - - sehr geringe Kompatibilität Perspektiven für Kleinflächen Logistikkosten hoch Small Mart + Logistikkosten hoch Smart Mart + Emotionalität Funktionalität All Mart +/– Call Mart + Small Mart + Funktionalität All Mart – Logistikkosten hoch Smart Mart – Emotionalität Funktionalität + Call Mart Logistikkosten niedrig +/– Perspektiven für Online-Handel Logistikkosten hoch All Mart Call Mart Logistikkosten niedrig Perspektiven für Supermärkte +/– + Emotionalität Logistikkosten niedrig Small Mart Smart Mart – Small Mart +/– Smart Mart + Emotionalität Funktionalität All Mart +/– Call Mart ++ Logistikkosten niedrig © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 42 7 Fazit Die Zukunft des Lebensmitteleinzelhandels verspricht weiterhin Innovation und Wandel. Maßgebliche Treiber sind eine Differenzierung zwischen funktionaler Rationalität und Emotionalisierung des Konsums, die Entwicklung von Energiepreisen sowie die Explosion technologischer und informativer Möglichkeiten. Diese Grundkräfte werden – einzeln wie in Kombination – das Konsumverhalten neu konditionieren. Ebenso ermöglichen die Optionsräume, die die Grundkräfte aufspannen, den Konsumenten bis dato nicht gekannte Verhaltensweisen. Als Konsequenz aus dieser dynamischen Entwicklung beschreibt nur eines der vier Szenarien, die wir aus den Experten- und Industriegesprächen abgeleitet haben, im Wesentlichen Kontinuität. Die drei anderen Szenarien, darunter die mit der für uns höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit, versprechen: •die Entwertung bestehender und das Entstehen neuer Kompetenzprofile •das Absenken der Markteintrittsbarrieren und damit den Eintritt neuer Wettbewerber in die Lebensmittelversorgung •die Relativierung des heute dominanten Preisparadigmas. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Fazit 43 Die in den Szenarien skizzierten Entwicklungen schließen sich nicht notwendig gegenseitig aus. Innerhalb des Raums von materiellen Gegebenheiten und individuellen Werten wird der Konsument jeweils sein Verhalten ausrichten. Letzteres spricht für ein partielles Nebeneinander einzelner Szenarien beziehungsweise der diese ­dominierenden Handelsformate. In Summe: Der Lebensmittelhandel in Deutschland und in der Schweiz wird in Zukunft viel sozialer sein als heute. Im Zentrum steht der individuell bekannte Kunde. Schlüssel zu ihm ist der kontinuierliche Dialog. Aber verwenden muss diesen Schlüssel – der Händler. Wie in der Vergangenheit, so müssen die deutschen und Schweizer Lebensmittelhändler auch in Zukunft mit individueller Innovationskraft, Innovationsfreudigkeit und unternehmerischem Mut agieren. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. 44 8 Anhang 8.1 Befragte Experten Folgende Experten aus Forschung und Praxis haben die Studie mit wertvollen Beiträgen unterstützt: • Roland Berner, Head of Strategy & Business Development, REWE Group • Ernst Dieter Berninghaus, Mitglied der Generaldirektion MigrosGenossenschafts-Bund • Herbert Bolliger, Präsident der Generaldirektion Migros-Genossenschafts-Bund • Walter Brandenberger, CEO Scana Lebensmittel AG • Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverband Deutschland – HDE e.V. • Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute • Karl-Erivan Haub, Geschäftsführender und persönlich haftender Gesellschafter, Tengelmann-Gruppe • Ferdinand Hirsig, Mitglied der Geschäftsleitung der Fenaco-Gruppe • Thomas Hochreutener, Detailhandelsexperte GfK Switzerland • Manfred Maus, Gründer OBI • Markus Mosa, Vorstandsvorsitzender der Edeka AG • Daniel Pulko, Business Analyst Vertical Market Consumer, Schenker Group • Martin Ruppmann, Geschäftsführer VKE-Kosmetikverband • Hans Eysink Smeets, Retail Strategy Consultant • Uwe Spiegel, Business Unit Director e-Commerce, T-Systems Multimedia Solutions 8.2 Literatur • Bosshart, David (2011): The Age of Less. Die neue Wohlstandsformel der westlichen Welt, Hamburg • Bosshart, D., Muller, C., & Hauser, M. (2010): European Food Trends Report – Science versus Romance, GDI Studie Nr. 32 • Bosshart, David, Staib, Daniel (2005): Detailhandel Schweiz 2015, GDI Studie Nr. 23 • Connors, M. M., Bisogni, C. A., Sobal, J., & Devine, C. (2001): Managing values in personal food systems. Appetite, 36(3), 189 –200 • Bolz, Norbert (2011): Die Zukunft der Megatrends, in: GDI Impuls 04 / 2011, S. 10 –17 • Datamonitor (2010): Food Retail in Germany • Euromonitor International (2011): Grocery Retailers in Germany • Franziska von Lewinski (2011): Tesco hat es richtig gemacht, in: Absatzwirtschaft, 25.11.2011 • Friebe, Holm / Ramge, Thomas (2008): Marke Eigenbau: Der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion, Frankfurt am Main • Hauser, Mirjam (2012): Consumer Value Monitor Food. Wie Konsumenten in Zukunft essen wollen, GDI Studie Nr. 38 • KPMG / EHI (2012): Trends im Handel 2020 • KPMG / EHI (2006): Status quo und Perspektiven im deutschen Lebensmitteleinzelhandel 2006 • KPMG International (2012): Self-Driving Cars – The Next Revolution •KPMG International, Consumers and Convergence V (2011): The converged Lifestyle • Kühne, M., (2010): The Story of Unstoring: GDI Studie Nr. 33 • Lüdi, N. & Hauser, M. (2010): Consumer Value Monitor – Wie neue Sehnsuchtsfelder den Lebensmittelkonsum verändern, GDI Studie Nr. 35 • Miegel, Meinhard (2010): Exit. Wohlstand ohne Wachstum, Berlin •Nemitz, Gordon, Rieder, Christian (2011): Living Mobile. Wie Smartphones unser Leben verändern, in: GDI Impuls 02 / 2011 • Nestlé-Studie (2011): So is(s)t Deutschland, Deutscher Fachverlag • Nestle, M. (2006): What to eat, New York, North Point Press • Petrini, Carlo (2003): Slow Food: Geniessen mit Verstand, Zürich • Pollan, M. 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KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft GDI Gottlieb Duttweiler Institute KPMG ist ein weltweites Netzwerk rechtlich selbstständiger Firmen mit 152.000 Mitarbeitern in 156 Ländern. Auch in Deutschland gehört KPMG zu den führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen und ist mit über 8.600 Mitarbeitern an 25 Standorten präsent. Unsere ­Leistungen sind in die Geschäftsbereiche Audit, Tax und Advisory gegliedert. Im Mittelpunkt von Audit steht die Prüfung von Konzern- und Jahresabschlüssen. Tax steht für die steuerberatende Tätigkeit von KPMG. Der Bereich Advisory bündelt unser hohes fachliches Know-how zu betriebswirtschaftlichen, regulatorischen und transaktions­orientierten Themen. Das GDI Gottlieb Duttweiler Institute, der älteste Think Tank der Schweiz, beschäftigt sich seit 1963 mit den Themen­feldern Konsum, Handel und Gesellschaft. Es beobachtet und beschreibt Entwicklungen, welche für den Menschen in seiner Rolle als Konsument, für Märkte und für die Gesellschaft von Bedeutung sind. Das Institut ist zwar nach dem Gründer des Schweizer Einzelhandelskonzerns Migros benannt, agiert aber seit Jahrzehnten als unabhängiges Forschungsinstitut. In den vergangenen fünf Jahren wurden zu den Themenkomplexen Einzelhandel, Lebensmittel und Konsum folgende Studien erstellt: „Detailhandel 2015“, „Airport Shopping 2025“, „Shopping and the City 2020“, „Discount Forever“,„European Food Trend Report“, „Customer Value Monitor Food“ und „The Story of ­Unstoring“. Für wesentliche Sektoren unserer Wirtschaft haben wir eine geschäftsbereichsübergreifende Branchenspezialisierung vorgenommen. Hier laufen die Erfahrungen unserer Experten weltweit zusammen und tragen zusätzlich zur Beratungsqualität bei. Allein im Sektor Consumer Markets sind weltweit etwa 1.000 Partner sowie rund 13.000 fachliche Mitarbeiter für KPMG-Gesellschaften tätig. In Deutschland betreut KPMG zurzeit aktiv mehr als 1.000 Mandate in diesem Bereich. Durch eine Jahrzehnte währende Prüfungs- und Beratungspraxis verfügt KPMG über eine umfassende nationale und internationale Branchenexpertise im Handel und in der Konsumgüterindustrie. Unsere Lösungsansätze sind ein­­deutig, ganzheitlich und praxisnah und tragen unter­schied­lichsten Geschäftsmodellen und Unternehmensgrößen Rechnung.Durch unsere interdisziplinäre Arbeitsweise verbinden wir unseren tief greifenden Erfahrungs­schatz mit dem weitverzweigten Spezialisten-Know-how aus anderen KPMG-Mitgliedsfirmen und -Sektoren. Neben diesen Services führt der Sektor Consumer Markets regelmäßig Analysen einzelner Marktsegmente durch und erstellt im Rahmen eines permanenten Dialogs mit Wissenschaft und Praxis sowie Verbänden und Branchenorganen Studien zu aktuellen Themen. Weitere Publikationen von KPMG IFRS in der Praxis – 40 Bilanzierungsund Bewertungsfragen für den Handel Sicherheits­ empfinden im Onlinehandel Trends im Handel 2020 Der Sektor Consumer Markets von KPMG veröffentlicht regelmäßig Studien und Newsletter zum Einzelhandel und zur Konsumgüterindustrie. Dabei stützen wir uns neben unserem Best Practice Know-how auch auf die Mit­arbeit externer ­Spezialisten. Falls Sie an weiteren Studien interessiert sind, besuchen Sie uns bitte im Internet unter www.kpmg.de/consumermarkets © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMG-Netzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Kontakt KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Mark Sievers Partner, Head of Consumer Markets T +49 40 32015-5840 [email protected] Stephan Fetsch Partner, Corporate Finance T +49 221 2073-5534 [email protected] www.kpmg.de Ihre Ansprechpartner in der Schweiz Stéphane Gard Partner, Sektorleiter Consumer Markets T +41 21 345 03 35 [email protected] Jürg Meisterhans Partner, Audit, Sektorleiter Retail T +41 58 249 35 78 [email protected] Die enthaltenen Informationen sind allgemeiner Natur und nicht auf die spezielle Situation einer Einzelperson oder einer juristischen Person ausgerichtet. Obwohl wir uns bemühen, zuverlässige und aktuelle Informationen zu liefern, können wir nicht garantieren, dass diese Informationen so zutreffend sind wie zum Zeitpunkt ihres Eingangs oder dass sie auch in Zukunft so zutreffend sein werden. Niemand sollte aufgrund dieser Informationen handeln ohne geeigneten fachlichen Rat und ohne gründliche Analyse der betreffenden Situation. © 2013 KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eine Konzerngesellschaft der KPMG Europe LLP und Mitglied des KPMGNetzwerks unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Cooperative („KPMG International“), einer juristischen Person schweizerischen Rechts, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany. Der Name KPMG, das Logo und „cutting through complexity“ sind eingetragene Markenzeichen von KPMG International Cooperative.