Steuerliche Förderung von F&E in der Schweiz

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Steuerliche
Förderung von F&E
in der Schweiz –
Nötige Ergänzung
zur bestehenden
Innovationsförderung
Die Schweiz geniesst gemäss zahlreichen Studien weltweite Anerkennung als eines der Länder mit der höchsten Innovationskraft1. Diese ist
unbestritten die zentrale Voraussetzung für das
Wirtschaftswachstum, den Erhalt von Arbeitsplätzen und den Wohlstand der Schweiz. Forschung und Entwicklung (F&E) sind daher teilweise ein öffentliches Gut und sollten im nötigen Umfang dort staatlich gefördert werden, wo
die Privatwirtschaft an ihre Grenzen stösst.
Viele entwickelte Wirtschaftsnationen setzten erfolgreich auf eine staatliche Förderung der Innovationstätigkeit. Dies kann grundsätzlich
durch direkte Subventionen oder durch steuerliche Anreize geschehen. In der Schweiz werden
Art und Umfang der Förderung von Forschung
und Entwicklung seit einiger Zeit intensiver diskutiert. Die heute bestehenden staatlichen Fördermittel sind vor allem bei der Grundlagenforschung weitgehend unbestritten. Anwendungsorientierte und marktnahe Innovation durch
Unternehmen wird jedoch in der Schweiz nur
beschränkt gefördert. Ob der Umfang dieser Förderung ausreicht, um die Spitzenposition der
Schweiz im internationalen Umfeld mittel- und
langfristig zu erhalten, ist fraglich. Strittig ist
auch, ob solche Mittel wie bis anhin einzig als
Andreas Müller
Partner, International
Corporate Tax, Zürich,
KPMG AG
Jean-David Wenger
Direktor, International
Corporate Tax, Zürich,
KPMG AG
Thomas Linder
Director, International
Corporate Tax, Zürich,
KPMG AG
direkte Projektsubventionen einzelnen, ausgewählten Wirtschaftsteilnehmern zukommen
sollen oder ob, wie hier vertreten wird, steuerliche Fördermassnahmen, welche grundsätzlich
allen forschenden Unternehmen offen stehen,
nicht eine breitere Innovationswirkung haben
würden.
1 Innovationsland Schweiz im
internationalen Wettbewerb
Gemäss einer Studie der KPMG und der Universität St. Gallen (nachfolgend «Studie»)2, welche
zusammen mit der Swiss-American Chamber of
1
2
Siehe z. B. http://globalinnovationindex.org.
Keuschnigg/Ribi, 2011, Volkswirtschaftliche Analyse der
steuerlichen Förderung von F&E; vgl. auch KPMG,
2011, Steuerliche Förderung von F&E in der Schweiz.
Nr: 11/2011 Seite 845
STEUERLICHE FÖRDERUNG VON F&E
Commerce (AmCham) publiziert wurde, verliert
die Schweiz im internationalen Wettbewerb als
Standort für Forschung und Entwicklung an
Boden. Immer mehr Forschungsaktivitäten
wandern ins Ausland ab3. Das hat vielfältige Ursachen, nicht zuletzt die Verlagerung der Absatzund Produktionsmärkte nach Osten, insbesondere für die grossen multinationalen Schweizer
Unternehmen. Für Schweizer KMUs bedeuten
die sehr hohen Kosten in der Schweiz, die Frankenstärke und existierende Finanzierungsbeschränkungen, dass Forschung und Entwicklung nicht im Umfang betrieben werden kann,
der unternehmerisch und volkswirtschaftlich
optimal wäre4. Dabei sind gerade die KMUs für
die Entwicklung neuer Technologien sehr wichtig und stellen einen relevanten Wachstumsmotor für die schweizerische Wirtschaft dar. Wenn
die Forschung und Entwicklung dieser Unternehmen reduziert, eingestellt oder ins Ausland
verschoben wird, hat dies auch einen wesentlichen negativen Einfluss auf den Produktionsstandort Schweiz und somit auf die Anzahl der
Arbeitsplätze.
Die Schweiz versucht zu Recht mit einer gezielten Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik die Standortqualität weiter auszubauen, um
mittel- und langfristig eine Spitzenposition beibehalten zu können. Ein wichtiges Element einer
umfassenden Innnovationspolitik wurde aber
bislang ausser Acht gelassen: die steuerliche Förderung.
Der Blick ins Ausland zeigt, dass dieses Instrument für eine zukunftsorientierte Wirtschaftsund Standortpolitik vieler Länder unverzichtbar
ist5. Die Mehrheit der OECD-Länder fördert heute die Forschung und Entwicklung gezielt mit
steuerlichen Anreizen. Die EU schlägt ihren Mitgliedstaaten im Rahmen der Lissabon-Strategie6
konkret vor, steuerliche und andere finanzielle
Anreize für die Privatwirtschaft zu schaffen. Die
Schweiz steht hier im Abseits.
Nr: 11/2011 Seite 846
Inhaltsübersicht
Einleitung
1 Innovationsland Schweiz im
internationalen Wettbewerb
2 Vorschlag eines konkreten Modells
für die steuerliche Förderung der
F&E in der Schweiz
3 Direkte Projektsubventionierung
versus indirekte steuerliche Förderung
4 Schlussfolgerung
2 Vorschlag eines konkreten Modells
für die steuerliche Förderung der F&E in
der Schweiz
Die steuerliche Privilegierung von Innovation
kann grundsätzlich als «Input»- oder «Output»-Förderung ausgestaltet sein7.
Die Studie umfasst die sogenannten «Input»Massnahmen. Diese betreffen die Aufwandseite.
F&E-Aufwendungen sind dabei mehrfach steuerlich abzugsfähig und reduzieren so die Bemessungsgrundlage. Alternativ sind in besonderen Fällen (z.B. Start-up-Gesellschaften oder bei
sehr kleinen Gesellschaften) auch Barauszahlungen denkbar.
Im Lichte der internationalen Entwicklungen
wird folgendes Modell zur Förderung von
F&E-Aktivitäten in der Schweiz vorgeschlagen8:
• Abzugsfähigkeit der gesamten laufenden
F&E-Ausgaben von der Steuerbasis
– Erhöhter Abzugssatz von 170% für
F&E-Aufwendungen bis CHF 10 Millionen
– Erhöhter Abzugssatz von 130% für den
überschiessenden Teil
– Flexibilität bei der Festlegung des Abzugssatzes auf kantonaler Ebene
– Keine Obergrenze
• Zeitlich unlimitierter Steuervortrag für Steuererleichterungen, die infolge zu geringer
STEUERLICHE FÖRDERUNG VON F&E
•
•
•
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3
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6
7
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11
Streuerbasis im Entstehungsjahr nicht voll
genutzt werden können
Barauszahlung ungenutzter Steuererleichterungen für kleine Unternehmen und Startup-Gesellschaften
Möglichst weite Definition von qualifizierenden F&E-Kosten (in Anlehnung an Frascati
Manual)9
Prüfung der qualifizierenden F&E-Aufwendungen durch eine zentrale, von den Steuerbehörden unabhängige Stelle, wie z. B. die
Kommission für Technologie und Innovation
(KTI)
Der Zugang zu den steuerlichen Vorteilen
darf nicht mit unnötigen administrativen
Die F&E-Aktivitäten der Schweizer Unternehmen im
Ausland betrugen 2008 CHF 15,8 Mia. im Vergleich zu
nur noch CHF 12 Mia. in der Schweiz; vgl. KPMG, 2011,
Steuerliche Förderung von F&E in der Schweiz, S. 6.
Keuschnigg/Ribi, 2011, Volkswirtschaftliche Analyse der
steuerlichen Förderung von F&E, S. 13.
Beispielsweise Frankreich, Belgien, das Vereinigte
Königreich, Tschechien, China, Indien, Singapur, die
Vereinigten Staaten oder Kanada; vgl. Linder/Müller,
2008, Steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung, Ein Standortvergleich – Handlungsbedarf für die
Schweiz, in: Der Schweizer Treuhänder, 3/2008,
S. 149 ff.; Keuschnigg/Ribi, 2011, Volkswirtschaftliche
Analyse der steuerlichen Förderung von F&E, S. 13 ff.;
KPMG, 2011, Steuerliche Förderung von F&E in der
Schweiz, S. 19 ff.
Erhöhung der Gesamtausgaben für Forschung und Entwicklung auf 3% des EU BIP bis 2020.
Linder/Müller, 2008, Steuerliche Anreize für Forschung
und Entwicklung, Ein Standortvergleich – Handlungsbedarf für die Schweiz, in: Der Schweizer Treuhänder,
3/2008, S. 147ff.
KPMG, 2011, Steuerliche Förderung von F&E in der
Schweiz, S. 29.
OECD, 2002, Frascati Manual, Proposed Standard
Practice for Surveys on Research and Experimental
Development.
Vgl. die sogenannte «Lizenzbox» im Kanton Nidwalden.
Keuschnigg/Ribi, 2011, Volkswirtschaftliche Analyse der
steuerlichen Förderung von F&E, S. 30ff. und S. 64ff.
Hürden erschwert werden und muss transparent und praktikabel sein.
Das vorgeschlagene Modell sollte mit der
Einführung einer steuerlichen «Output»Fördermassnahme betreffend Einkünfte aus
immateriellen Werten, wie z. B. einer Lizenzbox10, kombiniert werden, damit eine ganzheitliche Innovationsförderung garantiert werden
kann.
3 Direkte Projektsubventionierung
versus indirekte steuerliche Förderung
Viele Untersuchungen zeigen, dass die gezielte
Förderung von Innovation volkswirtschaftlich
Sinn macht11. In der Schweiz werden insbesondere die Grundlagenforschung und der wissenschaftliche Nachwuchs durch Beträge in Höhe
von rund drei Milliarden Franken an die Hochschulen und den Nationalfonds staatlich unterstützt. Gefördert werden vom Nationalfonds
auch langfristig angelegte Forschungsvorhaben
zu Themen, welche für die Zukunft der schweizerischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft von strategischer Bedeutung sind.
Die anwendungsorientierte, wirtschaftsnahe
Forschung und Entwicklung wird dagegen
durch die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) gefördert. Für diese Projektförderung hatte die KTI bis anhin ein Budget von
rund 100 Millionen Franken pro Jahr. Voraussetzung für eine KTI-Finanzierung ist die Zusammenarbeit zwischen einem Unternehmen und
einer Hochschule und dass das Unternehmen
mindestens 50% des Gesamtaufwandes trägt.
Der Bundesrat hat 2011 die Mittel der KTI zwei
Mal erhöht, um die Auswirkungen der Frankenstärke für die Exportwirtschaft abzufedern. Ein
erstes Mal im Frühling um je 10 Millionen
Franken für 2011 und 2012. Ein zweites Mal im
Rahmen des 870-Millionen-Franken-Pakets um
100 Millionen Franken für 2011. Ferner wurden
auch Förderkriterien flexibilisiert.
Nr: 11/2011 Seite 847
STEUERLICHE FÖRDERUNG VON F&E
Die Projektförderung durch die KTI ist nötig,
richtig und hat sich bewährt. Nach unserer Auffassung und im internationalen Vergleich12
könnte sie betragsmässig gar ausgebaut werden.
Die KTI-Projektförderung weist aber auch
Schwächen auf. So ist die Zutrittshürde durch
das ausführliche und selektive Verfahren für viele Unternehmen hoch, der Ausgang des Verfahrens ungewiss. Zudem entscheidet der Staat als
Träger der «Forschungshoheit», welche Technologien gefördert und unterstützt werden und
welche nicht. Er hat die schwierige Aufgabe,
heute die Identifikation von zukünftig erfolgreichen Technologien vorzunehmen. Andere Projekte werden ausgeschlossen, obwohl meist unklar ist, bei welcher konkreten Technologie der
Durchbruch erzielt werden kann.
Verglichen mit den gesamten Investitionen in
Grundlagenforschung an Bildungs- und Forschungsinstituten fällt die staatliche Förderung
von unternehmerischen, marktnahen Forschungsprojekten sehr gering aus. Die indirekte,
steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung würde die existierende Projektförderung in idealer Weise ergänzen und wäre für
den Forschungsstandort Schweiz sinnvoll.
Die steuerliche Förderung von Forschung und
Entwicklung unterstützt jede Art von Investition
in Innovation und beschränkt sich somit nicht
auf bestimmte Technologien, wodurch der Einfluss des Staates auf den Inhalt der Forschung
entfällt. Im Gegenteil, sie ist offen für sämtliche
Innovation und fördert insbesondere auch
marktnahe Forschung. Sie ist nicht selektiv und
garantiert eine breite Förderung insbesondere
auch bei Klein- und Kleinstbetrieben. Dies er12
13
Keuschnigg/Ribi, 2011, Volkswirtschaftliche Analyse der
steuerlichen Förderung von F&E, S. 11.
Review of the National Innovation System, 2008,
http://pandora.nla.gov.au/pan/88661/20080917–150/
www.innovation.gov.au/innovationreview/Documents/
NIS-review-web1.pdf, S. 103.
Nr: 11/2011 Seite 848
höht auch die sogenannten «Spillover-Effekte»,
d.h. die positiven Nebenwirkungen auf andere
Unternehmen, welche mit geringerem eigenem
Aufwand neue Produkte einführen und Prozesse
verbessern können. Die finanziellen Auswirkungen der Steuermassnahmen sind zudem für die
Unternehmen besser abzuschätzen und genauer
planbar, da sie für alle Unternehmen in gleicher
Weise gelten und nicht von einem selektiven Verfahren mit ungewissem Ausgang abhängig sind.
Als Beispiel für ein erfolgreiches Modell kann das
OECD-Mitglied Australien genannt werden. 1985
wurde ein steuerliches Fördersystem eingeführt,
was zu einem rasanten Anstieg der Ausgaben für
Forschung und Entwicklung geführt hat13. Und
auch spätere Modifikationen haben unmittelbare Folgen gezeigt (Absenkung 1996, Erhöhung
2001). Es ist ersichtlich, dass das Investitionsverhalten der Unternehmen von den steuerlichen
Fördermassnahmen zeitnah beeinflusst wird.
Die hier vorgeschlagene Art der steuerlichen Förderung hat noch einen weiteren Vorteil: Sie unterstützt nur erfolgreiche Unternehmen, indem
zuerst Gewinne erwirtschaftet werden müssen,
bevor steuerliche Vorteile geltend gemacht werden können. Der Staat zahlt also nicht im Voraus, sondern reduziert seine Steuereinnahmen
in der Zukunft, sofern die F&E zu einem marktreifen Resultat und somit zu Gewinn führt. Der
Unternehmer ist somit gehalten, von Anfang an
effizient zu arbeiten, um möglichst rasch in den
Genuss des Vorteils zu gelangen. Erfolgsunabhängige Projektförderung ist folglich nur für
STEUERLICHE FÖRDERUNG VON F&E
volkswirtschaftlich besonders wertvolle Projekte
zu sprechen, die für ein Privatunternehmen zu
geringe Ertragsaussicht haben.
4 Schlussfolgerung
Wie es das Ausland zeigt, kann eine steuerliche
Förderung verhältnismässig einfach und unbürokratisch umgesetzt werden. Befürchtungen,
dass dadurch das schweizerische Steuersystem
komplizierter würde, sind unbegründet.
Die Frage der Definition der qualifizierenden
F&E-Aufwendungen ist durch die Politik zu lösen. Dabei wäre die Schweiz gut beraten, den Begriff möglichst weit zu definieren, um einen
maximalen volkswirtschaftlich positiven Effekt
zu erzielen. Eine zentrale Fachstelle wäre zu be-
stimmen, die die Anträge der Unternehmen hinsichtlich des Umfangs der qualifizierenden Forschung und Entwicklung für Bund und Kantone
zu beurteilen hätte. Die Steuerbehörden hätten
dann nur noch die bestätigte Aufwandgrösse gemäss der gesetzlichen Vorgaben in der Steuererklärung mehrfach zum Abzug zuzulassen.
Durch steuerliche Fördermassnahmen kann die
Innovationskraft eines Landes erheblich gesteigert werden. Der aus der Einführung resultierende Nettosteuerausfall wird durch zusätzlich
zu erwartende Steuereinnahmen mittel- bis längerfristig erheblich reduziert. Unter dem Strich
bleibt für die Volkswirtschaft ein klarer Nettovorteil übrig. Hohe Innovationsneigung führt zu
mehr Arbeitsplätzen, höheren Produktionsniveaus und höheren Pro-Kopf-Einkommen.
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