Klimawandel und Wachstumsdebatte. Sieben Thesen zur Notwendigkeit einer Großen Transformation1 Klaus Heidel, Werkstatt Ökonomie e.V. I. Wachstumsdebatten: trendy, aber folgenlos? Spätestens seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007-2009 und dem vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change von 2007 über die globale Erwärmung sind Debatten über Grenzen wirtschaftlichen Wachstums erneut – nach den 1970er Jahren – in Mode gekommen und haben selbst Parlamente; Regierungen und internationale Organisationen erreicht. Dennoch scheinen sie bisher die reale Politik nur wenig beeinflusst zu haben. Im offiziellen politischen Betrieb beschränkt sich die kritische Auseinandersetzung mit Wirtschaftswachstum weitgehend auf Sonntagsreden und wird nur sehr begrenzt handlungsrelevant. Dies zeigte sich im Gefolge der Staatsschuldenkrise im Euroraum deutlich, als Politiker aller Couleur und Mitgliedsländer der Eurozone auf Wirtschaftswachstum setzten. Hinzu kommt, dass kritische Wachstumsdebatten häufig begrifflich unscharf sind: Geht es um die Stagnation oder gar um einen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes? Ist mit Postwachstum ein Rückgang des Konsums gemeint? Oder sollen eingesetzte Mengen (physikalische Größen) verringert werden? Zielen die Debatten auf eine Verkürzung der Arbeitszeit? Wird gar ein Systemwechsel gefordert? Nicht zuletzt können Wachstumsdebatten zur Durchsetzung ökonomischer Interessen missbraucht werden. Ob Postwachstum, De-Growth oder Décroissance – in den letzten fünf Jahren sind in Europa die Publikationen zum Thema Wachstum explodiert. Bücher wie „Prosperity without Growth“ von Tim Jackson wurden in kürzester Zeit zu Klassikern. Zivilgesellschaftliche Initiativen fordern ein Ende des von ihnen gelegentlich so bezeichneten Wachstumswahnes. Kirchen fragen nach Werten für wirtschaftliches Handeln jenseits einer Wachstumsfixierung. Seit 2007 kam es zu einer Reihe politischer Initiativen: Im Herbst 2007 führte die EU ihre Konferenz „Beyond GDP“ durch. Im selben Jahr startete die OECD ihr „Global Project on Measuring the Progress of Societies“. Der ehemalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy setzte 2008 eine Kommission unter dem Vorsitz von Joseph E. Stiglitz und Amartya Sen ein, die alternative Maße für wirtschaftliche Entwicklung erarbeiten sollte. Im Jahr 2009 legte die Sustainable Development Commission, die die britische Regierung berät, eine wachstumskritische Studie vor. Und im November 2010 setzte der Deutsche Bundestag die Enquête-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“ ein: So unterschiedlich auch diese Initiativen im einzelnen sind – getragen werden sie alle von einem Missbehagen über ein allzu blindes Vertrauen in die Segnungen von Wirtschaftswachstum, das sich in einer Skepsis hinsichtlich der Aussagekraft des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ausdrückt: Bedeutet ein wachsendes BIP wirklich gesellschaftlichen Fortschritt und die Zunahme von Wohlstand? Diese wachstumsskeptische Haltung fand Eingang in viele politische Stellungnahmen. So meinte der damalige Bundespräsident Horst Köhler in seiner Berliner Rede von 2009: „Wir haben uns eingeredet, permanentes Wirtschaftswachstum sei die Antwort auf alle Fragen. Solange das Bruttoinlandsprodukt wächst, so die Logik, können wir alle Ansprüche finanzie1 Die folgenden Thesen wurden bei der Jahrestagung 2012 der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft sozialethischer Institute /Ethik und Gesellschaft: Wohlfahrtsindikatoren für die Postwachstumsgesellschaft? in Frankfurt/Main am 20. und 21. Januar 2012 vorgetragen. Die Schaubilder 1-23 und 29-31 wurden für das von 30 Kirchen, kirchlichen Werken und Diensten herausgegebene Jahrbuch Gerechtigkeit V: „Menschen, Klima, Zukunft. Wege zu einer gerechteren Welt“ von Klaus Heidel erarbeitet und von Julia Buschmann ([email protected]) graphisch gestaltet. Das Jahrbuch Gerechtigkeit V findet sich zum Download auf www.woek.de. ren, die uns so sehr ans Herz gewachsen sind – und zugleich die Kosten dafür aufbringen, dass wir uns auf eine neue Welt einstellen müssen. Die Finanzmärkte waren Wachstumsmaschinen. Sie liefen lange gut. Deshalb haben wir sie in Ruhe gelassen. Das Ergebnis waren Entgrenzung und Bindungslosigkeit. Jetzt erleben wir, dass es der Markt allein nicht richtet. Es braucht einen starken Staat, der dem Markt Regeln setzt und für ihre Durchsetzung sorgt.“ SB 1: Kohlenstoffdioxidemissionen: starker Anstieg in China CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger in Milliarden Tonnen, 1965 bis 2010 Doch alle diese Initiativen und Reden führten nicht zu einer Abkehr der praktischen Politik von Anmerkung: Die obigen Werte wurden mithilfe globaler durchschnittlicher Konversionsfaktoren aus dem Weltverbrauch berechnet. Sie sind nicht vergleichbar mit offiziellen nationalen Emissionsstatistiihrer Wachstumsfixierung. Im Jaken. Die von BP vorgelegten Daten beziehen weder Emissionen weiterer Treibhause ein noch berücknuar 2012 warnte die Weltbank sichtigen sie die Landnutzung und deren Veränderung. Quelle: BP (2011) wieder einmal vor rückläufigen Wachstumsraten des BIP und befürchtete, dass vor allem die Eurozone in eine Rezession geraten könnte. Auch in den dynamischen Schwellenländern schwäche sich das Wachstum ab – und in der Gleichzeitigkeit beider Entwicklungen liege eine besondere „Gefahr“, so die Weltbank. In diesem Sinne heißen dann auch die Rezepte von Weltbank, Europäischer Kommission und europäischen Regierungen angesichts der Staatsschuldenkrise im Euroraum gleichlautend: „Wachstum fördern!“ – als würde es die Debatten über Grenzen des Wachstums nicht geben. Folgenreich aber könnten die Wachstumsdebatten aus einem ganz anderen Grunde werden, denn sie könnten zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen missbraucht werden. Schon rechtfertigen zum Beispiel prinzipielle Gegner des Leistungsniveaus der deutschen Sozialsysteme ihre Kritik an demselben mit dem Hinweis auf die Grenzen des Wachstums: Der im Laufe des 20. Jahrhunderts in europäischen Industrieländern entstandene Sozialstaat sei „ein Produkt jener Zeit, mit der er erblühte und mit der er jetzt welkt“ (Meinhard Miegel, 2010). SB 2: Weltweiter Anstieg der Pro-Kopf-Emissionen von 1991 bis 2009 CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger pro Kopf in Tonnen Anmerkung: Die im Schaubild erfassten CO2-Emissionen beziehen Emissionen aus Landnutzung, Änderung der Landnutzung und Forstwirtschaft nicht mit ein. Quelle: U.S. Energy Information Administration Vor diesem Hintergrund ist mit Nachdruck an die globale Situation zu erinnern, die im Interesse von sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit – die sich in Zeiten des Klimawandels einander bedingen – zu einer kritischen Auseinandersetzung mit jeder Fixierung auf wirtschaftliches Wachstum drängt, wobei schon an dieser Stelle unterstrichen werden soll, dass sich die Frage des Wirtschaftswachstums je nach Niveau einer Volkswirtschaft unterschiedlich stellt: In Deutschland ist Wirtschaftswachstum anders zu beurteilen als in China und in China anders als in Mali. II. Klimawandel und globale Krisen als zentrale Herausforderungen SB 3: Treibhausgasemissionen 2010: die zehn größten Emittenten und Regionen Regionale Verteilung der Emissionen aller Treibhausgase in Prozent (CO2 nur aus der Verbrennung fossiler Energieträger) Der Klimawandel und die Gleichzeitigkeit weiterer globaler Krisen sind die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Immer unwahrscheinlicher Anmerkung: Erfasst sind alle Treibhausgasemissionen (Kohlenstoffdioxid, Methan, Distickstoffmonoxid [Lachgas] und andere), die CO wird es, dass Emissionen aber nur aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Aufgrund unterschiedlicher Strahlungseigenschaften und Lebensdauer in der Atmosphäre haben die Treibhausgase einen unterschiedlichen erwärmenden Einfluss. Diese Einflüsse werden mithilfe einer gemeindie globale samen Maßeinheit auf der Grundlage des Globalen Erwärmungspotentiales (GWP, auch: Treibhausgaspotential) eines Gases miteinander vergleichbar gemacht. Vom IPPC verwendet wird als Maßeinheit das CO -Äquivalent bezogen auf 100 Jahre. Erwärmung Quellen: CO -Emissionen: BP (2011); weitere Treibhausgase: U.S. Environmental Protection Agency (2011) auf 2° C über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden kann. Das aber wäre fatal. „Eine zweite Chance wird es nicht geben“, so der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2009. Doch das Bewusstsein für die Dringlichkeit einer Begrenzung der globalen Erwärmung fehlt weithin: „Bei den relevanten Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft – ebenso wie in der breiten Öffentlichkeit – ist das Bewusstsein darüber, wie wenig Zeit tatsächlich noch bleibt, um einen gefährlichen Klimawandel zu verhindern, nur in Ausnahmefällen vorhanden. Die immensen Risiken der Erderwärmung scheinen weit entfernt und abstrakt zu bleiben“, so der WBGU bereits 2009. 2 2 2 SB 4: Eine „Energiewende“ reicht zur Bekämpfung der globalen Erwärmung nicht aus Treibhausgase nach Emissionsquelle und Gas, 2004 Anmerkung: Die Gewichtung der Gase berücksichtigt ihre Wirksamkeit als Treibhausgas und ihre Verweildauer in der Atmosphäre (Globales Erwärmungs- oder Treibhausgaspotential), die für den Vergleich zugrunde gelegten CO2-Äquivalente sind bezogen auf 100 Jahre. Quellen: IPCC (2008); für Treibhausgase außer CO2: U.S. Environmental Protection Agency (2011) Die Klimakrise steht in einem engen und wechselseitigen Zusammenhang mit weiteren globalen Krisen. Das erzwingt systemische Antworten. Zugleich erfordert die Klimakrise rasches Handeln: Spätestens zwischen 2015 und 2020 muss der absolute weltweite Ausstoß von Treibhausgasen deutlich zu sinken beginnen. Nur dann kann es gelingen, die globale Erwärmung auf 2°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Nur wenn dieses von der UNKlimakonferenz in Cancún im Dezember 2010 anerkannte Ziel erreicht wird, können die Folgen des Klimawandels gerade noch beherrschbar bleiben, obwohl auch eine Erwärmung um 2°C bereits negative Auswirkungen haben und einige Inseln und dicht besiedelte Küstenregionen unbewohnbar machen wird. SB 5: Schlechte Aussichten: Projektion der globalen CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bis 2035 Referenzfall, CO2-Emissionen in Millionen Tonnen Doch in den letzten Jahrzehnten sind die globalen CO2-Emissionen beständig gestiegen und erreichten 2010 ihr Rekordniveau (vgl. Schaubild 1). Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) sei dabei der Anstieg von 2009 auf 2010 mit weltweit 1,6 Milliarden Tonnen so hoch wie noch nie seit Beginn der MessunQuellen: U.S. Energy Information Administration (2011); IPCC (2008) gen ausgefallen. Auch die ProKopf-Emissionen sind im Weltdurchschnitt in den letzten zwei Jahrzehnten gewachsen, nämlich um 11,2 Prozent (Schaubild 2). In vielen Industrieländern waren sie lediglich leicht rückläufig, dafür stiegen sie in einigen Schwellenländern wie Brasilien und China kräftig, ohne aber das Niveau der Pro-KopfEmissionen in den Industrieländern zu erreichen, was im Blick auf Klimagerechtigkeit bedeutsam ist. Noch dramatischer stellt sich die Situation dar, wenn wir bedenken, dass es nicht nur um CO2-Emissionen geht (Schaulbild 4), denn diese machten 2004 nur etwas über 56 Prozent aller Treibhausgasemissionen aus: Die Bekämpfung der globalen Erwärmung kommt also viel zu langsam voran. Deshalb bezweifelte die IEA schon Ende Mai 2011, dass das 2°-Ziel überhaupt noch erreicht werden könnte. Selbst wenn jetzt umfassendere Maßnahmen zur Absenkung der Treibhausgasemissionen als bisher beschlossen würden, wäre eine Erwärmung um mindestens 2,5 oder 3°C nicht mehr auszuschließen. Die Welt ist also klimapolitisch nicht auf Kurs. Und die Aussichten sind düster, wie Schaubild 5 zeigt: Es folgt Angaben der US-amerikanischen Behörde zur Beobachtung des Energiemarktes (U.S. Energy Information Administration). Sie legte im Jahre 2011 Projektionen der Emissionsentwicklung vor. Grundlage einer der Projektionen war die Annahme, dass sich bisherige Trends fortsetzen und die bis Ende 2010 veröffentlichten SB 6: Dramatischer Anstieg chinesischer Emissionen wahrscheinlich: Projektion der CO2-Emissionen Ankündigungen von Staaten über Emissionsreduzierungen umgebis 2035 Ausgewählte Länder, Emissionen aus der Verbrennung fossi- setzt würden (Referenzfall). Die auf dieser Grundlage erstellte ler Energieträger, Referenzfall Projektion zeigt einen dramatischen Anstieg der CO2Emissionen von 2005 bis 2035 um 53 Prozent, der vor allem durch Nicht-OECD-Länder verursacht würde. Würde diese Projektion Wirklichkeit, wären die Folgen der Erwärmung katastrophal. Nach dieser Projektion würden die CO2-Emissionen in den europäischen OECD-Ländern stagnieren, in den USA leicht und in China Quelle: U.S. Energy Information Administration (2011) dramatisch wachsen (vgl. Schaubild 6). SB 7: Die Industrieländer und China müssen ihre Emissionen drastisch reduzieren Emissionen im Zeitraum 2010 bis 2050 bei jährlichen Emissi- Wie weit die Welt von einer ausonen wie 2009 und Emissionsbudget 2010 bis 2050, Milliarreichenden Begrenzung der gloden Tonnen CO2 aus fossilen Quellen balen Erwärmung entfernt ist, zeigte der WBGU 2011: Er ging davon aus, dass es nur dann möglich sein wird, die globale Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln auf 2° C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, wenn weltweit im Zeitraum 2010 bis 2050 nicht mehr als 750 Milliarden Tonnen CO2 aus der Verbrennung fossiler Energieträger emittiert werden. Unterstellt, dass alle Menschen Quellen: Bevölkerung: Worldbank, World Development Indicators; Emissionen 2009: International ein gleiches Recht auf Zugang zu Energy Agency (2011); Emissionsbudget: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011) Energie und auf gleichberechtigte Nutzung der Atmosphäre haben, lassen sich auf der Grundlage dieser Schätzung ein persönliches Emissionsbudget und Emissionsbudgets der Länder in Abhängigkeit ihrer Bevölkerungszahl ableiten (BudgetAnsatz des WBGU). Danach hätten in Deutschland die jährlichen CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2050 nicht über 0,2 Milliarden Tonnen liegen dürfen, doch im Jahre 2009 stieß Deutschland 0,8 Milliarden Tonnen CO2 aus (vgl. Schaubild 7). Zwar ist der Durchschnittswert für den Zeitraum von vierzig Jahren lediglich ein statistischer und kein realer Wert, doch er zeigt an, wie sehr Deutschland seine Emissionen verringern muss, um den notwendigen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung zu leisten. Auch die anderen Industrieländer und China müssten ihre Emissionen drastisch reduzieren. Die Länder in Afrika südlich der Sahara aber könnten ihre Emissionen ausweiten, was angesichts der Notwendigkeit, dass in diesen Ländern die Wirtschaft wächst, auch erforderlich ist. Die Industrieländer leben also über ihre Verhältnisse, was ein nachhaltiges Emissionsbudget betrifft. Dies zeigt Schaubild 8: Würde Deutschland seine CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger nicht reduzieren (sondern auch künftig so viel Kohlenstoffdioxid emittieren wie 2009), dann wäre sein Emissionsbudget bereits im SB 8: Das CO2-Budget der USA wäre bereits 2016 Jahre 2022 erschöpft, wenn wir erschöpft Reichweite des Emissionsbudgets bei jährlichen CO2den vom WBGU entwickelten Emissionen wie 2009 Budgetansatz zugrunde legen. Mit anderen Worten: im Jahre 2022 wäre Deutschland „kohlenstoffinsolvent“, im selben Jahr wie Japan. Das US-amerikanische Budget wäre bereits 2016 aufgebraucht, und China dürfte – wenn es weiterhin so viel CO2 ausstoßen würde wie 2009 – bereits 2029 kein Kohlenstoffdioxid mehr in die Luft blasen. Angesichts der projektierten Steigerungen der Emissionen der Industrieländer Quelle: Bevölkerung: Worldbank, World Development Indicators; Emissionen 2009: International und Chinas machen diese HinEnergy Agency (2011); Emissionsbudget: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale weise das Ausmaß des notwendiUmweltveränderungen (2011) gen Umsteuerns deutlich. Das brasilianische Budget aber würde – Emissionen wie 2009 unterstellt – bis 2060 und das Afrikas südlich der Sahara sogar bis 2139 reichen. SB 9: Seit 1986 leben wir über unsere Verhältnisse: Der Earth Overshoot Day ist immer früher im Jahr Wie sehr wir in den Industrieländern über unsere Verhältnisse leben, illustriert Schaubild 9: Es zeigt, dass seit Ende der 1980er Jahre natürliche Ressourcen rascher verbraucht werden, als sie regeneriert werden können, und die Emission von KohlenstoffdioAnmerkungen: Der Earth Overshoot Day oder der Ecological Debt Day kann als der Tag verstanden xid übersteigt die Aufnahmekapawerden, an dem der ökologischen Fußabdruck der Menschheit größer wird als die Biokapazität der Erde (Kapazität, Ressourcen zu produzieren und Abfall unter Einschluss von Treibhausgasen aufzuzität der Erde. Die Menschheit nehmen; hierbei gehen in die Berechnung der Biokapazität dieselben Bereiche der Biosphäre ein wie in die Berechnung des ökologischen Fußabdruckes.). verbraucht also die ökologischen Quellen: Global Footprint Network; New Economics Foundation Ressourcen, die für ein Jahr zur Verfügung stehen, in weniger als zwölf Monaten. Die britische New Economics Foundation und das Global Footprint Network haben den Tag, an dem die Menschheit all jene Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde in einem Jahr bereit stellen kann, als Earth Overshoot Day oder Ecocological Debt Day bezeichnet. Dieser Tag ist Jahr für Jahr früher im Jahr: 1987 war er am 18. Dezember, 2010 am 21. August. Aufgrund einer neuen Berechnungsmethode wurde der Earth Overshoot Day im Jahr 2011 für den 23. September erwartet. Daher bedeutet der Umstand, dass der Earth Overshoot Day 2011 einige Wochen später als 2010 war, keinesfalls eine Verkleinerung des ökologischen Fußabdruckes. Dass sich in vielen Ländern die Übernutzung der Ökosysteme und damit der Raubbau an der Natur verschärfte, zeigt ein Vergleich des ökologischen Fußabdruckes mit der Biokapazität der Jahre 1961 und 2007: In Deutschland nahm die Biokapazität pro Kopf von 2,32 auf 1,92 globale Hektar und damit um 17,0 Prozent ab, der ökologische Fußabdruck aber stieg um 42,0 Prozent von 3,58 auf 5,08 globale Hektar pro Kopf (Schaubild 10). Noch dramatischer verlief die Entwicklung in den USA, dort sank die Biokapazität pro Kopf um 43,0 Prozent, der ökologische Fußabdruck wurde aber um 54,0 Prozent größer. Spitzenreiter der Ausbeuter natürlicher Ressourcen sind die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), dort lag der ökologische Fußabdruck pro Kopf 1961 bei dem 4,5fachen der Biokapazität, 2007 aber bei dem 12,6fachen – würden alle Menschen so leben wie in den SB 10: Die Übernutzung der Erde nimmt zu VAE, wären also 12,6 Erden nöÖkologischer Fußabdruck und Biokapazität in globalen Hektig. Doch nicht nur reiche Länder tar pro Kopf, 1961 und 2007 übernutzen die Biosphäre, wie das Beispiel Kenias zeigt: dort machte der ökologische Fußabdruck pro Kopf 1961 nur 91,7 Prozent der Biokapazität pro Kopf aus, 2007 aber waren es 187,1 Prozent. Quelle: Global Footprint Network (2010) III. Die globale Erwärmung hat „etwas“ mit Wachstum zu tun Leistungsstarke Volkswirtschaften stoßen deutlich mehr Treibhausgase aus als arme Länder. Daran hat auch eine verbesserte Kohlenstoffintensität der Wirtschaft – unter anderem aufgrund von Effizienzsteigerungen und des Einsatzes erneuerbarer Energien – nur unzureichend etwas geändert: Ob und in welchem Maße Grünes Wachstum möglich ist, muss offen bleiben (und hängt auch ein wenig von der Definition grünen Wachstums ab). Noch gibt es gute Gründe für die Annahme, dass in den meisten Ländern wirtschaftliches Wachstum eine ausreichende Reduktion der Emissionen verhindert. Hinzu kommt, dass auch künftig der wachsende Energieverbrauch zu großen Teilen fossil befriedigt wird. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum (Wachstum des BIP) und CO2Emissionen ist strittig. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass bisher eine absolute Entkopplung von wirtschaftlichem Wachstum und Emissionen allenfalls in engen Grenzen möglich war. SB 11: Pro-Kopf-Emissionen in armen Ländern sehr niedrig Zunächst ist natürlich festzustellen, dass Menschen in reichen Ländern wesentlich höhere Emissionen verursachen als die in armen Ländern, wie Schaubild 11 zeigt: Die Pro-KopfEmissionen in reichen Ländern mit einem BIP pro Kopf von über 20.000 internationalen Dollar lagen 2008 bei über fünf Tonnen. In fast allen 40 Ländern mit einem BIP pro Kopf von unter 2.000 Anmerkungen: (1) Die im Schaubild erfassten CO -Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger beziehen Dollar aber betrugen Emissionen aus Landnutzung, Änderung der Landnutzung und Forstwirtschaft nicht mit ein. (2) Um das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft vergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte die CO2-Emissionen auszublenden, wird es in Kaufkraftparitäten (hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeben. (3) Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden Länder mit einem BIP pro Kopf von über 50.000 internationalen Dollar (Katar, Luxemburg und pro Kopf weniger als die Vereinigte Arabische Republik) und mit Pro-Kopf-Emissionen von über 20 Tonnen (Bahrein, Brunei, Katar, Kuwait, Luxemburg, Trinidad und Tobago und Vereinigte Arabische Republik) nicht in das Schaubild aufgenommen. 0,5 Tonnen. Doch mit Quelle: UNDP: International Human Development Indicators steigendem volkswirtschaftlichem Reichtum nimmt die Streuung der Emissionshöhe zu, der Zusammenhang von Wirtschaftskraft und Emissionen wird schwächer: In El Salvador lagen das BIP pro Kopf bei 6.270 internationalen Dollar und die Pro-Kopf-Emissionen bei einer Tonne, im ähnlich armen Erdöl- und Erdgasland Turkmenistan (BIP pro Kopf: 6.169 Dollar) erreichten die Pro-Kopf-Emissionen 9,5 Tonnen – dort können Gas und Strom kostenlos genutzt werden. Das deutsche BIP pro Kopf betrug 33.758 internationale Dollar und die Emissionen pro Kopf beliefen sich auf 9,6 Tonnen, in Australien – mit einem BIP pro Kopf von 34.522 Dollar ähnlich reich wie Deutschland – verursachten die Bewohner die höchsten in Schaubild 11 erfassten Pro-Kopf-Emissionen: 19,0 Tonnen. Wie emissionsintensiv eine Volkswirtschaft ist, hängt auch, aber eben nicht nur vom Produktions- und Konsumniveau ab. CO2-Emissionen in Tonnen pro Kopf und Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in konstanten internationalen 2005 Dollar, 2008 2 Entscheidend für den Zusammenhang von Wachstum und Emissionen ist die Kohlenstoffintensität der Wirtschaft: Sollen CO2-Emissionen trotz Wirtschaftswachstum reduziert werden, muss die Kohlenstoffintensität des BIP (Emissionen pro Einheit BIP) deutlich sinken (absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen). Dies ist aber global nicht in ausreichendem Maße der Fall, wie Schaubild 12 zeigt. Lediglich in China konnten von 1980 bis 2001 deutliche Fortschritte erzielt SB 12: Kohlenstoffintensität der Wirtschaft sinkt zu werden. Allerdings war dort die langsam Ausgangslage katastrophal: Im CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger Jahr 1980 verursachte jeder erin Kilogramm pro Einheit Bruttoinlandsprodukt (in internatiowirtschaftete Dollar CO2nalen Dollar von 2005), 1980 bis 2009 Emissionen in Höhe von 2,8 Kilogramm (zum Vergleich: in Deutschland waren es 0,5 Kilogramm je Einheit BIP). Bis 2001 sank dieser Wert auf 0,8 Kilogramm – eine Folge der gewaltigen technologischen Modernisierung Chinas und der Maßnahmen zur Energieeinsparung. Aber nach 2001 stieg die Kohlenstoffintensität der chinesischen Wirtschaft wieder und liegt noch immer weit über dem Niveau westlicher Industrieländer. Diese verbesserten Anmerkungen: (1) Die im Schaubild erfassten CO -Emissionen beziehen Emissionen aus der Landnutzung, ihrer Änderung und der Forstwirtschaft nicht mit ein. (2) Um das Bruttoinlandsprodukt die Kohlendioxidbilanz ihrer Wirtvon Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft vergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte wird es in Kaufkraftparitäten (hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeschaft nur mäßig – trotz energieef- auszublenden, ben. fizienterer Technologien, trotz Quelle: U.S. Energy Information Administration Energiesparmaßnahmen und trotz erneuerbarer Energien. Hält dieser Trend an, werden Wirtschaftswachstum und ausreichende Reduktion der Treibhausgase nur in wenigen Ländern vereinbar sein. 2 Dies gilt selbst für positive Beispiele wie Deutschland: Obgleich hier die Wirtschaft von 1980 bis 2008 deutlich gewachsen ist, fielen die CO2-Emissionen pro Kopf um 27,7 Prozent (vgl. Schaubild 13). Es gelang also eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen. Dies hatte mehrere Gründe: Die Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft ging weiter, unter anderem durch Produktionsverlagerungen in das Ausland (1980 trugen die Dienstleistungen rund 57 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei, 2010 waren es 73 Prozent), energieeffizientere Technologien SB 13: Deutschland: Emissionsrückgang trotz Wirt- wurden eingeführt und Energiesparmaßnahmen griffen, um nur schaftswachstum Einiges zu nennen. Hinzu kam die Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftparitäten (internationale Dollar von 2005) und CO2-Emissionen pro Kopf in Stilllegung emissionsintensiver Tonnen, 1980 bis 2010 Fabriken und Kraftwerke im Gebiet der früheren DDR. Dennoch aber – und das ist entscheidend – war der Rückgang nicht ausreichend zur Erreichung von Reduktionszielen. Zudem stiegen die Emissionen nach der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 wieder an. Ähnlich verlief die Entwicklung in der gesamten Europäischen Union (EU): Auch hier war zwar eine absolute Entkopplung möglich, die jedoch weitgehend der Stilllegung von Produktionsstätten in den ehemals kommunistischen StaaAnmerkungen: (1) Die im Schaubild erfassten CO -Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger beziehen Emissionen aus Landnutzung, Änderung der Landnutzung und Forstwirtschaft ten mit hohen Emissionen zu nicht mit ein. (2) Um das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft vergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte auszublenden, wird es in Kaufkraftparitäten danken war. Doch auch in der EU (hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeben. (3) Alle Werte für das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. konnte eine auch nur einigermaQuellen: Emission: BP Statistical Review of World Energy June 2011; Bevölkerung und BIP pro Kopf: ßen ausreichende Reduktion der World Bank: World Development Indicators 2 Treibhausgase nicht erreicht werden, denn der Emissionsrückgang betrug lediglich magere 2,3 Prozent. SB 14: USA: Wirtschaftswachstum hält Emissionen fast konstant Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftparitäten (internationale Dollar von 2005) und CO2-Emissionen pro Kopf in Tonnen, 1980 bis 2010 In den USA lässt sich eine schwach ausgeprägte absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionshöhe seit 2000 beobachten – trotz steigendem BIP pro Kopf fielen die Emissionen pro Kopf leicht – doch der Emissionsrückgang war viel zu gering, um Klimaschutzziele zu erreichen (vgl. Schaubild 14). Weit entfernt von einer absoluten Entkopplung sind einige Schwellenländer: In Südafrika (Schaubild 15) verharren die Emissionen bei Anmerkungen: (1) Die im Schaubild erfassten CO -Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger beziehen Emissionen aus Landnutzung, Änderung der Landnutzung und Forstwirtschaft nur mäßigem Wirtschaftswachsnicht mit ein. (2) Um das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft vergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte auszublenden, wird es in Kaufkraftparitäten tum auf relativ hohem Niveau, da (hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeben. dort die Kohlenstoffintensität der Quellen: Emission: BP Statistical Review of World Energy June 2011; Bevölkerung und BIP pro Kopf: World Bank: World Development Indicators Wirtschaft kaum zurück geht – unter anderem ist hierfür der hohe Anteil der Kohlekraftwerke an der Stromerzeugung verantwortlich. 2 In China (Schaubild 16) wuchsen die Emissionen bis 2000 zwar deutlich langsamer als das BIP pro Kopf – eine Folge der technologischen Modernisierungen –, seither aber nahm die Kohlenstoffintensität der chinesischen Volkswirtschaft kaum noch ab: BIP und Emissionen stiegen nach 2000 nahezu gleich stark an. Setzt sich dieser Trend fort, wird China sein Reduktionsziel nicht erreichen können. Selbst wenn die CO2-Intensität der Volkswirtschaft im Reich der Mitte bis 2050 auf ein Zehntel des heutigen Niveaus verringert werden könnte, würde China dennoch – ein mäßiges Wirtschaftswachstum vorausgesetzt – im Jahre 2050 etwa so viel Kohlendioxid wie heute ausstoßen (vgl. auch Schaubild 24). SB 15: Südafrika: wachsende Wirtschaft, hohe Emissionen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftparitäten (internationale Dollar von 2005) und CO2-Emissionen pro Kopf in Tonnen, 1980 bis 2010 Anmerkungen: wie Schaubild 14 Quellen: wie Schaubild 14 Vor diesem Hintergrund sieht das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) einen deutlichen Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Wachstum und stellt fest, Hauptursache für den Anstieg der Emissionen sei, „dass mehr Menschen mehr Waren konsumieren – auch wenn die Produktion selbst im Schnitt effizienter geworden ist“ (Human Development Report 2011). Nach UNDPBerechnungen trug in den westlichen Industrieländern (in der UNDP-Klassifizierung: Länder mit sehr hoher menschlicher Entwicklung) die Zunahme des BIP pro Kopf zu 233 Prozent zum Emissionsanstieg von 1970 bis 2007 bei und hätte folglich zu einem weit- aus höheren Anstieg der Emissionen führen müssen, hätte nicht der technische Fortschritt eine starke Verringerung des CO2Ausstoßes pro Einheit des BIP (CO2-Intensität) ermöglicht (vgl. Schaubild 17). Lediglich in Ländern mit niedriger menschlicher Entwicklung (das sind vor allem afrikanische Länder) ist der Bevölkerungsanstieg Hauptursache der Emissionszunahmen – dort hat die CO2-Intensität nicht ab-, sondern zugenommen, eine deutliche Begleiterscheinung von gesamtwirtschaftlichen Wachstumsprozessen, die sich (ökologisch) rückständiger Technologien bedienen (müssen). SB 16: China: Starkes Wirtschaftswachstum treibt Emissionen in die Höhe Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftparitäten (internationale Dollar von 2005) und CO2-Emissionen pro Kopf in Tonnen, 1980 bis 2010 Anmerkungen: wie Schaubild 14 Quellen: wie Schaubild 14 Diese Befunde sind gegen Modelle einer Grünen Volkswirtschaft (Green Economy) geltend zu machen, die auf Grünes Wachstum setzen und keinen unüberwindbaren Zielkonflikt zwischen BIP-Wachstum und drastischer Verringerung der Treibhausgase sehen. Doch bei einem globalen Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent müsste die CO2-Intensität der Wirtschaftsleistung weltweit mindestens doppelt so schnell sinken wie in der Vergangenheit, um den CO2-Ausstoß im Zeitraum 2010 bis 2050 so zu begrenzen, dass das 2°-Ziel noch mit einer Wahrscheinlichkeit von zwei Dritteln erreicht wird. Eine solcherart umfassende absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen zeichnet sich bisher aber selbst in umwelttechnologisch hoch entwickelten Ländern wie Deutschland nicht ab. Offenbar hat die angestrebte Entkoppelung Grenzen. Oft genannt werden die ReboundEffekte: Die durch Einsparungen von Energie und weiteren Ressourcen (aufgrund von Effizienzsteigerungen) ermöglichten Ausgabensenkungen werden teilweise zur Ausweitung des Konsums genutzt und dadurch CO2-Reduktionen zum Teil rückgängig gemacht. Führt die sinkende Energienachfrage zu sinkenden Energiekosten, können eingesparte Mittel für zusätzlichen Konsum eingesetzt werden. Ist der Markt ungesättigt SB 17: Wirtschaftswachstum Hauptursache für die – etwa in Entwicklungsländern – Zunahme der CO2-Emissionen von 1970 bis 2007 kann der Rebound-Effekt sogar Anteile in Prozent an der Gesamtzunahme der Emissionen bei über 100 Prozent liegen aus der Verbrennung fossiler Energieträger („backfiring“). Weiter ist der forcierte Umbau der Industrieländer hin zu bloßen Dienstleistungsgesellschaften, den Modelle Grünen Wachstums vorsehen, nur in Grenzen möglich. Vor allem stellt die bloße Auslagerung von Produktionsbereichen in Drittländer und damit die Verlagerung von Quellen für Treibhausgasemissionen keinen Beitrag zur Bekämpfung der globalen Erwärmung dar. Anmerkung: Die Daten des obigen Schaubildes wurden mithilfe einer vereinfachten Variante der Kaya-Identität ermittelt. In jeder Ländergruppe ergibt die Summe aller drei Säulen 100. Quelle: United Nations Development Programme (2011) SB 18: Energiehungrige Welt Energieverbrauch in Gigatonnen Öläquivalent, 1971 bis 2009 Anmerkung: Ein Öläquivalent (OE) ist die Energie, die in einem Kilogramm Rohöl enthalten ist, nämlich 10.000 Kilokalorien (oder 41,86 Megajoule). Eine Gigatonne entspricht einer Milliarde Tonnen. Quelle: Weltbank: World Development Indicators SB 19: Trotz Energiesparmaßnahmen sinkt der Energieverbrauch in Industrieländern nur langsam Energieverbrauch pro Kopf in Kilogramm Öläquivalent, 1960 bis 2010 Anmerkung: Öläquivalent (OE) siehe Schaubild 18. Quelle: Weltbank, World Development Indicators SB 20: Energieverbrauch wächst auch künftig Weltenergieverbrauch nach Regionen 2006 bis 2035, Referenzfall, Billiarden BTU Anmerkungen: (1) Eine BTU (British Thermal Unit) ist die Energie, die benötigt wird, um ein britisches Pfund Wasser um ein Grad Fahrenheit zu erwärmen. Da diese Energie je nach Temperatur unterschiedlich ist, wurde international eine BTU als 1.055,0558 Joule definiert. Eine Million BTU entspricht 0,025219 Tonnen Öläquivalent. (2) Die U.S. Energy Information Administration zählt zu den asiatischen OECD-Mitgliedsländern auch Australien und Neuseeland. Quelle: U.S. Energy Information Administration (2011) Diese skeptische Sichtweise wird bestätigt, wenn wir die Entwicklung des Weltenergieverbrauches betrachten: Er hat sich von 1971 bis 2009 mehr als verdoppelt (vgl. Schaubild 18), wobei der Verbrauch im Jahre 2009 aufgrund der Weltwirtschaftskrise um rund ein Prozent unter dem Vorjahresverbrauch lag – ein Hinweis auf den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch. Dieser Zusammenhang wird im Blick auf die dynamischen Volkswirtschaften Ostasiens besonders deutlich, dort hat sich der Energieverbrauch mehr als verdreifacht. Allerdings ist in vielen Industrieländern der Pro-Kopf-Verbrauch von Primärenergie seit den 1980er Jahren nicht mehr gestiegen, wie Schaubild 19 am Beispiel der USA und Deutschlands zeigt. Dort aber, wo beträchtlicher Nachholbedarf besteht – etwa in Brasilien und China – nahm der Pro-Kopf-Energieverbrauch von 1970 bis 2010 deutlich zu, ohne jedoch auch nur annähernd das Niveau des Energieverbrauches pro Kopf in den Industrieländern zu erreichen. Auch deshalb sind in den nächsten Jahrzehnten beträchtliche Steigerungsraten des Energieverbrauches in Schwellenländern zu erwarten. Dies zeigt eine Projektion der U.S. Energy Information Administration (US EIA) (Referenzfall) aus dem Jahre 2011 (vgl. Schaubild 20). Danach würde der Energieverbrauch in den asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer (im Schaubild: „übriges Asien“) von 2006 bis 2035 um 147 Prozent wachsen. Steigerungsraten mit jeweils über 80 Prozent wären auch für den Mittleren Osten, Afrika und Lateinamerika zu erwarten, allerdings auf einem im Weltvergleich nied- SB 21: Auch künftig kein Abschied von fossilen Brennstoffen? Weltenergieverbrauch nach Energiequellen 2006 bis 2035, Referenzfall, Billiarden BTU Anmerkung: BTU wie Schaubild 20. Quelle: U.S. Energy Information Administration (2011) SB 22: In Europa werden erneuerbare Energiequellen nur langsam fossile Brennstoffe ersetzen Energieverbrauch nach Energiequellen 2006 bis 2035 in den europäischen OECD-Mitgliedsländern, Referenzfall, Billiarden BTU Anmerkungen: BTU wie Schaubild 20. Quelle: U.S. Energy Information Administration (2011) SB 23: Verbrauch fossiler Brennstoffe in Asien von 2008 bis 2035 mehr als verdoppelt Energieverbrauch nach Energiequellen 2006 bis 2035 in den asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländern, Referenzfall, Billiarden BTU rigen Niveau. In den europäischen Industrieländern würde der Energieverbrauch um 13 und in den USA um 21 Prozent zulegen. Problematisch wäre dieser gewaltige Anstieg des Energieverbrauches, wenn er nach wie vor zu großen Teilen fossil gedeckt würde. Und genau dies dürfte der Fall sein, wenn wir einer Projektion der US EIA folgen (vgl. Schaubild 21). Sie geht von dem Referenzfall aus, der annimmt, dass sich bisherige Verbrauchsund Technologietrends fortsetzen und nationale Energiepolitiken nicht wesentlich geändert werden. Nach dieser Projektion würde der Verbrauch fossiler Brennstoffe von 2006 bis 2035 um rund 50 Prozent steigen, ihr Anteil an allen Energiequellen wäre lediglich leicht rückläufig (79 Prozent 2035 gegenüber 84 Prozent 2006). Selbst in Europa könnte von einer ausreichenden Energiewende nicht die Rede sein: Zwar würden erneuerbare Energiequellen immer wichtiger werden, doch deren Anteil am gesamten Energieverbrauch der europäischen OECD-Länder hätte sich lediglich von neun Prozent in 2006 auf 18 Prozent in 2035 verdoppelt – ein Anstieg, der in keiner Weise dem Anspruch einer Energiewende genügen würde (Schaubild 22). In den asiatischen Entwicklungsund Schwellenländern aber würde sich der Verbrauch fossiler Brennstoffe von 2006 bis 2035 mehr als verdoppeln und von 109 auf 247 Billiarden BTU ansteigen, wenn wir der Projektion der US EIA (Referenzfall) folgen (vgl. Schaubild 23). Danach würAnmerkung: BTU wie Schaubild 20. den die asiatischen Nicht-OECDQuelle: U.S. Energy Information Administration (2011) Länder 2035 rund 83 Prozent des gesamten Energiebedarfes durch Kohle, Öl und Gas decken (2006 waren es 90 Prozent). Würde diese Projektion Wirk- lichkeit werden, wäre dies im Blick auf die Bekämpfung der globalen Erwärmung verhängnisvoll. Zwar würde nach der Projektion auch der Verbrauch erneuerbarer Energien steigen (so wie der der Kernkraft), dennoch wäre eine Verabschiedung vom fossilen Zeitalter in weite Ferne gerückt. IV. China: Zielkonflikt zwischen Wachstumsorientierung und Emissionsreduktion Die Grenzen einer absoluten Entkopplung von ökonomischer Aktivität und Ressourcenverbrauch, von Wirtschaftswachstum und Emissionsniveau prägen auch die wirtschaftliche Entwicklung dynamischer Schwellenländer. Dies gilt in besonderer Weise für China, das auf rasches grünes Wachstum zur sozialen und ökonomischen Entwicklung des Landes setzt. Doch trotz beachtlicher Anstrengungen für Umwelt- und Klimaschutz werden die chinesischen CO2-Emissionen nicht nur nicht zurück gehen, sondern vermutlich wachsen. Damit zeigt der Entwicklungspfad des weltgrößten Emittenten von Treibhausgasen das sozial-, wirtschafts- und klimapolitische Dilemma, vor dem dynamische Schwellenländer stehen. Die Folgen der globalen Erwärmung sind in China unübersehbar und der Klimawandel ist im Reich der Mitte in aller Munde. Das Schmelzen der Himalaya-Gletscher, die Ausbreitung von Wüsten, die Zunahme extremer Wetterereignisse und die bedrohliche Luftverschmutzung in den Megametropolen haben längst zu entschiedenen Klimaschutzbemühungen der chinesischen Regierung und der Behörden auf Landes- und Provinzebene geführt. Längst sind in China erneuerbare Energien auf dem Vormarsch: Im Jahr 2009 wurde China weltgrößter Markt für Windenergie, weltgrößter Produzent von Windturbinen und überholte Deutschland als zweigrößter Hersteller von Windrädern, nur SB 24: Klimawandel ein Thema in China Chinadialogue – eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Beijing, London und San Francisco im Netz Quelle: http://www.chinadialogue.net/article/show/single/en/4618 noch übertroffen von den USA. Heute ist China der weltgrößte Hersteller von Sonnenkollektoren und fertigt 40 Prozent aller neuen Sonnenkollektoren in der Welt. China hat die weltgrößte Kapazität an Wasserkraft. Im Jahr 2009 investierten private Haushalte und Unternehmen nahezu 35 Milliarden USDollar in chinesische Projekte für erneuerbare Energie – in den USA betrugen die entsprechenden Investitionen 19 Milliarden US-Dollar. Bald nach der Jahrtausendwende setzte eine wissenschaftliche Debatte über Indikatoren für wirtschaftliche Entwicklung ein, da das Misstrauen in die Aussagekraft des BIP zunahm: Wirtschaftswachstum als schlichtes BIP-Wachstum wurde je länger desto mehr als unzureichender Indikator empfunden. Im Jahre 2006 legte die chinesische Regierung ein „grünes BIP“ vor und machte dabei öffentlich, dass sich die Kosten der Umweltbelastungen auf etwa acht bis zwölf Prozent des chinesischen BIP beliefen. Das National Bureau of Statistics und zwei Universitäten stellten 2010 einen Grünen Entwicklungsindex vor. Im August 2011 löschte die Provinzregierung von Hebei zwei klassische Indikatoren aus dem Satz der Indikatoren zur Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung – nämlich „Wachstumsrate des BIP pro Kopf“ und „Anlagevermögen und Wachstumsraten für Städte und Gemeinden“ – und fügte stattdessen soziale und ökologische Indikatoren ein, darunter auch den Grad der Emissionsreduktion. Auch zivilgesellschaftliche Akteure setzen sich verstärkt für Klimaschutz ein. So etwa die Nichtregierungsorganisation Chinadialogue mit Sitz in Beijing, London und San Francisco. SB 26: China: Umweltkarten zivilgesellschaftlicher Akteure prangern Umweltverschmutzung an Die Karte der Luftverschmutzung des Institute of Public & Environmental Affairs (IPE) Quelle: http://www.ipe.org.cn/en/pollution/corporation.aspx Auf ihrer Website www.chinadialogue.net berichtet sie in englischer und chinesischer Sprache über Umweltkatastrophen und Umweltschutz, über Luftverschmutzung und Klimaschutz und über zivilgesellschaftliche Aktivitäten und Debatten (vgl. Schaubild 24). Sie präsentiert interaktive Karten zum Stand der Umweltverschmutzung (vgl. Schaubild 25) und prangert Unternehmen wie lokale und regionale Behörden offen an. Auf diese Weise wird Chinadialogue zu einem der Kristallisationspunkte für die rasch zunehmenden zivilgesellschaftlichen Klimaschutzaktivitäten. Nichtregierungsorganisationen haben Netzwerke gegründet und führen Kampagnen durch, veröffentlichen Studien und bieten auf Websites Rechner zur Berechnung des individuellen ökologischen Fußabdruckes an. Doch trotz aller offiziellen und zivilgesellschaftlichen Debatten und Anstrengungen für mehr Umwelt- und Klimaschutz ist China noch immer weit entfernt von einem nachhaltigen Entwicklungspfad: Noch kommen 70 Prozent der Energie aus der Nutzung von Kohle, noch setzt China auf Kernkraft: Zwischen 2010 und 2020 wird China den größten Teil der in der Welt neu gebauten Kernkraftwerke errichten. In den wuchernden Metropolen kollabiert der Individualverkehr. Die chinesische Regierung vertraut weiter auf rasches wirtschaftliches Wachstum, auf mehr Produktion, mehr Konsum, mehr Verkehr. Nur so hofft sie die eklatanten sozialen und regionalen Disparitäten im Land überwinden zu können – Grundvoraussetzung für den brüchig gewordenen Zusammenhalt der chinesischen Gesellschaft und die prekäre Stabilität des politischen Systems. Noch vertrauen Provinzverantwortliche auf die Segnungen eines raschen BIP-Wachstums und vergleichen mithilfe dieses fragwürdig gewordenen Indikators die Entwicklung von Provinzen. Millionen Tonnen CO 2 Selbst Nichtregierungsorganisationen glauben mehrheitlich an Wirtschaftswachstum: Sie sind weit entfernt von europäischen Debatten über die Grenzen des Wachstums oder über „Wohlstand ohne Wachstum“ (Tim Jackson). Im Gegenteil, sie sehen Wohlstand und Wachstum als zwei Seiten einer Medaille. Das Tianjin Statement vom Oktober 2010 – veröffentlicht von 52 Nichtregierungsorganisationen aus Anlass der Klimakonferenz in Tianjin – betont: „Als eine der weltweit am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften und als weltgrößter Emitter von Treibhausgasen muss China ein grünes, nachhaltiges und kohlenstoffarmes Wachstumsmodell entwickeln, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und um einen wirklich langfristigen Nutzen für seine Bürger zu gewährleisten“ SB 27: China: Drei offizielle Szenarien der Emissi(Hervorhebungen durch den Veronsentwicklung fasser). Folgerichtig vertrauen CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Kohle, Öl, Gas chinesische NGOs zumindest in und weiteren Brennstoffen in Millionen Tonnen Grenzen den Marktmechanismen, 18.000 sie sprechen von der Notwendigkeit, Marktanreize für Energieeffi16.000 zienz und Emissionsreduktionen 14.000 zu „schaffen“ und zu „nutzen“. 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 2005 2010 2015 2020 "Business As Usual" (BAU) Szenario 2025 2030 2035 2040 2045 2050 "Emission Control" (EC) Szenario "Emission Abatement" (EA) Szenario Anmerkungen: „Business As Usual“ Szenario: Die chinesische Regierung räumt dem Wirtschaftswachstum Vorrang ein und beschränkt sich auf wenige Klimaschutzmaßnahmen. Die Folge wäre ein Anstieg der CO2-Emissionen auf über 16 Milliarden Tonnen in 2050. „Emission Control“ Szenario: Die chinesische Regierung führt fortschrittliche Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels durch, wie zum Beispiel die Entwicklung erneuerbarer Energien. Trotzdem würden die CO2-Emissionen bis 2050 ansteigen. „Emission Abatement“ Szenario: Die chinesische Regierung wendet die modernsten grünen Technologien an und erhöht die Strommenge, die von Kernkraftwerken produziert wird. Quelle: UNDP (2010): China Human Development Report 2009/2010 Der chinesische Entwicklungspfad ist nicht nachhaltig: Nach offiziellen Schätzungen ist nicht damit zu rechnen, dass die chinesischen Emissionen bis 2050 sinken werden, im Gegenteil (vgl. Schaubild 27): Würde der bisherige Weg fortgesetzt, würde China 2050 rund 190 Prozent mehr CO2 in die Luft blasen als 2005 – trotz aller Klimaschutzbemühungen. Würde China rasch erneuerbare Energien ausbauen und weitere Klimaschutzmaßnahmen durchfüh- ren, lägen die Emissionen 2050 noch immer um über 70 Prozent über dem Niveau von 2005. Und selbst wenn China radikale Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen würde, legen die Emissionen 2050 nur um zwei Prozent unter denen von 2005. Damit wird das chinesische Dilemma überdeutlich: Einerseits braucht China rasche wirtschaftliche Entwicklung, andererseits wird China in den nächsten vierzig Jahren aufgrund seines Wirtschaftswachstums weltgrößter Verursacher von Treibhausgasen bleiben. Zwar liegen die chinesischen Pro-Kopf-Emissionen noch immer weit unter denen der Industrieländer (vgl. Schaubild 2) – ein Umstand, den die chinesische Regierung zur Rechtfertigung steigender Emissionen bemüht – und sicher muss berücksichtigt werden, dass ein beträchtlicher Teil der Emissionen in der Exportproduktion anfällt, dennoch werden die globalen Reduktionsziele nicht erreicht werden können, wenn Chinas Wirtschaft in Art und Ausmaß wie bisher wächst. Angesichts dieses komplexen Entwicklungsdilemmas hat im Jahre 2011 auf der Website von Chinadialogue eine zivilgesellschaftliche Debatte über Grenzen des Wachstums begonnen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre (vgl. Schaubild 27). In diesem Sinne mahnte der chinesische Umweltschützer Wen Bo 2011 eine Abkehr vom bisherigen chinesischen Entwicklungspfad an: „Warum wählt China genau den Entwicklungsweg, den es eingeschlagen hat? Weil es einfacher ist, dem Vorbild anderer Länder zu folgen. Denn China hat den wirtschaftlichen Erfolg der Industrieländer gesehen und möchte ihnen deshalb folgen. China hat versucht, die Automobilindustrie als Schlüsselindustrie zu fördern, aber ist ein Auto-Kultur wirklich Teil der chinesischen Kultur? Warum scheinen Autos ein Symbol des Erfolgs zu sein? Weil die Menschen in China das Erscheinungsbild von Tokio, Houston, New York und Los Angeles sehen, sie sehen, dass es dort mehr Schnellstraßen, größere Gebäude und mehr Autos gibt, und dies halten sie für wirtschaftlichen Wohlstand. Wenn wir nun diese Wirklichkeit betrachten, müssen wir erkennen, dass der Westen den falschen Weg SB 27: Chinadialogue greift Debatte über Grenzen des Wachstums auf Quelle: http://www.chinadialogue.net/article/show/single/en/4120--Growth-can-t-go-on- eingeschlagen hat. China ist ein Spiegelbild des Westens und erinnert ihn daran, dass er den falschen Entwicklungspfad gewählt hat“ (zitiert nach: Wen Bo: Von Kopenhagen nach Cancun über Tianjin, in: ANG Chin By, Klaus Heidel, WONG Staphany [2011]: „Ich kann den Klimawandel spüren.“ Klimawandel und China: Zivilgesellschaftliche Perspektiven, Heidelberg). SB 28: Wird die Wirtschaft in Deutschland künftig wachsen? Vergangenes und extrapoliertes Wachstum des BIP in Deutschland V. Das BIP ist so wichtig nicht Die Debatte über die Grenzen Anmerkung: Extrapolation auf der Grundlage eines konstanten prozentualen Wachstums des BIP pro eines BIP-Wachstums ist so wich- Erwerbsperson Quelle: Enderlein, Miegel, Paqué, Reuter (2011), S. 8. tig nicht, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint: So wenig ein bloßes BIP-Wachstum Wohlstand schafft, so wenig löst eine bloße Schrumpfung des BIP alle sozial-, umwelt- und klimapolitischen Probleme. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich von jeder Fixierung auf diesen Indikator zu lösen: Ob und was ein Wachstum des BIP zum Wohlstand beiträgt, hängt von vielen Faktoren ab und lässt sich nicht mit globaler Gültigkeit sagen. Im März 2010 stellte der niederländische Wirtschaftswissenschaftler Jeroen C. J. M. van den Bergh fest: „Growth is not generally necessary or sufficient for progress. Neither is degrowth necessary or sufficient for sustainability […]. The reason is that once GDP information is no longer taken seriously one cannot be otherwise than neutral or indifferent about GDP growth (and likewise about GDP degrowth)” (Jeroen C. J. M. van den Bergh [2010]: Six types of ‘degrowth’ and a plea for ‘agrowth’ Document Transcript). SB 29: Reiche Länder haben einen großen ökologischen Fußabdruck Eine Relativierung der Bedeutung Ökologischer Fußabdruck pro Kopf in globalen Hektar und Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftparitäten (konstandes BIP bietet sich schon allein te internationale Dollar von 2005), 2007 deshalb an, weil davon auszugehen ist, dass die Volkswirtschaften reifer Industrieländer kaum noch wachsen werden, wenn wir das BIP als Wachstumsindikator nehmen. Schaubild 27 zeigt dies am Beispiel Deutschlands auf der Grundlage einer Expertise, die im März 2011 der EnquêteKommission des Deutschen Bundestages „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ von vier Volkswirtschaftlern mit sehr unterschiedlicher politischer Verortung Anmerkungen: (1) Um das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft gemeinsam vorgelegt wurde. Davergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte auszublenden, wird es in Kaufkraftparitäten (hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeben. (2) Aus Gründen der Übersichtlichkeit nach dürften die jährlichen wurden Länder mit einem BIP pro Kopf von über 60.000 internationalen Dollar nicht aufgenommen, es sind dies Luxemburg (74.420 internationale Dollar) und Katar (75.420 internationale Dollar), obgleich Wachstumsraten des BIP im Zeitfür die Länder entsprechende Daten vorliegen. Quellen: UNDP (2011): International Human Development Indicators; Bundesumweltamt (2006): raum 2021 bis 2060 stets unter Wissenschaftliche Untersuchung und Bewertung des Indikators „Ökologischer Fußabruck“, Dessau0,5 Prozent liegen. Roßlau SB 30: Sind Menschen in reichen Ländern zufriedener? Wichtiger als Wachstumsraten ist das Niveau der wirtschaftlichen Durchschnittliche allgemeine Lebenszufriedenheit 2006-2010 Entwicklung. So ist daran zu erinund Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 2008 in Kaufkraftparitäten nern, dass reiche Länder einen (konstante internationale Dollar von 2005) größeren ökologischen Fußabdruck als ärmere haben (vgl. Schaubild 29). Maßeinheit des ökologischen Fußabdruckes ist der globale Hektar, der die unterschiedliche Produktivität der Flächenkategorien Erntefläche, Weidefläche, Wald, bebautes Land und Wasser berücksichtigt. Der Zusammenhang zwischen volkswirtschaftlichem Reichtum (ausgedrückt durch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) und RessourAnmerkungen: (1) Um das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft vergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte auszublenden, wird es in Kaufkraftparitäten cenverbrauch ist eindeutig: Rei(hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeben. (2) Die Lebenszufriedenheit wurde im che Volkswirtschaften haben eiRahmen der Gallup World Polls erhoben und auf einer Skala von 0 bis 10 erfasst, wobei 0 für die geringste und 10 für die höchste Lebenszufriedenheit steht. (3) Aus Gründen der Übersichtlichkeit nen wesentlich höheren ökologiwurden Länder mit einem BIP pro Kopf von über 60.000 internationalen Dollar nicht erfasst, nämlich Luxemburg (BIP pro Kopf: 73.127 internationale Dollar) und Katar (84.043 internationale Dollar). schen Fußabdruck pro Kopf als Quelle: UNDP (2011) arme. Allerdings gibt es in der Gruppe der sehr reichen Länder (mit einem BIP pro Kopf von über 25.000 internationalen Dollar) beträchtliche Unterschiede. Ein hoher Lebensstandard geht also mit einer beträchtlichen Belastung ökologischer Systeme einher. Zugleich scheint er aber eine Voraussetzung für eine hohe Lebenszufriedenheit zu sein, wenn wir Angaben des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen (UNDP) glauben dürfen. Es veröffentlicht regelmäßig Ergebnisse einer SB 31: Lebenserwartung in sehr armen Ländern weltweiten Erhebung der allgedeutlich niedriger als in Ländern mit mittlerer Wirtmeinen durchschnittlichen Leschaftskraft benszufriedenheit in einem LanLebenserwartung bei der Geburt in Jahren, Bruttonationalde. Sie zeigte für 2008, dass in einkommen pro Kopf in Kaufkraftparitäten (internationale fast allen Ländern mit einem BrutDollar von 2005), Werte für 2011 toinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von über 25.000 internationalen Dollar die Lebenszufriedenheit bei über 6 lag (vgl. Schaubild 30). Umgekehrt war fast in allen armen Ländern mit einem BIP pro Kopf von unter 5.000 internationalen Dollar die durchschnittliche Lebenszufriedenheit unter 6. In sehr armen Ländern sind die Menschen im Durchschnitt unzufriedener als in sehr reichen; aber zwischen vergleichbar armen oder Anmerkungen: (1) Die Lebenserwartung bei der Geburt wird mithilfe von Sterbetafeln berechnet, sie vergleichbar reichen Ländern gibt beruht also auf den Sterblichkeitsverhältnissen zum Zeitpunkt der Geburt und spiegelt die Lebensbedingungen früherer Geburtsjahrgänge. Daher ist sie kein prognostischer Wert der tatsächlichen es beträchtliche Unterschiede. Lebenserwartung, da diese bei künftiger Verringerung der Sterblichkeit über der statistischen Lebenserwartung bei der Geburt liegen wird. (2) Das Bruttonationaleinkommen (bis 1999: Bruttosozialprodukt) würde gewählt, da zum Zeitpunkt der Erstellung des Schaubildes für 2011 noch keine Daten über das Bruttoinlandsprodukt vorlagen. (3) Um das Bruttonationaleinkommen pro Kopf von Ländern mit unterschiedlicher Kaufkraft vergleichbar zu machen und um zugleich Inflationseffekte auszublenden, wird es in Kaufkraftparitäten (hier: konstante internationale Dollar von 2005) angegeben. (4) Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden Länder mit einem BNE pro Kopf von über 65.000 internationalen Dollar nicht aufgenommen, es sind die Liechtenstein (BNE pro Kopf: 83.717 internationale Dollar) und Katar (BNE pro Kopf: 107.721 internationale Dollar). Quelle: UNDP (2011) Wie wirtschaftliche Entwicklung und grundlegende Lebensbedingungen zusammen hängen, lassen zentrale Indikatoren mensch- licher Entwicklung erahnen. Schaubild 31 stellt den Zusammenhang von Lebenserwartung und BIP pro Kopf zusammen. Dieser Zusammenhang ist deshalb so wichtig, weil die Lebenserwartung eng korreliert mit weiteren wichtigen Indikatoren wie die für Ernährungssicherheit, Zugang zu sauberem Wasser oder Zugang zu Gesundheit. Hier zeigt sich ein dreifaches Bild: Erstens liegt die Lebenserwartung in vielen sehr armen Ländern mit einem Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf von unter 2.500 internationalen Dollar (Kaufkraftparitäten) – teilweise deutlich – unter 65 Jahren, in fast allen reichen Ländern mit einem BNE pro Kopf von über 20.000 Dollar aber über 75 Jahre: In reichen Ländern leben die Menschen deutlich länger als in armen. Zweitens gibt es zwischen armen Ländern beträchtliche Unterschiede, in Guinea-Bissau (BNE pro Kopf: 994 internationale Dollar) lag die Lebenserwartung bei 48,1 Jahren, im ärmeren Madagaskar (BNE pro Kopf: 824 Dollar) bei 66,7 Jahren: Armut allein erklärt die Höhe der Lebenserwartung nicht. Drittens scheint in der Gruppe der Länder mit einem BNE pro Kopf von über 20.000 internationalen Dollar eine Vermehrung des volkswirtschaftlichen Reichtums nicht mehr zum Anstieg der Lebenserwartung zu führen. Diese Beobachtungen sind für Wachstumsdebatten bedeutsam, weisen sie doch auf die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum in armen Ländern hin. Zugleich zeigen sie, dass es ab einem bestimmten Niveau von Wohlstand (gemessen in BIP pro Kopf) keinen wohlstandsbedingten Anstieg der Lebenserwartung mehr gibt. Ein ähnliches Ergebnis zeigt der Blick auf den Zusammenhang von Kindersterblichkeit (unter 5) auf 1.000 Lebendgeborene, BIP Kindersterblichkeit und BIP pro pro Kopf in internationalen Dollar von 2005 Kopf (vgl. Schaubild 32): Erstens 180 170 gibt es wieder ein bestimmtes 160 150 Mindestniveau wirtschaftlicher 140 Entwicklung, ab dem die Kinder130 120 sterblichkeit nicht weiter abnimmt, 110 100 es liegt bei etwa 15.000 internati90 80 onalen Dollar (Kaufkraftparitäten) 70 pro Kopf. Zweitens stirbt in sehr 60 50 armen Ländern ein wesentlich 40 30 höherer Anteil der Kinder unter 20 10 fünf Jahren als in reichen Län0 dern. Diese Beobachtung ist alles andere als überraschend, deninternationale Dollar von 2005 noch wird ihr in manchen Wachstumsdebatten nicht ausreichend Quelle: UNDP (2011), eigene Berechnungen Rechnung getragen. Drittens streut die Kindersterblichkeit in der Gruppe der sehr armen Länder (mit einem BIP pro Kopf von unter 2.500 internationalen Dollar) beträchtlich und kann Werte zwischen unter 30 (Salomonen) und fast 180 (Mali) Kindern auf 1.000 Lebendgeborenen, die vor Erreichen des fünften Lebensjahres sterben, annehmen: Armut allein erklärt die Höhe der Kindersterblichkeitsrate nicht. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass das Niveau der wirtschaftlichen Leistungskraft einer Volkswirtschaft ohne Einfluss auf das Ausmaß der Kindersterblichkeit wäre. Mali Gabun China Trinidad und Tobago USA Deutschland Singapur 55.000 50.000 45.000 40.000 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 Salomonen 0 Kindersterblichkeit auf 1.000 Lebendgeborene SB 32: Kindersterblichkeit und Wirtschaftskraft Der Vergleich unterschiedlich reicher Länder zeigt also, dass das Niveau wirtschaftlicher Entwicklung durchaus Einfluss auf die Lebensbedingungen hat, diese aber nicht alleine erklärt. Wesentlich weniger eindeutig ist der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und sozialen Indikatoren innerhalb eines Landes. Schaubild 33 fragt nach dem Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Lebenserwartung bei der Geburt in Brasilien, Afrika südlich der Sahara und China im Zeitraum 1980 bis 2009. Die beiden betrachteten Länder und die afrikanische Ländergruppe zeichnen sich durch deutlich unterschiedliche Wirtschafts- und Sozialniveaus aus. Auch die wirtschaftliche Entwicklung verlief überaus unterschiedlich. Doch die Entwicklung der Lebenserwartung unterschied sich nicht grundlegend. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass die Lebenserwartung allenfalls SB 33: Lebenserwartung bei der Geburt und BIP pro Kopf, 1980 bis 2009 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 Lebenserwartung 2008 2006 2004 2002 2000 1998 1996 1994 1992 1990 1988 1986 1984 0 1982 1.000 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Lebenserwartung bei der Geburt 9.000 1980 Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 Brasilien 10.000 BIP pro Kopf Lebenserwartung Deutschland 10.000 9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Lebenserwartung Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika) schwach mit Wirtschaftswachstum korreliert: In Afrika südlich der Sahara stieg die Wirtschaftskraft (gemessen in BIP pro Kopf) auf niedrigem Niveau und bei uneinheitlichem Verlauf von 1980 bis 2009 um knapp zehn Prozent und die Lebenserwartung nahm um fast 12 Prozent zu. In China verlängerte sich die Lebenserwartung um neun Prozent, die Wirtschaft explodierte aber um 1.084 Prozent. Am stärksten stieg die Lebenserwartung in China (+ 16 Prozent), dort wuchs die Wirtschaft um knapp 25 Prozent. Auch wenn wir die Entwicklung der Kindersterblichkeit und des BIP pro Kopf vergleichen – dies tut Schaubild 34 –, erhalten wir kein eindeutiges Bild: In Brasilien ging die Kindersterblichkeit von 1980 bis 2010 um fast 80 Prozent und in China um gut 70 Prozent zurück, die Wirtschaft wuchs aber in beiden Ländern deutlich unterschiedlich rasch. In Afrika südlich der Sahara sank die Kindersterblichkeit nur um 37 Prozent, dort fiel auch das Wirtschaftswachstum am geringsten aus. Anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn wir nach dem Zusammenhang von monetärer Armut und Wirtschaftswachs1.000 tum fragen, den Schaubild 35 thematisiert. 0 Hierzu greifen wir die Definition der Weltbank auf, nach der absolut arm ist, wer Lebenserwartung BIP pro Kopf weniger als 1,25 internationale Dollar Lebenserwartung Deutschland (Kaufkraftparitäten) am Tag zur Verfügung China hat. Zwar ist überaus strittig, ob diese 10.000 100 Grenze zur absoluten Armut sinnvoll ist – 95 9.000 90 sie liegt wesentlich zu niedrig –, doch an 85 8.000 80 dieser Stelle geht es nur um die Frage, wie 75 7.000 70 sich der Bevölkerungsanteil mit einer be65 6.000 60 stimmten extrem niedrigen Ausstattung mit 55 5.000 50 finanziellen Ressourcen entwickelt hat. 45 4.000 40 Erwartungsgemäß sank dieser Anteil in 35 3.000 30 China dramatisch und ging von 84 Prozent 25 2.000 20 im Jahr 1981 auf 18 Prozent 2010 zurück 15 (- 78 Prozent). Ähnlich stark – wenngleich 1.000 10 5 auf wesentlich niedrigerem Niveau –, ver0 0 ringerte sich den Anteil der extrem Armen Lebenserwartung BIP pro Kopf in Brasilien, dort ging er um 77 Prozent zurück. Der soziale Fortschritt in Brasilien Lebenserwartung Deutschland ging also einher mit einem wesentlich moAnmerkung: BIP pro Kopf in internationalen Dollar von 2005 derateren Wirtschaftswachstum als in ChiQuelle: World Bank: World Development Indicators na. In Afrika südlich der Sahara lag der Anteil absolut Armer 2005 fast auf dem Niveau von 1981 – dort fielen also nennenswerte Fortschritte aus, wenn wir den gesamten Zeitraum betrachten. Allerdings verlief die Entwicklung nicht einheitlich: Als in den 1980er und 1990er Jahren die Wirtschaft stagnierte, stieg 3.000 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 Lebenserwartung Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 1980 2.000 SB 34: Kindersterblichkeit und BIP pro Kopf, 1980 bis 2010 SB 35: Anteil der „absolut Armen“ und BIP pro Kopf, 1980 bis 2009 1.000 0 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 1981 0 Bevölkerungsanteil unter 1,25 Dollar BIP pro Kopf 250 9.000 225 8.000 200 7.000 175 6.000 150 5.000 125 4.000 100 3.000 75 2.000 50 1.000 25 0 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 BIP pro Kopf Bevölkerungsanteil unter 1,25 Dollar 8.000 200 7.000 175 6.000 150 5.000 125 4.000 100 3.000 75 2.000 50 1.000 25 2010 2002 2004 2006 2008 1996 1998 2000 1988 1990 1992 1994 0 1982 1984 1986 0 BIP pro Kopf 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 9.000 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 0 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 225 10.000 Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 9.000 1980 BIP pro Kopf China 250 Kindersterblichkeit (unter 5) auf 1.000 Lebendgeborene Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 China 10.000 Kindersterblichkeit 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 9.000 Anteil Bevölkerung mit weniger als 1,25 Dollar (PPP) pro Tag Kindersterblichkeit Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika) 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 0 BIP pro Kopf 10.000 Kindersterblichkeit (unter 5) auf 1.000 Lebendgeburten 10.000 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 Afrika südlich der Sahara (ohne Südafrika) Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 Kindersterblichkeit Anteil Beväölerung mit weniger als 1,25 Dollar (PPP) pro Tag 25 0 2009 1.000 2.000 2007 50 2005 2.000 3.000 2003 75 4.000 2001 3.000 5.000 1999 100 1997 125 4.000 1995 5.000 6.000 1993 150 7.000 1991 6.000 8.000 1989 175 1987 200 7.000 9.000 1985 8.000 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 1983 225 Bruttoinlandsprodukt, intrn. Dollar von 2005 9.000 10.000 Anteil Bevölkerung mit weniger als 1,25 Dollar (PPP) pro Tag Brasilien 250 Kindersterblichkeit (unter 5) auf 1.000 Lebendgeborene Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, intern. Dollar von 2005 Brasilien 10.000 Bevölkerungsanteil unter 1,25 Dollar BIP pro Kopf Anmerkungen: Kindersterblichkeit: Anteil der Kinder, die vor Erreichen des 5. Lebensjahres sterben, auf 1.000 Lebendgeburten; BIP pro Kopf in internationalen Dollar von 2005 Anmerkungen: Anteil der „absolut Armen“: Anteil der Bevölkerung, die mit weniger als 1,25 internationalen Dollar von 2005 pro Tag auskommen muss; BIP pro Kopf in internationalen Dollar von 2005 Quelle: World Bank: World Development Indicators Quelle: World Bank: World Development Indicators der Anteil absolut Armer, als sie dann nach der Jahrtausendwende etwas wuchs, nahm der Anteil absolut Armer ab: Offensichtlich gibt es einen beobachtbaren Zusammenhang zwischen monetärer Armut und Wirtschaftswachstum. Insgesamt mahnen diese Beobachtungen zu einer vorsichtigen und differenzierten Beantwortung der Frage, ob Wohlstand ohne Wachstum möglich ist. Mit Sicherheit verbessern sich grundlegende Dimensionen menschlicher Sicherheit (wie Lebenserwartung oder Kindersterblichkeit) nicht allein dadurch, dass reiche Länder noch reicher werden: hier also könnte es durchaus sein, dass Wirtschaftswachstum nicht zu mehr Wohlstand führt. Dies müsste genauer geprüft und zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit oder Armutsquoten und Wachstum untersucht werden. Andererseits gibt es ein wirtschaftliches Mindestniveau (gemessen als BIP pro Kopf), unterhalb dessen menschliche Sicherheit zunehmend prekär wird: Zwar erklärt ein sehr niedriges volkswirtschaftliches Niveau materielle und immaterielle Armut nicht allein, es macht aber Armut wahrscheinlich. In dieser Situation wird auf Wachstum in armen Ländern nicht zu verzichten sein. VI. Von der Notwendigkeit einer Großen Transformation Nicht die Frage nach Wachstum, Stagnation oder Schrumpfung des BIP darf handlungsleitend für Politik und Wirtschaft sein, sondern das Ziel der konkreten Gestaltung des Umbaues von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu postfossilen, klimagerechten Ordnungen ohne Armut und soziale Ausgrenzung. Hierbei müssen ambitionierte Reduktionsziele erreicht werden: bis 2050 dürfen nicht mehr als insgesamt 750 Milliarden CO2 emittiert werden. Dieses Ziel wird nur erreicht werden, wenn es rechtlich festgeschrieben wird. Da die Gleichzeitigkeit der globalen Krisen und der menschengemachte Klimawandel Folgen der weltweit vorherrschenden Investitions-, Produktions- und Konsumweisen und der globalen Wirtschaftsordnung sind, reichen Einzelmaßnahmen zur Überwindung der Krisen nicht aus. Notwendig ist eine Ausrichtung der gesamten Wirtschaft – national wie global – an den Leitzielen sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit. Zu bestimmen sind geeignete Leitplanken und Antriebsmechanismen für die Suche nach Wegen hin zu einer weltweit sozial und klimagerechten Wirtschafts- und Sozialordnung. Eine entscheidende Leitplanke ist das Recht aller Menschen auf Entwicklung, das ein „unveräußerliches Menschenrecht“ ist (Resolution 41/128 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 4. Dezember 1986) und das durch menschenrechtliche Instrumente entfaltet wurde. Aus ihm folgt das Recht aller Menschen auf gleichberechtigte Nutzung der Atmosphäre und der natürlichen Ressourcen, die Gemeingüter der Menschheit sind. Daher haben alle Menschen und Gesellschaften auch ein Recht auf Zugang zu Energie. Da aber die durch Energienutzung entstehenden Emissionen abgebaut werden müssen, folgt daraus eine schrittweise globale Angleichung der Treibhausgasemissionen pro Kopf. Der zentrale Antriebsmechanismus ist die Notwendigkeit einer raschen weltweiten Verringerung der Treibhausgasemissionen. Bis 2050 sollten die globalen Treibhausgasemissionen um rund zwei Drittel gegenüber 1990, dem von der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen vorgesehenen Basisjahr, reduziert sein. Aus diesem globalen Reduktionsziel folgt ein globales Emissionsbudget: In diesem Zeitraum dürfen weltweit insgesamt nur 1.100 Milliarden Tonnen CO2 (aus der Verbrennung fossiler Energieträger) ausgestoßen werden. Hieraus lassen sich auf der Grundlage jeweiliger Bevölkerungszahlen (Anteile an der Weltbevölkerung) nationale Emissionsbudgets ableiten, die zum Beispiel vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen vorgeschlagen wurden. Entscheidend für die Einhaltung von Emissionsbudgets ist die rechtliche Festschreibung: Das 2°C-Ziel muss völkerrechtlich und der Klimaschutz verfassungsrechtlich – in Deutschland etwa in Art. 20a Grundgesetz – verankert werden und die Reduktionsziele sind in natio- nales und supranationales (etwa EU-) Recht zu überführen. Diesen Vorschlag legte der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen 2009 vor. Würde er umgesetzt, wäre die Verfolgung der Reduktionsziele durch die Rechtsordnung vorgeschrieben, mit der Konsequenz, dass ein vorrangiges Ziel nationaler Wirtschaftspolitik nicht mehr Wirtschaftswachstum, sondern das dann rechtlich gebotene Streben nach Kohlenstoffneutralität sein müsste. Eine rechtliche Verankerung der Reduktionsziele würde eine weit reichende Umgestaltung sowohl bisheriger Investitions-, Konsum- und Produktionsweisen und damit nationaler Wirtschaften als auch der Weltwirtschaft erforderlich machen, der weit über eine Energiewende hinaus ginge (dieselbe aber einschlösse). Ein solcher Umbau würde viele Dimensionen aufweisen, die in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern je nach Wirtschaftsniveau unterschiedlich gestaltet werden müssten. Dieser Umbau müsste so umfassend ausfallen, dass er zunehmend mit dem Begriff Große Transformation umschrieben wird. Mitunter wird sie auch als dritte Große Transformation bezeichnet – nach der sehr langen neolithischen Transformation (10.000 bis 5.000 v. Chr.), während der aus Jägern und Sammlern sesshafte Bauern wurden, und nach der langen industriellen Revolution (zweite Hälfte des 18. und 19. Jahrhundert). Doch für die neue Große Transformation hat die Welt nur vier Jahrzehnte Zeit. VII: Transformationskonflikte als Herausforderung Die Große Transformation wird soziale und ökonomische Kosten verursachen, zu Konflikten führen und mit Zielwidersprüchen einher gehen. Daher sind gesellschaftliche Verständigungsprozesse erforderlich, die eine sozial gerechte Gestaltung der Transformationsprozesse ermöglichen. Die Interessenvertretungspolitik mächtiger Akteure darf die Transformationsprozesse nicht dominieren, und die Teilhabe sozial Ausgegrenzter muss gesichert werden. Erforderlich ist die demokratische und partizipative Gestaltung von ergebnisoffenen Suchprozessen für konkrete Schritte. Kirchen können und müssen für diese Suchprozesse Orientierungswissen bereit stellen und dazu beitragen, dass sie sozial gerecht gestaltet werden. Dies wird nur gelingen, wenn Kirchen hierfür neue Instrumente entwickeln. Die Große Transformation muss mit Ziel- und Interessenkonflikten rechnen. Transformationskosten werden zu Transformationskonflikten führen. Es wird Gewinner und Verlierer geben. In dieser Situation besteht die Gefahr, dass Suchprozesse durch die Interessenvertretungspolitik mächtiger Akteure dominiert werden. Gegen sie müssen die gestaltende Teilhabe sozial Ausgegrenzter an gesellschaftlichen Suchprozessen und die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit durchgesetzt werden. Dies wird nicht ohne gesellschaftliche Auseinandersetzungen möglich sein. Bereits jetzt sind künftige Konfliktlinien in Industrieländern erkennbar, so zum Beispiel: Noch ist das Sozialsystem fast aller Industrieländer in starkem Maße auf Wirtschaftswachstum angewiesen. Das Wachstum nahm Verteilungskämpfen die Schärfe. Wirtschaftliche Stagnation oder gar Schrumpfung würde aber in den Industrieländern bei den gegenwärtigen Rahmenbedingen zu Belastungen der Arbeitsmärkte und der Sozialsysteme führen, wodurch die Intensivierung von Verteilungskämpfen unvermeidbar würden. Daher müssten die Systeme sozialer Sicherheit und Arbeitsmärkte so gestaltet werden, dass sie unabhängig von herkömmlichem wirtschaftlichem Wachstum werden. Ein solcher Umbau ist sozialpolitisch und rechtlich außerordentlich anspruchsvoll und hat mit Interessen- und Zielkonflikten zu rechnen. Erforderliche Produktkonversionen könnten zumindest lokal oder regional für eine bestimmte Zeit zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Dies gilt für Zentren der Automobilproduktion, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass beispielsweise bei einem Rückgang der Automobilproduktion unmittelbar und ortsgleich Ersatzarbeitsplätze geschaffen würden. Es besteht die Gefahr, dass sozial Ausgegrenzte, die bereits jetzt fast keine Diskurs- und Verhandlungsmacht haben, gänzlich von der Gestaltung der Suchprozesse ausgeschlossen werden. Dies würde ihre Situation weiter verschärfen, da die Große Transformation für sozial Benachteiligte oder gar Ausgegrenzte nicht nur Chancen, sondern auch deutliche Risiken birgt. Angesichts solcher Konfliktlinien ist die demokratische und partizipative Gestaltung der Suchprozesse für Konkretionen der Großen Transformation eine große Aufgabe. Sie erfordert demokratisch legitimierte globale, regionale, nationale und lokale überstaatliche und staatliche Akteure, die mit ausreichenden Ressourcen, Mandaten und Kompetenzen auszustatten sind. Demokratische Ordnungen tendieren zu einer Ausrichtung an kurzfristigen Zielen, denn Wahlzyklen prägen Zeithorizonte: Verfolgen Politikerinnen und Politiker langfristige Zielvorgaben auf Kosten kurzfristiger Interessen, wird dies von Wählerinnen und Wählern kaum honoriert. Parlamentarische Initiativen überschreiten nur selten die Grenzen von Legislaturperioden. Herausforderungen mit mittleren oder langen Zeithorizonten werden so tendenziell von „der Politik“ verdrängt. Daher sind demokratische Ordnungen so weiter zu entwickeln, dass die Verfolgung langfristiger Zielvorgaben gefördert wird. Die gestaltende Teilhabe sozial Ausgegrenzter an gesellschaftlichen Suchprozessen muss gesichert werden. Daher sind eine Partizipationskultur zu entwickeln und demokratische Institutionen und Verfahren so zu reformieren, dass Partizipationsmöglichkeiten nicht in enger Abhängigkeit von sozialen Positionen vergeben werden. Die Mediengesellschaft fördert unzulässige Vereinfachungen komplexer Zusammenhänge und belohnt ausdifferenzierte Positionen kaum. Sie verführt politisch Verantwortliche (und nicht nur sie) zu Vereinfachungen selbst dort, wo diese gefährlich sind. Die Große Transformation erfordert beträchtliche kulturelle Anstrengungen, denn sie kann nur gelingen, wenn sich Gesellschaften über zentrale Werte verständigen und eine inhaltliche Einigung darüber erreichen, was sie unter sozialer Gerechtigkeit und Solidarität verstehen. Die Suchprozesse sind auf aktive zivilgesellschaftliche Teilhabe angewiesen. Eine Voraussetzung hierfür ist die Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen. Sie befinden sich aber oft in einem unfruchtbaren Konkurrenzkampf um knapper werdende Finanzierungsmöglichkeiten. Dieser Konkurrenzkampf wirkt einer systematischen Zusammenarbeit entgegen, die eine Bedingung dafür ist, dass zivilgesellschaftliche Organisationen maßgebliche Beiträge zur Gestaltung der Suchprozesse und zur Vermittlung von Transformationsbildung einbringen können. Kirchen können in die erforderlichen Suchbewegungen christliche Werte einbringen. Sie können daran erinnern, dass die Klimakrise auch eine spirituelle Krise ist, haben doch Habsucht und schrankenloses Konsumdenken zur globalen Erwärmung beigetragen. Nicht zuletzt hat der Irrglaube an die unbegrenzte Verfügbarkeit und Verwertbarkeit der Natur die Schöpfung verletzt. Hier eröffnet Gottes Auftrag zu einem achtsamen Umgang mit der Schöpfung neue Perspektiven. Wenn Kirchen solche ethische Orientierung anbieten, tragen sie damit zugleich entscheidend bei zur dringend erforderlichen transformativen Bildung, zu einer Bildung also, die Menschen und Gesellschaften zu einer aktiven Gestaltung der Großen Transformation befähigt. Damit Kirchen glaubwürdig das ethisch Geforderte benennen und Vorbilder für die Gestaltung der Suchprozesse sein können, müssen sie sich selbst ändern: In diesem Sinne sollten Kirchen ein Vorbild für ehrliche Selbstkritik sein, weil sie einerseits um die Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen und andererseits um die befreiende göttliche Gnade wissen, durch die immer wieder ein Neuanfang möglich ist. Diese Notwendigkeit kirchlicher Selbstkritik benennt der Kirchliche Diskussionsbeitrag im Jahrbuch Gerechtigkeit V: „Kirchen und kirchliche Wohlfahrtsverbände haben sich zu fragen, inwieweit sie bisher der Problematik mit Gleichgültigkeit bezüglich der Folgen für andere Menschen begegnet sind, inwieweit sie bisher Teil des Problems anstatt Teil der Lösung gewesen sind und inwieweit sie sich bisher selbst an einzelnen Stellen von Ideologien wie Ökonomismus, Ökonomisierung und Wachstumsvergötzung leiten ließen. Daher ist zu prüfen, ob und in welchem Maße auch Kirchen und kirchliche Wohlfahrtsverbände wirtschaftliches Handeln vom Mittel zum Selbstzweck machen und ihr Vertrauen auf materielle Güter oder auf ein Streben nach ‚immer mehr‘ anstatt auf wirkliche Qualität setzen.“ Angesichts der zu erwartenden Transformationskonflikte werden Kirchen Position beziehen müssen – ihre in Mode gekommene scheinbar neutrale Äquidistanz zu gesellschaftlichen Konfliktparteien muss überwunden werden. Kirchen müssen Partei ergreifen, sie müssen bereit sein, Risiken einzugehen, wie der anglikanische Bischof Julio Murray aus Panama bei einer Konferenz des Ökumenischen Rates der Kirchen und der Konferenz Europäischer Kirchen in Budapest im November 2009 forderte: „Are churches prepared to take a risk?“ Eine solche Bereitschaft schließt die Risiken für Kirchen ein, als „Alarmisten“ diffamiert zu werden, sich einmal in einer Einschätzung zu irren, wegen eindeutiger Parteinahme von mächtigen gesellschaftlichen Akteuren scharf kritisiert zu werden und vor die Notwendigkeit gestellt zu sein, eigene Strukturen zu ändern. Damit Kirchen diese Aufgaben erfüllen können, brauchen Kirchen seismographische Frühwarnsysteme für künftige soziale Beben, Kirchen brauchen Kompetenzzentren für die Erarbeitung eigener Positionen zu den ökonomischen, sozialen und politischen Dimensionen der Großen Transformation. Kirchen brauchen die Schärfung ökumenischer Perspektiven für gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Doch Kirchen brauchen nicht nur solche Kompetenzzentren für transformatives Handeln, Kirchen müssen selbst zu Orten transformativer Diskurse werden. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass Kirchen nicht nur für sozial Ausgrenzte und Arme sprechen, sondern zu Orten der Selbstorganisation der an den Rand Gedrängten werden. Vor diesem Hintergrund muss die Gestaltung der Großen Transformation auch zum Thema kirchlicher Wohlfahrtsverbände werden: Sie haben bisher die sozialen Dimensionen des Klimawandels und der Großen Transformation allenfalls am Rande entdeckt. Sie beschränken sich weithin auf Klimaschutzmaßnahmen für ihre Gebäude. Doch sowohl die globale Erwärmung als auch die große Transformation haben beträchtliche soziale Auswirkungen und Dimensionen. Bereits jetzt führt die begonnene Energiewende zu einer Verteuerung von Energie mit der Konsequenz, dass in Deutschland 2010 mehr als 200.000 Haushalte, die auf Arbeitslosengeld II angewiesen waren, ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen konnten – ihnen wurde daher der Strom abgestellt. Schon werden Angriffe auf den Sozialstaat mit dem Hinweis vorgetragen, in einer Postwachstumsgesellschaft, die angesichts des Klimawandels unvermeidbar sei, könne der Sozialstaat nicht mehr finanziert werden. In der Tat wird eine nicht mehr oder kaum noch wachsende Volkswirtschaft eine Neujustierung der Systeme sozialer Sicherheit brauchen. Produktkonversionen werden zumindest in Regionen und für eine begrenzte Zeit zu einem Anstieg von Arbeitslosigkeit führen, dies erfordert ein neues Sozialleistungssystem, denn es wäre nicht hinnehmbar, wenn Beschäftigte Konversionskosten alleine tragen müssten. Hier tut sich ein weites Feld auf, das die kirchlichen Wohlfahrtsverbände noch nicht einmal ansatzweise in den Blick genommen haben. Sie haben mit der In- stallation von Photovoltaikanlagen auf den Dächern ihrer Einrichtungen noch lange nicht ihre Hausaufgaben im Blick auf die Große Transformation gemacht. Quellen für die Schaubilder BP (2011): Statistical Review of World Energy (Stand Juni 2011, http://www.bp.com/statisticalreview, abgerufen am 26. August 2011) Bundesumweltamt (2006): Wissenschaftliche Untersuchung und Bewertung des Indikators „Ökologischer Fußabruck“, Dessau-Roßlau Bündnis Entwicklung Hilft (Hg.) (2011): WeltRisikoBericht 2011, S. 30-35 und eigene Berechnungen. Rezal Karim Chowdhury, Md Shamsuddoha (2009): Climate Change Induced Forced Migrants: in need of dignified recognition under a new protocol (http://www.glogov.org/images/doc/equitybd.pdf, abgerufen am 23. November 2011) Henrik Enderlein, Meinhard Miegel, Karl-Heinz Paqué, Norbert Reuter (2011): BIP-Wachstum. 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