Jugendöffentlichkeit Qualitative Studie zu jugendlichen Aneignungsprozessen in öffentlichen Räumen der Stadt Basel. Tanja, KLÖTI University of Fribourg Abstract Die vorliegende Arbeit verfolgt die zentrale These, dass jugendliches Handeln und die Strukturen öffentlicher Räume in einem Wechselverhältnis stehen: Während die räumlichen Bedingungen jugendliches Handeln strukturieren, können Jugendliche mit Hilfe ihrer alltäglichen Raumpraxis öffentliche Räume ebenso verändern und gestalten. Anhand von systematischen Beobachtungen und Gruppeninterviews wird versucht, unterschiedliche Formen jugendlicher Aneignung öffentlicher Räume zu erheben. Dabei wird besonderer Fokus auf die in öffentlichen Räumen verorteten Machtverhältnisse sowie auf jugendliche Repräsentationsformen in der Öffentlichkeit gelegt. Die Ergebnisse zeigen auf, wie sich die unterschiedlichen Aneignungsdimensionen (physisch, sozial, symbolisch und normativ) aufeinander beziehen und inwiefern sie die Jugendlichen dazu befähigen, ihre eigene Form der Öffentlichkeit, eine Jugendöffentlichkeit, herzustellen. Keywords: public representation space, youth, appropiation, 1 power relations, self 1 Einleitung 1.1 Fragestellung und Aufbau der Arbeit Öffentliche Räume sind von zentraler Bedeutung für die Kommunikation und Interaktion verschiedener Bevölkerungsgruppen und beeinflussen die soziale und wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt. Deshalb stellen sie ein aufschlussreiches Forschungsfeld für gesellschaftliche Phänomene dar. Da Jugendliche in öffentlichen Räumen prominent vertreten sind (vgl. Comte 2010), wird ihm für die räumliche Aneignung im Jugendalter eine besondere Bedeutung zugemessen: Im Gegensatz zu anderen Aneignungsräumen (bspw. die Aneignung einer abgelegenen Industriebrachfläche durch jugendliche Punks) eröffnen öffentliche Räume den Jugendlichen die Möglichkeit, sich im Alltag sichtbar und hörbar zu machen – sei dies nun über jugendkulturelle Ausdrucksformen oder nonkonformes Verhalten. Dadurch thematisieren sie ihre jugendspezifische Lebenswelt öffentlich und partizipieren an der Öffentlichkeit. Öffentliche Räume dienen als Plattform zur Selbstdarstellung und Repräsentation, sind aber auch Reibungsfläche zwischen jugendlichen Bedürfnissen, den Bedürfnissen anderer Nutzergruppen, den Aufgaben von Raumwärtern sowie den normativen Ansprüchen ihrer Umwelt. Diese Auseinandersetzungen können als Aushandlungsprozesse verstanden werden, wobei es sich dabei nicht nur um offene Konflikte oder einen direkten Meinungsaustausch handeln muss. Die vorliegende Arbeit interessiert sich vor allem für die alltäglichen und unauffälligen Praktiken, mit welchen Heranwachsende ihre eigene Form der Öffentlichkeit in öffentlichen Räumen herstellen. Im Zentrum der angehenden Betrachtung steht in Anlehnung an die Trialektik der Räumlichkeit (s. Kap. 4.1.) die Raumpraxis, die subjektive Wahrnehmung sowie die normative Bedeutungszuschreibung von öffentlichen Räumen durch die Gruppe der Jugendlichen: 1. Raumpraxis: Wie nutzen, gestalten und verändern Jugendliche die physischen, sozialen, normativen und symbolischen Strukturen eines öffentlichen Raumes? 2. Subjektive Wahrnehmung: Wie nehmen Jugendliche öffentliche Räume subjektiv wahr? 3. Normative Bedeutungszuschreibung: Welche subjektiven und normbehafteten Bedeutungen schreiben sie öffentlichen Räumen zu? Diese drei Fragen bezeichnen das zentrale Forschungsinteresse, dessen vertiefte Bearbeitung darauf abzielt, die unterschiedlichen Aspekte des Herstellungsprozesses von Jugendöffentlichkeit1 als gelebte und erlebte Umwelt zu erfassen und nachzuvollziehen. Mit dem Begriff der Jugendöffentlichkeit (s. Kap. 4.2.) soll versucht werden, das Produkt der drei interessierenden Prozesse theoretisch zu beschreiben. Es ist ein deklariertes Ziel der Forschungsarbeit, dieses Konstrukt theoretisch und empirisch zu fassen und damit einen Beitrag zur Konzeptionalisierung des Theoriekomplexes „Jugend-Raum-Öffentlichkeit1 Da es sich beim Begriff der Jugendöffentlichkeit in erster Linie um ein Konzept bzw. eine Konstruktion handelt wird er ähnlich wie der Öffentlichkeitsbegriff im Singular verwendet. Sobald die beiden Begriffe jedoch empirisch fassbare Phänomene beschreiben, sind sie ins Plural gesetzt. 2 Politik“, wie ihn Böhnisch und Krisch (2010b) in ihrem Aufsatz einführen, zu leisten. Weiter soll die Arbeit die Komplexität und Vielfalt jugendlicher Lebenswelt erfassen und in diesem Zusammenhang insbesondere den Aneignungsbegriff anwenden und ggf. weiterentwickeln. Die vorliegende Arbeit verfolgt die zentrale These, dass jugendliches Handeln und die Strukturen öffentlicher Räume in einem Wechselverhältnis stehen. Raum wird jedoch nicht als die alles bestimmende Kategorie, jedoch als einen wesentlichen Erklärungsfaktor verstanden, um menschliches Handeln zu erklären. Die Masterarbeit folgt einem wissenschaftlichen Vorgehen und ist dementsprechend aufgebaut. Nach der Einleitung, welche die theoretischen Grundlagen zur Jugendphase sowie die Bedeutung öffentlicher Räume für Jugendliche behandelt, folgt der Forschungsstand, welcher Studien zum Themenbereich in ihrer Relevanz für die Forschungsfrage erörtert. Das Kapitel zum Forschungsstand wird mit der Benennung der Forschungslücke, welcher sich die vorliegende Arbeit annimmt, abgeschlossen. Im Anschluss werden die theoretischen Konzepte zum öffentlichen Raum, zur Öffentlichkeit sowie zur Aneignung aufgearbeitet und zum Forschungsinteresse in Bezug gesetzt. Die Zusammenfassung der bearbeiteten Theorie mündet in der Präsentation eines sensibilisierenden Konzeptes sowie der Formulierung von konkreten Fragestellungen. Im Methodenteil wird auf das Forschungsdesign, die Erhebungsmethoden sowie auf die Analysemethode eingegangen. Ausserdem wird der Forschungsprozess entlang qualitativer Gütekriterien reflektiert. In Kapitel 5 werden die Ergebnisse beschreibend dargestellt sowie analysiert und insbesondere auf mögliche Bezüge zwischen den untersuchten Faktoren eingegangen. Der Diskussionsteil schliesslich legt offen, inwiefern die konkreten Fragestellungen beantwortet wurden und was auf der Basis der vorliegenden Ergebnisse für die Praxis und zukünftige Forschungsvorhaben ausgesagt werden kann. 1.2 Die Lebensphase Jugend Die Lebensphase Jugend lässt sich in erster Linie durch die Abgrenzung zur Kindheit und zum Erwachsenenalter definieren, wobei sowohl psychologische als auch soziologische Kriterien herbeigezogen werden können. Im Generellen gehen beide Disziplinen davon aus, dass sich Heranwachsende in der Jugendphase mit spezifischen Entwicklungsaufgaben2 sowie mit spezifischen Erwartungen und Anforderungen3 auseinandersetzen müssen. Die Lebensphase Jugend ist von zwei zentralen Sozialisationsprozessen begleitet: Erstens bilden sich im Rahmen der Individuation ein Selbstbewusstsein sowie die Persönlichkeit des 2 In der Psychologie werden folgende Entwicklungsaufgaben unterschieden: a) Entwicklung einer intellektuellen und sozialen Kompetenz, b) Entwicklung der eigenen Geschlechtsrolle und des sozialen Bindungsverhaltens zu Gleichaltrigen, c) Entwicklung eigener Handlungsmuster für die Nutzung des Konsumwarenmarktes und des Freizeitmarktes, sowie d) Entwicklung eines Werte- und Normensystems und eines ethnischen und politischen Bewusstseins (Hurrelmann 1994:32-34). 3 In der Soziologie handelt es sich um folgende jugendspezifische Anforderungen: a) neue Anforderungen an die Leistung, insb. in der Schule, b) Familienablösung und Gleichaltrigenkontakte, c) Entwicklung einer selbstständigen Konsum- und Freizeitorientierung, sowie d) (politische) Partizipation in der Form von Mitbestimmung in den für Jugendliche relevanten Lebensbereichen (Hurrelmann 1994:39-41). 3 Jugendlichen heraus (Hurrelmann 1994:34-37). Zweitens sucht der Jugendliche4 mittels der Auseinandersetzung mit den an ihn gestellten Anforderungen und Pflichten die eigene Integration in den gesellschaftlichen Zusammenhang (Hurrelmann 1994:43). Individuationsund Integrationsprozesse sind miteinander verknüpft, denn die eigene Identität kann nur in Bezug zur sozialen Umwelt entwickelt werden. Ausgehend von diesen Annahmen wird deutlich, dass die Jugendphase zwar eine eigenständige Lebensphase darstellt, jedoch durch ein Nebeneinander von Unselbständigkeit und Selbstständigkeit in den wichtigsten Lebensbereichen gekennzeichnet ist (Hurrelmann 1994:46). Besonders widersprüchlich erscheint dabei die tendenziell stark ausgeprägte soziokulturelle Selbstständigkeit (kulturelle und soziale Partizipation) bei einer relativ schwach realisierten sozioökonomischen Selbstständigkeit (berufliche und politische Integration) (Hurrelmann 1994:49).5 1.3 Sozialisationstheorien Die Sozialisationsforschung als zentrales Gebiet der Kindheits- und Jugendforschung geht von der zentralen These aus, dass Umweltbedingungen (wie Erziehung, Spielausstattung, Lebensraum, etc.) sowie die subjektiven Erfahrungen eines Kindes in Wechselwirkung zueinander stehen und im Zusammenspiel die Entwicklung eines Kindes stark beeinflussen (Geulen 2010:87-88). Sozialisation kann nach Hurrelmann (1990) als ein Prozess der produktiven Verarbeitung der Umwelt durch das Subjekt verstanden werden und ist demnach als „Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und dinglich-materiellen Umwelt“ (Hurrelmann 1990:65) zu definieren. Auch wenn gemäss des Modells der subjektiven Realitätsverarbeitung jeder Mensch zu jeder Zeit Einfluss auf seinen eigenen Sozialisationsprozess hat, indem er die vermittelten Erfahrungen der äusseren Realität und seiner Bezugspersonen selbstständig verarbeitet und interpretiert, muss davon ausgegangen werden, dass die Sozialisationsbedingungen wie Schichtzugehörigkeit oder kulturelle Zugehörigkeit ebenso prägend sind (Hurrelmann 1994:77-78). Bronfenbrenner (vgl. Lüscher 1976) zeigt auf, dass ausserdem auch die räumliche Umwelt als Sozialisationsbedingung miteinzubeziehen ist. Gemäss seiner Theorie zur Ökologie der menschlichen Entwicklung ist unter Sozialisation das Zusammenwirken von sozialen, symbolischen und räumlich-dinghaften Bedingungen6, welche der oder die Heranwachsende aktiv verarbeitet, zu verstehen (Engelbert et al. 2010:106). Jugendliche sind in diesem Zusammenhang aktive Produzenten des Sozialraums und auch Produzenten ihrer eigenen Entwicklung (Engelbert et al. 2010:115). Sozialräume wie 4 In der Arbeit werden abwechslungsweise die männliche und weibliche Form verwendet. Die Leserschaft wird gebeten, sich die jeweilig andere Geschlechtsform dazu zu denken. 5 Hurrelmann (1994) schlägt vor, die pubertäre Phase der 13- bis und mit 18jährigen als die Jugend im engeren Sinn zu betrachten (Hurrelmann 1994:50). Die vorliegende Studie stützt sich auf diese Altersspanne, wobei aus forschungspragmatischen Gründen (s. Kap. 4.4.2.) in erster Linie Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren ins Blickfeld genommen werden. 6 Diesbezüglich unterteilt Bronfenbrenner die Umwelt in vier sich überlappende Dimensionen: Mikrosystem, Mesosystem, Exosystem und Makrosystem (vgl. Geulen 2010:99). 4 bspw. öffentliche Räume sind deshalb für die biografischen Übergänge und die Bewältigung von Herausforderungen im Jugendalter von grosser Relevanz. Für die weiteren Überlegungen stellen diese Grundannahmen zur Lebensphase Jugend einen wichtigen Referenzpunkt dar, um die Bedeutung öffentlicher Räume für Jugendliche nachzuvollziehen. 1.4 Bedeutung öffentlicher Räume für Jugendliche In der Jugendforschung dominieren Familie, jugendspezifische Institutionen (Schule, Jugendhaus, Jugendvereine, etc.) und auch neu die Medien einerseits als zu untersuchende Kontexte jugendlicher Lebenswelt andererseits als zentrale Sozialisationsinstanzen. Die Analyse nicht-institutionalisierter und -pädagogisierter Kontexte wie beispielsweise öffentliche Räume – in der englischsprachigen Literatur auch als „The Fourth Environment“ bezeichnet – sowie deren Funktionen für die Entwicklung und Lebensqualität von Kindern und Jugendlichen blieb bis in die 1970er Jahre als Forschungslücke bestehen (vgl. van Vliet 1983:578). Erst mit der Kritik an der Grosstadt als anregungsarme und gefährliche Umwelt, welche die kindliche Bewegungsfreiheit und Gestaltungsmöglichkeiten im urbanen Kontext massiv einschränkte, wurden öffentliche Räume als bedeutsamer Bereich der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen wahrgenommen (Reutlinger 2009:288). Zahlreiche Autoren kritisierten (und tun dies noch heute), dass sich die objektiven Aneignungsmöglichkeiten öffentlicher Räume seit den 1960er Jahren verschlechtert haben7. Gleichsam scheint auch die subjektive Bedeutung öffentlicher Räume aufgrund der Veränderungen der innerfamiliären Lebensbedingungen (eigenes Zimmer, Verfügung über Unterhaltungsmedien, etc.) und der Zunahme kinder- und jugendspezifischer Angebote abzunehmen (vgl. Blinkert 1996:8-26), was die Erforschung der Rolle von öffentlichen Räumen in der jugendlichen Freizeitgestaltung erneut in Frage stellt. Einzig als Ort des informellen Lernens konnten sich öffentliche Räume als feste Bezugsgrösse in der pädagogischen Diskussion etablieren (Harring 2010b:21). Heute anerkennen nicht nur progressive Pädagogen sondern ebenso Lehrerinnen, Eltern und Jugendarbeitende öffentliche Räume als zentrale Bildungs- und Sozialisationsräume. Daneben gelten öffentliche Räume auch als Erlebnisräume für Kinder und Jugendliche, weil die Heranwachsenden dort die Möglichkeit zur autonomen (Fort-) Bewegung, Naturerfahrung (Wetter, Tageszeiten), sozialer Begegnung, Befriedigung der Neugier sowie Selbstregulierung erfahren (Zinnecker 1997:37-45). Eine Minderheit der Autoren macht darauf aufmerksam, dass das Sozialisations- und Erlebnispotential öffentlicher Räume aufgrund struktureller Ungleichheiten nur bedingt ausgeschöpft werden kann. Sie argumentieren, dass aufgrund des Versagens der primären Kontexte (Familie, Schule, Jugendarbeit) das Integrationsversprechen einzulösen, immer mehr Jugendliche Orientierung in öffentlichen Räumen suchen, die jedoch selbst von sozialen Ungleichheiten (z.B. Diskriminierung von und erschwerter Zugang für Minderheiten) geprägt sind (vgl. Bingel 2008:101-104). So liege dann auch die einzige Bedeutung öffentlicher Räume 7 Siehe dazu exemplarisch Zeiher (1979). Zum allgemeinen Wandel öffentlicher Räume vgl. Häussermann, Hartmut, Dieter Läpple und Walter Siebel (2008). Stadtpolitik. Kap. 16; sowie die Artikel von Walter Siebel (S.110-120), Ulfert Herlyn (S. 121-126) und Herbert Schubert (S. 145-151) in Selle (2003). 5 für Jugendliche darin, dass die Heranwachsenden (insbesondere diejenigen der Unterschicht) auf öffentliche Räume als einzige Alternative zum schulischen und familiären Kontext angewiesen sind, um zumindest irgendwo autonome Lebenserfahrungen machen zu können (Schnurr 2009:6-7). Böhnisch und Münchmeier (1993) schreiben öffentlichen Räumen demnach die Funktion der jugendlichen Lebensbewältigung zu: „Die Jugendlichen sind (…) gezwungen, sich stärker an sozialräumlichen Kontexten zu orientieren, in denen sie die traditionalen institutionellen Orientierungsmuster für sich jeweils neu gewichten, verorten und andere Orientierungsmuster auffinden und einbeziehen können, um so zu jener personalen und sozialen Identität kommen zu können, welche die Sozialisationsinstitutionen heute – Ablösungsprozess von der Familie, durch die Schülerrolle, durch die Arbeiterrolle – nicht mehr herstellen können“ (Böhnisch et al. 2003:52). Schliesslich nimmt die Bedeutung und Nutzung öffentlicher Räume durch Jugendliche ab, weil sie einerseits als potentielle Opfer von Beeinträchtigung durch Dritte und andererseits als potentielle Störenfriede und Täter von der Strasse ferngehalten werden (Matthews et al. 2000a:63). Öffentliche Räume werden oft mit normativen Vorstellungen über deren Beitrag zur kindlichen Entwicklung in Verbindung gebracht. Zinnecker (1979) beschreibt in seinem viel zitierten Aufsatz zur Strassensozialisation ausführlich das Doppelgesicht der Strasse, einerseits als Schreckensvision einer anti-pädagogischen Welt verteufelt und andererseits als Lernort bürgerlicher Öffentlichkeit idealisiert (Zinnecker 1979:723-727). Dementsprechend wird die Bedeutung öffentlicher Räume, sei es nun als Gefahrenraum oder Möglichkeitsraum, je nach Perspektivennahme unterschiedlich beurteilt. Ebenso spielt der aktuelle öffentliche und vor allem mediale Diskurs eine wichtige Rolle bei der Konnotation öffentlicher Räume. Dieses Kapitel versucht deshalb, die unterschiedlichen Hinweise auf die Bedeutung öffentlicher Räume für Jugendliche in der Form einer Auslegeordnung zu erörtert. Die folgenden Ausführungen sind aufgrund der teilweise normativen Färbung mit Vorbehalt zu antizipieren und kritisch zu beleuchten. Öffentliche Räume als Orte alltäglicher Begegnung und Geselligkeit In öffentlichen Räumen begegnen sich Bekannte sowie Fremde, diese treten miteinander in Kontakt und kommunizieren. Öffentliche Räume bezeichnen demnach „a sphere or domain where things happen, where there are people to see and where one can be seen by others. In short, for many young people the street is an important site for social activity” (White 1994:109). Einerseits ermöglicht ein Aufenthalt in einem öffentlichen Raum, Unerwartetes zu erleben, auf verschiedenste Menschen zu treffen und spontan neue Leute kennen zu lernen (Oldenburg et al 1982:274-277). Andererseits schaffen öffentliche Räume Sozialität und Zugehörigkeit und befriedigen damit das menschliche Bedürfnis nach sozialem Austausch. Dementsprechend empfinden viele Menschen bei sozialen Kontakten in öffentlichen Räumen, auch bei nur kurzen Interaktionen, ein Gefühl des Wohlbefindens (Morill et al. 2005:231). Die Erforschung öffentlicher Räume zeigt auf, dass soziale Beziehungen zwischen Fremden in öffentlichen Räumen oft aber auch distanziert und instabil sein können. Jugendliche in öffentlichen Räumen treten selten in direkten Kontakt mit anderen Anwesenden, sondern leben in der Öffentlichkeit ihre private Geselligkeit in der Form von Peergroup-Aktivitäten (vgl. Wüstenrot Stiftung 2003:220-225). Harrings Studie zu den 6 unterschiedlichen Freizeitwelten Jugendlicher (2010b) zeigt auf, dass diejenigen Jugendlichen, die sich am häufigsten in öffentlichen Räumen aufhalten, auch diejenigen Jugendlichen sind, bei denen die Peerbeziehungen im Zentrum der Freizeitgestaltung stehen. 99.3% dieser so genannten „peerorientierten Allrounder“ nannten als wichtigste Freizeitbeschäftigung das Treffen von Freunden in nicht-institutionalisierten und nichtprivaten Räumen (Harring 2010b:42-54). Die jugendliche Raumpraxis in öffentlichen Räumen muss deshalb als kollektive Tätigkeit verstanden werden, als eine Tätigkeit, die sich notwendigerweise und in erster Linie in einer Gruppe vollzieht. Diese Peergroup-Geselligkeit tritt zwar nicht nur in öffentlichen Räumen auf, ist aber dort besonders bedeutsam: Die Auseinandersetzung mit Fremdheit und Andersartigkeit findet innerhalb der Peergroup statt und ermöglicht „eine Verständigung über Bedeutung und Sinn relevanter Erfahrungen unter Gleichaltrigen und damit eine Vergewisserung darüber, dass andere die Wirklichkeit ebenso erleben und bewältigen wie man selbst“ (Scherr 2010:77). Diese Form der öffentlichen Sozialität formt und erhält die jugendliche Gemeinschaft. Öffentliche Räume als Orte kulturellen Ausdrucks und Austauschs In engem Zusammenhang zur sozialen Bedeutung öffentlicher Räume für Jugendliche stehen die Möglichkeiten, sich als Gruppe in öffentlichen Räumen über (sub-)kulturelle Praktiken zu repräsentieren, wobei Jugendliche in öffentlichen Räumen einen geringeren Konformitätsdruck empfinden als in pädagogischen oder privaten Institutionen. Kleidungsstil, Haarpracht, lautes und auffälliges Verhalten dienen den Jugendlichen dazu „sich sichtbar zu machen und dabei Spuren zu hinterlassen, es geht darum, wahrgenommen zu werden, um für die Gleichaltrigen Zuordnungen zu gestatten und in der Erwachsenengesellschaft, auch im Sinn von pro-vocare, Reaktionen hervorzurufen, aber auch darum, sich selbst wahrnehmen zu können. Grenzsetzung durch Äusseres und Kleidung dient der Identitätsbildung und Ich-Akzentuierung, die Reaktionen der anderen helfen den Jugendlichen bei der Strukturierung des Selbst- und Fremdwahrnehmung“ (Hexel 1988:561). Die Abgrenzung von der Erwachsenenwelt sowie von anderen Jugendgruppen gelingt über die Sichtbarmachung der eigenen Jugendkultur und Lebenseinstellung (Böhnisch et al. 2010a:2). Öffentliche Räume werden aus diesem Grunde auch häufig als Bühnen jugendlicher Performance beschrieben, wo Kultur8 produziert und reproduziert wird aber auch kulturelle Differenzen sichtbar werden (Malone 2002:164-167)9. Öffentliche Räume als Lektüre der Gesellschaft Urbane öffentliche Räume einer pluralisierten Gesellschaft sind meist durch Differenz und Multikulturalität geprägt und machen somit die Gestalt der Gesellschaft erfahrbar. In 8 Kultur soll im Weiteren wie folgt definiert werden: „Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“. (UNESCO-Definition: http://www.bak.admin.ch/themen/kulturpolitik/00449/index.html?lang=de) 9 Vgl. dazu die Beispiele in Zinnecker (1979), S.7 und 12. 7 öffentlichen Räumen können Jugendliche Differenz erfahren und reflektieren, den Umgang mit Andersartigem erlernen und sich in Toleranz gegenüber Fremdem üben (Frey 2004:228). Diese Möglichkeit zur „Lektüre der Gesellschaft“ lässt sich in erster Linie in der Öffentlichkeit realisieren (vgl. Chombart de Lauwe 1977). Zinnecker beschreibt diese Form der Erfahrung und Reflexion von Gesellschaft folgendermassen: „Die Strasse ist der öffentliche Raum, wo gesellschaftliche Zustände und Auseinandersetzung wie nirgends sonst studiert und beurteilt werden können. Sie ist ein privilegierter Lernort für gesellschaftlichen Anschauungsunterricht“ (Zinnecker 1979:230). Öffentliche Räume als Lektüre der Gesellschaft sind schliesslich auch Orte der gesellschaftlichen Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen (Böhnisch et al. 1993:24). Öffentliche Räume als Orte zwischen Kindsein und Erwachsenwerden Durch den Aufenthalt in öffentlichen Räumen können Jugendliche die Gesellschaft im Allgemeinen erfahren, aber insbesondere die Erwachsenenwelt entdecken (Frey 2004:228). Diese Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der Welt der Erwachsenen stellt einen wichtigen Aspekt der Entwicklung der Jugendlichen vom Kind zum Erwachsenen dar und umfasst die Abgrenzung, die Erweiterung sowie die Inkorporation von herrschenden Kulturund Normensystemen. Öffentliche Räume fungieren in diesem Zusammenhang als ‚liminal spaces’ (Matthews 2003:102) oder ‚third spaces’ (Matthews et al. 2000b:64), also als Übergangsräume zwischen dem Kindsein und dem Erwachsenwerden, in welchen die Identitätsprozesse der Jugendlichen stattfinden: „These are places where young people can piece together their own identities, celebrate an emotional sense of togetherness and stand apart, if only temporarily, from the adult world which surrounds them. ‘Streets’ are spaces betwixt and between cultures, neither entirely ‘owned’ by young people nor fixed as adult domains (…). As such, they comprise ‘contradictory cultural landscapes’ (…) from which signs of autonomy and separateness are both created and inevitably blurred” (Matthews et al. 2000b:72). Der Prozess der Identitätsbildung ist von Ambivalenzen und Spannungen geprägt und öffentliche Räume sind diejenigen Orte, wo Jugendliche sowohl Zugehörigkeits- wie auch Abgrenzungsgefühlen Ausdruck verleihen können (Matthews 2003:103). Jugendliche befinden sich in einer Übergangsphase zwischen Kindsein und Erwachsenwerden, die Jugendphase ist sowohl von den Kindheitserinnerungen als auch der Zukunftsperspektive geprägt (Skelton 2000:82). In öffentlichen Räumen können Jugendliche deshalb ihr Kindsein abstreifen (bspw. durch Konsum oder Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen), fühlen sich aber dennoch nicht den Normen und Konventionen der Erwachsenenwelt verpflichtet (Matthews et al. 2000b:69). So werden öffentliche Räume auch zu Orten der Grenzüberschreitung, wo Jugendliche sich austoben und alles ausprobieren können (Hexel 1988:563). Öffentliche Räume als Protesträume Die Auseinandersetzung Jugendlicher mit der Erwachsenenwelt ist oft von Irritationen und Konflikten geprägt, weil Jugendliche die Welt der Erwachsenen oft auch in Frage stellen oder gar ablehnen: „By crossing the borders of identity, literally by hanging out in these adult spaces, young people challange both its and their definition“ (Matthews 2003:114). Dieses 8 Konfliktpotential liegt aber nicht nur in unterschiedlichen normativen oder kulturellen Vorstellungen, sondern wird ebenso von den in den Räumen eingelagerten Machtverhältnissen geschürt. Öffentliche Räume sind also deshalb auch Konflikt- und Protesträume, weil sich jugendliche Bedürfnisse an den Interessen anderer Nutzergruppen reiben. Dabei kann die Aneignung öffentlicher Räume in Abweichung der vorgesehenen Nutzung auch als Widerstand gegen die Macht der Erwachsenen gedeutet werden, anhand derer die Jugendlichen ihr Recht auf Selbstkontrolle und Autonomie einfordern (Valentine: 2004:84-85). Öffentliche Räume als Lernorte Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass in öffentlichen Räumen grosses Lernpotential für Jugendliche verborgen liegt: In öffentlichen Räumen lernen Jugendliche Herausforderungen zu meistern und Gefahren zu bewältigen, sich gegenüber Gleichaltrigen und Erwachsenen zu behaupten und Selbstständigkeit zu entwickeln, Neues zu erleben, Fremdes zu verstehen und die Gesellschaft zu erkunden (Zinnecker 1979:136). Jugendliche entwickeln dadurch bedeutende Kompetenzen und erweitern damit ihren Handlungsspielraum in der Gegenwart und der Zukunft (Oehme 2011:2). Heute sind sich Pädagogen einig: Ein Grossteil der Bildungsprozesse, die Kinder und Jugendliche durchlaufen, findet im ausserschulischen Bereich der formellen Bildung statt. Neben den nonformalen Bildungsinstitutionen (Jugendeinrichtungen, Vorschulkrippen, Freizeiteinrichtungen, Vereine, etc.) sind insbesondere informelle Bildungsorte, also in erster Linie Orte der Freizeitbeschäftigung, von Bedeutung (Harring 2010b:21-23). Dabei handelt es sich um situative, d.h. nicht institutionalisierte und unstrukturierte, sowie soziale Lernprozesse in der Gleichaltrigengruppe, die unter anderem auch in öffentlichen Räumen stattfinden. Die Peergroupbezogene Freizeitbeschäftigung fördert dabei generell den Erwerb sowohl von sozialen als auch Sach- und Fachkompetenzen (Harring et al. 2010a:9-15). Weiter kann auch die Identitätsbildung und Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen zur informellen Bildung gezählt werden: In der Abstimmung und Aushandlung von Normen und Überzeugungen des Einzelnen mit der Peergroup bilden Jugendliche ein eigenes Selbst- und Wertverständnis und emanzipieren sich damit von ihrer Abhängigkeit von Eltern und Pädagoginnen. Gerade öffentliche Räume sind Orte jugendspezifischer Erfahrung, geprägt von Eigenständigkeit und fernab von pädagogischer Einflussnahme (Scherr 2010:81-82). Generell aber ist die Sozialisation in informellen Settings im Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Anpassung zu verstehen (Zinnecker 1979:18). Schliesslich entfaltet die Sozialisation in öffentlichen Räumen auch ein politisches Potential, weil sie Möglichkeiten und Chancen zur gesellschaftlichen Partizipation eröffnen bzw. verschliessen, indem beispielsweise eher autoritäre oder egalitäre Vorstellungen des Zusammenlebens inkorporiert werden (vgl. Nissen 2000:13 und 22). Öffentliche Räume als Bewältigungsräume und Rückzugsorte Wie bereits einführend erwähnt, stellen einige Autoren die Integrationsleistung informeller Lernorte in Frage. Weder die Sozialisation in institutionalisierten Kontexten noch die ausserschulischen Bildungsprozesse in öffentlichen Räumen sind ihrer Meinung nach fähig, 9 benachteiligte Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren; vielmehr erleben diese aufgrund der zunehmenden strukturellen Ungleichheit und einer akzentuierten Diskrepanz zwischen gesellschaftlich vorgegebenen Zielen und individuellen Möglichkeiten in allen Bereichen ihres Lebens durchgehend Ausschluss und Misserfolg (Böhnisch et al. 2010a:3; Reutlinger 2003:119). In öffentlichen Räumen zeigt sich diese Reproduktion von Ungleichheit in der Kriminalisierung jugendlichen Aneignungsverhaltens (Musik, Drogenkonsum, Skaten, etc.), was im Gegenzug zu einer weiteren Verstärkung der Zweiteilung der Jugend zwischen den Integrierten und Desintegrierten führt: „Vielmehr spaltet die Jugendphase die Jugendlichen in solche, die den Freiraum biografisch produktiv verwandeln können und solche, die auf der Strecke bleiben und für die das Hineinwachsen in die Gesellschaft bis zur Chancenlosigkeit prekär verläuft. Für diese Jugendliche droht der Zweck des Freiraums verloren zu gehen“ (Bingel 2008:109). Somit handelt es sich bei der jugendlichen Raumpraxis in öffentlichen Räumen der Stadt um einen Teufelskreis: Jugendliche, die in benachteiligten Stadtteilen aufwachsen und sich deshalb mit einer unzureichenden Infrastruktur und Stigmatisierung konfrontiert sehen, sind verstärkt auf öffentliche Räume als Orte autonomer Selbsterfahrung angewiesen. Weil diese Orte aber aufgrund ihrer zunehmenden Verregelung (Polizei, Videoüberwachung, etc.) und Funktionalisierung (Verkehr, Konsum, Arbeit, etc.) beinahe nur auffallendes, abweichendes oder gar kriminelles Jugendverhalten hervorruft, wiederholt sich die Ausschlusserfahrung dieser Jugendlicher auch hier (Bingel 2008:107-108). Öffentliche Räume werden dadurch für die Jugendlichen zu Orten der Lebensbewältigung, die jedoch in den wenigsten Fällen gelingt. Christian Reutlinger (2003, 2005, 2009) hat in seinen Arbeiten zur Sozialgeografie des Jugendalters die Lebensbewältigung benachteiligter Jugendlicher in informellen Kontexten untersucht und mit dem Begriff der ‚unsichtbaren Bewältigungskarten’ umschrieben. Er verweist damit auf den Umstand, dass Jugendkultur sowie jugendliche Bedürfnisse und Probleme vermehrt aus dem gesellschaftlichen Blickfeld verdrängt und unsichtbar gemacht werden; gerade benachteiligte Jugendliche ziehen sich deshalb aus der Öffentlichkeit in unsichtbare Lebensräume zurück. Dadurch gehen die Sozialisationsleistungen öffentlicher Räume, die ja gerade auf der Sichtbarkeit von Jugendlichen und ihrer Auseinandersetzung mit der Umwelt basieren, weitestgehend verloren (vgl. Reutlinger 2003:105-144). Für unsichtbare Jugendliche fungieren öffentliche Räume deshalb oft auch als Rückzugsund Zufluchtsort vor häuslicher und institutioneller Kontrolle und Sanktionierung. Er wird somit zum Ort der vielfältigen Reisen nach innen, „dem Bauen von Luftschlössern, den Tagträumen und Phantasien, dem Sich-aus-dem-Alltag-Entfernen“ (Hexel 1988:564), da die Realisierung wirklicher Reisen und Fortschritte nicht möglich ist. Zwischenfazit I Die vielfältigen Bezugspunkte zwischen Jugendlichen und öffentlichen Räumen können abschliessend folgendermassen zusammengefasst werden: Aus optimistischer Perspektive bilden öffentliche Räume die Folie zur Kompetenzentwicklung und Identitätsbildung von Jugendlichen. Die konstruktive Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt erzeugt demnach auch die Integration der Jugendlichen in das gesellschaftliche Normen- und Symbolsystem. Ein kritischer Blick auf das Bildungs- und Sozialisationspotential öffentlicher 10 Räume macht hingegen deutlich, dass diese positiven Eigenschaften informeller Lernorte nur gewissen Jugendlichen offen stehen und insbesondere strukturell benachteiligte Heranwachsende in öffentlichen Räumen vermehrt Ausschluss und Misserfolg erleben. Ausserdem trägt der fortlaufende Wandel öffentlicher Räume immer mehr dazu bei, die in öffentlichen Räumen eingelagerten Entwicklungspotentiale wortwörtlich zu verbauen10. 10 Für eine vertiefte Auseinandersetzung zum Wandel öffentlicher Räume und sich daraus ergebende Konsequenzen für Kinder und Jugendliche siehe Zeiher (1979), Reutlinger (2003) Kapitel 1.3. sowie Karsten (2005). 11 2 Forschungsstand 2.1 Jugend und öffentliche Räume – ein interdisziplinäres Forschungsthema In verschiedenen Publikationen zum Forschungsthema wird bemängelt, dass in den Sozialwissenschaften eine Wissenslücke zum Verhältnis von Jugend und öffentlichen Räumen existiere (Wüstenrot Stiftung 2003:13). Dennoch bieten die Kindheits- und Jugendforschung sowie Analysen zum Sozialraum Anknüpfungspunkte, um die Beziehung zwischen Jugendlichen und öffentlichen Räumen zu untersuchen. 2.1.1 Sozialökologie und raumbezogene Kindheits- und Jugendforschung Sozialökologische Studien (vgl. Baacke 1983, Hurrelmann 1985) interessieren sich für die Lebensführung von Kindern in ihren städtischen Wohnumwelten, weil sie davon ausgehen, dass der Lebensraum eine wichtige Sozialisationsinstanz darstellt11. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde in Anlehnung an Muchow (1998) und Bronfenbrenner (vgl. Lüscher 1976) das ökologische Zonenmodell entwickelt (Baacke 1980), das vier expandierende sozialökologische Zonen beinhaltet. Gemäss Baacke entspricht das Wachstum dieser ökologischen Zonen vom Zentrum in räumlich immer weiter entferntere und offenere Soziotope der allmählichen Zunahme jugendlicher Selbstständigkeit (Baacke 1993:144). Berechtigte Kritik an der kontinuierlichen und konzentrischen Ausdehnung des Handlungsraumes von Heranwachsenden entsprechend Baackes Zonenmodell veranlasste Helga Zeiher in den 1980er Jahren zur Erarbeitung des Inselmodells, welches bis heute für das sozialökologische Verständnis von grosser Bedeutung ist (s. Abb. 1). Nach Zeiher veränderten sich die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen seit den 1960er Jahren dahingehend, dass die für Heranwachsende relevanten Räume als Teilräume von einander getrennt und verstreut liegen. Ein solches Modell des verinselten Lebensraums beschreibt nicht ein „Segment der realen räumlichen Welt, sondern besteht aus einzelnen separaten Stücken, die wie Inseln verstreut in einem grösser gewordenen Gesamtraum liegen, der als Ganzer unbekannt oder zumindest teilweise bedeutungslos ist“ (Zeiher 1998:187). Wiederum in Anlehnung an Zeihers Inselmodell führte Jürgen Zinnecker im selben Zeitraum das Konzept der Verhäuslichung ein: Im Gegensatz zum Strassenkind um die vorletzte Jahrhundertwende bewegt sich das verhäuslichte Kind der postindustriellen Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft (ungefähr seit 1960) meist nur noch in spezialisierten und separierten Teilräumen (Wohnung, Schule, Freizeitstätte, Warenhaus, etc.) und ist damit auch stärker der Planungs- und Kontrollmacht von Erwachsenen unterworfen (Zinnecker 2001:28-41). Als Kritik an den damaligen Bedingungen verwies Zinnecker bereits im frühen Stadium seiner Arbeiten immer wieder auf die Strassensozialisation als einen unterschätzten, aber wichtigen Bildungsraum für Kinder und Jugendliche (Zinnecker 11 Wichtige Vertreter des sozialökologischen Ansatzes sind die Chicago School of Sociology, Martha Muchow (1998), Roger Barker (1968/Ecological Psychology), Rudolf Moos (1976/Social Ecology) und Harold Proshansky (1970/Environmental Psychology). 12 1979:727). Er plädierte dafür, statt Schreckensvisionen einer anti-pädagogischen Welt heraufzubeschwören, die Strasse als Lernort bürgerlicher Öffentlichkeit anzuerkennen (Zinnecker 1979:728-732): „Über den Strassenraum vermittelt sich die lokale, quartierbezogene Öffentlichkeit von Kindern und Jugendlichen. (…) Dort entwickeln sie eigenständige Spiel- und Umgangsformen miteinander, den Grundstock zu einer strassenbezogenen Kinder- und Jugendkultur“ (Zinnecker 1979:738). Kinder und Jugendliche lösen auf der Strasse auch Identitätsprobleme: „Identität muss und wird in vielfältig wechselnden Situationen hergestellt, problematisiert, erkämpft, neu zur Darstellung gebracht“ (Zinnecker 1979:742). Abbildung 1: Schematische Darstellung der verinselten Lebenswelten Quelle: Deinet 2009:9 In der raumbezogene Kindheits- und Jugendforschung sind vor allem subkulturelle Ansätze von Bedeutung, deren Erforschung nach Antworten auf die Frage sucht, wie Jugendliche in der Form von Peergroups den sozialen Raum in ihrem Alltag erfahren und gestalten. Diese Forschungstradition wurde massgeblich vom ‚Centre for Contemporary Cultural Studies’ in Birmingham geprägt. Die zahlreichen ethnografischen Studien erforschten Jugendsubkulturen in städtischen Lebensräumen und die Art und Weise, wie diese sozialen Gruppen räumliche Bedingungen zu ihren Gunsten veränderten (Gough et al. 2005:150). Ein einflussreiches Beispiel für die Arbeiten der Forschungsgruppe stellt das Buch ‚Jugendkulturen als Widerstand’ von John Clarke (1. Aufl. 1979) dar, in welchem mehrfach auf die Verschränkung von Jugendkultur und Jugendraum hingewiesen wird: Subkulturen „sind geeignet, den Jugendlichen Raum zu verschaffen: kulturellen Raum in der Nachbarschaft und in den Institutionen, wirklich freie Zeit und Erholung, tatsächlichen Raum auf der Strasse, an der Strassenecke. Sie sind behilflich bei der Markierung und Aneignung von ‚Territorien’ in der gegebenen Umwelt“ (Clarke et al. 1981:93-94).12 12 Zur Kritik am Centre for Contemporary Cultural Studies’ vgl. Langevang (2008) sowie Baacke (2007). 13 Aktuelle Jugendforschung mit Raumbezug konzentriert sich in erster Linie auf alters- und geschlechtsspezifische Nutzungsformen von Raum und auf die Aneignung von gebauter und sozialer Umwelt durch Kinder und Jugendliche (vgl. Wüstenrot Stiftung 2003 und 2009, Muri et al. 2009). 2.1.2 Sozialgeografie der Kindheit und des Jugendalters Raumforschung mit einem Bezug zur Kindheit und Jugendphase wird vor allem von der angelsächsischen Sozialgeografie betrieben in der Form von „life course studies in geography“ (Del Casino 2009:185). Während im Allgemeinen die Untersuchung alterspezifischer Wahrnehmung, Nutzung und Konstruktion von Räumen lange Zeit vernachlässigt wurde, begann diese Disziplin in den 1960er und 70er Jahren sozialräumliche Prozesse für unterschiedliche Altersgruppen zu erforschen. Dabei nahm und nimmt die Sozialgeografie noch heute eine machttheoretische Perspektive ein, wenn sie einerseits nach der Regulierung von Räumen durch Erwachsene und andererseits nach Widerstand gegen und Transformation von regulierten Räumen durch Kinder und Jugendliche fragt (Del Casino 2005:186). Für sozialgeografische Untersuchungen müssen deshalb neben den Wahrnehmungen, Konstruktionen und Transformationen von Räumen durch Kinder ebenso die kulturellen Ausschlusspraktiken von Erwachsenen im Alltag berücksichtig werden (Matthews et al. 1999:82). Mit Forschungsarbeiten zur räumlichen Marginalisierung von Kindern durch Erwachsene in den 60er und 70er Jahren wurde erstmals das Plädoyer für eine Geografie der Kindheit und des Jugendalters laut: Sozialgeografen wie beispielsweise William Bunge (1975) oder Hugh Matthews und Melanie Limb (1998) forderten die radikale Aufgabe einer Erwachsenenzentrierten Geografie und damit den konsequenten Miteinbezug des kindlichen und jugendlichen Raumerlebens in die geografische Forschung. Auch im deutschsprachigen Raum wird eine Sozialgeografie der Kindheit betrieben, dessen wichtigster Begründer der Schweizer Benno Werlen darstellt. Werlen vertritt dabei eine Hinwendung der Sozialgeografie zu den menschlichen Tätigkeiten und sozialen Prozessen und damit eine „Wende von der Raum- zur Sozialforschung“ (Werlen 2007:34). Eine Sozialgeografie der Kindheit muss sich gemäss Werlens Ausführungen (Werlen 2007:36) demnach mit den sozialräumlich verankerten Handlungsweisen auseinandersetzen und dabei die subjektiven Wahrnehmungen und Konstruktionen von Kindern in den Mittelpunkt stellen. Reutlinger (2003) weist darauf hin, dass insbesondere jugendliches Geografie-Machen in der Sozialgeografie ein unerforschtes Feld darstellt (Reutlinger 2003:109).13 Zwischenfazit II 13 Weitere wichtige thematische Schwerpunkte der Sozialgeografie des Jugendalters sind: a) die Folgen des sozialen Wandels für das Geographie-Machen von Heranwachsenden in westlichen Gesellschaften (vgl. Katz 1991, Reutlinger 2003), b) die Handlungsweisen von Jugendlichen in stark machtstrukturierten und regulierten Räumen und die Bedeutung normativer Herrschaftsdiskurse (bspw. über Sexualität, Ethnie oder Geschlecht) für konformes und nonkonformes Verhalten (vgl. Del Casino 2009:203-208), c) den Diskurs zur ‚teenphobia/culture of fear’ sowie zur Kriminalisierung von Jugendlichen im öffentlichen Raum (vgl. Del Casino 2009:203-208), d) Raumqualitäten und Mobilitätsmuster von Kindern und Jugendlichen in der Stadt (vgl. Limbourg et al. 2000, Scholl et al. 2002, Hunecke et al. 2002) und e) die psychologischen Komponenten kindlicher Raumerfahrung und Raumkompetenzen (vgl. Matthews 1992, Spencer et al. 1989). 14 Beiden Forschungstraditionen ist zu eigen, dass sie für einen Perspektivenwechsel in der Raumforschung zugunsten der Heranwachsenden in unserer Gesellschaft plädieren. Mit der Untersuchung von Nutzung und Erfahrung der räumlichen Strukturen in urbaner Umgebung durch Kinder und Jugendliche (Sozialökologie und raumbezogene Kindheits- und Jugendforschung) sowie mit der Thematisierung von Restriktionen und Marginalisierung von Minderjährigen in einer von Erwachsenen gebauten und dominierten Umwelt (Sozialgeografie) machen beide Forschungstraditionen deutlich, dass Kinder und Jugendliche ihre Umwelt mit den entsprechenden räumlichen Bezügen in anderer Weise als Erwachsene wahrnehmen und dementsprechend auch andere Bedürfnisse im Bezug auf die physische Ausgestaltung von Räumen haben. Dieses emanzipatorische Moment wird auch in der vorliegenden Arbeit wieder aufgenommen: Im Fokus steht die spezifische Nutzung, Erfahrung und Bedeutung öffentlicher Räume für Jugendliche und insbesondere mit der explorativen Ausrichtung der Untersuchung sollen statt herkömmliche (Erwachsenen-) Deutungen von öffentlichen Räumen und Öffentlichkeiten vielmehr neue und vernachlässigte Lesarten der Thematik erforscht werden. 2.2 Forschungsüberblick zum Themenfeld ‚Jugend-Raum-Öffentlichkeit’ Im Folgenden wird bereits vorhandenes empirisches Wissen zum Forschungsthema in zwei Abschnitten vorgestellt, erstens zu ‚Jugend in öffentlichen Räumen’ und zweitens zu ‚Jugend und Öffentlichkeit’. Diese Zweiteilung wird deutlich machen, dass sich eine mögliche Forschungslücke in der Verknüpfung beider Forschungsfelder befindet, wie im Kapitel 2.3. dargestellt wird. Im Generellen werden Untersuchungen sowohl aus dem angelsächsischen als auch aus dem deutschen Sprachraum berücksichtigt, wobei die deutschsprachige Forschung zu gewissen Themen weniger weit fortgeschritten scheint und dementsprechend bis anhin weniger Erkenntnisse hervorgebracht hat. 2.2.1 Forschungsfeld 1: Jugend in öffentlichen Räumen Dieses Forschungsfeld ist sehr breit angelegt und die grosse Vielfalt der bisherigen Forschungserkenntnisse lässt Rückschlüsse auf sehr unterschiedliche Perspektiven der Beziehung zwischen Jugendlichen und öffentlichen Räumen zu. Es lässt sich in fünf Teilbereiche gliedern, die Fragen zu a) Macht und Ungleichheit in öffentlichen Räumen, zu b) nonkonformes Verhalten und subkulturelle Praktiken in öffentlichen Räumen, zu c) jugendliche Partizipation bei der Planung öffentlicher Räume, zu d) sozialräumliche Aneignung in öffentlichen Räumen sowie zu e) kollektive Identitätsfindung in öffentlichen Räumen nachgehen. In der Darstellung der fünf Teilbereiche wird lediglich eine Auswahl der wichtigsten Studien behandelt, um eine gewisse Bandbreite von Themen abdecken zu können. Aus diesem Grund werden die zahlreichen Studien zum Forschungsfeld einzeln nach Teilbereich zusammengefasst. Allein auf Forschungsarbeiten zum Teilbereich ‚sozialräumliche Aneignung in öffentlichen Räumen’ wird näher eingegangen. Macht und Ungleichheit in öffentlichen Räumen 15 Dieser Teilbereich befasst sich einerseits mit dem ungleichen Zugang zu öffentlichen Räumen von verschiedenen Anspruchsgruppen. Dabei werden Differenzierungen nach Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und sozioökonomischer Position identifiziert und es wird beschrieben, wie sich Ausschlussmechanismen entlang dieser Differenzierungslinien auf die Raumnutzung, -wahrnehmung und –deutung einzelner Gruppen von Jugendlichen auswirken: Während Mädchen in früheren Studien als stark benachteiligt bezüglich des Zugangs zu und der Nutzungsmöglichkeiten von öffentlichen Räumen bezeichnet wurden (vgl. Zinnecker 1979), haben neuere Studien festgestellt, dass Mädchen ebenso wie Jungen öffentliche Räume zu ihren Gunsten nutzen können (vgl. Bütow 2000, Forschungswerkstatt Sozialraum 2006, Schön 1999, Wüstenrotstiftung 2003 & 2009). Zwar gibt es teilweise beachtliche Unterschiede in der Art der Nutzung zwischen den Geschlechtern, sowohl Jungen als auch Mädchen entwickeln aber die ihnen angemessenen Strategien im Umgang mit diesen Ungleichheiten.14 Generell unterscheiden sich Wahrnehmung und Nutzung öffentlicher Räumen durch Jugendliche mit unterschiedlichem sozioökonomischem Status signifikant. Benachteiligte Jugendliche nutzen öffentliche Räume tendenziell häufiger als Jugendliche aus der Mittel- und Oberschicht (Gough et al. 2005, Zinnecker 1979). Einerseits ermöglicht er ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft sowie die Stärkung von Zugehörigkeit und Selbstwertgefühl (z.B. Territorialverhalten), die ihnen in anderen Kontexten verwehrt sind (vgl. Kintrea et al. 2008). Andererseits erleben sie aber gerade in öffentlichen Räumen zusätzliche Diskriminierungen (Kontrolle, Ablehnung, Kriminalisierung, etc.). Gerade im Wohnumfeld verfügen Jugendliche aus benachteiligten Quartieren über eine schlechtere Infrastruktur an öffentlich nutzbaren Räumen (vgl. de Besten 2010, Reutlinger 2003). Aufgrund des fehlenden Wissens über konforme Verhaltensweisen in öffentlichen Räumen erleben ausländische Jugendliche Diskriminierungen und Nutzungseinschränkungen in öffentlichen Räumen (vgl. Emmenegger 1995, Rauschenbach et al. 1989). Generell können sich somit ethnische oder religiöse Konflikte in öffentliche Räume verlagern (Bandengewalt, rassistisch motivierte Angriffe, etc.). Involvierte Konfliktparteien bedienen sich dabei der Strategie des Territorialverhaltens, indem sie bestimmte Gebiete des Sozialraums für sich beanspruchen und auch verteidigen (vgl. Leonard 2006, Watt et al. 1989). Geschlechtliche, sozioökonomische und ethnisch-kulturelle Differenzierungslinien können sich in öffentlichen Räumen überlagern und somit zu einer mehrfachen Diskriminierung einzelner Gruppen von Jugendlichen führen. Wie Vanderbeck (2004) bemerkt, erleben Jugendliche neben offensichtlichen Diskriminierungen und Segregation ebenso oft subtile Ausschlusserfahrungen durch informelle normative Settings in öffentlichen 14 Für einen ausführlichen Forschungsüberblick zum Thema „Mädchen im öffentlichen Raum“ vgl. Madlener, Nadja (2004). We can do. Geschlechtsspezifische Raumaneignung am Beispiel von Graffiti von Mädchen und jungen Frauen in Berlin. Stuttgart: ibidem-Verlag. S.69-88. Oder Bütow, Birgit (2000). Mädchen zwischen privaten und öffentlichen Räumen. In: Mädchen in sozialen Brennpunkten. Berlin: Sozialpädagogisches Institut Berlin. S.33-35. 16 Räumen. Als Reaktion darauf kann beobachtet werden, wie Jugendliche solche sozialräumliche Narrative sozialer Differenzierung herausfordern und verändern und sich selber bedeutungsvolle Mikro-Territorien der Öffentlichkeit schaffen (Vanderbeck et al. 2004:182). Als Zweites lassen sich Studien zur Diskriminierung von Jugendlichen in öffentlichen Räumen unter diesem Teilbereich zusammenfassen. Ausgangspunkt dieser Untersuchungen ist die Vorstellung, dass öffentliche Räume durch formelle und soziale Strategien als Teil der Erwachsenenwelt konstruiert sind, in welchen Jugendliche benachteiligt werden (vgl. Malone et al. 1998, Malone 2002). Folglich kommt es ausdrücklich an solchen Orten, wo das Interesse zur Aufrechterhalten der Erwachsenenordnung besonders gross ist (d.h. öffentliche Räume mit spezifischen Funktionen für Verkehr, Wirtschaft und Konsum), regelmässig zu Konflikten zwischen Erwachsenen und Jugendlichen (vgl. Lees 2003, Matthews et al. 2000, Stratford 2002). Es handelt sich dabei meist um Auseinandersetzung zwischen den Bedürfnissen der Jugendlichen nach Freiraum und Autonomie und den ökonomischen wie moralischen Interessen von Stadtbewohnern, Behörden und Gewerbe. Gerade in den USA sowie Grossbritannien reagieren die Behörden darauf mit Ausgangssperren und Repression (vgl. Collins et al. 2010); ähnliches Vorgehen kann aber auch in Schweizer Ortschaften beobachtet werden15. Diese Ausschlussmechanismen werden häufig mit einem im öffentlichen Diskurs aufgebauten negativen Jugendbild (Kriminalität, Littering, Gewalt, Drogenmissbrauch, etc.) legitimiert. Jugendliche reagieren auf diese Diskriminierungen entweder mit Rückzug, offenem Protest oder Ausweichstrategien (vgl. Kato 2006, 2007 & 2009). Nonkonformes Verhalten und subkulturelle Praktiken in öffentlichen Räumen Die subkulturellen Ausdrucksformen von Jugendgruppen in öffentlichen Räumen stellen einen zentralen Teilaspekt des Forschungsfeldes ‚Jugend in öffentlichen Räumen’ dar. Solche Untersuchungen verknüpfen Jugendkultur dabei meist mit Fragen nach jugendlichem Protestverhalten in öffentlichen Räumen. Aus den entsprechenden Studien geht zusammenfassend hervor, dass jugendliche Subkulturen oder Milieus den Raum auf ihre je eigene Art und Weise nutzen und verändern, mit dem Ziel, sowohl kulturelle als auch normative Ansprüche geltend zu machen (vgl. Becker et al. 1984a/b, Borden 1998, Clarke 1981, MacDonald 2001, Northoff 2001, Volland 2009). Jugendliche können im öffentlichen Raum aber auch diejenigen sein, welche die Raumqualitäten für andere Anspruchsgruppen beeinträchtigen. Aufgrund methodischer Schwierigkeiten (insb. Reaktivität und soziale Erwünschtheit) befassen sich aber nur wenige Studien mit nonkonformen Verhalten von Jugendlichen in öffentlichen Räumen und die Auswirkungen auf das soziale Leben an diesen Orten. Mögliche Erklärungsfaktoren von nonkonformen Verhalten in öffentlichen Räumen liegen erstens im Bedürfnis, die eigene Randständigkeit öffentlich zu thematisieren (vgl. Breyvogel 1997), zweitens in der Strategie, 15 Siehe bspw. die Ausgangssperre in Liechtenstein, Polizeikontrolle und Ausgehverbote in Bad Zurzach, Polizeiund Armeeeinsatz bei dem Harrasenlauf in Basel-Land, Polizeistunden und Videoüberwachung in Altstetten, etc. 17 den negativen Jugenddiskurs als Spielfläche für performative Handlungen zu nutzen (vgl. Fleetwood 2004), und drittens in der Möglichkeit, über die Durchsetzung eines bestimmten Verhaltenskodex öffentliche Räume zu kontrollieren (vgl. Andersons 1998). In allen drei Fällen wird deutlich, dass nonkonformes Verhalten in öffentlichen Räumen die Möglichkeit bietet, über negatives Verhalten Identitäten und Zugehörigkeiten zu konstruieren. Jugendliche Bedürfnisse und Partizipation bei der Planung öffentlicher Räume Die wenigen Studien, welche die Mitwirkung von Jugendlichen bei der Planung öffentlicher Räume berücksichtigen, zeigen auf, wie komplex und sensibel solche Partizipationsprozesse sind (vgl. Elsley 2004, Freeman et al. 2005, Gearin et al. 2006, Varney 2007). Es herrscht dabei Uneinigkeit darüber, wie prominent die jugendspezifischen Bedürfnisse aufgenommen, bearbeitet und umgesetzt werden sollen. Mitwirkungsprojekte, die vor allem auf die Realisierung jugendlicher Interessen setzen, stellen die Jugendlichen in den Mittelpunkt (vgl. Weszkalinys 2008); Projekte hingegen, die in erster Linie einen Mehrwert für alle Betroffenen des Sozialraumes erzielen möchten und dabei auf die Aufhebung der marginalisierten Rolle der Jugendlichen zielen, relativieren die jugendlichen Interessen (vgl. Gohde-Ahrens 2008). Jugendliche Partizipation bei der Planung öffentlicher Räume stellt sich in jedem Fall als wirksames Mittel dar, um Jugendliche auch in die politische Öffentlichkeit zu integrieren: Durch den Kontakt mit lokalen Akteuren und der Lokalbevölkerung erhalten Jugendliche die Möglichkeit sich auch in anderen Bereichen als der Raumplanung Gehör zu verschaffen (vgl. Gohde-Ahrens 2008). Sozialräumliche Aneignung in öffentlichen Räumen Studien aus diesem Teilbereich befassen sich mit der Nutzung, Wahrnehmung und Deutung von öffentlichen Räumen durch Jugendliche in ihrer alltäglichen Erfahrungswelt. In der Tabelle 1 werden Details zu den genannten Untersuchungen aufgelistet. Die schwedische Studie von Liebert (1995) zeigte auf, dass Jugendliche sowohl Räume des Rückzugs als auch Räume der Interaktion benötigen, um das Spannungsverhältnis zur Erwachsenenwelt bewältigen zu können: „Places of retreat and places of interaction meet different needs and interests that are linked closely to the personal developments that take place during the teen years“ (Lieberg 1995:740). Weiter unterteilte Lieberg die Raumnutzung der Jugendlichen in drei zentrale Aktivitäten: Erstens nutzen Jugendliche die ungeplanten und offenen sozialen Kontakte in öffentlichen Räumen, um soziale Kompetenzen und Wissen zu erwerben sowie zur Identitätsbildung. Zweitens fungieren öffentliche Räume als Bühne, einerseits um sie als Plattform zum jugendlichen Austausch zu nutzen und andererseits um sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Drittens versuchen Jugendliche die Normensysteme öffentlicher Räume zu ihren Gunsten zu transformieren, beispielsweise indem sie gewisse Raumausschnitte besetzen oder ihn sich symbolisch aneignen (Lieberg 1995:729-737). Eine weitere Studie aus dem Jahre 1999 aus einem Quartier in Berlin Mitte zeigte auf, dass sich die Raumnutzung und –wahrnehmung von Jugendlichen und Kindern stark unterscheidet: Während die 8-12jährigen den Strassenraum vor allem naturbezogen 18 und sinnlich, sowie geschlechtsneutral und gruppenübergreifend wahrnahmen, charakterisierten die 13-18jährigen ihre Räume als symbolisch konnotiert und entsinnlicht sowie geschlechtsrollenspezifisch und sozial getrennt. Diese Untersuchung bringt eindrücklich zum Vorschein, wie sich die Raumnutzung und – wahrnehmung in der Jugendphase von anderen Altersgruppen abhebt. Im Heranwachsen passen sich die Jugendlichen dabei immer früher dem dominanten Raum der Erwachsenenwelt (funktionaler Raum) an (Schmals 1999:73-79). Die Wüstenrot Stiftung aus Ludwigsburg in Deutschland hat unter ihrem Arbeits- und Forschungsschwerpunkt „Jugend und gebaute Umwelt“ mehrere Studien durchgeführt und veröffentlicht, um die Forschungslücke zur Funktion und Bedeutung von öffentlichen Räumen für Jugendliche in deutschen Städten zu schliessen. Die erste Publikation zum genannten Forschungsschwerpunkt mit dem Titel „Jugendliche in öffentlichen Räumen der Stadt“ (2003) richtete sich „auf die in öffentlichen Räumen wirksam werdenden und durch die baulichen Strukturen mitbestimmten Chancen und Restriktionen für Jugendliche in Städten“ (Wüstenrot Stiftung 2003:11), namentlich in Hannover. Mit einem Mix aus qualitativer Methoden (nichtteilnehmende Beobachtung, Experiment) untersuchten sie sechs unterschiedliche Typen öffentlicher Räume sowie das Verhalten Jugendlicher und verknüpften diese Datensätze mit Informationen aus einer Online-Schüler-Befragung. Für die vorliegende Forschungsarbeit sind vor allem die Befunde zu den in den unterschiedlichen öffentlichen Räumen dominanten Verhaltensqualitäten relevant: Die Studie zeigte, dass sich bei der überwiegenden Anzahl der Jugendlichen „eher leise und auf engen Raum begrenzte Verhaltensweisen“ (Wüstenrot Stiftung 2003:222) beobachten liessen und dass ihr Verhalten sowohl bei Abwesenheit als auch bei Anwesenheit von mehreren Erwachsenen stärker nach aussen gerichtet war, wobei direkte Interaktionen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen oder Kindern selten registriert wurden. Im Gegensatz dazu waren ein Grossteil der beobachteten Handlungen in den Untersuchungsräumen von der direkten Kommunikation und Interaktion zwischen den Gleichaltrigen geprägt. Nach Ansicht der Autoren bestätigte sich die These, nach welcher öffentliche Räume als Bühne zur Selbstdarstellung, als Integration in die Erwachsenengesellschaft sowie als Ort der Interaktion fungieren, obschon sich dies vor allem unter den Jugendlichen und teilweise auch von Anderen unbeobachtet abspielt. Gleichzeitig konstatierten sie eine mangelnde Wertschätzung der Jugendlichen als Nutzergruppe in öffentlichen Räumen und einschneidende Restriktionen ihrer sozialräumlichen Aneignung, was von den Jugendlichen selbst jedoch nur geringfügig thematisiert wurde (Wüstenrot Stiftung 2003:218-232). Die daran anschliessende Studie der Wüstenrot Stiftung „Stadtsurfer, Quartierfans & Co.“ (2009) konzentrierte sich auf „Muster und Verständnisse alltäglichen Raumgeschehens und Raumentwurfes von Jugendlichen“ (Wüstenrot Stiftung 2009:9). Mit einer Kombination von unterschiedlichsten Methoden (Kartenabfragen, Tagesprotokolle, Modellbau, teilnehmende Beobachtung, Befragung…) erforschten sie die Raumpraxis, die Raumvorstellung und Raumbedeutungen von Jugendlichen in der Stadt Hannover. Das Ergebnis der Studie mündete in einer Kategorisierung der 19 Jugendlichen in fünf unterschiedliche Raumnutzungs- und Stadtkonstruktionstypen (vgl. Tab.1). Für die Schweiz ist das Nationalfondsprojekt mit dem Titel „Bühnen der Öffentlichkeit: Kinder und Jugendliche setzen sich in Szene“ (2003-2006) zu erwähnen, welches sich mit der Aneignung von öffentlichen Stadträumen durch Kinder und Jugendliche befasste. Im Neubaugebiet „Neu-Oerlikon“ in der Stadt Zürich wurden mittels Methoden der qualitativen Sozialforschung (Leitfadeninterviews, teilnehmende Beobachtung) sowie ethnografischen Erhebungen (Fotografien, Filme) jugendkulturelle Raumaneignung anhand von exemplarisch ausgewählten Schnittstellen mit der Erwachsenenwelt untersucht. Im Fokus des Projektes stand demnach die Frage nach Möglichkeiten und Bedingungen zur konstruktiven Auseinandersetzung der Jugendlichen mit der Erwachsenengesellschaft und –kultur im betreffenden Stadtgebiet, welche als zentrale Teilfunktion von sozialräumlicher Aneignung verstanden wurde. Dabei versuchten die Autoren auch aufzuzeigen, wie Jugendliche von erwachsenen Fachpersonen geplante und gebaute Räume eigengestalterisch nutzen und zurückerobern (Muri et al. 2009: 107-108/128131). Die für die vorliegende Arbeit relevanten Ergebnisse beziehen sich vor allem auf Merkmale der intergenerationellen Wahrnehmung in den untersuchten öffentlichen Räumen: Die Interaktion zwischen den Generationen beruhte vor allem auf nonverbalen Ausdrucksformen, welche bei den Jugendlichen zwischen Provokation und Abgrenzung pendelten. Gemäss den Autoren wurde in den beobachteten Interaktionsmustern die Ambivalenz der Jugendlichen zur Erwachsenenöffentlichkeit deutlich. Weiter stellten die Forscher fest, dass die „Erwachsenen zwar massgeblich an der Gestaltung der städtischen Öffentlichkeit beteiligt sind, dass sie sich jedoch einer intergenerational wirksamen öffentlichen Alltagspraxis weitgehend entziehen“ (Muri et al. 2009: 146) und damit den Jugendlichen den Bezug zur Erwachsenenwelt verunmöglichen. Jugendliche hingegen suchten gemäss der Untersuchung explizit öffentliche Räume auf, die in Beziehung zur Erwachsenenwelt (bspw. Nähe zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt wie der Bahnhof) stehen16. Auch in Basel wurden einzelne Studien zu Aneignungspraktiken von Kindern und Jugendlichen durchgeführt, die u.a. mit Hilfe von Tagesprotokollen, Kartenabfragen, Sozialraumbegehungen und Mental Maps die für die Heranwachsenden bedeutsamen Räumen, Situationen und Aktionen in der Stadt identifizierten. Die Ergebnisse der von Emmenegger (1995) herausgegebene sozialgeografische Untersuchung zu neuzugezogenen fremdsprachigen Jugendlichen in der Stadt Basel weisen darauf hin, dass Raumqualitäten subjektiv gedeutet werden. Dies zeigt sich beispielsweise an der Tatsache, dass aus objektiver Sicht die Räume im Heimatland naturnaher, weitläufiger und zugänglicher waren als das neue städtische Wohnquartier in Basel, die befragten Jugendlichen selber diese minderen Raumqualitäten jedoch nicht als solche benannten. Auch dieser Autor macht deutlich, dass die Raumansprüche von Jugendlichen meist eher bescheiden als fordernd sind (Emmenegger 1995:97-100). Die 16 Weitere Informationen zum SNF-Projekt unter http://www.nfp52.ch/d_dieprojekte.cfm?Projects.Command=details&get=24. 20 Basler Studie „JO! St. Johann – Quartierentwicklung mit Kindern“ zeigt hingegen auf, dass von Untersuchungen kindlicher Raumnutzung und –deutung gleichwohl Raumqualitäten abgeleitet werden können, die dann als Leitlinien für die Stadt- und Quartierplanung dienen. Die in der Studie befragten Kinder lieferten sehr differenzierte Antworten zu Themen wie Sauberkeit und Sicherheit, Orientierung und Identifikation im Quartier oder Rückzugsbedürfnisse (Shenton-Bärlocher et al. 2007:2-5). Eine Diplomarbeit zu drei Basler Quartieren ermittelte anhand von 9 qualitativen Interviews, dass öffentlichen Räumen für Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren die grösste Bedeutung für die Freizeitbeschäftigung zukommt (Knill et al. 2005: 77ff). Diese Untersuchungen zur sozialräumlichen Aneignung öffentlicher Räume durch Jugendliche zeigen auf, dass die Nutzung, Wahrnehmung und Deutung von öffentlichen Räumen durch Jugendliche in erster Linie subjektiver Natur sind. Jugendliche nutzen öffentliche Räume für verschiedenste Aktivitäten und schreiben ihnen je nach Funktion (Rückzug oder Interaktion) unterschiedliche Bedeutung zu, wobei sie meist relativ bescheidene Ansprüche an die Raumqualitäten erheben. Jugendliche grenzen sich in ihrer Raumnutzung und- wahrnehmung dabei deutlich von den Jüngeren ab, sodass es berechtigt erscheint, Jugend als eigene Lebensphase ins Zentrum der Forschung zu rücken. Jugendliche in öffentlichen Räumen sehen sich mit zahlreichen Ambivalenzen und Spannungsfeldern konfrontiert: Ihre Aktivitäten pendeln zwischen Verändern und Anpassen, zwischen Rückzug und Interaktion, zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Der Austausch mit anderen Nutzergruppen wird dabei meist über symbolische und kulturelle Praktiken vermittelt. Die Raumpraxis von Jugendlichen kann in Anbetracht der vielschichtigen Regulierungsmechanismen in öffentlichen Räumen (vgl. Teilbereich a)) als fragil und anpassungsfähig zugleich bezeichnet werden, weil sie einem ständigen Wechselverhältnis von Einschränkungen und Möglichkeiten unterworfen ist. Je nach Kontext gelingt es den Jugendlichen, eigene Räume und Öffentlichkeiten für sich zu behaupten und in aktive Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt zu treten. In anderen Fällen schränkt die Regulierung durch formale Institutionen sowie informelle normative Kontrollen die Aneignungsmöglichkeiten der Jugendlichen so stark ein, dass ihnen die positiven Folgen gelungener sozialräumlicher Aneignung verwehrt bleiben. Ein drittes Szenario beschreibt Baumgartner mit dem Begriff des moralischen Minimalismus (1988). Dieser tritt in solchen Gemeinschaften auf, die sich statt an Konfrontation und Konfliktbewältigung viel eher an Konfliktvermeidung und sozialer Harmonie orientieren, also ein Bild eines friedlichen und toleranten Kollektivs abgeben. Baumgartner erklärt einen solchen moralischen Minimalismus mit sozialer Fragmentierung, Individualisierung und sozialer Fluidität in den gegenseitigen Beziehungen (Baumgartner 1988:129) und weist auch darauf hin, dass Menschen mit geringen sozialen Bindungen zueinander sich auch seltener gegenseitige Hilfe anbieten. Gewaltlosigkeit, Vermeidung von Konfrontationen und Toleranz auch gegenüber fehlgeleitetem Verhalten kann nach Baumgartner infolgedessen als Ausdruck einer desintegrierten Gesellschaft gedeutet werden. Dass sich Jugendliche entgegen den gängigen 21 Stereotypen eher unauffällig in öffentlichen Räumen verhalten und eine genügsame Haltung gegenüber den Möglichkeitsräumen einnehmen (vgl. Emmenegger 1995, Wüstenrot Stiftung 2003), kann auch auf eine fehlende Integration der Jugendlichen und einen mangelnden Zusammenhalt in der Stadt- und Quartiersgemeinschaft zurückgeführt werden. Folgende Forschungsleitende Thesen können aus dem Teilbereich zur sozialräumlichen Aneignung abgeleitet werden und sollen die weitere Untersuchung begleiten: 1. Öffentliche Räume bieten die Plattform für jugendliche Lernprozesse insbesondere für die Identitätsentwicklung. 2. Jugendliche konstruieren ihre Identitäten mittels sozialräumlicher Grenzziehungen; eigene Territorien werden vor allem symbolisch markiert. 3. Öffentliche Räume sind Plattform für den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen in der Peergroup. Jugendliche nutzen öffentliche Räume vor allem für kommunikative Zwecke. 4. Öffentliche Räume bieten die Plattform für jugendliche Selbstinszenierung und der damit verbundenen gesellschaftlichen Verständigung mit anderen Nutzergruppen. 5. Die Interaktion mit anderen Nutzergruppen verläuft meist über nonverbale und symbolische Kommunikationsmittel. Nutzergruppen sind eher die Ausnahme. Direkte Interaktionen mit anderen 6. Öffentliche Räume sind stark regulierte Räume. Jugendliche entwickeln deshalb Strategien, mit den vorhandenen sozialen Normen umzugehen. 7. Einschränkung jugendlicher Nutzung öffentlicher Räume werde von Jugendlichen selten explizit genannt. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass sie meist auf subtilen Ausschlussmechanismen auf der Basis sozialer Differenzen (Geschlecht, sozioökonomischer Status, ethnische Zugehörigkeit) beruhen. 22 Tabelle 1: Studien zur jugendlichen Aneignung in öffentlichen Räumen Quelle Mats Lieberg (1995) “Teenagers and Public Space” Methode Qualitative Methoden: teilnehmende Beobachtung und Befragung Stichprobe 20 Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren Wohnquartiere und Innenstadt Lund (SWE) Fragestellungen Welche öffentliche Räume nutzen Jugendliche und welche Aktivitäten vollziehen sich dort? Welche symbolische Bedeutung haben öffentliche Räume für Jugendliche? Klaus Schmals (1999) „Raumbezüge der Jugend – Jugend in der Raumsoziologie“ Qualitative Methode: Gestaltungswettbewerb Raum Fischerkiez, Berlin Mitte (D) (keine Angaben zum Sample) Wie würden Kinder und Jugendliche das Quartier Fischerkiez gestalten? Wüstenrot Stiftung (2003) „Jugendliche in öffentlichen Räumen der Stadt“ Qualitative Methoden: nichtteilnehmende Beobachtung, Interviews, Experiment 65 Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren 6 unterschiedliche öffentliche Räume Hannover (D) Welche Chancen und Restriktionen erleben Jugendliche bei der Nutzung öffentlicher Räume? Wie unterscheidet sich das Verhalten Jugendlicher je nach Typ des öffentlichen Raumes? 1. Methodenset: 3 Schulklassen (7., 9. und 12. Jahr, d.h. 13 bis 18 Jahre) 2. Methodenset: 10 SchülerInnen aus den Schulklassen Welche unterschiedlichen Muster und Verständnisse alltäglichen Raumgeschehens und Raumentwürfe von Jugendlichen können unterschieden werden? Welche Lösungsvorschläge für das Raumangebot, die Raumgestalt und Raumgestaltung können gemacht werden? Quantitative Methode: OnlineSchüler-Befragung Wüstenrot Stiftung (2009) „Stadtsurfer, Quartierfans & Co.“ SNF (2003-2006). „Bühnen der Öffentlichkeit: Kinder und Jugendliche setzen sich in Szene“ (In: Muri et al. 2009) Stefan Emmenegger (1995) „Neuzugezogene fremdsprachige Jugendliche. Situationen – Orte – Aktionen. Eine sozialgeographische Studie in BaselStadt.“ Franziska Shenton-Bärlocher und Stefan Schnurr (2007) „JO! St. Johann – Quartierentwicklung mit Kindern“ Verena Knill und Bernhard Vogel (2005) „…Meine Strasse… …mein Quartier… …meine Stadt…“ Qualitative Methoden: 1. Methodenset: Kartenabfragen, Tagesprotokolle, Modellbau 2. Methodenset: teilnehmende Beobachtung, Interview 3. Methodenset: Experiment Qualitative Methoden: 1. Methodenset: Experteninterviews, Fotografien, teilnehmende Beobachtung, Film 2. Methodenset: Leitfadeninterviews, mental Maps, schriftliche Befragung Qualitative Methoden: Tiefeninterviews Tages-/Freizeitprotokolle Streifraumkarten Sozialraumbegehungen Quantitative Methoden: Schriftliche Befragung Qualitative Methoden: Streifzugprotokolle, Fotografien, Mental Maps Qualitative Methode: Leitfadeninterview Nadelmethode Sozialraumbegehung Hannover (D) Gesamtstichprobe: 20 Kinder zwischen 5 und 12 J. 40 Jugendlichen von 13-20 J. 40 Erwachsene (Experten aus Stadtplanung, Quartierarbeit, Anwohner, Angestellte) Neu-Oerlikon, Zürich (CH) Qualitative Erhebung: SchülerInnen einer Fremd-sprachenklasse (13-14 Jahre) Wie verhält sich die jugendkulturelle Raumaneignung in der Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt? Welche Möglichkeiten und Bedingungen fördern eine konstruktive Auseinandersetzung der Jugendlichen mit der Erwachsenengesellschaft und –kultur? Ergebnisse Jugendliche nutzen öffentliche Räume sowohl als Rückzugsräume als auch Räume der Interaktion. Die zentralsten Funktionen öffentlicher Räume für Jugendliche sind: von der Stadt lernen, sich in öffentlichen Räumen inszenieren und öffentliche Normensysteme transformieren. Während Kinder ihre Räume noch sinnlich und kreativ wahrnehmen, weisen Jugendliche eine entsinnlichte und funktionalisierte Raumwahrnehmung auf. Jugendliche verhalten sich in öffentlichen Räumen leise und auf engen Raum begrenzt; direkte Interaktionen beschränken sich auf die Kommunikation unter Gleichaltrigen; Jugendliche nutzen öffentliche Räume als Bühne zur Selbstdarstellung, Integration in die Erwachsenengesellschaft und sozialer Interaktionen; die vorhandenen Restriktionen (Regulierung, bauliche Mängel, etc.) wurden von den Jugendlichen relativiert. Jugendliche können in fünf unterschiedliche Typen unterteilt werden: Häusliche Quartierfans, pragmatische Quartierflitzer, spontane Stadtsurfer, mobile Stadtfahrer, kommunikative Stadthopper. Die fünf Typen unterscheiden sich nach der Raumnutzung und der Stadtkonstruktionen der Jugendlichen. Jugendliche suchen explizit Räume auf, die in Beziehung zur Erwachsenenwelt stehen. Die Interaktion zwischen den Generationen beruhte auf nonverbalen Ausdrucksformen zwischen Provokation und Abgrenzung. Erwachsene hingegen entziehen sich im Alltag dem intergenerationalen Austausch. Wie werden öffentliche Räume von neuzugezogenen fremdsprachigen Jugendlichen wahrgenommen und bewertet? Schriftliche Befragung: 112 fremdsprachige SchülerInnen / 74 einheimische SchülerInnen Basel (CH) 27 Kinder St. Johann-Quartier, Basel (CH) Die Raumansprüche der befragten Jugendlichen sind bescheiden. Die objektiv minderen Qualitäten der öffentlichen Räume in Basel im Gegensatz zu den Sozialräumen des Heimatlandes werden von den Jugendlichen nicht thematisiert. Wie werden die öffentliche Räume des St. Johann-Quartiers in Basel von Kindern genutzt und gedeutet? Kinder nehmen Raumqualitäten differenziert wahr und identifizieren sich mit den Räumen im Quartier. 5 Jugendliche Stadtteil Kleinbasel, Basel (CH) Wie erleben Jugendliche öffentliche Freiräume in ihrem Wohnumfeld der Stadt? Öffentliche Räume sind für Jugendliche zwischen 14 und 15 Jahren von grosser Bedeutung als Ort des Freiraums. 23 Kollektive Identitätsfindung in öffentlichen Räumen Einige Untersuchungen zu Jugendlichen in öffentlichen Räumen zeigen auf, dass Identitäten von Jugendlichen einen Bezug zu ihrer sozialräumlichen Umgebung aufweisen. Sozialräumliche Grenzziehungen und die Definition von Zugehörigkeiten sind dabei zentral bei der jugendspezifischen Identitätskonstruktion (vgl. Robinson 2000, Wridt 2004). Ebenso stellt die Auseinandersetzung mit in öffentlichen Räumen eingelagerten Normen und Machtverhältnissen ein produktives Feld jugendlicher Identitätsentwicklung dar (vgl. Cahill 2000, Wridt 2004, Thomas 2008, Langevang 2008). Während diese sozialräumlichen Aushandlungsprozesse den Jugendlichen ermöglich, auch oppositionelle Identitäten zu generieren, wirken institutionalisierte Jugendräume eher integrierend und die gesellschaftliche Ordnung stabilisierend (vgl. Hall et al. 1999). 2.2.2 Forschungsfeld 2: Jugend und Öffentlichkeit Das Forschungsfeld 2 fokussiert auf Studien, welche Jugendliche in der Öffentlichkeit untersuchen. Diesbezüglich sind folgende drei Themenfelder voneinander abzugrenzen: f) Jugend in der Politik, g) Jugend und zivilgesellschaftliches Engagement sowie h) Jugendkultur und Jugendprotest. Da die Inhalte dieses Forschungsfeldes von geringer Bedeutung für den vorliegenden Untersuchungsgegenstand sind, werden sie nicht weiter ausgeführt. Dennoch machen sie deutlich, wo sich eine mögliche Forschungslücke identifizieren lässt. 2.3 Eingrenzung des Forschungsfeldes und Forschungslücke Die Grundannahme der vorliegenden Arbeit geht von einem für die Sozialwissenschaften relevanten Zusammenhang zwischen Jugendlichen, Öffentlichkeit und öffentlichen Räumen aus. Begründen lässt sich dieses Forschungsinteresse erstens durch die Tatsache, dass Jugendliche aufgrund ihrer Minderjährigkeit grösstenteils von der öffentlichen Meinungsbildung ausgeschlossen sind und deshalb andere Formen der Beteiligung an der Öffentlichkeit suchen, und zweitens durch den Umstand, dass Jugendliche häufiger als andere Altersgruppen öffentliche Räume nutzen und diese somit von zentraler Bedeutung für die Teilhabe am öffentlichen Leben sind. In Anlehnung an den erarbeiteten Forschungsstand lässt sich die vorliegende Arbeit durch eine fehlende Verbindung von Jugend, öffentlicher Raum und Öffentlichkeit in einer Untersuchung begründen. Abbildung 2, welche die erörterten Forschungsteilbereiche zu strukturieren versucht, zeigt auf, dass in wissenschaftlichen Untersuchungen nur selten eine Verknüpfung der beiden vorgestellten Forschungsfelder vorgenommen wird. Zwar gibt der Überblick zu ‚Jugend und Öffentlichkeit’ Einblick in die verschiedensten Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung von Jugendlichen, die behandelten Studien verorten diese Jugendöffentlichkeit aber meist in institutionellen Arrangements wie Jugendorganisationen, Jugendpolitik oder Freiwilligenorganisationen und vernachlässigen deshalb die Bedeutung öffentlicher Räume für jugendliche Partizipation. Einzig Studien zu jugendlichen Protestformen zeigen das Potential sowie die Problematik auf, mit denen sich Jugendliche konfrontiert sehen, versuchen sie über ihre kulturellen Ausdrucksweisen an der Gesellschaft teilzuhaben. Weil sich diese Untersuchungen aber vor allem auf benachteiligte oder ausgeschlossene Jugendliche beziehen 24 und nur Sonderformen jugendlichen Verhaltens in den Blick nehmen, können sie allgemeine oder grundlegende Aspekte von Jugendöffentlichkeit nur schwer erfassen. Das Forschungsfeld zu ‚Jugend in öffentlichen Räumen’ stellt zwar den Raumbezug jugendlichen Handelns ins Zentrum, die behandelten Studien lassen jedoch oft aufgrund des informellen Charakters solcher Verhaltensweisen den für öffentliche Räume typischen aber nur schwer fassbaren Öffentlichkeitscharakter ausser Acht. Ausserdem zielen diese Untersuchungen meist - ähnliche wie Forschungen zur Jugendkultur oder zu Jugendprotest – auf die Erklärung und das Verständnis jugendlichen Handelns als etwas Besonderes, Aussergewöhnliches und insbesondere als ein soziales Phänomen, das sich stark von der Erwachsenenwelt unterscheidet. Die Teilhabe an einer gemeinsamen Öffentlichkeit, welche in öffentlichen Räumen existiert, spielt dabei eine sekundäre Rolle; vielmehr werden nonkonforme oder jugendtypische Verhaltensweisen fokussiert. Schliesslich werden jugendkulturelle Milieus meist in den ausschliesslich für sie typischen und von ihnen genutzten Orten untersucht und weniger in Bezug auf ihre Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit. Der Aspekt einer möglichen Verständigung der Gesellschaftsmitglieder wird dabei vernachlässigt. Aus diesen Gründen ist von einer Forschungslücke zu sprechen, deren Bearbeitung im Rahmen dieser Arbeit versuchen möchte, die beiden behandelten Forschungsfelder miteinander zu verknüpfen. Weiter ermöglicht diese Darstellung auch eine Kategorisierung von Forschungsfeldern auf der Achse von Teilhabe und Ausschluss. Diese Dimension der Macht spielt eine entscheidende Rolle beim Verständnis von Jugendöffentlichkeit in öffentlichen Räumen. Deshalb fragt die vorliegende Forschungsarbeit sowohl nach Teilhabechancen als auch Ausschlussrisiken in öffentlichen Räumen. Schliesslich versucht die vorliegende Arbeit die unterschiedlichen Facetten von Jugendöffentlichkeit (z.B. Aneignung, Regulierung, Ausschluss, jugendkulturelle Selbstdarstellung, etc.) in einem Forschungsprojekt zu vereinen und zu verknüpfen. Dabei sollen vor allem unterschiedliche Dimensionen von Raumpraktiken und somit verschiedene Muster von Jugendöffentlichkeiten in den Blick genommen werden und wie die unterschiedlichen Raumstrukturen diese Unterschiede mitbestimmen (Lussault et al. 2010:11). 25 Abbildung 2: Forschungsfelder Quelle: Eigene Darstellung 26 3 Theoretische Ansätze und Konzepte Die theoretische Herleitung der Forschungsthematik gelingt in einem dreiteiligen Schritt: Erstens wird der theoretische Rahmen erörtert, in welchen sich die grundlegende Fragestellung nach der Herstellung von Jugendöffentlichkeit einbetten lässt. Zu den beiden Begrifflichkeiten Raum und Öffentlichkeit werden die zentralen Konzepte mit Bezug zu öffentlichen Räumen dargestellt, mit welchen sich dann die Forschungsfrage zur Jugendöffentlichkeit theoretisch herleiten lässt. Dabei soll auch ersichtlich werden, wie diese Themenblöcke zusammenhängen und weshalb sie alle gleichermassen für das Verständnis von Jugendöffentlichkeit von Relevanz sind. Zweitens wird die jugendspezifische Perspektive auf den Forschungsgegenstand hergestellt: Der Forschungsleitende Begriff der Jugendöffentlichkeit wird anhand des Konzepts der Kinderöffentlichkeit von Negt (1983) erörtert und thesenhaft umschrieben werden. Im dritten Teil dieses Kapitels wird diskutiert, wie Jugendöffentlichkeit durch konkretes Handeln von Jugendlichen hergestellt werden kann. Dabei stehen vier Dimensionen von Aneignungsprozessen im Vordergrund: die Raumpraxis von Jugendlichen in öffentlichen Räumen verbunden mit ihrem sozialen Aneignungsverhalten, das jugendliche Repräsentationsverhalten in öffentlichen Räumen sowie die Antizipation und Transformation des normativen Settings eines öffentlichen Raumes. Auf der Basis der vorangegangenen theoretischen Ausführungen wird verdeutlicht, weshalb gerade diese vier Dimensionen sozialen Handelns für die Herstellung von Jugendöffentlichkeit von Bedeutung sind. Aus diesen abschliessenden Ausführungen ergeben sich die konkreten Fragestellungen zur Untersuchung des Gegenstandes sowie konkrete Angaben zur Operationalisierung von Jugendöffentlichkeit (sensibilisierendes Konzept). Ziel des Theoriekapitels ist es, von einer abstrakten Beschreibung des theoretischen Rahmens über die Definition des Untersuchungsgegenstandes zu einem Instrumentarium von Begriffen zu gelangen, mit welchen die Fragestellungen empirisch untersucht werden können. 3.1 Der theoretische Rahmen „Raum-Öffentlichkeit-öffentlicher Raum“ 3.1.1 Raum und sozialwissenschaftliche Raumvorstellungen Um zu verstehen, wie sich öffentliche Räume konstituieren und in welcher Beziehung sie zu Aneignungsprozessen stehen, soll einführend Raum als sozialwissenschaftliche Kategorie definiert werden. In der Theoriegeschichte lassen sich zwei unterschiedliche Raumvorstellungen rekonstruieren, die von Martina Löw (2001) folgendermassen zusammengefasst werden: Der absolutistische Standpunkt nimmt einen Dualismus zwischen Raum und Materie bzw. Körper an. Aus dieser Perspektive erscheint der Raum als Behälter oder Container, welcher scheinbar unabhängig von seinen gesellschaftlichen und sozialen Inhalten existiert (Löw 2001:269). Sowohl die Naturwissenschaften, aber auch gewisse Sozialwissenschaftler vertreten die 27 Auffassung, „der ‚Raum’ sei ‚etwas wirklich Gegenständliches’ beziehungsweise eine ‚physikalische Grösse’“ (Läpple 1991:36). Eine solche Raumkonzeption eignet sich zwar dazu, Raumgliederungen, Positionen, Entfernungen und Bewegungen im Raum zu messen, sagt aber wenig über das soziale Verhalten und die sozialräumlichen Strukturen eines Raumes aus. Im Bezug zur absolutistischen Raumkonzeption bemerkt Schubert deshalb kritisch: „Das physikalische Raumbild blendet den funktionalen Kontext der gesellschaftlich-sozialen Inhalte des Raumes vollständig aus, als ob beispielsweise der öffentliche Raum unabhängig von den Menschen, die ihn organisieren und darin leben, eine eigenständige Kategorie sei“ (Schubert 2000:11). Insbesondere für den Forschungsgegenstand des öffentlichen Raumes scheint es unangepasst, den besonderen Charakter und die Funktionen öffentlicher Räume als vom Handeln der Menschen in der Öffentlichkeit unabhängig zu definieren, auch weil ein solches Raumverständnis sich nicht mit den alltäglichen sinnlichen Raumerfahrungen der Menschen in Einklang bringen lässt (Läpple 1991:36). Aus sozialwissenschaftlicher Warte eignet sich deshalb ein relationales Raumverständnis zur Untersuchung öffentlicher Räume: Gemäss relativistischer Auffassung, wie sie beispielsweise Albert Einstein bereits zu seiner Zeit in die Naturwissenschaften einführte, bildet sich Raum erst durch die relationale Lage von Objekten. Raum ist erst durch das Beziehungsgeflecht von Menschen und Gütern existent und somit als ein Produkt von sozialem Handeln und gesellschaftlicher Strukturen zu definieren (Löw 2001:264). In diesem Sinne können öffentliche Räume analytisch nur über die Beziehungen der Menschen und Güter, welche sich in ihnen befinden, erfasst werden. Löw (2001) leitet daraus für die Sozialwissenschaften ein prozessuales Verständnis von Raum ab: „Die Erwartung an einen soziologischen Grundbegriff ‚Raum’ muss demnach sein, dass er den Prozess der Konstitution erfasst und nicht dessen Ergebnis, z.B. Behälter zu sein, schon voraussetzt“ (Löw 2001:270). Henri Lefèbvre, der als Pionier der modernen Raumsoziologie gilt (Löw 2008:52), hat massgeblich den relationalen Raumbegriff mitgeprägt. Die Hauptthese seines Buches ‚Production de l’espace’ von 1974 besagt, dass Raum als sozial produziert zu begreifen ist und seine Formen, Funktionen und Bedeutungen nur über die sozialen Beziehungen und Interaktionen der Menschen entstehen (Schubert 2000:12). In seiner Theorie des differentiellen Raums bezieht er sich auf die öffentlichen Räume einer Stadt und stellt diesbezüglich fest, dass die Unterschiede zwischen den Stadträumen „nicht aus dem Raum als solchen hervorgehen, sondern aus dem, was sich dort niederlässt, festsetzt und im Kontrast zueinander steht (…). Druck und Anstoss, die von sozialen Gruppen ausgehen, formen den Raum in unterschiedlicher Weise; aus ihren Interaktionen, Strategien, Erfolgen und Niederlagen entstehen die Qualitäten und Eigenschaften des urbanen öffentlichen Raumes“ (Schubert 2000:13). Als Vertreter einer marxistischen Raumsoziologie liegt es nahe, dass Lefèbvre städtische Räume vor allem als strukturell bedingt, d.h. von den kapitalistischen Machtstrukturen der Gesellschaft produziert beschreibt. Im Gegensatz zu Lefèbvre, welcher die strukturelle Prägung des Handelns und damit der öffentlichen Räume in den Vordergrund rückt, fragen handlungstheoretische Raumkonzeptionen nach der (Re)Produktion von Strukturen, seien dies nun räumliche oder gesamtgesellschaftliche, durch das menschliche Handeln (Löw 2008:59). In diesem 28 Zusammenhang ist die Strukturationstheorie von Anthony Giddens bedeutsam zum Verständnis des Verhältnisses von Handlung, Raum und gesellschaftlicher Strukturen. Giddens versteht Strukturen als „Medium und Ergebnis, als ermöglichendes Mittel und als begrenzender Zwang des Handelns“ (Werlen 2007:165). Die Handlungen selbst bringen einerseits neue oder veränderte gesellschaftliche Strukturen hervor, sind andererseits aber auch selbst durch strukturelle Zwänge und Möglichkeiten, die bereits existieren, begrenzt (Werlen 2007:166). In diesem Sinne lehnt Giddens einen deterministischen Ansatz ab: Gesellschaftliche Strukturen „konstituieren nicht, was wir tun, wohl aber begrenzen und ermöglichen sie das, was wir tun können“ (Werlen 2007:166). Folglich existieren Strukturen auch nicht ausserhalb des Handelns, sondern nur als Fähigkeiten und Möglichkeiten der Akteure, auf denen dann wiederum ihre soziale Praxis beruht. Giddens folgert daraus, dass sich die gesellschaftlichen Strukturen in der Form von Wissen um Regeln und dem Verfügen über Ressourcen manifestieren; dass also Macht eine zentrale Dimension des Handelns darstellt (Werlen 2007:168). Der räumliche Kontext einer Handlung übernimmt nun eine ähnliche Funktion wie die gesellschaftlichen Strukturen, weil sich gesellschaftliche Gegebenheiten in räumlichen Bedingungen niederschlagen: Jeder räumliche Ausschnitt ist „Ausdruck der strukturellen Verhältnisse (…) und im gleichen Sinne wie Regeln und Ressourcen auf menschliches Handeln strukturierend wirken, [ist er] als Kontext handlungskonstitutiv“ (Werlen 2007:91). Diese räumliche Struktur wird von den erwähnten Autoren unterschiedlich benannt und definiert: Giddens verwendet in seiner Strukturationstheorie den Begriff ‚locale’ (von Werlen als ‚Schauplatz’ übersetzt) und meint damit „ein bestimmter Raumausschnitt (…), der bereits ein bestimmtes Anordnungsmuster von materiellen Gegebenheiten und Personen aufweist (Werlen 2007:93). Deshalb spricht Giddens auch von einem Setting als die „vorfindliche Konstellation für Handeln und Interaktion“ (Werlen 2007:93). Obschon Giddens davon ausgeht, dass ein solcher Schauplatz nur über die soziale Praxis definiert werden kann, verweist seine Begrifflichkeit eher einseitig auf den das Handeln prägenden Charakter von räumlichen Strukturen. Werlen sieht sich stärker der handlungstheoretischen Perspektive verpflichtet und will mit dem Begriff der ‚Region’ die räumlichen Strukturen deshalb eher als Kontext oder Situation des Handelns verstanden haben. Im Gegensatz zu Giddens nimmt er vor allem Bezug auf die Handlungen und stellt deshalb anstelle der ‚Region’ den Prozess der ‚Regionalisierung’, in welchem der räumliche Kontext durch das handelnde Subjekt sozial konstituiert wird, in den Vordergrund (Werlen 2007:178): „Mit ‚Regionalisierung’ sind hier alle Formen gemeint, in denen die Subjekte über ihr alltägliches Handeln die Welt einerseits auf sich beziehen, und andererseits erdoberflächlich in materieller und symbolischer Hinsicht über ihr Geographie-Machen ‚gestalten’“ (Werlen 2007:194). Zusammenfassend zielt Werlens Forschungsprogramm auf die Analyse des Geografie-Machens, also die alltägliche Bezugnahme auf sowie die Gestaltung von räumlichen Strukturen durch handelnde Subjekte, anstatt auf die Analyse von räumlichen Strukturen; er fordert keine Erforschung von Regionen sondern die Erforschung sozialer Praktiken der Regionalisierung (Werlen 2007:121-122)17. 17 Lussault & Stock folgern aus denselben Argumenten, dass anstelle von „doing in space“ viel eher von „doing with space“ gesprochen werden sollte (Lussault et al. 2010). Während die Vorstellung vom Handeln im Raum davon ausgeht, dass das Handeln in einem bestimmten Setting stattfindet, interessiert die Autoren was 29 Martina Löw versucht in ihren Arbeiten die strukturalistische und die handlungstheoretische Perspektive in einer raumsoziologische Konzeption zu verbinden: „Wir begreifen Räume als relationale (An)Ordnungen von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten. Mit dem Begriff der (An)Ordnung wird betont, dass Räume erstens auf der Praxis des Anordnens (…) basieren, Räume aber zweitens auch eine gesellschaftliche Ordnung vorgeben. Diese Ordnung im Sinne von gesellschaftlichen Strukturen ist sowohl dem Handeln vorgängig als auch Folge des Handelns“ (Löw 2008:63). Mit der Vorstellung einer Dualität von Raum beschreibt sie, wie „räumliche Strukturen eine Form von Handeln hervorbringen können, welches im Prozess der Konstitution von Räumen eben jene räumlichen Strukturen reproduziert“ (Löw 2008:63). Raum kann also in dem Sinne als sozial produziert definiert werden, als dass er sich im dialektischen Verhältnis zwischen sozialem Handeln und sozialräumlichen Strukturen konstituiert. Daraus ist wiederum abzuleiten, dass Räume von den Menschen subjektiv gedeutet werden und immer auch ein mentales Konstrukt darstellen. Die Dualität von Raum kann deshalb auch in dem Sinne verstanden werden, als dass Räume dann bedeutsam werden, wenn sich das physische Phänomen mit gedanklichen Vorstellungen verbindet (Cresswell 1996:13). So kann beispielsweise derselbe Raum für verschiedene Menschen eine unterschiedliche Bedeutung haben (Braun 2004:24-25) und es existieren gänzlich unterschiedliche Arten von räumlicher Praxis von jeweils verschiedenen Akteuren (Lussault et al. 2010:11). Zwischenfazit III An folgenden fünf Raum-Prämissen eines sozialwissenschaftlichen Raumverständnisses hat sich raumbezogene Forschung zu orientieren: 1. Raum ist sozial produziert, das heisst er ist keine Naturgegebenheit sondern ist ein Produkt aktiven menschlichen Handelns und gesellschaftlicher Strukturen. Ebenso können räumliche Strukturen das Handeln der Menschen prägen. 2. Raum ist mental konstruiert, das heisst er ist kein rein materielles Phänomen, sondern ebenso ein mentales Konstrukt, wobei beide Aspekte sich gegenseitig bedingen. 3. Raum ist relational, das heisst seine Merkmale lassen sich in erster Linie über die sozialen Beziehung und Interaktionen zwischen Menschen (und Gütern) erkennen. 4. Die Konstitution von Raum ist als Prozess zu verstehen, das heisst die räumlichen Strukturen verändernd sich mit dem Wandel sozialer Praktiken und gesellschaftlicher Deutungssysteme. 5. Raum ist ein Plural, das heisst es existiert nicht nur ein Raum als objektive Variable sondern nur subjektive Vorstellungen von Räumen. Menschen mit dem Raum machen: „Therefore ‚doing with space’ permits a more adequate approach of the spatial dimensions of events, where space is not longer conceptualised as an absolute or relative structure, but as an ephemeral element co-constructed by practice“ (Lussault et al. 2010:14). 30 3.1.2 Begriffsbestimmung „Öffentlicher Raum“ Wie bereits die Ausführungen zur theoretischen Raumkategorie und die daraus gefolgerten Raum-Prämissen aufgezeigt haben, kann sich auch die Begriffsbestimmung des öffentlichen Raumes nicht auf eindeutige Konzeptionen stützen. Der Forschenden eröffnet sich das Dilemma zwischen einer rein objektiven Definition und einer auf subjektive Wahrnehmung gestützte Beschreibung öffentlicher Räume hin und her zu pendeln: „Wer sich in den Treibsand begrifflicher Abstraktion begibt, gerät in Gefahr. Missverständnisse drohen, Unklarheiten und in der Folge ein unentwirrbares Knäuel von Gemeintem und Gesagten, Bezeichnungen und Bezeichnetem etc. Die Diskussion über den öffentlichen Raum ist voll davon“ (Selle 2003:24). Nichtsdestotrotz kann die vorliegende Arbeit nicht auf eine Annäherung an den Begriff des öffentlichen Raumes verzichten. 31 Begriffsannäherung ‚Öffentlicher Raum’ Der öffentliche Raum als Gegenstand theoretischer Diskussionen wird je nach disziplinärem Hintergrund aus unterschiedlicher Perspektive betrachtet und bewertet. Grundsätzlich können drei Perspektiven auf öffentliche Räume eingenommen werden (vgl. Cresswell 1996:156): Erstens können öffentliche Räume als geografische Orte untersucht werden, als Standorte im urbanen Kontext mit spezifischen Beziehungen zu anderen geografischen Punkten. Aus diesem Blickwinkel stehen vor allem stadtplanerische Überlegungen zur Lage, Ausgestaltung und Funktion öffentlicher Räume im Mittelpunkt. Zweitens lassen sich öffentliche Räume anhand der sozialen Beziehungen, die in einem Bezug zum betreffenden öffentlichen Raum stehen, charakterisieren. Während politisch-ökonomische Sichtweise die sozialen Strukturen, insbesondere die Machtstrukturen, öffentlicher Räume behandeln, setzen soziokulturelle Definitionskriterien öffentlicher Räume an den Handlungen der Subjekte und ihren direkten Beziehungen untereinander an. Schliesslich ist davon das zu unterscheiden, was im englischsprachigen oft mit ‚a sense o place’ umschrieben wird, also wie Menschen öffentliche Räume wahrnehmen und ihnen Bedeutung zu Teil werden. Diese dritte Perspektive durchdringt die deskriptiven Definitionskriterien öffentlicher Räume und macht deutlich, dass sich (öffentlicher) Raum nur über die subjektiv bedeutsamen Praktiken, Wahrnehmung und Bewertung der Nutzenden erschliessen lässt. Diese Definitionskriterien zur Beschreibung öffentlicher Räume lassen zwei weitere Raum-Prämissen folgern, welche zur Untersuchung öffentlicher Räume berücksichtigt werden müssen: 1. Öffentliche Räume können nicht eindeutig bestimmt werden. In der Realität übersteigen Zwischenräume und Übergangsräume bei weitem die Anzahl von klassischen öffentlichen Räumen (vgl. Selle 2003). Viele privatisierte Räume weisen einen öffentlichen Sozialcharakter auf und umgekehrt beherbergen öffentliche Räume meist auch private Elemente. Diese Unschärfe des Untersuchungsgegenstands ist auf die Komplexität und Prozesshaftigkeit gesellschaftlicher Beziehungen zurückzuführen: „Da gesellschaftliche Beziehungen (…) in hohem Masse ausdifferenziert sind, folgt daraus, dass sie sich dementsprechend auch in einer Vielzahl von gesellschaftlichen ‚Teilräumen’ darstellen“ (Läpple 1991:44). 2. Die Ausführungen machen deutlich, dass der öffentliche Raum im Singular nicht existiert. Vielmehr muss die Rede von öffentlichen Räume in der Mehrzahl sein, um der Vielschichtigkeit und Komplexität der unterschiedlichen Typen öffentlicher Räume gerecht werden zu können: „Der öffentliche Raum ist kein einheitlicher Typus aussenräumlicher Gesellschaftsintegration; die Vielfalt semiotisch entsprechend abgrenzbarer Stadträume impliziert eine Pluralisierung öffentlicher Räume“ (Schubert 2000:58). Gleichzeitig impliziert die soziale Konstruiertheit von Raum, dass ein bestimmter öffentlicher Raum für verschiedene Personen unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Entsprechend der sieben Prämissen rücken bei der Begriffsbestimmung von öffentlichen Räumen neben objektiver Merkmale in erster Linie gesellschaftliche Phänomene in das 32 Blickfeld des Forschungsinteresses. Läpple (1991) entwirft dazu ein gesellschaftszentriertes Raumkonzept, welches sich auch auf öffentliche Räume übertragen lässt. Sein Konzept fasst gesellschaftliche Räume als ein Mehrebenenmodell auf, das aus folgenden Elementen besteht: Das materiell-physische Substrat beschreibt neben der materiellen Qualität auch die in den physischen Gegebenheiten sich widerspiegelnden gesellschaftlichen Verhältnisse. Dieses Substrat besteht „aus menschlichen, vielfach standortgebundenen Artefakten, den materiellen Nutzungsstrukturen (…) sowie den Menschen in ihrer körperlich-räumlichen Leiblichkeit“ (Läpple 1991:42). Beispiele dafür sind am öffentlichen Raum angesiedelte Arbeitsstätten, Behausungen oder Verkehrswege sowie die Körper der anwesenden Menschen. Dieses materiell-physische Substrat eines öffentlichen Raumes bestimmt die jeweilige Gestalt und damit die Wahrnehmung derselben durch die Menschen. Das gesellschaftliche Interaktions- und Handlungsstrukturen meint die soziale Praxis der Akteure in einem öffentlichen Raum. Neben individuellen Handlungen stehen dabei vor allem kollektive Aktivitäten wie beispielsweise Freizeitveranstaltungen oder Rituale im Vordergrund. Ebenso werden darunter aber auch Kommunikationsprinzipien und Handlungsmechanismen verstanden, welche die Interaktionen der Menschen strukturieren bzw. hervorbringen (z.B. Ausschlusspraktiken, Kommunikationssysteme oder Formen des Interessenausgleichs). Die gesellschaftlichen Interaktions- und Handlungsstrukturen materialisieren sich einerseits in den konkreten Aneignungsformen und sozialen Praktiken der Nutzenden, andererseits reflektieren sie auch die vorherrschende gesellschaftliche Ordnung. Ein institutionalisiertes und normatives Regulationssystem18 vermittelt zwischen dem materiell-physischen Substrat gesellschaftlicher Verhältnisse und der gesellschaftlichen Raumpraxis. „Dieses Regulationssystem, das aus Eigentumsformen, Macht- und Kontrollbeziehungen, rechtlichen Regelungen, (…) sozialen und ästhetischen Normen besteht, kodifiziert und regelt im wesentlichen den Umgang mit den raumstrukturierenden Artefakten“ (Läpple 1991:42-43). Das räumliche Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem eines öffentlichen Raumes widerspiegelt sich in der funktionalen und ästhetischen Gestaltung der Artefakte und dient zur Orientierung und Identifikation der anwesenden Akteure. Werbeplakate, Beschriftungen oder auch Objekte des kollektiven Gedächtnisses sind „kristallisierte, vergegenständlichte Formen gesellschaftlichen Handelns (…), die das räumliche Verhalten der Menschen vorstrukturieren“ (Läpple 1991:43). Es handelt sich dabei ein um „symbolisch kodiertes System kultureller Bedeutungen“ (Wildner 2003:62) – einige Autoren verwenden auch den Begriff des metaphorischen Raums (Wildner 2003:62). Symbole und Repräsentationen in öffentlichen Räumen sind jedoch nicht nur in Objekten materialisiert, sondern sind ebenso Ausdruck kultureller Praktiken der Nutzenden: Von der Kleidung über das alltägliche Verhalten bis zu spezifischen Kulturveranstaltungen – Menschen in öffentlichen Räumen rekurrieren 18 Während Läpple den Begriff der Regulation verwendet, wird in der vorliegenden Arbeit den Begriff der Regulierung bevorzugt, um sich von der Regulationstheorie abzugrenzen. 33 auf und repräsentieren nach aussen ihren eigenen Lebensstil. Olwig und Hastrup (1997) sprechen in diesem Zusammenhang auch von siting culture (engl. site. = place or position occupied by something, aus dem Lateinischen situs = Ort, Position) und beschreiben damit den mentalen Prozess der Verortung von Kultur in Räumen (Olwig 1997b:34). Cultural sites sind gemäss ihrer Argumentation jedoch nicht kulturelle Einheiten, die man an einem bestimmten Ort vorfindet, sondern Produkt kultureller Praktiken und vor allem reflexive Konstrukte der eigenen Identität: Menschen verbinden mit Räumen bestimmten Vorstellungen ihrer eigenen Kultur und Identität, indem sie in ihrem Alltag aber auch in ihrer Gedankenwelt immer wieder darauf Bezug nehmen (Olwig et al. 1997a:9-12). Öffentliche Räume sind demnach „cultural sites as focal points of identification for people who, in their daily lives, are involved in a complex of relations of global as well as local dimension” (Olwig et al. 1997a:11).19 Zwischenfazit IV Eine Differenzierung öffentlicher Räume anhand deskriptiver Kriterien gestaltet sich im Generellen als schwierig, weil die subjektive Wahrnehmung und die individuellen Handlungen der Nutzenden keine eindeutigen Zuordnungen zulassen. Vielmehr können an ein und demselben Ort unterschiedliche Typen von öffentlichen Räumen auftreten. Deshalb schlägt Selle (2003) vor, die Alltagswahrnehmung der Bevölkerung zum Ausgangspunkt für die Begriffsbestimmung des öffentlichen Raumes zu nehmen. Indem er die potentielle öffentliche Nutzbarkeit als einziges Kriterium für die Bestimmung öffentlicher Räume heranzieht, öffnet er den Blick auf alle erdenklichen Zwischenräume. Aus dieser Perspektive soll uns als Forscher in erster Linie interessieren, ob und wie ein Raum öffentlich oder privat nutzbar ist bzw. wie die räumlichen, sozialen, regulativen, symbolischen und historischen Strukturen öffentlicher Räume deren Nutzbarkeit ermöglichen oder einschränken. Will man dennoch öffentliche Räume beschreiben, müssen sie als ein multidimensionales Phänomen verstanden werden, das sich in der Empirie in einer Vielzahl von Mischformen öffentlich-privater Räume wieder finden lässt. Schliesslich muss ebenso berücksichtigt werden, dass öffentliche Räume sowohl historisch als auch kulturell (im Sinne von Kulturkreis) bedingt sind. Zusammenfassend lassen sich öffentliche Räume nach ihren funktionalen Voraussetzungen (stadtplanerisches Kriterium), nach ihrem Grad der Regulierung und Zugänglichkeit (politisch-ökonomische Kriterien) sowie ihren Nutzungs- und Interaktionsmöglichkeiten (soziokulturelle Kriterien) unterscheiden. Diese drei Dimensionen öffentlicher Räume sind im Verlauf der Arbeit insbesondere für die Auswahl und Charakterisierung der Untersuchungsgebiete von Relevanz (s. Kap. 4.4.1.). Um die subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung öffentlicher Räume durch Jugendliche zu erfassen, rückt hingegen das Mehrebenenmodell öffentlicher Räume von Läpple (1991) ins Zentrum: Dieses wird dabei helfen zu verstehen, welche Rolle die normativen 19 Ergänzend kann hier noch eine historische Ebene öffentlicher Räume miteinbezogen werden: Öffentliche Räume sind Gedächtnisorte, in denen sich sowohl die offizielle Geschichtsschreibung in der Form einer Historisierung des Raumes widerspiegeln als auch die kollektiven und individuellen Geschichten der Nutzenden, die in der Form eines historischen Narrativs eingeschrieben sind (Wildner 2003:60). 34 Regulierungsmechanismen und Symbolsysteme neben den physischen Strukturen eines öffentlichen Raumes für die Aneignungspraxis von Jugendlichen spielen, welche bedeutungsvollen Narrative und kulturelle Identitäten sie ausbilden und auf welche Handlungs- und Interaktionssysteme sie stossen. 3.1.3 Öffentliche Räume als Orte der Macht Öffentliche Räume sind weder frei von Macht noch von Ungleichheiten und ihre Nutzung wird kontrolliert und reguliert. Wie im Forschungstand angedeutet, erleben gerade Jugendliche zahlreiche Einschränkungen in ihrer Nutzung öffentlicher Räume, sei es von Seiten offizieller Behörden, von Eltern oder anderen Erwachsenen oder durch gegenseitige Ausschlusspraktiken. In diesem Kapitel soll deshalb ein gesonderter Blick auf die Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in öffentlichen Räumen sowie auf deren Konsequenzen für die jugendspezifische Nutzung geworfen werden. Dabei ist von der Grundthese auszugehen, dass sich soziale Ungleichheiten und Machtverhältnisse in öffentlichen Räumen wieder finden lassen, sozusagen als Niederschlag der sozialen Ordnung im Raum. Dazu wird Bourdieus Kapitaltheorie und seine Anwendung auf den Raum diskutiert. Im Anschluss wird dargelegt, dass sich Macht und Ungleichheit in erster Linie über Grenzziehungen zwischen Räumen und sozialen Gruppen manifestiert, die dann ihrerseits zum Ausschluss gewisser sozialer Gruppen in öffentlichen Räumen führen können. In einem weiteren Schritt soll geklärt werden, mit welchen Mitteln dominante Gruppierungen diese Grenzen ziehen und aufrechterhalten. Schliesslich soll darauf eingegangen werden, welche Möglichkeiten bestehen, als ausgegrenzte soziale Gruppe die sozialräumlichen Grenzen zu überwinden. Pierre Bourdieu: Soziale Ordnung als Niederschlag im Raum Obschon sich der französische Soziologe Pierre Bourdieu nur selten mit dem Raum als physisches Phänomen befasste, geben seine Erörterungen zum sozialen Raum der Klassen Anregung dazu, wie sich soziale Ungleichheiten und Machtverhältnissen in urbanen Räumen äussern. Wenngleich Bourdieu den Begriff des sozialen Raums als Metapher und Repräsentationsform für die soziale Welt verwendet, geht er von einem Zusammenhang des sozialen Raums mit dem physischen Raum aus. Nach seiner Vorstellung schlägt sich die soziale Ordnung der Gesellschaft im physisch-geografischen Raum nieder (Schroer 2006: 87), der soziale Raum wird durch den physischen Raum symbolisch repräsentiert: „Gebauter Raum ist als Teil der sozialen Welt keinesfalls als etwas der Gesellschaft äusserliches zu verstehen, sondern als durch das gesellschaftliche Machtgefüge konstituiert“ (Manderscheid 2008:169). Gemäss Bourdieu ist es das ökonomische, soziale und kulturelle Kapital, welches darüber entscheidet, ob man sich Raumprofite erschliessen kann oder nicht: Ein Kapitalüberschuss verspricht Zugang und unbegrenzte Mobilität, hingegen ein „Mangel an Kapital verstärkt die Erfahrung der Begrenztheit: er kettet an einen Ort“ (Bourdieu 1997:121). Gemäss Bourdieu handelt es sich beim Raum also um einen zentralen Faktor, der die ungleichen Verhältnisse der Gesellschaft reproduziert: Einerseits lassen sich die sozialen Strukturen nur schwer verändern, weil sie sich durch ihre Einlagerung in räumliche Strukturen verfestigen. Andererseits ruft die Verortung des sozialen Raums in die physische Welt eine Naturalisierung des sozialen Raums hervor, sodass die sozialen Unterschiede als 35 natürliche Unterschiede wahrgenommen werden. Bourdieu spricht von einer Verschleierung der sozialen Ungleichheiten, da sich die räumlichen Strukturen als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen in der Form von Prädispositionen im Habitus des Menschen niederschlagen (Bourdieu 1997:119). Bourdieus Raumverständnis gleicht dem Container-Raum-Denken (vgl. Kap. 3.1.1.): Er sieht die Beherrschung des Raumes vor allem in der Überwindung von räumlichen Distanzen und im Zugang zu Räumen verwirklicht. Für ihn widerspiegeln sich die sozialen Ungleichheiten in der räumlichen Ungleichverteilung von Gelegenheitsstrukturen und Gütern. Im Gegensatz dazu muss man auch in Betracht ziehen, dass räumliche Strukturen selbst soziale Ungleichheiten produzieren. Dies wird beispielsweise deutlich, wenn man davon ausgeht, dass die Aneignung öffentlicher Räume Lernchancen bietet, die dann aufgrund von fehlender Zugänglichkeit nicht genutzt werden können, oder dass der Zugang zu Räumen mit der Möglichkeit zum Ausbau des sozialen Netzwerkes verbunden ist. Somit ist von einer gegenseitigen Verstärkung von räumlicher Macht und Kapitalbesitz auszugehen: „Die Verfügungsgewalt über den geografischen Raum hat Auswirkungen auf die eingenommene Position im sozialen Raum, und die jeweilige Stellung im sozialen Raum steuert die Verfügungsgewalt über den geografischen Raum“ (Schroer 2006:90). In diesem Zusammenhang kann das Spektrum der Kapitalsorten auch um das räumliche Kapital erweitert werden, deren Vorteile sich vor allem darin äussern, dass man sich dorthin bewegen kann, wohin man will.20 Die Anwendung von Bourdieus Theorie auf die Erforschung von Macht und Ungleichheiten im Sozialraum nimmt die Ein- und Ausschlussmechanismen in den Blick. Diese werden in erster Linie über den so genannten Habitus des Ortes vermittelt, der vorgibt, wer wo sein sollte und wie man sich dort zu verhalten habe. Neben expliziten Zugangsbeschränkungen äussert sich dieser Habitus des Ortes vor allem über bestimmte Erwartungen an das Verhalten, den Lebensstil sowie das Aussehen derjenigen, die ihn sich aneignen wollen. Kann man dem Habitus des Ortes nicht entsprechen, fühlt man sich deplatziert. Deshalb zieht man der Konfrontation mit einem statusfremden Habitus im Allgemeinen eine vorauseilende Selbstexklusion vor: Man meidet Orte, welche dem eigenen Habitus nicht entsprechen. Menschen von unterschiedlichem Status gehen sich somit unvermeidlich aus dem Weg, es braucht keine gewaltsame Trennung: „Die Stabilität der sozialen Welt ergibt sich also aus dem Wissen der Akteure um ihren Platz in der Gesellschaft und dessen Grenzen, der durch räumliche Arrangements gewissermassen zugewiesen ist“ (Schroer 2006:98). Der Habitus des Ortes ist also einerseits etwas, dass von allen Menschen akzeptiert und somit nicht in Frage gestellt wird. Die soziale Ordnung wird durch die räumliche Trennung der unterschiedlichen sozialen Gruppen aufrechterhalten. Im physischgeografischen Raum wirken die gebauten Anordnungen strukturierend auf die Praktiken der sozialen Gruppen, indem unterschiedlich gebaute Räume als eigene oder fremde Räume wahrgenommen werden. (Manderscheid 2008:163). Solange der Habitus des Ortes der sozialräumlichen Ordnung entspricht und die räumliche Trennung der sozialen Gruppen weiter besteht, bleiben die in den Raum eingelagerten sozialen Strukturen unsichtbar. Wenn 20 Vgl. dazu den Eintrag zu ‚Capital spatial’ im Dictionnaire de Géographie et de l’Espace des Sociétés von Jacques Lévy und Michel Lussault (2003). 36 im physisch-geografischen Raum aber Menschen mit unterschiedlichem Habitus aufeinander treffen und ein Habitus des Ortes gegen den Willen anderer durchgesetzt wird, kommt es zu Auseinandersetzungen um das erwartete und mögliche Handeln in Räumen. Erst dann werden die gesellschaftliche Strukturierung von Räumen und somit die generellen Machtund Ungleichheitsverhältnisse in der Gesellschaft offensichtlich – Raumkämpfe sind demnach immer Sozialkämpfe (Manderscheid 2008:164). Soziale Ungleichheiten und räumliche Grenzen Wie es Bourdieu bereits andeutet, ist das Ziehen von räumlichen Grenzen – sei es nun im wörtlichen oder auch symbolischen Sinn – ein geeignetes Mittel, die Machtbeziehungen zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppen aufrecht zu erhalten. Dementsprechend ist in der Sozialgeografie von ‚geographies of power’ die Rede: Über räumliche Grenzziehungen wird Macht ausgeübt, werden Ungleichheiten erzeugt und verfestigt (Malone 2002:158). Durch Raumgrenzen wird ein Gesamtraum, beispielsweise eine Stadt, in unterschiedliche Territorien eingeteilt. Diese Territorien sind weder physisch noch politisch gegeben, sondern basieren auf der Vorstellung, dass gewisse Räume gewissen Personen gehören und anderen nicht. Aufgrund dieser Vorstellungen entwickeln Menschen das Bedürfnis, die eigenen Räume gegen andere zu verteidigen, also gewisse soziale Gruppen aus dem eigenen Territorium auszugrenzen. Während Grenzziehungen also für die einen Sicherheit und Zugehörigkeit vermitteln, bedeuten sie für andere Ausschluss von der Teilhabe am Sozialraum (Holloway et al. 2001:97-107). Ausgangspunkt von Grenzen sind Differenzen und Kontraste. Es bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten Grenzen zwischen Sozialräumen aufzubauen: Erstens über negative Gefühle und zweitens über Vorurteile, wobei beide eng miteinander verknüpft sind. In David Sibleys ‚Geographies of Exlusion’ (1995) wird ausführlich dargelegt, dass Gefühle, die wir gegenüber anderen Menschen hegen, Stereotypen formen, die wiederum für räumliche Grenzziehungen grundlegend sind (Sibley 1995:3-14). Indem wir Stereotypen von sozialen Gruppen und Räumen verbinden, errichten wir eine Vorstellung davon, in welchen Räumen welche Menschen und welches Verhalten angemessen ist (Sibley 1995:19). Sibleys Ausführungen machen deutlich, dass es sich bei räumlichen Territorialisierungen auch um moralische Grenzziehungen handelt: Sie zielen ja in erster Linie darauf ab, das dominante Wertesystem und den Verhaltenskodex der Mehrheit aufrechtzuerhalten, indem Personen, die der moralischen Ordnung (oder eben dem Habitus) des Ortes nicht entsprechen, ausgewiesen und ausgeschlossen werden. In Sinne der ‚moral geographies’ kann also davon ausgegangen werden, dass räumliche Grenzziehungen auf der Vorstellung der dominanten Gruppe über angemessenes Verhalten in bestimmten Räumen beruhen. Räume sind demnach ‚moral regions’, in denen gewisse Verhaltensformen als angemessen gelten und andere nicht. Die Basis für solche Bewertungen bilden meistens gesellschaftliche Moralvorstellungen sowie öffentliche Diskurse (Holloway et al. 2001:200).21 21 In der englischsprachigen Literatur ist dabei oft von so genannten ‚moral panics’ die Rede, durch welche gewisse soziale Gruppen im öffentlichen Diskurs als moralische Bedrohung für das herrschende Normensystem stigmatisiert werden (Sibley 1995:41). Moral panics werden von der Öffentlichkeit zur Begründung der räumlichen Ausschlusspraktiken herangezogen (Sibley 1995:43). Es ist offensichtlich, dass die modernen Medien 37 Weil die Moral in die Territorien eingeschrieben ist und über die alltäglichen Praktiken vermittelt wird, erscheinen sie uns als natürlich und selbstverständlich. In Wirklichkeit sind sie jedoch Ausdruck von sozialen Machtbeziehungen, weil keine Gleichberechtigung unterschiedlicher Vorstellungen herrscht, sondern nur die moralischen Vorstellungen der dominierenden Gruppen als Massstab gelten, woran sich alle anderen zu messen haben (Holloway et al. 2001:97 und 206). Gleichzeitig verstärken räumliche Grenzziehungen die sozialen Ungleichheiten: „Boundaries and boundary-maintaining systems constitute the most basic forms of social organization and social structure“ (Low 2000:155). Dabei sind Klasse, Gender, ethnische Herkunft und Alter die wichtigsten Differenzierungsmerkmale, welche die Gesellschaft durchziehen. Räumliche Macht vermittelt über Normen Die moralischen Vorstellungen können sich als an bestimmte Räume geknüpfte Normen präsentieren, die auf das menschliche Verhalten regulierend wirken (Klamt 2007:20). Wie Klamt in seiner Arbeit zu Normen in öffentlichen Räumen erörtert, sind Normen per se ortsgebunden: „Normen haben (…) ihren Ort. Umgekehrt haben Orte und bestimmte Typen öffentlichen Raums ihre spezifischen Normen. (…) Ändern sich die Norm oder der Raum oder beide, so ändern sich auch der Charakter, der Anspruch, die Erscheinungs- und Nutzungsform des Raumes insgesamt“ (Klamt 2007:84-85). In der Geografie wird deshalb auch von so genannten ‚normative landscapes’ (Cresswell 1996:8). Soziale Normen sind als Richtlinien für das Verhalten zu definieren, sie werden durch negative wie positive Sanktionen aufrechterhalten und garantieren dadurch Konformität. Somit kann man das räumliche Normensystem in erster Linie über raumtypische Verhaltensweisen erkennen (z.B. Verhalten an einer Schule, Verhalten im Flugzeug, Verhalten im öffentlichen Raum, etc.) (Klamt 2007:88-89).22 Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass sich viele Normen in der Form von sozialer Kontrolle äussern und deshalb befolgt werden, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen (z.B. um Zugang zu einem Raum erhalten oder negative Sanktionierungen zu vermeiden) (Klamt 2007:91-93)23. Andererseits sind die im Raum inhärenten Normen meist Teil eines allgemeinen Selbstverständnisses und werden so weit internalisiert, dass sie den Anwesenden als Selbstverständlichkeit vorkommen, obwohl sie Ausdruck sozialer Beziehungen sind bei der Etablierung von moralischen Paniken eine bedeutsame Rolle spielen. Moralische Diffamierung von sozialen Gruppen und ihre räumliche Ausgrenzung können dazu führen, dass so genannte ‚landscapes of fear’ entstehen oder eine Topophobie, eine Angst vor einem Raum (Holloway et al. 2001:107). Bestimmte Räume werden dann nur aufgrund einer diffusen und meist nicht begründeten Angst gemieden. 22 Vgl. dazu unterschiedliche Konzepte zur Verortung von Normen in Räumen und deren Verhaltensstrukturierende Wirkung: Barker (1968) oder Weichhart (2004). 23 In Anlehnung an Foucaults Ausführungen zu totalitären Institutionen und dem Panopticum lässt sich als weitere Disziplinierungsmassnahme die Überwachung nennen (vgl. Foucault, Michel (1977). Discipline and Punish.). Diese Form der Machtausübung ist insbesondere der USA und Grossbritanniens durch die zum Teil flächendeckende Videoüberwachung öffentlicher Räume zu finden. Sie spielt aber für die vorliegende Untersuchung eine untergeordnete Rolle, weil keine der ausgewählten Untersuchungsgebiete unter Videoüberwachung steht. 38 (Cresswell 1996:18-19). Dementsprechend scheint ein meist unbewusstes Wissen über die in den Räumen eingelagerten Normen vorhanden zu sein.24 Normen sind somit potente Mittel, über das Verhalten in bestimmten Räumen Menschen ohne ihre bewusste Zustimmung zu strukturieren: “What results is a cycle of meanings, actions, and places influencing, constituting, and structuring each other” (Cresswell 1996:150). Raumspezifische Normen sind somit immer, wenn auch subtiler, Ausdruck von Machtverhältnissen und Hierarchien im jeweiligen Raum (Klamt 2007:86). Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass die in der Öffentlichkeit existierenden Normen nur selten in Frage gestellt werden, sondern man eben nur die Normbrecher verurteilt (Klamt 2007:101). Räumliche Macht vermittelt über Symbole Sozialräumliche Grenzziehungen können ebenso symbolisch hergestellt werden, indem typische Symbole oder Zeichen einer sozialen Gruppe in die Räume eingelagert werden. Beispiele dafür sind architektonische Mittel wie Denkmäler oder repräsentative Gebäude, Aushängeschilder von Lokalen und Kulturzentren sowie kulturelle Formen der Symbolisierung wie Festivals oder Kunstobjekte25. Symbolische Territorialisierung, also die Markierung von Räumen mit Hilfe von Symbolen, kann aber ebenso über die Repräsentation des eigenen Status oder Lebensstils erfolgen, beispielsweise über die Kleidung oder das Verhalten. Solch repräsentatives Verhalten ermöglicht Distinktionen zwischen Personen unterschiedlichen Status und mündet in einer sozialen Hierarchie im Raum zwischen denjenigen mit hohem Status und „gutem Geschmack“ und denjenigen mit niedrigem Status und „schlechtem Geschmack“. (Holloway et al. 2001: 191-193). Symbole und deren Repräsentation können disziplinierend und Verhaltensregulierend eingesetzt werden, zum Beispiel dann, wenn bestimmte Dresskodes existieren oder geschmackloses Verhalten öffentlich herabgesetzt wird26. Ebenso wie Normen sind räumliche Symbolsysteme Ausdruck von Herrschaftsverhältnissen: Dominante Gruppierungen haben einerseits über die Teilhabe an Planungs- und Gestaltungsprozessen von Räumen und andererseits mittels der Definitionsmacht über guten und schlechten Geschmack zahlreiche Mittel zur Hand, die Symbolik von Räumen zu bestimmen. Veränderung von Machtbeziehungen im Raum Verstehen wir Macht im Raum als hegemoniale Vorstellungen vom richtigen Verhalten und Aussehen, dann findet Macht ihren Ausdruck in unserem alltäglichen Verhalten und unserem körperlichem Ausdruck. Deshalb ist es auch möglich, durch alltägliche Handlungen und körperliche Repräsentationen die moralischen Vorstellungen zu destabilisieren und damit Machtbeziehungen zu hinterfragen. Macht im öffentlichen Raum darf deshalb nicht als statisch, sondern nur als Aushandlungsprozess verstanden werden (Holloway et al. 2001:20824 Caitlin Cahill (2000) entwickelte dazu das Konzept der ‚Street Literacy’ als eine solche Form von Wissen über die im öffentlichen Raum einzuhaltenden Regeln. 25 Dies macht deutlich, dass Herrschaftsbeziehungen auch über die Planung und Architektur von Räumen vermittelt wird. Das dieser Aspekt aber für die vorliegende Arbeit sekundär ist, wird auf Low (2000) verwiesen. 26 Bourdieu unterscheidet in diesem Zusammenhang den Klub-Effekt, also eine symbolische Erhöhung von Personen und Räumen, vom Ghetto-Effekt, die symbolische Degradierung von Personen und Räumen (Holloway et al. 2001:99). 39 209). Öffentliche Räume dienen demnach nicht nur zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten, sondern auch zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Wie bereits erwähnt, ergeben sich Raumkonflikte dann, wenn Menschen unterschiedlichen sozialen Status einen Raum gemeinsam nutzen und gleichzeitig auf die Anwendung ihrer je eigenen Verhaltensmassstäbe und Symbolisierungen bestehen. Konflikte oder Auseinandersetzungen um Räume sind deshalb einer der ersten Beweise dafür, dass Macht in Räumen zumindest in Frage gestellt werden kann. Insbesondere in den Auseinandersetzungen zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen in öffentlichen Räumen wird deutlich, dass die Heranwachsenden dennoch Möglichkeiten haben, sich der Kontrolle und Disziplinierung durch die Erwachsenen zu widersetzen: Das prominenteste Beispiel dafür sind die Skateboarder, die sich aufgrund ihrer Mobilität und Anpassungsfähigkeit der erwachsenen Regulierung entziehen können.27 Solche Formen von Grenzüberschreitungen sind eine direkte Reaktion auf die ‚moral order’ eines Raumes: “What is often regarded as ‚normal’ and proper behaviour in place is struggled over by different groups and individuals who are all seeking to mark off a specific place (…) as being available for their type of people to use“ (Holloway et al. 2001:217). Ein probates Mittel zur Grenzüberschreitung stellen auch Protestformen und Karnevals in öffentlichen Räumen dar. Mit solchen Aktivitäten wird die räumliche Hierarchie vorübergehend aufgehoben: Einkaufende Familien, fahrende Autos und Kaffeetrinkende Damen werden von der Strasse vertrieben und diejenigen, die normalerweise am Rande des öffentlichen Raumes stehen, können Verhalten und Symbole im öffentlichen Raum neu bestimmen (Malone 2002:160). Ebenso können symbolische Markierungen (z.B. Graffiti) dazu dienen sich gegen die Herrschaftskultur und die Regulierung zu wehren und sich gegen andere soziale Gruppen abzugrenzen (Holloway et al. 2001:97). Widerstand gegen die moralische Ordnung eines Raumes kann aber auch im einfachsten Verhalten wie im Gehen und mit Hilfe von alltäglichen Taktiken praktiziert werden: Auffällige Kleidung, ein komischer Gehstil oder auch lautes Auflachen sind die einfachsten Mittel, sich der moralischen Ordnung eines Raumes zu widersetzen (z.B. Subkulturen) (Holloway et al. 2001:221-224). Im Gegensatz zu diesen teils subtilen teils offensichtlichen Angriffen auf soziale Hierarchien in Räumen kommt es auch immer wieder zu Grenzüberschreitungen, die nicht mit einem bewussten Widerstand gegenüber der moralischen und symbolischen Ordnung eines Raumes in Verbindung stehen. Sie ergeben sich vielmehr dadurch, dass Menschen beispielsweise nicht wissen, wie sie sich zu verhalten haben (z.B. Neuzugezogene in einem westlichen Supermarkt) oder auch keine Möglichkeiten haben, sich dem Habitus des Ortes anzupassen (z.B. Obdachlose in einer Bahnhofshalle). Auch viele Verhaltensweise von Jugendlichen werden von den Erwachsenen als Angriff auf die ‚moral order’ gewertet, obschon die Jugendlichen nicht diese Absicht haben, beispielsweise wenn sich Frauen von Jungengruppen bedroht fühlen oder wenn sich Erwachsene an herumstehenden und quatschenden Jugendlichen stören. Dass Jugendliche mit ihrer blossen Präsenz und im Grunde unauffälligen Verhalten als nonkonform betrachtet werden, erklärt Sibley (1995) mit 27 Für weitere Beispiele siehe im Kapitel 2.2.1. zum Forschungsstand die Ausführungen zu nonkonformen Verhalten und subkulturellen Praktiken in öffentlichen Räumen. 40 der Tatsache, dass sich Jugendliche in einer Übergangsphase befinden: Während sowohl Kinder als auch Erwachsene die ihnen je zugedachten Orte und Räume entsprechend den implizierten Normierungen nutzen, haben Jugendliche keine eigenen Räume und wirken deshalb sowohl auf Kinderspielplätzen als auch in Erholungsräumen deplatziert. Jugendliche als soziale Gruppe bringen demnach die soziale Ordnung und die sozialräumlichen Grenzziehungen, die von der dominanten Gruppe der Erwachsenen vorgenommen wurden, aus dem Gleichgewicht (Sibley 1995:33-35). Entscheidend dafür, welches Verhalten von Jugendlichen als deviant bezeichnet wird, hängt von der Gruppe mit der grössten Definitionsmacht ab: „The ability to define what constitutes appropriate behavior in a particular place is one fundamental form if this power“ (Cresswell 1996:25). Zwischenfazit V Sibley fasst die Bedeutung von Machtbeziehungen in Räumen folgendermassen zusammen: „We can envision the built environment as an integral element in the production of social life, conditioning activities and creating opportunities according to the distribution of power in the socio-spatial system” (Sibley 1995:76). Über Nomen und Symbole vermittelt wird in Räumen eine soziale Hierarchie geschaffen, die bestimmt, wo sich Menschen wie zu verhalten und zu kleiden haben. Sie dienen demnach dazu, die ungleichen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft zu stabilisieren und zu reproduzieren, stellen aber gleichzeitig auch variable Sphären da, die einem steten Aushandlungs- und Definitionsprozess unterliegen (Wöhler 2000:51). So scheinen Jugendliche auf der einen Seite wenig Einfluss auf das normative Setting28 eines öffentlichen Raumes nehmen zu können, da sie weder in der Planung beteiligt sind noch in der sozialen Position sind, Normen- und Symbolsystem in öffentlichen Räumen durchzusetzen. Der negative Diskurs über Jugendliche begrenzt ihre Möglichkeiten, sich am Aushandlungsprozess zu beteiligen, zusätzlich. Andererseits sind Jugendliche als Nutzergruppe in öffentlichen Räumen stark vertreten und formen deshalb über ihre Verhalten das normative Setting mit. Es stellt sich demnach die Frage, inwiefern Jugendliche über Verhaltenspraktiken und Symbolisierungen auf die räumlichen Regulierungsmechanismen Einfluss nehmen können. Während man gemäss Cahills Studie zur ‚street literacy’ (2000) eher davon ausgehen kann, dass sich Jugendliche Wissen und Kompetenzen aneignen, um sich mit der bereits bestehenden sozialen Ordnung zu arrangieren, wäre es ebenso vorstellbar, dass Jugendliche direkt an der Ausgestaltung des normativen Settings öffentlicher Räume beteiligt sein können: „Rules are learned but also created“ (Cahill 2000:263). Eine typisch jugendliche Verhaltensart zur Transformation vorhandener sozialen und räumlichen Bedingungen stellt dabei die sozialräumliche Aneignung dar, wie sie in Kapitel 3.3. erörtert wird. 28 Aufgrund der einseitigen Konnotation des Begriffs ‚moral order’ wird im Weiteren der Ausdruck ‚normatives Setting’ verwendet, um die in öffentlichen Räumen eingelagerten Regulationsmechanismen und Verhaltensnormen zu beschreiben. 41 3.1.4 Öffentlichkeit Begriffsdefinition Eine eindeutige begriffliche Bestimmung von Öffentlichkeit kann in der Wissenschaft nicht geleistet werden. Dies hängt einerseits mit der Mehrdimensionalität von Öffentlichkeit und andererseits mit der zwar verhältnismässig kurzen aber komplexen Entstehungsgeschichte des Begriffes zusammen (vgl. Herczog et al. 1995; Hohendahl et al. 2000; Kleinsteuber 2000; Settekorn 2000; Schiewe 2004). Sowohl die historischen Erscheinungsformen als auch die mentalen Konstrukte von Öffentlichkeit entspringen nicht einer einzigen Vorstellung von Öffentlichkeit, sondern bezeichnen vielmehr eine Kumulation von Einzelöffentlichkeiten (Fischer 2000:64). Öffentlichkeit ist deshalb im Plural zu denken, im Sinne von Öffentlichkeiten als „qualitative und (…) kategoriell unterschiedliche Sachverhalte“ (Settekorn 2000:17). Schliesslich erschwert die Rekursivität von Öffentlichkeit eine definitive begriffliche Bestimmung von Öffentlichkeiten, also der Umstand, „dass die Öffentlichkeit mitdefiniert, was als Öffentlichkeit gilt“ (Herczog et al. 1995:1) und dass der Öffentlichkeitsbegriff selbst die soziale Wirklichkeit mitgestaltet, die er bezeichnet (Schiewe 2004:29). Gerade die vorliegende Arbeit verdeutlicht diese Rekursivität von Öffentlichkeit, weil sie die negative Berichterstattung der Medienöffentlichkeit über Jugendliche im öffentlichen Raum zum Anlass nimmt, die jugendspezifische Sichtweise für die Öffentlichkeit zu erforschen und somit der vorherrschenden öffentlichen Meinung, es handle sich dabei um ein gesellschaftliches (öffentliches) Problem, etwas entgegen zu halten. Aufgrund solcher Rekursivitäten sollten Öffentlichkeiten nur mit Bezug zu ihrem jeweiligen Kontext erörtert werden (Herczog et al. 1995:1). Klassische Öffentlichkeitstheorien Es lassen sich vier unterschiedliche Konzeptionen von Öffentlichkeiten unterscheiden: a) Politische Öffentlichkeit: Die Begriffs- und Entstehungsgeschichte29 von Öffentlichkeit weist darauf hin, dass Öffentlichkeit stets auch ein Kampfbegriff war und sowohl alltagssprachlich als auch in der Wissenschaft vorherrschend mit politischen Forderungen bzw. politischen Kommunikationsräumen in Verbindung gebracht wurde (Hohendahl et al. 2000:2). Auch Konzepte der Gegenwart schreiben der Öffentlichkeit eine politische Funktion zu und können deshalb ähnlich wie die vergangenen Vorstellungen nicht auf eine normative Deutung von Öffentlichkeit verzichten (vgl. Arendt 1981; Huning 2006; Wimmer 2007). b) Soziologische Öffentlichkeit: Aus soziologischer Warte hingegen steht das Spannungsfeld zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in den Mittelpunkt und es wird die Frage nach dem Zugang zum öffentlichen Austausch gestellt. Dem normativen Öffentlichkeitsprinzip der allgemeinen Zugänglichkeit zu einer gemeinsamen Öffentlichkeiten stehen aus soziologischer Perspektive die in der Realität vorfindbaren Schliessungsprozesse gegenüber (vgl. Fraser 1994; Hanisch 1969). 29 Für eine ausführliche Darstellung der Geschichte von Öffentlichkeit siehe Hohendahl et al. 2000 sowie Schiewe 2004:19-59 & 165-277. 42 c) Diskursive Öffentlichkeit: Als Idealvorstellung gilt weiterhin die diskursive Öffentlichkeit, über welche sich über einen egalitären und rationalen Diskurs öffentliche Meinung und gemeinwohlorientierte Lösung formieren können (vgl. Habermas 1962; Habermas 1992; Ritter 2008). d) Mediale Öffentlichkeit: Mit dem Aufkommen der Massenmedien und insbesondere mit der Verbreitung virtueller Medien gewinnt hingegen die Vorstellung an Bedeutung, dass es sich bei der Öffentlichkeit nicht um eine direkte Interaktion handelt, sondern sie sich vor allem medial vermittelt konstituiert, was von gewissen Autoren kritisch (Habermas 1969; Herzcog et al. 1995) von anderen als Chance (Gerhards et al. 1991) wahrgenommen wird. Aus zweierlei Gründen sind diese Öffentlichkeitskonzepte für die vorliegende Arbeit nicht geeignet: Erstens rekurrieren sie alle implizit oder explizit auf eine normative Vorstellung liberaler bzw. bürgerlicher Öffentlichkeit, egal ob sie sich nun in der Form von politischen Debatten, sozialen Bewegungen, diskursiver Arenen oder virtuellen Netzwerken manifestiert. Eine wissenschaftliche Arbeit hingegen, deren Ziel es ist, die subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung von Jugendöffentlichkeiten zu erforschen, sollte sich nicht im Vorneherein auf eine allgemeine Norm festlegen, die allenfalls den offenen Blick versperren würde. Zweitens beziehen sich die erörterten Konzepte in erster Linie auf die politische Funktion von Öffentlichkeiten. Öffentliche Räume haben jedoch wenig mit der Vorstellung eines Ortes zu tun, wo sich Menschen treffen, zu bestimmten Themen diskutieren und einen politischen Konsens bilden, mit welchem sie sich schliesslich an die Regierung wenden. Öffentliche Räume sind nicht dazu geeignet, öffentliche Meinung zu konstituieren, wie dies der Ansatz von Gerhards und Neidhardt (1991) aufzeigt: Gemäss den Autoren lassen sich drei unterschiedliche Ebenen von Öffentlichkeit unterscheiden: a) die Encounter-Öffentlichkeit, b) öffentliche Veranstaltungen und c) die Massenmedienkommunikation. Während sich die Konzeption von Öffentlichkeit als eine öffentliche Veranstaltung in erster Linie an die Vorstellung einer politischen und soziologischen wie auch diskursiven Öffentlichkeit in der Form eines Forums oder einer Arena anlehnt, rekurriert die mediale Öffentlichkeit auf einen Kommunikationsraum der sich von der direkten Interaktion losgelöst hat und sich in der Form eines kommunikativen Netzwerks heutzutage meist global erstreckt und virtuell konstituiert. Der vorliegende Untersuchungsgegenstand, nämlich Jugendöffentlichkeit im öffentlichen Raum, ist hingegen der Encounter-Öffentlichkeit zuzurechnen: In öffentlichen Räumen treffen Jugendliche auf andere Menschen, interagieren und thematisieren für sie bedeutsame Lebensinhalte auf einer ganz alltäglichen Ebene. Diese Sphäre der Öffentlichkeit kann zwar in der Form von unkontrollierbaren Gegenöffentlichkeiten tatsächlich noch politische Kraft entfalten (bspw. in der Form von jugendlichen Subkulturen), die geringe Strukturiertheit sowie die fehlende Kontinuität der Interaktionen erschweren aber eine Synthetisierung vorhandener Ansichten und die Bildung einer öffentlichen Meinung. Vielmehr bezieht sich diese Form der Öffentlichkeit auf soziokulturelle Aspekte des Austausches ohne direkte politische Forderungen. Soziokulturelle Öffentlichkeit 43 Während Gerhards und Neidhardt (1991) die zunehmende Bedeutung der Massenmedienkommunikation konstatieren und jegliche Form von Öffentlichkeit als medial vermittelt verstehen, betont Elisabeth Klaus, dass an der Herstellung von Öffentlichkeit immer „Alltagsmenschen“ beteiligt sind (Klaus 1998:131). Dabei bezieht sie sich auf den Beitrag der Frauen- und Geschlechterforschung zur theoretischen Öffentlichkeitsdebatte und erweitert Carol Hanischs (1969) Slogan „Das Private ist politisch“ zu „Das Private ist öffentlich“ (Klaus 1998:131) und meint damit, dass Öffentlichkeit auch im Privaten konstituiert und verwirklicht wird. Auch Martina Ritter (2008) verknüpft die öffentliche Sphäre mit dem Privatleben der Einzelnen: Erst wenn Individuen aus der Privatsphäre auf das Öffentliche blicken und Privates ins Öffentliche tragen (und umgekehrt), wenn also eine kontinuierliche Bezugnahme des Individuums mit seiner Umwelt stattfindet, können Menschen ihre eigenen Erfahrungen und Deutungen reflektieren. Alltägliche Interaktionen spielen dabei die vermittelnde Rolle zwischen der Subjektivität einer Person und der für sie bedeutsame Lebenswelt, sie erst ermöglichen Selbstvergewisserung und Selbstfindung (Ritter 2008:44, 126). Aus dieser Perspektive gewinnen die „unmittelbaren Kommunikationsforen und alltäglichen Interaktionsräume“ (Klaus 1998:131) – nach Gerhards und Neidhardt (1991) die Encounter-Öffentlichkeiten und gemäss Klaus (1998) Terminologie die „einfachen“ Öffentlichkeiten – wieder an Bedeutung für die Herstellung von Öffentlichkeit in der heutigen Gesellschaft. Solche Öffentlichkeiten entstehen dort, wo sich im Alltag spontan und zufällig eine Kommunikation entwickelt, nicht über Medien sondern über direkte Ausdrucksformen verbaler und nonverbaler Art vermittelt. Auch hier gelten die Prinzipien des offenen Zugangs sowie der Gleichberechtigung der Akteure – eine Differenzierung der Rollen hingegen findet nicht statt, sondern alle Beteiligten sind sowohl Sendende als auch Empfangende von Botschaften (Klaus 1998:137). Diese Form der einfachen Öffentlichkeiten ist zwar nicht immer im Bewusstsein der Beteiligten als solche verankert, hat jedoch eine wesentliche gesellschaftliche Funktion: Im Alltag – beim Einkaufen, auf dem Schulweg oder beim Plaudern an der Strassenecke – werden implizit Gesellschaftsvorstellungen und Identitäten reproduziert, in Frage gestellt oder modifiziert. Regeln und Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden verhandelt, Wirklichkeiten konstruiert, kulturelle Ziele überprüft, Handlungsentwürfe verworfen – kurz: Die Auseinandersetzung mit alltäglichen Gesellschaftsentwürfen, bspw. die (Re-)Produktion von Geschlechterrollen, Generationenverhältnissen oder Umgangsformen sowie die Thematisierung und Bewertung von alltäglichen Erfahrungen, können als „Verständigungsprozess der Gesellschaft über sich selbst“ (Klaus 1998:136) definiert werden. Der kommunikative Austausch in öffentlichen Räumen leistet somit einen Beitrag zur Integration der Gesellschaft sowie zur Identitätsbildung der Individuen (Klaus 1998:134136).30 30 Auch andere Autoren rekurrieren auf das Identitätsstiftende Moment und die integrierende Funktion von Encounter-Öffentlichkeiten: Wöhler (2000) beispielsweise versteht unter Öffentlichkeit eine Form der kulturellen Kommunikation zwischen Einzelnen oder Kollektiven, die sich ins Verhältnis zu anderen Menschen setzen und versuchen, ein gemeinsames Verständnis von Lebensformen und Problemlagen zu entwickeln. 44 Öffentlichkeit als soziokultureller Selbstvergewisserungsprozess erfordert von den Individuen demnach eine Reflexionsleistung, eine Vergewisserung des Selbst im Kontext der anderen. Meist verläuft diese Form der öffentlichen Kommunikation einerseits über die reflexive Selbstthematisierung in der Rolle der Kommunikatorin und andererseits über die reflexive Beobachtung in der Rolle des Rezipienten (Faulstich et al. 2000:53-54). Indem „man sich durch die Beobachtung anderer selbst beobachtet“ (Faulstich et al 2000:53) werden innerhalb von Encounter-Öffentlichkeiten prozesshaft Zustimmung und Abgrenzung von Gesellschafts- und Lebensentwürfen verhandelt. Im Zentrum des Austausches steht dabei die Ablehnung oder Anerkennung von individuellen sowie kollektiven Lebensentwürfen (Ritter 2008:39, 60). Weiter kann der soziokulturellen Öffentlichkeit eine sozialintegrative Wirkung zugesprochen werden: Aufgrund der vergleichsweise heterogenen Zusammensetzung der verschiedenen Nutzergruppen in öffentlichen Räumen findet eine Verständigung über die sozialen Grenzen hinweg statt (Zinnecker 1976:4 und 13)31. Klaus (1998) Ansatz macht nur implizit deutlich, dass auch das Konzept einer soziokulturellen Öffentlichkeit ebenso wie dasjenige einer politischen Öffentlichkeit normativ geladen ist: Ihr werden in erster Linie integrierende Funktionen zugeschrieben, während Konflikte und Schliessungsprozesse aufgrund kultureller Zugehörigkeiten im öffentlichen Raum verdrängt werden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass gerade die Machtdimension, die sich vor allem in der Form von sozialen Normen materialisiert, quer zur kulturellen Kommunikation steht und sie durchdringt. Soziokulturelle Öffentlichkeit sollte deshalb nicht nur als Instanz kultureller Selbstvergewisserungsprozesse bei Individuum und Gesellschaft verstanden, sondern ebenso als ein verhaltens- und handlungsregulierendes System definiert werden (Winter 1993:45). Welche Rollen die sich im Austausch befindenden Nutzergruppen öffentlicher Räume einnehmen können, soll mit Erving Goffmans Forschungsarbeiten weiter erörtert werden. Öffentlichkeit als Theaterbühne – Erving Goffman Goffmans Forschungsinteresse galt in all seinen Werken den Strukturen sozialer Beziehungen auf einer alltäglichen Interaktionsebene. In seinem Werk „The Presentation of Self in Everyday Life“ aus dem Jahre 1959 wendet er darauf die Theatermetapher an und beschreibt wie Menschen sich im Alltag insbesondere gegenüber Fremden darstellen. Kurz zusammengefasst geht Goffman davon aus, dass Individuen oder Gruppen bemüht sind, innerhalb einer sozialen Interaktion einen bestimmten Eindruck zu erzeugen und dadurch das Verhalten des Gegenübers zu kontrollieren, mit dem Ziel die Deutung der gemeinsamen Situation zu beeinflussen: „So hat der Einzelne im allgemeinen allen Grund, sich anderen „Öffentlichkeit dient folglich der sozialen Verständigung und Verortung“ (Wöhler 2000:52) und schafft im Prozess der Auseinandersetzung Identitäten (Wöhler 2000:52-53). Ebenso definieren Herczog und Hubeli (1995) Öffentlichkeit als „den Ort (und die Sphäre), wo die Gesellschaft in direkter oder indirekter Kommunikation sich ihr Selbstverständnis erwirbt und vermittelt“ (Herczog et al. 1995:2). Ähnliches wie für die Funktion der Medien gilt auch für die Encounter-Öffentlichkeit: Die alltäglichen Interaktionen vermitteln den Menschen einen Einblick in andere Lebenswelten, eröffnen ihnen die Möglichkeit, das eigene Erleben zu reflektieren, und machen ihnen deutlich, dass sich die Welt stetig verändert, aber auch verändern lässt (Schiewe 2004: 160-161). 31 Zur Kritik am Konzept soziokultureller Öffentlichkeiten siehe Kosselleck (1959) oder Luhmann (1990). 45 gegenüber so zu verhalten, dass er bei ihnen den Eindruck hervorruft, den er hervorrufen will“ (Goffman 1998:8). Dabei ist es das gemeinsame Ziel aller an der Interaktion Beteiligten, Peinlichkeiten (z.B. wenn der Eindruck, der ein Einzelner von sich etabliert hat, gestört wird) und Konflikte zu vermeiden und somit das gemeinsam aufgebaute Sozialsystem der Interaktion aufrechtzuerhalten (Goffman 1998:13-17). Nun geht Goffman davon aus, dass jeder Mensch innerhalb von sozialen Beziehungen eine bestimmte Rolle einnimmt, die er mal aufrichtig und aus voller Überzeugung spielt, mal aber auch nur für einen bestimmten Zweck aufrechterhält und deshalb die anderen damit täuscht (Goffman 1998:99-22). Das Gesamtverhalten eines Einzelnen in Gegenwart einer Gruppe von Zuschauern versteht Goffman als Darstellung bestehend sowohl aus verbalen wie nonverbalen Äusserungen als auch aus der Ausstrahlung und dem Verhalten eines Menschen (Goffman 1998:6-10). Um bei der Theatermetapher zu bleiben beschreibt er dieses standardisierte Ausdrucksrepertoire einer solchen Darstellung oder Rolle auch als Fassade, deren Elemente einerseits das Bühnenbild (vorhandene „Requisiten“ und deren räumliche Anordnung), andererseits die persönliche Fassade vermittelt über das Verhalten sowie die äusserliche Erscheinung sind; alle informieren sie über den sozialen Status des Darstellenden und unterstützen ihn dabei, den gewünschten Eindruck zu erwecken (Goffman 1998:23-26). Goffman betont, dass der Darstellende stets darum bemüht ist, die einzelnen Elemente seiner Darstellung (Bühnenbild, Kommunikation, persönliche Fassade und Verhalten) möglichst kohärent aufeinander zu beziehen und dass ebenso die Zuschauenden in den wenigsten Fällen die Übereinstimmung der gebotenen Darstellung in Frage stellen (Goffman 1998:11-13; 26-30). Ein Beispiel für eine solche kohärente Darstellung ist beispielsweise der Lehrer in seinem Schulzimmer, in welchem er mit der Hilfe von seriöser Kleidung, hartem Durchgreifen, elaborierter Sprache, fachlicher Kompetenz und auch mit der Zentrierung der Tische und Bänke nach vorne versucht, sich in der sozialen Beziehung zu seinen Schülern als Autoritätsperson zu etablieren und damit die soziale Situation im Klassenzimmer zu kontrollieren. Nicht nur im Klassenzimmer, sondern überall dort, wo der Lehrer vermutet, von seinen Schülerinnen beobachtet zu werden, ist er darum bemüht, die Kohärenz seiner Darstellung nicht durch eine unflätige Äusserung oder unangepasstes Verhalten zu gefährden. Dabei ist er darauf angewiesen, dass sich seine Arbeitskolleginnen ebenfalls der Lehrerinnen-Rolle konform verhalten, um die im Allgemeinen anerkannte Beziehung zwischen Lehrerinnen und Schülern nicht in Verruf zu bringen. Es ist deshalb gemäss Goffman davon auszugehen, dass die Darstellenden meist innerhalb eines Ensembles auftreten, als eine Form der dramaturgischen Kooperation, um gemeinsam eine Rolle aufzubauen und einen Eindruck dieser Rolle, der alle des Ensembles gleichermassen betrifft, bei den anderen aufrechtzuerhalten. Das Ensemble ist sich untereinander zu Loyalität und gegenseitiger Unterstützung verpflichtet, auch wenn nicht alle Mitglieder derselben Meinung oder genau dieselben Ziele verfolgen (Goffman 1998:7384). Im Gegensatz zu einem Klassenzimmer scheinen in der städtischen Öffentlichkeit die Ensemblerollen weniger stark ausdifferenziert und dementsprechend die Grenzziehungen zwischen den Ensembles auch variabler und fluider. Als wichtigste Unterscheidungsmerkmale dienen demnach Geschlecht, Alter und sozialer Status, um zwischen den auftretenden Ensembles zu unterscheiden. Dies zeigt sich beispielsweise gerade an dem in der Einleitung erwähnten Umstand, dass das vereinzelte nonkonforme Verhalten von Jugendlichen in 46 öffentlichen Räumen im Sinne einer Darstellung den Eindruck bei den Zuschauenden erweckt, alle Jugendlichen seien unangepasst und ihr Verhalten sei stets fehlgeleitet. Andererseits kann aber auch davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Pluralisierung der Lebensstile gerade im städtischen Umfeld zahlreiche Differenzierungen innerhalb und quer zu diesen Ensemble-Gruppen existieren und dass jedes einzelne Ensemble darauf bedacht ist, sich durch ihre spezifische Darstellung von anderen zu unterscheiden. Ihre Rolle wird dabei vor allem durch selbstdarstellendes Verhalten sowie der bewussten Inszenierung der äusseren Erscheinung charakterisiert, mit dem Ziel den eigenen Lebensstil mittels kohärent aufeinander bezogener Kommunikation und Verhalten sowie ausgewähltem Bühnenbild und persönlicher Fassade Ausdruck zu verleihen, wie dies Klaus (1998) beschrieben hat. Ebenso findet bei Goffman das Theaterspiel der Öffentlichkeit in einem Kommunikationsraum statt, den er passend zu seiner Metaphorik als Bühne bezeichnet. Dabei unterscheidet der Autor zwischen einer Vorder- und Hinterbühne, was gerade für die Frage nach Öffentlichkeit in öffentlichen Räumen einen zentralen Aspekt darstellt. Während sich auf der Vorderbühne die Darstellung des Ensembles abspielt, wird auf der Hinterbühne die Rolle vorbereitet, geprobt, besprochen und zur Entspannung auch mal abgestreift (Goffman 1998:104). Auf der Vorder- und Hinterbühne werden unterschiedliche Sprachen gesprochen, entweder die Sprache unter Darstellenden oder die Sprache unter Vertrauten (Goffman 1998:117). Die Hinterbühne ist dabei von der Vorderbühne räumlich getrennt und der Zugang von der Vorder- zur Hinterbühne sowie die Einsicht in die Hinterbühne sind dem Publikum verschlossen (Goffman 1998:104-114). Die Kontrolle über die Zu- und Übergänge zwischen diesen beiden Ebenen ist von grosser Bedeutung für das Ensemble: Nur durch die Trennung zwischen Vorder- und Hinterbühne kann der Eindruck gegenüber dem Publikum gewahrt und die Darstellung glaubhaft rübergebracht werden. Ebenso wichtig ist es aber auch, dass keine Aussenstehenden die Bühne betreten: Da jeder Mensch in verschiedenen Ensembles auf unterschiedlichen Bühnen spielt, muss jeder und jede aufs Äusserste darauf bedacht sein, die Bühnen und die entsprechenden Zuschauer so voneinander zu trennen, dass „diejenigen, die ihn [oder sie] in der einen Rolle sehen, nicht die gleichen sind, wie die, die ihn [oder sie] in einer seiner anderen sehen“ (Goffman 1998:126). Gerade in öffentlichen Räumen gestaltet es sich aufgrund der freien Zugänglichkeit sowie der Vielzahl von sich in der Nähe aufhaltenden Ensembles als überaus schwierig, diese Kontrolle über die Vorderbühne zu halten (Goffman 1998:126). Die Öffentlichkeit öffentlicher Räume Öffentlichkeit kann als grundlegend raumbezogen verstanden werden, handelt es sich doch um einen meist direkten Kommunikationsprozess, der eine Ko-Präsenz der Kommunikationspartner voraussetzt. Nun ist aber die gleichzeitige Anwesenheit von Kommunikatorinnen und Rezipienten nur bei der Encounter-Öffentlichkeit bzw. bei öffentlichen Veranstaltungen eine Bedingungen; indes die Massenmedienkommunikation ist räumlich entgrenzt. Öffentliche Räume können also nur auf der Ebene einfacher und mittlerer Öffentlichkeiten von Bedeutung sein: Sie ermöglichen die unmittelbare Kommunikation und direkte Erfahrung, die insbesondere für die kulturelle Funktion von Öffentlichkeit zur 47 Selbstvergewisserung von Individuum und Gesellschaft zentral ist. Räume können demnach als öffentlich bezeichnet werden, wenn sie tatsächlich auch ein offenes Publikum bilden (Feldtkeller 2003:253). Umgekehrt sind öffentliche Räume nicht per se Orte der Öffentlichkeit, sondern sie stellen lediglich Gelegenheitsstrukturen dar. Das Potential öffentlicher Räume, auch als Orte soziokultureller Öffentlichkeiten wahrgenommen und gewertet zu werden, hängt unter anderem auch von den sozialräumlichen Beschaffenheiten ab: Je nach funktionalen Voraussetzungen, Nutzungs- und Interaktionsmöglichkeiten, Regulierungsgrad sowie eingeschriebenen Symbolen (s. Kap. 3.1.2.1.) strukturieren sie die soziale Verständigung der anwesenden Personen. Aus handlungstheoretischer Perspektive ist aber vielmehr davon auszugehen, dass erst die kulturellen Praktiken und Interaktionen der Nutzergruppen öffentliche Räume zu Öffentlichkeitsräumen kultureller Prägekraft machen: Indem sie öffentlichen Räumen Sinn geben, an sie Erinnerungen knüpfen, sie zum Schauplatz der eigenen Lebensgeschichte machen sowie Normen und Werte, Gesellschaftsentwürfe und Lebensstile verhandeln, entsteht das spezifisch Öffentliche an öffentlichen Räumen. Zwischenfazit VI Die Ausführungen zur Begriffsdefinition sowie zur Funktion von Öffentlichkeit orientieren sich an folgenden Öffentlichkeits-Prämissen, die auch für die weitere Arbeit gültig sind: 1. Die Erforschung von Öffentlichkeit orientiert sich an Öffentlichkeiten als konkreten Sachverhalt und nicht an normativen Vorstellungen. Zwar können Öffentlichkeitsideale dazu dienen, die Qualität von empirisch fassbaren Öffentlichkeiten zu bewerten, sie sind jedoch zur Beschreibung von Öffentlichkeiten nicht geeignet. 2. Gemäss dem Prinzip der Rekursivität handelt es sich bei der Herstellung von Öffentlichkeiten um einen dynamischen Prozess, der in erster Linie durch die Kommunikations- und Interpretationsleistung der Anwesenden vonstatten geht. Dabei sind alle Beteiligten – sei es in der Rolle des Kommunikators oder der der Rezipientin – als aktiv handelnde Subjekte zu begreifen, die als öffentliche Akteure Öffentlichkeiten formen. 3. Während in den theoretischen Überlegungen Öffentlichkeit als eine abstrakte Idee existiert, kann man in der Empirie nur von Öffentlichkeiten im Plural sprechen. Die Vielfältigkeit von Öffentlichkeiten ergibt sich unter anderem aus der Mehrdimensionalität des Herstellungsprozesses, der subjektiven Wahrnehmung und Deutungen der Beteiligten, aus der spezifischen Lebenslage und den kollektiven Zugehörigkeiten der Akteure und nicht zuletzt auch aus der räumlichen Verortung des Kommunikationsprozesses. Es erscheint deshalb angebracht, bei der Untersuchung von konkreten Öffentlichkeitsphänomenen von Teilöffentlichkeiten zu sprechen, die ihre je eigenen Interpretationen und Diskurse besitzen: „Teilöffentlichkeiten konstituieren sich auf der Basis gemeinsamer sozialer Erfahrungen und Handlungsräume oder geteilter Interessen, das heisst sie sind unter anderem schicht-, generationen-, geschlechts-, und kulturspezifisch“ (Klaus 48 1998:136). Jugendöffentlichkeit kann als Teilöffentlichkeit bezeichnet werden, die sich durch die spezifische Lebenswelt und jugendtypische Sprache, das altersbezogene Verhältnis der Jugendlichen zu anderen Generationen und der Gesellschaft sowie den für Jugendliche charakteristische Umgang mit dem anderen Geschlecht auszeichnet. Bevor im folgenden Kapitel auf eine mögliche Definition von Jugendöffentlichkeit eingegangen werden soll, kann aufgrund der Erörterungen in diesem Kapitel folgendes für die weitere Analyse festgehalten werden: Bei Jugendöffentlichkeiten in öffentlichen Räumen handelt es sich um so genannte Encounter- (Gerhards et al. 1991) oder einfache Öffentlichkeiten (Klaus 1998), in denen Jugendliche in spontaner und ungezwungener Kommunikation mit anderen Anwesenden in Kontakt treten. Diese Ebene von Öffentlichkeiten ist in erster Linie nicht politisch geprägt, sondern ist der Rahmen für eine soziokulturelle Verständigung zwischen sozialen Gruppen. Aus subjektbezogener Perspektive32 stehen dabei Prozesse der Selbstvergewisserung der Beteiligten im Zentrum der Analyse, die sich über reflexive Selbstthematisierung und reflexive Beobachtung formiert. Die Wirksamkeit soziokultureller Öffentlichkeiten entfaltet sich in erster Linie im Kollektiv: Erst das Thematisieren der Gruppenerfahrung in der Öffentlichkeit sowie die gemeinsame Beobachtung anderer ermöglicht den Jugendlichen Selbstvergewisserung und Orientierung in der kulturellen Pluralität der Stadt. Ein zentrales Verständigungsmittel ist dabei die Repräsentation: Über Symbole und Verhaltensweisen werden bestimmte Persönlichkeitsausschnitte nach aussen getragen, einerseits um Individualität zu vermitteln und andererseits um Anerkennung zu erhalten. In diesem Sinne sind öffentliche Räume Bühnen „für das öffentliche Verhalten, für die Rollen der Individuen und sozialen Gruppen. In ihm werden gesellschaftliche Erfahrungen gesammelt und vermittelt“ (Wentz 2002:192). Das Verhalten auf dieser Bühne unterscheidet sich je nach Wahrnehmung des öffentlichen Raumes als Vorder- oder Hinterbühne: Während auf der Vorderbühne soziale Verständigung stattfindet, dient die Hinterbühne der Reflexion und Selbstvergewisserung. Die beschriebene theoretische Annäherung an den Untersuchungsgegenstand macht eines deutlich: Im Gegensatz zu politischen Öffentlichkeiten handelt es sich bei soziokulturellen Öffentlichkeiten nicht um direkte Kommunikation zwischen Fremden. Demnach ist das Sozialverhalten in öffentlichen Räumen nicht darauf angelegt, Gemeinschaften und sozialen Zusammenhalt zu stärken und ebenso wenig öffentliche Meinung zu bilden, wie dies das politische Öffentlichkeitsverständnis annimmt. Die Fremdheit und Beliebigkeit der auftretenden Kontakte verunmöglicht dies (Spiegel 2003:177). Das Spezifische soziokultureller Öffentlichkeiten ist deshalb nicht die Gemeinsamkeit, sondern vielmehr der Umstand, dass sich ganz unterschiedliche Menschen gleichzeitig in ein und demselben öffentlichen Raum aufhalten und demnach eine Ambivalenz zwischen physischer Nähe und sozialer Distanz erleben. Spiegel (2003) fasst zusammen: „Es ist also weniger, sogar weit weniger eine erhöhte 32 Während sich die meisten Öffentlichkeitstheoretiker für die Funktionsleistung, die Strukturierung oder die Dynamik von Öffentlichkeiten interessieren, konzentriert sich Klaus (1998) auf die individuelle Ebene der Beteiligten und ihre Handlungen. Diese subjektbezogene Perspektive scheint sich für die Untersuchung der Mikro-Öffentlichkeit von Jugendlichen in öffentlichen Räumen besser zu eignen und lässt sich ausserdem in den handlungszentrierten Ansatz integrieren. 49 Chance zu direkter sprachlicher Kommunikation, die öffentliche Plätze auszeichnet, es ist weit mehr die Vielzahl und Vielfalt, die Dichte und Überlagerung unterschiedlicher, sprachlicher wie nichtsprachlicher Kommunikationsinhalte und –wege, die Tatsache, dass jeder, der am Geschehen auf dem Platz teilhat, dabei Akteur, Statist und Zuschauer zugleich ist“ (Spiegel 2003:178). 3.2 Jugendöffentlichkeit in öffentlichen Räumen Im Schnittpunkt von öffentlichen Räumen, soziokulturellen Öffentlichkeiten und normativem Setting lässt sich das Konzept der Jugendöffentlichkeit ansiedeln. Er leitet sich begrifflich von Oskar Negts Arbeiten zur Kinderöffentlichkeit ab. Ähnlich der proletarischen Öffentlichkeit, die sich als Widerstand gegen die von den Kapitalbesitzern beherrschte Öffentlichkeit herausbildet (vgl. Negt et al. 1972), soll auch die Kinderöffentlichkeit die Erwachsenenwelt in Frage stellen. Ausgehend von der Kritik an der räumlichen und moralischen Disziplinierung der Kinder durch die Erwachsenen entwirft Negt (1983) die Kinderöffentlichkeit als Gegenmacht zu derjenigen der Erwachsenen. Für ihn beginnt „Kinder-Öffentlichkeit (…) mit der Freisetzung der körperlichen Bewegung und der Überwindung der gesellschaftlich festgeschriebenen Raumeinteilung“ (Negt 1983:41) und mündet in einem Produktionsprozess kindlicher Erfahrungen (Negt 1983:43). Dies gelingt in erster Linie über die Selbstregulierung, welche die „Erweiterung der Erfahrungsfähigkeiten des Kindes und dessen individuellen Selbstständigkeit zum Ziele hat“ (Negt 1983:48) und mit der Absenz von Kontrolle und Disziplinierung einhergeht. Die Notwendigkeit, Kinderöffentlichkeit zu fordern, liegt in den herrschenden Machtverhältnissen zwischen Kindern und Erwachsenen begründet; deshalb ist sie auch als spezifischen Protest dagegen zu werten (Negt 1983:55). Mit dem Gebrauch der eigenen Ausdrucksmittel – „Körper, Raum, Zeit, Bewegung, Sehe, Tasten, Sprechen, Schreien“ (Negt 1983:41) – machen Kinder ihre spezifischen Bedürfnisse öffentlich. Kinderöffentlichkeit kann ebenso als Prozess verstanden werden, „in dem Meinungen, Verhaltensweisen, Freundschaften und Feindschaften entstehen“ (Zeiher et al. 1998:24). Negts Vorstellung von Kinderöffentlichkeit lehnt sich direkt an die Konzeption einer politischen Öffentlichkeit an (s. Kap. 3.1.3.2.). Er definiert Kinderöffentlichkeit als Protest und Gegenpol zu Erwachsenenwelt sowie als Emanzipation von der Erwachsenenkontrolle. Der öffentliche Raum dient dazu, den Kinderprotest, also die Bedürfnisse, Interessen und Wünsche der Kinder, in der Form von Bewegungs- und Kommunikationsbetonten Ausdrucksmitteln sichtbar zu machen. Übertragen auf die Jugendlichen treten hierbei vor allem jugendliche Protestbewegungen (z.B. 68er-Bewegung) oder provokatives und nonkonformes Verhalten von Jugendlichen in öffentlichen Räumen in den Blick. Reutlinger (2004) beispielsweise beschreibt, wie die unterschiedlichen Formen jugendlichen „SichSichtbar-Machens“ das herrschende System angreifen und auch erneuern: „Die konkurrierenden Lebenskonzepte von Erwachsenen und Jugendlichen (…) wurden über die Sichtbarkeit manifest. (…), durch den Aneignungs- und Auflehnungskampf und durch das Aushandeln von eigenen und nicht-kapitalisierten Bereichen, wurden Jugendliche sichtbar“ (Reutlinger 2004:290). Das politische „Sich-Sichtbar-Machen“ hat demnach eine doppelte Wirkung: Einerseits ermöglicht der öffentliche Raum den Jugendlichen, die eigene Lebenswelt 50 zu thematisieren, andererseits können sie über diese Form der räumlichen Sichtbarkeit auch ihre politischen Forderungen und Interessen sichtbar machen. Wie nun aber bereits im vorhergehenden Kapitel dargelegt, kann und soll es sich bei der in öffentlichen Räumen existierenden Öffentlichkeiten nicht nur um eine politische sondern vor allem um eine soziokulturelle handeln, die weniger auf die Sichtbarmachung von politischen Problemen sondern auf die Sichtbarmachung kultureller Diversität zielt: „Das politische Gemeinwesen [braucht] dauerhafte öffentliche Räume (…), an denen es sich als solches erfährt – und zwar nicht nur im Protest und zur Demonstration von Forderungen und Machtansprüchen, sondern auch zur Kommunikation und als symbolischer Ort“ (Huning 2006:14). Aus dieser Perspektive spielen demnach die symbolischen und sozialen Praktiken der Jugendlichen in öffentlichen Räumen eine weit wichtigere Rolle als jugendliches Protestverhalten. Öffentliche Räume sind als Bühnen der Sichtbarkeit zu verstehen, als Orte der Identifikation mit dem Anderen und der Bewusstmachung von Differenzen (Herczog et al. 1995:23). Jugendöffentlichkeiten können in diesem Zusammenhang als die Möglichkeit einerseits zur Repräsentation und Selbstdarstellung und andererseits zur Kommunikation und zum Austausch verstanden werden; öffentliche Räume und ihre strukturellen Gegebenheiten spielen dahingehend eine ermöglichende oder einschränkende Rolle. Das Konzept der Kinder- bzw. Jugendöffentlichkeit lässt uns demnach im Unklaren darüber, ob sie sich von der herrschenden Erwachsenenöffentlichkeit abwendet oder sich in sie integrieren lässt. Einerseits legt die Ableitung der Kinderöffentlichkeit von der proletarischen Öffentlichkeit nahe, Kinderöffentlichkeit als eine Form der Gegenöffentlichkeit zu verstehen. Dies macht insbesondere dann Sinn, wenn man die normativen und moralischen Restriktionen in öffentlichen Räumen bedenkt, welche die Möglichkeiten der Jugendlichen einschränken. Ebenso werden Jugendliche aus Fragen zur Gestaltung der räumlichen Umwelt ausgeklammert, ihre Bedürfnisse bleiben auf der Ebene der Behörden und Stadtplanung unsichtbar. Andererseits suchen Negt & Kluge (1972) stets nach einer idealen Öffentlichkeit, welche die Menschen miteinander verbindet, ohne einzelne Menschen oder Gruppen aus der Herstellung von Öffentlichkeit auszuklammern. Kinder- oder Jugendöffentlichkeit soll demnach verschiedene divergierende Narrative von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen miteinander vereinen (Hohendahl 2000:109). Der Fokus auf die Verständigungsfunktion von Jugendöffentlichkeit öffnet den Blick für die Chancen, die Jugendliche in den öffentlichen Räumen erfahren. Insbesondere die Möglichkeit, den öffentlichen Raum als Bühne zur Selbstthematisierung und -vergewisserung nutzen zu können, lässt darauf schliessen, dass sich Jugendlichöffentlichkeit nicht unabhängig von der Erwachsenenwelt zu entwickeln scheint, sondern in der Auseinandersetzung mit ihr entsteht. Zwischenfazit VII Jugendöffentlichkeit beschreibt einen Zustand der Sichtbarkeit jugendlicher Lebensinhalte. Für Jugendliche in öffentlichen Räumen meint Sichtbarkeit wie oben beschrieben kollektive Repräsentation und Selbstdarstellung, aber auch Widerstand und Protest. Nimmt man Bezug auf das in Kapitel 3.1.3.3. entwickelte Öffentlichkeitsverständnis und wendet es auf Negts 51 Ausführungen zur Kinderöffentlichkeit an, lassen sich Jugendöffentlichkeiten mit folgenden Thesen charakterisieren: 1. Sind öffentlich Räume für Jugendliche zugänglich und nutzbar, das heisst nach Negt frei von Kontrolle und offen zur Selbstregulierung, sind sie Orte der jugendkulturellen Selbsterfahrung. 2. Jugendliche machen ihre eigenen Bedürfnisse, Interessen und Erfahrungen über ihre jugendspezifischen Ausdrucksmittel in der Öffentlichkeit sichtbar. 3. Die „jugendtypische Spannung zwischen der Suche nach jugendkultureller Eigenständigkeit und der verdeckten Sehnsucht nach dem Erwachsenwerden“ (Böhnisch et al. 2010) artikuliert sich in Jugendöffentlichkeiten. Diese ermöglichen sowohl jugendkulturelle Aneignung als auch Anerkennung in öffentlichen Räumen. 4. Jugendöffentlichkeiten stellen ein wichtiges Protestmittel insbesondere von ausgegrenzten Jugendlichen dar, um die Machtverhältnisse in der Gesellschaft zu thematisieren. Öffentliche Räume sind dabei oft der Austragungsort dieser Konflikte. 3.3 Jugendliche Aneignungsprozesse in öffentlichen Räumen Wie durch die vorangegangen theoretischen Erörterungen klar wurde, befinden sich Jugendlichen in öffentlichen Räumen in einem komplexen Verhältnis zu ihrer Umwelt. Einerseits finden sie in den Räumen eingelagerte Normen- und Symbolsysteme in der Form eines normativen Settings vor, das entweder einschränkend oder ermöglichend auf sie einwirkt. Andererseits stellt die Auseinandersetzung der Jugendlichen mit einer pluralen sozialen Umwelt zahlreiche Möglichkeiten dar, sich selber zu reflektieren und sich in Bezug zur Gesellschaft zu setzen. Sowohl die Vorgaben einer handlungszentrierten Sozialgeografie des Jugendalters und das in Kapitel 3.1.1. vorgestellte sozialwissenschaftliche Raumverständnis, als auch das mehrdimensionale Konzept von öffentlichen Räumen und das auf Verständigung fokussierte Öffentlichkeitsverständnis lassen nur einen Schluss zu: Die Herstellung von Jugendöffentlichkeiten in öffentlichen Räumen geschieht über das Handeln von Jugendlichen sowie über die Reflexion und Bedeutungszuschreibung des Wahrgenommenen und Erlebten. Diese drei Prozesse lassen sich mit dem Begriff der Aneignung zusammenfassen. Wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, meint Aneignung also mehr als nur die Nutzung öffentlicher Räumen, sondern vor allem eine individuelle und subjektive Veränderung räumlicher Bedingungen (Harms et al. 1985:59-62). Aneignung nach Marx und Leontjew Der Begriff „Aneignung betont eine für Kinder und Jugendliche typische Entwicklungsdimension: ihr gut zu beobachtendes und besonders ausgeprägtes Verlangen, sich ihre Lebenswelten zu erschliessen, deren Bedeutungen zu verstehen, sich Räume anzueignen, eigene Sozial-Räume zu definieren, ihren Handlungsraum zu erweitern und damit immer wieder neu in erweiterten und sich verändernden sozial-räumlichen Bezügen zu agieren“ (Deinet et al. 2005:295). So fassen die beiden Autoren Deinet und Reutlinger ihr Verständnis der sozialräumlichen Aneignung zusammen und machen damit – wenn auch nur 52 implizit – deutlich, dass der Begriff Klärung und definitorische Abgrenzung bedarf. Der Aneignungsbegriff wurde von Karl Marx und Alexejew Leontjew entwickelt, die beide die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit, der Natur und von seinen Mitmenschen als das Grundproblem moderner Gesellschaften betrachten. Für die kindliche Entwicklung bedeutet dies, dass die Welt, in welchen ein Kind hineingeboren wird, aufwächst und sich entwickelt, eine bereits durch den Menschen geschaffene und veränderte Welt ist (Leontjew 1973:451). Deshalb kann das Kind keinen direkten Bezug zu den es umgebenden Gegenständen herstellen und muss sich die in der Umwelt vergegenständlichten Bedeutungen aktiv aneignen: Im „Prozess der Aneignung für das Kind oder den Jugendlichen [geht es nun darum] ‚einen Gegenstand aus seiner Gewordenheit’ zu begreifen und sich die in den Gegenständen verkörperten menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten anzueignen“ (Deinet et al. 2005:298). Dieser Vorstellung liegt ein Handlungsbegriff zu Grunde, welcher das Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen weniger als „biologische Adaption an Umweltanforderungen“ (Harms et al. 1985:9-10) bzw. Resultat einer Prägung von aussen betrachtet, sondern die psychische und soziale Entwicklung über die tätige Auseinandersetzung mit der Umwelt befördert wird. Die kindliche und jugendliche Entwicklung ist also weit mehr als nur biologische Veränderung oder passive Rezeption von Aussenreizen, sondern beinhaltet in erster Linie die Entdeckung und Verarbeitung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie menschlicher Kultur und Symbole mittels der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt (vgl. Rolff et al. 1990:57, Reutlinger 2003:43). Aneignung ist deshalb keine rein individuelle Angelegenheit, sondern spielt sich meist in sozialen Interaktionen ab. Sozialräumliche Aneignung Sowie Marx als auch Leontjew setzen mit ihren Überlegungen zu einer entfremdeten Welt und ihrer Aneignung in erster Linie bei der Arbeit als zentraler Lebensbereich an. Beide konzentrieren sich auf die Frage, wie sich der Mensch mit der von ihm geschaffenen Umwelt und Artefakten in Beziehung setzen kann. Aus dieser Perspektive ist der Raumbezug von Aneignung, also beispielsweise die Aneignung von privaten oder öffentlichen Räumen, zweitrangig. Obschon der Bezug zur die Kinder und Jugendliche umgebende Lebenswelt insbesondere in Leontjews Arbeiten angelegt ist, klammert er in seinen Ausführungen die Beziehung zwischen Aneignung und gesellschaftlicher Umwelt aus. Wie sozialökologische Studien allerdings deutlich machen, findet insbesondere in der Kindheit und im Jugendalter eine gegenseitige Beeinflussung von Sozialraum und Mensch statt (vgl. Kap. 2.1.1.). Dementsprechend lautet die sozialräumliche These, „dass sich die konkreten Verhältnisse der Gesellschaft, so wie sie Kinder und Jugendliche erleben, die nicht am Produktionsprozess teilnehmen, vor allem räumlich vermitteln. (…) Der Aneignungsprozess ist für Kinder und jüngere Jugendliche quasi eingebettet in den ‚Raum’ unserer Gesellschaft, in die konkreten durch die Strukturen der Gesellschaft geschaffenen, räumlichen Gegebenheiten“ (Deinet 2009:4). Aus dieser Perspektive beziehen sich Vergegenständlichung und Aneignung nicht nur auf gegenständliche Produkte menschlicher Arbeit, sondern erweitern den Gegenstand der Aneignung auf die gesamte Lebenswelt der Menschen: Soziale Beziehungen, gesellschaftliche Strukturen und historisch eingebettete 53 Kultur in ihrem materiellen Niederschlag in städtischen Räumen. So kann sozialräumliche Aneignung auch als Entschlüsselung der in den Räumen eingelagerten gesellschaftlichen Bedeutungen definiert werden (Deinet et al. 2005:296). Der sozialräumlichen Ausarbeitung des Aneignungskonzept liegt folglich ein mehrdimensionales Verständnis von Raum zu Grunde (s. Läpple in Kap. 3.1.2.1.): Neben der materiellen Dimension besteht der Raum auch aus einer sozialen, normativen und symbolischen Dimension. Aus diesem Grunde ist auch die Aneignung von Räumen immer sowohl physischer als auch sozialer, normativer wie symbolischer Art (Braun 2004:24). Ulrich Deinet hat in seinen zahlreichen Arbeiten zur sozialräumlichen Aneignung die theoretische Grundlage des Begriffs geschaffen und fasst diese wie folgt zusammen: „Gegenstandsbedeutungen finden ihre konkreten Zuweisungen in der Einbettung in Räume; die Kategorie des Raumes spiegelt mit seinen Elementen auch die Strukturen der Gesellschaft wieder. Gegenstandsbedeutung und Raumbezug haben gerade für Kinder und Jugendliche direkten Verweisungscharakter. Weil Räume, vor allem städtische Räume, nicht naturbelassen, sondern ganz und gar vom Menschen bearbeitet, gestaltet, verändert und strukturiert sind, müssen sich die Kinder und Jugendlichen diese Räume und die in ihnen enthaltenen Bedeutungen genauso aneignen wie Gegenstände und Werkzeuge der unmittelbaren Umgebung“ (Deinet 2009:3). Die von Marx aufgestellte und von Leontjew auf die psychische Entwicklung von Heranwachsenden angewandte Entfremdungsthese kann aber auch aus sozialräumlicher Perspektive wieder aufgegriffen werden: „Der Entfremdungsthese entsprechend schafft der Mensch auch Städte, Strassen und Parks, eine räumliche Welt ohne Seele, die entfremdet ist. (…) die zunehmende Funktionalisierung der sozialen und räumlichen Bedingungen der Stadt [bringt] die Entfremdung des Menschen von dieser ‚produzierten’ Welt mit sich“ (Reutlinger 2003:39). Die in der Einleitung ausgeführten Bedeutungen öffentlicher Räume für Jugendliche können sich demnach erst über die Aneignung der entfremdeten Stadt verwirklichen. Implizit wird mit der Entfremdungsthese auch das absolutistische Raumverständnis von Stadt- und Raumplanern kritisiert (s. Kap. 3.1.2.1.), welche die Stadt als Behälter verstehen, um sie mit funktionalen Bauten anzufüllen. Im Gegenzug dazu kritisiert Martina Löw, dass auch die Rezipienten des Aneignungskonzeptes nicht auf die modernen Raumvorstellungen eines sozial konstituierten und relationalen Raums Bezug nehmen: „Die Rede von der Aneignung (…) arbeitet bezogen auf Raum mit der Vorstellung des jenseits menschlichen Handelns existierenden Raums, der aktiv angeeignet werden kann. Raum wird also weder prozesshaft noch als zu konstituierend gedacht, sondern vorausgesetzt“ (Löw 2001, 249). Löw geht vielmehr davon aus, dass Marxs und Leontjews Grundgedanke der Entfremdung eine Trennung zwischen dem Individuum und den ihn umgebenden Objekten inne wohnt und dass bei der Übertragung des Aneignungskonzeptes auf sozialräumliche Fragen die Gefahr gross ist, diese Gegenüberstellung in der Loslösung des Subjektes von seiner Umwelt zu reproduzieren. Für die Aktualisierung des Konzeptes muss deshalb angenommen werden, dass der Gegenstand sozialräumlicher Aneignung Sozialräume sind. Nach der Definition von 54 Becker et al. (1984a) konstituiert sich der Sozialraum durch konkrete Handlungen, durch welche die vorhandenen sozialen Beziehungen und die vorgefundenen Raumstrukturen miteinander verkoppelt werden. Sozialraum wird von handelnden Subjekten hervorgebracht, ihre Interessen und Bedürfnisse formen in spezifischen Situationen und Kontexten immer wieder Sozialräume unterschiedlicher Ausprägungen und Qualitäten. Deinets These ist es nun, „dass der Aneignungsbegriff insofern aktualisiert werden kann, als er nach wie vor die tätige Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt meint und bezogen auf die heutigen Raumveränderungen der Begriff dafür sein kann, wie Kinder und Jugendliche eigentätig Räume schaffen (Spacing) und die (…) Räume ihrer Lebenswelt verbinden (…) und sich nicht nur vorhandene gegenständlich [aneignen]“ (Deinet 2009:15-16). Für Aneignungsprozesse in öffentlichen Räumen kann dies heissen, dass Jugendliche diese Räume auch bewegen und für sich gestalten können, dass sie beispielsweise auch an den Zugängen zu öffentlichen Plätzen oszillieren, also sich auf der Grenze zwischen dem draussen und drinnen oder dem Privaten und Öffentlichen aufhalten (Deinet 2004:183-184). In diesem Zusammenhang ist oft auch die Rede von einer temporären Aneignung öffentlicher Räume. Frey beschreibt diese Form der Aneignung als ‚konkreter Urbanismus’ und versteht darunter eine „Strategie, die darauf beruht die Aneignungsbarrieren in den öffentlichen Räumen zu umgehen. (…) Es geht dabei nicht um Verhandlung oder Kommunikation mit sozialen Akteuren, (…) sondern um eine meist temporäre Aneignung öffentlicher Räume, an denen symbolisch eine Umwertung der Nutzungsmöglichkeiten stattfindet“ (Frey 2004:229). Solche ‚Provisorien’ öffentlicher Räume ermöglichen ein „Raumbesetzen und Raumergreifen“ (Frey 2004:230). Auch Löws Erörterungen zu so genannten ‚gegenkulturellen Räumen’ können als eine Erweiterung des Aneignungskonzepts verstanden werden: Damit sich Kinder und Jugendliche ihre Handlungsfähigkeit erhalten können, muss es ihnen möglich sein, sich normativ geprägte Räume so anzueignen, dass sie dessen Anpassungsdruck widerstehen und deren Begrenztheit überwinden können (Deinet 2004:185). Halb-öffentliche Räume wie beispielsweise Einkaufszentren oder öffentliche Schwimmbäder sind zwar für alle zugänglich, gleichzeitig aber auch funktionalisiert und normiert. Jugendliche können solche Vorgaben durch Bewegung und Kommunikation verändern, die Räume umfunktionalisieren und damit die vorgesehene Funktion in Frage stellen. Hier knüpft Löw an die in Kapitel 3.1.2.2. erläuterten Machtstrukturen im Raum an, wenn sie schreibt: „Dies zeigt, dass Räume sich widersprechen und für Menschen unterschiedliche Geltung haben können, und zwar an denselben Orten, oder noch zugespitzter: Es können auch im Spacing unterschiedliche Orte auf demselben Grund und Boden entstehen. Über diese Differenz der Raumkonstruktionen werden Machtverhältnisse ausgehandelt, gesellschaftliche Strukturen reproduziert oder verändert, machtrelevante Ressourcen und symbolische Zuweisungen festgelegt“ (Löw 2001:245). Der sozialräumliche Aneignungsbegriff unterscheidet sich in zwei weiteren Punkten vom klassischen Aneignungskonzept: Erstens meint Aneignung sozialräumlicher Bezüge nicht einfach das Imitieren und Erlernen menschlicher Fähigkeiten, wie dies Leontjew am Beispiel der adäquaten Benutzung einer Tasse erläutert, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, in welcher Kinder und Jugendliche auch gestalten und verändern können (Harms et al. 1985:13). Zweitens kann demnach Aneignung im Raum nicht als widerspruchsfrei definiert werden: Einerseits in der gestalterischen Kraft von 55 Aneignungsprozessen begründet, andererseits aufgrund der in den räumlichen Strukturen immanenten gesellschaftlichen Machtverhältnissen meint Aneignung auch immer „Auseinandersetzung zwischen verschiedenen und z.T. sich gegenseitig ausschliessenden Interessen“ (Harms et al. 1985:23) sowie „immer auch Auseinandersetzung um Nutzung von Raum“ (Harms et al. 1985:26). Weiter werden die städtischen Räume durch die kapitalistische Warenproduktion und Distribution dominiert und durch ein kodifiziertes Normensystem sowie Eigentumsverhältnisse stark verregelt, welche zusätzlich von Aufsichtspersonen, so genannten ‚Raumwärtern’ (vgl. Becker et al 1984:90ff), durchgesetzt werden. Zur Beschreibung dieser Umstände führt Reutlinger die Verregelungsthese ein: „Jedoch schreitet die Kapitalisierung der Städte und damit zusammenhängend die Ausdehnung der Macht einzelner Personen über Raumausschnitte fort, so dass die Städte bis ins Innerste hinein institutionalisiert und verregelt sind. Von der Durchfunktionalisierung, Institutionalisierung und Verregelung sind neben den sozialen auch die räumlichen Bedingungen, unter welchen Kinder und Jugendliche aufwachsen, betroffen“ (Reutlinger 2003:69). Daraus schliesst Reutlinger, dass Jugendliche neben angeeigneten Räumen auch Angstregionen oder gemiedene Orte kennen, die sie zwar nicht aneignen können, aber dennoch in einem emotionalen Bezug zu ihnen stehen33. Unter den geschilderten Umständen der Regulierung gestaltet sich die Raumaneignung für Kinder und Jugendliche äusserst widersprüchlich, sie pendelt zwischen Möglichkeit und Restriktion und ist deshalb stark von den vorgefundenen Bedingungen abhängig: „Aneignungsprozesse als schöpferische Leistung, als Eigentätigkeit, werden durch die realen Anforderungs- und Möglichkeitsstrukturen bestimmt und gerichtet. Inwieweit Aneignung als Eigentätigkeit stattfinden kann, hängt wesentlich von den äußeren Bedingungen und Anregungen ab“ (Deinet 2009:3). Zwischenfazit VIII Ganz allgemein gesprochen ist unter Aneignung das „Erschliessen, ‚Begreifen’, Verändern, Umfunktionieren und Umwandeln der räumlichen und sozialen Umwelt“ (Deinet et al. 2005:195) zu verstehen. Folgt man den Prämissen der Raumsoziologie handelt es sich bei Aneignung also immer um 1. eine aktive Handlung und konkrete Auseinandersetzung mit der räumlichen Umgebung, die 2. selbst von den räumlichen Strukturen geprägt auch neue Räume schafft und 3. als zeitlicher Prozess verstanden werden muss (vgl. Muri et al. 2009:79). Die Empirie zeigt hingegen, dass die Sozialräume stark verregelt und durchfunktionalisiert sind, was die Gestaltungskraft des Aneignungsprozesses auch Grenzen setzt. Ebenso ist die Aneignung öffentlicher Räume von den individuellen Ressourcen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen abhängig (z.B. zunehmende Funktionalisierung der öffentlichen Räume) (Becker et al. 1984a:3). Dass viele Aneignungsforscher sich am Einzelsubjekt und Aneignung individualistisch konzipieren, ist nach Sting ein Fehlschluss. Vielmehr stellen „gesellige Praktiken und Gruppenbildungsprozesse (…) ein wesentliches Moment der entwicklungsbezogenen Aneignung sozialer Realität dar“ (Sting 2004:141). Sting stellt die These auf, dass Aneignung nicht nur in soziale Interaktionen, sondern vor allem auch in die gesellige Praxis eingebunden ist. Damit mach Sting einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen dem sozialen und dem 33 Reutlinger knüpft dabei an die Vorstellung einer Verinselung jugendlicher Lebenswelten an (s. Kap. 2.1.1.). 56 kollektiven Element von Aneignung: Wie das relationale Raumverständnis vorgibt, kann sozialräumliche Aneignung nur in der sozialen Interaktion mit andere Menschen vonstatten gehen. Dass sich dieser Prozess zwischen Einzelpersonen abspielt, ist nach Sting jedoch eher undenkbar; viel wahrscheinlicher ist es, dass Aneignung vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Gruppen stattfindet (Sting 2004:139-141). Harms et al. (1985) verweisen deshalb auf die „Notwendigkeit, nicht nur das Verhältnis zwischen Kinder/Jugendlichen und städtischem Raum zu untersuchen, sondern zugleich darzustellen, wie sich in diesem Verhältnis die sozialen Verhältnisse der Kinder und Jugendlichen untereinander darstellen“ (Harms et al. 1985:28). Vier für die Aneignung bedeutsame Gesichtspunkte sollen noch einmal betont werden: Erstens meint Aneignung öffentlicher Räume mehr als nur deren Nutzung, sondern bezieht sich ebenso auf die Wahrnehmung- und Bedeutungsprozesse von Jugendlichen. Diese drei Aspekte der Aneignung durchdringen sich gegenseitig und formen ein subjektives und individuelles Bild des Raumes. Zweitens heisst Aneignung auch immer die Umorganisation und Veränderung der räumlichen Bedingungen. Dies impliziert, dass jugendliche Aneignung öffentlicher Räume oft auch eine konfliktgeladene Angelegenheit darstellt (Zinnecker 1976:15). Drittens ist die jugendliche Aneignung durch die individuellen wie kollektiven Bedürfnisse, Interessen und Orientierungen der Jugendlichen geprägt. Wie sich in der alltäglichen Praxis öffentliche Räume aneignen lassen, hängt deshalb stark von den Jugendlichen selbst ab (Weinert 2000:14). Schliesslich resultiert die Aneignung darin, dass Jugendliche ein Verhältnis der Vertrautheit zum öffentlichen Raum herstellen und sich handlungsfähig wahrnehmen (Becker et al. 1984a:3). Vier Dimensionen von Aneignungsprozessen in öffentlichen Räumen Zur weiteren Differenzierung von Aneignungsprozessen sollen vier Dimensionen unterschieden werden, die sich zueinander in ganz unterschiedlichen Verhältnissen präsentieren können. Die physische Aneignung bezieht sich auf die Nutzung, Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung von materiell-physischen Strukturen in öffentlichen Räumen. Sie kann als die grundlegendste Form von Aneignung verstanden werden und hat vor allem für jüngere Kinder eine zentrale Bedeutung. Bei der physischen Aneignung stehen vor allem die sinnliche Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit und physischen Fähigkeiten im Vordergrund sowie die Ausdehnung und das „Besitz-Ergreifen“ von Raum. Während im Jugendalter die physische Aneignung eher zurücktritt gewinnt die soziale Aneignung an Bedeutung. Hierunter ist die Nutzung, Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung öffentlicher Räume in Bezug zur Kommunikation mit sowie Zugehörigkeit zu anderen Menschen zu verstehen. Soziale Aneignung umfasst Handlungen und Interaktionen in der Gruppe wie auch der Austausch mit der sozialen Umwelt. Die symbolische Aneignung ist ebenso eine bedeutsame Dimension für Jugendliche in öffentlichen Räumen: Sie handelt von der kreativen Gestaltung von Räumen, indem Spuren oder Zeichen hinterlassen werden und die eigene Symbolik sichtbar gemacht wird. Da Jugendliche aus der Gestaltung öffentliche Räume ausgeschlossen sind und es ihnen somit nicht möglich ist, ihr Lebensstil beispielsweise in die räumlichen Strukturen eines öffentlichen 57 Raumes einzuschreiben (eine Ausnahme stellt das Graffiti-Sprayen dar), greifen sie auf soziokulturelle Praktiken zurück, um öffentliche Räume mit ihren eigenen Bedeutungen zu versehen. Dieser Vorstellung geht die Annahme voraus, dass die sich in öffentlichen Räumen aufhaltenden Menschen Symbole in alltäglicher Form und Praxis hinterlassen, wie beispielsweise über die Kleidung oder auffälliges Verhalten. Symbolische Aneignung ist in erster Linie als Kommunikation (Symbole als Kommunikationsmittel) zu definieren, mit dem Ziel, die eigene Lebenswelt zu thematisieren, eigene Individualitäten und Differenzen auszudrücken sowie Anerkennung (wie Ablehnung) zu erfahren. Die normative Aneignung schliesslich bezieht sich auf das normative Setting in der Form von sozialen Normen und Regulierungsmechanismen in öffentlichen Räumen: Hier geht es um den Umgang mit und die Transformation der in den öffentlichen Räumen eingelagerten Normensystemen, die Entwicklung von Strategien, den Raum trotz Einschränkungen für sich nutzbar zu machen oder dem Aushandeln über die Zugänglichkeit zu öffentlichen Räumen (Werlen 2004:341-343). 3.4 Zusammenfassung und konkrete Fragestellungen Bei der Herstellung von Jugendöffentlichkeiten handelt sich um eine Auseinandersetzung von Jugendlichen mit ihrer Umwelt, konkret mit ihren Mitmenschen, und sie lässt sich in erster Linie über die Kommunikation und Interaktion von Jugendlichen mit anderen sich im öffentlichen Raum aufhaltenden Personen erfassen. Öffentliche Räume als EncounterÖffentlichkeiten (Gerhards et al. 1991) sind nicht politisch geprägt, sondern bilden den Rahmen für eine soziokulturelle Verständigung (Klaus 1998) über repräsentatives Verhalten. Öffentliche Räume ermöglichen einerseits Verständigung unter den Gesellschaftsmitgliedern sowie Selbstvergewisserung des Individuums. Als Publikum (Goffman 1998) beobachten, strukturieren und bewerten Jugendliche ihre Mitmenschen in der Öffentlichkeit, um dadurch ihr eigenes Denken und Verhalten zu reflektieren. Hier handelt es sich um einen Reflexionsprozess, bei welchen sich der oder die Jugendliche abgrenzt oder zustimmt und sich somit in der gesellschaftlichen Struktur verortet. Ebenso können Jugendliche sich als Schauspielende zu ihrer Umwelt in Bezug setzen, indem sie ihre eigene Lebenswelt thematisieren, sich repräsentieren und dadurch am öffentlichen Geschehen partizipieren Diese Kommunikationsprozesse können verschiedene Formen annehmen und lassen sich auf einem Kontinuum zwischen gegenseitiger Anerkennung von Interessen, Bedürfnissen und Erfahrungen auf der einen Seite und jugendlichem Protest und Konflikt über gegensätzliche Interessen, Bedürfnisse und Erfahrungen auf der anderen Seite ansiedeln. Jugendöffentlichkeiten müssen ebenso im Spiegel der in öffentlichen Räumen verorteten Machtbeziehungen betrachtet werden. Jugendliche werden in öffentlichen Räumen mit Normen und Symbolen konfrontiert und ihr Verhalten wird durch formelle und/oder soziale Regulierungsmechanismen kontrolliert (vgl. Bourdieu 1997, Cresswell 1996, Klamt 2007, Malone 2002, Sibley 1995). Einerseits sind Jugendliche dieser normativen Ordnung öffentlicher Räume unterworfen, andererseits aber haben sie als aktive Nutzergruppe in öffentlichen Räumen auch die Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen (Holloway et al. 2001). Es ist demnach davon auszugehen, dass die normativen Bedingungen eines öffentlichen 58 Raumes auf der einen Seite die ungleichen Beziehungen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen reproduzieren und auf der anderen einem steten Aushandlungs- und Definitionsprozess, an welchem sich Jugendliche beteiligen können, unterliegen. Die Raumpraxis Jugendlicher und damit auch der Herstellungsprozess von Jugendöffentlichkeiten sind in Abhängigkeit der Machtverhältnisse in öffentlichen Räumen zu betrachten. Diese eröffnen sich einerseits über Chancen und Restriktionen der Aneignung, andererseits erfahren Jugendliche in öffentlichen Räumen Anerkennung und Ablehnung. Chancen und Restriktionen, Anerkennung und Ablehnung werden über das normative Setting eines öffentlichen Raumes vermittelt. Je nach Ausgestaltung dieser Ordnung konstituieren sich Jugendöffentlichkeiten als anerkannte oder abgelehnte Öffentlichkeit. Die theoretische Einbettung der Analysefrage bezieht sich einerseits auf ein gesellschaftszentriertes Raumkonzept (Läpple 1991) und andererseits auf die sozialräumliche Aneignung Jugendlicher (Deinet 2004; Deinet et al. 2005; Deinet 2009). Öffentliche Räume stellen für die jugendlichen Aneignungsprozesse ein besonderes Setting dar: Einerseits weisen sie bereits bestehende physische und materielle Bedingungen auf, die objektiv vorhanden sind, subjektiven Sinn jedoch erst durch die räumliche Praxis erhalten. Andererseits verfügen öffentliche Räume über in sie eingeschriebene Verhaltensmuster und Alltagspraktiken, Erinnerungen, Erfahrungen und Lebensentwürfe sowie Kontroll- und Machtmechanismen, welche sowohl die soziokulturellen Bedingungen für als auch das Aushandlungs- und Transformationsprodukt von jugendlicher Raumpraxis darstellen (Läpple 1991). Unter Aneignung öffentlicher Räume ist demnach die Nutzung, Gestaltung und Veränderung dieser räumlichen Strukturen zu verstehen, bei welchem sich unterschiedliche Dimensionen von Aneignung (physisch, sozial, symbolisch und normativ) überlappen und sich gegenseitig ergänzen. Folglich besteht ein dialektisches Verhältnis zwischen dem Handeln von Jugendlichen und den mit den öffentlichen Räumen verknüpften Dispositionen (vgl. Werlen 2004; Werlen 2007). Die Erforschung von Aneignung in öffentlichen Räumen erfordert deshalb sowohl eine Fokussierung der einzelnen Aneignungsformen als auch eine Verknüpfung derselben. Dieses theoretische Vorwissen lässt sich in einem sensibilisierenden Konzept zusammenfassen (siehe Abb. 3), an welches wiederum die folgenden Fragestellungen ansetzen. Fragestellung 1: Die Aneignungsfrage Wie lassen sich die physische, soziale, normative und symbolische Aneignungspraxis von Jugendlichen in öffentlichen Räumen beschreiben? Welche Bezüge bestehen zwischen den unterschiedlichen Aneignungsdimensionen? Fragestellung 2: Die Öffentlichkeitsfrage Wie erfahren und reflektieren Jugendliche ihre Rolle als Schauspieler und Publikum in öffentlichen Räumen? Auf welche Art und Weise machen Jugendliche ihre Lebenswelt über ihre jugendspezifischen Ausdrucksmittel in der Öffentlichkeit sichtbar? 59 Fragestellung 3: Die Machtfrage Welche Aneignungschancen und -restriktionen erfahren Jugendliche in öffentlichen Räumen? Welchen Umgang pflegen Jugendlichen mit den jeweiligen Regulierungsmechanismen und wie erfahren und bewerten sie die in öffentlichen Räumen eingelagerten Normen? Welche Formen von Anerkennung und Ablehnung erleben Jugendliche in öffentlichen Räumen? Im Gegensatz zu einer stadtplanerischen oder ökonomischen Perspektive, die öffentliche Räume aus der ex-ante Sichtweise von Architekten Stadt- und Raumplanern betrachtet, will die vorliegende Untersuchung die tatsächlich empirisch feststellbare Alltagsrealität öffentlicher Räume erforschen und nähert sich dem Untersuchungsgegenstand deshalb aus der ex-post Perspektive (Klamt 2007:71). Das dialektische Verhältnis von räumlicher Strukturen und jugendlicher Raumpraxis wird somit aus einer handlungszentrierte Perspektive erfasst, wie sie beispielsweise Werlen (2008) oder Lussault (2010) vorschlagen, und deshalb steht die Raumpraxis von Jugendlichen in öffentlichen Räumen und deren subjektive Wahrnehmung und Deutung im Zentrum der Untersuchung. 60 © (Jahr) Newsletter Lehrstuhl Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit Bd(Nr): S-S Abbildung 3: Sensibilisierendes Konzept Eigene Darstellung, in Anlehnung an Werlen (2008) 61 62 4 TANJA KLÖTI Methodisches Vorgehen 4.1 Forschungsparadigma Wie bereits mehrmalig erwähnt (vgl. Kap. 2.1.2. und 3.1.1.) verpflichtet sich die vorliegende Forschungsarbeit einem handlungstheoretischen Ansatz, in dessen Mittelpunkt im Gegensatz zu systemtheoretischen oder behavioristischen Theorien das Handeln und die Handlungsmöglichkeiten von Individuen stehen. In Anlehnung an Michel de Certeaus (2002) Verständnis von Sozialforschung interessiert in dieser Arbeit die Praxis des alltäglichen Lebens, also was Menschen tun und wie sie es tun, und weniger die Gründe und Konsequenzen ihres Handelns (de Certeau 2002:12). Die Methoden zur Untersuchung jugendlicher Aneignungsprozesse in öffentlichen Räumen sollen deshalb so konzipiert sein, dass sie die alltäglichen Routinen der Jugendlichen erfassen können. Die vorliegende Arbeit orientiert sich weiter am interpretativen Paradigma der Sozialforschung: Jugendliche sind kein auf ihre Umwelt reagierender, sondern ein „handelnder und erkennender Organismus“ (Rosenthal 2005:15), der in der Interaktion mit anderen die soziale Wirklichkeit erzeugt und interpretiert. Das soziale Phänomen der Jugendöffentlichkeiten ist nicht durch kausale Gesetze bestimmt, sondern ergibt sich dadurch, dass Jugendliche öffentlichen Räumen subjektive Bedeutung geben. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Raumpraxis von Jugendlichen sowie ihre subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung von öffentlichen Räumen zu untersuchen. Die Herstellung von Jugendöffentlichkeiten setzt neben der Raumpraxis auch einen Prozess der normbehafteten Bedeutungs- und Regelzuschreibung durch Jugendliche voraus: Jugendliche nehmen öffentliche Räume auf subjektive Weise wahr und verarbeiten diese vor dem Hintergrund ihrer biografischen und sozialen Erfahrungen. Auf der Basis dieser subjektiven Wahrnehmung entwickeln die Jugendlichen individuelle und kollektive Vorstellungen über die Bedeutung öffentlicher Räume für ihre ganz spezifische und alltägliche Lebenswelt. Jugendliche Raumpraxis, subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung bilden drei unterschiedliche Aspekte räumlichen Erlebens, wie es zahlreiche Raumtheoretiker beschrieben haben. Soja (1998) beispielsweise bezieht sich auf Lefèbvres (1974) Arbeiten und entwirft eine Trialektik der Räumlichkeit, welche sich auch in der Raumsoziologie von Löw (2001) trotz begrifflicher Unterschiede wieder finden lässt. Löw unterschiedet zwischen a) der Raumpraxis, also sich im Raum bewegen, ihn mit allen Sinnen wahrnehmen und aktiv gestalten, b) der mentalen Synthese, sprich die Zusammenfassung von einzelnen materiellen, sozialen und symbolischen Raumeindrücken zu einer abstrakten Konstruktion von Raum34 und c) der normbehafteten Bedeutungs- und Regelzuschreibung von Räumen, beispielsweise wenn bestimmte Räume für Jugendliche einen sozialen Zweck erfüllen (Stiftung Wüstenrot 2009:12-13). Wie das interpretative Paradigma geht auch die Trialektik der Räumlichkeit davon aus, dass Menschen über bedeutsame Handlungen einen sinnhaften Bezug zu ihrer sozialen 34 Siehe Lynch (2008) sowie Weinert (2002). 62 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Wirklichkeit herstellen und daraus ein Bedeutungssystem erarbeiten. Hier ist ein direkter Bezug zu den aufgestellten Raumprämissen herzustellen: Wenn davon auszugehen ist, dass öffentliche Räume nicht einfach nur geografische oder materielle Dinge, sondern sozial produziert und mental konstruiert sind, ist es für das Verständnis von Jugendöffentlichkeiten in öffentlichen Räumen unabdingbar, sowohl Handlungen als auch Bedeutungssysteme zu untersuchen. Insbesondere die Bedeutungszuschreibung zu öffentlichen Räumen lassen sich nur daraus ableiten, wie Jugendliche ihre Umwelt interpretieren: “The meaning of a place is not inherent in its ‘objective’ or physical attributes but rather arises from interpretative processes that occur in the interplay between person-to-place and person-to-person interactions” (Morill et al. 2005:232). Innerhalb dieses interpretativen Prozesses setzen die Jugendlichen ihre Umgebung, ihre sozialen Beziehungen, Normen und Symbole zu ihrer eigenen Persönlichkeit in Bezug. Um die subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung öffentlicher Räume von Jugendlichen zu erfassen, bedarf es einen Herangehensweise, welche die Perspektive des handelnden und denkenden Subjekts ins Zentrum rückt. Die vorliegende Arbeit orientiert sich deshalb an den Prinzipien der qualitativen Sozialforschung, dessen Ziel die „Rekonstruktion der Bedeutung sozialer Phänomene (…) und das Verstehen des Sinns von Handlungen, Situationen, Symbolen und Kontexten“ (Weyers 2007:4) ist. Da die qualitative Sozialforschung ein breites Spektrum von Forschungsmethoden und theoretischer Hintergründe aufweist, lassen sich nur allgemeine Kennzeichen benennen, die für die meisten qualitativen Arbeiten gelten (Steinke 1999:17-40): Um den subjektiven Sinn von Handlungen zu erforschen, orientiert sich die qualitative Forschung am Alltagshandeln und –wissen der Untersuchten und sucht deshalb die Nähe zur Lebenswelt der Subjekte. Für die qualitative Forschung gilt das Prinzip der Offenheit, das sich sowohl auf die theoretische Vorarbeit als auch auf das methodische Vorgehen bezieht. Anstatt repräsentativer Stichproben untersuchen qualitative Studien eher Einzelfälle oder geringe Fallzahlen. Der zu untersuchende Forschungsgegenstand ist ausschlaggebend dafür, welche Methoden gewählt werden. Ausgangspunkt der Analyse sind Einzelfälle, von welchen aus auf allgemeine Aspekte eines sozialen Phänomens geschlossen werden können. Diese Verallgemeinerung (oder auch Theoriebildung) bedient sich entweder induktiver oder abduktiver Verfahren. Die qualitative Forschung berücksichtigt den sozialen, kulturellen, situativen und historischen Kontext sozialer Phänomene. Qualitative Forschung ist gekennzeichnet durch einen zirkulären Forschungsprozess, in welchem Erhebung, Beschreibung, Analyse und Theoriebildung parallel zueinander verlaufen. Die Reflexion des Forschungsprozesses nimmt einen wichtigen Stellenwert in der Arbeit ein (vgl. Kapitel 4.6.). 63 64 TANJA KLÖTI 4.2 Forschungsdesign Wie in der Zusammenfassung beschrieben stehen die unterschiedlichen Dimensionen des Aneignungsprozesses in öffentlichen Räumen sowie die Erfahrungen der Jugendlichen im öffentlichen Austausch im Vordergrund. Wie im Forschungsstand erörtert ist vor allem über die Verknüpfung von unterschiedlichen Aneignungsdimensionen und ihren Öffentlichkeitscharakter nur wenig bekannt. Deshalb eignet sich hier ein exploratives Vorgehen, in welchem möglichst unterschiedliche Ausprägungen von Jugendöffentlichkeiten erfasst werden können. Gerade das dialektische Verhältnis von räumlichen Strukturen und der Raumpraxis Jugendlicher legt nahe, dass je nach Konstellation – und insbesondere je nach Möglichkeiten und Restriktionen – eine Vielfalt von Aneignungsformen in der Realität existiert. Die Hauptdimensionen der Arbeit sind auf der einen Seite drei unterschiedliche öffentliche Räume mit ihren spezifischen Charakteristiken und auf der anderen Seite die unterschiedlichen Ausprägungen und Verknüpfungen von Aneignungsdimensionen. Abbildung 4: Vergleichdimensionen Quelle: Eigene Darstellung Im Vordergrund der Arbeit steht die Erforschung der Raumpraxis von Jugendlichen in unterschiedlichen öffentlichen Räumen (s. Kap. 5). Aufgrund theoretischer Überlegungen und der lückenhaften Datenlage zu personenbezogenen Faktoren wird auf eine Analyse der klassischen soziologischen Dimensionen Geschlecht, Alter und sozioökonomische Herkunft verzichten. 64 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Die vorliegende Forschungsarbeit ist sowohl dem interpretativen Paradigma auf der einen Seite als auch einer handlungstheoretische Perspektive auf der anderen Seite verpflichtet. Deshalb sollen sowohl die Handlungen als auch die Wahrnehmungsprozesse und Bedeutungssysteme von Jugendlichen untersucht werden. Aus diesem Grund verbindet die Datenerhebung zwei unterschiedliche Erhebungsmethoden miteinander und gliedert sich somit in zwei Phasen: Phase I: Systematische Beobachtung von jugendlicher Raumpraxis in drei ausgesuchten öffentlichen Räumen in Basel. Phase II: Gruppeninterview mit Jugendlichen zu den drei Fragestellungen Aneignung, Öffentlichkeit und Macht. 4.3 Datenerhebung 4.3.1 Erhebungsphase 1: Systematische Beobachtung Ethnomethodologie und Alltagshandeln Dem generellen Forschungsinteresse dieser Arbeit liegt ein emanzipatives Verständnis von Jugendlichen als autonom handelnde Subjekte zu Grunde. Zwar wird mit Löws (2001) Konzeption des Raumes als Dualität darauf verwiesen, dass räumliche Strukturen auf das Handeln von Jugendlichen einwirken können. Dennoch steht die Herstellung von Jugendöffentlichkeiten durch die Jugendlichen im öffentlichen Raum im Vordergrund. Eine solche Perspektive kann mit einem ethnomethodologischen Ansatz begründet werden. Edward Garfinkel (2008), auf welchen die Ethnomethodologie zurückgeht, versteht „die objektive Wirklichkeit sozialer Tatsachen als eine fortwährende Hervorbringung und Leistung der gemeinsamen Tätigkeiten des Alltagslebens“ (Flick 2003:121) und stellt damit das alltäglich praktische Handeln der Menschen ins Zentrum, durch welches soziale Wirklichkeit „in jedem Moment und jeder Situation – ‚lokal’ – hervorgebracht wird“ (Flick 2002:122). Eine zentrale These der Ethnomethodologie lautet demnach, „dass Akteure im Vollzug von Handlungen zahlreiche Techniken und Verfahren einsetzen, um ebendiese Handlungen darstellbar und erklärbar (…) zu machen, und dass sie auf diese Weise den Wirklichkeitscharakter sozialer Tatsachen hervorbringen“ (Flick 2002:131). Dieses Theorem kann folgendermassen für den Forschungsgegenstand gedeutet werden: Jugendliche Handlungen in öffentlichen Räumen sind Darstellungen ihrer sozialer Wirklichkeit und insbesondere ihr Aneignungsverhalten sagt etwas darüber aus, wie Jugendliche öffentliche Räume für sich und andere deuten. Erhebungsmethode: Systematische Beobachtung in öffentlichen Räumen Aus ethnomethodologischer Perspektive erscheint es deshalb sinnvoll, das methodische Vorgehen mit einer systematischen Beobachtung zu beginnen. Im Gegensatz zur teilnehmenden Beobachtung weist diese Form der Beobachtungen den Vorteil der Reliabilität auf, d.h. aufgrund der systematischen Planung und Durchführung sind die 65 66 TANJA KLÖTI Beobachtungssituationen reproduzier- und damit auch vergleichbar. Dies ist insofern für die vorliegende Arbeit von Bedeutung, als dass sich die Verhaltensweisen von Jugendlichen in unterschiedlichen öffentlichen Räumen besser mit einer systematischen Beobachtung als mit einer teilnehmenden Beobachtung vergleichen lassen. Beer (2003) weist die systematische Beobachtung dem Fundus ethnologischer Erhebungsmethoden zu und definiert sie folgendermassen: „Systematische Beobachtung ist die an einer konkreten Fragestellung orientierte, vorher geplante und sorgfältig dokumentierte Wahrnehmung mit allen Sinnen“ (Beer 2003:119). In diesem Verfahren hält die Beobachterin Distanz zum beobachteten Geschehen, um eine Reaktivität der Beobachteten möglichst zu vermeiden. Ein nicht-teilnehmendes Beobachten ist aber nur unter bestimmten Voraussetzungen ethisch vertretbar; die Beobachtung in öffentlichen Räumen beschreibt einen solchen Grenzfall, weil es erstens unmöglich wäre, die Zustimmung aller Anwesenden einzuholen, und zweitens die sich in der Öffentlichkeit aufhaltenden Personen davon ausgehen können, dass ihre Verhalten von andere beobachtet wird. Aus folgenden Gründen ist eine nicht-teilnehmende Beobachtung im öffentlichen Raum sinnvoll (Beer 2003:126f): Weil zu erwarten ist, dass die Anwesenheit einer teilnehmenden Beobachterin die Situation sowie das Verhalten der Jugendlichen stark beeinflussen würde. Weil insbesondere nonkonformes Verhalten eher über nicht-teilnehmende Beobachtung erfassbar wird. Weil das Aneignungsverhalten sowie die Interaktionsformen explizit Gegenstand der Untersuchung sind. Weil sich die Methode dazu eignet, der Forscherin zu Beginn der Erhebung einen Gesamtüberblick über das Verhalten Jugendlicher in öffentlichen Räumen in Basel zu verschaffen. Ausgangspunkt einer systematischen Beobachtung sind die Festlegung von a) Beobachtungseinheiten und b) Beobachtungskategorien (vgl. Beer 2003:133-135): Bei den Beobachtungseinheiten handelt es sich um die Eingrenzung des räumlichen und zeitlichen Ausschnitts sowie der zu beobachtenden Personen. Dabei soll sich die Stichprobenauswahl (also wann und wie lange wer in welchem öffentlichen Raum beobachtet werden soll) einerseits an einem Zufallsverfahren, andererseits aber auch an vorhandenen Informationen über das Aufsuchen von öffentlichen Räumen durch Jugendliche orientieren (s. Kap. 4.4.2.). Die Beobachtungskategorien beschreiben zentrale Merkmale des zu beobachtenden Verhaltens, die aufgrund der Forschungsfrage interessieren. Dabei können sowohl quantitative als auch qualitative Daten aufgenommen werden. Für die Erhebung wurden die unterschiedlichen Aneignungsdimensionen als Kategorien bestimmt. Nach der Auswahl der Beobachtungseinheiten und der Festlegung der Beobachtungskategorien soll zuerst beschreibend, anschliessend fokussiert und schliesslich selektiv beobachtet werden (Flick 2002:202), bis eine theoretische Sättigung auftritt (s. Kap. 4.4.2.). Einen Überblick über die erste Erhebungsphase und ihre Inhalte ist in der Tabelle 2 ersichtlich. 66 © (Jahr) Newsletter Lehrstuhl Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit Bd(Nr): S-S Tabelle 2: Systematische Beobachtung in öffentlichen Räumen Gartenbad Bachgraben Barfüsserplatz Räumliche Ausschnitte: Räumliche Ausschnitte: Treppe vor der Barfüsserkirche Eingang und Kiosk Tramhaltestelle, inkl. Trottoir vor McDonalds Im Schwimmbecken Etc. Etc. Zeitliche Ausschnitte: unter der Woche Wochenende, (wo nötig, Unterscheidung zwischen Samstag und Sonntag) nachmittags, abends Beobachtungssequenzen dauern durchschnittlich 1 Stunde Pro Raumausschnitt werden insgesamt mindestens 5 und maximal 10 Beobachtungen durchgeführt Stichprobenauswahl anwesende Jugendliche (nur Gruppen) andere Nutzergruppen nur, wenn in Interaktion mit Jugendlichen involviert Beobachtungskategorien Beschreibende Beobachtung Nach innen gerichtete Tätigkeiten der Jugendlichen beschreiben (z.B. Nutzung von Raumelementen). Nach aussen gerichtete Tätigkeiten der Jugendlichen beschreiben (z.B. Interaktionen mit anderen Anwesenden). Atmosphäre eines öffentlichen Raumes beschreiben. Anzahl und Zusammensetzung der anwesenden Jugendlichen und ihre Tätigkeiten beschreiben. Beschreibung des physisch-materiellen Substrats,, des Fokussierte Beobachtung Tätigkeiten fokussieren, die auf eine Aneignung von Raumelementen abzielen. Tätigkeiten fokussieren, die auf eine Veränderung der Regulierungsmechanismen abzielen (normative Aneignung). Verhalten fokussieren, welches jugendliche Selbstdarstellung und Repräsentation beschreibt (symbolische Aneignung) Umgangsformen innerhalb der Gruppe fokussieren. Atmosphärische Elemente fokussieren, die für Jugendliche von Relevanz sind. Elemente der räumlichen Strukturen fokussieren, die für Jugendliche von Relevanz sind. 67 Dreirosenanlage Räumliche Ausschnitte Abschnitt mit Spielgeräten Treppe vor dem Jugendtreffpunkt Etc. Selektive Beobachtung Bspw. bestimmte Situationen, bestimmte räumliche oder zeitliche Ausschnitte, bestimmte Tätigkeiten, etc. Bspw. bestimmte räumliche Elemente, spezifische regulative Mechanismen, etc. 68 TANJA KLÖTI Handlungs- und Interaktionssystems, der Regulierungsmechanismen sowie von Symbolsystemen Regulierungsmechanismen fokussieren, die für Jugendliche von Relevanz sind. Symbole und Zeichen fokussieren, die für Jugendliche von Relevanz sind. 68 JUGENDÖFFENTLICHKEIT 4.3.2 Erhebungsphase 2: Gruppeninterview Konstruktivismus und Erzählung Die oben erörterten Ausführungen zu Raumverständnis und Öffentlichkeit legen eine konstruktivistische Methodologie nahe. Vertreter des Konstruktivismus gehen davon aus, dass die äussere Realität nicht unmittelbar, sondern nur über aktive Wahrnehmungen und Begriffe zugänglich ist (Flick 2003:152f). Mit der raumsoziologischen Konzeption von Raum als relational, dual und sozial produziert wird genau auf dieses konstruktivistische Moment sozialer Wirklichkeit verwiesen. Öffentliche Räume sind aus dieser Perspektive keine objektiven Realitäten, sondern Konstruktionen, „das heisst einen Verband von Abstraktionen, Generalisierungen, Formalisierungen und Idealisierungen“ (Schütz 1971:5). Derartige Konstruktionen werden gemäss dem sozialen Konstruktivismus in interaktiven Prozessen hervorgebracht, in erster Linie über die Kommunikation in sozialen Beziehungen. Der Zugang zur Erfahrungswelt von Jugendlichen in öffentlichen Räumen kann über ihre Konstruktionen vom öffentlichen Raum und Öffentlichkeit mittels Interviews sowie über die Interpretation dieser Konstruktionen mittels qualitativer Analyse erfolgen (Flick 2003:154f). Der sozialwissenschaftliche Zugang zu sozialen Konstruktionen verläuft über die Erzählung. Sie umfasst eine „Darstellung von Erfahrungen, die (…) zu diesem Zweck – im Interview – in Form einer Erzählung konstruiert werden“ (Flick 2003:162). Auf der anderen Seite stellt die Erzählung einen Rahmen dar, „in dem die Erfahrungen eingeordnet, dargestellt, bewertet etc. – kurz: in dem sie erlebt werden“ (Flick 2003:162). Erhebungsmethode: Episodisches Interview mit themenzentriertem Leitfaden Die zweite Erhebungsphase besteht aus der Durchführung von teilstandardisierten Interviews mit offenen Fragen zu bestimmten Themen. Dieses Vorgehen, welches zwischen einem offenen und standardisierten Verfahren anzusiedeln ist, begründet sich durch die relativ konkreten Fragestellungen auf der einen Seite und durch das auf Exploration ausgerichtete Forschungsinteresse auf der anderen. Es wird in der Form eines Gruppeninterviews durchgeführt. Gruppendiskussion Die Begründung für die Wahl eines Gruppen- statt eines EInzelverfahrens liegt in den besonderen Merkmalen des Diskutierens begründet: „Diskutieren wird methodologisch als valide Handlung erachtet, bei der durch den argumentativen Austausch von Begründungen und Bewertungen die Klärung eines Sachverhalts angestrebt wird, d.h. Diskutieren ist exklusiv das Verfahren zur Erweiterung und Klärung von individuellen Sinnperspektiven in der Auffassung von Realität“ (Flick et al. 1995:187). Weil die Beteiligten allesamt von einem ‚Problem’ betroffen sind, im vorliegenden Fall also vor der Aufgabe stehen, Jugendöffentlichkeiten in öffentlichen Räumen herzustellen, teilen die Beteiligten auch einen vergleichbaren Erfahrungshintergrund und gemeinsame Bedürfnisse. Gegenstand der Forschung durch ein Gruppenverfahren ist demnach die Erfassung der jugendspezifischen Wirklichkeit. 69 Episodisches Interview Eine mögliche Methode zur Erhebung der Forschungsfragen stellt das episodische Interview dar. Diese Interviewform kombiniert einerseits Erzählungen zu bestimmten Themen (episodisches Wissen) mit verallgemeinerten Annahmen und Zusammenhängen zu denselben Themen (semantisches Wissen). „Das episodische Interview gibt Raum für kontextbezogene Darstellungen in Form von Erzählungen, da diese einerseits (…) Erfahrungen und ihren Entstehungskontext unmittelbar enthalten [und andererseits] die Prozesse der Wirklichkeitskonstruktion bei den Befragten“ (Flick 2002:159) verdeutlichen. Um zu erheben, wie sich Jugendliche öffentliche Räume aneignen und wie sie den öffentlichen Austausch erfahren, sollen sie im Interview immer wieder dazu aufgefordert werden, für sie bedeutsame Situationen im öffentlichen Raum zu erzählen, und nach ihren subjektiven Definitionen und abstrakten Zusammenhängen zum Thema Jugendöffentlichkeit befragt werden (Flick 2002:160f).35 Themenzentrierter Leitfaden Die Durchführung narrativer Verfahren in Gruppen, wie es das episodische Interview darstellt, kann jedoch schwierig werden: Es scheint eher unwahrscheinlich, dass jedes einzelne Gruppenmitglied der Geschichte der anderen bis zum Ende lauschen will, vielmehr ist zu erwarten, dass die Jugendlichen sich gegenseitig unterbrechen, ergänzen oder widersprechen. Schnell ähnelt eine solche Form der Befragung dann einem Gruppendiskussionsverfahren, das seine Berechtigung eben gerade aus der gegenseitigen Ergänzung der Diskussionsteilnehmenden nimmt (Flick et al. 1995:187). Um den Gesprächsverlauf entlang von bestimmten Themen leiten zu können, bietet es sich an, die Gruppendiskussion in der Form eines themenzentrierten Interviews zu konzipieren. Im Zentrum dieser Interviewgattung steht der Fokus auf einen vorab bestimmten Gesprächsgegenstand und seinen Unterthemen. In diesem Fall knüpfen alle Fragen an den in der Befragung relevanten öffentlichen Raum an und konzentrieren sich nur auf diejenigen Vorstellungen, Meinungen und Erlebnisse, die sich konkret auf diesen beziehen. Leitfadenkonstruktion Am Anfang des Interviews steht eine sehr offene Einstiegsfrage, die unabhängig von konkreten Aneignungsdimensionen und –erfahrungen gestellt wird und darauf abzielt, die Bedeutung des öffentlichen Raumes für die spezifische Lebenswelt der Jugendlichen zu erfassen. Dieser offene Einstieg ermöglicht einerseits das Aufdecken der wichtigsten Themen, die mit dem öffentlichen Raum in Beziehung stehen, sowie einen ersten gegenseitigen Abgleich in der Gruppe zur Bedeutsamkeit des Gesprächsgegenstand. Der Leitfaden ist im Anschluss in drei Teile gegliedert, die sich auf die wichtigsten Aneignungsdimensionen beziehen und jeweils mit einer interaktiven Aufgabe verbunden sind: 35 Für weitere Ausführungen zum episodischen Interview vgl. Flick 2008:28ff. 70 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Der erste Teil widmet sich der physischen und sozialen Dimension von Aneignung. Bei der Aufgabe handelt es sich um eine abgeänderte Form der Nadelmethode (Deinet et al. 2009), bei welcher die Jugendlichen zuerst positive und negative Orte auf einem Plan des öffentlichen Raumes markieren und im Anschluss typische Tätigkeiten mit Hilfe unterschiedlich farbiger Kleber darauf eintragen (siehe Daten-CD). Diese Aufgabe wird in jedem Gruppeninterview durchgeführt, weil sie einen breiten Einstieg ins Thema ermöglicht und sich gut mit narrativen Elementen verknüpfen lässt. Beispielsweise wird im Anschluss an die Aufgabe nach dem schönsten bzw. schlimmsten Erlebnis gefragt, das die Jugendlichen mit dem bestreffenden öffentlichen Raum in Verbindung bringen. Der zweite Teil des Gruppeninterviews konzentriert sich auf die Wahrnehmung und das Erleben von institutionalisierten und normativen Regelungen im öffentlichen Raum. In mehreren Schritten werden die Jugendlichen zu existierenden Regeln und Verhaltensnormen, zur Bewertung und zum Umgang mit diesen Regulierungen sowie zu Möglichkeiten ihrer Transformationen befragt. In diesem Teil können Formen normativer Aneignung, aber auch Chancen und Restriktionen für alle anderen Aneignungsdimensionen erfasst werden. In einem dritten Teil steht die Repräsentation der Jugendlichen im öffentlichen Raum im Vordergrund. Hier werden die Jugendlichen gebeten, mit einer Digitalkamera selbst Fotos zu machen, die erzählen, in welcher Beziehung sie zum öffentlichen Raum stehen. „Die Auswahl dessen, was tatsächlich fotografiert wird, trifft dabei nicht der Forscher, sondern das Subjekt, wobei sich aus dem, was darauf ausgewählt und aufgenommen wird, bereits Aussagen über die Sicht der Untersuchten auf ihren eigenen Alltag ableiten lassen“ (Flick 2002:224). Mit dieser Aufgabe wird vor allem auf die symbolische Aneignung, aber auch auf Erfahrungen von Anerkennung und Ablehnung im öffentlichen Raum fokussiert. Die Aufgaben orientieren sich an folgenden Kriterien: Jede Aufgabe ist in sich abgeschlossen und ermöglicht so, das Gruppeninterview falls nötig und zu gegebener Zeit zu unterbrechen. Dies ist aufgrund der spontanen Ansprache der Jugendlichen und ihrem unvorhersehbarem Zeitbudget wichtig. Die Aufgaben sind als Gruppenaufgaben konzipiert und regen Diskussionen und Zusammenarbeit unter den Jugendlichen an. Dies ist ein zentrales Element des Gruppeninterviews. In den einzelnen Aufgaben sind narrative Fragestellungen enthalten, die von den Jugendlichen verlangen, eine zum Thema passende Geschichte zu erzählen. Gleichzeitig sollen während der Gruppendiskussion Hinweise auf mögliche Erzählungen aufgegriffen und wenn möglich vertieft werden. Erzählungen müssen nicht zwingend von herausragenden Ereignissen handeln, Beschreibungen von alltäglichen Situationen gelten ebenso als wertvolle Einblicke in die subjektiven Erfahrungen der Jugendlichen. Die Aufgabenstellungen sollen offen und einfach formuliert werden. Der Lösungsprozess wird bestenfalls nicht von der Interviewerin beeinflusst, damit das Ergebnis das subjektive Verständnis so authentisch wie möglich wiedergibt. Die Interviewerin greift jedoch lenkend in 71 den Prozess ein, wenn Unsicherheiten oder Missverständnisse bzgl. der Aufgabenstellung auftreten oder die Gruppe Schwierigkeiten hat, selbstständig die Aufgabe zu lösen. In jedem der drei Interviewteile werden zusätzliche Fragen gestellt, die einerseits im Bezug zur Aufgabenlösung stehen und andererseits aber auch über die Aufgabe hinaus auf weitere themenrelevante Aspekte verweisen. Dabei wird Bohnsacks Prinzip des immanenten Nachfragens angewandt, die darauf abzielt, im ersten Moment unbewusste Inhalte durch gezieltes Nachfragen aufzudecken (Bohnsack 2008:210). Gemäss dem Prinzip der Offenheit und Flexibilität können diese zusätzlichen Fragen in jeglicher Reihenfolge in das Gruppeninterview eingeführt werden. Es ist anzustreben, den Gesprächsfluss der Jugendlichen nicht zu unterbrechen und den Diskussionsverlauf zurückhaltend zu lenken. Ziel ist es aber, dass alle zusätzlichen Fragen einer Aufgabe beantwortet werden können. Am Ende des Interviews werden die Jugendlichen gebeten, einige persönliche Angaben (Geschlecht, Alter, Wohnquartier, Angaben zu Schule/Ausbildung/Lehre, Angaben zu den Eltern) in ein Formular einzutragen. Diese Daten ermöglichen zumindest teilweise einen Einblick in ihren sozialen Hintergrund. Die Jugendlichen erhalten ausserdem ein Begleitschreiben der Forscherin, welches Informationen und Kontaktdaten für die Erziehungsberechtigten enthält. 4.4 Stichprobenverfahren 4.4.1 Auswahl der Untersuchungsgebiete Die Auswahl der Untersuchungsgebiete basiert auf der nicht veröffentlichten Studie zu Erarbeitung einer Nutzungstypologie öffentlicher Räume in der Stadt Basel (HSLU:2010). In dieser von der Hochschule Luzern für Soziale Arbeit durchgeführten Untersuchung wurden über 100 öffentliche Plätze und Strassen in der Stadt zum Teil bis zu 24 Stunden beobachtet und darauf basierend katalogisiert. Ziel dieser Studie war es, die wichtigsten Nutzungen und Nutzergruppen der städtischen Räume im Tagesverlauf zu erfassen und damit die Grundlage für „die Diskussion über eine Nutzungstypologie des öffentlichen Raums“ (HSLU 2010:5) zu schaffen. Es handelt sich bei der Untersuchung um eine Annäherung an eine Totalerhebung aller öffentlicher Räume in der Stadt; in die Untersuchung nicht eingeschlossen sind jedoch öffentlich zugängliche Räume in Privateigentum (zum Beispiel Innenräume von Einkaufszentren), reine Verkehrsflächen sowie Räume, die voraussichtlich starken Veränderungen unterworfen sein werden (HSLU 2010:5).36 Für die vorliegende Forschungsarbeit sind entsprechend dem Kapitel 3.1.2.1. für die Auswahl und Beschreibung der Untersuchungsgebiete die Kriterien Funktion, Nutzung, Interaktion und Regulierungsgrad eines öffentlichen Raums von Bedeutung. Diese 36 Gemäss der Allmendverwaltung ist die Studie insbesondere aufgrund des nicht standardisierten Auswahlverfahren (selektive Stichprobe, Erhebungen nur im Sommer, etc.) einigen Einschränkungen unterworfen. Dementsprechend ist eine direkte Übertragung der Ergebnisse auf die Realität nur begrenzt möglich. 72 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Unterscheidungsmerkmale finden sich in ähnlicher Form auch in der zuvor erwähnten Studie zur Nutzungstypologie öffentlicher Räume der Stadt Basel wieder: Nutzungsdichte: Die Studie unterscheidet öffentliche Räume, welche rege genutzt werden und sich deren Zusammensetzung von Nutzenden und Nutzungsformen im Tagesverlauf verändern (Kat. A), von solchen öffentlichen Räumen, die eher einheitlich und weniger dicht genutzt werden (Kat. B / Kat. C). Für die vorliegende Arbeit interessieren dementsprechend nur öffentliche Räume der Kategorie A, weil in dicht genutzten Räumen Begegnungen zwischen Nutzenden häufiger auftreten und damit auch der Öffentlichkeitscharakter stärker vorhanden ist. Funktionale Raumkategorien: Aufbauend auf der Beobachtung verschiedener Nutzungsformen (z.B. Sport/Spiel, Treffpunkt oder öffentliche Verpflegung) wird in der Studie auf der Basis einer Clusterbildung eine funktionale Kategorisierung der öffentliche Räume vorgenommen, die elf Funktionen öffentlicher Räume beschreiben. Dabei können einem öffentlichen Raum bis zu drei Funktionen zugeordnet werden. Weil in der vorliegenden Forschungsarbeit eher multifunktionale Räume von Interesse sind, werden im weiteren Auswahlverfahren nur diejenigen Räume berücksichtigt, die mindestens zwei verschiedene Funktionen erfüllen. Multifunktionale Räume bieten im Gegensatz zu monofunktionalen Räumen die grössere Chance, dass sich verschiedene Personen zu unterschiedlichen Zwecken gleichzeitig dort aufhalten. Multifunktionale Räume sind dementsprechend von grösserer Diversität geprägt, was für die Auseinandersetzung von Jugendlichen mit der Erwachsenenwelt eine zentrale Voraussetzung ist. Nutzerkategorien: In der Untersuchung werden die Nutzenden nach ihrem Alter differenziert und es werden fünf Altersgruppen gebildet: Kinder (0-12), Jugendliche (13-18), junge Erwachsene (19-29), Erwachsene (30-64) und Seniorinnen und Senioren (ab 65). Bei den Beobachtungen wurde erhoben, wie sich die Nutzenden auf die entsprechenden Alterskategorien verteilen und so kann auch abgelesen werden, an welchen öffentlichen Räumen sich welche Altergruppen wie stark vermischen. Aus dem bereits reduzierten Sample (Kat. A, multifunktionale Räume) werden für die vorliegende Arbeit nur öffentliche Räume berücksichtigt, in denen sich erstens überhaupt Jugendliche in namhafter Anzahl aufhalten, zweitens mindestens drei Altersgruppen zum beobachteten Tagesabschnitt aufeinander treffen und drittens diese Altersgruppen ungefähr gleich stark vertreten sind. Diese Auswahl widerspiegelt öffentliche Räume, die eine tendenziell starke Durchmischung der Altersgruppen aufweisen, was eine Grundbedingung für Öffentlichkeit in öffentlichen Räumen darstellt. Durch das beschriebene Verfahren konnte die Grundgesamtheit aller öffentlichen Räume der Stadt Basel auf eine Stichprobe von zwölf städtischen Räumen reduziert werden, die folgende Merkmale aufweisen: dichte Nutzung, die sich im Tagesverlauf verändert multifunktionale Ausrichtung Nutzung von Jugendlichen existent 73 Nutzung durch mindestens drei Altersgruppen sowie ungefähre Gleichverteilung derselben Diese Stichprobe widerspiegelt demnach öffentliche Räume, welche durch ihre baulichen und sozialen Strukturen verschiedene Nutzungsmöglichkeiten zulassen, in welchen viele Menschen unterschiedlichen Alters aufeinander treffen, ohne dass eine der Altersgruppen dominant auftritt, und welche demnach einen starken Öffentlichkeitscharakter aufweisen. Die engere Auswahl aus der Stichprobe unterliegt in erster Linie forschungspragmatischen Überlegungen: Aufgrund begrenzter Ressourcen können nicht alle zwölf öffentliche Räume untersucht werden, für die vorliegende Arbeit werden drei unterschiedliche Räume für die Untersuchung ausgewählt. Bei diesen drei Untersuchungsgebieten soll es sich um drei möglichst unterschiedliche Räume handeln, was sich aufgrund der explorativen Ausrichtung der Forschungsarbeit anbietet. Aus diesen Gründen werden folgende drei öffentliche Räume zur Untersuchung der Forschungsfrage ausgewählt: Barfüsserplatz (Grossbasel, Innenstadt) Dreirosenanlage (Kleinbasel, quartierbezogen) Schwimmbad Bachgraben (Grossbasel, Peripherie)37 Während es sich beim Barfüsserplatz um einen öffentlichen Raum von gesamtstädtischer Bedeutung handelt, sind die beiden anderen Räume auf der Stadtteilebene anzusiedeln. Öffentliche Räume auf gesamtstädtischer Ebene zeichnen sich durch eine zentrale Lage und gesamtstädtische Bedeutung aus und werden vor allem von Personen genutzt, die entweder in den anliegenden Gebäuden arbeiten (oder zur Schule gehen), bestimmte dem öffentlichen Raum angrenzende Angebote nutzen (z.B. Museum) oder die Symbolkraft und Vielfalt des öffentlichen Raumes für eigene Ziele verwerten (z.B. politische Kundgebungen) (Spiegel 2003:179). Demgegenüber werden öffentliche Räume auf Quartiersebene in erster Linie von Personen aus dem Einzugsbereich des Stadtteiles genutzt und sind sowohl von Wohngebäuden als auch von Einrichtungen des mittelfristigen Bedarfs (z.B. Einkaufen) eingegrenzt (Spiegel 2003:180). Im Folgenden werden die objektiven räumlichen Strukturen der drei öffentlichen Räume38 in Tabelle 3 beschrieben. Tabelle 3: Beschreibung der räumlichen Strukturen der Untersuchungsgebiete Barfüsserplatz Physisch-materielles Substrat: Der Barfüsserplatz befindet sich nahe der Grossbasler Altstadt und ist zentral gelegen. Seine physische Erscheinung ist einerseits durch zwei Tramhaltestellen geprägt (eine in Institutionalisierte Regulierungsmechanismen: Die stärkste Regulierung auf dem Barfüsserplatz geht von der Verkehrsordnung (bzw. –verhalten) aus. Auch wenn der Barfüsserplatz einer Fussgängerzone gleicht, 37 Schwimmbäder sind keine öffentlichen Räume im klassischen Sinne und wurden auch nicht in die Studie zur Nutzungstypologie öffentlicher Räume der Stadt Basel miteinbezogen. Für die Forschungsfrage sind sie hingegen interessant, weil sie einer stärkeren Regulation unterworfen sind und damit das normative Setting öffentlicher Räume prägnanter zum Ausdruck bringen. 38 Hier handelt es sich nicht um Daten einer systematischen Erhebung im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine Kurzbeschreibung des öffentlichen Raumes. Dabei orientiert sich die Autorin an den Objektblättern der unveröffentlichten Studie „Nutzungstypologie öffentlicher Raum Basel“ der HSLU für den Barfüsserplatz (2010b) und die Dreirosenanlage (2010c) sowie an den eigenen Beobachtungen. 74 JUGENDÖFFENTLICHKEIT der Mitte des Platzes, eine am südwestlichen Rand). Die zentrale Tramhaltestelle ist als grosse Traminsel konzipiert und von Strassen umgeben, an die wiederum Bauten angrenzen. Andererseits stellt der gepflasterte Hauptplatz im Nordosten des Geländes gemeinsam mit der Barfüsserkirche ein markantes Charakteristikum des Barfüsser-platzes dar. Dieser grenzt sich durch mehrere Treppenabschnitte sowohl unten von der Strasse als auch oben von der Kirche ab. Gesellschaftliche Interaktions- und Handlungsstrukturen: Gemäss der HSLU-Studie (2010b) wird der Barfüsserplatz von allen Altersgruppen (Jugendliche, junge Erwachsene, Erwachsene und Senioren/innen) ausser Kindern regelmässig und zu fast allen Wochentagen sowie Tageszeiten genutzt. Die alltäglichen Nutzungen sind in erster Linie die Benutzung des Barfüsserplatzes als Transitort, sowie zum Einkauf bzw. zur Verpflegung; weiter wird er auch zum Verweilen und Flanieren aufgesucht. Je nach Zeitpunkt wird der Barfüsserplatz auch für den Besuch kultureller Veranstaltungen (Fasnacht, Musikfestivals, Herbstmesse, Märkte, etc.) und als Treffpunkt frequentiert (HSLU 2010b). hat das Tram in allen Situationen das Vortrittsrecht. Daneben ist der rollende Verkehr auf den Strassen stark eingeschränkt; gerade während Veranstaltungen aber auch im Alltag wird besondere Rücksicht auf Fussgänger genommen. Ein weiterer Regulierungsmechanismus geht von der städtischen Polizei aus, die regelmässig auf dem Barfüsserplatz Kontrollfahrten vornimmt. Räumliche Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem: Der Barfüsserplatz ist zu über 50% von Verkaufs- und Gastrogewerbe umgeben; 30% der Randbebauung kann zusätzlich als Aussenwirtschaft (Gastro) bezeichnet werden (HSLU 2010b). Dementsprechend ist das Konsumleben prägend für die Atmosphäre des Barfüsserplatzes, was sich auch in der relativ hohen Dichte an Werbeplakaten ausdrückt. Mehrere Bauten zur kulturellen Nutzung (Historisches Museum in der Barfüsserkirche, Puppenhausmuseum, Stadtcasino, etc.) sowie die zahlreichen soziokulturellen Veranstaltungen zeichnen den Barfüsserplatz des Weiteren als kulturellen Hotspot aus. Gartenbad Bachgraben Physisch-materielles Substrat: Das Gartenbad ähnelt einem gewöhnlichen Gartenbad wie es sie auch in anderen Städten der Schweiz gibt, obschon es sich durch seine enorme Grösse von 51’431m2 von anderen Freibädern abhebt: Die Infrastruktur des Bades besteht aus einem 50m Schwimmerbecken mit einer Sprungbrettanlage (1 und 3 Meter), einem Nichtschwimmerbecken mit einer Flächenrutschbahn sowie einem Kinder- und Babybecken. Weiter verfügt das Bad über mehrere Grünflächen mit grossen Bäumen, einem Beachvolleyballfeld sowie einem Spielplatz (http://www.badiinfo.ch/bs/bachgraben.html). Institutionalisierte Regulierungsmechanismen: Die Regulierungsmechanismen beruhen auf der kantonalen Verordnung für öffentliche Bäder vom 13.12.1994, welches den Zugang zu sowie das Verhalten im Freibad regelt (sie ist im Eingangsbereich ausgehängt). Diese Verordnung verbietet beispielsweise das Betreten des Freibades in betrunkenem oder betäubtem Zustand sowie bei mangelnder Körperpflege. Weiter ist die Benutzung von Musikinstrumenten, Lautsprechern und lärmigen Instrumenten sowie das Ballspielen in den nicht dafür vorgesehenen Zonen verboten. Die Verordnung sieht vor, dass Besucher, die sich nicht an die Regelung halten, aus dem Bad verwiesen werden können. Abgesehen von der kantonalen Verordnung ist das Shisha-Rauchen in der Anstalt untersagt, ein entsprechender Hinweis ist gross im Eingangsbereich angeschlagen. Schliesslich befinden sich innerhalb des Geländes mehrere Hinweisschilder, die beispielsweise einen bestimmten Liegebereich als expliziten Ruhebereich ausweisen oder den Badegästen das Springen ins Wasser verbietet. An einem Beobachtungstag wurden die Besucher per Lautsprecherdurchsage darauf hingewiesen, sich vor dem Baden zu duschen. Im Generellen sind die anwesenden ein bis zwei Bademeister für die Durchsetzung insbesondere der Sicherheitsregeln zuständig. Während Hauptfrequenzzeiten werden sie 75 Gesellschaftliche Interaktions- und Handlungsstrukturen: Gemäss den eigenen Beobachtungen wird das Gartenbad von allen Altersklassen genutzt und für zahlreiche unterschiedliche Betätigungen: Sport, Spass, Entspannung, Unterhaltung, Familiennachmittag, etc. Es ist demnach davon auszugehen, dass ein gewisses Konfliktpotential zwar vorhanden ist, welches aber durch die grosse Fläche des Bades abgefedert werden kann. Das Gartenbad wird ebenso zu allen Tageszeiten besucht, wobei die Spitzenbesuchszeiten nach eigenen Beobachtungen an den Nachmittagen (sowohl unter der Woche als am Wochenende) liegen, sofern es gutes Wetter ist39. Es ist auch derjenige Zeitraum, bei welchem sich die meisten Jugendlichen im Bad aufhalten. Neben den mehreren Becken und Liege- wie Spielflächen befinden sich auch ein zweistöckiges Restaurant sowie ein Kiosk auf dem Gelände. Dreirosenanlage Physisch-materielles Substrat: Die Dreirosenanlage liegt im Matthäusquartier auf der Kleinbasler-Seite und wird im Westen von der Rheinuferpromenade, im Osten von der Dreirosenbrücke sowie von südlich von der Anlage gelegenen Quartierwohnungen und dem Schulhaus Dreirosen umgeben. Die Anlage besteht aus einer grossen, lang gezogenen Wiesenfläche, die in der Mitte von einem Hartplatz und einem Spielbereich unterbrochen wird. In Richtung der Rheinpromenade öffnet sich die Anlage über eine breite Treppenanlage. Während auf der einen Längsseite ein Fussgängerweg mit Sitzbänken und Hecken verläuft, durchzieht auf der anderen Längsseite ein schmales in Beton gefasstes Flüsschen das Gelände. Im Brückenkopf befinden sich der Jugendtreffpunkt sowie eine Indoor-Freizeithalle; von zwei Securitas-Beamten unterstützt, die vor allem für die Einhaltung der Umgangsregeln auf den Liegeflächen zuständig sind (vgl. Interview mit dem Bademeister vom 2.9.2011). Während der Grossteil der Regeln formalisiert und dementsprechend von aussen einsehbar ist, werden in der Badeanstalt noch weitere durchgesetzt, die vor allem Kinder und Jugendliche betreffen. Hier handelt es sich um eine pädagogische Aufsichtspflicht, die den Kindern und Jugendlichen das Rauchen von Zigaretten unter 18 Jahren verbietet. Diese Regelung besteht zwar nur informell, wird aber von den Bademeistern wie Securitas als offizielle Regel durchgesetzt und als solche wird sie auch von den Jugendlichen anerkannt (s.u.). Räumliche Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem: Das prägendste Symbolsystem im Gartenbad Bachgraben besteht aus den zuvor geschilderten Regulierungsmechanismen in der Form von Hinweis- und Verbotsschildern sowie der Präsenz von Aufsichtspersonal (z.B. Bademeister auf dem Hochsitz). Weiter gibt es einige wenige Werbeplakate beim Eingangsbereich zu Themen wie Sport oder Gesundheit (z.B. Werbung der Krebsliga, Werbung für den Sportverein, etc.). Schliesslich können auch die beiden Verpflegungseinrichtungen zum Symbolsystem gezählt werden. Implizit ist ebenso die Badekultur (insb. der Körperkult) als Teil des räumlichen Repräsentationssystems zu verstehen, obschon sich dieses nur aus der subjektiven Perspektive erfassen lässt. Institutionalisierte Regulierungsmechanismen: Auf der Dreirosenanlage sind nur wenige regulative Mechanismen vorhanden: Abgesehen vom Fahrverbot auf dem geteerten Durchgangsweg sind keine besonderen Regeln oder Verbote aufgestellt. Während den zahlreichen Beobachtungen wurden ebenso keine Kontrollorgane (Polizei, Securitas) gesichtet. Hingegen kann vermutet werden, dass das Personal der geleiteten Einrichtungen und insbesondere die im Treffpunkt arbeitenden Jugendpädagoginnen als eine Form von Aufsichtspersonen fungieren bzw. in ihrer Anwesenheit soziale Kontrolle ausüben. 39 Die Öffnungszeiten des Bades sind: Montag bis Sonntag 09.00 bis 20.00 Uhr. Die Badesaison dauerte von 30. April bis 11. September 2011 (http://www.badi-info.ch/bs/bachgraben.html). 76 JUGENDÖFFENTLICHKEIT im Anschluss daran befindet sich eine öffentliche Skateranlage, die von der Dreirosenbrücke überdacht ist. Gesellschaftliche Interaktions- und Handlungsstrukturen: Die Dreirosenanlage wird gemäss der HSLU-Studie (2010c) vor allem von Kindern genutzt. Daneben treten alle anderen Altersgruppen je nach Tages- und Wochenzeit ebenso als prominente Nutzergruppen auf (mit Ausnahme der Senioren/innen), wobei Jugendliche vor allem sonntags sowie an den Nachmittagen und Abenden die Dreirosenanlage mitnutzen. Die zur Dreirosenanlage gehörenden Einrichtungen (Jugendtreffpunkt, Riibistro mit Verpflegungsmöglichkeiten, Freizeithalle)40 sind zwar für das öffentliche Leben auf der Anlage prägend, die meisten Nutzenden vertreiben sich die Zeit jedoch vor allem draussen mit Sport und Spiel, Verweilen, Flanieren oder sich Verpflegen. Weiter wird die Dreirosenanlage von Mittags bis in den späten Abend als Treffpunkt genutzt. Schliesslich ist die Rolle der Anlage als Transitort zwischen Rheinpromenade und Quartier nicht zu unterschätzen (HSLU 2010c). Räumliche Zeichen-, Symbol- und Repräsentationssystem: Das Repräsentationssystem der Dreirosenanlage ist in erster Linie durch das eingerichtete Mobiliar (Spielwiese, Spielplatz, Hartplatz, etc.) gekennzeichnet, das die Anlage in erster Linie als Spiel- und Erholungsraum kennzeichnet und somit explizit auf eine Freizeitnutzung hinweist. Diese Symbolik wird durch die genannten Einrichtungen noch unterstützt, wobei vor allem Kinder und Jugendliche als Zielgruppe angesprochen werden. Einzelne wenige Graffiti verweisen zudem auf ein jugendkulturelles Zeichensystem, es beschränkt sich jedoch auf einen kleinen, relativ verdeckten Abschnitt unterhalb der Dreirosenbrücke. Schliesslich fallen zwei blaue Abfallcontainer der Basler Stadtreinigung als einzige Repräsentation der öffentlichen Verwaltung auf; sie befinden sich ebenfalls unter der Dreirosenbrücke, nahe der beschriebenen GraffitiMalereien. 4.4.2 Stichprobe Das Stichprobenverfahren orientiert sich in erster Linie am Forschungsinteresse: Die Erforschung der Raumpraxis, sowie der subjektiven Wahrnehmung und Bedeutungen öffentlicher Räume für Jugendliche bedingt eine Orientierung an einem bestimmten Ort, weil sich nur im konkreten öffentlichen Raum Handlungen beobachten und Vorstellungen und Erfahrungen anknüpfen lassen. Selbstverständlich hätten die Jugendlichen auch Zuhause oder in einem Jugendtreffpunkt interviewt werden können; der Vorteil der Befragung direkt im öffentlichen Raum ist es aber, dass die Jugendlichen ihre Gedanken stärker fokussieren und die Bezüge zwischen den verschiedenen Aneignungsdimensionen assoziativ und wirklichkeitsnah herstellen können. So können beispielsweise bestimmte Erlebnisse direkt verortet oder typische Umgangsformen mit einem konkreten Erlebnis im öffentlichen Raum verknüpft werden. Als oberstes Gebot für die Stichprobenauswahl stand das Prinzip der Varianz: Aufgrund des explorativen Ansatzes lag es nahe, möglichst unterschiedliche Fälle aufzunehmen und ein möglichst breites Bild von Jugendöffentlichkeiten wiederzugeben. Deshalb wurde eine selektive Stichprobe gezogen (Merkens 2003:295-297), für deren Auswahl folgende Kriterien angewandt worden sind: Zeitpunkt: Der Zeitpunkt der Erhebung (Beobachtung und Interviews) wurde so gewählt, um eine möglichst grosse Varianz zu erhalten. Dabei wurde insbesondere bei 40 Das Riibistro sowie die Freizeithalle sind tagsüber von 10.00h bis 17.00h geöffnet, am Sonntag von 13.00h bis 18.00h. Der Jugendtreffpunkt ist jeweils Montag bis Freitag von 16.30h bis 19.30h bzw. freitags bis 20.30h geöffnet und am Wochenende geschlossen. Weitere Informationen auf www.dreirosen.ch. 77 den Interviews auf die Erfahrungen aus den Beobachtungen rekurriert mit dem Ziel einer möglichst hohen Erfolgswahrscheinlichkeit. Alter: Ein weiteres wichtiges Kriterium war das Alter der zu beobachtenden bzw. befragenden Jugendlichen. Vorab wurde zwar eine Altersspanne zwischen 14 und 18 Jahren festgelegt, diese konnte aber auch – insbesondere bei erschwertem Zugang – nach unten oder nach oben angepasst werden. Ziel der Stichprobenauswahl war es, Gruppen von möglichst unterschiedlichem Alter zu untersuchen, da gerade im ausgewählten Jugendalter grosse Entwicklungsschritte zu erwarten sind. Geschlecht: Weiter wurde darauf geachtet, dass gleich viele Mädchen(gruppen) wie Jungen(gruppen) beobachtet bzw. befragt wurden. Dieses Kriterium ist deshalb von zentraler Bedeutung, weil sich gemäss der bisherigen Forschung das Aneignungsverhalten von Mädchen und Jungen unterscheiden. Gruppengrösse: Weiter wurde angenommen, dass sich das Verhalten der Jugendlichen je nach Gruppengrösse (und –zusammensetzung) unterscheidet. Deshalb wurde bei der Beobachtung darauf geachtet, möglichst unterschiedliche Gruppengrössen zu berücksichtigen. Hingegen bei den Interviews ging es vor allem darum, die dynamischen Vorteile eines Gruppenverfahrens mittels einer angemessenen Gruppengrösse auszuschöpfen. Insbesondere bei der Durchführung der Fotoaufgabe war es zentral, dass mindestens drei Jugendliche teilnahmen. Ebenfalls wurde versucht der Durchführbarkeit und Übersichtlichkeit willen eine zu hohe Gruppengrösse zu vermeiden. Bezug zum öffentlichen Raum: Schliesslich wurden nur Jugendliche befragt, die einen Bezug zum betreffenden öffentlichen Raum haben. Dabei wurde aber keine bestimmte Nutzungshäufigkeit vorausgesetzt, sondern lediglich danach gefragt, ob die Jugendlichen sich von Zeit zu Zeit in ihrer Freizeit im betreffenden öffentlichen Raum aufhalten. Die Grundgesamtheit besteht aus allen Jugendlichen in Basel Stadt41. Bei der vorliegenden Stichprobe handelt es sich also um eine Zufallsstichprobe, die jedoch nach bestimmten Auswahlkriterien getroffen wurde. Ausserdem handelt es sich in abgeschwächter Form auch um ein theoretisches Sampling, weil im Verlaufe der Erhebungsphase die Entscheidung für die erneute Auswahl einer Gruppe vom bereits vorhandenen Wissen aus vorangehend durchgeführten Erhebungseinheit abhängig gemacht wurde. Insbesondere bei der systematischen Beobachtung wurde nach dem Auftreten einer theoretischen Sättigung (keine neue Ausprägungen von Aneignung beobachtbar) während der beschreibenden Beobachtung relativ rasch auf eine fokussierte/selektive Beobachtung umgestiegen, um noch konkretere Daten zu erhalten. Dabei wurden als zusätzliche Auswahlkriterien spezifische Raumausschnitte oder Handlungen hinzugezogen, um unterschiedliche Perspektiven auf den Untersuchungsgegenstandes einzunehmen. Hingegen bei den Interviews konnte aufgrund der hohen Vielseitigkeit der Daten und der begrenzten Forschungszeit keine solche theoretische 41 2010 lebten 15’671 Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren in Basel von insgesamt 191'946 in Basel wohnhaften Personen (Statistisches Amt Basel-Stadt 2010a/2010b). 78 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Sättigung erreicht werden; hier wurde lediglich darauf geachtet, dass die vorab festgelegten konkret-inhaltlichen Kriterien erfüllt werden konnten (vgl. Flick 2002:102-106). Für die Datenanalyse wurde aus den zahlreichen Beobachtungssituationen eine Auswahl getroffen, die sich ebenfalls an den inhaltlichen Kriterien orientierte, aber vor allem dazu diente, den zu analysierenden Textkorpus auf ein bewältigbares Ausmass zu reduzieren. In der folgenden Tabelle 4 sind alle Beobachtungen und Interviews aufgelistet, die in der Analyse verwendet wurden. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wurden gesamthaft 122 Jugendliche aus den drei Untersuchungsgebieten (Barfüsserplatz, Dreirosenanlage, Gartenbad Bachgraben) in die Erhebung miteinbezogen. Davon wurden insgesamt 39 Jugendliche in Gruppen befragt, je 14 Jugendliche im Gartenbad Bachgraben und auf der Dreirosenanlage, 11 Jugendliche auf dem Barfüsserplatz. Die untersuchten Jugendlichen waren im Alter von 12 bis 19 Jahren und es handelte sich sowohl um reine Mädchen- oder Jungen- als auch um gemischte Gruppen. 9 der befragten Jugendlichen absolvieren eine Lehre, 2 das 10. Brückenschuljahr, 11 der Befragten sind an der Weiterbildungsschule (8. bis 9. Schuljahr), 8 sind am Gymnasium (8. bis 12. Schuljahr), 3 an der Wirtschaftsmittelschule (8. bis 12. Schuljahr), 3 an der Orientierungsschule (5. bis 7. Schuljahr). Zwei der interviewten Jugendlichen absolvieren eine Lehre im Rahmen einer geschützten Anstellung, ein Junge geht im Ausland in die Schule. Die Mehrheit der befragten hat einen Migrationshintergrund (mindestens ein Elternteil ursprünglich nicht Schweizerischer Identität), 9 Interviewpartner geben an, dass beide ihrer Eltern ursprünglich Schweizer sind. Die detaillierten Angaben zum Wohnort sowie zu Nationalität und Beruf der Eltern sind auf der Daten-CD beigelegt. Tabelle 4: Sample Öffentlicher Raum / Nr. Beo_Bach1 Beo_Bach2 Beo_Bach3 Beo_Bach4 Beo_Bach_Repräsentation Beo_Bach_Atmosphäre Beo_Bach_Regulierung Bach1 Bach2 Bach3 Bach4 Beo_Drei1 Beo_Drei2 Beo_Drei3 Gruppengrösse 3 5 9 4 -43 3 3 4 4 14 8 8 Alter42 18 16 12-14 17 16-17 15-17 14-15 14-16 11-16 17-18 18-19 Geschlecht masc. gemischt gemischt masc. gemischt masc. fem. fem. gemischt masc. masc. 42 Bei den Beobachtungssituationen handelt es sich selbstverständlich nur um das geschätzte Alter. 43 Die fehlenden Angaben sind darin begründet, dass es sich bei diesen Beobachtungen um fokussierte/selektive Beobachtungen handelte, bei welchen nicht nur eine sondern mehrere Jugendgruppen unterschiedlichen Alters und Geschlechts hinsichtlich eines bestimmten Fokus und deshalb nur über kurze Zeit untersucht wurden. 79 Beo_Drei4 Beo_Drei5 Beo_Drei_Transit Drei1 Drei2 Drei3 Beo_Barf1 Beo_Barf2 Beo_Barf2 Beo_Barf3 Beo_Barf4 Beo_Barf_Transit Beo_Barf_Übergangsräume Barf1 Barf2 Barf3 Barf4 4 4 6 5 3 4 6 2 7 5 3 2 3 3 17 17 14-18 12-16 14-16 18-19 14-18 17 16 18 16-17 18-19 14-15 16-17 gemischt fem. masc fem. fem. masc. masc. fem. fem. gemischt gemischt masc. fem. gemischt 4.5 Datenanalyse Ausgangspunkt für die Analyse der erhobenen Daten bildet das Forschungsinteresse, also die Erfassung der Raumpraxis, subjektiven Wahrnehmung und Bedeutung von öffentlichen Räumen für Jugendliche. Die Autorin interessiert, wie sich Jugendliche in öffentlichen Räumen verhalten, wie sie diese aus ihrer Sicht beschreiben und bewerten. Konkret sollen Aussagen zum Handlungshintergrund der beobachteten sowie zum emotionalen und kognitiven Hintergrund der interviewten Jugendlichen gemacht werden (vgl. Mayring 2008:50-53). Die Analyse der Daten orientiert sich am allgemeinen Ablauf einer qualitativen Inhaltsanalyse, wie sie Mayring vorschlägt, und verfolgt die qualitative Technik der inhaltlichen Strukturierung (Mayring 2008:82-99). 80 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Abbildung 5: Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell44 Quelle: Mayring 2008:54 Da Mayrings Ansatz jedoch nicht behandelt, wie Bezüge zwischen den Kategorien hergestellt, Muster entdeckt und aus dem Material Theorien entwickelt werden können, wird 44 Festlegung des Materials: 11 von insgesamt 13 Interviews in der Form von Transkripten; 20 Beobachtungssituationen in der Form von Beobachtungsprotokollen; 11 von insgesamt 13 Aneignungsplänen, zusammengefasst pro Untersuchungsgebiet. Analyse der Entstehungssituation: s. Kap. 4.6. Formale Charakteristika des Materials: Die Interviews wurden digital aufgenommen und mit Hilfe von F4 transkribiert. Die Beobachtungssituationen wurden während der Beobachtung in einem Beobachtungsbogen beschrieben und anschliessend in einem Beobachtungsprotokoll zu einem Text verfasst. Weiter ist das Beobachtungsprotokoll mit Fotos illustriert, welche beobachtete Elemente, jedoch nicht die beobachteten Jugendlichen selbst darstellen. Interpretationen der Beobachtungen wurden in das Beobachtungsprotokoll miteinbezogen und markiert. Bei den Aneignungs-Plänen handelt es sich um A3-Bögen mit aufgedrucktem Plan des betreffenden öffentlichen Raumes sowie den Klebepunkten. Sie wurden digitalisiert, indem auf dem JPEG des unbearbeiteten Planes die Klebepunkte reproduziert wurden. Richtung der Analyse: vom Text (Interviewtranskript, Beobachtungsprotokoll) bzw. von der Darstellung (Aneignungs-Plan) zum Kommunikator (interviewte und beobachtete Jugendliche) Definition der Analyseeinheiten: Als Kodiereinheit gilt eine Proposition, die als relevante Aussage des Befragten oder der Beobachtung zum interessierenden Sachverhalt eingestuft werden kann. Als Kontexteinheit werden alle Fundstellen innerhalb eines Interviews oder Beobachtungsprotokolls verstanden. Ein Interview bzw. ein Beobachtungsprotokoll gilt als Auswertungseinheit, wobei bei der Analyse dem chronologischen Aufbau gefolgt wird. 81 für das konkrete Analysevorgehen die Framework Analysis von Ritchie, Spencer und O’Connor (2003) verwendet, wie sie in der Abbildung 6 ersichtlich ist. Die Autorinnen verstehen den Prozess der Datenanalyse als einen steten und kontrollierten Abstraktionsprozess vom Management des Rohmaterials über die Beschreibung der Ausprägungen bis zur Erklärung vorgefundener Phänomene, wobei die Erstellung von so genannten Thematic Charts das Grundgerüst bildet (Ritchie et al. 2003:217): „The hierarchy is made of a series of ‚viewing’ platforms, each of which involves different analytical tasks, enabling the researcher to gain an overview and make sense of the data“ (Ritchie et al. 2003:213). Abbildung 6: Die analytische Hierarchie Quelle: Ritchie et al. 2003:212. Das von Ritchie et al. (2003) beschriebene Instrument soll dabei helfen, den Analysevorgang so systematisch wie möglich zu gestalten ohne den Bezug zu den Daten zu verlieren oder Details aus dem Rohmaterial auszublenden. Deshalb wird das Vorgehen auch als Analyseleiter verstanden, auf der innerhalb der hierarchischen Struktur vor und zurück gegangen werden sollte: „As categories are refined, dimensions clarified, and explenations are 82 JUGENDÖFFENTLICHKEIT developed there is a constant need to revisit the original or synthesised data to search for new clues, to check assumptions or to identify underlying factors“ (Ritchie et al. 2003:213). Die Analyse der Daten wurde computerunterstützt mit der aktuellsten Version von MAXQDA durchgeführt45. Daten-Management Zu Beginn des analytischen Prozesses ist es notwendig, die Masse an Datenmaterial zu ordnen und zu reduzieren. Nach Ritchie et al. (2003) sollen in dieser Phase der Analyse allgemeine Themen oder Konzepte generiert werden, um die Daten zu kodieren. Es handelt sich dabei um eine Form des Kategoriensystems wie es auch in anderen qualitativen Analysemethoden vorgeschlagen wird (vgl. Mayring 2008). Die Autorinnen gehen dabei induktiv vor und erarbeiten ein so genanntes Framework mit Ober- und Unterthemen, die möglichst nahe am Datenmaterial formuliert werden (Ritchie et al. 2003220-228). Für die vorliegende Arbeit wurde diese Vorgehen insofern abgewandelt, als dass die Oberthemen teilweise aus den theoretischen Überlegungen zu den Raumdimensionen abgeleitet und nur die Unterthemen induktiv aus dem Material erarbeitet wurden. In Tabelle 5 ist das konzeptionelle Framework ersichtlich, wobei diese endgültige Fassung in einem Prozess zahlreicher Umformulierungen und Ordnungen entstanden ist. Anhand des konzeptionellen Frameworks wurde das Datenmaterial mit Hilfe von MAXQDA kodiert46, wobei teilweise noch weitere Subkategorien differenziert wurden. In einem weiteren Schritt wurden so genannte Thematic Charts erarbeitet, die entlang der Hauptkategorien die unterschiedlichen Subkategorien für alle Auswertungseinheiten in einer Matrix zusammenfassen. Dabei ist es möglich und notwendig, die einzelnen Kategorien umzubenennen oder auch gewisse Unterkategorien auf mehreren Themenmatrizen zu verwenden. Ziel ist es, zu den wichtigsten Themen der Arbeit jeweils eine Thematic Chart zu erstellen, die alle relevanten Aussagen des gesamten Datenmaterials zusammenfasst und somit ermöglicht, die einzelnen Auswertungseinheiten miteinander zu vergleichen (Ritchie et al. 2003: 229-236). In der vorliegenden Analyse wurden elf Thematic Charts zu den fünf Hauptkategorien ‚Identifikation’, ‚Repräsentation’, ‚Regulierung’, ‚Handlungen & Interaktion’ sowie ‚Nutzung’ erstellt. 45 Gratis-Demoversion erhältlich unter: http://www.maxqda.de/downloads/demo. 46 Ritchie et al. (2003) distanzieren sich vom Begriff des Kodierens und verwenden für ihre Arbeit stattdessen den Begriff des ‚indexing’. Ihrer Meinung nach verweist der Begriff des Kodierens auf die Anwendung eher abstrakter Kategorien, währenddessen ein Index auf eher beschreibende Kategorien rekurriert. Aufgrund der Geläufigkeit des Begriffs ‚Kodieren’ wird er entgegen Ritchie et al. (2003) Vorschlag in dieser Arbeit dennoch verwendet. 83 Tabelle 5: Konzeptuelles Framework (Kodebaum) Hauptkategorie Identifikation mit dem öffentlichen Raum Unterkategorie fehlende Identifikation negative Identifikation positive Identifikation Zeichen, Symbole und Repräsentation Anerkennung Ablehnung Lebensstil Repräsentation nach aussen Regulierung und Normen Regulierung durch andere Selbstregulierung Transformation von Regeln Wissen über Regulierungsmechanismen Interaktionen und Handlungen Austausch Umgangsformen das soziale Setting Gruppe und Umwelt/Umfeld Gemeinsame Handlungen Jungs, Männer Mädchen, Frauen Konflikterlebnisse Konfliktlösung Reaktion im Konflikt Konfliktursachen Konflikt Nutzung Wünsche negative Bewertung positive Bewertung physisches Aneignungsverhalten Beschreibende Analyse In der zweiten Phase der Analyse steht die Darstellung des Spektrums und Vielfalt jedes bedeutsamen Phänomens im Zentrum. Die drei wichtigsten Schritte zu einer solchen Beschreibung des Datenmaterials sind erstens die Entdeckung der Dimensionen eines Phänomens, zweitens die Kategorisierung des Datenmaterials, sowie drittens die Klassifikation mehrerer Kategorien zu Typen auf einem höheren Abstraktionsniveau: 84 JUGENDÖFFENTLICHKEIT „Detection involves looking within a theme, across all cases in the study and noting the range of perceptions, views, experiences or behaviours which have been labelled or tagged as part of that theme. Once this range has been noted, the analyst then sets out to sort and distil the key dimensions within the range, identifying broader, more refined categories which can both incorporate and discriminate between different manifestations of the data. (…) the analyst may further refine the categories, identifying fewer classes by which to sort, encapsulate and present the data” (Ritchie et al. 2003:238). In einem Beispiel soll dargestellt werden, wie in dieser Analysephase vorgegangen worden ist: Als erstes wurde zur besseren Übersicht die Subkategorien ‚Gemeinsame Handlungen’, ‚Jungs, Männer’ und ‚Mädchen, Frauen’ auf einer Thematic Chart zur soziale Aneignung zusammengefasst. Schritt für Schritt wurden aus den Aussagen und Beobachtungen zur sozialen Aneignung zuerst die wichtigsten Elemente identifiziert und dann zu Klassen zusammengefasst. Im Anschluss wurden zwei zentrale Dimensionen erkannt, erstens die eingenommene Bühne im öffentlichen Raum und zweitens die Ausrichtung der Gruppe nach innen oder nach aussen, mit welchen unterschiedliche Sozialitätstypen gebildet werden konnten: S1: nach innen gerichtet, Hinterbühne; S2: nach innen gerichtet, Vorderbühne; S3: nach aussen gerichtet, Hinterbühne; S4: nach aussen gerichtet, Vorderbühne. Tabelle 6: Beschreibende Analyse der Sozialitätstypen Fall Soziale Aneignung Bach1 Und dann hat es noch ein Dreimeter-Sprungbrett und so einfach Faxen reissen gehen. (4) Interviewerin: Flirten und Beobachten, genau. Person 1: Hier am Rändchen halt so. Bei den Schwimmbecken. (196) oder einfach an Rand hinsetzen und so (Person 3: Reden) und dann mit Kollegen reden. Oder eben auch vom Rand aus ein wenig beobachten, wer alles so im Wasser ist oder ob man jemand kennt, der dort gerade im Wasser ist und so. (273) Interviewerin: Und was schaut ihr so zu, wenn ihr daneben hockt? Person 1: Wir lachen sie aus. Person 3: Hahaha. Person 4: Also nein, nicht gerade auslachen, wir schauen halt einfach allgemein. Person 1: Was sie machen halt und so. Person 4: Wer so durch läuft. Bach3 Bach3 Bach4 Elemente / Dimensionen Faxen machen Kategorien / Klassen Necken / lustig sein Typ Sozialität flirten und beobachten Flirten Beobachten (Jungs) S3 sitzen und reden beobachten, ob man jemanden kennt Chillen Reden Beobachten (Vielfalt) Bekannte suchen/treffen S3 daneben sitzen und Leute auslachen schauen, was die Leute machen und wer durchläuft Leute Chillen S3 Beobachten (Vielfalt) Kommentieren 85 S2 S4 Bach4 Person 1: Wir tun Leute kritisieren. Person 4: Ja, und schauen halt (54) Person 3: Am meisten, mit Kolleginnen schnurren, lustig haben, einfach Erlebnis. (237) kritisieren reden, es Necken / lustig lustig haben, sein etwas erleben reden etwas erleben Beo_Bach1 Keiner der beiden möchte wirklich sich Necken / lustig ins Wasser; erst als der erste Junge gegenseitig sein einen seiner trockenen Kollegen mit necken etwas neckt (aus der Entfernung ist nicht zu sehen, um was es sich genau handelt) und ihn dazu zwingt, einen Bogen um ihn zu machen, springt dieser zum Ausweichen ins Becken. (4) S1 S2 Die Ergebnisse der beschreibenden Analyse basieren auf dem Vergleich der verschiedenen Fälle (Interviews, Beobachtungssituationen). So wäre es dann auch der Normalfall in anderen Anwendungen der Typenbildung, die einzelnen Fälle je einem Typ zuzuordnen. Ritchie et al. (2003) betonen diesbezüglich mehrmals, dass die Qualität einer Typologie darin liege, voneinander diskrete Typen zu bilden und jedem Fall nur einen Typ zuzuordnen (Ritchie et al. 2003:245). Wie dem Beispiel zu entnehmen ist, wurde dieses Vorgehen nicht auf die vorliegende Analyse angewendet; mehrere Fälle weisen mehrere Sozialitätstypen auf. Dies ist notwendig und auch nachvollziehbar, weil in den einzelnen Fällen jeweils eine Fülle von sehr unterschiedlichen Formen von Aneignungsprozessen enthalten sind und eine Handlung oft mehrdeutig ist (wie bspw. das Faxen machen auf dem Sprungbrett in Bach1). Die Fälle auf nur je einen Typ zu reduzieren würde die Vielseitigkeit der jugendlichen Handlungen in öffentlichen Räumen zu wenig berücksichtigen. Der Nutzen der Typenentwicklung im vorliegenden Fall ist aber dennoch gegeben: Mit Hilfe der Entwicklung von Typen kann das gesamte Spektrum der jugendlichen Aneignungsverhaltens erfasst werden und gegebenenfalls mit anderen Aneignungstypen in Verbindung gebracht werden. Erklärende Analyse Ist die beschreibende Analyse abgeschlossen, besteht die Möglichkeit verschiedene aus den Daten herausgearbeitete Phänomene (z.B. unterschiedliche Sozialitätstypen) miteinander zu verknüpfen oder Verbindungen zwischen den Phänomenen und bestimmten Charakteristiken der Fälle (Geschlecht, Untersuchungsgebiet) aufzudecken. Der Anstoss zum Suchen von bestimmten Assoziationen kann entweder von den Befragten selbst herrühren oder sich aus dem Interpretationsprozess ergeben. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, mögliche Verknüpfung zwischen Phänomenen aus den Daten, also aus der individuellen Fallebene, zu entwickeln. Dabei ist es möglich sowohl innerhalb eines Falles als auch innerhalb einer Thematik nach möglichen Assoziationen zu suchen. Dabei sollen ebenso Ausnahmen, welche die angenommene Verknüpfung nicht bestätigen, berücksichtigt werden47. Ein einfaches Beispiel dafür ist die Verknüpfung des Untersuchungsgebietes Gartenbad Bachgraben mit der Möglichkeit für Jugendliche, Erfahrungen im Umgang mit dem anderen 47 Dieser Analyseschritt wurde nur begrenzt in der vorliegenden Arbeit bearbeitet. 86 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Geschlecht zu sammeln. Diese Assoziation ergibt sich in erster Linie daraus, dass Jugendliche, die im Gartenbad befragt wurden, häufiger als Jugendliche aus anderen Untersuchungsgebieten, diese Thematik ansprachen. Diese numerische Auszählung ist für qualitative Analysen unüblich, hilft aber dabei, das Auftreten der Verknüpfung zu verifizieren (Ritchie et al. 2003:251). Wird eine Assoziation zwischen zwei Phänomenen entdeckt, gilt es mögliche Erklärungen dafür zu entwickeln. Erklärungen ergeben sich zwar manchmal aus den Daten selbst, sind aber meist Konstruktionen und Abstraktionen der Autorin, die sie auf die Daten anwendet. Es ist deshalb stets darauf zu achten, mögliche Erklärungen an die Daten zurückzubinden (Ritchie et al. 2003:252). Es bestehen unterschiedliche Strategien Erklärungen für gefundene Assoziationen zu finden (vgl. Ritchie et al. 2003:252-257): Es kann vorkommen, dass gewisse Erklärungen explizit in den Aussagen und Daten vorliegen. So beschreiben beispielsweise mehrere befragte Jugendliche, dass sie nur im Gartenbad die Möglichkeit hätten, den Körper von Mädchen und Jungen zu sehen und zu bewerten. Einige Assoziationen unterliegen aber auch einer tieferen Logik, die den Befragten selber nicht bewusst ist. So könnte man im vorliegenden Beispiel annehmen, dass das Frauenbild der befragten Jugendlichen eine mögliche Erklärung für die angenommene Verknüpfung darstellt: Es zeigt sich die Tendenz, dass die im Gartenbad Bachgraben befragten Jugendlichen ein eher konservatives Bild der Frau haben (Frauen zeigen nicht, was sie haben; sie halten sich im Hintergrund; sie vermeiden sexuellen Kontakt ausserhalb ihrer Intimbeziehung) und ihnen deshalb das Setting des Freibades die seltene Gelegenheit bietet, sich als Mädchen sexy und offen für Kontakte zu geben bzw. gleichaltrige Mädchen ohne Hemmungen anzusprechen. Das Gartenbad stellt für den sonst eher eingeschränkten Umgang mit dem anderen Geschlecht ein legitimer Rahmen dar. Es ist insbesondere bei dieser Art von Erklärungen wichtig, sich in der analytischen Hierarchie auf und ab zu bewegen und zu keiner Zeit den Bezug zu den Daten zu verlieren. Eine weitere Möglichkeit zur Erklärung von Assoziationen ist der Miteinbezug von bereits vorhandenen theoretischen Konzepten wie beispielsweise Gendertheorien oder Sozialisationstheorien. Schliesslich sollte man Konzepte oder Erklärungen anderer ähnlicher Studien berücksichtigen, um gefundene Assoziationen zu erörtern. In der Diskussion der Analyse sollte dann geklärt werden, zur welcher weiteren Anwendung die Ergebnisse genutzt werden können: Erweiterung einer Theorie oder einer theoretischen Debatte, Implikationen für sozialpolitische Programme, Praxisempfehlungen für die Soziale Arbeit u.a. (Ritchie et al. 2003:257). 4.6 Gütekriterien und Methodenreflexion Abschliessend soll das methodische Vorgehen der vorliegenden Forschungsarbeit reflektiert und diskutiert werden. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Grenzen und Einschränkungen der Arbeit hinzuweisen. 87 4.6.1 Methodentriangulation Das angewandte Forschungsdesign orientiert sich an einem triangulierten Verfahren und in diesem Zusammenhang an Flicks (2008) Definition von Triangulation: „Triangulation beinhaltet die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand oder allgemeiner: bei der Beantwortung von Forschungsfragen. (…) Diese Perspektiven sollen soweit als möglich gleichberechtigt und gleichermassen konsequent behandelt und umgesetzt werden. Durch die Triangulation (etwa verschiedener Methoden oder verschiedener Datensorten) sollte ein prinzipieller Erkenntniszuwachs möglich sein (…)“ (Flick 2008:12). Wie im Zitat angedeutet, sind unterschiedliche Formen von Triangulation zu unterscheiden48, wobei sich die vorliegende Arbeit vor allem der Methodentriangulation zu Nutze macht und zwar in folgenden drei Formen: Verknüpfung zweier methodologischer Ansätze: Wie in Kapitel 4.3. dargelegt wurde sowohl ein ethnomethodologischer als auch ein konstruktivistischer Ansatz in die Datenerhebung miteinbezogen, um einerseits das soziale Handeln Jugendlicher in öffentlichen Räumen zu beschreiben und andererseits auch den subjektiv gemeinten Sinn ihrer Handlungen nachzuvollziehen (vgl. Flick 2008:21-25). Durch die Verknüpfung dieser beiden Perspektiven auf denselben Forschungsgegenstand soll es möglich sein, unterschiedliche Facetten von Jugendöffentlichkeit zu thematisieren. Kombination von zwei Erhebungsmethoden: Eng mit dem vorherigen Punkt verbunden ist der Einsatz zweier unterschiedlicher Methoden, einerseits die Beobachtung und andererseits das Gruppeninterview (vgl. Flick 2008:41-49). Sie stellen probate Mittel dar, um die beiden Perspektiven von Handeln und subjektivem Sinn (bzw. Wissen) gleichberechtigt zu erheben. Methodeninterne Triangulation: Der Einsatz eines episodischen Interviews schliesslich erlaubt sowohl narrativ-episodisches als auch begrifflich-semantisches Wissen innerhalb einer Methode (Gruppeninterview) zu erheben. Die Methodeninterne Triangulation mit Hilfe des episodischen Interviews ermöglicht die systematische Nutzung beider Wissensbereiche (vgl. Flick 2008:28-31). Ziel eines triangulierten Vorgehens ist nicht in erster Linie die Überwindung der Begrenztheit einer Methode durch die Kombination mehrerer Methoden, wie dies Denzin (1970) in seinen ersten Arbeiten formuliert hat. Vielmehr scheint eine solche gegenseitige (oder einseitige) Validierung von Forschungsergebnissen eher unrealistisch, weil die einzelnen eingesetzten Methoden nicht dasselbe Phänomen abbilden und somit auch nicht gegeneinander ausgespielt werden können: Jede Forscherin passt sich den von ihr untersuchten Gegenstand an die eingesetzte Methode an und ebenso ist davon auszugehen, dass der Einsatz einer spezifischen Methode ein dementsprechend spezifisches Abbild des untersuchten Phänomens liefert. Deshalb lässt sich durch die Kombination von unterschiedlichen Methoden keine erhöhte Objektivität oder Validität herstellen – dafür aber differenziertere, breitere und demnach auch aussagekräftigere Antworten auf die Fragestellung (Flick 2008:17-19). 48 Flick (2008) unterscheidet folgende Formen von Triangulation: a) Daten-Triangulation, b) Investigator Triangulation, c) Theorien-Triangulation sowie d) Methodentriangulation (vgl. Flick 2008:13-16). 88 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Folglich dient Triangulation nicht dazu, kongruente Daten hervorzubringen, sondern sie zielt vielmehr auf eine gegenseitige Ergänzung der Daten und einen damit verbundenen Erkenntniszuwachs. Das Ergebnis triangulierter Forschungsvorhaben ist demnach ein „kaleidoskopartiges Bild“ (Köckeis-Stangl 1980, 363) des Untersuchungsgegenstandes (vgl. Flick 2008:17-19, 25-26). Durch die Kombination von systematischer Beobachtung im öffentlichen Raum und der Durchführung von Gruppeninterviews ergibt sich unterschiedliches Datenmaterial, das in der Kombination eine dichte Beschreibung der Aspekte von Aneignung und der Herstellung von Jugendöffentlichkeiten in all seinen Facetten wiedergibt. Während die systematische Beobachtung insbesondere das Aneignungsverhalten von aussen erfasst, kann mit den Erzählungen bedeutsamer Situationen in öffentlichen Räumen sowie den gruppenspezifischen Vorstellungen von Öffentlichkeit auch die subjektive Perspektive berücksichtigt werden. Mit den themenzentrierten Aufgaben hingegen können die Jugendlichen direkt zu ihrem Verhältnis zu und zur Gestaltung der räumlichen Bedingungen befragt werden. Das angewandte Verfahren nutzt die Triangulation einerseits um das Feld zu erkunden: Die zuerst durchgeführten Beobachtungen geben Einblick in die komplexen Aneignungsformen und Interaktionsmuster von Jugendlichen in öffentlichen Räumen und ermöglichen der Forscherin, sich mit dem Feld vertraut zu machen. Andererseits sollen die Daten beider Erhebungsmethoden in der Analyse gleichberechtigt verknüpft und mit derselben Methode gemeinsam nach Abschluss der Erhebungsverfahren bearbeitet werden. (vgl. Flick 2008:107f). 4.7 Gütekriterien qualitativer Forschung Aus dem triangulierten Vorgehen sowie aus der Erfahrung im und durch die Reflexion des Forschungsprozesses lassen sich Kriterien ableiten, die dazu dienen können, das geplante Forschungsvorhaben kritisch zu überprüfen. Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die von Steinke (2003) erarbeiteten Gütekriterien qualitativer Forschung. Steinke lehnt es ab, quantitative Gütekriterien49 auf qualitative Forschungsvorhaben anzuwenden, weil diese für andere Methoden und Erkenntnistheorien entwickelt wurden und deshalb für den qualitativen Zugang ungeeignet sind. Dennoch ist es notwendig, Bewertungskriterien für qualitative Forschung zu entwickeln, wollen qualitative Untersuchungen innerhalb der ‚scientific community’ anerkannt werden. Demnach sind spezifische Gütekriterien qualitativer Forschung zu entwickeln, die ihren „Kennzeichen, Zielen, wissenschaftstheoretischen und methodologischen Ausgangspunkten Rechnung tragen“ (Steinke 2003:322). Im Folgenden soll die Anwendung der wichtigsten Gütekriterien, die sich aus einem qualitativen und triangulierten Vorgehen ableiten lassen, auf die vorliegende Untersuchung diskutiert werden: 49 Als quantitative Gütekriterien sind zu nennen: a) Objektivität, d.h. frei von subjektiver Meinung, b) Reliabilität, d.h. reproduzierbar, c) interne Validität, d.h. es wird gemessen, was gemessen werden soll, sowie d) Repräsentativität (vgl. Steinke 2003:320). 89 1. Intersubjektive Nachvollziehbarkeit: Weil eine identische Reproduktion qualitativer Forschungs-ergebnisse aufgrund der begrenzten Standardisierung qualitativer Verfahren nicht möglich ist, muss der Forschungsprozess so nachvollziehbar wie möglich beschrieben sein (Steinke 2003:324-325). In dieser Arbeit wird deshalb sowohl das theoretische Vorverständnis (s. Kap. 3) als das methodische Vorgehen (s. Kap. 4) ausführlich dargestellt und dokumentiert. Die Daten werden als rohe Transkripte bzw. als Beobachtungsprotokolle beigelegt (vgl. beigelegte Daten-CD), damit die Korrektheit des Analyseprozesses überprüft werden kann. Schliesslich wird grosser Wert darauf gelegt, bei der Darstellung der Ergebnisse (vgl. Kap. 5) möglichst präzise zu formulieren, um dem Leser oder der Leserin die Unterscheidung zwischen Aussagen der Befragten und Interpretation der Autorin zu erleichtern. 2. Anwendung kodifizierter Verfahren: Auch wenn qualitative Forschung weit weniger standardisiert ist als quantitative Erhebungen, sollte sie sich an einem regelgeleiteten und systematischen Vorgehen orientieren (Steinke 2003:326). Die vorliegende Arbeit verwendet deshalb Erhebungs- und Analysemethoden, die ein systematisches Vorgehen garantieren und zumindest teilweise in Theorie und Praxis bereits etabliert sind. Wo dies nicht der Fall ist (bspw. bei der spezifischen Form der gewählten Interviewform), wird versucht, das Vorgehen möglichst nachvollziehbar darzustellen (vgl. Kap. 4.3.2.3). 3. Indikation des Forschungsprozesses: Dieses Kriterium soll die Gegenstandsangemessenheit der gewählten Forschungsmethoden garantieren (Steinke 2003:326-328). Zu Beginn des Methodenteils wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein qualitatives Verfahren deshalb angebracht ist, weil sich die Fragestellung auf die subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung durch Jugendlichen bezieht. Weiter handelt es sich um eine explorativ angelegte Studie, welche auf das Testen von Hypothesen verzichtet. Die Methodenwahl beruht in erster Linie auf ähnlichen Studien wie beispielsweise Sozialraumanalysen mit Kindern und Jugendlichen (vgl. Kap. 2). Die Anwendung von Beobachtung und Interview lässt sich vor allem durch deren spezifische Stärken begründen: Während die systematische Beobachtung ermöglicht, Handlungen und Verhalten als Untersuchungsgegenstand zu studieren und ggf. auch Aussagen aus Interviews zu ergänzen, zielt das qualitative Interviewverfahren auf die Erhebung von Situationsdeutungen und Handlungsmotiven, von Alltagstheorien und Selbstinterpretationen, und ermöglicht dabei eine Verständigung über deren Interpretation zwischen der Interviewerin und den Befragten (Hopf 2003:350). Ein weiteres wichtiges Kriterium der Gegenstandsangemessenheit ist der Spielraum, welchen den Untersuchten zur freien Meinungsäusserung eingeräumt wird (Steinke 2003:327). Im Rahmen der Gruppeninterviews wird grosser Wert auf die subjektiven Perspektiven und alltäglichen Bedeutungszuschreibungen gelegt; und zwar auch insofern, als dass während des Interviews vor allem diejenigen Themen behandelt werden sollen, welche für die Jugendlichen eine besondere Bedeutung haben. Der Leitfaden gibt zwar die wichtigsten zu bearbeitenden Fragestellungen vor, beinhaltet aber auch genügend Raum für Nachfragen zu bisher aufgetauchten interessanten Äusserungen, die aber noch präziserer Erklärung bedürfen. Diese Offenheit ist im 90 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Rahmen der systematischen Beobachtung weniger gegeben, da die vorab definierte Systematik die Beobachtungsmöglichkeiten einschränkt. Dennoch ist durch den Übergang von der beschreibenden über die fokussierte zur selektiven Beobachtung garantiert, dass zumindest zu Beginn relativ offen beobachtet wird. Beide Untersuchungsmethoden lassen demnach auch Unvorhergesehenes zu und sind so angelegt, auch Irritierendes oder vom Vorwissen Abweichendes näher zu ergründen. Auch die Wahl der Samplingstrategie gibt Hinweise darauf, ob das angewandte Verfahren dem Gegenstand angemessen ist (Steinke 2003:328). Die Stichprobe wurde in erster Linie nach dem inhaltlich-konkreten Kriterium der „maximalen Variation“ (Merkens 2003:291) definiert, sowohl hinsichtlich der Untersuchungsgebiete als auch im Bezug zu den Jugendgruppen. Es wurde ebenso bereits begründet, weshalb Jugendliche gerade in öffentlichen Räumen (und nicht in einem anderen Setting) und in Gruppen (und nicht als Einzelpersonen) beobachtet bzw. befragt wurden (vgl. Kapitel 4.4.2. und 5.3.2.2.). Überdies kann davon ausgegangen werden, dass aufgrund des nicht-standardisierten Stichprobenverfahrens (direktes Beobachten/Ansprechen im Feld) und des Vorgehens nach dem Prinzip des theoretischen Samplings die Stichprobe stark verzerrt ist und für die Grundgesamtheit der Jugendlichen in Basel Stadt nicht repräsentativ ist. Da es aber aus qualitativer Sicht viel eher von Bedeutung ist, aus untersuchten Einzelfällen Verallgemeinerungen für eine spezifische Grundgesamtheit zu erarbeiten, kann dieser Punkt als vernachlässigbar bezeichnet werden. Die getroffenen Sampling-Entscheidungen sind in erster Linie durch das Ziel begründet, statt eine breite Datenbasis zu generieren, tiefer in die Struktur eines bestimmten Ausschnitts des Untersuchungsgegenstandes einzudringen (vgl. Flick 2002:111-112). Aus diesem Grund wurden nur einige Faktoren fokussiert (drei Untersuchungsgebiete sowie Eingrenzung der Personen, Zeiten, Handlungen und Raumausschnitte) und somit andere wichtige Aspekte des Gegenstandes ausgeblendet: Auf der Ebene der Jugendlichen beispielsweise wurde ihre familiäre Situation oder ihre Einbindung in Freizeitorganisationen nicht erfragt, im Bezug zum Untersuchungsraum wurden zum Beispiel auf Erhebungen in der Nacht oder in anderen öffentlichen Räumen verzichtet. 4. Empirische Verankerung: Dieses Qualitätskriterium bezieht sich auf die aus den Daten entwickelte Theorie und fordert eine möglichst enge Verknüpfung der generierten Daten mit den aus der Analyse hervorgegangen Ergebnissen (Steinke 2003:238). Mit dem Analysevorgehen nach Ritchie et al. (2003) soll bewusst darauf geachtet werden, dass sich alle Analyseergebnisse direkt auf die Rohdaten beziehen lassen und mit empirischen Belegen untermauert sind. Es ist jedoch absehbar, dass mit steigendem Objektivierungsgrad der Untersuchungsergebnisse der Bezug zu den Daten abnimmt. Die schrittweise Analyse der Daten von der Beschreibung zur Erklärung und die entsprechende Strukturierung im Text (s. Kap. 5) sollen diesen Umstand transparent machen. 5. Limitation: Mit diesem Kriterium wird die Autorin dazu aufgefordert, die Grenzen des Geltungsbereiches für die Ergebnisse zu reflektieren und zu erörtern. In jeder 91 Forschungsarbeit muss dargelegt werden, „auf welche weiteren Bedingungen (…) die Forschungsergebnisse, die unter spezifischen Untersuchungsbedingungen entwickelt wurden, zutreffen“ (Steinke 2003:329). Dies wird einerseits durch die stete Objektivierung der Daten erreicht (s.o.), andererseits soll dieser Punkt im Diskussionsteil gesondert abgehandelt werden, auch im Hinblick auf zukünftige Forschungsdesiderata (s. Kap. 6.3.). 6. Reflektierte Subjektivität: Hier handelt es sich um das Erfordernis, dass die Forscherin als Subjekt und Teil der von ihr untersuchten sozialen Welt ihre eigene Rolle innerhalb der Untersuchung reflektiert (Steinke 2003:330-331). Es ist unumgänglich, dass die Vorannahmen und Einstellungen der Autorin den gesamten Forschungsprozess als Hintergrundfolie prägen. Bereits das Interesse am vorliegenden Untersuchungsgebiet impliziert eine bestimmte Haltung gegenüber dem Untersuchungsgegenstand (bspw. ein emanzipatives Verständnis von Jugendarbeit oder ein liberales Gesellschaftsmodell) und formt dementsprechend auch die Forschungsanlage. Mit der sorgfältigen Auseinandersetzung mit empirischen und theoretischen Annahmen (Kap. 2 und 3) wird jedoch versucht, das implizite Vorverständnis zu explizieren und zu begründen, um dann auf dieser Basis das methodische Vorgehen zu bestimmen und die Erhebung durchzuführen (bspw. die Bestimmung von Auswahlkriterien des Samplings, der Beobachtungskriterien oder der Fragen im Interviewleitfaden). Der Aufbau der vorliegenden Arbeit entspricht demnach auch weitestgehend dem Vorgehen im Forschungsprozess und beschreibt somit die stetige Elaboration des Wissens und der Einsichten der Autorin. Ein weiterer wichtiger Aspekt in dieser Hinsicht ist die Position der Forscherin, die sie während der Erhebung und gegenüber den Untersuchten einnimmt. Die systematische Beobachtung im öffentlichen Raum ist zwar als eine eher non-reaktive Methode zu bezeichnen, dennoch beeinflussen die aktuelle Befindlichkeit sowie die subjektive Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung der Forscherin die Verarbeitung und Interpretation der Beobachtungssituation. Schönes Wetter, eine angenehme Atmosphäre im Untersuchungsgebiet wie auch eine positive Einstellung zum Vorhaben wirken auf die Motivation und Ausdauer förderlich, umgekehrte Vorzeichen hingegen eher hinderlich. Diese Faktoren sind auch für die Interviewsituation von Relevanz; hier spielen aber aufgrund der direkten Interaktion mit den Befragten noch weitere Faktoren eine Rolle. So ist es entscheidend, als Forscherin das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen, was je nach Vorzeichen und Situation unterschiedlich gut gelingen kann. So ist beispielsweise davon auszugehen, dass das Geschlecht sowie das Alter der Forscherin von den interviewten Jugendgruppen unterschiedliche bewertet wird, sodass die Interviewerin mal als (fast) gleichaltrige Komplizin, mal als erwachsene Autoritätsperson wahrgenommen wird. Zwar kann versucht werden, mit dem eigenen Verhalten eine möglichst konstruktive Interviewsituation zu generieren (Offenheit, Empathie, Interesse, Geduld, etc.), eine vollständige Kontrolle ist jedoch nicht möglich. Aus diesem Grund wurde die jeweilige Interviewsituation in der Form eines Post Skriptums festgehalten. 92 JUGENDÖFFENTLICHKEIT 5 Darstellung der Ergebnisse Die Darstellung der Ergebnisse ist thematisch entlang der zentralen Fragestellungen Aneignung, Öffentlichkeit und Macht gegliedert und umfasst jeweils die Beschreibung sowie die Analyse zur entsprechenden Thematik. Im Rahmen der Beschreibung wird die Raumpraxis der in den drei untersuchten öffentlichen Räumen Jugendlichen beschrieben, erörtert und im Kontext gedeutet. In diesen Abschnitten stehen die Handlungen der Jugendlichen im Vordergrund sowie ihre Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung der räumlichen Strukturen. Bei der Beschreibung der Ergebnisse handelt es sich bereits um eine erste interpretative Bearbeitung des Materials, weil es zusammengefasst und strukturiert und deshalb bereits mit Bedeutungen durch die Autorin versehen wird. Im Abschnitt zur Analyse, welche auf die Beschreibung folgt, wird versucht, über die einzelnen öffentlichen Räume hinweg Bezüge innerhalb und zwischen den Aneignungsdimensionen herzustellen. Ziel ist es, auf einem übergeordneten Abstraktionsniveau allgemeine Aussagen zu Jugendlichen in öffentlichen Räumen zu machen bzw. zentrale Motive von Jugendöffentlichkeiten herauszukristallisieren. Bei der Analyse handelt es sich um eine systematische Interpretation des Datenmaterials anhand der Vorgaben der ‚Beschreibenden und Erklärenden Analyse’ von Ritchie et al. (2003). 5.1 Jugendöffentlichkeit zwischen Reproduktion und Transformation räumlicher Bedingungen In diesem Unterkapitel wird auf die physischen Aneignungsformen in den drei Untersuchungsgebieten eingegangen. In der darauf folgenden Analyse können drei unterschiedliche Formen physischer Aneignung herauskristallisiert werden. Physische Aneignung auf dem Barfüsserplatz Die Treppen auf dem Barfüsserplatz, sei es nun rund um den gepflasterten Hauptplatz oder hinauf zum Leonhardsschulhaus, nehmen für die physische Aneignung eine zentrale Bedeutung ein: Hier wird gegessen, getrunken, gechillt oder auch einfach nur gesessen. Somit beschränkt sich die Benutzung der Treppe meist auf einen passiven Gebrauch. Ähnlich verhält es sich auch mit solchen Elementen, die eine Sitzgelegenheit bieten, wie beispielsweise ein Schaufenstersims. Auch dort wirkt das Raumverhalten von vier beobachteten Mädchen „eher passiv (…). Ihr Verhalten ist (…) auf engen Raum begrenzt, einzig die selten ausgestreckten Beine ragen in den öffentlichen Gehsteig hinein und machen so auf die Mädchen aufmerksam. Sie sind eher am Rand des Platzes stationiert, sitzen in einer Art Nische (Beo_Barf3:2).“ Das Aufsuchen solcher Orte kann einer konkreten Intention folgen (zur fliegenden Verpflegung), kann aber ebenso auch Ausdruck einer spontanen bzw. unintendierten Handlung sein: „Und wir hatten keine Lust zum Herumlaufen und dann haben wir gedacht, wir sitzen hier hin“ (Barf2:61). Das Geländer an der zentralen Tramhaltestelle stellt ein weiteres räumliches Element dar, auf welches die Jugendlichen in 93 ihrer Raumpraxis Bezug nehmen. Im Gegensatz zu den Treppen wird dieses Geländer aktiv angeeignet: Es dient nicht nur zum Anlehnen oder sich Draufsetzen, sondern es fungiert als stabiler Bezugspunkt beweglicher Jugendgruppen: „Auch diese fünf Jungs wechseln ständig ihre Positionen: Anfangs sitzen zwei auf dem Geländer, die anderen stehen, einige Minuten später lehnen sie allesamt in einer Reihe am Geländer, während der Ältere sich ihnen schräg zuwendet“ (Beo_Barf1:7). Das Geländer dient den Jungen als Orientierungspunkt für den eigenen Körper (Sitzen, Lehnen), sie stehen immer in Bezug zum Gestänge. Auch fungiert es als Verbindungslinie zwischen den Jugendlichen: Die beobachteten Knaben sind nur zeitweilig miteinander im Gespräch, es ist auch nicht offensichtlich, ob sich alle untereinander kennen; teilweise platzieren sich auch wartende Fremde zwischen den einzelnen Jugendlichen. Jedoch sind die Knaben über ihr Aneignungsverhalten zueinander in Bezug zu setzen (Beo_Barf3:13). Während bei dieser Form von Aneignung die räumlichen Strukturen verbindend wirken und zur Bewegung anregen, verweisen andere Raumpraktiken auf Besitzergreifendes Verhalten: Eine beobachtete Jungengruppe beispielsweise, die sich auf einem schmalen Bürgersteig unterhalb der Leonhardstreppe aufhält, beschränkt sich einerseits auf einen kleinen Ausschnitt des beobachteten Raumes. Durch die Enge des Bürgersteigs wirken sie fast ein wenig eingeklemmt, auch die sogleich angrenzende Tramschiene schränkt ihre Bewegungsfreiheit ein; die Jungen bleiben an Ort und Stelle. Die Raumnutzung wirkt passiv und aufgrund der räumlichen Bedingungen (viele Leute, enger Durchgang, Verkehr) eingeschränkt. Andererseits kann dieses Verhalten auch als Raum ergreifend verstanden werden, weil die Gruppe durch die Wahl ihres Standortes viele Menschen am Durchgehen behindern. Sie stehen an einem Nadelöhr, positionieren sich dort ohne Rücksicht auf andere Passanten. Auch die Fahrräder, die die Jungen mit in die Gesprächsrunde stellen, versperren zusätzlich den Weg. Die Passanten müssen die Gruppe umgehen oder wenn ein Tram gerade vorbeifährt auch kurz abwarten (Beo_Barf2:8). Schliesslich fungiert der Barfüsserplatz für viele Jugendliche auch als Transitort (vgl. Abb. 7). Die physisch-materiellen Strukturen des Barfüsserplatz können von den Jugendlichen, wie beschrieben, meist ohne Probleme angeeignet werden, insbesondere die Treppen und Vorsprünge dienen als Sitzgelegenheit. Dementsprechend schwierig ist es aber für Jugendliche, dies auch bei nassem und kaltem Wetter oder bei sehr starker Sonneneinstrahlung umzusetzen. So schlägt dann auch ein Mädchen vor, Sonnenschirme bei den Treppen aufzustellen, um sich vor der Sonne schützen zu können (vgl. Barf1). Was Jugendliche ebenfalls als Restriktion ihrer physischen Aneignung erleben, ist das Fehlen einer sauberen Toilette – vorausgesetzt sie verweilen längere Zeit auf dem Barfüsserplatz. 94 © (Jahr) Newsletter Lehrstuhl Soziologie, Sozialpolitik und Sozialarbeit Bd(Nr): S-S Abbildung 7: Aneignungsplan Barfüsserplatz 95 Physische Aneignung im Gartenbad Bachgraben Einer der zentralsten Aneignungsleistung erbringen Jugendliche durch das Suchen und Belegen eines Liegeplatzes. Es handelt sich dabei meist um die erste Handlung, nachdem die Jugendlichen das Gartenbad betreten haben (Bach1:207ff): „Interviewerin: Also fangt mal an, ihr kommt, genau, ihr kommt rein beim Eingang und zahlt, und was passiert als nächstes? Person 3: Platz suchen. Nicht gerade wo viele Leute sind, Schatten, Sonne beides, würde ich mal sagen. Person 2: Es kommt darauf an, ob man schon umgezogen ist oder nicht. Dann muss man in die Kabine. Person 3: Aber als erstes jedenfalls Platz suchen, dann (...) weiss auch nicht, reden (...) kommt darauf an was man dabei hat, Musik hören. Person 2: Tuch hinlegen. Irgendwo sich hinlegen. Ja, ein wenig erzählen von gestern oder so, vom Freitag.“ Dieses Zitat macht deutlich, dass „sich-einen-Platz-suchen“ als physische Aneignung ebenso soziale Aspekte aufweist: Den Platz sucht und wählt man einerseits auf der Basis einer gemeinsamen Entscheidung in der Gruppe, andererseits achtet man bei der Auswahl darauf, welche anderen Personen sich wo befinden. Aus den Beobachtungen und Aussagen der Befragten ist demnach abzuleiten, dass sich die meisten Jugendliche in einem ganz bestimmten Areal niederlassen, wo sie vor allem unter sich sind. Es handelt sich dabei um die Liegewiese im unteren linken Bereich des Geländes (s.u. Aneignungsplan): „Also eben vor allem hier, wo Jugendliche mega viel sind. Das ist eigentlich unser Standort, wo wir eigentlich meistens am Baden sind und am Chillen sind“ (Bach3:63). Wenn diese Jugendliche also ihren Liegeplatz aussuchen, ihr Tuch ausbreiten und sich dort einrichten, nehmen sie auch ein bestimmtes Territorium für sich in Anspruch, markieren ihren eigenen Platz mit ihren Gegenständen und Körpern. Gleichzeitig grenzen sie sich von anderen Nutzergruppen wie Familien oder Kindern ab, die sich an anderen Standorten niederlassen. Dieses Einteilen des Gartenbades in verschiedene Territorien dient dem harmonischen Umgang zwischen den Gruppen. Oft werden die Kinder genannt, auf die Rücksicht genommen werden sollte, da sie andere Bedürfnisse als die Jugendlichen haben (Bach1:139ff): „Person 1: Eigentlich von hier kann man sozusagen sagen, hier, die, hier eigentlich nicht. Dieser Bereich, denn hier sind eigentlich so kleinere Kinder mit den Müttern also mit den Eltern einfach hier, also hier hintendurch eigentlich so. Interviewerin: Und was würdet ihr sagen ist jetzt der Unterschied eben also so von der Atmosphäre zwischen hier und hier? […] Person 3: Ja ich denke mal, dann ist man einfach in seinem, im Bereich vom Alter. Also ich meine so bei Kleinkindern oder weiss auch nicht, und ich denke, so kann man auch Leute kennen lernen und ja. (…) Ich meine es kommt auch immer darauf an, mit wem man geht, wenn man mit Familie geht oder so, dann würde ich auch mit meinen, zum Beispiel ich habe zwei kleinere Brüder und ich mit 96 JUGENDÖFFENTLICHKEIT ihnen auch einfach schauen, wo sie hingehen, ich denke, sie wollen jetzt nicht gerade hier, wo alle rauchen und weiss auch nicht was. Vielleicht schon irgendwo, wo man irgendetwas spielen kann oder einfach halt so zum Alter entsprechend.“ Dieses Beispiel verweist darauf, dass die Möglichkeit, sich als Jugendliche in einen bestimmten Teilbereich des Bades zu konzentrieren, Vorteile für alle Altersgruppen bringen kann. Eine räumliche Trennung ermöglicht die Befriedigung aller Bedürfnisse ohne gegenseitige Störung. Auch das folgende Beispiel begründet die Einrichtung Altersentsprechender Bereiche, wie beispielsweise ein Kinderbecken oder einen Spielplatz für Kinder sowie ein Becken für Jugendliche, mit den unterschiedlichen Bedürfnissen (Bach2:69f): „Person 3: Und beim Schwimmbad, (früher?) ist, früher bin ich doch nicht hier [Nichtschwimmerbecken] hinein gegangen, dann bin ich immer hier hinein [Kinderbecken] gegangen, weil ich der Kleine war. Ist doch eben für Kinder oder, so sieben, sechs Jahre, so. Und dort gefällt es mir einfach, als ich noch Kind war, oder. Und als ich noch klein war, dann ging ich hierher. Person 1: Also zu den Kinder, ich finde es einfach respektvoll, ich meine, wir sind grösser geworden, wir haben ein grosses Becken, und für Kinder ist auch etwas hier. Das finde ich einfach noch gut und zum Rasen, ich finde es einfach einen unnötig grosser Platz. Ich meine, wenn man könnte es für etwas anderes ausnutzen, man könnte etwas, noch einen Spielplatz bauen, oder so etwas, das würde auch noch gerade passen zum Kinderbecken.“ Während die genannten Beispiele auf ein harmonisches Nebeneinander verweisen, beschreibt eine andere Mädchengruppe die Kopräsenz von unterschiedlichen Altersgruppen als problematisch. Sie selbst ziehen sich explizit aus den Kinderbereichen zurück, um möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen, und bewerten die für Kinder typischen Bereiche als „Kindergarten“, mit welchem sie selber lieber nichts zu tun haben wollen (Bach3:56ff). Hier verweist die Aufteilung in Territorien zwischen Jugendlichen und Kindern eher auf einen Konflikt hin, der aber nicht offen ausgetragen wird. Er ist implizit spürbar, weil das Verhältnis zwischen den Kindern und Jugendlichen aus der Sicht der befragten Mädchen von Misstrauen und Abwertung geprägt ist. Die territoriale Besetzung von Teilbereichen des Gartenbades durch die Jugendlichen dient in erster Linie der Konfliktvermeidung und Distanzierung. Schliesslich wird die territoriale Einteilung des Gartenbades auch als Einschränkung wahrgenommen, wenn man sich beispielsweise in einem fremden Territorium unwohl oder bedroht fühlt und deshalb auf etwas verzichtet, das man gerne hätte. Dies ist im Gartenbad Bachgraben vor allem dort der Fall, wo sich in erster Linie Jugendliche aus Frankreich aufhalten und diese zu gewissen Jugendlichen in einem konfliktiven Verhältnis stehen. Es handelt sich dabei um den Bereich rund um das Volleyballfeld. Eine der befragten Jugendgruppen beschreibt, auf welche Probleme sie in diesem Bereich treffen und wie sie versuchen, diesen aus dem Weg zu gehen (Bach1:252ff): „Von den Franzosen? Ja, ich und er, wir sind manchmal dort, manchmal machen wir so kleine Turniere Fussball. Dann sind sie gerade, die werden gerade mega 97 aggressiv oder. Sie werden gerade aggressiv, wenn sie verlieren und so, solche Leute sind einfach zum schlagen. […] Person 3: Ja ich denke, hier gibt es halt Grüppchen. Eben zum Beispiel die Franzosen, die dort ihr Eckchen haben, und die anderen. Ich weiss jetzt nicht, wie sie sich jetzt dort aufführen oder keine Ahnung. Interviewerin: Und wie könnt ihr eben dem aus dem Weg gehen? Person 2: Eben, wenn man halt ein wenig weiter weg sitzt.“ 98 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Abbildung 8: Aneignungsplan Gartenbad Bachgraben 99 Dieses Beispiel zeigt auf, dass auch zwischen den Jugendlichen territoriale Aufteilungen existieren, die auf gegenseitige Abgrenzungen hinweisen. So grenzt sich beispielsweise die letzte Mädchengruppe explizit von denjenigen Jugendlichen ab, die sich auf der Jugendwiese aufhalten, um versteckt vor anderen Badegästen zu rauchen, zu trinken oder zu kiffen (Bach4:153ff): „Interviewerin: Ihr habt schon ein wenig gesagt, also hier irgendwie, was hier sind irgendwie viele Leute die kiffen, oder was? […] Person 3: Dort hinten [in der untertesten linken Ecken des Geländes] sind alles Ghetto-Kinder ja. Person 4: Ja eben, das ist es. So Abstürze. Person 1: Dann rauchen sie alle Shisha und so und beim Eingang steht einfach so ein Riesenplakat "Shisha rauchen verboten". Ich lachte gerade kaputt vorhin. Interviewerin: Was sind Ghetto-Kinder? Person 4: So Abstürze halt! Person 1: Ja, diejenigen, die halt eben kiffen und rauchen. Person 3: Die, die sich meinen, dass wenn sie rauchen, dass sie voll cool sind, und wenn sie trinken.“ Zusammenfassend kann also davon ausgegangen werden, dass die physische Aneignung eines Liegeplatzes eine bedeutende Handlung der Jugendlichen ist. Der Platz bestimmt den Aufenthaltsort an diesem Tag, zum Teil für mehrere Stunden, und mit ihm sind verschiedene Bedürfnisse verbunden, die er optimal zu erfüllen hat. Neben den objektiven Kriterien wie Beschaffenheit oder Lage entscheiden insbesondere soziale Faktoren darüber, welcher Platz ausgesucht wird. Weitere physische Aneignungsformen kann man dort beobachten, wo Jugendliche, ähnlich wie beim Barfüsserplatz, Treppen oder Absätze zum Sitzen und Entspannen nutzen. Die Besonderheit im Gartenbad Bachgraben liegt darin, dass diese Treppen immer hin zum Becken gerichtet und deshalb als eine Art Zuschauerbühne konzipiert sind und sich deshalb hervorragend zum Beobachten der anderen Badegäste eignen. Auf diese soziale Aneignungsmöglichkeit wird noch weiter unten eingegangen. Während der Liegeplatz sowie die Treppen eher als passive Nutzungen bezeichnet werden können, eignen sich die Jugendlichen die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Gartenbades auch aktiv an, jedoch meist in der bereits vorgegebenen Funktion: den Tischtennistisch zum Pingpong-Spielen, das Schwimmerbecken zum Längen schwimmen, das Volleyballfeld zum Ballspielen, etc. So stellt eine Jungengruppe mehrmalig vor allem die Funktionalität der verschiedenen Einrichtungen in den Vordergrund: „Dann kommen wir halt zum VolleyballPlatz. Ich meine es ist praktisch, man kann spielen, man kann sich austoben“ (Bach2:57). Praktisch beschreibt hier ein positives Attribut, nämlich dass das Volleyballfeld seine Funktion erfüllt und die Bedürfnisse der Jungen befriedigt. Neben der Aneignung im Rahmen der vorgegebenen materiell-physischen Funktion bieten aber viele der genannten Einrichtungen auch unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten und –varianten – als Beispiel hier die Fortsetzung des vorherigen Zitates (Bach2:57ff): 100 JUGENDÖFFENTLICHKEIT „Person 1: (…) Hast du noch was? Person 3: Saltos üben einfach. Interviewerin: Wie? Person 3: Saltos und so üben. Interviewerin: Salto dort beim Volleyball? Person 3: Ja, auf dem Sand.“ Besonders typisch für solcher auf Veränderung ausgerichtete Aneignungsformen ist die Aneignung einerseits des Sprungbretts und andererseits der Rutschbahn. Diese beiden Elemente des physisch-materiellen Substrats des Gartenbades werden zwar meist innerhalb der vorgegebenen Funktion genutzt – also das Sprungbrett zum Springen und die Rutschbahn zum Rutschen – gleichzeitig versuchen gewissen Jugendliche diese Funktionen jedoch auszuweiten und ihre Grenzen auszuloten. Im Folgenden ein Beispiel für die Rutschbahn (Beo_Bach4:3): „Nach ungefähr 20 Minuten begeben sich die vier Jungs zur Rutschbahn. Diese nutzen sie nun ausgiebig, in jeweils unterschiedlichen Formationen (alleine oder in der Gruppe) rutschen sie ins Wasser. Dabei versuchen sie sich in immer neuen Möglichkeiten des Runterrutschens: Auf den Knien, auf den Füssen, auf dem Rücken drehend, mit Schwung durch das Pendeln am oberen Geländer und mit viel Gespritzte dank einem Absprung am Ende der Rutsche ins Wasser.“ Obschon die Rutsche in ihren Funktionen auf den ersten Blick als begrenzt erscheint, erweitern die hier beobachteten Jungen mit ihren neuen Techniken das Möglichkeitsspektrum der Nutzung. Ebenso beim Sprungbrett (hier eine Aussage auf die Frage nach der präferierten Rolle im Gartenbad, Bach2:329ff): „Person 2: Das Sprungbrett würde ich wählen. Interviewerin: Also der Springer, quasi? Was ist das spezielle an dieser Rolle? Person 2: Kann man ALLES ausprobieren, was man will, alle möglichen Drehungen, alle möglichen Posen. Alles, das ist einfach mein bestes.“ Die Beispiele machen deutlich, dass die Transformation und Erweiterung materiellphysischer Nutzungsmöglichkeiten als herausragende Form der physischen Aneignung auch einen symbolischen Aspekt aufweisen, weil sie den betreffenden Jugendlichen die Möglichkeit geben, sich in der Öffentlichkeit zu inszenieren (s. Kapitel 5.2.). Schliesslich soll noch ein letzter Aspekt der physischen Aneignung erwähnt werden: Mehrmalig konnte beobachtet werden, wie Jugendliche die einzelnen Elemente des Nichtschwimmerbecken (Rutschbahn, Beckenränder, Wasserfontäne, die Betonfläche rund um das Becken sowie einen Beckenabschnitt mit stärkerer Wasserströmung) durch ihre Bewegung ihres Körpers durch den Raum miteinander zu eine Art Parkour verbinden. Beispiele aus den Beobachtungsprotokollen können dies wohl am besten aufzeigen: 101 „Als Gruppe steigen sie die Stufen ins Nichtschwimmerbecken hinab, wobei zwei der Mädchen zögern und kurzzeitig zurückbleiben, andere vorübergehend untertauchen oder einige Züge schwimmen; anschliessend sammeln sie sich wieder in der Mitte des Beckens und reden miteinander. Die Jugendlichen können im Bad gut stehen, das Wasser reicht ihnen bis zur Brust. […] Anschliessend waten sie im Schritttempo gemeinsam durchs Becken, queren in ruhigem Tempo einen Durchgang mit erhöhter Strömung (weiterhin im Gespräch), um anschliessend wieder zu den Stufen zurückzukehren“ (Beo_Bach2:3). „Diese drei Buben (13-14 Jahre) sind sehr aktiv und sich stets gegenseitig am Necken. So spritzen sie sich unermüdlich an oder stossen sich vom Beckenrand ins Wasser. Auch sind sie unentwegt in Bewegung, nutzen neben der Rutschbahn auch den Beckenrand, den Strudelbereich und stehen ebenso auf der Plattform, wo sich die Springbrunnen befinden. Diesen durchschreiten sie mehrmalig und versuchen mit den Händen einen Strahl zu formen und andere anzuspritzen. […] ihr Interesse gilt den zahlreichen Nutzungsmöglichkeiten“ (Beo_Bach_Rep:9). Obschon die beiden Beispiele zwei unterschiedliche Formen der Aneignung beschreiben – das erste eher eine ruhige und auf die Gruppe bezogene, die zweite eher eine ausgelassene und nach aussen gerichtete Aneignung – ist ihnen gemeinsam, dass die Jugendlichen sich die unterschiedlichen Elemente des Nichtschwimmerbeckens durch die eigene körperliche Bewegung zu eigen machen und für das gemeinsame Gespräch oder das spielerische Austoben nutzbar machen können. Die physisch-materiellen Strukturen des Gartenbades Bachgraben können von den Jugendlichen wie beschrieben auf vielfältige Weise angeeignet werden: Erstens schaffen sie sich durch das Aussuchen und Belegen eines Liegeplatzes einen eigenen Standort sowie ein spezifisches Jugendterritorium, das ihre Bedürfnisse nach Ruhe, Selbstregulierung und sozialem Austausch unter seinesgleichen optimal befriedigt. Zweitens nutzen die Jugendlichen die unterschiedlichen Einrichtungen des Freibades ausgiebig, teils entsprechend der vorgegebenen Funktion, teils die Funktion verändernd und erweiternd. Drittens eignen sich die Jugendlichen die Treppen und Beckenränder als Zuschauerränge an, um andere Badegäste zu beobachten und zu kommentieren. Schliesslich ermöglichen das Restaurant und der Kiosk sowie auch die Toiletten den Jugendlichen, sich über einen längeren Zeitraum im Bad aufzuhalten und die Aneignungsmöglichkeiten somit vollends auszuschöpfen. Im Gegensatz dazu nennen viele Jugendliche auch Einschränkungen ihrer Aneignung, die in erster Linie auf die physisch-materiellen Strukturen zurückzuführen sind: Beispielsweise bergen gewisse Nutzungen Gefahren oder Unannehmlichkeiten in sich (z.B. Ertrinkungsgefahr im Wasser, Verletzungsgefahr auf Sprungbrett oder Rutschbahn, vgl. Bach3:349ff oder Bach4:101f, sowie Bienenstiche im Rasen, vgl. Bach4:197f), die es zu vermeiden gilt, oder die Jugendlichen fühlen sich von gewissen materiell-physischen Einrichtungen nicht angesprochen (bspw. keine Lust Längen zu schwimmen oder auf die Rutschbahn zu gehen, vgl. Bach1:56 oder Bach2:195). Wie erwähnt ziehen sich einige Jugendliche auch bewusst aus gewissen Territorien zurück, weil sie dort einen Konflikt zu befürchten haben oder sich vom Verhalten anderer abgrenzen möchten. Besonders negativ bewerten mehrere Jugendgruppen den Eingangsbereich: Dieser wird aus unterschiedlichen Gründen als Hürde betrachtet, die es zu überwinden gilt, um sich Zugang zum Gartenbad zu verschaffen (Bach2:48): 102 JUGENDÖFFENTLICHKEIT „Person 1: Also fangen wir an beim Eingang, gerade dort rechts oben. Beim Eingang ist es so, es kommen manchmal, die, welche dort arbeiten, oder? Also manchmal haben sie so eine freche Art mit den Mitmenschen und manchmal haben sie eine gute Art, und dann finde ich es einfach blöd. Und meiner Meinung nach müssten sie auch mehr Kassen haben, ich meine es stehen so viele Leute an und man muss unnötig warten, man wird gestresst und das kann auch zu Problemen führen, das ist auch blöd.“ Dieser meist negativ empfundene Erstkontakt mit dem Gartenbad führen die Jugendlichen wie im obigen Beispiel unter anderen auf die materiell-physischen Bedingungen zurück (Enge, zu wenig Kassen). Ebenso spielen aber auch soziale (unfreundliche Kassiererinnen, Konflikte mit anderen Badegästen) sowie symbolische Aspekte (Kauf eines Eintrittstickets) eine Rolle. Weiter wünschen sich alle befragten Jugendgruppen physische Veränderungen, die vor allem darauf abzielen, die vorhandenen Nutzungsmöglichkeiten noch zu erweitern: So fordert eine Gruppe die Einrichtung eines Grillplatzes, mit dem Ziel das Gartenbad als soziale Einrichtung aufzuwerten (vgl. Bach1:476ff); andere Interviewpartner hätten grosse Freude an einer neuen Fall-Rutschbahn, wie sie bereits im Gartenbad St. Jakob gibt (vgl. Bach4:966ff). In der weiteren Diskussion über die Realisierbarkeit dieser Wünsche sind sich die Jugendlichen unsicher darüber, wer ihre Forderungen unterstützen würden und inwiefern ihre Bedürfnisse überhaupt gerechtfertigt seien (z.B. zu gefährlich, zu aufwendig, zu störend, etc.). Es scheint den Jugendlichen demnach eher zu gelingen, die vorhandenen Einrichtungen zu transformieren, als neue Nutzungsmöglichkeiten einzufordern. Physische Aneignung auf der Dreirosenanlage In den Befragungen wie auch Beobachtungen wird offensichtlich, dass die Jugendlichen alle vorhandenen physischen Abschnitte und Einrichtungen der Dreirosenanlage auf vielfältige Weisen nutzen; abgesehen von einem von allen befragten Jugendlichen negativ bewerteten Picknicktisch, der sich unter der Dreirosenbrücke nahe den Graffitis und Abfallcontainern befindet, erscheint ihnen die gesamte Anlage als anregend. So werden unzählige Orte zum passiven Verweilen aufgesucht: auf der Wiese Liegen, auf den Treppen vor dem Jugendtreffpunkt Sitzen, sich auf den vielen Sitzbänken Niederlassen und Reden, auf dem Hartplatz Herumstehen und Plaudern und vieles mehr. Die soziale Komponente dieser Form der physischen Aneignung spielt dabei eine bedeutsame Rolle, da die Aneignung der physisch-materiellen Elemente dem sozialen Austausch in der Jugendgruppe dient. Abgesehen davon nutzen die Jugendliche die Dreirosenanlage vor allem für sportliche und spielerische Betätigungen (Fussball, Basketball, Tanzen, Verstecken spielen, etc.). Aus den Beobachtungen wie auch den Interviews ist abzuleiten, dass sich diese aktive Form der physischen Aneignung auf einem breiten Spektrum vom ehrgeizigen Training über den spielerischen Wettbewerb bis zum ausgelassenen Rumtollen erstreckt. Die Vermischung von physischer und sozialer Aneignung wird auch hier evident. Während des physisch orientierten Spielens oder zwischen zwei Spielphasen treten immer wieder soziale Aspekte in den Vordergrund: So nimmt die Begegnung von Basketballspielenden nach einem konzentriertem Spiel auf dem Hartplatz eine gesellige und räumlich verzettelte Form an, sie 103 lachen und scherzen in kleinen Gruppen und zeigen sich gegenseitig Balltricks vor, um sich dann im Anschluss erneut zu einem gesammelten Spiel zusammenzufinden. Der Hartplatz wirkt demnach verbindend, er verknüpft die unterschiedlichen Funktionen (spielerische Betätigung, Ort des Zusammenseins sowie Repräsentation der eigenen Fähigkeiten) miteinander und erlaubt somit eine vielseitige Nutzung (vgl. Beo_Drei2). Eine andere beobachtete Gruppe vor dem Jugendtreffpunkt weist ebenfalls ein paralleles Auftreten von spielerischen und sozialen, von aktiven und passiven Tätigkeiten auf (Beo_Drei1:4): „Das Gruppenverhalten ist von Bewegung geprägt: Selten bleibt ein Gruppemitglied für längere Zeit an einem Ort, sondern es herrscht ein immerwährender Wechsel zwischen Sitzen, Stehen, Umhergehen oder eben auch Ballspielen oder Fahrradfahren. Dabei bleiben die sich in Bewegung befindenden Jugendlichen stets in Kontakt mit den weniger mobilen Jugendlichen, immer wieder kehren sie zurück und klinken sich in die Gespräche ein. So nimmt die Gruppe insgesamt etwas eine Fläche von 18m2 ein. Dabei gruppieren sich die Jugendlichen an der Treppe relativ eng beieinander: […] Diese Szene alleine betrachtet würde den Eindruck erwecken, die Jugendlichen nutzen den Raum lediglich passiv und sie seien auf engen Raum begrenzt. Die Beweglichkeit der Gruppenmitglieder und insbesondere auch ihre mobilen Elemente (Fahrrad, Fussballspiel) machen aber deutlich, dass sie vielmehr Raum greifend agieren, ihn aktiv nutzen und stets in Bezug zu den sozialräumlichen Bedingungen auftreten.“ Obschon sich die Mehrheit dieser 14-köpfigen Jugendgruppe dem Raum gegenüber eher passiv verhält, werden sie von den raumgreifenden Jugendlichen (zwei mit einem Fussball spielende Jungen, ein Junge auf einem BMX fahrend) sowohl in physischer als auch in sozialer Hinsicht in Bewegung gehalten: Ihre Form der aktiven Raumnutzung prägen die Diskussionsthemen und das Gruppenverhalten der Jugendlichen mit. So animiert ein Fussballspielender beispielsweise einen anderen Knaben dazu, sich mit ihm im Balljonglieren zu messen (vgl. Beo_Drei1:7), oder der Junge auf dem Fahrrad provoziert die sitzenden Madchen so weit, dass eines davon aufsteht und ihm hinterher rennt (vgl. Beo_Drei2:4). In diesem Sinne verbindet das physische Aneignungsverhalten Einzelner die Gruppe untereinander und erweist sich als für den gesamten Sozialraum prägend. Indem die Aktiven die von den Jugendlichen genutzte Fläche vor dem Jugendtreffpunkt mal zu einem Spielfeld, mal zu einem Ort des Wettbewerbs machen, variieren sie auch die Funktion dieses Raumabschnitts und ihre Beziehungen darin. Ein drittes Beispiel macht indes deutlich, wie das Tanzen als eine Form der Aneignung auf der Dreirosenanlage ebenso eine repräsentative Komponente aufweist (Drei2:162): „Ah, eben einmal waren diese Jerkers50 hier in der Mitte, also nicht die Capkidz sondern die Kleineren [Young Capkidz], jerkten irgendwie rum, dann kamen ich 50 Das Jerken ist ein amerikanischer Tanzstil und kann als eine Jugendkultur charakterisiert werden. Nach Angaben einer befragten Jugendgruppe, die sich selber als Jerkcrew (Capkidz bzw. Young Capkidz) bezeichnet und bereits an mehreren Tanzwettbewerben teilgenommen hat, ist dieser Tanzstil in der Schweiz nicht verbreitet; in Basel existiere nur auf der Dreirosenanlage so etwas wie eine Jerkkultur, die aktiv gelebt würde (vgl. Drei1). 104 JUGENDÖFFENTLICHKEIT und Steffi und tanzten mit, sagten immer "Ja, also bring mir das bei" wir konnten eh schon alles und dann waren hier so andere Leute, die uns die ganze Zeit zuschauten, und dann hörten sie nicht mehr auf und dann rannten wir hier so rum und hatten voll den Spass zusammen, gell? (Person 4: Ja.) Waren glaub ich sogar (Wafers?) oder so, glaube ich, weiss auch nicht, und dann standen die Typen hier auf, fingen auch an zu tanzen und dann flippte ich aus, weil ich hasse es, wenn ich am Tanzen bin und dann schaut man mich und dann tanzt man auch, dass ist dann so wie ein Battle.“51 51 Unter einem Battle ist ein (institutionalisierter oder informeller) Tanzwettbewerb zu verstehen, bei welchem die Beteiligten nacheinander vor Publikum tanzen und dabei ihre tänzerischen Fähigkeiten messen. 105 Abbildung 9: Aneignungsplan Dreirosenanlage 106 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Ein weiteres Charakteristikum des physischen Aneignungsverhaltens von Jugendlichen auf der Dreirosenanlage ist neben der sozialen Vernetzung ebenso ein grenzüberschreitendes Verhalten. Mehrmalig konnte beobachtet werden, wie die einzelnen Raumabschnitte des Geländes durch die Handlungen der Jugendlichen miteinander verbunden werden, beispielsweise durch ein raumgreifendes Fussballspiel über die Grünfläche hinaus, in der Form von der Durchquerung des Geländes zu Fuss oder per Fahrrad oder durch körperliche Bewegung über den Standort der Gruppe hinaus. Territoriale Besetzungen werden von den befragten Jugendlichen nicht genannt und sind auch nur selten zu beobachten (vgl. Beo_Drei3). Die Situationen, in welchen Besetzungen auftreten, zum Beispiel vor dem Jugendtreffpunkt (vgl. Beo_Drei1) oder während des Basketballspiels auf dem Hartplatz (vgl. Beo_Drei2), sind meist temporärer Art und werden durch Raumgreifende und verbindende Aneignungsformen aufgelockert. Zusammenfassend werden die vorhandenen physisch-materiellen Strukturen (Sport- und Spielplätze, Sitz- und Liegeflächen, Jugendtreffpunkt inkl. Infrastruktur) von den Jugendlichen ohne Schwierigkeiten angeeignet. Die physische Aneignung ist durch Bewegung, Ausdehnung und Verbindung gekennzeichnet, was davon zeugt, dass sich die Jugendlichen frei von physischen Einschränkungen bewegen können. Wie die Beispiele verdeutlichen, wird das gesamte Areal von jugendlichen Aneignungsverhalten überspannt, beinahe alle möglichen Raumausschnitte können genutzt werden. Die Ausprägung dieser Form der Aneignung lässt sich anhand der Weiterführung des ersten Beispiels erörtern: Wie beschrieben hält sich die grosse Jugendgruppe im Eingangsbereich des Jugendtreffpunktes auf und verweilt dort beinahe eine ganze Stunde. Nach und nach verlassen einzelne Gruppenmitglieder den Standort und gesellen sich zu an anderen Orten stationierten Jugendlichen. Nach der Auflösung der Gruppe zeigt ein Standortwechsel der Beobachterin (auf die Dreirosenbrücke mit Sicht von oben auf den gesamten unteren Bereich der Dreirosenanlage) auf, dass sich die zuvor beobachteten Jugendlichen an einer neuen Stellung, konkret auf dem geteerten Weg auf der dem Jugendtreffpunkt gegenüberliegenden Längsseite formieren und sich mit neuen Jugendlichen aus anderen Richtungen treffen: „Auffallend ist an dieser Stelle die sich wechselnde Bewegung der Gruppenmitglieder zwischen Dispersion und Konzentration: Nachdem sich die Gruppe über eine Stunde hinweg beinahe aufgelöst hat, findet sie auf spontane Art und Weise wieder zusammen. Aus der Vogelperspektive lässt sich nun erneut beobachten, was bereits beim ersten Standort deutlich wurde: Die Dynamik und Beweglichkeit der Jugendlichen ist sehr hoch, immer wieder formieren sie neue Untergruppen, um sich nur kurz darauf wieder in neuen Konstellationen zusammenzufinden“ (Beo_Drei1:12f). Die physischen Aneignungsformen sind von einer starken Identifikation der Jugendlichen mit der Dreirosenanlage geprägt. Die Jugendlichen fühlen sich sehr wohl hier, schätzen die Nutzungs- und Kontaktmöglichkeiten und einige verbringen einen Grossteil ihrer Freizeit auf dem Gelände: „Interviewerin: Und wann seid ihr denn so typischerweise hier? Person 5: /Person 4: Jeden Tag (lachen)“ (Drei2:37). Es nur einige wenige materiell-physische Raumausschnitte (Längsverlaufende Flüsschen und die angrenzende Dreirosenbrücke), die 107 von einer Mädchengruppe als negativ bewertet werden; sie schränken jedoch die Aneignungschancen der Mädchen nur geringfügig ein (vgl. Drei3). Analyse der physischen Aneignung in öffentlichen Räumen Versucht man die überaus vielseitige Aneignungspraxis der einzelnen Jugendgruppen in den unterschiedlichen öffentlichen Räumen zu verallgemeinern, dann lassen sich drei Ausprägungen von Aneignung voneinander unterscheiden: Reproduktion räumlicher Bedingungen: Viele der beobachteten und erfragten Handlungen Jugendlicher in öffentlichen Räumen bewegen sich im Rahmen der von den räumlichen Strukturen vorgegebenen Bedingungen. Konkret kann man hier von einer aktiven oder passiven Nutzung öffentlicher Räume sprechen, die in erster Linie die vorhandenen räumlichen Strukturen reproduziert. Dies gilt typischerweise für die Dimension der physischen Aneignung, da diese direkt auf die Ausstattung eines öffentlichen Raumes Bezug nimmt. In wenigen Fällen wurde durch die Jugendlichen das materiell-physische Substrat eines öffentlichen Raumes direkt verändert. Auch im Bezug zu den normativen und kulturellen Strukturen lässt sich feststellen, dass Jugendliche die räumlich eingelagerten Normen- und Symbolsysteme übernehmen und reproduzieren. Dies gilt beispielsweise für die Einhaltung gewisser vorgegebenen Regeln oder die Orientierung an herrschenden Normensystemen wie das geschlechtliche Rollenverständnis. Die Reproduktion räumlicher Bedingungen ist jedoch nicht als minderwertig oder folgenlos zu verstehen, denn die Jugendlichen leisten dadurch ihren spezifischen Beitrag zur Unterstützung der räumlichen Ordnung (Ruhe, Sicherheit, etc.) sowie zur Aufrechterhaltung der in den Räumen verorteten gesellschaftlichen Strukturen (Normensystem, Wertesystem, Umgangsformen, etc.). Transformation räumlicher Bedingungen: Die Analyse der Ergebnisse hat gezeigt, dass gewisse Handlungen von Jugendlichen in öffentlichen Räumen darauf abzielen, die vorhandenen räumlichen Strukturen zu verändern. Dabei eignen sich alle untersuchten Aneignungsdimensionen dazu, auf das räumlich Gegebene aktiv Einfluss zu nehmen. Die physischen Aneignungsformen wie Ausdehnen, Bewegen, Verbinden oder Besetzen sind beispielsweise typische Verhaltensweisen von Jugendlichen, die auf die Umnutzung der materiell-physischen Ausstattung eines öffentlichen Raumes abzielen. Aber auch indem Jugendlichen ihre sozialen Beziehungen in öffentliche Räumen pflegen und dort ihr Beziehungsnetz erweitern, formen sie das soziale Setting: Durch ihre Anwesenheit sowie durch ihre Handlungen verändern sie die Atmosphäre eines Raumes und im Rahmen von Interaktionen mit anderen Nutzergruppen gestalten sie die im öffentlichen Raum verorteten sozialen Beziehungen. Ebenso können die jugendspezifischen Ausdrucksweisen, gerade weil sie für anderen Nutzergruppen sicht- und hörbar sind, das in den öffentlichen Räumen eingelagerte Symbolsystem transformieren, beispielsweise wenn die Dreirosenanlage zur Tanzbühne und somit Jugendkultur vor einem breiteren Publikum thematisiert wird. Schliesslich wurden zahlreiche Beispiele aufgeführt, die belegen, wie Jugendliche das normative Setting eines öffentlichen Raumes umgehen, verzerren oder auch 108 JUGENDÖFFENTLICHKEIT eigenständig gestalten. In diesem Zusammenhang sind öffentliche Räume als Möglichkeitsräume zu bezeichnen, welche den Jugendlichen selbstständige und selbstwirksame Handlungen gestatten (vgl. Kap. 6.3.). Opposition gegenüber räumlichen Bedingungen: Während es sich bei den oben aufgeführten transformativen Praktiken um Aneignungsmöglichkeiten handelt, können räumliche Strukturen die jugendliche Aneignungspraxis auch einschränken. Einige Jugendliche akzeptieren diesen Zwang, bewerten ihn neutral bis positiv (z.B. normatives Setting auf der Dreirosenanlage, Geschlechtsrollenverständnis im Gartenbad Bachgraben…) und/oder hinterfragen ihn kaum. Andere Heranwachsende hingegen stellen sich direkt oder implizit gegen vorhandene räumliche Strukturen und kritisieren offen, was ihnen daran nicht gefällt. Man könnte sich nun vorstellen, dass solche Konstellationen zu offenen Konflikten in öffentlichen Räumen führen oder dass darauf zumindest eine Artikulation jugendlicher Wünsche erfolgt. Die Untersuchungsergebnisse geben jedoch relativ wenig Hinweise auf opponierendes Verhalten von Seiten der Jugendlichen. Zwar kann belegt werden, dass Jugendliche Strategien entwickeln, um mit möglichen Einschränkungen umzugehen (z.B. Ausweichstrategien der Raucherinnen im Gartenbad Bachgraben, Meidung von erwachsenen Drogenkonsumenten auf der Dreirosenanlage…), ein Versuch, die vorhandenen Strukturen aktiv anzugreifen, bleibt jedoch aus. Dies zeigt sich auch darin, dass die Jugendlichen im Bezug zu ihren Veränderungswünschen eher pessimistisch eingestellt sind, da sie nicht davon ausgehen, dass ihre Visionen von anderen mächtigeren Nutzergruppen geteilt würden. Deshalb kann auch von einer gewissen Stabilität räumlicher Strukturen gesprochen werden, da sie nur selten direkt angegriffen werden. 5.2 Jugendöffentlichkeiten zwischen Sichtbarkeit und Privatheit Im folgenden Kapitel werden die sozialen Aneignungsformen der Jugendlichen in den drei Untersuchungsgebieten dargestellt und im Abschnitt zur Analyse zu einem Spektrum zwischen sichtbaren und privaten Handlungen verdichtet werden. Dabei fliessen neben der sozialen Aneignung auch repräsentative Verhaltensweisen in die Analyse mit ein. Soziale Aneignung auf dem Barfüsserplatz: Wie im Aneignungsplan zum Barfüsserplatz (Abb. 7) ersichtlich, lassen sich drei zentrale Aneignungsformen identifizieren, die von unterschiedlicher Bedeutung für die jugendliche Lebenswelt auf dem Barfüsserplatz sind. Erstens ist der Barfüsserplatz Ort des Konsums, der vorwiegend in der Gruppe stattfindet. Es ist verbunden mit dem gemeinsamen Gespräch oder Zusammensein. Der Konsum stellt dabei auch ein wichtige Form der symbolischen Aneignung dar: Jugendliche auf dem Barfüsserplatz verpflegen sich an ganz bestimmten Orten (McDonalds, Dönerbox, Has Sofra, Papa Joe’s, Lolipop, etc.) (vgl. Beo_Barf_Transit:2/26), die für sie sowohl eine Identitätsstiftende Funktion einnehmen als auch Ausdruck des eigenen Lebensstils sind. 109 Zweitens wird der Barfüsserplatz für viele Jugendliche mit besonderen Veranstaltungen in Verbindung gebracht: „Hm, also für mich der Barfüsserplatz hat für mich eine Bedeutung wenn zum Beispiel der FCB Schweizer Meister ist. Und ja, dass man diesen, dass man auf dem Barfi feiern kann und dass wir alle dann Spass haben und so weiter. Und auch hier, auch das JKF komme ich gerne hierher und ja. Es ist alles, was mir gefällt, Fasnacht, genau“ (Barf2:2). Gerade solche Anlässe ermöglichen es gemäss den Jugendlichen, mit anderen Gleichaltrigen in Kontakt zu treten, andere Leute zu beobachten oder spontan Bekannte zu treffen (Barf3:18ff): „Person 1: Und einfach du triffst viele Leute, die du ansonsten nicht so treffen würdest. Interviewerin: Zum Beispiel? Person 1: Ja, Leute zu denen du sonst nicht so Kontakt hast, aber dich freust, wenn du sie wieder einmal siehst. Person 3: Ja so Leute, die man auch schon von anderen Festivals schon kennen gelernt hat, sieht man dann wieder, dass ist einfach mega lustig dann“ Drittens ist der Barfüsserplatz ein Treffpunkt für alle befragten Jugendlichen: „Oder einfach mit denen, welche, wenn man irgendwie einmal abmacht und man sagt man trifft sich in der Stadt, sagt man automatisch ja, ‚Komm wir treffen uns am Barfi’. […]52 Es ist derjenige Punkt, wo die Stadt wie ein wenig anfangt, aber doch auch ein Mittelpunkt ist“ (Barf3:171). Als Treffpunkt ist der Barfüsserplatz deshalb geeignet, weil er erstens im Mittelpunkt steht, was einerseits auf einen Punkt in der Mitte der Stadt verweist, aber auch derjenige Punkt ist, der für alle am nächsten ist (zentral). Mittelpunkt rekurriert gleichzeitig auch auf die herausragende Bedeutung des Barfüsserplatzes, als ein Ort, der im Mittelpunkt steht. Zweitens ist der Barfüsserplatz der Anfang der Stadt: Er ist dort, wo die Stadt beginnt, dort wo man im Gegensatz zum Wohnquartier in oder ausserhalb Basel in das urbane Leben eintritt; er ist der Eingang, das Tor in eine andere Umgebung mit besonderen Funktionen (Shoppen, Treffen, Essen gehen, etc.). Anhand der Beobachtungen und Interviews lassen sich zwei unterschiedliche Muster des „Sich-Treffens“ unterscheiden: Diejenigen Jugendlichen, die mit einer bestimmten Absicht auf den Barfüsserplatz kommen, verweilen nur selten länger am Treffpunkt; nach der Begrüssung und einigen Worten gehen sie weiter (Barf1:218): „Person 3: Ich treffe mich meistens mit einem Kollegen nach dem Schwimmen hier, aber ansonsten niemand. Interviewerin: Ok, und dann treffen wirklich um hier einfach hier zu bleiben oder geht ihr nachher weiter von hier? Person 3: Wir gehen dann eigentlich gehen wir immer vor dem Schwimmen gehen wir früher hierher, machen irgendwas und dann gehen wir ins Schwimmen dort hinauf zur Rittergasse, dann kommen wir wieder hierher zurück und sind 52 Da gemäss den Transkriptionsregeln folgendes Zeichen (…) zur Darstellung einer Sprechpause verwendet wurde, wird bei den folgenden Zitaten aus den Transkripten folgendes Zeichen […] verwendet, um die Kürzung eines Zitates anzugeben. 110 JUGENDÖFFENTLICHKEIT dann noch ein wenig hier und dann gehen wir mit dem 11er wieder zurück nach Hause.“ Davon zu unterscheiden sind diejenigen Jugendlichen, welche sich ohne erkennbare Absichten auf dem Barfüsserplatz aufhalten und spontan Freunde antreffen. Sie nutzen die Zentralität des Platzes als Gelegenheitsstruktur, Bekannte zu treffen. So positioniert sich beispielsweise eine beobachtete Gruppe am Geländer der Tramhaltestelle und kommt damit regelmässig in Kontakt mit anderen vorbeigehenden oder aus dem Tram steigenden Jugendlichen. Diese Kontakte sind meistens von kurzer Dauer und bestehen aus Begrüssung, kurzem Gespräch und einer Verabschiedung. Der Standort gilt somit als Ort, wo man andere Bekannte mit hoher Wahrscheinlichkeit antreffen kann, weil er sich im Zentrum des Platzes und an der Verkehrsdrehscheibe Tram befindet (vgl. Beo_Barf_Liminal:11-14). Der Barfüsserplatz bietet den Jugendlichen die Möglichkeit, positive soziale Kontakte insbesondere zu anderen Jugendlichen zu erleben und zu pflegen und sich in der Gruppe auszutauschen. Der Barfüsserplatz stellt aber auch die Gelegenheiten zur Verfügung, sich zur Gesellschaft als Ganzes in Bezug zu setzen: Er ist ein „Hotspot eigentlich von Basel, wo man sich halt trifft und wo man halt dann hingeht“ (Barf4:311), wo man Teil der Stadt und seines dichten sozialen Netzwerks werden kann. Die uneingeschränkte (auch weil nicht gebührenpflichtig) Teilhabe am soziokulturellen Leben von Basel ist für die meisten untersuchten Jugendlichen deshalb bedeutsam. Auf der anderen Seite erleben Jugendliche auf dem Barfüsserplatz, wenn auch selten, ab und zu bedrohliche Situationen mit andere Menschen: So nennt eine Gruppe die Angst vor Schlägereien, ein Mädchen erzählt, wie sie im Coop mit dem Messer bedroht wurde, ein Junge beschreibt sein Unbehagen, wenn er auf Drogenabhängige trifft oder sich mit „komischen“ Menschen auseinandersetzen muss. Gerade aber die soziokulturellen Events, welche die Jugendlichen so schätzen, bergen in sich auch das Potential des Kontrollverlustes, weil so viele Menschen auf einem Ort versammelt sind. So beschreibt ein Junge, der ansonsten begeisterter Besucher der Meisterfeier des FCB ist, ein negatives Erlebnis auf dem Barfüsserplatz (Barf2:110): „Person 1: Also ich bin mitten drin gestanden, dort wo sie Bengalen anzünden, jedes Mal, wenn es geklöpft hat, bin ich in die Knie gegangen (hebt Hände schützend über Kopf) und die Kollegin hat gesagt „Gable, was ist mit dir?" und so weiter „Ja, musst keine Angst haben, macht doch nichts, klöpfen nur" und „Ah ja ja ist gut". Aber ich hatte Angst ich musste allewiil hinuntergehen. […] Habe Angst gehabt, dass ich einen auf den Kopf bekomme.“ Soziale Aneignung im Gartenbad Bachgraben Wie im Aneignungsplan zum Gartenbad Bachgraben (Abb. 8) ersichtlich nennen die befragten Jugendlichen zwei zentrale soziale Aneignungsformen: Erstens das gemeinsame Chillen und zweitens der Austausch mit andere Mädchen beziehungsweise Jungen. Die beiden anderen genannten Aneignungsformen wurden bereits unter der physischen Aneignungsdimension erörtert, verweisen aber ebenso auf die von den Jugendlichen genannten sozialen Aktivitäten. 111 Das gemeinsame Chillen mit Freunden kann unterschiedliche Bedeutungen für die Jugendlichen haben: Erstens verweist es auf einen sozialen Austausch innerhalb der Gruppe (Bach3:145ff): „Person 2: Also Chillen, was versteht sich unter Chillen? Person 3: Einfach reden und so. Interviewer: Kannst du das noch in Klammer schreiben, was das alles genau. Person 2: Reden, austauschen, lachen, weiss doch nicht, einfach alles Mögliche. Person 4: Reden, lachen. Person 3: Erzählen.“ Diese Mädchen beschreiben in ihren weiteren Ausführungen die Vielfalt dieses Austausches, der neben dem Erzählen von Neuem und Erlebten ebenso den Austausch von Geheimnissen und Intimitäten beinhaltet, aber auch das gemeinsame lachen und schwatzen. Das Gartenbad Bachgraben scheint für diese Jugendliche der ideale Ort zu sein, um unbeschwert mit Freunden und Freundinnen reden zu können. Chillen beschreibt demnach zweitens auch eine beliebte Form der Entspannung: „Und das Bachi ist einfach für mich einen Ort, wo ich einfach ausruhen kann, chillen, mit Kollegen zusammen reden und so“ (Bach3:2). Diese Momente der Erholung, welche die befragten Jugendlichen im Gartenbad erfahren, hängen eng mit ihrer normativen Aneignung zusammen, nämlich dass sich die Jugendlichen trotz der starken Regulierung im Gartenbad frei von alltäglichen Stresssituationen fühlen (mehr dazu s. Kap. 5.3.). Ebenso haben die Jugendlichen im Gartenbad die Möglichkeit, auch einfach das zu tun, worauf sie Lust haben: Schwatzen, Rumliegen, Musik hören, die Sonne Geniessen, etc. Drittens nutzen gewisse Jugendliche das Gartenbad auch dazu, in der Gruppe zu Rauchen und Alkohol zu Trinken. Insbesondere das gemeinsame Shisha-Rauchen hat für eine befragte Jugendgruppe eine zentrale Bedeutung für das Zusammensein: „Aber zum Beispiel ja grün [auf dem Aneignungsplan] ist eigentlich eine, wo man so raucht, sauft ein wenig, Shisha raucht, alles allgemein. Wenn sie jetzt mal eine Runde drehen würden, dann würden sie sehen, dass viele Jugendliche hier Shisha am Rauchen sind“ (Bach1:106). Während das gemeinsame Chillen eine stark nach innen gerichtete Form der sozialen Aneignung beschreibt, verweist der Umgang mit anderen Jugendlichen und insbesondere mit dem anderen Geschlecht eine starke Aussenorientierung auf. Im Generellen scheint das Gartenbad Bachgraben ein potentieller Ort zu sein, um andere Jugendliche kennen zu lernen, obschon die Möglichkeiten dazu stark von der sozialen Vernetzung im Quartier sowie der Offenheit der Jugendlichen selber abhängt: Während beispielsweise die Mädchen einer Gruppe immer wieder mal neue Leute kennen lernen, die sie beispielsweise schon mal im Jugendtreffpunkt des Quartiers oder in der Schule gesehen haben, scheinen andere befragte Mädchen nur selten neue Kontakte zu knüpfen, mitunter auch deshalb, weil sie weder das Bedürfnis dazu haben noch über mögliche Kontaktpersonen verfügen. Ebenso verhält es sich beim spontanen Treffen von Bekannten: Diejenigen Jugendliche, die sozial und lokal vernetzt sind, treffen immer wieder auf Kolleginnen oder Kollegen, ohne dass sie zuvor miteinander abgemacht hätten (Bach3:7f): 112 JUGENDÖFFENTLICHKEIT „Person 4: Und ja, eben so mal zufällig Kollegen antreffen, das ist halt noch toll, auch wenn man gar nicht abgemacht hat. Es ist lustig einfach. Person 2: Wir haben zum Beispiel gar nicht abgemacht, ich habe gar nicht gewusst, dass sie hierher kommt. Wir zwei waren hier, dann haben wir sie einfach gerade gesehen und ja.“ Eine weitere Möglichkeit, Kontakte im Bachgraben zu knüpfen, besteht in der Nutzung von Facebook. So erzählt ein Mädchen, wie sie vom Facebook bekannte Personen im Gartenbad zufällig trifft und dadurch den bis anhin virtuellen Kontakt persönlich vertiefen kann: „Manchmal ist es bei auch so, per FACEBOOK, wenn ich irgendein Gesicht sehe und dann kommt er oder sie mich ansprechen "Bist du nicht der oder die?" und dann sage ich "Ja" und dann kommen wir auch nachher ins Gespräch“ (Bach1:178). Generell scheinen die Social Media inklusive Mobiltelefon ein steter Begleiter der Jugendlichen im Bachgraben zu sein: Zahlreiche Beobachtungen und Interviews beinhalten Stellen, an welchen entweder diese Medien benutzt oder zum Thema gemacht werden. Die Jugendlichen scheinen neben der örtlich sozialen Aneignung ebenso eine virtuell vernetzte soziale Aneignung zu betreiben, indem sie über Mobiltelefone und andere Social Media ihre sozialen Handlungen im Gartenbad Bachgraben (Chillen, andere Jugendliche kennen lernen, etc.) durch die Verbindung zum eigenen Beziehungsnetzwerk ausserhalb des Freibades ergänzen und bereichern. Ähnlich wie auf dem Barfüsserplatz treten Jugendliche im Gartenbad Bachgraben nur selten in direkten Kontakt mit anderen ihnen nicht bekannten Nutzergruppen. Dies beruht vor allem auf der räumlichen Trennung des Areals in unterschiedliche Territorien. Ebenso spielen sich zahlreiche Handlungen der Jugendlichen innerhalb der eigenen Peergroup ab; teilweise sogar versteckt und ohne grössere Aufmerksamkeit anderer. Häufig nutzen sowohl Mädchen als auch Jungen die freizügigere und ungezwungenere Atmosphäre des Freibades um sich im Umgang mit dem anderen Geschlecht zu üben (Bach4:333ff): „Interviewerin: […] Was, gibt es da einen Unterschied Typen beobachten in der Badi und Typen beobachten eben in der Schule? Person 2: In der Badi haben sie kein T-Shirt an. (lachen) Person 4: Dann sieht man, wer Muckis hat und wer nicht. Person 2: Also wer trainiert und wer nicht trainiert. Person 3: Genau wer trainiert, wer Sport macht. Das ist wichtig.“ Einige Jugendliche trauen sich nur aus der Distanz zu beobachten, andere sind mutiger, suchen den Blickkontakt, sprechen ein Mädchen oder einen Jungen auch mal an oder flirten offensiv (Anmachsprüche, körperlich näher kommen, etc.) (Bach3:262ff): „Interviewerin: Ok, und wie funktioniert so das flirten hier am Rändchen? Wie muss ich mir das vorstellen? 113 Person 2: Vielleicht von weitem anschauen und sagen ‚Eh, der hat einen geilen Sixpack’ und so. Person 1: Und ja vielleicht wenn wir im Wasser sind, einmal so extra aus Versehen an ihn ranschwimmen und so ja Weg blockieren oder so und dann entschuldigen und so auch. Person 2: Augenkontakt. Person 4: Ohne einfach so tun, als hätten wir es nicht extra gemacht und so. Person 1: Und irgendwie Augenkontakt suchen. Interviewer: Und das funktioniert? Person 1: Ja, öfter. Person 4: Nicht immer. Person 3: Aber meistens.“ Einige Jugendliche erzählen, wie sie einen Jungen oder ein Mädchen hier im Gartenbad kennen lernten und sich daraus auch eine Liebesbeziehung entwickelte, andere wiederum berichten nicht ohne Stolz, dass sie im Freibad auch sexuell aktiv waren. Im Allgemeinen bietet die besondere Atmosphäre im Freibad optimale Bedingungen, ungehemmt auf andere Mädchen oder Jungen zuzugehen (Bach2:198ff): „Person 1: Also im Schwimmbad, sonst noch, ich habe einfach das Gefühl, die hübschen Frauen kommen auch ins Schwimmbad nicht nur weil sie sich einfach abkühlen wollen oder so oder sich sonnen, die kommen auch an Interesse für andere Typen. Wollen vielleicht jemanden kennen lernen, wollen hübsche Typen sehen und so, und wir Männer denken halt auch genau gleich, wir kommen hierher, sind ein wenig cool und so, ziehen uns ein wenig gut an, sehen gut aus und wollen auch andere Frauen kennen lernen und sie ansprechen und. Interviewerin: Aber kann man das, ist das speziell gut dieser Ort, die Badi für das, im Gegensatz zu anderen Orten? (Person 1:/Person 3: Ja.) Wieso denn? Person 3: Hier sind alle offen, alles offene Menschen, also offene Menschen, ich sage nicht. Aber hier merkt man wie sie sind, das merkt man gerade. Interviewerin: Und wie merkt man das? Person 1: Man kann sich einfach näher kommen und so, man redet zusammen und so, dann geht man zusammen ins Wasser, fasst sich an. Person 3: Dann spürt man ein wenig. (...) Draussen können wir doch nicht so nebendran so einfach anfassen, oder? Es geht nicht. Interviewer: Aber hier ist es möglich? Person 3: Hier ist es eben möglich, vielleicht kann man sagen, also, ‚Sorry, ist nicht extra passiert’ so etwas. Oder wenn wir so ein Wasserteil haben, können wir sie anspritzen und können wir sagen ‚Sorry, mein Kollege ist (unv.), sorry’." 114 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Zahlreiche Aussagen insbesondere von Mädchen zeigen aber auf, dass speziell diese Offenheit immer wieder auch Grenzüberschreitungen provoziert, die dann zu unangenehmen Situationen führen können (z.B. Belästigungen durch Jungen, vgl. Bach3:77ff). Aufgrund der unterschiedlichen Einstellungen und Erfahrungen der befragten Jugendlichen lassen sich teilweise sehr unterschiedliche und auch widersprüchliche Wahrnehmungen dieses geschlechtsspezifischen Verhaltens ableiten, welche unter Kapitel 5.5. näher betrachtet werden sollen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die sozialen Bedingungen im Gartenbad Bachgraben es den Jugendlichen ermöglichen, sowohl nach innen gerichteten Austausch (Chillen, etc.) als auch nach aussen gerichtete Interaktionen, insbesondere mit dem anderen Geschlecht, zu pflegen. Dafür konzentrieren sich die Jugendlichen in ihrer sozialen Aneignung oft auf die von ihnen physisch angeeigneten Strukturen, also auf die Jugendwiese sowie auf die beiden grösseren Becken (vgl. Aneignungsplan). Dabei stellen gerade die vorhandenen physisch-materiellen Anordnungen wie die Treppen und Betonflächen rund um die Becken optimale Bedingungen zum gegenseitigen Beobachten und Kommentieren dar. Soziale Aneignung auf der Dreirosenanlage Wie dem Aneignungsplan zur Dreirosenanlage (Abb. 9) zu entnehmen ist, suchen Jugendliche diesen Ort auf, um mit anderen Jugendlichen gemeinsam die Freizeit zu verbringen. Neben den spielerischen und sportlichen Tätigkeiten ist für die befragten Jugendliche das gemeinsame Chillen von Bedeutung, was ähnlich wie bei den anderen Untersuchungsräumen eine Bandbreite von Aktivitäten beinhaltet (sich austauschen, reden, singen, lachen, essen, entspannen, Musik hören, rauchen, etc.). Dabei ist zu beobachten, dass sich die Gruppendynamik oft wellenartig in der Form von Stimmungsschwankungen zwischen ruhigen, in sich gekehrten und lauten und beinahe aggressiven Ausprägungen hin und her bewegt oder vielfältige Stimmungsfacetten (friedlich, spielerisch, lustig, kämpferisch, energisch, etc.) aufweist (vgl. Beo_Drei1, Beo_Drei4, Beo_Drei5). Auffallend ist ebenso ein zum Teil polarisierendes Verhalten der Jugendlichen: „Während die Gruppen in einem Moment noch friedlich diskutiert, werden im nächsten Moment harsche Worte ausgetaucht. So schwankt auch die Stimmung innerhalb der Gruppe schnell und erscheint unstet“ (Beo_Drei1:5). Auf diese Form der sozialen Auseinandersetzung wird unter dem Abschnitt zu Aneignungschancen und –restriktionen auf der Dreirosenanlage weitergehend eingegangen. Schliesslich stellt das gemeinsame Chillen für eine interviewte Mädchengruppe einen Ausgleich zum Alltagsstress dar (Drei2:432ff): „Interviewerin: Könnt ihr noch so ein wenig sagen, was Chillen so beinhaltet? Was heisst das genau? […] Person 1: Entspannen. […] Person 3: Musik hören, reden und so, gemütlich. Person 4: Nicht an die Schule denken. Person 3: Genau. Person 4: Kein Stress.“ 115 Zweitens dient die Dreirosenanlage vielen Jugendlichen als Treffpunkt, wobei sich der Jugendtreffpunkt als der wichtigste Sammelpunkt auf dem Gelände erweist: „Es ist halt das Jugi Dreirosen und alle sind drinnen, spielen, alle halt tanzen, alles. Also dort kommen die meisten rein und nachdem kommen sie hier raus“ (Drei2:124). Das Besondere am Jugi ist demnach zweierlei: Erstens kommen alle hierher, man kann hier bekannte Leute treffen und Neue kennen lernen. Zweitens kann man hier alles machen, alles wonach die Jugendlichen Lust hat und was sie auch gerne tun. Diese beiden Elemente zusammen machen den Jugendtreffpunkt zu einem Orientierungspunkt, wo sich alle und alles konzentriert. Auch wenn man sich nicht unbedingt nur in der Einrichtung aufhält, dorthin begibt man sich als erstes: Er stellt somit die Eintrittspforte ins Dreirosen-Leben dar, wo die Jugendlichen zuerst die Lage sondieren, die Anwesenden auschecken und dann weitere Aktivitäten aufnehmen: „Also wir kommen an, wir reden, begrüssen, schauen wer alles hier ist“ (Drei1:201). Dementsprechend kommen die Jugendlichen vor allem dann auf die Dreirosenanlage, wenn der Jugendtreffpunkt geöffnet ist; wenn er hingegen geschlossen ist, erscheint der Ort den Jugendlichen weniger attraktiv (vgl. Drei3). Generell positionieren sich einige Jugendliche so im Gelände, um sich einen möglichst guten Überblick über die auf dem Areal Anwesenden zu verschaffen: „Ja also, wir können dort hocken und alle, die gehen und kommen, die sehen uns und wir reden so. […] Ja, und wir können immer so reden mit allen und also man verpasst eigentlich keinen, alle die heute hier waren, die sehen wir“ (Drei3:63). Diese Form des „Sehenund-Gesehen-Werdens“ dient im Gegensatz zum Gartenbad Bachgraben weniger repräsentativen Zwecken sondern vielmehr dazu, die Kontaktmöglichkeiten auszuloten und die eigenen Chancen, Bekannte zu treffen, zu erhöhen. Diese Form der sozialen Aneignung basiert demnach auf einem ausgeprägten Bedürfnis, Beziehungen zu anderen Jugendlichen aufzubauen, und wird durch die starke Quartiersorientierung des Platzes gefördert, sodass sich beinahe alle Jugendlichen auf der Dreirosenanlage kennen oder sich zumindest immer wieder dieselben Jugendlichen auf dem Areal aufhalten. Im Gegensatz dazu scheint sich die Dreirosenanlage ebenso dazu zu eignen, neue Leute kennen zu lernen. Dies vollzieht sich einerseits über bereits bestehende Kontakte: „Also ja, es kommt halt darauf an, manchmal kommt eine Kollegin und diese Kollegin kommt mit ihrer Kollegin und dann bin ich mit jemanden anderen und dann ist gerade Kennen lernen. Oder ja, doch es ist eigentlich so, Kolleg, dessen Kollege, dessen Kollege“ (Drei2:482); oder andererseits über gemeinsame Interessen: „Doch, es kommt darauf an zum Beispiel, wenn jetzt irgendjemand einen Tanzschritt macht und dann kommt jemand ‚Wow wie hast du das gemacht, kannst du mir das beibringen?’. Ja und dann kommt man automatisch in Kontakt“ (Drei2:488). Das Tanzen scheint generell eine wichtige Funktion im sozialen Austausch einzunehmen, insbesondere um neuen Kontakte zu knüpfen, aber auch um mit Mädchen zu flirten, wie es die interviewte Jungengruppe beschreibt (vgl. Drei1). Das Tanzen ist ein probates Mittel, um die Aufmerksamkeit und Anerkennung der Mädchen zu erlangen und sich somit eine optimale Flirt-Situation zu schaffen. Die in der Dreirosenanlage eingelagerten sozialen Bedingungen sind wie oben beschrieben von einer sowohl engmaschigen als auch flexiblen sozialen Vernetzung unter den Jugendlichen geprägt. Neben dem gemeinsamen Chillen unter Freunden bietet das Areal den Jugendlichen zahlreiche Möglichkeiten, Kontakte zu anderen Gleichaltrigen aufzubauen und 116 JUGENDÖFFENTLICHKEIT auch aufrecht zu erhalten. Die Atmosphäre beschreiben die meisten Befragten als friedlich und ruhig, die Anwesenden werden als hilfsbereit und nett wahrgenommen (vgl. Drei2:282ff und Drei3:4ff). Im gleichen Masse aber erwähnen die interviewten Gruppen, dass ihr Verhältnis zu den anderen Jugendlichen teilweise von Misstrauen und Vorurteilen geprägt ist (Drei3:392ff): „Person 2: Die meisten denken eben, wenn man jemanden sieht, denkt man gerade das von einem, obwohl es gar nicht stimmt. Und dann denkt er solange an das, bis er dich richtig kennen gelernt hat. […] Person 3: Und dann haben sie meistens auch einen Hass gegen eine Person, aber sobald man ihn kennen lernt, also bei mir ist das immer so, nachdem sie mich kennen lernen, haben sie mich zum Beispiel sehr gerne. Kommen auch immer fragen, was man machen könnte und so. Person 1: […] und ich vertraue auch nicht allen, weil gute Kolleginnen können mal schlechte Kolleginnen werden und gegen diese Schlechten will ich auch nicht immer ganz so gemein sein, die können mal wieder Kollegin werden.“ Alle befragten Jugendlichen erzählen von persönlichen Konflikten und teilweise heftigen Auseinandersetzungen, die sie auf der Dreirosenanlage erlebt haben. Diese Auseinandersetzungen stehen zwar im krassen Gegensatz zu den konfliktfreien sozialen Aneignungsmöglichkeiten, müssen aber nicht zwingend als Restriktionen interpretiert werden. Die Jugendlichen selber sehen darin weder einen zwingenden Grund dafür, sich nicht auf die Dreirosenanlage zu begeben, noch einen bedeutsamen Faktor, welcher die Realisation ihrer Aneignungswünsche verhindert. Abgesehen von den erwähnten Konfliktsituationen unter Gleichaltrigen fühlen sich die Jugendlichen vor allem von Drogenkonsumierenden Erwachsenen in ihrer Aneignung eingeschränkt. Bereits zu Beginn dieses Kapitels wurde der Picknickplatz erwähnt, wo sich gemäss den Befragten hin und wieder „Drögeler und Kiffer“ aufhalten (vgl. Drei1:61ff). Auch aus Beobachterperspektive wirkt dieser Ort für Jugendliche wenig attraktiv: Das Areal „ist charakterisiert durch Schatten und Feuchtigkeit, Randständigkeit und Zurückgezogenheit, mit den Graffitis an der Wand rund um die Kletterhilfen herum wirkt der Ort düster“ (Beo_Drei3:4). Eine Mädchengruppe beschreibt zusätzlich, dass sie regelmässig von betrunkenen Männern oder „Pädophilen“, die sich auf den Treppen zum Rhein hin positionieren, angesprochen und belästigt werden: „Und wenn man vielleicht mal hier vorbei läuft, wird man gerade so angeschaut, so angesprochen und sie haben halt Bierflaschen in der Hand und so. Einfach ignorieren und weitergehen“ (Drei2:114). Schliesslich grenzt sich eine Mädchengruppe explizit vom Kontakt mit Kindern ab, nicht nur weil sie laut sind, sondern vor allem um ungestört zu rauchen und dadurch die eigene Vorbildfunktion nicht zu gefährden (s.o.). All diese genannten Einschränkungen scheinen zum Alltag der Jugendlichen auf der Dreirosenanlage zu gehören und in den Interviews wird deutlich, dass sich die Befragten unterschiedliche Strategien angeeignet haben, mit den erwähnten Restriktionen umzugehen (ausweichen, aushandeln, verhindern…). Zusammenfassend pendelt das soziale Leben der Jugendlichen stets zwischen dem Treffen von Bekannten und dem Kennen lernen von Unbekanntem, zwischen spontanen 117 Interaktionen und geplanten Aktivitäten, wobei sich die Dreirosenanlage als stabiler Rahmen für beide Formen der sozialen Aneignung erweist. Die soziale Vernetzung der Jugendlichen ist demnach das zentrale Charakteristikum dieses Rahmens, die sich sowohl über die Alters- und Geschlechtsgrenzen (vgl. Beo_Drei1, Beo_Drei5, Drei3) als auch über die residentielle Herkunft (vgl. Drei3) oder Interessenlagen hinweg erstreckt (Drei3:173ff und 430): „Interviewerin: Was sind das so für Leute, die ihr hier trifft, woher kennt ihr die? Person 3: Ja einfach, manche kommen von hier, manche kommen von der Schule, manche auch vom Alltag, Facebook oder weiss nicht, sind einfach so Kolleginnen. Das ist nichts Besonderes. Interviewerin: Mädchen, Buben, älter, jünger? Person 2:/Person 3: Alles, egal. […] Person 1: Weil es kommen Skaters, Basketballspieler, Fussballspieler, Jerkers und Hiphop, alles gemischt“ (Drei3:430). Die spielerischen und sportlichen Betätigungen wirken dabei integrativ, der soziale Austausch schafft die Basis für ein breites Zugehörigkeitsgefühl, das nicht zwingend auf einer Freundschaftsbeziehung beruhen muss, sondern ebenso aus einem positiven Gemeinschaftserlebnis erwachsen kann (Drei3:83): „Es war einfach ein Erlebnis, wir gingen mit dem ganzen Jugi nach dort hinten, ein paar zogen Shisha und so und wir waren eigentlich, es waren alles Leute, die wir nicht kannten, aber sie waren irgendwie voll nett, so als würden wir sie schon seit Jahren kennen. Und wir redeten alle zusammen, lachten und eigentlich so, also wir waren alle zusammen“. In diesem Zusammenhang fühlen sich gewisse Jugendliche gegenüber anderen Kindern verpflichtet, ihnen zu helfen, sie bei Problemen zu unterstützen und sie auch aktiv in der Rolle eines Vorbildes anzuleiten (Drei3:356): „Person 1: Und dort ist auch so als wäre das ist unser eigenes Quartier, die müssen wir schützen und wenn man zum Beispiel ein kleines Kind sieht, das wir kennen, ‚Nein nicht rauchen, nicht das’ und so, aber Person 3: Auch wenn wir kommen, einfach so schützen. Person 1: Ihnen immer mal erzählen ‚Nein, das ist nicht so gut’ auch wenn wir sie nicht kennen, wenn wir sie sehen, einfach so mal ansprechen und sagen ‚Ja, wieso macht ihr denn das? Es ist nicht gut’ und so. Person 3: Oder wenn sie sich prügeln, sich einfach mal reinmischen, das klären, damit es nicht so weit kommt.“ Für diese Mädchengruppe, von welcher die letzten beiden Aussagen stammt, kann der Zusammenhalt unter den Jugendlichen auf der Dreirosenanlage sogar die Familienzugehörigkeit ersetzen (Drei3:223): „Person 2: Ja, und hier ist halt sozusagen wie Familie, wenn man Zuhause nicht so Lust hat, ist man hier sozusagen wie Familie, einfach dasselbe Alter. […] 118 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Person 3: Einfach ohne Mutter, Vater, es gibt auch Kolleginnen, die aufeinander schauen. […] Person 1: Oder also die Liebe, die man eigentlich Zuhause nicht hat, bekommt man hier einfach von Kollegen und Kolleginnen.“ Die auf der Dreirosenanlage durchgeführten Beobachtungen zeigen auf, dass die Interaktionen der Jugendlichen mit anderen Nutzergruppen ausgeprägter sind als in den beiden anderen Untersuchungsgebieten. Immer wieder treten die Jugendlichen in Kontakt mit Aussenstehenden (z.B. beim Fussballspielen, vgl. Beo_Drei5 und Beo_Drei4, oder auf dem Hartplatz, vgl. Beo_Drei3) oder werden mit Erwachsenen konfrontiert (z.B. vor dem Eingang des Jugendtreffpunktes, vgl. Beo_Drei1). Auch in den Interviews werden diese Kontakte angesprochen (z.B. Kontakte zur Polizei, vgl. Drei3, oder i.A. mit den Jugendarbeitenden des Treffpunktes). Ebenso sind es öfters diese Jugendgruppen, die das öffentliche Leben auf der Dreirosenanlage prägen, sei es nun aufgrund der räumlichen Ausdehnung oder der erhöhten Lautstärke (vgl. Beo_Drei5), sei es mittels der Besetzung von bestimmten räumlichen Ausschnitten (vgl. Beo_Drei1), oder mit Hilfe von jugendkulturellen Ausdrucksformen wie das Tanzen oder Musik hören (vgl. Drei1, Drei2 oder Beo_Drei1). Teilweise erscheint es so, als dass die Jugendlichen im Austausch mit kleineren Kindern eine dominanten Rolle einnehmen und sich zum Beispiel unaufgefordert in ein Spiel einmischen (vgl. Beo_Drei5, Beo_Drei4) oder sie auch zurechtweisen (vgl. Drei3); gegebenenfalls beruhen solche Verhaltensweisen auch auf dem Fakt, dass es sich um Geschwisterbeziehungen unter den Heranwachsenden handeln könnte. Generell kann davon ausgegangen werden, dass die Jugendlichen dank den bezeichnenden physischen, sozialen, normativen und symbolischen Aneignungsformen einen starken Einfluss auf das öffentliche Leben der Dreirosenanlage nehmen und eine aktive Rolle im Austausch einnehmen. Analyse der sozialen Aneignung in öffentlichen Räumen Die Interaktionen und sozialen Handlungen wie auch die beschriebene Vielfalt der Repräsentationsformen lassen sich so zueinander in Bezug setzen, dass sich ein schlüssiges Bild über die jugendliche Auseinandersetzung mit der Sichtbarkeit in öffentlichen Räumen zeichnen lässt. Wie in Abbildung 10 ersichtlich, spielen sich die soziokulturellen Handlungen im Spannungsfeld zwischen einer privaten und einer öffentlich-sichtbaren Sphäre ab. Die auf die Privatheit bezogenen Handlungen sind zwar nicht unsichtbar, da sie sich im öffentlichen Raum abspielen, lassen sich aber insofern dem Privaten zuordnen, als dass sie sich nach innen auf die eigenen Peergroup richten. Der soziale Austausch unter Freunden steht bei diesen Handlungen im Vordergrund. In der Sphäre der Sichtbarkeit53 hingegen handelt es sich um nach aussen gerichtete Handlungen und Verhaltensweisen. Dabei lassen sich verschiedene Rollen unterscheiden, welche die Jugendlichen im öffentlichen Austausch einnehmen können: In der Rolle des 53 Die Sphäre der Sichtbarkeit umfasst alle Handlungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen, die von anderen Nutzenden des öffentlichen Raumes wahrgenommen werden können. Der Begriff ‚Sichtbarkeit’ meint demnach immer auch ‚Hörbarkeit’. 119 Publikums54 beobachten, bewerten und kommentieren die Jugendlichen das öffentliche Geschehen und bringen eigene Sichtweisen, Geschmacksvorlieben und Vorstellungen beispielsweise von Geschlecht oder Jugendkultur in Bezug zu ihrer Umwelt. Das Imitieren anderer Anwesenden (z.B. beim Tanzen auf der Dreirosenanlage oder beim Sprungturm im Gartenbad Bachgraben) geht noch einen Schritt weiter: Die Handlungen werden zwar aus der Distanz und ohne direkten Kontakt mit dem oder der Beobachteten ausgeführt, stellt aber gleichzeitig eine Art Schauspiel für die eigene Peergroup dar (vgl. Beo_Bach1, Beo_Barf5). Während der Beobachter meist unentdeckt bleibt, kann die Imitierende aufgrund des expressiven Verhaltens selbst zum Beobachtungsgegenstand werden. Die Imitation von beobachteten Verhaltensweisen steht demnach auf der Schwelle zur Schauspieler/innenrolle. Befinden sich die Jugendlichen in der Rolle des Schauspielers oder der Schauspielerin verhalten sie sich so, dass sie die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen und im Zuge des öffentlichen Austauschs beobachtet werden. Es handelt sich dabei meist um selbstdarstellendes Verhalten, mit Hilfe dessen sich die Jugendlichen Annerkennung verschaffen wollen, sei es bei der eigenen Peergroup oder einer breiteren Öffentlichkeit. Ein eindeutiges Beispiel dafür stellt das „anderen Imponieren“ dar, welches darauf abzielt, andere mit den eigenen Fähigkeiten und Qualitäten zu beeindrucken. Das „Faxen machen“ hingegen spielt mit dem Spannungsfeld zwischen Privatheit und Sichtbarkeit, weil es einerseits Komponenten des Peergroup-bezogenen Austausches beinhaltet (Spass haben, sich Necken), andererseits aber ebenso die Aufmerksamkeit und Neugier Aussenstehender weckt. Im Allgemeinen sind hier auch alle anderen Formen der jugendlichen Selbstdarstellung anzusiedeln; die Repräsentation des jugendlichen Lebensstils sowie der eigenen Geschlechtszugehörigkeit werden separat abgehandelt (s.u.). 54 In den weiteren Ausführungen werden die Begriffe Publikum, Schauspieler/in und Bühne in Anlehnung an Goffmans Theatermetapher verwendet (vgl. Kapitel 3.1.3.3.). 120 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Abbildung 10: Jugendöffentlichkeiten zwischen Sichtbarkeit und Privatheit Quelle: Eigene Darstellung Oft können die beiden Rollen entweder als Publikum oder als Schauspieler/in nicht so deutlich wie oben dargestellt voneinander getrennt werden und meist finden sich die Jugendlichen in beiden Rollen wieder. Es ist von den Daten abzuleiten, dass alle Jugendlichen andere Menschen beobachten und somit auch alle Jugendlichen von anderen Jugendlichen beobachtet werden. Dies gilt für eine Mehrheit ihrer sozialen Handlungen in öffentlichen Räumen, da diese ideale Bedingungen für das „Sehen-und-Gesehen-Werden“ bieten. Diese Form des jugendlichen Verhaltens kann als eine genuin soziale Handlung bezeichnet werden, weil sie vor allem in der Gruppe stattfindet. Die gewonnenen Eindrücke von aussen werden mit den Gleichaltrigen verarbeitet und eingeordnet (Kommentieren und Bewerten), repräsentatives Verhalten wird stets durch den Rückhalt in der sozialen Gemeinschaft gestützt oder im Austausch mit anderen Gruppen herausgefordert (Imponieren und Faxen Machen). Alleine andere zu beobachten oder sich als Einzelperson nach aussen zu repräsentieren stellen keine Handlungen dar, die von den Jugendlichen mit Bedeutung versehen werden. Weiter lässt sich feststellen, dass sich das „Sehen-und-Gesehen-Werdens“ vor allem dann einstellt, wenn die Jugendlichen im „Modus der Kontaktbereitschaft“ sind: In denen Momenten, in denen Jugendliche offen sind für neue Kontakte und andere Jugendliche kennen lernen möchten, aktiv nach im öffentlichen Raum anwesenden Bekannten suchen und sie auch treffen – kurz: ihre sozialen Antennen ausgefahren haben – in solchen Momenten treten sie 121 bewusst und aktiv in die Sphäre der Sichtbarkeit ein. Das sichtbare Verhalten in all seinen Facetten der jugendlichen Selbstdarstellung ist demnach eng mit dem Bedürfnis nach Sozialität verbunden. Ebenso können die tendenziell seltenen Kontakte mit Fremden sowie die vergleichsweise ausgeprägten Interaktionen mit dem anderen Geschlecht als Ausprägung dieser sozial-repräsentativen Handlungen gedeutet werden. Schliesslich lässt sich feststellen, dass gewisse Handlungen, die in erster Linie der Privatheit zuzuordnen sind, ebenso die Sphäre der Sichtbarkeit formen können. Es handelt sich dabei einerseits um die Aktivitäten in öffentlichen Räumen, welche zwar in der Gruppe stattfinden, aber je nach Ausgestaltung für andere sicht- und hörbar sind und somit das öffentliche Geschehen (mit-)prägen (v.a. physisch ausgedehnte oder besetzende Aneignungsformen wie Fussball-, Basketballspiele u.ä.). Andererseits fungieren öffentliche Räume für Jugendliche als beliebte Treffpunkte, die sowohl Ausgangspunkt für private Beschäftigungen sind (z.B. Shoppen, Essen, in den Ausgang gehen…) als auch Anlass für selbstdarstellende Verhaltensweisen in der Gruppe geben (z.B. Begrüssungsrituale). Die dargestellten soziokulturellen Handlungen und Verhaltensweisen Jugendlicher in der Öffentlichkeit lassen sich zwar auf einem Spektrum zwischen nach innen gerichteten privaten und nach aussen gerichteten sichtbaren Ausprägungen einordnen, jedoch sind sie bei allen befragten und beobachteten Jugendlichen mehr oder weniger stark ausgeprägt. Am folgenden Beispiel im Garten Bachgraben soll aufgezeigt werden, wie eine Jugendgruppe mehrere der erwähnten Formen innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne und in einem einzigen öffentlichen Raum vereint: Während sich die beobachtete Jugendgruppe zu Beginn im Nichtwasserbecken des Gartenbades aufhält und dort vor allem nach innen gerichteten Aktivitäten nachgeht (Reden, Körperkontakt, lachen), begeben sie sich zu einem späteren Zeitpunkt zum Sprungturm, um dort in die Rollen des Publikums und der Schauspieler zu schlüpfen. Dort macht ein Junge spektakuläre Sprünge (Imponieren, Beobachtet werden), die anderen Mädchen sitzen auf der Zuschauertreppe und beobachten und kommentieren das Geschehen. Schliesslich zieht sich die Gruppe zu ihrem Liegeplatz zurück, um sich dort in abgeschlossener Privatheit zu entspannen (Reden, Musik hören, Chillen…) (vgl. Beo_Bach2). Öffentliche Räume und die in sie eingelagerten sozialen Beziehungen werden von den Jugendlichen zu Bühnen der Sichtbarkeit umdefiniert: Sie positionieren sich im Raum als Zuschauerinnen und/oder als Schauspieler und zwar so, dass ihre Chancen auf sozialen Austausch mit andere Jugendlichen möglichst gross ist. Dabei hängen soziale wie symbolische Aneignungsformen eng zusammen und ermöglichen in ihrer Verknüpfung Zugehörigkeit als auch Abgrenzung. 5.3 Jugendöffentlichkeit zwischen Kontrolle und Selbstregulierung Dieses Unterkapitel widmet sich der normativen Aneignung der Jugendlichen in den drei Untersuchungsgebieten. In der abschliessenden Analyse werden unterschiedliche Kategorien von Regulierungsmechanismen unterschieden, die in allen drei öffentlichen Räumen von Bedeutung sind. Normative Aneignung auf dem Barfüsserplatz 122 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Im Vergleich zu den beiden anderen untersuchten Räumen nehmen die Jugendlichen den Barfüsserplatz als tendenziell unreguliert wahr – sowohl was die institutionalisierte Regulierung als auch die soziale Kontrolle angeht. In keinen der Interviews wird ein Verbot oder Gebot genannt, welches sie einschränkend betrifft; vereinzelt kritisieren sie die fehlende soziale Kontrolle, zum grossen Teil aber erfahren die Jugendlichen den Barfüsserplatz als Ort der Nicht-Regulierung positiv (Barf1:333): „Person 2: Das [soziale Kontrolle] passiert mir sonst überall, aber hier nicht. (lachen) Interviewerin: Wieso denn hier nicht und sonst überall? Person 2: Ich weiss nicht, weil man hier irgendwie alles darf“ Diese Freiheit nehmen die Jugendlichen als Gegenpol zu anderen Orten (Schule oder Familie) wahr, wo sie einer stärkeren Regulierung unterworfen sind: „Und hier, wenn man Erwachsen ist, sagen auch die Eltern nichts mehr, dann kann man hier machen, was man will“ (Barf2:252) oder „In der Schule bekommt man schneller Stress, auf dem Barfi kriegt man keinen Stress“ (Barf1:233). Mehreren Jugendlichen fällt hingegen auf, dass sich die Polizei als formelle Kontrollinstanz regelmässig auf dem Barfüsserplatz aufhält, was für einen Jungen auch zu einer unangenehmen Situationen geführt hat (Barf2:204): „Person 1: Also vor zwei Jahren im 09 war ich auch hier unterwegs und dann ging ich schnell hier hinten auf das WC (unv.) davor gestanden in der Reihe angestanden, dann kommt ein Schäferhund an mir vorbei gelaufen, schmeckte herum und ich dachte, „So nein, jetzt läuft er weiter, der will sicher etwas von mir“. Ich blieb ganz ruhig und so keine Panik bekommen, er lief einfach vorbei, schnell an der Hose geschmeckt und so weiter dachte ich ok. […] Also ja wenn ein Polizist auf mich zu laufen würde, dann ich meine, ich wüsste nicht was machen.“ Andererseits ist es dann auch die Polizei, welche bei Unfällen oder Schlägereien eingreift oder auch Jugendliche vor bedrohlichen Situationen beschützt (vgl. Barf1 und Barf2). Im Allgemeinen erleben Jugendliche auf dem Barfüsserplatz keine spezifischen normativen Einschränkungen, sondern sehen ihn vielmehr als Ausgleich zu den stark regulierten Kontexten ihres Alltages (Schule, Familie). Normative Aneignung im Gartenbad Bachgraben Die Regulierung im Gartenbad Bachgraben ist stark ausgebaut. Dementsprechend können die befragten Jugendlichen zahlreiche formelle und informelle Normen benennen. Im Gegensatz zu den Ausführungen zum Barfüsserplatz werden die Normen und Regeln im Gartenbad meist ambivalent bewertet: Zwar sehen viele Jugendliche ein, weshalb es beispielsweise verboten ist, unter 18 Jahren zu rauchen oder andere Mädchen sexuell zu belästigen, aber ebenso kommen sie immer wieder in Konflikt mit diesen Regeln oder nehmen ihnen gegenüber eine ambivalente Haltung ein. Im Folgenden sollen dazu einige Beispiele zu unterschiedlichen Aspekten der Regulierung genannt werden: 123 a) Hygieneregeln: Obschon diese Mädchengruppe auffällig viele Regeln zur Achtung der Hygiene genannt haben, erscheinen ihre Aussagen dazu sehr ambivalent (Bach4:766ff): „Interviewerin: Einfach mal so eine Frage, also wieso ist es eine Regel [vor dem Baden Duschen] und ihr macht es trotzdem? Person 3: Weil sie nicht so streng darauf schauen. Person 1: Nein, weil teilweise sind es einfach überflüssige Regeln. Interviewerin: Zum Beispiel, welche ist überflüssig, welche? Person 3: Vor dem Dings duschen, (Person 1: Nein das finde ich nicht.) das können sie irgendwie nicht Person 2: Nein das finde ich auch mega überflüssig, (Person 1: Das ist mega hygienisch) aber ich mache es halt gleich, ja überflüssig, aber ich mache es halt trotzdem. Person 3: Ja aber sie können es nicht kontrollieren. Ich habe noch nie, ich habe noch nie erlebt, dass mir ein Bademeister angesprochen hat, ich sollte vorher duschen.“ b) Sicherheitsregeln: Ähnlich verhält es sich bei den Regeln, welche die Sicherheit im Wasser gewährleisten sollten. Mehrere Jugendgruppen haben diese Regeln zwar genannt, beinahe im selben Atemzug aber auch kritisiert: „Person 1: Was gibt es noch? Zum Beispiel nicht vom Rand ins Wasser springen. Aber das ist so eine Person 2: Ja hier, wo sie Längen schwimmen. Das darfst du nicht. Interviewer: Was ist das dumm? Person 1: Das ist wirklich dumm. Ich denke, wenn man freie Bahn hat und man will ins Wasser springen, dann darf man doch reinspringen“ (Bach1:325ff). „Person 4: […] Was auch noch Regel ist leider, auf der Rutschbahn nicht stehen und so. Kein Scheiss auf der Rutschbahn. Nicht vom Sprungbrett schubsen. Person 1: Ja das hat, das mache ich immer. Wenn jemand nicht runterspringt“ (Bach3:345f). c) Drogenkonsum: Mehrere Jugendliche weisen darauf hin, dass es im Allgemeinen verboten sei, Marihuana oder Wasserpfeife zu rauchen, sowie im Besonderen es Jugendlichen unter 18 Jahren nicht erlaubt ist, Zigaretten zu rauchen. Vor allem eine Mädchengruppe kennt sich mit den Regelungen und Konsequenzen der Regelübertretung gut aus, unter anderen auch deshalb, weil sie selber immer wieder die Regeln missachten, indem sie ihre nonkonformen Aktivitäten verbergen oder leugnen (Bach3:459ff): „ Wir sassen letztens dort hinten, ich war mit (Name) dort, gell? Ich, Zigi in der Hand, schaue so, ‚Fuck you, Securitas’, schiesse ich einfach die Zigi weg. Nachher 124 JUGENDÖFFENTLICHKEIT kommen sie, der eine Mann schaut mich so an, kommt so ran näher ‚Hast du gerade etwas weggeworfen?’ ich so ‚Ich? Nein.’ Er ‚Aha, ich meinte schon, du hast irgendetwas weggeworfen so ähnlich wie eine Zigi’. Ich so ‚Ich? Ich und Rauchen? Nein, sicher nicht, ich bin zu jung.’ Er so ‚Ok, dann ist gut’, lauft weiter und ich holte die Zigi wieder.“ d) Sexueller Umgang: Schliesslich weisen einige Jugendliche eine ambivalente Haltung gegenüber den Einschränkungen im sexuellen Umgang auf. Einerseits finden sie es moralisch richtig, die eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht hemmungslos auszuleben, andererseits werden sie gerade durch die relativ freizügige Atmosphäre des Gartenbades (s.o.) in ihren Fantasien angeregt (Bach1:460f): „Interviewerin: Vorhin hast du noch gesagt, du findest es schade, dass man keine perversen Sachen machen kann? Person 1: Ja es ist schon noch schade eigentlich. Aber es gehört sich auch eigentlich nicht dazu. Wenn man es so eigentlich betrachtet, ist es schade. (...) Von der Männer-Seite her ist es schade, von den Frauen, Frauen haben es eher nicht so gerne, wenn man sie quasi so betatscht und so oder. Vielleicht auch schon? Jede Frau hat gerne, also eigenes Spiel im Kopf, oder. Aber es sind kleine Kinder hier und so, es gehört sich nicht dazu. Aber eigentlich ist es schon schade, aber diese Regel ist eigentlich gut, ja.“ Diese Beispiele geben Einblick in die Möglichkeiten und Restriktionen der normativen Aneignung im Gartenbad Bachgraben, die vor allem darin bestehen, sich mit den gegebenen Regulierungsmechanismen vertraut zu machen und einen Umgang damit zu finden. Die Ambivalenzen hinsichtlich der normativen Aneignung (sowohl Anerkennung als auch Kritik und Übertretung der Regeln) werden von den Jugendliche dabei vor allem im Sinne einer Aufweichung der Regulierung wahrgenommen: Im Gegensatz zu Zuhause, zur Schule oder dem Arbeitsort können sie eben hier im Bachgraben mal eine Shisha oder Zigarette rauchen, sich im Versteckten masslos betrinken, sich sexy anziehen, ein Mädchen im Wasser anfassen oder mit einem Jungen einfach rummachen… Aufgrund des ausgeprägten Normensystems sowie der formalisierten Begegnungen (Eingangsbereich, Kiosk, Restaurant) ergeben sich für die Jugendlichen zahlreiche Möglichkeiten, sich mit den öffentlichen Vertretern des Gartenbades auseinanderzusetzen. Teilweise gestalten sich diese Interaktionen als konfliktgeladen, sodass die beteiligten Jugendlichen zur kritischen Auseinandersetzung mit der Umwelt aufgefordert werden. Die Jugendlichen nehmen in solchen Situationen jedoch immer eine untergeordnete Rolle ein, da sie als besonders stark regulierte Nutzergruppe meist durch nonkonformes Verhalten auffallen. Trotz der tendenziell ausgeprägten Regulierungsmechanismen im Gartenbad empfinden einige Jugendliche hier sogar ein ausserordentlich starkes Freiheitsgefühl (Bach3:22ff): „Person 4: Ja, wenn man Stress zu Hause hat, vor allem dann, oder wenn du auch jetzt in der Schule Probleme hättest, zum Beispiel, wenn du gerade Stress mit einer Kollegin hast, kannst du, kann ich, komme ich meistens mit Kolleginnen hierher, 125 chillen es hier und dann rede ich auch mit ihnen zusammen und dann können wir auch baden gehen, und. Ich weiss nicht, ich bin hier irgendwie freier Mensch, ich kann machen was ich will. Ich bin einfach eine andere Person, wenn ich hier bin, und frei habe. Ich habe einfach meine Freiheit hier. (...) Bist du nicht so wie eingesperrt oder so. Interviewerin: Empfindet ihr das auch so? Person 2: Weil zu Hause schauen die Eltern immer, was du machst und dass du dieses nicht machst und jenes nicht machst. Person 4: Eben kontrollieren und so. Du wirst nicht kontrolliert. Person 3: Man hat keine Freiheiten einfach. Person 2: Und hier kannst du wirklich alles quasi machen, ja.“ Die normative Aneignung einer anderen Gruppe wiederum äussert sich vor allem in einer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Selbstverantwortung. Da einige Regeln weder kontrolliert werden noch in ihren Augen sinnvoll sind, plädieren sie darauf, sich selbst zu kontrollieren und nach eigenem Wissen und Gewissen abzuschätzen, welche Regel wann zur Anwendung kommen sollte (vgl. Bach4:772ff und 934ff). Die normativen Strukturen des Gartenbades scheinen zwar aus der Sicht eines Aussenstehenden eher einschränkend auf die jugendliche Selbstregulierung zu wirken. Die Äusserungen der Befragten machen jedoch deutlich, dass sich viele Jugendliche die im Gartenbad vorhandenen Freiheiten dennoch zu Nutze machen können (s.o.). Weder die formelle Kontrolle durch Bademeister oder Securitas noch die durch Eltern oder andere Nutzergruppen ausgeübte soziale Kontrolle scheint die Jugendlichen im Allgemeinen davon abzuhalten, die aufgestellten Regeln zu überschreiten. Die Veränderung der Regulierungsmechanismen erscheint hingegen als schwieriger: So wünscht sich eine Mädchengruppe einen „Jugendtag“, an welchem nur Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren Zutritt zum Bad erhalten und diese sich in dieser Zeit an keine Regeln zu halten haben. Diese radikale Transformation des im Gartenbad vorherrschenden normativen Settings kann am ehesten als Utopie verstanden werden, auf die alle Wünsche der Mädchen nach Selbstregulierung projiziert sind, die jedoch nicht realisierbar ist (vgl. Bach3:516ff). Bezeichnenderweise tritt auch bei diesem Gedankenspiel die ambivalente Haltung der Mädchen gegenüber der Regulierung von Jugendlichen zu Tage, denn je weiter sich die Idee eines solchen Jugendtages radikalisiert, desto grösser werden auch die Bedenken der Mädchen, die Jugendlichen könnten sich selbst ins Chaos stürzen (vgl. Bach3:553ff). Normative Aneignung auf der Dreirosenanlage Die befragten Jugendlichen geben zwei Formen von Verboten an, die es auf der Dreirosenanlage zu beachten gilt. Erstens betonen sie, dass kriminelle Handlungen wie Drogendealen, Haschischkonsum, Sachbeschädigung oder Gewalt auf dem Gelände nicht 126 JUGENDÖFFENTLICHKEIT geduldet werden. Für die Jugendlichen stellen diese Verbote Standardregeln dar, die aufgrund der gesetzlichen Verankerung zumindest in der Öffentlichkeit einzuhalten sind (Drei1:451ff): „Person 5: Also erstens mal nicht dealen, kiffen nicht, Sachbeschädigung und Person 1: Nicht fighten. Person 5: Schlägerei. Person 1: Das ist unnötig, die sollten sich Zuhause kaputt schlagen, aber nicht hier. Interviewer: Was sonst noch? Person 2: Eben das eigentlich, das ist eigentlich Standard. Person 5: Ja klar.“ Zweitens scheinen so genannte Fairness- oder Respektregeln von zentraler Bedeutung für die normative Regulierung zu sein: Mehrere Jugendliche erheben den Anspruch an sich und andere Jugendliche, dass man auf der Dreirosenanlage niemanden beleidigt oder „unnötig anstresst“ und sich anderen gegenüber anständig, fair und respektvoll verhält. In den weiteren Ausführungen der Interviewpartnerinnen wird deutlich, dass sie einen Grossteil dieser Umgangsformen von den im Jugendtreffpunkt eingeforderten Regeln ableiten. Obschon die Regeln des Jugendtreffpunktes nicht für die öffentliche Anlage gelten, sind sie Teil der Sozialisation der Jugendlichen, sodass die Jugendlichen diese Regeln generalisieren. Der Jugendtreffpunkt nimmt somit eine Vorbildfunktion ein und fungiert als zentrale Sozialisationsinstanz. Diese Übertragung des normativen Settings des Jugendtreffpunkts auf den öffentlichen Raum der Dreirosenanlage findet ihren Ausdruck in weiteren Aussagen der Jugendlichen. So nimmt eine Jungengruppe direkt Bezug auf die Treffpunkt-Regel „Kein Rassismus!“ und sagt dazu: „Egal ob du Asiat bist oder Albaner oder wie auch immer, eben man sollte sich einfach respektieren, dass ist eine Regel, würde ich sagen“ (Drei1:467). Ähnlich verweist eine Mädchengruppe implizit auf die Treffpunkt-Regel „Keine Gewalt!“ wenn sie erklärten, dass sie Konflikte mit Hilfe von Gesprächen klären (Drei3:19ff): „Person 1: Ja und vor allem wenn es hier irgendwie Stress gibt, sind alle eigentlich alle füreinander irgendwie hier. Und man kennt sich hier meistens mega gut so wie Person 2: Meistens wird auch geklärt durch Reden. Person 1: Ja dann kommen immer alle und reden.“ Dieses Zitat verweist auf das bereits erörterte Zugehörigkeitsgefühl unter den Jugendlichen auf der Dreirosenanlage: Aufgrund der ausgeprägten Vertrautheit ist es ein zentrales Bedürfnis der Jugendlichen, zur Vermeidung von Eskalationen eine Konfliktlösung anzustreben – „Wenn etwas nicht stimmt, dann machen wir es meistens denn so, dass es wieder stimmt. Ich weiss auch nicht, wie wir das hinkriegen“ (Drei2:282) – und dadurch das harmonische Zusammenleben und die soziale Ordnung auf der Dreirosenanlage nicht zu gefährden: „Das ist wichtig. Also man muss sich respektieren, dann lebt man auch gut zusammen“ (Drei1:469). Insbesondere das Prinzip der Gegenseitigkeit stellt sicher, dass die 127 sozialen Strukturen aufrecht erhalten bleiben: „Ok man sollte, glaube ich, sich immer respektieren, Respekt geben und Respekt kriegen“ (Drei2:187). Es ist deshalb gemäss den befragten Jugendlichen in einige Fällen notwendig, sich auch Respekt zu verschaffen, beispielsweise wenn man in Auseinandersetzungen unfair behandelt oder von anderen Jugendlichen ausgenutzt wird (Drei2:288): „Eben man muss schon oft jemandem zeigen ‚Hey, von mir musst du Respekt haben’, dann damit man auch respektiert wird, weil wenn zum Beispiel jetzt ich und Steffi wir sind hier und sie macht uns jetzt zum Beispiel runter und wir, wir fangen, keine Ahnung, wir fangen an zu heulen, heulen hier eine Runde zusammen, dann respektiert sie uns dann nicht mehr, dann kommt sie nächsten Tag und macht uns wieder runter. Aber wenn wir dann zu ihr kommen und sagen ‚Ja dies dies dies dies das’, dann merkt sie, man muss hier Respekt haben, und dann ist es am nächsten Tag besser. Also man muss lernen, damit umzugehen.“ Die zentrale Aneignungsleistung der Jugendlichen in Bezug zur normativen Ordnung der Dreirosenanlage liegt demnach darin, ein stabiles System sozialer Kontrolle und Selbstregulierung aufzubauen, welches die Aufrechterhaltung des sozialen Friedens garantiert. Im Gegensatz zu den beiden anderen Untersuchungsräumen scheint die soziale Kontrolle unter den Jugendlichen selbst von zentraler Bedeutung für die Nutzung der Dreirosenanlage zu sein: Die Jugendlichen scheinen sich gegenseitig zu kontrollieren, versuchen wann immer möglich, Konflikte und Eskalationen zu vermeiden und greifen deshalb auch selbst in Auseinandersetzungen ein, wenn sie es für notwendig erachten (Drei3:206ff): Interviewerin: Aber seid ihr denn, weil eben jetzt gerade so mit diesen Jüngeren, seid ihr denn überhaupt mit denen in Kontakt? […] Person 1: Ja falls mit ihnen etwas los ist. Person 3: Dann sind wir schon für sie da, also falls sie ein Problem haben oder so. Person 1: Zum Beispiel letztens haben sich so drei Kleine geritzt und dann kam der Bruder und wollte die Schwester schlagen und sie hatten Zuhause auch Probleme, dann musste man ihnen eigentlich den Bruder halten, es ist mega hart. […] Person 1: Ja man muss einfach helfen, weil sonst (unv.) Person 3: Ins Spital gebracht und so. (...) Schauen einfach. Interviewerin: Ist das etwas eben, das alle machen hier, aufeinander schauen? Person 1: /Person 3: Ja. Person 3: Alle schauen aufeinander. Das ist wichtig hier. Die formelle Kontrolle ist demgegenüber sehr schwach ausgeprägt. Gelegentlich anwesende Polizisten übernehmen dabei weniger Kontroll- und vielmehr soziale und unterstützende Funktionen (Drei3ff): 128 JUGENDÖFFENTLICHKEIT „Person 2: […] jetzt kommen meistens Polizisten von Stop-Gewalt-Kurs, wenn es diejenigen Leute betrifft, die viel Stress geben, sollten sie, wird ihnen meistens empfohlen, diesen Kurs zu machen. […] Person 1: Und vor allem ist es manchmal toll, wenn Polizisten hierher kommen, Polizei gegen Jugendliche Match und so, und wir können auch Person 2: Bei denen ist auch alles geschützt, die erzählen auch Sachen nicht weiter, man kann ihnen auch alles Mögliche erzählen. Person 1: Wir können auch so Handschellen nehmen und spielen dann mit, alles anschauen, das finde ich cool.“ Die objektiven normativen Vorbedingungen der Dreirosenanlage sind wie erwähnt tendenziell schwach ausgebildet und folglich bietet dies den Jugendlichen die Chance, das normative Setting aktiv zu gestalten. In der gegenseitigen Auseinandersetzung und über gemeinsame Aushandlungsprozesse, aber auch aufgrund der Sozialisation im Jugendtreffpunkt, hat sich unter den Jugendlichen ein vergleichsweise stabiles Normensystem etabliert, an welches sich die Mehrheit der Heranwachsenden hält. Die normative Aneignung der Jugendlichen ist demnach vor allem durch eine ausgeprägte Selbstregulierung geprägt, da die Jugendlichen ihre sozialen Beziehungen untereinander selbstständig und aktiv regeln. Oder anders formuliert: Aus den in der Dreirosenanlage eingelagerten Möglichkeiten zur Selbstregulierung hat sich ein System sozialer Kontrolle entwickelt, dass zwar informell bleibt, aber auch in gewisser Weise institutionalisiert ist. Dieser Institutionalisierungsprozess im Rahmen der normativen Aneignung lässt sich ebenso in der Auseinandersetzung um die Nutzung der unterschiedlichen Bereiche der Anlage aufzeigen. So verdeutlicht eine längere Beobachtung Basketballspielender Jugendliche auf dem Hartplatz, wie die Jugendlichen sich frei von externer Regulierung selber und gegenseitig regulieren. Die acht beobachteten Jugendlichen drängen für ein gemeinsames Spiel auf den Hartplatz und machen sich bereit für das Gruppenspiel, während ein einzelner Erwachsener dort bereits Korbbälle trainiert: „Eine erste Interaktion folgt direkt auf den Spielstart: Der erwachsene Spieler, welcher sich bis anhin noch auf derselben Platzhälfte befunden hat, muss nun auf die andere Seite ausweichen. Es scheint hier ein wortloses Verständnis darüber zu herrschen, wer wann und weshalb welchen Teil des Hartplatzes nutzen darf. Die beiden Parteien – Jugendgruppe und Erwachsener – scheinen sich praktisch nicht zu beachten, das Wechseln des Erwachsenen auf die andere Hälfte geht ohne Kommentare oder näheren Austausch vonstatten“ (Beo_Drei2:5). Ähnlich wie diese Szene legt die gesamte Beobachtungssituation nahe, dass die Selbstregulierung zu einem bestimmten Grad auch institutionalisiert ist und entweder das Produkt von früheren Aushandlungen oder aber Teil eines generellen Sportverhaltens darstellt, wie es die beobachteten Jugendliche vielleicht in ihren Sportclubs oder in der Schule/Ausbildung gelernt haben. Auf jeden Fall scheint ein gewisser Verhaltenskodex zu bestehen, der im Falle der genannten Beobachtung von allen anerkannt und ohne zusätzliche Aushandlungen eingehalten wird: Die Nutzung des Hartplatzes wird in erster Linie den Spielenden und nicht den Trainierenden zugesprochen und dementsprechend haben sich Einzelpersonen (Erwachsener) in ihrem Nutzungsverhalten an Gruppen anzupassen (Ausweichen auf Resträume). Auch innerhalb der Gruppe sind sich 129 die Jungen einig: Die Konzentration gilt dem Spiel, Ablenkungen sollen vermieden werden. Dieses wortlose Verständnis, das zwischen den Basketballspielenden herrscht, lässt sich jedoch nicht auf Aussenstehende übertragen: Ein Junge, der vertieft in ein Telefongespräch den Hartplatz durchquert und damit das Gruppenspiel behindert, verhält sich durch diese Aktion gegenüber dem Verhaltenskodex ignorant; deshalb stösst dieses Verhalten bei den Spielenden auf wenig Verständnis, sie reagieren genervt und ungehalten. Dieses Beispiel erhärtet die oben ausgeführte Annahme, dass die Ausgestaltung des normativen Settings der Dreirosenanlage durch die Jugendlichen relativ institutionalisiert und deshalb wenig flexibel ist. Es ist deshalb zugleich davon auszugehen, dass dieses Normensystem auf das Verhalten der Jugendlichen regulierend wirkt und insbesondere die normativen Aneignungsmöglichkeiten von Minderheiten einschränken kann – auch wenn diese Ausschlussmechanismen in den Interviews nicht direkt angesprochen wurden. Analyse der normativen Aneignung in öffentlichen Räumen Die von den Interviewgruppen genannten Regulierungsmechanismen und in den öffentlichen Räumen vorherrschenden Normensysteme können wie in Abbildung 11 in sieben unterschiedliche Kategorien differenziert werden. Diese wiederum lassen sich einerseits auf einem Kontinuum zwischen formeller und informeller Regulierung ansiedeln und andererseits nach dem Grad ihrer Verbindlichkeit unterscheiden. Die formellste und sogleich auch verbindlichste Kategorie stellen die Strafgesetze dar. Gemäss den Befragten dienen sie dazu, die Sicherheit aller zu gewährleisten und mögliche Risiken, wie beispielsweise negative Folgen des unkontrollierten Drogenkonsums für Minderjährige, zu minimieren. Während der Verzicht auf Gewalttaten unumstritten bejaht wird, widersetzen sich einige Jugendliche den gesetzlichen Vorschriften zum Konsum von Rauschmitteln (Marihuana Rauchen) und der davon ausgehenden formellen Kontrolle (bspw. durch Securitas im Gartenbad Bachgraben) und nehmen das Risiko auf sich, für die Missachtung bestraft zu werden. Wenngleich Verbote (vgl. die Verordnung über öffentliche Bäder des Kantons) ebenso verbindlich und ähnlich formalisiert wie Gesetze sind, werden sie von den befragten Jugendlichen weitaus stärker kritisiert. Zwar anerkennen die meisten den Zweck der Verbote, nämlich die Verhinderung von körperlichen Gefährdungen sowie riskantem Verhalten (z.B. im und ums Wasser), einige sprechen sich aber dafür aus, die Regulierung in die Verantwortung der Nutzenden des öffentlichen Raumes zu übergeben. Dementsprechend werden Verbote dieser Art regelmässig missachtet, obschon auch hier die Kontrolle verhältnismässig ausgeprägt ist. Der Regelübertritt zieht jedoch keine allzu strengen Konsequenzen nach sich, es sei denn, er führe zu einer tatsächlichen Gefährdung anderer. Abbildung 11: Jugendöffentlichkeit zwischen Kontrolle und Selbstregulierung 130 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Quelle: Eigene Darstellung Vorschriften sind im Gegensatz zu Gesetzen oder Verboten eher unverbindliche Regeln, obschon sie einen vergleichsweise formellen Charakter aufweisen. Unter Vorschriften sind vor allem die Hygieneanweisungen im Gartenbad Bachgraben zusammengefasst. Diejenigen Jugendlichen, welche sich im Interview zur Thematik äussersten, bewerten diese Regulierungsform als dysfunktional da unkontrollierbar und würden ähnlich wie im vorherigen Abschnitt einen selbstverantwortlichen Umgang bevorzugen. Der Umstand, dass die Missachtung solcher Vorschriften aufgrund der fehlenden sozialen und formellen Kontrolle keine Konsequenzen habe, fällt diesen Jugendlichen besonders negativ auf. Normen hingegen sind zwar weitaus weniger formalisierte Regeln, zählen aber dennoch zu den verbindlichen Regulierungsmechanismen, weil sie gemäss den jugendlichen Aussagen auf ihr Verhalten regulierend wirken. Normative Vorgaben beziehen sich in der vorliegenden Erhebung in erster Linie auf spezifische Formen des Konsums von Rauschmitteln, der zwar gesetzlich legal ist, jedoch aus der Sicht einer oder mehrerer Gruppen als negativ bewertet wird (z.B. massloser Alkoholkonsum, Zigarettenkonsum Minderjähriger). Die befragten Jugendlichen anerkennen diese Normen und begründen sie mit einem für sie nachvollziehbaren Jugendschutz. Auch betonen sie ihre eigene diesbezügliche Vorbildfunktion gegenüber jüngeren Kindern, die sie versuchen so weit als möglich wahrzunehmen. Dennoch werden die Normen wiederkehrend gerade von denjenigen Jugendlichen missachtet, welche in den Befragungen die oben genannten Argumente erwähnten. Somit sehen sich gewisse Heranwachsende mit dem Dilemma konfrontiert, dass sie aus rationalen Gründen die normativen Vorgaben unterstützen, sie jedoch aufgrund der eigenen Bedürfnisse überschreiten. Dies äusserst sich ebenso in ihrer ambivalenten Haltung bezüglich der Einschätzung, ob sie als Jugendlichen nun selbst Verantwortung für ihren 131 Rauschmittelkonsum übernehmen können oder doch darauf angewiesen sind, von aussen in ihrer Selbstkontrolle eingeschränkt zu werden. Der Drang nach Selbstkontrolle und – regulierung bringt diese Jugendlichen dann auch immer in den Konflikt mit den formellen Kontrollorganen. Dennoch empfinden die Befragten gerade in solchen Momenten der Spannung zwischen Fremd- und Selbstbestimmung ein besonders stark ausgeprägtes Freiheitsgefühl. Der Anspruch auf Ruhe & Ordnung (Abfall entsorgen, Musiklautstärke reduzieren, nicht laut herumschreien, etc.) wird von gewissen Jugendlichen unterstützt, von anderen in ähnlichem Masse kritisiert. Diese Regeln entsprechen im weitesten Sinne dem Anspruch mehrerer befragter Jugendliche, aufeinander Rücksicht zu nehmen und das Wohlbefinden anderer nicht zu beeinträchtigen. Diese befragten Jugendlichen sehen in der Befolgung der herrschenden Vorstellungen zum Verhalten in öffentlichen Räumen eine gesellschaftlichen Verpflichtung, der sie bereit sind nachzukommen. Andere Interviewgruppen hingegen stellen die eigenen Bedürfnissen, sich selbstbestimmt auszutoben und auszuleben, über die Forderungen anderer Nutzergruppen und übertreten deshalb regelmässig die an sie gerichteten Ansprüche. Aufgrund der vergleichsweise schwach ausgeprägten formellen Kontrolle von Ruhe & Ordnung sind diese Jugendlichen auch nicht von bedeutsamen Konsequenzen betroffen; allenfalls müssen sie sich mit durch ihr Verhalten gestörten Nutzenden auseinandersetzen (soziale Kontrolle). Oft ist es gerade diese Kategorie der Regulierungsmechanismen, die den Jugendlichen am meisten Freiheiten und Möglichkeiten zur Selbstregulierung erlaubt. Dies kann neben der fehlenden Kontrolle auch auf die Relativität des Verständnisses von Ruhe & Ordnung zurückgeführt werden: Oft fühlen sich die Jugendlichen in diesem Zusammenhang gegenüber anderen Nutzenden im Recht und auch im Stande, eigenen Verhaltensstandards auf das Handeln anzulegen und deren Angemessenheit korrekt abzuschätzen. Schliesslich scheint die Forderung nach Ruhe & Ordnung in den öffentlichen Räumen zwar vorhanden, aber weitaus weniger stark ausgeprägt als in anderen lebensweltlichen Zusammenhängen der Jugendlichen (Schule, Zuhause, Arbeitsplatz). Die Moral bezieht sich auf diejenigen Aussagen der Jugendlichen, die sich explizit oder implizit auf das sexuelle und zwischengeschlechtliche Verhalten in öffentlichen Gartenbädern bezieht. Die befragten Jugendlichen des Gartenbades Bachgraben geben mehrere Beispiele dafür, wie man sich in diesem Zusammenhang eben nicht zu verhalten habe. Es ist für sie meist unumstritten, dass die moralischen Vorgaben im Umgang mit dem eigenen Körper ein wichtiges Mittel darstellen, die sexuelle Integrität und die Privatsphäre jedes Einzelnen zu wahren. Sie begründen diese Regeln einerseits mit ihrer Vorbildfunktion gegenüber anwesenden Kindern sowie mit den von ihnen präferierten Geschlechterrollen (s.u.), insbesondere was das korrekte Sexualverhalten von Mädchen angeht. Ein interviewter Junge gibt zwar zu, dass er sich aufgrund seiner eigenen sexuellen Bedürfnisse eine Lockerung der moralischen Regulierung wünschen würde, besteht aber dennoch auf ihre Gewährleistung zum Schutze und Respekt vor der Privatsphäre. Dennoch scheint es im Gartenbad gewisse Möglichkeiten zu geben, die moralischen Standards zumindest teilweise zu umgehen (andere Mädchen anfassen, sich sexy präsentieren…), sofern das Gegenüber damit einverstanden ist. Die unter der Kategorie Umgangsformen zusammengefassten Aussagen der Befragten behandeln in erster Linie diejenigen informellen Regeln, die zu einem konfliktfreien 132 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Auskommen untereinander beitragen. Sie dienen gemäss den Jugendlichen dazu, das teilweise unkontrollierte Verhalten von Heranwachsenden in die Schranken zu verweisen und ein gewisses Mass an gegenseitigem Respekt garantieren zu können. Die Begründung solcher Umgangsformen basiert demnach auch auf dem weiter oben besprochenen universellen Verständnis von Respekt, nämlich dass jeder Mensch das Recht auf angemessene und respektvolle Behandlung habe. Diejenigen Jugendgruppen, die sich diesbezüglich geäussert haben, sehen sich jedoch genötigt, die herrschenden Vorgaben im gegenseitigen Umgang in gewissen Situationen zu untergraben, sei es um sich selbst Respekt zu verschaffen, sei um sich zum eigenen Recht zu verhelfen. Es handelt sich bei dieser Kategorie demnach um eine Regulierung mit vergleichsweise ausgeprägtem Konfliktpotential, wobei sich die Jugendlichen vor allem mit der sozialen Kontrolle durch andere Jugendliche auseinandersetzen müssen. Wie oben zur Dreirosenanlage beschrieben steht das Aushandeln solcher Umgangsregeln jedoch in der Verantwortung der Jugendlichen selbst und die ausgehandelten Umgangsformen sind demnach das Produkt jugendlicher Selbstregulierung. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle der hier beschriebenen Regulierungsformen und Mechanismen Gegenstand jugendlicher Aneignung sind: Erstens sind die Jugendlichen an der Reproduktion von regulativen Machtverhältnissen massgeblich beteiligt, indem sie sich gewissen Regeln mehr oder weniger stark verpflichten und dies auch nach aussen kommunizieren (z.B. Moral oder Strafgesetze). Zweitens gelingt es den Jugendlichen auch, vorherrschende Regelsysteme zum eigenen Nutzen zu erweitern, indem sie sich Strategien zum Umgehen von Kontrollmechanismen erarbeiten (z.B. Norm). Schliesslich gibt es auch zahlreiche Regeln, denen sich die Jugendlichen bewusst entgegenstellen (z.B. Vorschriften). Die produktive Herstellung wie auch die Reproduktion von Regelsystemen kann als bedeutsame Facette von Jugendöffentlichkeiten verstanden werden. 5.4 Jugendöffentlichkeit als Repräsentation des jugendlichen Lebensstils Jugendliche nutzen öffentliche Räume häufig als Bühne zur Selbstdarstellung. In diesem Unterkapitel wird auf diese Form der symbolischen Aneignung näher eingegangen. Zuerst werden die symbolischen Aneignungsformen getrennt nach den drei Untersuchungsgebieten beschrieben, anschliessend im Analyseabschnitt zusammenfassend dargestellt. Symbolische Aneignung auf dem Barfüsserplatz Die symbolische Repräsentation der Jugendlichen lässt sich als vielseitig und teilweise auch widersprüchlich bezeichnen. Im Generellen fällt auf, dass sich die untersuchten Jugendlichen den Barfüsserplatz durch auffälliges Verhalten aneignen: sich anders stylen (z.B. Haare rot färben, vgl. Barf3), die ganze Zeit lachen, schwatzen und Faxen machen (vgl. Barf4), laut und wild sein (vgl. Beo_Barf2 oder Barf3) und vieles mehr. Durch dieses auffällige Verhalten können sie sich von den anderen Nutzenden, die alle gleich zu sein scheinen, abheben; und zwar auf positive Art und Weise, da sie nach aussen lustig, glücklich und voller Energie wirken. Eine Jugendgruppe grenzt sich aber explizit von nonkonformen Verhalten ab (Barf4:274ff als Antwort auf die Frage nach der präferierten Rolle in der Öffentlichkeit): 133 „Person 1: Komödie, oder? (lachen) Person 1: Nein, ich glaube schon eine Komödie. Person 2: Ja. (...) Halt Clown oder so. Person 3: Clown und so. Person 1: Ja, halt so drei, die halt die ganze Zeit Scheiss machen und Scheiss im Kopf haben, würde ich sagen. Interviewerin: Aber wo man dann eben in einer Komödie darüber lachen kann? Person 1: Also ja, man macht nicht so scheissmässig mit Randalieren oder so Zeug, ich mein. Interviewerin: Ihr tut nicht so? Person 1: Mit Randalieren und so Scheiss, ich meine, so lustige Sachen halt machen und so. Wo man halt darüber lachen kann.“ Dieser Gruppe führt dann noch weiter aus, dass es ihnen dennoch wichtig ist, authentisch zu bleiben, was darauf hindeutet, dass sie ihr eigenes repräsentatives Verhalten (Clowns in einer Komödie spielen) nur bedingt als solches wahrnehmen. Auffälliges Verhalten kann soweit gehen, dass sich Jugendliche auch mal auf dem Gehsteig raufen oder an der Fasnacht eine unbekannte Personen angreifen – dies ist aber immer im Spass gemeint. Im Gegensatz dazu grenzt sich eine Gruppe von drei Mädchen explizit von auffälligem Verhalten in der Öffentlichkeit ab und vertritt die Meinung, dass man in der Öffentlichkeit nur selten so sein könne, wie man wirklich ist (vgl. Barf3). Ausserdem verneinten diese Mädchen im Allgemeinen repräsentatives Verhalten in öffentlichen Räumen als mögliche Thematisierung der eigenen Persönlichkeit: „Interviewerin: Eben merkt man so eure Persönlichkeit, wenn ihr hier in der Öffentlichkeit seid? […] Ich finde gar nicht, also man kennt mich überhaupt nicht in, durchschauen in zwei drei Sekunden, denke ich. Also ich bin immer anders, bin nie gleich“ (Barf3:293). Schliesslich repräsentieren sich Jugendliche nach aussen als zusammengehörige Gruppe, die der anonymen und treibenden Masse auf dem Barfüsserplatz entgegensteht: Indem viele Jugendliche den Barfüsserplatz als kollektiven Aufenthaltsort nutzen, leben sie auch ein Teil ihre Privatlebens (Freundeskreis, Intimbeziehungen) im öffentlichen Raum, wie zahlreiche Beobachtungen beispielsweise von sich küssenden Pärchen oder in Gespräche vertiefte Freunde aufzeigen (vgl. Beo_Barf4 oder Beo_Barf_Liminal). Wie bereits zur Dimension der sozialen Aneignung erwähnt, spielt der Konsum von Nahrungsmittel eine besondere Rolle für Jugendliche auf dem Barfüsserplatz. Neben der Tatsache, dass ihnen das angebotene Essen schmeckt, steht die Nutzung von Fastfoodrestaurants – denn um solche handelt es sich in erster Linie – eng im Zusammenhang mit dem eigenen Lebensstil: Die Gastrobetriebe auf dem Barfüsserplatz werden vor allem deshalb geschätzt, weil das Essen schnell serviert wird und man es deshalb auch spontan oder zwischen zwei Verpflichtungen einnehmen kann: „Dann hat man Hunger, dann gehst du 134 JUGENDÖFFENTLICHKEIT schnell etwas essen. (…) Kurz vor dem Ausgang oder nach dem Ausgang, dass man dann hier schnell etwas essen geht“ (Barf4_26). Dieses Motiv der Spontaneität tritt mehrmalig auf und scheint typisch für den Barfüsserplatz zu sein. Weiter steht der Barfüsserplatz für das Erleben von Aussergewöhnlichem. Insbesondere der Besuch soziokultureller Veranstaltungen gibt den Jugendlichen die Möglichkeit, ihren Lebensstil so auszuleben, wie sie es ansonsten nicht können. Beispielsweise kann man auch mal etwas Verrücktes tun (wie bspw. an der Fasnacht fremde Erwachsene stopfen, vgl. Barf1), ein Gefühl der Zugehörigkeit erleben (z.B. an der Meisterfeier, vgl. Barf2) oder auch mal „die Sau rauslassen“ (vgl. Barf2). Das auf dem Barfüsserplatz vorherrschende Symbolsystem (soziokulturelle Veranstaltungen, Werbeplakate, Gastronomie, etc.) erscheint dem Aussenstehenden als relativ strukturierend und vor allem auf die Erwachsenenwelt bezogen. Dennoch gelingt es den Jugendlichen über die Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit ihre eigenen Zeichen zu setzen, indem sie sich anders als die Mehrheit repräsentieren. Von besondere symbolischen Bedeutung sind aber auch diejenigen Events auf dem Barfüsserplatz, die sich explizit auf die Jugendlichen als Zielgruppe fokussieren (z.B. Jugendkulturfestival, Imagine – Festival gegen Rassismus, etc.). An diesen Veranstaltungen können Jugendliche nicht nur den sozialen Austausch pflegen, sondern auch ihr jugendliches Lebensgefühl ausleben (Abtanzen, interessante und neue Musik hören, etwas Aussergewöhnliches erleben, etc.). Deshalb beklagen sich einige Jugendliche auch darüber, dass auf dem Barfüsserplatz abgesehen von den einzelnen Festivals, zu wenig los sei und nichts Spektakuläres vorfalle (Barf3:69-75): „Person 3: Ja die Fasnacht ist hier. Also das ist das einzige, sonst ist ja hier nicht so etwas Spektakuläres los ausser. […] Interviewerin: Aber jetzt hast du vorhin gerade gesagt, sonst ist nicht so viel los hier auf dem Barfi? Person 3: Ja manchmal am Wochenende so Festival, aber sonst ist einfach so die, welche halt arbeiten gehen und die, welche rumlaufen“ In den Gesprächen wird aber ebenso deutlich, dass sich das Bedürfnis nach dem Spektakulären und Spannenden ebenso in den ganz alltäglichen Situationen befriedigen lässt, beispielsweise beim Beobachten anderen Leute (Barf3:94): „Interviewerin: Also so das Beobachten und Leute treffen und so, das ist noch so etwas Wichtiges hier auf dem Barfi? Person 3: Man macht es hier irgendwie automatisch wenn man wartet schaut man so ein wenig rum. Interviewerin: Aber kann man das hier besonders gut auf dem Barfi? Person 2: Ich finde also es lauft irgendwie immer ein wenig etwas, also irgendwie wenn Leute aus dem Tram kommen oder ja halt der Verkehr ist hier einfach recht stark und dann wenn man so ein wenig rumhängt, dann hat man immer etwas zu sehen, dann fallen einem solche Sachen auf. 135 Symbolische Aneignung im Gartenbad Bachgraben Die symbolische Repräsentation der Jugendliche im Gartenbad Bachgraben ist von Vielfalt geprägt. In Anlehnung an die normative Aneignung versuchen einige Jugendliche sich selbst als soziales Vorbild zu etablieren, meist aus Rücksicht auf die Kinder (Bach3:482ff): „Person 4: Heutzutage sagen mega viele, ja Eltern schon, Jugendliche, die man hier auf der Strasse sieht, sind mega verantwortungslos, die rauchen, die machen das alles vor den kleinen Kindern, oder. Ich schaue wenigstens, dass ich nicht gerade unbedingt vor kleinen Kindern bin (Person 2: Ja, das stimmt.), aber wenn ich praktisch nie unter kleinen Kindern bin, dann habe ich die Zigi so versteckt, dass es so durch schaut, dass der Rauch so. Dann nimm ich immer so, oder, so auf der Seite, dass es nicht. […] Person 4: Weil ich finde das nicht gut, weil ich will eigentlich nicht so ein Scheissvorbild eigentlich ehrlich sein.“ Daraus ergibt sich auch das Motiv, die eigenen nonkonformen Verhaltensweisen vor Erwachsenen oder Kindern zu verstecken. Generell weisen einige Jugendliche darauf hin, dass sie im Gartenbad den Kontakt mit anderen Altersgruppen meiden (s.o. unter physische Aneignung) und dies liesse darauf schliessen, dass die Selbstdarstellung gegenüber Erwachsenen für sie nur von geringer Bedeutung sei. Im Gegensatz dazu ist es aber möglich, auch sehr extrovertierte Formen der symbolischen Aneignung zu erfassen: Einige physischmateriellen Bedingungen, wie die Rutschbahn oder das Sprungbrett, scheinen geradezu dafür bestimmt, die eigenen Fähigkeiten in der Form von Kunststücken (Sprünge, Saltos, etc.) nach aussen hin zu präsentieren (vgl. Beo_Bach4 oder Beo_Bach_Repräsentation) und dabei auch ein besonderes Lebensgefühl zu vermitteln, bspw. das Bedürfnis nach Herausforderung und Erlebnis oder den Antrieb, immer wieder etwas Neues auszuprobieren, auch mal etwas zu wagen und somit das Leben auszukosten: „Egal wie gefährlich es ist, mal ausprobieren. Einfach Spass haben. Wir leben nur einmal, oder? Und wir müssen alles probieren, Mann. So ist unsere Art“ (Bach2:287). Ausserdem dienen Sprungbrett, Wasserbecken und Rutschbahn als Plattform, den eigenen Körper auszutesten, an die Grenzen zu bringen oder auch zu trainieren. Während Jugendliche also andere Badegäste mit ihren Fähigkeiten und Kunststücken beeindrucken können, gelingt es ihnen ebenso mittels auffälligem Verhalten Aufmerksamkeit bei anderen Besuchern zu erregen: „Wir sind laut und wir sind auffällig. Einfach so, weiss nicht, wenn wir zusammen sind, dann habe ich zum Beispiel keine Hemmungen irgendwie etwas zu machen, das ich alleine nicht machen würde“ (Bach4:467). Dabei definieren sich diese Jugendliche oft über das „Anders-Sein“ als andere (Bach4:587ff): „Interviewerin: Jetzt wollte ich euch noch fragen, wenn ihr euch vorstellt, die Badi ist eine Bühne oder ihr könntet hier einen Film drehen oder so, was würdet ihr für eine Rolle spielen? […] Person 1: Die Abnormale. Interviewer: Die Abnormalen genau. Was würden denn die Ab-, was zeichnet die Abnormalen aus in einem Film? 136 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Person 3: Das sind halt Abnormale (lacht). Wenn man ab einem Viech eine Panikattacke kriegt und absegglet.55 Person 1: Wenn man einfach so anders ist als die anderen. Person 3: Ja genau.“ Dieses Beispiel zeigt auf, dass anzunehmen ist, dass Jugendliche in der Öffentlichkeit meist sich selber sind, jedoch andere Personen vor allem nur einige wenige Charaktereigenschaften dieser Jugendlichen in überproportionalem Masse wahrnehmen, wie auch die folgenden Antworten auf die Frage zur präferierten Rolle zeigen (Bach3:849ff): „Person 4: Ich schwöre, ich wäre Psychofrau Mann. Person 2: Sie wäre eine, die immer Stress hätte, irgendwie zu Hause oder mit dem Freund. Person 3: Es ist so. Person 1: Wir zwei wären Psychofrauen. Person 4: Psychofrau und Stressfrau. Person 2: Und ich wäre die, die immer lacht. Person 4: Die, welche den Clown spielt. Person 3: Die immer Probleme löst und so. Person 4: Die dich auf gute Laune, Fun-Laune bringt.“ Somit könne man auch interpretieren, dass sich in der Öffentlichkeit über einige wenige ausgeprägte Charaktereigenschaften zu repräsentieren und somit auch nur eine Rolle zu spielen, für Jugendliche etwas Natürliches ist, also dass es implizit zum Jugendlich-Sein gehört, Aufmerksamkeit zu erregen und dadurch auch seine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Diese Annahme kann teilweise mit den eigenen Beobachtungen widerlegt werden, in welchen viele Jugendliche eher ausgelassen und wenig auf Repräsentation bedacht erscheinen (vgl. Beo_Bach_Repräsentation). Eine besondere Form des auffälligen Verhaltens ist das Blödsinn-Machen, weil es sowohl nach innen gerichtet ist (gemeinsam Spass haben, miteinander und übereinander lachen, ein einmaliges Erlebnis in der Gruppe, an das man sich auch noch später daran erinnert) als auch darauf abzielt, im Umfeld auf Korrespondenz zu stossen. Der Ausdruck "Faxen machen", der von einer Gruppe in diesem Zusammenhang genannt wurde, scheint diese beiden Bedeutungen miteinander zu vereinen (vgl. Bach1:4). Weitere Elemente der jugendlichen Selbstdarstellung im Gartenbad Bachgraben sind beispielsweise die von einigen Jugendlichen betonte positive Ausstrahlung – „Person 2: Ja wir sind einfach alle glücklich, also wir sind so. Person 4: Vor allem immer gut drauf. Person 3: Glückliche Menschen“ (Bach4:650ff, Selbstbeschreibung anhand eines Selbstportraits) – oder auch die Zusammengehörigkeit als Gruppe. Ähnlich wie bei den Ergebnissen zum Barfüsserplatz stellt die Peergroup nicht nur eine Organisationsform für Jugendliche, sondern 55 Dieses befragten Mädchen hat zuvor im Interview bereits erwähnt, dass sie panische Angst vor Insekten hat (vgl. Bach4:202f). 137 auch ein zentrales Element ihrer Repräsentation nach aussen dar. So betonen viele beobachtete Jugendliche ihre Zusammengehörigkeit durch besondere Gesten (Einhaken, Zuflüstern, Körperkontakt, etc.) und bringen somit ihre Freundschaft auch für Aussenstehende zum Ausdruck. Dieses Freundschaftsmotiv drückt einerseits Zugehörigkeit und Abgrenzung nach aussen aus, repräsentiert aber ebenso die zuvor erwähnte positive Ausstrahlung als Element eines bestimmten jugendlichen Lebensgefühls: „Also es ist einfach so, dass es kommen sehr viele Jugendliche hierher und unter diesen sind viele Freunde, Kollegen, so halt, Familie. Und es gefällt uns einfach und wir kommen hierher, haben unseren Spass, verbringen unsere Freizeit hier, erfrischen uns, werden dann müde (lacht). (...) Haben einfach Spass“ (Bach2:2). Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass die symbolische Aneignung im Gartenbad Bachgraben weniger über das äussere Erscheinungsbild (Kleidung, Accessoires, etc.)56, sondern vor allem durch selbstdarstellendes Verhalten (Kunststücke machen, auffällig sein, positive Ausstrahlung, etc.) vermittelt wird. Einzig im Umgang mit dem anderen Geschlecht wird der eigene Körper zur Darstellungsfläche von Weiblichkeit oder Männlichkeit sowie Attraktivität (mehr dazu unter Kapitel 5.5.). Symbolische Aneignung auf der Dreirosenanlage Ein Mittel zur Selbstdarstellung der Jugendlichen auf der Dreirosenanlage stellen ihre Aktivitäten dar, sei es nun das mehrfach erwähnte Tanzen oder andere Sportarten wie Basketball- oder Fussballspielen. Über diese Aktivitäten wird das Bedürfnis nach jugendlicher Repräsentation auf unterschiedliche Art und Weise befriedigt. Insbesondere das Tanzen stellt nicht nur eine Freizeitbeschäftigung dar, sondern ist Ausdruck eines jugendlichen Lebensstils: Das Tanzen steht für Ehrgeiz und Leistung, Spass und Lebensfreude, Zugehörigkeit und Abgrenzung, und vieles mehr. Deshalb macht es ein zentrales Element der jugendlichen Selbstdarstellung aus und ist ebenso Quelle von Respekt und Anerkennung (s. Kap. 5.6.) Weiter taucht während des Interviews mit der männlichen Interviewgruppe eine Form der jugendlichen Selbstdarstellung auf, die von ihnen selbst als „Swag“ bezeichnet wird. Swag57 scheint im Allgemeinen schwierig zu definieren und umschreibt im vorliegenden Fall neben einer bestimmten Form von Selbstdarstellung nach aussen ebenso ein jugendtypisches Lebensgefühl von Lässigkeit und Coolness: Rumhängen, gute Laune haben, easy drauf sein und Spass an dem haben, was man tut: „Aber solange wir wissen, alles ist Fun, alles ist 56 Eine Ausnahme bildet ein beobachtetes Mädchen, das sich im Gegensatz zur Gruppe, in der sie sich aufhält, bewusst gestylt hat. Da sie grosse goldene Ohrringe, gezöpfelte Haar und ein auffällig farbiges Bikini trägt sowie zusätzlich relativ laut und dominant auftritt, hebt sie sich aus Beobachterperspektive von den restlichen Jugendlichen ab, die lediglich ihre Badeanzüge tragen (vgl. Beo_Bach3:2). 57 Definition des Urban Dictionary für Swag: „The way in which you carry yourself. Swag is made up of your overall confidence, style, and demeanour. Swag can also be expanded to be the reputation of your overall swagger. You gain swag, or "Swag up", by performing swag worthy actions that improve this perception. A person can also "swag down" by being an overall pussy and garnering negative swag for their actions. Swag is a subtle thing that many strive to gain but few actually attain. It is reserved for the most swagalicious of people“. Zugriff am 3.12.2011 auf URL: http://www.urbandictionary.com/define.php?term=swag. 138 JUGENDÖFFENTLICHKEIT möglich, alles ist, nehmen wir alles easy. Sind wir halt einfach so die Swaggers halt“ (Drei1:382). Die Jugendlichen definieren Swag schliesslich als positive Ausstrahlung, die sich sowohl auf das äussere Erscheinungsbild als auch auf das Verhalten bezieht: Draussen sein und tanzen, von anderen gesehen zu werden, sich über Mode unterhalten, eine positive Ausstrahlung haben - kurz: Style nicht nur zu reproduzieren, sondern auch zu leben. Für die betreffende Jungengruppe lassen sich unter Swag alle die für sie bedeutsamen Lebensinhalte und –stile zusammenfassen: Erstens sich mit dem Tanzen nach aussen zu repräsentieren und Anerkennung zu erhalten, zweitens sich von anderen abzusetzen bzw. zu den Swaggern dazuzugehören und drittens sich einen Gegenpol der Gelassenheit zum stressigen Alltag zu verschaffen. Schliesslich kann Swag mit einigen Vorbehalten auch dahingehend interpretiert werden, dass die jugendliche Suche nach Anerkennung durch die Öffentlichkeit sich über eine positive Selbstdarstellung verwirklichen lässt, also dass die Jugendlichen dank ihrer positiven Ausstrahlung durchaus anerkennende Rückmeldungen von anderen Menschen erhalten. Die folgende Aussagen der Jungen lassen sich möglicherweise in diesem Sinne deuten (Drei1: 348f als Antwort auf die Frage, das die andere Leute von ihnen denken, sowie Drei1:417): „Person 1: Ich denke nicht gerade Idioten, ich denke einfach es ist etwas Neues […]. Das ist etwas Neues, weil sie haben so etwas noch nie gesehen, das ist etwas Neues, ein neues Erlebnis, und ich denke, die meisten Leute denken wirklich, sie machen ein paar Sachen, die krank sind oder komisch sind, sie tanzen wenigstens, sie können tanzen. […] Und sie haben Freude am Tanzen. Das sieht man, wir sind einfach lebendige Menschen. […] Person 2: In diesen Videos teilen wir eigentlich unsere Kunst, verstehen sie was wir meinen, und wir haben auch Spass daran.“ Während diese Jungen dem Anschein nach grossen Wert auf ihre Aussenwirkung legen, fällt bei den Beobachtungen ebenso auf, dass sich viele Jugendliche im Vergleich zu beispielsweise den Jugendgruppen auf dem Barfüsserplatz eher unauffällig kleiden (vgl. Beo_Drei5, Beo_Drei4, Beo_Drei3). Obwohl diese Erkenntnis nicht ohne Weiteres erklärt werden kann, gibt ein befragtes Mädchen einen Hinweis darauf: „Ja wenn man, wenn jetzt Steffi zu mir sagt, wir gehen Dreirosen, dann schaue ich, dass ich mich so anziehen, dass es mir angenehm ist, dass ich alles ein wenig machen kann. Also ich komme dann schon nicht mit dem Miniröckchen oder so“ (Drei2:459). Hier wird direkt auf die zahlreichen Eventualitäten physischer und sozialer Aneignung Bezug genommen. Weiter betonen einige Interviewpartner, dass es ihnen ein grosses Anliegen ist, für andere Kinder ein Vorbild zu sein. Indem sie versuchen, nicht vor kleinen Kindern zu rauchen (Drei3), das eigene Wissen an Jüngere weiterzugeben (Drei1), sich gegenseitig zu helfen und zu beschützen (Drei3) und sich im Allgemeinen an die Gesetze zu halten (Drei1) tragen diese Jugendliche aktiv zu einer positiven Atmosphäre auf der Dreirosenanlage bei. Die unterschiedlichen Ausprägungen jugendlicher Aneignung (sich Respekt verschaffen, anständig und respektvoll sein, sich vorbildlich verhalten…) erfüllen somit in erster Linie die soziale Aufgabe der Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung im öffentlichen Austausch und die Integration aller Nutzergruppen in einem sozialen Gesamtzusammenhang. 139 Ähnlich wie die Jugendlichen im Gartenbad Bachgraben oder auf dem Barfüsserplatz empfinden ebenso die auf der Dreirosenanlage befragten Jugendlichen einen gewissen Grad an Freiheit, welche jedoch weniger in Bezug zur normativen Regulierung wie in den anderen Untersuchungsgebieten steht, sondern in erster Linie mit einem Gefühl von Individualität und Authentizität zu tun hat (Drei 1:): „Person 2: Also in der Freizeit ist man, ja wie soll ich sagen, (lieber?) als wenn man irgendwie mit der Familie ist oder in der Lehre oder in der Schule oder. […] Ich würde auch sagen, also Freizeit ist Freizeit und Schule ist Schule, also in der Schule ist man seriös, man arbeitet oder (Person 4: Und in der Freizeit ist man Vollidioten?) man denkt für seine Zukunft halt und wenn man hierher kommt, schaltet man ein wenig aus, tobt sich ein wenig aus, redet ein wenig, und ja. Person 4: Nächster Tag geht es weiter. Person 2: Ja genau. […] Person 4: Dann ist es etwas anderes (unv. zu schnell), dann kannst du DU sein, Alter, dann kannst du wie die Schweizer sagen "Die Sau rauslassen, ne?", dann kannst du einfach du sein. Dann musst du dich nicht verstellen, bei uns musst du dich halt nicht verstellen, kannst du so sein, wie du bist.“ Auch wenn die Jugendlichen ihre Arbeit oder ihre Schule - also insgesamt ihre Zukunft sehr seriös nehmen und versuchen, den Leistungsstandards gerecht zu werden, stellt diese Institutionen für sie nur den Alltag dar und hat wenig mit der eigenen Selbstverwirklichung zu tun. Deshalb können die Jugendlichen auf der Dreirosenanlage auch entspannen und sich gehen lassen, weil sie nicht unter dem Leistungsdruck stehen und nicht an ihre Zukunft denken müssen, sondern der Verwirklichung ihrer eigenen Lebensträumen nachgehen können. Ähnliches beschreibt auch ein Mädchen mit der folgenden Aussage: „Es ist so, wie wenn man aus dem Haus raus geht, also noch im Haus noch ganz anders, sobald man aus dem Haus ist, in einer anderen Welt, draussen Dreirosen vielleicht andere Charakter anderen, wenn du nach Hause kommst wieder eine ganz andere Person“ (Drei3:314). Mit diesem Zitat wird deutlich, dass jeder Ort - ob nun im Privaten oder im Öffentlichen - ein bestimmtes Setting vorgibt und man sich dementsprechend verhält. Gerade für dieses Mädchen, welches ins Gymnasium geht und sich auf der Dreirosenanlage aber vor allem mit Jugendlichen mit anderen Ausbildungswegen umgibt, scheint ein Gegensatz zwischen dem Herkunftssetting (inkl. Schule) und dem Dreirosensetting zu bestehen. Der Zugang zu solch unterschiedlichen Orten ermöglicht dem Mädchen, unterschiedliche Rollen einzunehmen, die beide authentisch sind und ihren unterschiedlichen Lebensbereichen entsprechen. Das in der Dreirosenanlage verortete Symbolsystem stellt sich als verhältnismäßig schwach ausgeprägt und demnach äusserst form- und veränderbar dar. Dementsprechend gelingt es den Jugendlichen, sich den öffentlichen Raum mit den verschiedensten Repräsentationstechniken und Identifikationsprozessen anzueignen. Das relativ offene Setting der Dreirosenanlage erlaubt es den Jugendlichen, jugendkulturelle Ausdrucksweisen in einer solchen Weise zu entwickeln, dass sie eine zentrale Bedeutung für die Identitätsbildung und 140 JUGENDÖFFENTLICHKEIT die Integration erlangen (z.B. das Tanzen, der Style). Zugleich ist davon auszugehen, dass aufgrund der Offenheit des Symbolsystems eine Konkurrenz zwischen den Jugendlichen um unterschiedliche Zeichensetzungen und Repräsentationsformen entstehen kann: „Also wenn ich jetzt rumlaufe und irgendjemand findet, das steht mir nicht oder lacht, weil ich das angezogen, das ist mir jetzt eigentlich egal, weil ich bin ich, das ist mein Style und ich laufe so rum, wie ich will“ (Drei2:336). Dieser Umstand stellt für die Jugendlichen eine Aneignungschance dar, da er ihnen die direkte Auseinandersetzung um die eigene Identität sowie das Erleben und Verarbeitung von Anerkennung und Ablehnung ermöglicht. Zusammenfassend lässt sich die Dreirosenanlage einerseits als Ort einer ausgeprägten Jugendkultur bezeichnen, welcher den Jugendlichen Zugang zu Anerkennung, Selbstverwirklichung und vielleicht sogar Erfolg verspricht. Die strukturellen Bedingungen der Dreirosenanlage scheinen die kulturelle Eigenproduktion der Jugendlichen nachhaltig zu fördern. Auf weiten Strecken gelingt es den Jugendlichen über ihre Aktivitäten und Kommunikationsformen die Teilhabe am öffentlichen Leben herzustellen oder es sogar tief greifend zu prägen (wie im Falle des Jerkings, das auch von Aussenstehenden mit der Dreirosenanlage assoziiert wird). Andererseits stehen einige Formen der symbolischen Aneignung der Jugendlichen im Bezug zur sozialen Ordnung auf der Dreirosenanlage, die es aufrechtzuerhalten gilt. Schliesslich nutzen die Jugendlichen den Ort als Plattform zur Identitätsfindung und zur Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im sozialen und kulturellen Austausch (im Mittelpunkt stehen oder zuschauen, verlieren und gewinnen, Respekt suchen und finden, etc.). Analyse symbolischer Aneignungsformen in öffentlichen Räumen Zwischen dem nach aussen sichtbaren Verhalten der Jugendlichen und den individuell definierten oder Gruppenspezifischen Lebenseinstellungen lassen sich anhand des Datenmaterials Verknüpfungen herstellen, welche den jugendlichen Lebensstil58 als Zusammenspiel von Werten und deren Repräsentation reflektieren. Konkret bedeutet dies, dass sich der jugendlichen Lebensstil sowohl in der persönlichen Einstellung als auch in der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit widerspiegelt. Alle aus den Daten assoziierten Aspekte des jugendlichen Lebensstils sind in der folgenden Abbildung 12 dargestellt. Es gelingt demnach den Jugendlichen zumindest Aspekte ihres Lebensstils der Öffentlichkeit mitzuteilen. Während gewisse Elemente des in der Erhebung vorzufindenden jugendlichen Lebensstils ohne Widerstand anerkannt werden, können andere ein gewisses Konfliktpotential in sich bergen oder von Aussenstehenden negativ bewertet werden. Betrachtet man die aufgelisteten Aspekte des Lebensstils und seiner sichtbaren Repräsentation lassen sich gewisse Bezüge zu den bereits besprochenen Ablehnungserfahrungen der 58 In Anlehnung an Max Weber (1985) sind unter dem Lebensstil Wertvorstellungen und die äusserlichen Repräsentation (in der Form von ritualisierten Handlungen) zu verstehen, die einer bestimmten sozialen Gruppe gemeinsam sind. Spellerberg beschreibt den Lebensstil als die „sichtbare Verhaltensweisen und expressive Gestaltung des Alltags im Rahmen getroffener Lebensplanung“ (Spellerberg 1995a:571) und unterscheidet dabei die interaktive (Freizeitgewohnheiten), expressive (Musik-, Einrichtungs-, Lesegeschmack, etc.) und evaluative (Lebensziele) Dimension von Lebensstil (Spellerberg 1995b). 141 Jugendlichen herstellen: Beispielsweise ist es nahe liegend zu vermuten, dass das von den Jugendlichen beliebte Chillen und die von ihnen hoch geschätzte Gemütlichkeit, von Unbeteiligten nicht als eine Form der Gelassenheit oder Erholung sondern vielmehr als unproduktives Herumhängen wahrgenommen wird (Ablehnung aufgrund von Minderwertigkeit). Ähnlich könnte auch davon ausgegangen werden, dass das auf Spass ausgerichtet Handeln Jugendlicher nicht als positive Ausstrahlung erkannt sondern als abnormales Getue abgetan wird (Ablehnung aufgrund von Andersartigkeit). Schliesslich ist anzunehmen, dass das Bedürfnis der Jugendlichen, immer wieder Neues zu erleben und auch mal Verrücktes auszuprobieren (z.B. massloses Alkohol trinken), von Aussenstehenden nicht als kreative Impulse sondern verantwortungsloses Handeln ettiketiert wird (Ablehnung aufgrund von Verwerflichkeit). Einige dieser Annahmen lassen sich mit einzelnen Aussagen aus dem Datenmaterial belegen, andere sind eher spekulativer Natur – ein Widerspruch zwischen dem von den Jugendlichen präferierten und dem von Erwachsenen59 als angebracht bezeichneten Lebensstil lässt sich aber nicht von der Hand weisen. Dass sich Jugendliche mit ihrem Freizeitverhalten bewusst gegen herrschende Werte und Normen (bspw. Leistungsgesellschaft, produktive Freizeit, etc.) wehren, ist aus den Daten nicht zu eruieren (vgl. dazu auch zukünftige Forschungsdesiderata, Kap. 6.3.). 59 Es ist zu betonen, dass es sich hierbei nicht um Aussagen von Erwachsenen handelt, sondern vielmehr um die subjektive Wahrnehmung der Jugendlichen, also um das, was Jugendliche denken, wie Erwachsene über sie urteilen. 142 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Abbildung 12: Jugendöffentlichkeit als Repräsentation des jugendlichen Lebensstils Quelle: Eigene Darstellung 5.5 Jugendöffentlichkeit als Repräsentation der Geschlechtszugehörigkeit Mehrmalig wurde darauf hingewiesen, dass der Umgang mit dem anderen Geschlecht wie auch die Repräsentation der eigenen Geschlechtszugehörigkeit ein zentrales Element von Jugendöffentlichkeit darstellt60.Im vorliegenden Unterkapitel sollen die Hinweise zur geschlechtsspezifischen Repräsentation am Beispiel des Gartenbades Bachgraben dargestellt und analysiert werden. Geschlechtsspezifische Repräsentation im Gartenbad Bachgraben 60 Der Grossteil der dieser Interpretation zugrunde liegenden Aussagen stammen aus dem Untersuchungsgebiet Gartenbad Bachgraben. Die befragten Jugendlichen vom Barfüsserplatz sowie von der Dreirosenanlage haben sich nicht substanziell zur Thematik geäussert. Einzig aus den Beobachtungen lassen sich einige wenige Assoziationen herleiten; sie fliessen in die weiteren Erörterungen mit ein. 143 Die Badekultur im Gartenbad Bachgraben scheint äusserst anregend auf die Jugendlichen zu wirken: Die viele nackte Haut und die Möglichkeiten zur männlichen bzw. weiblichen Repräsentation sowie die zahlreichen Gelegenheiten, die eigenen körperlichen Fähigkeiten darzustellen, sind zentrale Elemente der symbolischen Aneignung der Jugendlichen im Freibad. Jungs beschreiben sich selbst als gut aussehend wie gepflegt und begeben sich aktiv auf die Suche nach ebenso gut aussehenden Mädchen. Sie gehen davon aus, dass das Interesse am Kennenlernen (oder an mehr) nicht nur bei ihnen sondern ebenso bei den Mädchen vorhanden ist: „Also im Schwimmbad, sonst noch, ich habe einfach das Gefühl, die hübschen Frauen kommen auch ins Schwimmbad nicht nur weil sie sich einfach abkühlen wollen oder so oder sich sonnen, die kommen auch an Interesse für andere Typen. Wollen vielleicht jemanden kennen lernen, wollen hübsche Typen sehen und so, und wir Männer denken halt auch genau gleich, wir kommen hierher, sind ein wenig cool und so, ziehen uns ein wenig gut an, sehen gut aus und wollen auch andere Frauen kennen lernen und sie ansprechen“ (Bach2:198). Ebenso lassen die Aussagen der befragten Mädchen den Schluss zu, dass dieses Geschlechtsrollenverständnis auch für sie Gültigkeit besitzt. Jungen von gutem Aussehen und sportlicher Statur wirken auf sie anziehend und interessant und einzelne Mädchen formulieren ähnlich wie die Knaben ihr Bestreben, mit anderen Jungen aktiv zu flirten (Bach4:262): „Interviewerin: Ok, und wie funktioniert so das flirten hier am Rändchen? Wie muss ich mir das vorstellen? Person 2: Vielleicht von weitem anschauen und sagen ‚Eh, der hat einen geilen Sixpack’ und so. Person 1: Und ja vielleicht wenn wir im Wasser sind, einmal so extra aus Versehen an ihn ranschwimmen und so ja Weg blockieren oder so und dann entschuldigen und so auch. Person 2: Augenkontakt. Person 4: Ohne einfach so tun, als hätten wir es nicht extra gemacht und so. Person 1: Und irgendwie Augenkontakt suchen.“ Ebenfalls wie die Jungen sind die interviewten Mädchen auf ihr Äusseres bedacht und haben die Idealvorstellung einer perfekten Frau (hübsch sein, eine gute Figur haben, etc.). Mädchen geben ähnlich wie die Jungs alles dafür, perfekt auszusehen (Figur, Bekleidung, etc.). Im Gegensatz dazu fühlen sich mehrere Mädchen in gewissen Situationen von Jungs bedroht, was ihr Männerbild negativ verfärbt. So beschreiben einige befragte Mädchen die Jungen als belästigend und sie kritisieren ihr auf Repräsentation ausgelegtes Verhalten (Bach4:627ff): Person 3: Vor allem, wenn sie so blufferisch sind. Person 2: Ja, einfach von der Art, wie sie rumlaufen . 144 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Person 1: Wenn sie meinen, sie bekommen jede und so. Person 4: Oder wenn eine (unv.) "Hey Hübsche" oder so. Person 3: Oder Ball so anwerfen so extra. Die Antizipation der Badekultur und des Körperkultes durch die Jugendlichen kann in diesem Sinne sowohl als ermöglichend als auch als einschränkend interpretiert werden: Einerseits bietet das Gartenbad eine besondere Plattform zur geschlechtlichen und körperlichen Selbstdarstellung, andererseits ergeben sich durch die unbewusste Übernahme von diesem Symbolsystem inhärenten Geschlechtsrollenbilder Konflikte zwischen den Bedürfnissen der Jungs und den Vorstellungen der Mädchen. Analyse der Repräsentation von Geschlechtszugehörigkeit in öffentlichen Räumen Aus den Aussagen der befragten Gruppen lassen sich in diesem Zusammenhang auch bestimmte Geschlechtsrollenbilder ableiten, die entweder zueinander kongruent oder entgegengesetzt sind. Die Abbildung 13 versucht darzustellen, welche Geschlechtsrollenbilder Mädchen und Jungen haben, also wie die Jugendlichen das weibliche Geschlecht (hellrosa Waben) und das männliche Geschlecht (dunkelviolette Waben) wahrnehmen und definieren. Dabei spielen neben den subjektiven Sichtweisen vor allem auch individuelle Erlebnisse sowie der Umgang mit herrschenden Rollenverständnissen eine wichtige Rolle. Abbildung 13: Jugendöffentlichkeit als Repräsentation der Geschlechtszugehörigkeit 145 Quelle: Eigene Darstellung Als erstes weisen die Daten darauf hin, dass eine gewisse Kongruenz zwischen den Ansichten der Mädchen und Jungen existiert und sie dementsprechend ein kongruentes Geschlechtsrollenverständnis konstruieren. Sowohl Mädchen als auch Jungen sind darum bemüht, auf das andere Geschlecht attraktiv zu wirken und beide Geschlechter zeigen sich am anderen Geschlecht interessiert. Im Gegensatz zu dieser Kongruenz der Aussagen beider Geschlechter äussern sich die Mädchen aber auch negativ über ihr Verhältnis zu den Jungen. Die akzentuierte Sichtbarkeit der Jungen, beispielsweise die Betonung der eigenen körperlichen Fähigkeiten oder ein den Mädchen gegenüber überhebliches Verhalten, steht in krassem Gegensatz zur bemühten Unsichtbarkeit der Mädchen. Viele der interviewten Mädchengruppen beharren nämlich darauf, dass Frauen im Allgemeinen und Mädchen im Besonderen in der Öffentlichkeit zurückhaltend auftreten sollten. Es handelt sich hier um eine moralisierende Vorstellung 146 JUGENDÖFFENTLICHKEIT davon, wie sich Frauen im Umgang mit dem anderen Geschlecht zu verhalten haben bzw. um einen Verhaltensdruck, der den Mädchen auferlegt wird: Mädchen sollten sich nicht an andere Jungen heranmachen, sondern vielmehr die Initiative dem Jungen überlassen, sie sollten ihre weiblichen Reize nicht zur Schau stellen, sich in ihren sexuellen Kontakten zurückhalten und sich vor berüchtigten Jungen fernhalten; und wenn sie dennoch in unangebrachter Art und Weise berührt oder belästigt werden, sollten sie sich sogleich und mit Vehemenz davon distanzieren. Solche und ähnliche Ansichten können zur Vorstellung von einer weiblichen Unsichtbarkeit zusammengefasst werden, und zwar in dem Sinne, als dass Mädchen ihre Weiblichkeit und Sexualität im Gegensatz zu den Jungen in der Öffentlichkeit nicht auszuleben haben (vgl. die Moral als Teilaspekt der öffentlichen Regulierung). Das negativ gefärbte Männerbild einiger Mädchen ist demnach damit zu erklären, dass die Jungen mit ihrem von Sichtbarkeit geprägtem Verhalten die Grenzen ihrer unsichtbaren Weiblichkeit überschreiten und deshalb negativ sanktioniert werden. Es handelt sich in diesem Zusammenhang also um eine völlig andere als im ersten Abschnitt beschriebene Konstruktion des Geschlechterverhältnisses, welches auf dem Gegensatz zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der eigenen Geschlechtlichkeit beruht. Aus der Sicht der Mädchen wird das männliche Geschlecht deshalb ambivalent beurteilt: Einerseits sind die Jungen Objekte ihrer (sexuellen) Begierde, andererseits werden sie als Bedrohung ihrer weiblichen Integrität und ihrer Selbstbestimmung wahrgenommen. Teilweise werden Jungen aus dem Bekannten- oder Familienkreis aber auch als behütend und vertrauensvoll beschrieben, weil es diejenigen Personen sind, welche die Mädchen vor anderen Jungen beschützen können. Während das kongruente Bild des Geschlechterverhältnisses den Jungen also eine gewisse Sicherheit im Umgang mit anderen Mädchen zu vermitteln scheint, äussert sich das ambivalente Geschlechtsrollen-verständnisses der Mädchen in einer erhöhten Unsicherheit im Umgang mit anderen Jungen61. 5.6 Jugendöffentlichkeiten zwischen Anerkennung und Ablehnung Dieses Kapitel beinhaltet die Beschreibung der von den Jugendlichen geschilderten Anerkennungs- und Ablehnungserlebnisse, die sie in den jeweiligen öffentlichen Räumen erlebt haben. In der Analyse dieser Erlebnisse werden unterschiedliche Formen von Anerkennung und Ablehnung in öffentlichen Räumen erörtert und mit den erlebten Konfliktsituationen in Verbindung gebracht. Annerkennungs- und Ablehnungserlebnisse auf dem Barfüsserplatz Anerkennung erfahren Jugendliche auf dem Barfüsserplatz in erster Linie darin, dass die zahlreichen Events eine legitime Plattform, bieten ihre jugendlichen Vorlieben und Freiheiten Aus den Beobachtungen lässt sich eine dritte Assoziation innerhalb der Thematik feststellen: Jungen, die sich nach aussen hin vor allem mit ihren körperlichen Fähigkeiten darstellen treffen auffällig oft mit Mädchen zusammen, die sich aus der Beobachterperspektive vom Rollenbild der unsichtbaren Weiblichkeit distanzieren lassen. Das Zusammenspiel zwischen männlichen Körper-Könnern und selbstbewussten Mädchen lässt sich als gegenseitige Herausforderung beschreiben (vgl. Beo_Bach3 und Beo_Drei5). 61 147 auszuleben. Mit der Veranstaltung von Jugendfestivals zeigt die Stadt den Jugendlichen, dass sie als Teil der Gesellschaft anerkannt werden. Aber auch im Alltag beschreiben einige Jugendliche, wie sie mit ihrem auffälligen Verhalten positive Reaktionen und Sympathien hervorrufen (vgl. Barf4). Im Gegensatz dazu geben mehrere Jugendliche an, dass ihr Auftreten in der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stösst (unanständige Kleidung, zu laut, abnormales Verhalten, etc.). Insbesondere scheint den Jugendlichen in öffentlichen Räumen wie dem Barfüsserplatz deutlich vor Augen geführt werden, dass sie als Jugendliche keinen guten Stand in der Öffentlichkeit haben. Über diese Form der Ablehnung, nämlich nicht als Einzelperson sondern als soziale Gruppe, äussert sich vor allem eine Interviewgruppe. Innerhalb der Diskussion darüber, welche Möglichkeiten Jugendliche hätten, etwas auf dem Barfüsserplatz zu verändern, bringen sie zum Ausdruck, dass Jugendliche aus ihrer Sicht zu wenig Respekt von Erwachsenen erhalten (Barf1:377-389): „Person 3: Bei uns jetzt, also wenn man einfach jugendlich ist oder so, dann hören die Leute meistens nicht zu. […] Aber bei Erwachsenen hören sie meistens mehr zu und haben auch meistens mehr Respekt davor, vor den Leuten. […] Person 2: Jugendliche machen einfach mehr Scheiss und dann, also zum Beispiel auch in der Schule, wenn man so sagt "Ja was hättet ihr gerne in der Schule?" dann kommen so eher so unsinnige Ideen und von Erwachsenen kommen dann so mega konstruktive Vorschläge. Und ich weiss auch nicht, wenn die, welche selber Erwachsene sind, das Gefühl haben, dass wenn es Erwachsene sind, dann nehmen sie sie eher ernst, weil sie gleich sind und Jugendliche sind, weil sie eher so minderwertig sind, (unv. weil zu schnell) dann fühlen sie sich so überheblich.“ Annerkennungs- und Ablehnungserlebnisse im Gartenbad Bachgraben Da die jugendlichen Bedürfnisse nach Selbstregulierung durch die vorherrschenden Regulierungsmechanismen eingeschränkt sind, kann es als Ablehnung gegenüber dem jugendlichen Lebensstil interpretiert werden. Sowohl aus den eigenen Beobachtungen als auch aus den Schilderungen der Jugendlichen lässt sich schliessen, dass einiges, das Jugendliche gerne tun (Rauchen, Musik hören, Neues und Gefährliches Ausprobieren, etc.), im Gartenbad nicht toleriert wird. Dennoch haben die Jugendlichen Strategien entwickelt, wie sie sich trotz dieser fehlenden Anerkennung Möglichkeiten schaffen können, um ihre Bedürfnisse dennoch ausleben zu können. Demnach bewerten die befragten Jugendlichen diese Form der Ablehnung durch das Normensystem nicht zwingend als Abwertung, viel eher scheinen sie andere Ablehnungserlebnisse stärker zu beschäftigen. So befürchtet beispielsweise eine Jungengruppe, dass sie mit ihrem Kunststücken bei anderen Badegästen (in diesem Fall bei einem anderen Mädchen) negativ auffällt und die von ihnen beabsichtigte positive Wirkung fehlschlägt (vgl. Bach2:321ff). Andere Interviewpartnerinnen erzählen von Erlebnissen, bei denen sie von anderen Jugendlichen abwertend behandelt wurden; insbesondere eine Mädchengruppe schildert in diesem Zusammenhang ihren Kampf um die Anerkennung ihrer integren Sexualität (Bach3:611ff): „Person 2: Wenn du dich betatschen lässt, ist es morgen, steht es sogar in der Zeitung. Es geht so schnell um die Welt, ganz Basel weiss dann davon. […] 148 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Person 1: Und die würden sogar rum erzählen, wegen einmal angefasst, die haben gefickt. […] Person 2: Und es verändert sich immer, einmal war sie betrunken, dann war sie schwanger, immer sie müssen immer etwas dazu erfinden und so. Interviewerin: Also wer erfindet denn das dazu? […] Person 1: Ja, Typen die einfach nichts Besseres zu tun haben, als den Ruf kaputt machen und diesen ganzen Scheiss. Person 4: Obwohl dass man eigentlich einen guten Ruf hätte, machen sie nachher aus unserem eigenen Ruf einen schlechten Ruf. Dann denkt jeder ja ‚Das ist so eine Schlampe, die kann jeder haben, die gibt jedem, ja, ein Loch und so’ also Futz und ‚Mit dieser kannst du machen, was du willst, die lässt alles zu, so eine Bitch’.“ Diese heftigen Worte, mit welchen die Mädchen ihre Angst vor Ablehnung beschreiben, machen deren existentielle Bedeutung offensichtlich: Einmal als Frau zur ‚Bitch’ degradiert, müssen die Mädchen weitere Abwertungen und Ablehnungserlebnisse in Kauf nehmen, die sie schliesslich in ihrem Umgang mit dem anderen Geschlecht aber auch mit gleichaltrigen Mädchen stark beschränken. Generell scheint sich diese Mädchengruppe in einem steten Konkurrenzkampf mit anderen Mädchen zu befinden, geht es nun ums Aussehen, um andere Jungen oder die eigene sexuelle Integrität. Schliesslich begründet eine Jugendgruppe, ähnlich wie im Falle des Barfüsserplatzes, die fehlende Unterstützung bei der Umsetzung eines Grillplatzes im Gartenbad mit dem negativen Jugendbild, das in der Öffentlichkeit vorherrscht: „Ja also ältere Leute, die würden sagen ‚Ja komm, die heutige Jugend’, die so voll un-, kein Respekt haben wir und ja, sie [gemeint ist die Interviewerin] wissen es selber, sie sind auch nicht so alt, sie sind eigentlich auch jung und sie wissen selber manchmal ältere Leute sagen ‚Heutige Jugend ist Scheisse’“ (Bach1:484). Wie bereits erwähnt kommt es im Gartenbad Bachgraben auch zu Konfliktsituationen zwischen Jugendlichen. Eine Mädchengruppe beschreibt ausführlich, wie sie bereits mehrmals mit anderen Mädchen Streit im Gartenbad hatte, weil sie sich – aus der subjektiven Sicht der Beteiligten – gegenseitig „komisch“ angeschaut haben. Wie diese Mädchen erklären, kann man sich insbesondere im Gartenbad schnell mal von solch einem Blick provoziert fühlen: „Aber in der Stadt ist es nicht so, weil mega viele sind in der Stadt unter Stress und so, sind konzentriert oder sind gerade am Natel und so, dann merken sie es nicht. Aber hier im Bachi schaut jeder jeden an, oder, und dann merkst du es mega. Dann schaust du genauer hin, wenn dich jemand komisch ansieht“ (Bach3:105). Die besondere Atmosphäre im Gartenbad Bachgraben als Ort des „Sehen-und-Gesehen-Werdens“ birgt in sich ein Konfliktpotential, beispielsweise wenn mit einem komischen Blick Ablehnung ausgedrückt wird. Die eingenommene Perspektive der Beteiligten spielt eine zentrale Rolle dabei, wie jemand einen solchen Blick interpretiert und dementsprechend darauf reagiert, weshalb die Konfliktvermeidung äusserst schwierig ist: „Ja, ok, das kannst du nicht ändern, ohne Stress, dass es keinen Stress gibt, aber es gibt immer irgendwie Stress, scheissegal, wo du bist oder wo 149 du verkehrst, es gibt immer irgendwie Stress“ (Bach3:551). Weitere Konflikte ergeben sich laut den befragten Jugendlichen aufgrund von räumlichen Grenzziehungen, wie sie bereits erörtert wurden. Auf der Basis von gegenseitiger Ablehnung und Vorurteilen entstehen somit territoriale Konflikte, die ab und zu auch in (verbal oder physisch) gewalttätigen Auseinandersetzungen münden (vgl. insbesondere Bach1:252ff und 430ff). Während die bis anhin geschilderten sozial bedingten Aneignungsrestriktionen auf direkten Auseinandersetzungen mit anderen Personen beruhen, schildern einige Jugendliche auch eine generelle Angst vor Gewalt (Schlägereien, Vergewaltigung) oder Kriminalität (Diebstahl) als einschränkende Faktoren, die entweder auf persönlichen Erfahrungen (vgl. Bach1:238ff und Bach3:74ff) oder überlieferten Situationen beruhen (vgl. Bach4:126ff). Im Allgemeinen reagieren die befragten Jugendlichen unterschiedlich auf die Konfliktsituationen, die sie im Gartenbad erleben: Die meisten Jugendlichen versuchen, Konfliktsituationen zu vermeiden. Einige aber nehmen die Haltung ein, dass es notwendig sei, sich zu wehren und sich durch die Konfliktaustragung Respekt zu verschaffen: „Solche Leute, also so Franzosen und so, denen darfst du einfach keinen Respekt zeigen. Wegen, die meinen hier, sie müssen mal schauen gehen, die meinen sie wären hier die grössten Kings und so. (...) Eigentlich sind sie nichts, also so quasi wie Asyle, die hierher kommen“ (Bach1:267). Schliesslich fühlen sich einzelne Jugendliche auch dazu verpflichtet, in Streitereien involvierte Freunde zu unterstützen, weshalb sie ebenfalls eingreifen (vgl. Bach1:424ff). Annerkennungs- und Ablehnungserlebnisse auf der Dreirosenanlage Das Tanzen als jugendkultureller Ausdruck wird von den Jugendlichen mehrmals als Handlung erwähnt, die entweder Anerkennung oder Ablehnung bei anderen Personen hervorruft. Besonders die befragte Jungengruppe stellt aufgrund ihrer ausgeprägten Teilhabe an der Öffentlichkeit der Tanz-Jugendkultur einen interessanten Fall dar, um die Ablehnungs- und Anerkennungsmechanismen Jugendlicher in der Öffentlichkeit besser zu verstehen. Deshalb wird im Folgenden vor allem auf die Anerkennungs- und Ablehnungserlebnisse dieser Gruppe eingegangen. Das Tanzen in der Öffentlichkeit birgt in sich die Möglichkeit, sich als Gruppe und Einzelperson Anerkennung zu verschaffen. Die offiziellen Auftritte sowie die „Hauptrolle“ in der MTV-Reportage verschaffen den Jungen das Erfolgsgefühl, welches sie sich so sehr wünschen (Drei1:367ff): „Interviewerin: Aber […] wie fühlt man sich so, wenn man hier quasi im Mittelpunkt steht? Person 1: Es ist geil, wenn man die beste Gruppe in der Schweiz ist. Person 5: Es ist nice. […] Person 4: Zum Beispiel dann weiss man, ja wenn man dran kommt, dann schauen alle aufPerson 1: Man hat etwas erreicht eigentlich, wenn man dann weiss, dass alle die hier waren wissen jetzt, dass sind halt jetzt auch die besten Crews. Und wenn man zum Beispiel in Zürich oder so, dann wissen alle ‚Aha, die sind hier.’ Das motiviert einfach.“ 150 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Die Dreirosenanlage ist eng mit diesen Erlebnissen verknüpft und deshalb ein bedeutsamer Teil ihrer Erfolgsgeschichte, auch weil hier alles begonnen hat (Drei1:102ff): „Interviewerin: Gibt es sonst noch irgendeine tolle Geschichte, die euch in den Sinn kommt, so irgendwie ein positives Erlebnis? Person 3: Ja, dass ich das alles aufgegründet habe. Person 1: Hey stimmt Alter. Person 3: Ich tanzte hier zuerst und so und mit der Zeit habe ich das aufgebaut und mit der Zeit ist ja, Jerken halt aufgekommen. Person 1: Ist gut raus gekommen. Die Aneignung der Dreirosenanlage durch diese Jungengruppe durch das Tanzen reicht aber über eine räumlich und zeitlich begrenzte sowie situative Repräsentation hinaus, vielmehr ist sie Teil eines umfassenden und bedeutsamen Lebenszusammenhanges der Jugendlichen: Auf der Dreirosenanlage wurde die Tanzgruppe gegründet (vgl. Drei1:103ff), in den Räumen des Jugendtreffpunktes treffen sich die Jungen regelmässig zum Tanztraining (Drei1:16ff), hierher kam auch MTV, um ihr Fähigkeiten in einem Video zu dokumentieren (Drei1:86ff) – in der Dreirosenanlage sind also die zukünftige Tanzkarriere und damit auch die Lebensträume und Identitätskonstruktionen der Jugendlichen verortet. Das Tanzen als eine Form der jugendlichen Selbstdarstellung steht demnach für Erfolg und Selbstverwirklichung. Das Tanzen ist aber auch abseits der grossen Auftritte ein bedeutungsvolles Mittel, sich als Gruppe Anerkennung zu verschaffen, beispielsweise wenn die jüngeren Knaben ihre Tanzkünste bewundern (Drei1:362ff) oder vorbeigehende Passanten ihnen positive Aufmerksamkeit schenken (Drei1:348ff). Dass die Jugendarbeitenden des Treffpunktes den Jugendlichen ihren Trainingsraum kostenlos zu Verfügung stellen und sie auch regelmässig in ihren Projekten unterstützen, stellt einen weiteren wichtigen Beitrag dazu dar, dass das Tanzen für diese Jugendlichen ein äusserst positives Gefühl der Anerkennung und Selbstwirksamkeit vermittelt. Dies gilt nicht nur für diese Jugendgruppe, auch eine weitere Interviewgruppe spricht davon, dass sie mit die Teilhabe an der Öffentlichkeit des Tanzens positive Erlebnisse und Empfindungen verbinden. Das Tanzen in der Öffentlichkeit ermöglicht der Jugendgruppe ausserdem, die Aufmerksamkeit möglicher Manager oder Sponsoren zu erregen und ihnen ihr Können zu präsentieren (Drei1:316ff): „Interviewerin: Ihr habt ja immer in diesen Videos62 eben so öffentliche Räume aufgesucht. […] Wieso macht ihr das in der Öffentlichkeit? […] Person 4: Es halt so etwas damit zu tun, dass wir zum Beispiel Connections erwerben wollen. Also wir sozusagen von Leuten Aufmerksamkeit bekommen, dass wir hier weiterhin noch bekannter werden als nur im Internet. 62 Siehe dazu URL: http://www.youtube.com/user/TheCapKidzofficial. 151 Person 6: Zum Beispiel dass wir dann Auftritte haben und so. Zum Beispiel wir haben jetzt Auftritte in Biel (unv.). Person 2: Ja und wir wollen einfach Jerk bekannt machen. Also indem wir einfach überall tanzen, kommen so Leute, und denn fragen sich diese Leute ‚Was tanzen die?’ und können wir sagen ‚Hey, das ist Jerk, ein neuer Tanzstyle’ und so machen wir Jerk einfach auch bekannt in der Schweiz.“ Positive Aufmerksamkeit wie beispielsweise die Mitarbeit bei der Jerk-Reportage von MTV sowie die Teilnahme an Wettbewerben63 bringen ihnen die notwendige Anerkennung, die ihnen einerseits neue Motivation zum Weitermachen gibt und andererseits sie jeweils ein Stück näher an ihr Ziel ihrer Träume bringt: „Man hat etwas erreicht eigentlich, wenn man dann weiss, dass alle die hier waren wissen jetzt, dass sind halt jetzt auch die besten Crews. Und wenn man zum Beispiel in Zürich oder so, dann wissen alle ‚Aha, die sind hier’. Das motiviert einfach“ (Drei1:372). Aber auch bei einer anderen interviewten Mädchengruppe nimmt das Tanzen einen prominenten Stellenwert der symbolischen Aneignung der Dreirosenanlage ein. Auch für diese Mädchen bedeutet das Tanzen auf der Dreirosenanlage sowohl Aufmerksamkeit als auch Anerkennung, dies aber in erster Linie in einem sozialen Sinne. So beschreibt eines dieser Mädchen ihr schönstes Erlebnis auf der Dreirosenanlage folgendermassen: „Ah, eben einmal waren diese Jerkers hier in der Mitte, […] jerkten irgendwie rum, dann kamen ich und Steffi und tanzten mit, sagten immer ‚Ja, also bring mir das bei’, wir konnten eh schon alles und dann waren hier so andere Leute, die uns die ganze Zeit zuschauten, und dann hörten sie nicht mehr auf und dann rannten wir hier so rum und hatten voll den Spass zusammen, gell? […] und dann standen die Typen hier auf, fingen auch an zu tanzen und dann flippte ich aus, weil ich hasse es, wenn ich am Tanzen bin und dann schaut man mich und dann tanzt man auch, dass ist dann so wie ein Battle, und ja, das war mega lustig dieser Tag. Ich weiss auch nicht, das ist mir in Erinnerung geblieben“ (Drei2:162). Solche und ähnliche Situationen vermitteln ihnen das Gefühl, am öffentlichen und jugendkulturellen Leben teilzuhaben; so erwähnen sie im Weiteren auch den MTV-Event (s.o.) als eines der schönsten Erlebnisse, weil sie hier „wie bei einem richtigen Tanzfilm“ (Drei2:155) zuschauen konnten. Die Mädchen nutzen das Tanzen demnach als Kommunikationsmittel, einerseits um positive soziale Erlebnisse zu kreieren und andererseits um sich, beispielsweise in einem Battle, Respekt zu verschaffen. Der Tanzwettbewerb (oder eben Battle) steht stellvertretend für alle symbolischen Aneignungsprozesse, die mit dem Tanzen in Verbindung stehen: Aufmerksamkeit, Anerkennung, Erfolg, Respekt und Teilhabe. In demselben Masse wie das Tanzen den Jungen Anerkennung verschafft, ist es ebenso Ursache für zahlreiche Ablehnungserfahrungen: Die Jungen werden regelmässig von anderen Jugendlichen ausgelacht und beleidigt, von Aussenstehenden wird ihnen Ignoranz oder gar Abwertung entgegengebracht. Ähnlich erzählen auch die Mädchen der zweiten Gruppe davon, dass sie erlebt haben, wie andere über ihren Tanzstil gelacht haben (Drei2:236ff). 63 Zur MTV-Reportage siehe http://www.swatchmtvplayground.com/gb/scene/group/2. Ausserdem wurden The Capkidz Zweite am Swiss Jerk Championship 2011. 152 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Solche Erlebnisse scheinen den Jugendlichen zu schaffen zu machen, im Falle der Jungengruppe werden diese Formen der Ablehnungen als direkter Störfaktor in ihrer Entwicklungen und als ein Hindernis ihrer Tanzkarriere empfunden. Dazu kommen mehrere negative Erfahrungen an Tanzwettbewerben oder mit Vertretern des Business, die sie teilweise verunsichern oder hilflos machen: „Wir haben es oft erlebt, dass wir Leute reinliessen beim Training, dann haben sie nachher von uns kopiert und dann an einem Contest, also zum Beispiel gerade diese Choreographie machen, aber die andere Gruppe hatte es bereits gemacht. Dann konnten wir es nicht machen, und so waren wir wie verwirrt, wussten wir nicht, was machen“ (Drei1:429). Sich in der Öffentlichkeit als Tanzcrew zu präsentieren bedeutet für die Jungen auch immer, sich einem Konkurrenzkampf auszuliefern und ebenso Gefahr zu laufen, ausgenutzt und enttäuscht zu werden: „Weil einmal hat uns so ein, einmal wollte uns ein Mann in seinem Label aufnehmen, und dann hatten wir so Freude […] aber am Schluss hat er so uns einfach verarscht“ (Drei1:551). Dieses Misstrauen ist auch der Grund dafür, weshalb sich diese Gruppe eher von anderen Nutzergruppen auf der Dreirosenanlage abkapselt und unter sich bleibt, obschon sie sich im Allgemeinen einen offeneren Umgang mit anderen Menschen wünscht: „Man sollte eigentlich offener sein und mehr zusammen machen, dann hätte man auch mehr Spass. Ich meine, wenn wir nur zu fünft, zu sechst, immer nur, immer dasselbe, während fünf sechs Jahren, das ist ein wenig langweilig. Aber wenn Leute immer offen sind und sich begrüssen oder, und Spass zusammen haben, dann ist es auch besser, finde ich. Man sollte gelassener sein, nicht immer so verschlossen, egoistisch auch“ (Drei1:594). Im Generellen beurteilt diese Jugendgruppe trotz der zahlreichen Erfolgserlebnisse sowie der Unterstützung und Anerkennung Aussenstehender ihre Situation als wenig Erfolgsverprechend (Drei1:562ff): „Person 4: In der Schweiz zum Beispiel, hier wenn du tanzt, dann schauen die Leute nur so, laufen vorbei, aber zum Beispiel, keine Ahnung, in Amerika oder so, wenn sie so tanzen, werden sie bewundert oder so, dann rufen alle ‚Wow, was ist das’ und so. Person 1: Hier wirst du nur bewundert, wenn du eine Lehre hast. (lachen) Person 4: No Lehre, keine Bewunderung, du bist Luft. […] Person 4: Du bist einfach ganz, wenn du keine Lehre hast, für diese Leute bist du einfach ein fauler Siech. Person 1: Und jetzt nicht rassistisch gemeint oder so, aber vor allem wenn du noch dunkelhäutig bistPerson 4: Oh, dann hast du geschissen. Person 6: (unv. reden durcheinander) sagen diese Leute ‚Aha, das sind so Leute, die nichts zu tun haben und dann kommen sie einfach so auf die Strasse’ (unv. reden durcheinander). Person 1: Leben von der Stadt und sie zahlen für uns.“ 153 Es scheint so, als ob das mit dem Tanzen angestrebte Ziel nach Anerkennung und Erfolg für die Jungen nicht realisierbar scheint. Ihre ethnische Herkunft scheint zwar nicht nur aber zumindest teilweise eine Ursache dafür zu sein, dass die Jungen stärker als andere um Anerkennung kämpfen müssen. Mehrmals erwähnen sie während des Interviews, dass sie aufgrund ihrer Hautfarbe von anderen als anders oder abnormal wahrgenommen werden (Drei1:343f): „Interviewerin: Also eben diese Leute, die das eben nicht kennen so wie ich oder so, was denkt ihr, was denken die von euch, wenn sie euch auf der Strasse tanzen sehen? Person 5: Crazy Niggers.“ Diese Andersartigkeit stellt in Bezug auf die Chance auf Anerkennung eine Ambivalenz dar, ist sie doch einerseits der Grund für die beschriebenen Ablehnungserlebnisse, aber andererseits ebenso eines der wichtigsten Mittel, sich von anderen positiv abzuheben und nicht alltägliche Selbsterfahrungen zu machen. Als Beispiel dazu die Fortsetzung des obigen Zitates (Drei1:348ff): “Person 5: Crazy Niggers. Person 4: Idioten. Interviewer: Crazy Niggers? (lachen) Person 1: Ich denke nicht gerade Idioten, ich denke einfach es ist etwas Neues (Person 5: Das können nur Schwarze, Alte.) Das ist etwas Neues, weil sie haben so etwas noch nie gesehen, das ist etwas Neues, ein neues Erlebnis, und ich denke, die meisten Leute denken wirklich, sie machen ein paar Sachen die krank sind oder komisch sind, sie tanzen wenigstens, sie können tanzen. Person 1: Und sie haben Freude am Tanzen. Das sieht man, wir sind einfach lebendige Menschen. Person 3: Also die meisten lachen vielleicht aus, weil sie es noch nie gesehen haben, aber wenn sie es mehrmals sehen, dann denken sie ‚Tschöss, wie geht das? Das ist schwer zu machen, es ist doch nicht so leicht’ und so. Ja mit der Zeit denken sie dann so ‚Oje, das ist doch noch geil’ statt auslachen.“ Die widersprüchlichen Aussagen dieser Interviewgruppe sind möglicherweise Ausdruck davon, dass sie sich in einem Prozess der Identitätsentwicklung befinden. Bei den anderen beiden Mädchengruppen treten weitere Motive hinsichtlich ihrer Anerkennungs- und Ablehnungserfahrungen auf: Erstens erhalten die Mädchen sowohl positive wie auch negative Rückmeldungen zu ihrem äusseren Auftreten und Style (vgl. Drei2); zweitens sind sie nicht selten in gegenseitige Feindseligkeiten verstrickt, die sich wiederum in der Form von offener Ablehnung ausdrücken (vgl. Drei2 und Drei3); schliesslich scheinen Erwachsene und vor allem auch die eigenen Eltern eine ablehnendes Bild von den 154 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Jugendlichen auf der Dreirosenanlage zu haben, das insbesondere mit dem in den Augen der Erwachsenen verantwortungslosen und Normabweichendem Verhalten der Jugendlichen begründet wird. So geht die eine Mädchengruppe davon aus, dass sie aus Erwachsenensicht als Jugendliche ein schlechtes Vorbild für die Jüngeren abgeben (Rauchen, Streiten) und die Dreirosenanlage generell ein gefährliches Umfeld (Vergewaltigung, Gewalt) für die Entwicklung der Mädchen darstellt (Drei3:307ff und 442ff). Auch während den Beobachtungen konnte registriert werden, dass einige Erwachsene Abstand zu den Jugendlichen halten oder sie mit kritischen Blicken taxieren (vgl. Beo_Drei1 und Beo_Drei3). Deshalb ist es das Anliegen eben dieser Mädchengruppe, Aussenstehende davon zu überzeugen, dass sie im Gegensatz zur öffentlichen Meinung auf der Dreirosenanlage einen positiven sozialen Umgang pflegen. Auf die Antwort nach der präferierten Rolle im öffentlichen Raum antworten sie dementsprechend (Drei3:420ff): „Person 3: Also eine Rolle würde ich jetzt nicht auswählen, ich würde einfach das mache, wie ich bin. Der Film wäre einfach ganz normaler Alltag einfach, das wäre ein spannender Film auf jeden Fall. Interviewerin: Ok, du würdest so eine Art wie ein Dokumentarfilm machen? Person 3: Ja. Person 1: Also nein, ich würde gerne mal so zeigen, wenn es Stress gibt, wie wir das klären, was wir alles machen und was wir nach Stress machen, wenn man wieder Frieden hat. Dass es eigentlich ganz witzig ist, als wäre vor fünf Minuten nichts passiert, so alle wieder ganz normal undPerson 3: Oder wie man füreinander da ist und man sich immer gegenseitig hilft, oder wie man zusammen Spässchen macht oder man kann auch locker jetzt ins Jugi rein gehen und ein Bube ist zum Beispiel Playstation am Spielen und du kennst ihn gar nicht, als hättest du es heute mitbekommen(unv. zu schnell) und du spielst einfach mit dem.“ Ähnlich möchte die zweite interviewte Mädchengruppe einen Tanzevent organisieren, bei welchem ihnen sich die Gelegenheit böte, Aussenstehenden ihre jugendliche Tanzkultur näher zu bringen und sie von den positiven Aspekten dieser Freizeitbeschäftigung zu überzeugen: „Ich würde hier so eine mega grosse Bühne aufbauen und dann eine mega grosse Veranstaltung und überall Flyers verteilen und dann würde ich hier so eine Show vorführen, weiss auch nicht, an welcher so diese Leute, diese Tänzer tanzen und dann vielleicht so Leute, die sagen, wie wichtig Tanzen für einem ist“ (Drei2:412). Solche Aktivitäten zeigen das Bedürfnis der Jugendlichen nach positiver Anerkennung in der Öffentlichkeit. Neben dem Tanzmotiv, das für die beiden erwähnten Interviewgruppen von Relevanz war, lässt sich ebenso das „Sich-Respekt-Verschaffen“ als weitere Form der Anerkennung Jugendlicher auf der Dreirosenanlage beschreiben. Nicht nur im Battle sondern im Allgemeinen liegt den Jugendlichen viel daran, sich in der Öffentlichkeit Respekt zu verschaffen (vgl. auch den Abschnitt zur normativen Aneignung). In Anlehnung an das 155 normative Prinzip des gegenseitigen Respekts gibt sich manche oder mancher Jugendliche in persönlichen Auseinandersetzungen deshalb unnachgiebig und provokativ (Drei2:319ff): „Person 3: Aber am meisten wenn uns jemand beleidigt, beleidigen wir auch zurück. […] Also wir ignorieren es nie. Interviewerin: Und wieso nicht? Person 3: Das nervt, wenn man so, einfach wenn jemand mich beleidigt, ich bin einfach nicht so still, ich muss auch etwas sagen. Dann sagt der andere ‚Hast du keine Wörter?’ und so, ich lasse mich nicht einfach beleidigen und so. […] Person 5: Eben sie zeigt ihr Respekt, also sie - […] Person 4: Also sie bleibt nicht einfach still, weil sonst kommt diese Person und denkt ja ‚Bei dieser ich kann das immer machen und die sagt einfach nichts.’ Person 3: Ja eben.“ Diese Form der jugendlichen Selbstdarstellung bringt ein Mädchen prägnant auf den Punkt, wenn sie erklärt, weshalb sie sich die Fingernägel in einem knalligen Pink lackiert: „Nein, ich habe einfach Knallfarben gerne und dann merkt man es immer so ‚Passt auf!’ (macht mit der Hand eine Krallenbewegung)“ (Drei3:336). Von aussen betrachtet scheint diese eher aggressive Form der Selbstdarstellung mit dem auf Harmonie ausgelegtem sozialen Umgang zu opponieren; es erscheint unvereinbar, auf der einen Seite sich anständig und respektvoll zu verhalten und auf der anderen Seite von der eigenen Position um keinen Preis abzuweichen. Für die befragten Jugendlichen selbst wird dieser Widerspruch jedoch nicht offensichtlich; für sie dient das repräsentative Verhalten viel eher dazu, die soziale Ordnung und Harmonie zu garantieren oder wiederherzustellen. Alle befragten Jugendlichen erzählen von persönlichen Konflikten und teilweise heftigen Auseinandersetzungen, die sie auf der Dreirosenanlage erlebt haben. Dabei handelt es bei der Jungengruppe vor allem um Situationen, in welchen sie sich von anderen Jugendlichen beim Tanztraining gestört und nicht respektiert fühlen (Drei1:480ff): „Person 1: Frech, lachen uns aus, asozial. Sie denken, sie wären etwas Besseres wie wir, sie denken, wir sind ein Stück Scheisse, aber dabei sind wir etwas Besseres (lacht). […] Person 2: Also ich würde sage, solche Leute sind, sie (lachen?) einfach über alles, was anders ist, sie beleidigen die ganze Zeit, sodass es ständig stresst, und einfach nicht, wie soll ich sagen- […] Interviewerin: Aber gibt es das viel, so Stress und Konflikt hier? Person 1: Ja hier schon. […] Interviewer: Wieso gibt es denn Stress, was ist der Grund dafür? Person 3: Sie sind, ich denke, sie sind einfach eifersüchtig. Weil wenn wir tanzen, wir haben alle zusammen Spass, alle haben uns gerne (Person 4: Weil sie denken), aber wenn sie vorbei kommen, alle sind ruhig. Alle schauen sie so an so wie ‚Ihr 156 JUGENDÖFFENTLICHKEIT könnt einfach nichts’. Weil sie denken jetzt, weil wir quasi jetzt etwas Besseres können, dann denken sie jetzt eben ‚Ok, sie sind besser als wir’, aber es gibt auch Momente, in denen sie etwas besser können als wir, zum Beispiel. Person 6: Oder sie werden eifersüchtig, weil wir hier manchmal ein paar Auftritte haben. Und dann zum Beispiel wenn wir kommen, geben sie uns zum Beispiel Sandwich oder Pizza geben sie uns gratis aus und so und dann werden sie eifersüchtig, dann fangen sie so an.“ Solche Konflikte erwachsen aus einem grundlegenden Konkurrenzverhältnis und ebenso aus dem Ehrgeiz der hier portraitierten jungen Tänzer, sich von anderen zu unterscheiden. Andere Auseinandersetzungen entspringen persönlichen Vorlieben und Abneigungen unter den Jugendlichen, die sich in der Form von Vorurteilen und Intoleranz gegenüber anderen darstellt. Im folgenden Zitat beschreibt ein Mädchen, dass sie gegenüber gewissen Mädchen eine Antipathie empfindet und es deshalb nicht erträgt, von solchen „blöd“ angeschaut zu werden – ähnlich wie im Gartenbad Bachgraben (s.o.) (Drei2:243): „Person 4: Oh ja. Also es gibt zu viele so eingebildete Leute in diesem Quartier, also die vor allem im Jugi gibt es so ein paar Leute, die meinen, sie seien hier die Besten und die Tollsten (Person 1: Ja), die dann so auch reinkommen müssen auch so angekleidet, so ‚Mmh ich bin die Beste"’ naninana und es fängt eigentlich schon mit Blicken an, dass wenn man jemanden anschaut und diese Person schaut dann schon so blöd, dann weiss nicht? Interviewerin: Was passiert dann? Person 4: Ja dann frage ich zuerst frage ich mich ‚Warum schaut diese Person?’. Also wenn ich jetzt ganz normal reinschaue, so oder ich komme ins Jugi rein und es starren mich gerade alle an und dann hat es gerade zum Beispiel so ein Mädchen, das gerade so krumm muss schauen, also krumm, einfach gerade so muss schauen, dann frage ich mich schon so ‚Warum schaut die so?’ und wenn sie dann weiterhin so schaut, regt es mich langsam auf und dann gehe ich, es kommt darauf an, vielleicht ignoriere ich es und wenn nicht gehe ich dorthin und frage ja, was los ist.“ Teilweise können solche Feindseligkeiten zu aggressiven Konfrontationen ausarten, beispielsweise wenn sich streitende Mädchen anschreien oder an den Haaren zerren (Drei2:451f), Jugendliche sich gegenseitig verletzen (Drei3:248ff) oder sich mehrere verfeindete Jugendgruppe gar zu Schlägereien auf der Dreirosenanlage verabreden (Drei3:270f): Person 2: Also es war zum Beispiel so eine Kollegin von mir (unv. Rauschen) sie wohnt in Baselland und sie kommt eigentlich schon oft hierher, weil es ist eben Treffpunkt viele Leute kommen hierher und sie kam extra hierher, weil sie wollte jemanden stressen und so und ich war auch dabei. 157 Person 3: Also hier gibt es auch Schlägereien am meisten, wenn jemand eben jemanden schlagen will, dann ‚Komm Dreirosen’ und so, also höre ich am meisten, dass es hier ‚Es gibt im Dreirosen Schlägerei’ und so.“ Solche Konflikte wurden jedoch während der Erhebung nicht beobachtet. Die Ursachen für die erwähnten Konflikte sind vielfältig, partiell lassen sie sich auf persönliche Auseinandersetzungen zurückführen, die von anderen Kontexten (Schule, Familie) in die Dreirosenanlage hineingetragen werden, manchmal sind sie aber auch Ausdruck des auf der physischen und sozialen Nähe der Jugendlichen basierenden Konfliktpotentials. Alle befragten Gruppen haben unterschiedliche Strategien entwickelt, mit den erwähnten Konfrontationen umzugehen, sei es durch aktive Verhinderung solcher Situationen oder verbale Klärung von Konflikten (vlg. Drei2 und Drei3), sei es indem sie Auseinandersetzungen ausweichen oder zu verhindern versuchen (vgl. Drei1): „Wir sind jeden Tag hier ich und sie und ich komme eigentlich hierher und ja ich habe mich langsam daran gewöhnt an solche Situationen. […] Wenn etwas nicht stimmt, dann machen wir es meistens denn so, dass es wieder stimmt. Ich weiss auch nicht, wie wir das hinkriegen“ (Drei2:282f). Analyse der Anerkennungs- und Ablehnungserlebnisse in öffentlichen Räumen Die Anerkennungs- und Ablehnungserlebnisse der befragten Jugendlichen lassen sich wie in Abbildung 14 dargestellt untereinander differenzieren und zu einzelnen Kategorien zusammenfassen. Sowohl die Anerkennungs- als auch die Ablehnungserfahrungen basieren auf der wahrgenommen Fremdbeurteilungen der Jugendlichen durch Andere und reichen von Einzelerlebnissen bis zu generalisierten Bewertungen der eigenen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Anerkennung erhalten die Jugendlichen in zahlreichen Momenten, in denen sie sich in öffentlichen Räumen aufhalten. Positive Aufmerksamkeit, Interessensbekundungen und einfache Neugier geben ihnen das Gefühl, als Einzelperson oder Gruppe beachtet und in ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben anerkannt zu werden64. Diese Form der Anerkennung der Existenz beruht weniger auf einer positiven Fremdbeurteilung durch andere, sondern vielmehr im Fehlen einer negativen Bewertung durch Aussenstehende. Die Präsenz andere Mitnutzenden im öffentlichen Raum wird im Generellen anerkannt. Abbildung 14: Jugendöffentlichkeiten zwischen Anerkennung und Ablehnung 64 Es gilt festzuhalten, dass die bei Aussenstehenden erweckte Neugierde nicht zwingend mit einer positiven Bewertung des Wahrgenommenen übereinstimmen. So äussert sich die Neugier von befragten und beobachteten Jugendlichen oft in einer eher kritischen Haltung gegenüber des oder der Beobachteten und dementsprechend ist davon auszugehen, dass ebenso die Neugier gegenüber Jugendlichen kritisch gefärbt sein kann. 158 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Quelle: Eigene Darstellung Während sich die Anerkennung der Existenz nicht in Bezug zu den Eigenheiten einer Jugendgruppe in Beziehung setzen lässt, stehen die beiden weiteren Kategorien der Anerkennung – der Ausdrucksweise einer Gruppe sowie der Gruppe an und für sich – in direkter Beziehung zu den spezifischen Charakteristiken der Jugendlichen. Aus den Befragungen geht hervor, dass Jugendliche für ihre Ausdrucksweisen (Verhalten, Handlungen, äussere Erscheinung, etc.) in der Öffentlichkeit positive Reaktionen wie auch Bewunderung und Komplimente erhalten (bspw. für einen gelungenen Tanzschritt oder eine schöne Frisur). Zu dieser Art der Anerkennung kann ebenso die Tolerierung gewisser jugendlicher Verhaltensweisen gezählt werden (z.B. Toleranz gegenüber öffentlichem Musik Hören oder Raumbesetzendem Verhalten). Diese den Jugendlichen entgegengebrachten Sympathien lassen sich direkt von der Wahrnehmung Aussenstehenden ableiten, sie sind aber nur mit einer einzigen Ausdrucksweise zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem spezifischen Ort verknüpft. Demgegenüber entspringt die Anerkennung als Person oder Gruppe vielmehr einer allgemeinen positiven Fremdbewertung, die sich zwar direkt auf ein bestimmtes soziales Kollektiv bezieht, jedoch nicht auf ihre einzelnen Ausdrucksweisen. Hierunter sind zu zählen 159 die Anerkennung der Leistung einer Person oder Gruppe (und der darauf sich einstellende Erfolg), die Würdigung der Handlungen und Einstellungen einer Person oder Gruppe sowie den Personen zugekommene Unterstützungsleistungen durch Aussenstehende. Diese Formen der Anerkennung lassen sich nur dann in einem öffentlichen Raum verorten, wenn ihr Ursprung mit einem bestimmten Ort und den damit verbundenen Erfahrungen in Verbindung steht (wie dies bei der tanzenden Jungengruppe auf der Dreirosenanlage der Fall ist). Die Anerkennung als soziale Gruppe schliesslich bezieht sich meist auf die Frage, inwiefern die Jugendlichen als soziale Gruppe (bzw. die jugendlichen Mädchen und jugendlichen Jungen als soziale Geschlechter) in der Öffentlichkeit in ihren Eigenheiten und Bedürfnissen geachtet werden. Die positive Fremdbeurteilung lässt sich in diesem Fall nicht mehr auf Einzelpersonen zurückführen, vielmehr handelt es sich um eine auf eine soziale Gruppe generalisierte Anerkennung, die allen dieser Gruppe Zugehörigen zuteil kommt65. Der Respekt gegenüber einzelnen Personen oder Gruppen sowie gegenüber einer sozialen Gruppe stellt eine zentrale Form der Anerkennung dar, die sich über alle bereits besprochenen Anerkennungsformen erstreckt und von mehreren interviewten Gruppen als die bedeutendste ‚Währung’ für Anerkennung dargestellt wurde. Je nachdem, ob sie als universelles Recht aller oder als partikulare Wertschätzung verstanden wird, bezieht sie sich entweder auf die Anerkennung als soziale Gruppe oder auf die Anerkennung als Personen und deren Verhalten. Im ersteren Fall ist anzunehmen, dass die Jugendlichen von einem universellen Recht aller Menschen auf eine respektvolle Behandlung und Beurteilung ausgehen. Beispiele dafür sind die Fairness-Regeln auf der Dreirosenanlage sowie die wahrgenommenen Freiheiten auf dem Barfüsserplatz. Dieses Verständnis von Respekt basiert auf der Überzeugung, dass alle Menschen gleiche Rechte haben und stellt demnach auch allen Jugendlichen Anerkennung in Aussicht. Im Gegensatz dazu scheint es weitere Vorstellungen von Respekt zu geben, die nur partikular für bestimmte Personen gültig sind. Dies gilt erstens dann, wenn die Anerkennung an eine bestimmte soziale Position gekoppelt und somit Ausdruck von gegebenen Machtstrukturen ist. Dieses Respekts-Verständnis basiert auf einer hierarchisierten Vorstellung sozialer Beziehungen und zeigt sich beispielsweise im respektvollen Umgang mit Autoritätspersonen (Mitarbeiter des Gartenbades Bachgraben, Respekt gegenüber älteren Personen oder Eltern, etc.). Aus dieser Perspektive fällt es den Jugendlichen schwer, sich in öffentlichen Räumen Respekt zu verschaffen, da sie in den sozialen Beziehungen meist untergeordnete Rollen einnehmen. Schliesslich kann davon eine dritte Kategorie von Respekt unterschieden werden, welche als Wertschätzung korrekten Verhaltens anderer umschrieben werden kann. Auch hier handelt es sich um eine partikulare Vorstellung von Anerkennung, weil Respekt nur denjenigen gewährt wird, die sich den Normen entsprechend verhalten. Respekt entspringt gemäss dieser Vorstellung aus einer bestimmten Wertekongruenz zwischen den Beteiligten und folgt demnach dem Prinzip der Gegenseitigkeit. In diesem Zusammenhang haben die Jugendliche realistische Chancen auf 65 Diese Kategorie konnte nicht direkt aus den erhobenen Daten abgeleitet werden, sondern wurde als Gegenpol zur Kategorie „Ablehnung als soziale Gruppe“ konstruiert. Diese Vorgehensweise dient dazu, die theoretischen Annahmen zur Anerkennung und Ablehnung jugendlicher in öffentlichen Räumen/in der Öffentlichkeit zu verfeinern und mögliche Lücken im Datenmaterial sichtbar zu machen. 160 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Anerkennung in öffentlichen Räumen, sofern sie sich an die geltenden Verhaltensnormen halten. Diesem ausdifferenzierten Spektrum von Anerkennung Jugendlicher in öffentlichen Räumen steht eine ebenso vielseitige Bandbreite an Ablehnungserfahrungen Jugendlicher gegenüber. Bezüglich der Ablehnung der Präsenz verhält es sich ähnlich wie zu seinem Pendant in den Annerkennungs-Kategorien: Jugendliche erfahren negativ gefärbte Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum und ihre Präsenz wird als störend empfunden66. Im Zusammenhang mit der Ablehnung jugendlichen Ausdrucksweisen wurde von den Interviewten beschrieben, dass sie teilweise mit negativen Reaktionen auf ihre Verhalten direkt konfrontiert werden, umso häufiger jedoch das Gefühl verspüren, Aussenstehende würden ihre öffentlich sichtbaren Verhaltens- und Erscheinungsweisen diskreditieren. Das Spektrum der Herabsetzungen lässt sich mit folgenden drei Feldern umreissen: Minderwertigkeit (unproduktiv, unreif, schwach), Andersartigkeit (abnormal, nonkonform) und Verwerflichkeit (unmoralisch, verantwortungslos, überheblich, respektlos). Die Ausdrucksweisen der Befragten in öffentlichen Räumen werden folglich als minderwertig, andersartig oder verwerflich bezeichnet, was von ihnen selbst als Ablehnung ihrer Verhaltensund Erscheinungsweisen gedeutet wird. Schliesslich äussert sich die Ablehnung ihrer spezifischer Ausdrucksweisen auch in der Störung oder gar Sabotage ihrer Vorhaben, wie dies beispielsweise die tanzende Jungengruppe erleben musste. In der Kategorie der Ablehnung als Person oder Gruppe verhält es sich ähnlich wie zuvor beschrieben: Einzelne Personen oder Gruppen werden von Aussenstehenden als minderwertig, andersartig oder verwerflich charakterisiert und deshalb angegriffen oder beleidigt. Als besonders kränkend empfinden die Interviewten beispielsweise die fehlende Anerkennung ihrer eigenen Leistung oder die böswillige Verleumdung der eigenen Person, aber auch ein Mangel an Unterstützung der individuellen und gruppenbezogenen Vorhaben löst bei den Jugendlichen das Gefühl hervor, abgelehnt zu werden. Gleichsam wie auf der Seite der Anerkennung ist eine Beziehungen zwischen der Ablehnung als Personen und einem bestimmten öffentlichen Raum nur dann gegeben, wenn sich die Ablehnungserfahrungen an diesem Ort ergeben haben. Schliesslich erleben die Heranwachsenden als soziale Gruppe, sei es als Altersgruppe der Jugendlichen, als zugehörig zu einem sozialen Geschlecht, sei es als Ausländer oder Ausländerin oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Quartierszusammenhang, ebenso Ablehnung in öffentlichen Räumen. Diese basiert auf generalisierten Vorurteilen (Minderwertigkeit, Andersartigkeit, Verwerflichkeit), mit denen sie von Aussenstehenden in Verbindung gebracht werden. Die Abwertungen gehen sowohl von anderen Jugendlichen als auch von Erwachsenen aus und zielen auf die Herabsetzung einer bestimmten sozialen Gruppe. 66 Diese Kategorie wurde nicht direkt aus den Daten abgeleitet, sondern als Gegenstück zur Kategorie „Anerkennung der Existenz“ konstruiert. Diese Vorgehensweise dient dazu, die theoretischen Annahmen zur Anerkennung und Ablehnung jugendlicher in öffentlichen Räumen/in der Öffentlichkeit zu verfeinern und mögliche Lücken im Datenmaterial sichtbar zu machen. 161 Die Jugendöffentlichkeit befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Ablehnung, in einem steten Ausgleich zwischen positiver und negativer Beurteilung durch Aussenstehende sowie in einem nie endenden Wettbewerb unter den Jugendlichen selbst. Da Jugendlichen sowohl mit Anerkennungs- als auch mit Ablehnungserlebnisse in öffentlichen Räumen konfrontiert sind, stellt sich ihre diesbezügliche Erfahrungswelt als ambivalent und widersprüchlich dar; viele Befragten sind noch auf der Suche nach ihrer eigenen Position im Geflecht der sie umgebenden sozialen Beziehungen und nutzen auch selbst Zugehörigkeits- und Abgrenzungsmechanismen, um ihre gesellschaftliche Stellung zu festigen. Gleichzeitig wird ihnen ihre jeweilige soziale Position von Aussenstehenden zugewiesen und sie müssen sich mit allfälligen Unterordnungen auseinandersetzen. Je stärker die Jugendlichen ihre Perspektive von den spezifischen Ausprägungen (Anerkennung/Ablehnung der Ausdrucksweisen und als Person/en) abwenden und auf die generalisierten oder diffusen Ausprägungen (Anerkennung/Ablehnung der Existenz und als soziale Gruppe) richten, desto existentieller wird die Frage nach Anerkennung und Ablehnung. Dies verdeutlichen beispielsweise die ambivalenten Aussagen der Jungengruppe auf der Dreirosenanlage. Sowohl als öffentlich bekannte Tanzcrew sowie mit ihrem öffentlichen Tanzen können sie Sympathien gewinnen und ebenso Antipathien wecken (Anerkennung/Ablehnung der Ausdruckweise), sich durch ihre Leistung Respekt verschaffen und gleichsam die Missgunst anderer auf sich lenken. Diese Erlebnisse geben den Jugendlichen ein direktes Feedback und helfen ihnen, motiviert zu bleiben und sich der Herausforderung zu stellen, Unterstützungsnetzwerke aufzubauen sowie schädigende Beziehungen zu vermeiden. Die öffentlichen Ablehnungen aber, welche die Jugendlichen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu sozialen Gruppierungen erfahren, stellen die Verwirklichung ihrer Träume wiederkehrend in Frage: Die doppelte Abwertung ihrer selbst einerseits als „Schwarze“ sowie andererseits als Jugendliche und ebenso die fehlende Anerkennung ihres Lebensentwurfes als Tänzer schwächt ihre Motivation und birgt in sich ein grosses Frustrationspotential (vgl. Drei1). Wie dargestellt, ergeben sich in öffentlichen Räumen zahlreiche Konflikte unterschiedlicher Reichweite und Intensität. Ein Teil dieser Auseinandersetzungen lassen sich direkt oder indirekt aus den in diesem Abschnitt geschilderten Ablehnungs- und Ausschlussmechanismen im öffentlichen Raum ableiten und sind demnach als Konflikte auf der Beziehungsebene67 zu begreifen. Weitere Konfrontationen zwischen Jugendlichen und Aussenstehenden sowie unter den Jugendlichen selbst können entweder auf unterschiedliche Interessen (Konflikte auf der Sachebene, z.B. Musiklautstärke im öffentlichen Raum) oder auf Konfliktfördernde soziale Bedingungen des öffentlichen Raumes (Konflikte auf der Ebene des sozialen Settings, z.B. rücksichtlose Umgangsformen oder eine angespannte Atmosphäre im 67 Mit dem Begriff der Beziehung soll darauf hingewiesen werden, dass die Konfliktursache innerhalb des Beziehungsgefüges der Konfliktbeteiligten liegt. Es muss sich dabei nicht um private Beziehungen handeln, sondern wie im Kapitel ausführlich erörtert kann es sich ebenso um sog. „öffentliche Beziehungen“ handeln, die zwischen unterschiedlichen Jugendgruppen oder sozialen Gruppierungen (Altersgruppen, Geschlechtszugehörigkeit, etc.) in öffentlichen Räumen bestehen. Dementsprechend wird im Folgenden auch von „öffentlichen Konflikten“ gesprochen, die von den Zugehörigkeits- und Ausschlussmechanismen von am öffentlichen Leben beteiligten Personen ausgehen. 162 JUGENDÖFFENTLICHKEIT öffentlichen Raum) zurückgeführt werden. Diese beiden Konfliktkategorien werden teilweise von den auf der Beziehungsebene basierenden beziehungsweise privaten Spannungen überlagert oder verstärkt. Dabei lässt sich aus den erhobenen Daten selten eindeutig erkenne, wo sich der Ursprung des Konfliktes verorten lässt, ob es sich um eine private oder öffentliche Auseinandersetzung handelt und welche Bedeutung vorhandene Meinungsverschiedenheiten auf der Sachebene und Bedingungen des sozialen Settings während des Konfliktsverlaufs spielen. Die These der sozialen Bedingtheit von Konflikten in öffentlichen Räumen lässt sich jedoch zusätzlich erörtern, wenn man die unterschiedlichen Formen des Umgangs in Konflikten und Lösungsstrategien der Jugendlichen in den Blick nimmt: Handelt es sich um Interessenkonflikte auf sachlicher Ebene versuchen die Jugendlichen die eigenen Interessen gegen andere abzuwägen und wo möglich Rücksicht zu nehmen oder einen Kompromiss auszuhandeln. Auseinandersetzungen, welche auf das spezifische soziale Setting eines öffentlichen Raumes zurückzuführen sind, werden von den Jugendlichen wenn immer möglich vermieden (z.B. aggressive oder betrunkene Personen) oder ignoriert (z.B. Provokationen) und wenn notwendig ausgehalten (z.B. rücksichtloses Verhalten von Mitnutzenden). Nur selten kommt es zu einer direkten Konfrontation. Konflikte auf der Ebene der sozialen Beziehungen schliesslich fordern von den Jugendlichen eine aktive Mitgestaltung: In solchen Auseinandersetzungen liegt den Jugendlichen viel daran, sich im Konflikt zu positionieren, das heisst sich einerseits zu wehren und Respekt zu verschaffen (meist aber gemäss dem Prinzip des Gewaltverzichts) und andererseits eine Klärung und Konfliktlösung herbeizuführen. Nur wenige Interviewte zeigen sich in solchen Fällen nachgiebig, ziehen sich zurück oder halten Angriffe ohne Gegenwehr aus. Der Vergleich der drei Konfliktkategorien und den entsprechenden Strategien macht deutlich, dass Auseinandersetzungen auf der Beziehungsebene die Jugendlichen am stärksten betreffen und herausfordern68. 68 Viele der erörterten Anerkennungs- und Ablehnungserlebnisse beruhen auf dem Austausch zwischen Jugendlichen und Jugendgruppen. Wie bereits zu den einzelnen Untersuchungsgebieten dargestellt, ist die jugendliche Rolle im öffentlichen Austausch weniger durch Kontakte zu anderen Alters- oder Nutzergruppen, sondern vielmehr durch die Interaktion mit anderen Jugendlichen geprägt. Betrachtet man die Jugendöffentlichkeit zwischen Anerkennung und Ablehnung, dann stellt sich jedoch auch die Frage nach dem Verhältnis der Jugendlichen einerseits zu den jüngeren Kindern und andererseits zu Erwachsenen (ältere Personen oder Eltern) in öffentlichen Räumen.. Mögliche Aussagen dazu können nur bedingt getroffen werden, da sie auf einer relativ kleinen Datenmenge beruhen. 163 6 Diskussion 6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse und Beantwortung der Fragestellungen Im Kapitel zur Darstellung der Ergebnisse wurde ausführlich beschrieben, welche Aneignungsformen Jugendliche in den drei unterschiedlichen Untersuchungsgebieten ausüben und wie sie ihre Handlungen zu ihrer jeweiligen Lebenswelt in Bezug setzen und deuten. Ihre je gruppenspezifische und individuelle Lebenslage, sei es nun ihre momentane Ausbildungs- oder Berufssituation, ihre Vorlieben und Abneigungen in der Freizeitgestaltung oder auch ihr derzeitiger gesellschaftlicher Status (ökonomisch, kulturell, sozial, etc.), scheint einen gewichtigen Faktor für die Aneignung öffentlicher Räume darzustellen. Dies zeigt sich beispielsweise in den verfügbaren Ressourcen (Zeit, Geld) für die Freizeitbeschäftigung oder die unterschiedliche Nutzung öffentlicher Räume nach Geschlecht. Darüber hinaus spielen ebenso gemachte Erfahrungen (auch in anderen Kontexten) und biografisch verankerte Erlebnisse eine wichtige Rolle in der subjektiven Wahrnehmung und Deutung öffentlicher Räume durch Jugendliche, wie zum Beispiel Anerkennungs- und Ablehnungserfahrungen oder die sozialisierte Haltung gegenüber Sexualität oder Drogenkonsum. Diese personenbezogenen Faktoren wurden zwar in den Interviews erwähnt und ebenso in der Analyse der Daten berücksichtigt, standen jedoch aufgrund von theoretischen Erwägungen sowie der relativ lückenhafte Datenlage zu diesen Variablen nicht im Vordergrund der vorliegenden Forschungsarbeit. Sie konzentriert sich in erster Linie auf die Beziehung zwischen den jugendlichen Handlungen, deren Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung und den je nach öffentlichem Raum spezifischen Bedingungen (vgl. Kapitel 3.4.). In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse, geordnet anhand der drei zentralen Fragestellungen, zusammengefasst erörtert werden. Dieses Vorhaben gestaltet sich als Herausforderung, sind die Ergebnisse aufgrund der oben erwähnten personenbezogenen Faktoren doch sehr differenziert und facettenreich. Aus diesem Grund wird im Folgenden weniger auf die Beschreibung der Analyse eingegangen, sondern vor allem versucht, systematisch zentrale Aussagen aus der Analyse des Datenmaterials herauszukristallisieren. Die Aneignungsfrage Wie lassen sich die physische, soziale, normative und symbolische Aneignungspraxis von Jugendlichen in öffentlichen Räumen beschreiben? Versucht man die überaus vielseitige Aneignungspraxis der einzelnen Jugendgruppen in den unterschiedlichen öffentlichen Räumen zu verallgemeinern, dann lassen sich drei Ausprägungen von Aneignung voneinander unterscheiden: Erstens die Reproduktion räumlicher Bedingungen, d.h. aktive und passive Nutzung öffentlicher Räume, die in erster Linie die vorhandenen räumlichen Strukturen reproduziert; zweitens die Transformation räumlicher Bedingungen, d.h. Handlungen in öffentlichen Räumen, die darauf abzielen, die vorhandenen räumlichen Strukturen zu verändern; und drittens die Opposition gegenüber 164 JUGENDÖFFENTLICHKEIT räumlichen Bedingungen, d.h. Handlungen, die sich direkt oder implizit gegen vorhandene räumliche Strukturen richten. Welche Bezüge bestehen zwischen den unterschiedlichen Aneignungsdimensionen? Es stellt sich weiter die Frage, ob zwischen den unterschiedlichen Aneignungsdimensionen Bezüge hergestellt werden können, die für die Jugendlichen von besonderer Bedeutung sind. Als erstes kann davon ausgegangen werden, dass die physische Aneignung und deren Ausprägungen im Verhältnis zu den anderen Dimensionen meist eine unterstützende Funktion einnimmt. Konkret bedeutet dies, dass das materiell-physische Substrat von den Jugendlichen zwar anerkannt, bewertet und genutzt wird, es stellt jedoch selten der einzige und auch nicht der wichtigste Grund dar, weshalb sich Jugendliche auf eben diesem öffentlichen Raum aufhalten. Sie sind von sekundärer Bedeutung. Aus der Analyse der Ergebnisse kann abgeleitet werden, dass physisch ausgerichtete Handlungen immer auch eine soziale (z.B. beim Rumsitzen auf dem Barfüsserplatz spezielle Leute sehen oder beim Basketballspielen neue Leute kennen lernen) und symbolische Komponente enthalten (z.B. beim Sprungbrettspringen seine Fähigkeiten präsentieren oder fürs Basketballspielen Anerkennung erhalten). Ähnlich kann davon ausgegangen werden, dass symbolische Handlungen Jugendliche in der Aufrechterhaltung und Ausweitung ihrer sozialen Netzwerke unterstützen (z.B. an jugenkulturellen Anlässen neue Bekanntschaften machen). Generell scheinen die soziale und symbolische Aneignungspraxis von zentraler Bedeutung für die in öffentlichen Räumen erfahrene Anerkennung und Ablehnung zu sein. Der Bezug der normativen Aneignungsdimension zu den anderen ist weniger eindeutig, er setzt in erster Linie einen Rahmen, welcher die Möglichkeiten zur physischen, sozialen und symbolischen Aneignung definiert. In Abbildung 15 wird eine mögliche Variante des Verhältnisses zwischen den vier Aneignungsdimension grafisch dargestellt. Abbildung 15: Verhältnis zwischen den vier Aneignungsdimensionen Quelle: Eigene Darstellung 165 Aus den Daten kann gefolgert werden, dass die physischen Aneignung in öffentlichen Räumen lediglich dazu dient, sich in der Öffentlichkeit darzustellen (symbolische Aneignung) und sich dadurch Anerkennung und Zugehörigkeit zu verschaffen (soziale Aneignung). Die normative Aneignung fungiert als rahmende Handlung, mit welcher die Möglichkeiten und Grenzen der andere Aneignungsformen verhandelt werden. Die Öffentlichkeitsfrage Wie erfahren und reflektieren Jugendliche ihre Rolle als Schauspielende und Publikum in öffentlichen Räumen? Die meisten jugendlichen Handlungen in öffentlichen Räumen spielen sich im Spannungsfeld zwischen einer privaten und einer öffentlich-sichtbaren Sphäre ab. Während sich die auf die Privatheit bezogenen Handlungen vor allem auf den sozialen Austausch in der Peergroup beziehen, handelt es sich in der Sphäre der Sichtbarkeit um nach aussen gerichtete Verhaltensweisen. In der Rolle des Publikums beobachten, bewerten und kommentieren die Jugendlichen das öffentliche Geschehen oder imitieren andere Anwesenden. Befinden sich die Jugendlichen in der Rolle des Schauspielers oder der Schauspielerin verhalten sie sich so, dass sie die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen und im Zuge des öffentlichen Austauschs beobachtet werden. Oft können die beiden Rollen entweder als Publikum oder als Schauspieler/in nicht präzise voneinander getrennt werden und meist finden sich die Jugendlichen in beiden Rollen wieder. Betreten Jugendliche öffentliche Räume dann scheinen sie gleichzeitig auch eine Bühne der Sichtbarkeit zu betreten, und zwar immer mit dem Ziel, ihre Chancen auf sozialen Austausch mit andere Jugendlichen möglichst zu erhöhen. Dabei hängen soziale wie symbolische Aneignungsformen eng zusammen und ermöglichen in ihrer Verknüpfung Zugehörigkeit als auch Abgrenzung. Jugendliche reflektieren ihre Rolle als Beobachtende und Beobachtete innerhalb der Peergroup: Die gewonnenen Eindrücke von aussen werden mit den Gleichaltrigen verarbeitet und eingeordnet, repräsentatives Verhalten wird stets durch den Rückhalt in der sozialen Gemeinschaft gestützt oder im Austausch mit anderen Gruppen herausgefordert. Gesamthaft ist davon auszugehen, dass die Jugendlichen ihre eigene Sichtweisen, Geschmacksvorlieben und Vorstellungen beispielsweise von Geschlecht oder Jugendkultur in Bezug zu ihrer Umwelt bringen. Inwiefern es sich dabei um einen bewussten Reflexionsprozess handelt ist aus den Daten nur schwierig abzuleiten. Auf welche Art und Weise machen Jugendliche ihre Lebenswelt über ihre jugendspezifischen Ausdrucksmittel in der Öffentlichkeit sichtbar? Die Datenanalyse lässt weiter den Rückschluss zu, dass Jugendliche sowohl über jugendkulturelle als auch alltägliche Praktiken im öffentlichen Raum Aspekte ihrer eigenen Lebenswelt der Öffentlichkeit mitteilen können. Es handelt sich dabei vor allem um kollektive Lebenseinstellungen oder, allgemeiner ausgedrückt, um einen jugendlichen Lebensstil, der über ein spezifisches Verhalten in der Öffentlichkeit nach aussen transportiert wird. Dabei bedienen sich die Jugendlichen aller Formen von Aneignung – physisch, sozial, symbolisch 166 JUGENDÖFFENTLICHKEIT und normativ. Es ist demnach davon auszugehen, dass ein solcher jugendlicher Lebensstil, der je nach Gruppe unterschiedlich gelebt und definiert wird, durch das Zusammenspiel von Werten und deren Repräsentation geformt wird. Konkret bedeutet dies, dass er sich sowohl in der persönlichen Einstellung als auch in der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit widerspiegelt. Während gewisse Elemente des in der Erhebung vorzufindenden jugendlichen Lebensstils ohne öffentlichen Widerstand anerkannt werden, können andere ein gewisses Konfliktpotential in sich bergen oder von Aussenstehenden negativ bewertet werden. Ein Widerspruch zwischen dem von den Jugendlichen präferierten und dem von Erwachsenen als angebracht bezeichneten Lebensstil kann demnach angenommen werden. Die Machtfrage Welche Aneignungschancen und -restriktionen erfahren Jugendliche in öffentlichen Räumen? Die Chancen und Restriktionen jugendlicher Aneignung lassen sich in erster Linie über die positive und negative Bewertung von sowie Identifikation mit öffentlichen Räumen ableiten: Tabelle 7: Positive und negative Bewertung von Raumausschnitten positive Bewertung Ausstattung & Eigenschaften Atmosphäre & Sympathien Beispiele Sportgeräte, Möglichkeiten zum Sitzen und Chillen, entspricht den Bedürfnissen, Verpflegungsmöglichkeiten, etc. ruhig, man kann unter sich sein, man kann tolle Leute kennen lernen, etc. negative Bewertung Ausstattung & Eigenschaften Atmosphäre & Antipathien Beeinträchtigung durch Dritte Positive Identifikation Positive Erlebnisse Positive Gefühle Ownership Negative Identifikation Negative Erlebnisse Beispiele Neue Leute kennen gelernt, Spass gehabt, positive Erinnerungen aus der Kindheit, etc. positive und friedliche Stimmung, Wohlbefinden, Entspannung, etc. Der öffentliche Raum wird sehr häufig genutzt, als Jugendtreffpunkt bezeichnet, als Lieblingsort bezeichnet, etc. Negative Gefühle 167 Beispiele fehlende Ausstattung, gefährliche Nutzung, zu wenig Platz, widerspricht den Bedürfnissen, für längeren Aufenthalt ungeeignet, etc. laut, man trifft auf unsympathische Leute, es gibt immer Streit, etc. bestimmte Territorien werden aufgrund von Konflikten, Antipathien, Bedrohung u.a. gemieden Beispiele Konflikte erlebt, negative Erinnerungen aus der Kindheit, Schlägereien, etc. aggressive Stimmung, Angstgefühle, Stressmomente, etc. Eine vielseitige und den Bedürfnissen angepasste Ausstattung, welche auch einen längeren Aufenthalt im öffentlichen Raum ermöglicht, eine angenehme und sichere Atmosphäre und Chancen auf soziale Kontakte sowie positive Gefühle oder Erlebnisse sind Faktoren, welche die Aneignungschancen der Jugendlichen in öffentlichen Räumen erhöhen und unterstützen. Eine besondere Form stellt dabei auch der Faktor ‚Ownership’ dar, also ein derart starke Identifikation der Jugendlichen mit dem öffentlichen Raum, dass sie ihn als ihr Eigen bezeichnen können. Eine mangelnde und den Bedürfnissen der Jugendlichen entgegengesetzte Ausgestaltung und eine Ausstattung, welche einen längeren Aufenthalt im öffentlichen Raum erschwert, eine bedrohliche und angespannte Atmosphäre mit wenig Chancen auf positive soziale Kontakte sowie negative Erlebnisse und Gefühle sind hingegen Faktoren, welche für die Aneignung öffentlicher Räume durch Jugendliche ein Hindernis darstellen. Insbesondere die Beeinträchtigung der Aneignung durch Dritte hat überaus negative Auswirkungen auf den Zugang zu Teilen oder dem gesamten öffentlichen Raum. Welchen Umgang pflegen Jugendliche mit den jeweiligen Regulierungsmechanismen und wie erfahren und bewerten sie die in öffentlichen Räumen eingelagerten Normen? Die von den Interviewgruppen genannten Regulierungsmechanismen und in den öffentlichen Räumen vorherrschenden Normensysteme können in unterschiedliche Kategorien differenziert werden. Diese wiederum lassen sich einerseits auf einem Kontinuum zwischen formeller und informeller Regulierung ansiedeln und andererseits nach dem Grad ihrer Verbindlichkeit unterscheiden (vgl. Abb. 12). Gesetze, Verbote und Vorschriften werden von den Jugendlichen eindeutig den formellen Regulierungsmechanismen zugeordnet. Der Anspruch auf Ruhe & Ordnung im öffentlichen Raum sowie moralische und soziale Regeln hingegen, werden von den Jugendlichen als informelle Regulierung wahrgenommen. Während sich die Jugendlichen einigen Regelsystemen weniger verpflichtet fühlen oder sich ihnen entgegenstellen (Vorschriften, Ruhe & Ordnung, Umgangsformen), betrachten sie andere als verbindliche Leitlinien ihres Verhaltens (Gesetze, Verbote, Normen, Moral). Es sind deshalb auch letztere Regulative, welche im Rahmen der normativen Aneignung bearbeitet werden: Entweder sind die Jugendlichen an der Reproduktion von regulativen Machtverhältnissen massgeblich beteiligt, indem sie sich gewissen Regeln mehr oder weniger stark verpflichten und dies auch nach aussen kommunizieren (z.B. Moral oder Gesetze). Oder es gelingt den Jugendlichen auch, vorherrschende Regelsysteme zum eigenen Nutzen zu erweitern, indem sie sich Strategien zum Umgehen von Kontrollmechanismen erarbeiten (z.B. Normen). Die produktive Herstellung wie auch die Reproduktion von Regelsystemen kann als bedeutsame Facette von Jugendöffentlichkeiten verstanden werden. Welche Formen von Anerkennung und Ablehnung erleben Jugendliche in öffentlichen Räumen? Die Anerkennungs- und Ablehnungserlebnisse der befragten Jugendlichen sind äusserst vielfältig und lassen sich untereinander differenzieren und zu einzelnen Kategorien zusammenfassen. Sowohl die Anerkennungs- als auch die Ablehnungserfahrungen basieren auf der im öffentlichen Raum wahrgenommen Fremdbeurteilungen der Jugendlichen durch 168 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Andere und reichen von Einzelerlebnissen bis zu generalisierten Bewertungen der eigenen sozialen Gruppe. Anerkennung erhalten die Jugendlichen in zahlreichen Momenten, in welchen sie sich in öffentlichen Räumen aufhalten. Positive Aufmerksamkeit, Interessensbekundungen und einfache Neugier sind Elemente dessen, was als Anerkennung der Existenz bezeichnet werden kann. Eine weitere Kategorie stellt die Anerkennung einer Jugendgruppe als solche oder deren Fähigkeiten dar, bspw. wenn den Jugendlichen für ihre Fähigkeiten Bewunderung oder Komplimente entgegengebracht werden. Die Anerkennung als soziale Gruppe schliesslich bezieht sich meist auf die Frage, inwiefern die Jugendlichen als Altersgruppe (bzw. die jugendlichen Mädchen und jugendlichen Jungen als soziale Geschlechter, oder als ethnische Gruppierung) in der Öffentlichkeit in ihren spezifischen Eigenheiten und Bedürfnissen geachtet werden. Der Respekt gegenüber einzelnen Personen oder Gruppen sowie gegenüber einer sozialen Gruppe stellt in diesem Zusammenhang eine zentrale Form der Anerkennung dar, die sich über alle bereits besprochenen Anerkennungsformen erstreckt und von mehreren interviewten Gruppen als die bedeutendste „Währung“ für Anerkennung dargestellt wird. Diesem ausdifferenzierten Spektrum von Anerkennung Jugendlicher in öffentlichen Räumen steht eine ebenso vielseitige Bandbreite an Ablehnungserfahrungen gegenüber. Entsprechend den Anerkennungskategorien können a) die Ablehnung der Präsenz, b) die Ablehnung jugendlichen Ausdrucksweisen sowie die Ablehnung einer Jugendgruppe und c) die Ablehnung als soziale Gruppe voneinander unterschieden werden. Ein Grossteil dieser Formen von Ablehnung basieren auf Vorurteilen, sei es jugendtypischem Verhalten oder der Jugend als Ganzes gegenüber. Die zahlreichen unterschiedlichen Vorurteile lassen sich zu drei Gruppen zusammenfassen: a) Jugendliche sind bzw. ihr Verhalten ist minderwertig (z.B. unproduktiv, unreif, schwach), b) Jugendliche sind bzw. ihre Verhalten ist anders (z.B. abnormal, nonkonform) und Jugendliche sind bzw. ihre Verhalten ist verwerflich (z.B. unmoralisch, verantwortungslos, überheblich, respektlos). Jugendöffentlichkeit befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Ablehnung, in einem steten Ausgleich zwischen positiver und negativer Beurteilung durch Aussenstehende sowie in einem nie endenden Wettbewerb unter den Jugendlichen selbst. Da den Jugendlichen sowohl Anerkennungs- als auch Ablehnungserlebnisse in öffentlichen Räumen widerfahren, stellt sich ihre diesbezügliche Erfahrungswelt als ambivalent und widersprüchlich dar; viele Befragten sind noch auf der Suche nach ihrer eigenen Position im Geflecht der sie umgebenden sozialen Beziehungen und nutzen auch selbst Zugehörigkeitsund Abgrenzungsmechanismen, um ihre gesellschaftliche Stellung zu festigen. Gleichzeitig wird ihnen ihre jeweilige soziale Position von Aussenstehenden zugewiesen und sie müssen sich mit allfälligen Unterordnungen auseinandersetzen. Das Aufhalten in öffentlichen Räumen ist in diesem Zusammenhang eine notwendige Bedingung für die gesellschaftliche Integration Jugendlicher: Öffentliche Räume stellen aufgrund ihres Öffentlichkeitscharakters und ihrer tendenziell geringen normativen Regulierung die einzige Alternative zu anderen jugendspezifischen Kontexten dar, sich mit der eigenen Umwelt in dieser hier beschriebenen Art und Weise auseinanderzusetzen. 169 6.2 Reflexion der Forschungsergebnisse Dieses Kapitel soll dazu dienen, die Forschungsergebnisse auf den Forschungsstand (Kap. 2) sowie die theoretischen Annahmen (Kap. 3) zu beziehen. Anders als in einer quantitativen Erhebung, welche aus Forschungsstand und Theorie Hypothesen ableitet und diese dann im Rahmen der Erhebung zu testen versucht, wurden in der vorliegenden Arbeit Ergebnisse aus früheren Studien und theoretische Grundlagen zur Thematik herbeigezogen, um das relativ breite Forschungsfeld einzugrenzen und Indikatoren für die Erhebung zu entwickeln. Das sensibilisierende Konzept (Kap. 3.4.) beinhaltet demnach in erster Linie Annahmen zu wichtigen Elementen und Prozessen von Jugendöffentlichkeit, jedoch keine inhaltlichen Thesen zur konkreten Ausgestaltung von Jugendöffentlichkeit. Da auf diesem konzeptionellen Raster dann die Erhebung entworfen und durchgeführt wurde, erstaunt es nicht, dass die in dieser Arbeit bearbeiteten Studien und Konzepte weitestgehend auch für die Untersuchungsergebnisse stimmig sind. Dies entspricht einer der wichtigsten Erkenntnisse qualitativer Sozialforschung, dass implizite und explizite Vorannahmen der Wissenschaftlerin sowohl den Erhebungsprozess als auch die Forschungsergebnisse stark beeinflussen. Aus diesen Gründen soll hier nur kurz auf die bearbeiten Studien und einbezogenen Theorien eingegangen und vor allem den Fokus auf mögliche Diskrepanzen zwischen ihnen und den Forschungsergebnissen gelegt werden: Perspektivenwechsel in der Raumforschung (Kap. 2.1.): Die Sozialgeografie der Kindheit und des Jugendalters plädiert dafür, die kindliche und jugendliche Nutzung, Erfahrung und Bedeutung räumlicher Strukturen aus der subjektiven Perspektive der Heranwachsenden und nicht aus einer Erwachsenenperspektive zu erforschen (vgl. Matthews et al. 1999). Die Forschungsanlage hat darauf grossen Wert gelegt und auch im Ergebnisteil wurde versucht, die Jugendlichen ‚zu Wort kommen’ zu lassen. Dennoch wurden die Interviewfragen von einer Erwachsenen gestellt, die Aussagen und Handlungen der Jugendlichen von einer Erwachsenen analysiert und die gesamte Arbeit wurden von A bis Z von einer Erwachsenen verfasst. Ausserdem kann davon ausgegangen werden, dass sich Jugendliche im Rahmen eines Interviews meist konform geben und sich der ihnen bekannten Erwachsenenperspektive anpassen. Es ist demnach fraglich, inwiefern dieser von den Autoren radikal geforderte Perspektivenwechsel stattgefunden hat und ob er überhaupt ein realisierbares Ziel in der Sozialforschung darstellen kann. Forschungsleitende Thesen (Kap. 2.2.1.): Anhand der einbezogenen Studien zur sozialräumlichen Aneignung in öffentlichen Räumen konnten vorab einige Forschungsleitende Thesen festgehalten werden, welche in Form von Vorannahmen in den weiteren Forschungsprozess einbezogen wurden. Auch wenn diese Vorannahmen nicht einem Hypothesentest unterzogen wurden, können sie doch mit Vorbehalten als bestätigt bezeichnet werden. Kritisch muss hier angemerkt werden, dass sich die vorliegende Arbeit einem der bearbeiteten Untersuchungen ähnlichem Forschungsdesign bedient (qualitatives Vorgehen, Triangulation von Beobachtung und Befragung, etc.) und somit ggf. auch deren impliziten Annahmen reproduziert hat. Andererseits spricht dies auch für die Reliabilität der verwendeten Erhebungsund Analyseinstrumente. 170 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Forschungslücke (Kap. 2.3.): Im Abschluss zum Forschungsstand wurde eine Forschungslücke in der verbindenden Erforschung von Jugend, Öffentlichkeit und öffentlicher Raum identifiziert. Inwiefern konnte diese nun durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden? Während die Konzeptionalisierung von Jugend in öffentlichen Räumen relativ einfach gelang, konnte der Öffentlichkeitsbegriff hingegen nur schwierig wissenschaftlich definiert und für eine Erhebung operationalisiert werden. In der Datenerhebung wurde bspw. durch die Beobachtung von Interaktionen oder anhand der Fotoaufgabe versucht, den Öffentlichkeitscharakter jugendlicher Handlungen zu erfassen. Dies ist insofern gelungen, als dass substantielle Antworten auf die Öffentlichkeitsfrage gegeben werden können (s.o.). Aber auch die Ergebnisse zur Aneignungsfrage, welche den Bezug zwischen Jugend und öffentlichen Raum in den Blick nimmt, geben Aufschluss über den Öffentlichkeitscharakter jugendlicher Handlungen. Insofern hat die vorliegende Arbeit ihren Beitrag - mit einigen offen bleibenden Fragen (vgl. Kap. 6.3.) – zur Schliessung der Forschungslücke geleistet. Gesellschaftszentriertes Raumkonzept (Kap. 3.1.2.1.): Das Mehrebenenmodell öffentlicher Räume (vgl. Läpple 1991) diente in der Arbeit dazu, ein Verständnis dafür zu entwickeln, auf welche Art und Weise öffentliche Räume jugendliches Handeln strukturieren. Während es sich als konzeptionelles Raster während des Analyseprozesses bewährt hat, musste es für die Erhebung in den Hintergrund treten, um die subjektive Wahrnehmung und die individuellen Handlungen der Jugendlichen nicht vorschnell zu kategorisieren. Bei den Interviews stützte sich die Autorin vor allem auf Selles (2003) Forderung, die Alltagswahrnehmung zum Ausgangspunkt für eine Bestimmung öffentlicher Räume zu nehmen und insbesondere nach ihrer Nutzbarkeit zu fragen. Der Miteinbezug unterschiedlicher Konzepte von öffentlichen Räumen kann demnach als fruchtbar bezeichnet werden, auch wenn es eine Herausforderung darstellt, die unterschiedlichen theoretischen Zugänge angemessen und korrekt miteinander zu kombinieren. Macht in öffentlichen Räumen (Kap. 3.1.2.2.): Die vorliegende Arbeit ging von der Annahme aus, dass Machtbeziehungen in Räumen einerseits dazu dienen, die ungleichen Beziehungen innerhalb der Gesellschaft zu stabilisieren und zu reproduzieren (vgl. Sibley 1995), andererseits aber auch variable Sphären darstellen, die einem steten Aushandlungs- und Definitionsprozess unterliegen (vgl. Wöhler 2000). Die Vorstellung, dass Jugendliche sowohl Objekt als auch produktives Subjekt von Machtbeziehungen darstellen, hat die Autorin für die verschiedenen Umgangsformen der Jugendlichen mit regulativen und normativen Vorgaben in öffentlichen Räumen sensibilisiert, sodass sich anhand der vorliegenden Ergebnisse die unterschiedlichen Seiten von in öffentlichen Räumen verorteter Macht beschreiben lassen. Dahingehend konnte auch festgestellt werden, dass ein Mehr an Regulierung und normativen Vorgaben nicht zwingend auch ein Weniger an Aneignungsmöglichkeiten darstellt – und umgekehrt. So können freiwillige Unterhaltungs- und Konsumangebote auf dem Barfüsserplatz beispielsweise auf die Jugendlichen strukturierender wirken als die zahlreichen Regulierungsmechanismen im Gartenbad Bachgraben, weil diese von den Jugendlichen herausgefordert werden 171 können. Schliesslich konnte mit dem Untersuchungsgebiet Dreirosenanlage auch aufgezeigt werden, wie Jugendliche Normensysteme eigenständig entwickeln und aufrechterhalten können. Soziokulturelle Öffentlichkeit (Kap. 3.1.3.): In Abgrenzung zur politischen Öffentlichkeit wurde in der vorliegende Arbeit davon ausgegangen, dass Öffentlichkeit in öffentlichen Räumen über soziokulturelle Kommunikation hergestellt wird. Beobachten und Beobachtet werden sind Teil eines Prozesse der Selbstvergewisserung, bei welchem die Jugendlichen in der Gruppe sich selbst und andere reflektieren (vgl. Klaus 1998). Diese Konzeption von Öffentlichkeit bewährte sich während des gesamten Erhebungs- und Analyseprozesse und konnte insbesondere durch die in den Daten gefundene enge Verknüpfung von symbolischer und sozialer Aneignung belegt werden. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die sozialen wie symbolischen Handlungen von den Jugendlichen als die wichtigsten Tätigkeiten in öffentlichen Räumen wahrgenommen werden, was wiederum auf die zentrale Bedeutung von Öffentlichkeit für Heranwachsende in diesen Kontexten verweist. Weiter kann bestätigt werden, was frühere Studien bereits belegten: Jugendöffentlichkeit – und vielleicht auch viele anderen Öffentlichkeiten (z.B. in einem virtuellen Chat) – sind Teilöffentlichkeiten, weil sie sich oft auch unter Bekannten und Freunden konstituiert (vgl. Herlyn 2003). Öffentliche Räume als Bühne (Kap. 3.1.3.): Goffmans (1998) Theatermetapher lässt sich auf den interessierenden Forschungsgegenstand optimal anwenden. Sie ermöglichte der Autorin, die Handlungen und Rollen Jugendlicher in öffentlichen Räumen zu differenzieren und auf einem Spektrum von Privatheit und Sichtbarkeit einzuordnen (vgl. Abb. 10). Goffmans Unterscheidung zwischen Vorder- und Hinterbühne wurde zwar nicht explizit in die Datenanalyse miteinbezogen, kann aber weitere interessante Aufschlüsse geben: Kurz zusammengefasst ist den Daten zu entnehmen, dass Jugendliche öffentliche Räume sowohl als Vorderbühnen sozialer Verständigung als auch als Hinterbühnen zur Reflexion und Selbstvergewisserung verwenden (z.B. Dreirosenanlage: Basketballfeld als Vorderbühne, gedeckte Skateranlage als Hinterbühne). Daraus lässt sich folgern, dass ein und derselbe öffentliche Raum sowohl Rückzugs- als auch Interaktionsräume (vgl. Goffman 1998:118) bereitstellt – und dies auch zu ein und demselben Zeitpunkt. Verfolgt man dieses Motiv weiter, kann ebenso festgestellt werden, dass öffentliche Räume gesamthaft für die Jugendlichen einerseits eine Vorderbühne (Orte der Repräsentation nach aussen) andererseits eine Hinterbühne (Rückzug aus den Vorderbühnen des Alttags wie Schule, Arbeit und Familie) darstellen. Ausserdem machten die befragten Jugendlichen deutlich, dass sie sich in öffentlichen Räumen anders als in anderen Kontexten verhalten. Dementsprechend werden ihre Aneignungsmöglichkeiten eingeschränkt, wenn sich beispielsweise ein Elternteil oder eine Lehrerin im selben öffentlichen Raum aufhält – oder eben auch eine Forscherin in ihr Territorium eindringt. Jedoch können die Jugendlichen über verschiedene Formen von Aneignung (temporäre Besetzung, Schaffung von Rückzugsräumen, Nutzung zu bestimmten Zeiten) eigene öffentliche Räume formen, über deren Zugang sie die Kontrolle haben. 172 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Jugendöffentlichkeit (Kap. 3.1.4.): Negts (1983) Ausführungen zur Kinderöffentlichkeit wurden in vier Thesen zusammengefasst, die Jugendöffentlichkeit einerseits als soziokulturelle und andererseits auch als politische Öffentlichkeit beschreiben. Während die Annahmen, dass Jugendliche in öffentlichen Räumen ihre eigenen Lebenswelt in öffentlichen Räumen thematisieren und dadurch in ein Spannungsverhältnis mit der Erwachsenenwelt treten, in den Daten wieder gefunden werden konnten, scheint das politische Moment von Jugendöffentlichkeit (öffentlicher Raum als Protestraum) weniger stark ausgeprägt zu sein. Zwar konnte festgestellt werden, dass Jugendliche in öffentlichen Räumen mehr oder weniger intensive Konflikte austragen, dass diese jedoch eine Thematisierung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse darstellen, kann nicht belegt werden. Hier könnten demnach weitere Forschungsvorhaben ansetzen, welche das Politische alltäglicher Praktiken in öffentlichen Räumen in den Blick nehmen (vgl. Kap. 6.3.). Somit scheint es auch unangebracht, Jugendöffentlichkeit als Gegenöffentlichkeit zu verstehen, da innerhalb von ihr gesellschaftliche Werte zwar verhandelt aber ebenso oft auch reproduziert werden. Jugendliche Aneignungsprozesse (Kap. 3.3.): Das Konzept der Aneignung (vgl. Deinet et al. 2005) wurde in der vorliegenden Arbeit dazu verwendet, jugendliche Handlungen in öffentlichen Räumen vor der Erhebung besser zu verstehen und zu differenzieren. Bei der Analyse stellte sich jedoch die relativ vage Begriffsdefinition als Schwierigkeit heraus, denn oft blieb unklar, wo Aneignung anfängt und wo sie aufhört. Schliesslich musste davon ausgegangen werden, dass alle jugendlichen Handlungen in öffentlichen Räumen als Aneignung zu bezeichnen sind, unabhängig davon, ob sie räumliche Strukturen verändern oder nicht. Mit der Unterscheidung zwischen a) der Reproduktion, b) der Transformation sowie c) der Opposition gegenüber räumlichen Bedingungen sowie mit der Differenzierung zwischen den vier Aneignungsdimensionen wurde versucht, ein Beitrag zur begrifflichen und inhaltlichen Klärung des Aneignungskonzeptes zu leisten. 6.3 Ausblick Sowohl aus der Perspektive der Sozialen Arbeit als auch der Sozialpolitik sind räumliche Aspekte gesellschaftlicher Entwicklung von immer grösser werdenden Bedeutung: Seit den 1990er Jahren wird im deutschsprachigen Raum die Kategorie des sozialen Raums in Theorie und Praxis intensiv diskutiert und die Sozialraumorientierung hat als neues Paradigma ihren Weg in die Soziale Arbeit gefunden. Aus sozialpolitischer Sicht eröffnet die Sozialraumorientierung Möglichkeiten zur Modernisierung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen hin zu mehr Kooperation, Flexibilität und Bürgerpartizipation bei der Errichtung sozialer Dienstleistungen (Spatscheck et al. 2009:1). Ein prominentes – aber auch viel kritisiertes – Beispiel dafür stellt die Gemeinschaftsinitiative „Soziale Stadt“ der Bundesrepublik Deutschland dar, welche mit der Aktivierung von lokalen Akteuren und Bevölkerungsgruppen in so genannten „Stadtteilen mit erhöhtem Entwicklungsbedarf“ eine 173 Verbesserung der Lebensqualität sowie die Förderung von beruflicher und sozialer Integration anstrebt (Reutlinger et al. 2005: 18). Hintergrund dafür bildet die Idee einer ‚Verräumlichung sozialer Probleme’ in westlichen Gesellschaften: Während zu fordistischen Zeiten noch relativ homogene Stadtgesellschaften existierten, erleben wir heute eine Spaltung der Städte. „Die globale Einbettung führt dazu, dass es (…) zu einem erneutem Auseinanderdriften von Chancen im Arbeits- und Wohnmarkt, Erreichbarkeit öffentlicher Einrichtungen und dem Angebot an (Aus-) Bildungschancen, kurz zu einer Spaltung der Bewohner einer Stadt kommt“ (Reutlinger 2003:19). Die Polarisierung zwischen integrierten und ausgegrenzten Stadtbewohnenden spiegelt sich in segregierten Stadtteilen wider, von denen die am stärksten Benachteiligten dann Objekt einer sozialraumorientierten Sozialpolitik werden (Reutlinger 2003:19-29). Auch wenn das Konzept der ‚Verräumlichung sozialer Probleme’ tendenziös und teilweise zu wenig differenziert erscheint, gibt es dennoch Hinweise auf aktuelle Entwicklungen in westlichen Städten. Innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses zur Sozialen Arbeit hingegen stehen im Bezug zum Sozialraum räumliche Aneignungs- und Lernprozesse im Mittelpunkt, welche insbesondere für eine sozialräumliche orientierte Jugend- und Gemeinwesenarbeit genutzt werden sollten. Böhnisch und Münchmeiers Buch „Pädagogik des Jugendraums“ von 1990 gilt als Ausgangspunkt theoretischer Diskussion und praktischer Implikationen, die auf die Befähigung und soziale Entwicklung von sozialräumlich eingebetteten Subjekten, in diesem Fall Jugendliche, abzielen (Spatscheck et al. 2009:1). Gerade aus sozialpädagogischer Sicht stellen öffentliche Räume für Jugendliche wichtige Sozialisationsfunktionen bereit, der Sozialraum fungiert als Sozialisationsinstanz: „Die Jugendlichen sind deshalb gezwungen, sich stärker an sozialräumlichen Kontexten zu orientieren, in denen sie die traditionalen institutionellen Orientierungsmuster für sich jeweils neu gewichten, verorten und andere Orientierungsmuster auffinden und einbeziehen können, um so zu jener personalen und sozialen Identität kommen zu können, welche die Sozialisationsinstitutionen heute – Ablösungsprozess von der Familie, durch die Schülerrolle, durch die Arbeiterrolle – nicht mehr herstellen können“ (Böhnisch et al. 1993:52). Weil die Destrukturierung des biografischen Verlaufs – von der Familie und Schule über Lehre oder Ausbildung zu beruflicher Selbstständigkeit – durch sozialpolitische Massnahmen nicht genügend abgefedert werden kann, soll nach den Autoren zumindest die Jugendsozialarbeit sozialräumliche Angebote als Gegenpol zu den alltäglichen Verunsicherungen der Jugendlichen aufstellen (Böhnisch et al. 1993:56). Zahlreiche Autoren weisen darauf hin, „dass sich die Jugendarbeit sowohl im Verstehen der Jugendprobleme, in ihrer pädagogischen Beziehung zu den Jugendlichen, aber auch in ihrer eigenen institutionellen Verortung sozialräumlich verstehen muss und kann“ (Böhnisch et al. 1993:11). Die vorliegende Arbeit ging nicht direkt von einem wie oben angedeuteten sozialen Problem aus, sondern verfolgte in erster Linie ein forschungstheoretisches Interesse. Dennoch stellt sich die Frage, wie sich die in dieser Forschungsarbeit gewonnenen Ergebnisse in einen sozialpolitischen Gesamtkontext stellen lassen und welche Implikationen sich daraus für die Praxis von Stadtplanung und Soziale Arbeit ergeben können. 174 JUGENDÖFFENTLICHKEIT Implikationen für die Praxis Es ist vorwegzunehmen, dass die Ergebnisse weder auf alle Jugendliche noch auf alle öffentlichen Räume übertragbar sind, da weder von dem einen öffentlichen Raum noch von der einen Jugend ausgegangen werden kann69. Jugend gibt es zwar als eigene Lebensphase, die Jugend als einheitliche soziale Gruppe jedoch existiert nicht. Der Geltungsbereich der Ereignisse ist demnach eingeschränkt. Eine Übertragung auf andere Kontexte scheint in den folgenden Fällen mehr oder weniger legitim: Trotz der Auswahl drei sehr unterschiedlicher Untersuchungsgebiete konnten allgemeine Ausprägungen von Jugendöffentlichkeit herauskristallisiert werden. Somit sind ähnliche Ergebnisse auch für andere städtische öffentliche Räume zu erwarten. Dies ist deshalb auch wahrscheinlich, als dass sich die jugendkulturellen Ausdrucksweisen in öffentlichen Räumen auf Vieles beziehen, dass zumindest westlich geprägten Staaten gemeinsam ist (Kleidung, Musik, politische Werte, etc.). Die Übertragung der Ergebnisse auf andere Freizeitkontexte wie Quartierräume oder Jugendhäuser ist hingegen weniger klar gegeben, weisen doch die jugendlichen Handlungen für öffentliche Räume spezifische Merkmale auf (insbesondere physische und normative Aneignung). Andererseits ist vorstellbar, dass Formen der sozialen und symbolischen Aneignung, die ja für die Jugendöffentlichkeit entscheidender sind, ebenso in anderen Kontexten in ähnlicher Weise möglich sind. Nimmt man auf die für den öffentlichen Raum spezifischen Beziehungen zwischen den Aneignungsdimensionen (vgl. Abb. 15) Bezug, dann ist jedoch nicht von einer vollkommenen Übertragbarkeit auszugehen. Ähnliches gilt auch für virtuelle Öffentlichkeiten, bei denen beinahe alle untersuchten Aneignungsdimensionen wegfallen oder anders umgesetzt werden. Diese Einschränkungen sind bei folgenden Implikationen für die Praxis mitzudenken: Wie es die Jugendforschung aber auch die gewonnenen Ergebnisse belegen, ist die Jugendphase von Ambivalenzen und Entwicklung geprägt. Da aus dieser Perspektive öffentliche Räume für Jugendliche nur als Möglichkeitsräume bedeutsam sind, muss die Stadt- und Raumplanung darauf Rücksicht nehmen70. Dabei soll und kann es nicht in erster Linie darum gehen, jugendgerecht zu bauen, auch wenn ein Einbezug der Jugendperspektive in Politik und Planung wünschenswert ist. Vielmehr gilt es, öffentliche Räume nachhaltig und vor allem möglichst funktionsentleert zu konzipieren, und somit die Informalität vorhandener Teilöffentlichkeiten zuzulassen. Nur so können die für die Jugendphase spezifischen Ambivalenzen ausgehalten und ausgelebt werden, sodass Veränderung und Entwicklung möglich wird. Dies ist auch deshalb wichtig, weil sich die Qualität öffentlicher Räume nur subjektiv erfassen lässt, während physische Elemente sekundär sind. Während sich diese Erkenntnis bei der Planung von Kinderspielplätzen allmählich durchgesetzt hat (vgl. sanu 2011), sollte Ähnliches auch für Jugendliche und ebenso auch für Erwachsene in Betracht gezogen werden. Sozialpädagogische Interventionen in öffentlichen Räumen sollten deshalb – wenn sie überhaupt sinnvoll sind – nicht strukturierend, sondern ermöglichend einwirken. 69 Dieser Ausgangspunkt ist einer der wichtigsten Gründe für den Entscheid für ein qualitatives Verfahren. 70 Vgl. dazu Ködelpeter et al. 2008. 175 Generell ist die Pädagogisierung des Bildungs- und Sozialisationspotentials öffentlicher Räume bspw. als Lernort für schwache Schülerinnen oder als Integrationsraum für ausländische Jugendliche in diesem Zusammenhang kritisch zu beleuchten. Zwar können öffentliche Räume als Interaktionsorte einen wichtigen Beitrag zur Integration und Bildung der Gesellschaft leisten. Integration oder Lernen ist in Anbetracht der Ergebnisse jedoch nicht in erster Linie auf der Basis von Interaktion zwischen Fremden zu denken, sondern vor allem als gelungene und emanzipierte Auseinandersetzung jedes Einzelnen mit den gesellschaftlichen Werten, Normen und Symbolen, die ihm im öffentlichen Raum begegnen. Die Qualität öffentlicher Räume liegt in eben diesem nicht-pädagogischen sondern selbstbestimmten Umgang mit Öffentlichkeit. Zukünftige Forschungsdesiderata Sozialforschung, die solche Phänomene aus einem ‚neutralen’ Standpunkt beleuchten kann, hilft in diesem Zusammenhang, die subjektive Wahrnehmung und Sinngebung herrschenden (pädagogischen) Meinungen gegenüberzustellen, und kann Aufschluss darüber geben, wie mit den Wünschen und Bedürfnissen der Untersuchten in der Gesellschaft umgegangen wird. Dennoch bleiben nach einer Erhebung meist mindestens so viele Fragen offen wie beantwortet wurden, weshalb im Folgenden mögliche Forschungsvorhaben angesprochen werden sollten. Wie die Darstellung der Ergebnisse aufgezeigt hat, spielt der Respekt gegenüber den Nutzergruppen öffentlicher Räume eine wichtige Rolle. Weitere Studien in öffentlichen Räumen sollten demnach diese zentrale ‚Währung’ von Anerkennung und Ablehnung noch stärker berücksichtigen, weil sich aus dieser Thematik auch Antworten auf die Fragen zur Identitätsentwicklung Jugendlicher ableiten lassen. Generell konnte in dieser Arbeit die Bedeutung öffentlicher Räume für die Identitätsformung nur am Rande behandelt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass Chancen und Restriktionen der Aneignung in öffentlichen Räumen auch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit beeinflussen, welche wiederum einen zentralen Faktor im Identitätsbildungsprozess darstellen kann (vgl. Klamt 2007, James 1986). Ebenso wurden mögliche Bildungsprozesse in öffentlichen Räumen angesprochen, jedoch nicht explizit behandelt. Da aber Aneignung als gruppenbezogene Auseinandersetzung mit der Umwelt implizit auch auf mögliche Bildungsprozesse in öffentlichen Räumen Bezug nimmt (vgl. Deinet 2004, Scherr 2004), wird viel über mögliche Lernprozesse in öffentlichen Räumen gesprochen, die Aussagen bleiben jedoch meist vage und bedürfen einer fundierteren Auseinandersetzung. Dabei könnte ebenso das Konzept einer räumlichen Kompetenz (vgl. Lussault et al. 2010) von Bedeutung sein. Ein interessanter Teilbereich stellt in diesem Zusammenhang auch die politische Sozialisation in öffentlichen Räumen dar. Während im Allgemeinen nur diejenigen Handlungen als politisch bezeichnet werden, die in direktem Zusammenhang mit dem politischen System oder mit politischen Forderungen stehen, gehen einige Autoren davon aus, dass ebenso alltägliche Praktiken Ausdruck politischer Machtverhältnisse sind bzw. dazu imstande sind, politische Veränderungen einzuleiten (vgl. de Certeau 176 JUGENDÖFFENTLICHKEIT 2002). Demnach können öffentliche Räume als Plattform zur politischen Sozialisation fungieren, beispielsweise in der Form vom Erproben sozialer Rollen oder dem Austragen von Konflikten. Inwiefern öffentliche Räume so auch eine Chance zur Demokratisierung und politischen Bewusstseinsbildung von Jugendlichen darstellt, ist eine relevante Fragestellung. Während die Ergebnisse auf eine ausgeprägte Orientierung an lokalen Kontexten hinweisen, bleiben die Auswirkungen der Globalisierung unserer Gesellschaften auf die jugendliche Aneignung öffentlicher Räume unerforscht. Die Untersuchung der Positionierung von Jugendöffentlichkeit zwischen dem Lokalen und Globalen (Glokalisierung, vgl. Böhret 2010) stellt ein zukunftsgerichtetes Forschungsdesiderata dar. Schliesslich wäre aufgrund der Schnelllebigkeit von Jugendkultur eine Längsschnittuntersuchung anzustreben, mit welcher Aussagen zu Veränderungen von Jugendöffentlichkeit im Wandel der Gesellschaft gemacht werden können. In einem solchen Forschungsvorhaben wird man sich dann auch den Fragen widmen können, welches Innovationspotential von der jugendlichen Generation ausgeht und welcher Zusammenhang zwischen den Ausprägungen von Jugendöffentlichkeit und gesellschaftlichen Werten oder Diskursen besteht. 177 7. Literaturverzeichnis Aalto, Ritva (1975). Participation by Finnish Youth in Municipal Affairs. Paedagogica Europaea, 10(2), 117-132. Andersons, Elijah (1998). The Social Ecology of Youth Violence. Crime and Justice, 24, 65-104. 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