Psychische Störungen im Säuglingsalter Jana Friese, Cornelia Overs Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie - Spezialambulanz für Säuglinge und Kleinkinder Universitätsklinikum des Saarlandes Homburg Gliederung Einleitung Besonderheiten psychischer Störungen im Säuglingsalter Klassifikationen Diagnostik – allgemein Therapie – allgemein Regulationsstörungen Schlafstörungen Fütterstörungen • • • • • • Definition/Klassifikation Prävalenz/Komorbiditäten Ätiologie Diagnostik/Differenzialdiagnosen Therapie Verlauf und Prognose Einleitung Definitionen (deutscher Sprachraum): Neugeborene: 0 - 4 Wochen Säuglinge: 1 -12 Monate Kleinkinder: 1 - 5 Jahre Vorschulalter: gesamte Zeitspanne von 0 bis 5 Jahren Einleitung Definitionen (englischer Sprachraum): Infants: ca. 0 - 18 Mte Toddlers: ca. 18 Mte - 3 Jahre Preschoolers: ca. 4 - 5 Jahre Einleitung Säuglings- und Kleinkindpsychiatrie Wichtiges, junges Teilgebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) Befindet sich auf dem gleichen Stand wie die Kinder- und Jugendpsychiatrie im Jahr 1970 Prognose: ähnliche Entwicklungen wie die allgemeine KJP in den nächsten 20 Jahren Enorme Forschungstätigkeit seit 2004 Einleitung Einleitung Psychische Störungen im Vorschulalter : Differenzierte Erkennung im Vorschulalter möglich Häufigkeit wie bei älteren Kindern (Egger & Arnold, 2006: bei 14 – 25% aller Vorschulkinder klin. relevante Störungen) Teilweise andere Symptomatik, werden übersehen (Egger & Arnold, 2006: nur 11 – 25% der Kinder mit Verhaltensstörungen werden vorgestellt) Große Belastung für Kinder und Eltern Große Bedeutung von rechtzeitiger Diagnose, Beratung und Behandlung Besonderheiten psychischer Störungen des Säuglingsalters Intensität und Dynamik der Reifungs-, Anpassungsund Lernprozesse (Entwicklungsaufgaben) Enge Wechselseitigkeit von somatischen und psychischen Funktionen Untrennbarkeit der psychischen Entwicklung des Kindes von der Entwicklung der Eltern-KindBeziehungen Komplexität des ätiologischen Bedingungsgefüges, das mehrere Generationen einschließt (das Kind, seine Eltern und deren Herkunftsfamilien) Klassifikationen Besonderheiten von Störungen im Vorschulalter gegenüber denen älterer Kinder und Jugendlicher Ungenügende Erfassung von psychischen Störungen des Alters von 0-5 Jahren durch tradit. Klassifikationsschemata (ICD 10, DSM IV bzw. V) Verschiedene Reformschritte Klassifikationen Verschiedene Reformschritte: Deutsche Leitlinien (Schmidt & Poustka 2007) RDC-PA (2002): Revision/ Modifikation der DSM-IVKriterien für das Vorschulalter; kategoriale Diagnosen vieler Störungen ab dem Alter von 2 Jahren möglich, eher für ältere Vorschulkinder geeignet DC:0-3R (2005): Alternatives Klassifikationssystem speziell für das Säuglings-/ junge Kleinkindalter Entwicklungs- und beziehungsorientierte Klassifikation einzelner Störungsbilder (z.B. Fütterstörung, Chatoor, 1997) Klassifikationen: Dt. Leitlinien (Schmidt & Pouska, 2007) Drei spezifische Regulationsstörungen im Säuglingsalter: 1) Exzessives Schreien 2) Schlafstörungen 3) Fütterstörungen Deutliche Abweichungen der dt. Leitlinien von internationalen Entwicklungen, z.B. Zero-toThree (2005)! Klassifikationen: Zero to Three: Diagnostic classification of mental health and developmental disorders of infancy and childhood (DC:0-3R) DC: 0-3R (2005) Multiaxiales Klassifikationssystem: Achse I: Klinische (psychische) Störung Achse II: Beziehung Achse III: Medizinische Diagnosen nach ICD-10 und DSM IV Achse IV: Psychosoziale Stressoren Achse V: Emotionales und soziales Funktionsniveau DC: 0-3R (2005) Achse I: Klinische Störungen Posttraumatische Belastungsstörung (100) Deprivations-/Misshandlungsstörung (150) Störungen des Affekts (200) Anpassungsstörung (300) Regulationsstörungen der sensorischen Verarbeitung (400) Schlafstörungen (500) Fütterstörungen (600) DC: 0-3R (2005): Deutliche Unterschiede vom Zero-to-Three zu den dt. Leitlinien Regulationsstörungen: Auffälligkeiten der sensorischen Reizverarbeitung Schlaf- und Fütterstörungen als eigenständige Störungen Exzessives Schreien häufiges, oft belastenden Symptom, aber nicht als Störung klassifiziert, da keine ausreichende Forschungslage DC: 0-3R (2005) Achse II: Beziehung Unterscheidung folgender Beziehungsstörungen: Überinvolviert Unterinvolviert Ängstlich/angespannt Ärgerlich/ablehnend Verbal misshandelnd Körperlich misshandelnd Sexuell misshandelnd Beurteilung von: Qualität des interaktiven Verhaltens, affektiver Ton, psychische Involvierung Diagnostik - allgemein Ziel der Diagnostik: Erfassung von Art, Schweregrad und Entwicklungsfolgen der kindlichen Verhaltensauffälligkeiten Funktionseinschränkungen und subjektives Leid für Kind und Familie Aufbau einer weiterführenden therapeutischen Beziehung mit Eltern Setting: Familiensitzungen, Elterngespräche, Kindersitzungen (ab ca. 18 Monaten) Diagnostik - allgemein Vorstellungsanlass, akt. Symptomatik Entwicklungs-/ Eigen- und Familienanamnese (auch: Anamnese elterlicher Belastungen) Pädiatrische (entwicklungsneurologische) Untersuchung Schrei-, Schlaf- und Fütterprotokolle Verhaltensbeobachtung (auch videogestützt) von z.B. kindlichem Temperament, Eltern-KindInteraktion z.T. Entwicklungstests (z.B. ET6-6) Therapie - allgemein Entwicklungsberatung Störungsspezifische Beratung Videogestützte Beratung und Therapie Eltern-Kind-Interaktions-Therapie (z.B. PCIT) u.U. Psychotherapie der Eltern, Paar-/ Familientherapie u.U. Jugendhilfemaßnahmen Therapie - allgemein Allgemeine Therapieziele: Verbesserung kindlicher Verhaltensprobleme Verbesserung der Funktionalität und Qualität in der Interaktion Entlastung und Stärkung der Beziehungsqualität Prävention von Misshandlung und Vernachlässigung Prävention von sekundären emotionalen und Verhaltensstörungen Ausgewählte Störungsbilder im Säuglingsalter (DC 0-3R) Regulationsstörungen der sensorischen Verarbeitung (400) Schlafstörungen (500) Fütterstörungen (600) Regulationsstörungen der sensorischen Verarbeitung (DC: 0-3R: 400) Anlagebedingte Störung der Antwort auf sensorische Reize Persistierende, einschränkende Schwierigkeit in der adäquaten Regulation von Emotionen, Verhalten und Motorik als Antwort auf sensorische Reize Regulationsstörungen der sensorischen Verarbeitung (DC: 0-3R: 400) Überempfindlicher Typ (410) Überschießende Antwort auf Reize wie Berührung, laute Geräusche, helles Licht, ungewohnte Gerüche und Geschmack, taktil raue Oberflächen oder räumliche Bewegungen Subtypen: Typ A: Ängstlich/Vorsichtig (411) Typ B: Negativ/Oppositionell (412) Regulationsstörungen der sensorischen Verarbeitung (DC: 0-3R: 400) Unterempfindlicher/Unterreagierender Typ (420) Ruhig und zurückhaltend Benötigen eine hohe Intensität an Reizen, um adäquat zu reagieren Stimulationssuchender/Impulsiver Typ (430) Suchen aktiv ein hohes Maß an sensorischen Reizen Kann mit ADHD und Störung des Sozialverhaltens assoziiert sein Regulationsstörungen: Prävalenz Emde & Wise, 2003: bei 1083 Kindern aus 5 Zentren wurden Regulationsstörungen mit 21% am häufigsten diagnostiziert Allerdings sehr große Spanne zwischen 5-43% Frankel et al., 2004: retrospektive Analyse bei 177 Kindern: 14% Regulationsstörungen Skoovgard et al., 2007: dänische epidemiologische Studie 7,1% der 18 Monate alten Kinder erfüllen Kriterien der Regulationsstörung Regulationsstörungen: Ätiologie Multifaktorielle Erklärung, aber Datenlage zur Ätiologie unzureichend Konstitutionelle Defizite in Informationsverarbeitung verschiedener sensorischer Modalitäten Modulation dieser Schwierigkeiten durch Interaktion mit Bezugspersonen Begleitende physiologische (v.a. kardiale) Veränderungen, nur an kleinen Gruppen nachgewiesen (Barton & Robins, 2000) Regulationsstörungen: Diagnostik Diagnose aufgrund unklarem Konstrukt sehr schwierig In DC: 0-3R fehlen spezifische Kriterien (Intensität, Häufigkeit etc.) Anamnese wichtig V.a. Fähigkeiten des Kindes zur Selbstregulation wichtig Regulationsstörungen: Differenzialdiagnosen Unterscheidung zwischen ODD/ADHS und Regulationsstörungen schwierig Auch aufgrund des unklaren Konstruktes der Regulationsstörungen Frankel et al., 2004: 41% der Kinder, die in DSM-IV die Diagnose ODD erhalten haben, werden in DC: 0-3R als Regulationsstörungen diagnostiziert Umgekehrt: 63% der Kinder mit Regulationsstörung erhalten gemäß DSM-IV die Diagnose ADHS/ODD Regulationsstörungen: Therapie Beratung der Eltern bzgl. sinnvoller Dosierung der Umwelteinflüsse Steigerung der Empathie der Eltern für die Kinder Einübung von Grenzsetzung, Struktur und Konsistenz Ergotherapeutische Techniken z.B. vestibuläre Stimulation durch rhythmische Bewegungen Graduierte Exposition an neue Reize Regulationsstörungen: Verlauf und Prognose Verlaufsstudien von Kindern mit gesicherter Diagnose Regulationsstörung nach DC: 0-3R bis ins Schul- oder Jugendalter sind noch nicht vorhanden Inwiefern Regulationssymptome als Vorläufersymtome von späterem HKS anzusehen sind, ist umstritten (Barton & Robins, 2000; Petermann & Koglin, 2008; Becker et al., 2004) Schlafstörungen (DC: 0-3R: 500) Schlafstörungen bei jungen Kindern häufig und oft sehr belastend Viel Forschung zu Schlafstörungen, sehr gute Datenlage, Empfehlungen bzgl. Diagnostik und Therapie auf hohem Evidenzgrad Schlafstörungen (DC: 0-3R: 500) Erst ab Alter von 12 Monaten diagnostizierbar, Persistenz von mindestens 4 Wochen Einschlafstörungen (510) Verlängerte Einschlafzeit und/ oder Notwendigkeit der Anwesenheit der Eltern Durchschlafstörungen (520) Mehrfaches nächtliches Aufwachen Elterliche Interventionen nötig und/oder Weiterschlafen im elterlichen Bett Schlafstörungen (DC: 0-3R: 500) Ergänzungen durch RDC-PA-Kriterien: Einschlafstörungen: 5-7 Episoden/ Woche für mind. 1 Monat Einschlafdauer: > 30 Minuten (Alter 12-24 Mte) > 20 Min. (Alter > 24 Mte) Anwesenheit der Eltern erforderlich bzw. > 3 Kontakte mit Eltern (Alter 12 – 24 Mte) > 2 Kontakte mit Eltern (Alter > 24 Mte) Einschränkungen der Eltern (empirisch nicht gesichert) Schlafstörungen (DC: 0-3R: 500) Ergänzungen durch RDC-PA-Kriterien: Durchschlafstörungen: 5-7 Episoden/ Woche für mind. 1 Monat Wiedereinschlafdauer: > 30 Minuten (Alter 12-24 Mte) > 20 Min. (Alter 24 – 36 Mte) > 10 Min. (Alter > 36 Mte) Anwesenheit der Eltern erforderlich bzw. > 3x/ Nacht (ges. > 30 Min) (Alter 12 – 24 Mte) > 1x/ Nacht (ges. > 20 Min.) (Alter 24 – 36 Mte) > 1x/ Nacht (ges. > 10 Min.) (Alter > 36 Mte) Einschränkungen der Eltern Schlafstörungen: Prävalenz Geringe Prävalenzangaben in klassischen kinderpsychiatrischen Studien Hypothese: Schlafstörungen werden oft übersehen Sadeh et al. (2009) 5006 Eltern von Kleinkindern zwischen 0-36 Monaten füllen standard. Internetfragebogen aus 23% der Eltern: Schlafprobleme = kleines Problem 2% der Eltern: Schlafprobleme = schwerwiegendes Problem Reid et al. (2009) 3000 2-3j. Kinder: Schlafstörungen sind mit internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten verbunden Schlafstörungen: Ätiologie Multifaktoriell bedingt (Mindell et al., 2006) Kindliche Faktoren - biologische Faktoren - temperamentsbedingte Faktoren - medizinische Faktoren Umgebungsvariablen - Elterliche psychische Störungen Schwierigkeiten bei Grenzsetzung Schuldgefühle Enge Wohnverhältnisse Sehr komplexe, sich gegenseitig verstärkende Interaktionsabläufe Schlafstörungen: Diagnostik Ausschluss organischer Grunderkrankungen Anfallsleiden, Obstruktion der Atemwege, Schlafapnoen, neurologische Erkrankungen Ausschluss anderer Schlafstörungen Pavor nocturnus Körperliche Untersuchung Erfassung komorbider Erkrankungen Fragebogen Pediatric Sleep Questionnaire (2-18J) Schlaftagebuch (mind. 2 Wochen) Schlafstörungen: Therapie Psychoedukation (z.B. Elternkurse) Positive Schlafroutinen Kinder müde aber noch wach ins Bett legen, damit sie eigene Einschlaffähigkeiten entwickeln Unmodifizierte Extinktion Kinder ins Bett legen und Weinen, Rufen etc. bis zum nächsten Morgen ignorieren Eltern dürfen Kind aus Sicherheits- und med. Gründen überwachen, aber nicht intervenieren Hochwirksam, aber sehr belastend für Eltern Schlafstörungen: Therapie Graduierte Extinktion (Ferber-Methode) Ignorieren von Weinen, Wutausbrüchen u.ä. für einen vorher definierten Zeitraum Kurze Beruhigung des Kindes durch Eltern in regelmäßigen Abständen (15sec-1min) Kind soll lernen, sich selbst zu beruhigen Hohe Wirksamkeit Faded bedtime Kinder werden zu einer späteren Zeit ins Bett gelegt als üblich Schrittweise Vorverlegung der Schlafenszeit nach vorne (jeweils um 15-30min) Tagsüber keine Schlafenszeiten (z.B. Mittagsschlaf) Schlafstörungen: Therapie Schlafstörungen: Verlauf und Prognose Häufige, sehr belastende Störungen Neg. Auswirkungen auf u.a. kognitive Entwicklung (z.B. Lernen, Gedächtnis, etc) Affektregulierung (z.B. chronische Irritabilität) Aufmerksamkeit Verhalten (z.B. Aggressivität, Hyperaktivität) Gesundheit (z.B. Unfälle) Lebensqualität Hohe Komorbiditätsraten Schlafstörungen: Verlauf und Prognose Sekundäre Betroffenheit der Eltern (z.B. mütterliche Depressivität, gestörte Familieninteraktionen) Fazit: Unbehandelt Tendenz zu Chronifizierung und Persistenz; Entwicklung komplexer, differenzierter Schlafstörungen Fütterstörungen (DC:0-3R: 600) 601: Fütterstörungen mit Beeinträchtigung der homöostatischen Regulation 602: Fütterstörung mit unzureichender ElternSäuglings-Reziprozität 603: Infantile Anorexie 604: Sensorische Nahrungsverweigerung 605: Fütterstörung im Zusammenhang mit einer bestehenden medizinischen Erkrankung 606: Posttraumatische Fütterstörung Fütterstörungen nach DC: 0-3R (Übersicht nach von Gontard, 2010) Diagnose Hauptsymptome Beginn Beobachtung RegulationsFS Zu abgelenkt, zu unruhig, zu schläfrig NG FS der reziproken Interaktion Wachstumsdefizit, Deprivation, Vernachlässigung, fehlende elterliche Sorge, Defizite in sozialer Interaktion Erstes Lj. Wachstumsdefizit Geringe Mutter- Ja KindReziprozität Ja Fütterstörungen nach DC: 0-3R (Übersicht nach von Gontard, 2010) Diagnose Hauptsymptome Beginn Beobachtung Wachstums defizit Frühkindliche Anorexie Geringer Appetit, oft Nahrungsverweigerung, geringe Gewichtszunahme <3.Lj. Mutter-KindKonflikt über die kindliche Nahrungsverweigerung Ja Einführung von Beikost, fester Nahrung Mutter-KindKonflikt wegen selektiver Nahrungsverweigerung Spezifische Ernährungsdefizite Sensorische Anhaltende NahrungsNahrungsverweiverweigerung gerung bestimmter Nahrungsmittel Fütterstörungen nach DC: 0-3R (Übersicht nach von Gontard, 2010) Diagnose Hauptsymptome Beginn Beobachtung Wachstums defizit FS assoziiert m. med. Erkrankungen Kind beim Füttern gestresst, keine ausreichende Nahrungsaufnahme Jedes Alter Beginnt zu essen, aber zunehmender Stress beim Füttern Ja FS assoziiert mit Insulten d. gastrointestinalen Traktes Anhaltende Verweigerung von Flaschen, fester oder jeder Nahrung Jedes Alter Kind schon beim Hinsetzen zu Essen oder beim Anbieten von Nahrung gestresst Abhängig von der Dauer Fütterstörungen: Prävalenz Wright, 2007 20 % (N=89) von 455 Kindern (Alter 2½ Jahre) hatten nach Elternangaben eine Essstörung: 49 % aßen eingeschränkte Zahl von Nahrungsmitteln 39 % bevorzugten Getränke gegenüber fester Nahrung 4% tranken nur Flüssigkeiten 23 % aßen zu langsam 18 % waren nicht an Essen interessiert Fütterstörungen: Prävalenz Wright, 2007 Elterliche Strategien: 85 % boten neue Nahrungsmittel an 67 % ließen Fernsehen oder Video beim Essen laufen 74 % spielten Spiele mit ihren Kindern Strafende Maßnahmen: 55 % gaben ihren Kindern keinen Nachtisch 28 % nahmen das Essen weg 19 % zwangen ihre Kinder zum Essen 12 % drohten 3 % schlugen ihre Kinder Fütterstörungen: Prävalenz McDermott, 2008 Prospektive Langzeitstudie von 5122 Kindern: Prävalenz: Essstörungen im Alter von 2-4 Jahren: 20,2 % aßen manchmal und 7,6 % oft unregelmäßig Persistenz: 48 % der 6 Monate alten Kinder mit Fütterstörungen hatten im Alter von 2-4 Jahren eine Essstörung Risikofaktoren: Kind: körperliche Erkrankungen, Schläfrigkeit und ängstlichdepressive Symptome Mütter: körperliche Erkrankungen, Depression und Angst Fütterstörungen: Diagnostik Ernährungs- und Gewichtsanamnese Pädiatrische (entwicklungsneurologische) Untersuchung Ernährungsprotokoll Videogestützte Verhaltensbeobachtung und Analyse der Fütterinteraktion Interaktionsbeobachtung in weiteren altersrelevanten Kontexten (Spielsituationen) Anamnese elterlicher Belastungen und Bedeutungszuschreibungen Fütterstörungen: Diagnostik Feeding Scale 1) Wechselseitigkeit 2) Konflikthafte Interaktion 3) Sprechen und Ablenkung während des Fütterns 4) Kontroll-Konflikte 5) Fehlende mütterliche Kontingenz Fütterstörungen: Ätiologie Regulations-Fütterstörung (601.) Homöostase, Vigilanz Fütterstörung der reziproken Interaktion (602.) Interaktion, psychische Störung der Eltern Frühkindliche Anorexie (603.) Hyperarousal Sensorische Nahrungsverweigerung (604.) Sensorische Störung Fütterstörung assoziiert mit medizinischen Erkrankungen (605.) Medizinische Grunderkrankung Fütterstörung assoziiert mit Insulten des gastrointestinalen Traktes (606.) Konditionierter Reflex Fütterstörung: Behandlung Allgemeine Therapie: • Ernährungsberatung • Psychoedukation • Pädiatrische Mitbehandlung • Logopädische Behandlung • Bei Bedarf kontrollierte Hungerversuche mit Nahrungseinschränkung Fütterstörung: Behandlung Allgemeine Essensregeln (unvollständig) Feste Mahlzeiten, nur geplante Zwischenmahlzeiten Max. 30 min. pro Mahlzeit Kein Essen unter Zwang Kein Spielen während der Mahlzeiten Essen nie als Belohnung oder Geschenk Beendigung der Mahlzeit, wenn das Kind Essen in Wut umherschmeißt Fütterstörungen: spezifische Behandlung Regulations-FS (601.) Regulation d. Stimulationsausmaß während des Essens, Erhöhung elterl. Feinfühligkeit FS der reziproken Interaktion (602.) Bezugspflege mit Körperkontakt, Füttern, Spielen, Eltern-Kind-Therapie, ggf. JH Frühkindliche Anorexie (603.) Psychoedukation zum Kindstemperament, Struktur, Grenzsetzung, Erlernen von Hunger- und Sättigungsgefühl Sens. Nahrungsverweigerung (604.) Nahrungsergänzung bei Bedarf, Modelllernen, Desensibilisierung FS assoziiert m. med. Erkrankungen (605.) Behandlung d. Med. Grunderkrankung, Modifikation von Abläufen, ggf. Sonde FS assoziiert m. Insulten d. gastrointestinalen Traktes (606.) Ggf. Sonde, Sondenentwöhnung, Desensibilisierung Fütterstörungen: Verlauf und Prognose Tendenz zur Persistenz und Chronifizierung Systematische Nachuntersuchungen für die sechs Subtypen (DC:0-3R) liegen nicht vor Gute Prognose: Fütterstörung assoziiert mit Insulten des Gastrointestinaltraktes Ungünstige Prognose: Frühkindliche Anorexie Literatur Bolten, M., Möhler, E. & von Gontard, A. (2013). Psychische Störungen im Säuglings- und Kleinkindalter. Exzessives Schreien, Schlaf- und Fütterstörungen. Göttingen: Hogrefe. Dt. Ges. f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.) (2007). Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter, 3. überarbeitete Auflage. Deutscher Ärzte Verlag. Steinhausen, H.-C. (2006). Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Lehrbuch der Kinder- und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie. München: Elsevier U&S. Von Gontard, A. (2010). Säuglings- und Kleinkindpsychiatrie. Ein Lehrbuch. Stuttgart: Kohlhammer. Zero to three (2005). Diagnostic classification of mental health and developmental disorders of infancy and childhood: Revised edition (DC: 0-3R). Washington, D.C.: ZERO TO THREE Press. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!