Frühe Beziehungsstörungen – ihre Behandlung und Prognose im

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06.08.2012
Frühe Beziehungsstörungen – ihre Behandlung
und Prognose im Hinblick auf das Schulalter
Murnau, 7. Juli 2012
Nikolaus v. Hofacker
Frühe Beziehungsstörungen
Warum ist die Beziehung so wichtig?
 Winnicott: „ … there ist no such thing as baby …“
 Frühkindliche Verhaltensregulation kann nur im Kontext
elterlicher Coregulation (intuitives elterliches Verhalten)
gelingen
 Elterliche Feinfühligkeit als Voraussetzung für gelingende,
sichere Bindung zwischen Eltern und Kind
 Hinreichend gutes Parenting ist besser als optimales
 korrelieren am höchsten mit Bindungssicherheit
 Nur 30% der Eltern-Säuglings-Interaktionen sind ideal
abgestimmt
 Gelingende Beziehung stellt „interaktiven Repair“ nach
Microfrustrationen her
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Frühe Beziehungsstörungen
„…. der Patient ist die Beziehung…“
(Sameroff & Emde 1989)
Diagnostische Klassifikation 0-3R (ZTT/0-3R, 2005)
 Achse 1 Kindliches Symptom
 Achse 2 Klassifikation der Beziehung
 Achse 3 Medizinische Probleme
 Achse 4 Psychosoziale Belastung
 Achse 5 Funktional-emotionale Entwicklung
Frühe Beziehungsstörungen
Achse 1

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



Kindliches Symptom
Posttraumatische Stressstorung
Deprivation/ Misshandlung
Affektstörungen
Anpassungsstörung
Regulationsstörungen
Schlafverhaltensstörung
Essverhaltensstörung
Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
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Frühe Beziehungsstörungen
Allgemeine Merkmale von Beziehungsstörungen
 Rigide, wenig flexible Interaktions- und
Beziehungsmuster
 Kontextübergreifende Symptomatik (2 oder mehr
kindliche Bereiche der Regulation betroffen)
 Persistenz: Symptomatik dauert > 3 Monate
 Kindliche Vernachlässigung
 Projektiv verzerrte elterliche Wahrnehmung,
Fehlinterpretationen der kindlichen
Verhaltensbedürfnisse und -merkmale
Frühe Beziehungsstörungen
Achse 2
Klassifikation der Beziehung
 Überinvolvierte Beziehungsstörung
 Unterinvolvierte Beziehungsstörung
 Ängstlich- vermeidende Beziehungsstörung
 Zornig- feindselige Beziehungsstörung
 Körperlich- missbrauchende Beziehungsstörung
 Sexuell- missbrauchende Beziehungsstörung
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Frühe Beziehungsstörungen
Frühkindliche Beziehungsbelastungen und störungen können sich in kindlichen
Verhaltensproblemen (Regulationsstörungen u. a.)
äußern, sie können aber auch in der Folge derselben
auftreten (enge Wechselwirkungen)
Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter
(Entwurf S2k Leitlinie „Psychische Störungen im Säuglings-, Kleinkind-, und
Vorschulalter (0-5 Jahre)“, 2012)
 Typ A
Regulationsstörung ohne Störung der
sensorischen Verarbeitung
 Typ B
Regulationsstörung mit Störung der
sensorischen Verarbeitung
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Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter
TYP A ohne Beeinträchtigung der sensorischen Verarbeitung
 Es müssen mindestens zwei regulatorische Bereiche betroffen sein
 Diese können simultan oder auch im Entwicklungsverlauf sukzessiv
betroffen sein
 Dauer der Symptomatik mindestens 1 Monat, Auftreten an mindestens
4 Tagen der Woche
 die Symptome sind typischerweise sehr variabel bezüglich der
Intensität, Dauer und Häufigkeit ihres Auftretens.
 die Symptome können auf bestimmte Bezugspersonen begrenzt sein
und gehen regelhaft mit dysfunktionalen Interaktionsmustern einher
Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter
TYP B mit Beeinträchtigung der sensorischen Verarbeitung
 Kriterien entsprechend 0-3R (2005)
 „Regulationsstörungen der sensorischen Verarbeitung“
 Betroffene Kinder zeigen persistierende, einschränkende
Schwierigkeiten in der adäquaten Regulation von Emotionen,
Verhalten und Motorik – jeweils als Antwort auf sensorische Reize.
 Regulationsstörungen werden also als komplexe
Integrationsstörung von externen Reizen verstanden.
 Zur Diagnose sind notwendig:
 Sensorische Verarbeitungsschwierigkeiten
 motorische Probleme
 ein spezifisches Verhaltensmuster
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Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter
TYP B mit Beeinträchtigung der sensorischen Verarbeitung
 Überempfindlicher Typ
 überschießende Antwort auf Reize wie Berührung, laute
Geräusche, helles Licht, ungewohnte Gerüche und Geschmack,
raue Oberflächen oder räumliche Bewegung.
 Unterempfindlich-unterreagierender Typ
 die Kinder sind insgesamt eher ruhig, zurückhaltend und benötigen
eine hohe Intensität an Reizen, um adäquat zu reagieren.
 Stimulationssuchender, impulsiver Typ
 die Kinder suchen aktiv ein hohes Maß an sensorischer
Stimulation und zeigen altersuntypisch erhöhte Impulsivität und
mangelnde Aufmerksamkeit
Frühkindliche Regulationsstörungen
Formen frühkindlicher Fütterstörungen (Chatoor 2011)
 Fütterstörung mit Beeinträchtigung der homöostatischen
Regulation
 Fütterstörung bei beeinträchtigter Eltern-SäuglingsReziprozität (Vernachlässigung)
 „Infantile Anorexie“
 Sensorische Nahrungsverweigerung
 Posttraumatische Fütterstörung
 Fütterstörung bei medizinischer Begleiterkrankung
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Frühkindliche Regulations- und Beziehungsstörungen
Bedeutsame Bedingungsfaktoren
 Kindliche prä-, peri- und postnatale Belastungen
 Frühkindliche Reifungsprozesse
 Kindliches Temperament
 Elterliche Belastungen
 Kindliche und elterliche Belastungen stehen über
dysfunktionale Interaktions- und Beziehungsmuster in
Wechselwirkung
Kompensation
S
C
H
U
T
Z
F
A
K
T
O
R
E
N
Passung
Kulturelle
Umwelt
Soziale
Umwelt
Familie
Eltern
Kind
Belastung
R
I
S
I
K
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F
A
K
T
O
R
E
N
Entwicklung
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Frühkindliche Regulations- und Beziehungsstörungen
Prognose
 Hohe Persistenzraten von Verhaltensauffälligkeiten im
Vorschulalter von 50 – 70%
 Regulationsstörungen (Metanalyse Hemmi et al., 2011)
 Höchste Effektstärke für exzessives Schreien in Bezug auf
allgemeine Verhaltensauffälligkeiten (0.56), Internalisierende
Probleme (0.50) und ADHS (0.42).
 Stärkerer Zusammenhang in klin. Samples und bei strengeren
Kriterien
 Psychosoziale Belastungen und multiple Regulationsstörungen
erhöhen Risiko
 Weitere Verhaltensprobleme vor allem bei persistierendem
Schreien > 6. LM (v. Kries et al., 2006)
Frühkindliche Regulations- und Beziehungsstörungen
Prognose
 Mannheimer Risikokinder-Studie (Becker et al., 2004)
 Multiple Regulationsstörungen prädiktiv für
Verhaltensauffälligkeiten im Schulalter (8-11 Jahre), vor allem
ADHS
 Effekt bei Kontrolle für psychosoziale Belastungen im frühen
Kindesalter nicht mehr nachweisbar
 Auch andere Studien weisen auf möglicherweise erhöhtes Risiko für
ADHS im Schulalter hin (Wolke et al., 2002). Möglicherweise ist
stimulationssuchender Untertyp besonders prädestiniert
 Regulationsstörung vom Typ B (mit Störung der sensorischen
Reizverarbeitung) hat möglicherweise erhöhtes Risiko für
sensorimotorische, emotionale und Verhaltens- sowie
Interaktionsauffälligkeiten (DeGangi et al., 1993, 2000)
 Frühkindliche Trennungsängste  Angststörungen im Schulalter
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Frühkindliche Regulations- und Beziehungsstörungen
Prognose
Fütterstörungen
 Fütterstörung mit beeinträchtigter Eltern-SäuglingsReziprozität
 Emotionale Nahrungsverweigerung (Bryant-Waugh 2010)
 Infantile Anorexie
 Restriktive Essstörung (Bryant-Waugh 2010)
 Sensorische Nahrungsverweigerung
 Selektive Nahrungsverweigerung (Bryant-Waugh 2010)
 Soziale und andere Ängste
 Posttraumatische Fütterstörung
Funktionale Dysphagie (Bryant-Waugh 2010)
Kindliche Angststörungen
Frühkindliche Beziehungsstörungen
Grundsätzliche Strategien
 Psychosoziale Entlastung der Eltern, Förderung elterlicher
Selbstfürsorge und sozialer Unterstützung
 Begleitende Bearbeitung/Therapie elterlicher Belastungen und
Störungen
 Begleitende Behandlung kindlicher somatischer Belastungen
 Interaktions- und beziehungsfokussierte Therapie
 Exzessives Schreien: Reizreduktion
 Strukturierung des Tagesablaufes
 Orientierung an kindlichen Signalen und Bedürfnissen
 Frühestmögliche Interventionen und Unterstützung zur Prävention
späterer Verhaltensauffälligkeiten
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Frühkindliche Beziehungsstörungen
Behandlungssetting
Ambulante Behandlung
 Körperliches und/oder seelisches Wohl des Kindes nicht bedroht
 Psychosoziale Umstände ausreichend stabil
 Konflikthafte alltägliche Interaktionen ausreichend zugänglich
 Problem bei Fütterstörungen: Eltern behalten Verantwortung für
Gedeihen und somatisches Befinden des Kindes
Frühkindliche Beziehungsstörungen
Behandlungssetting
Ambulante Behandlung
Entwicklungspsychologisch fundierte, interaktionszentrierte Beratung
 Kurzzeitige, maximal 3 Monate bestehende, nicht
kontextübergreifende Regulationsstörungen ohne
relevante Beziehungspathologie.
 Oft nur wenige Sitzungen (1-10) notwendig.
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Frühkindliche Beziehungsstörungen
Behandlungssetting
Ambulante Behandlung
Eltern-Säuglings- und Kleinkind-Psychotherapie
 Längerdauernde, mehr als 3 Monate bestehende
Fütterstörungen, die anfangen, pervasiv auf andere
Interaktionskontexte überzugreifen
 Offensichtlich dysfunktionale, maladaptive
Interaktionsmuster
 Deutliche Belastungen oder Störungen der Eltern-KindBeziehungen
 Interventionen über 10 - 20 Sitzungen
Frühkindliche Beziehungsstörungen
Behandlungssetting
Indikation für eine Stationäre Therapie
 Unmittelbare kindliche Bedrohung
 Schwere elterliche Erschöpfung
 Schwere Interaktions- und Beziehungsstörungen  multimodale
interdisziplinäre Therapie
 Schwere psychosoziale Belastungen
 Fütterstörungen mit Gedeihstörungen
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