Mobbing am Arbeitsplatz

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Schwerpunkt
Mobbing am Arbeitsplatz
Erklärungsmodelle, Differenzialdiagnostik und resultierende
Gesundheitsfolgen
Als Mobbing werden geplante Schikanen oder Anfeindungen gegen eine Person mindestens einmal pro Woche über 6 Monate mit dem Ziel des Ausstoßes
aus dem Arbeitsverhältnis bezeichnet. Die Prävalenz liegt in Deutschland bei
etwa 3 %, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Die höchsten
Prävalenzraten finden sich im Dienstleistungssektor sowie im Gesundheits-,
Sozial- und Bildungswesen. Ätiopathogenetisch wird Mobbing als multifaktorieller Prozess mit individuellen und beruflich-gesellschaftlichen Faktoren
­aufgefasst, wobei nicht gelöste Konflikte und betriebliche Veränderungen im
Vordergrund stehen. Mobbing ist primär zwar keine medizinische Diagnose,
wird aber aufgrund der daraus resultierenden Gesundheitsfolgen immer
bedeutsamer. Mobbing kann zur Entwicklung von funktionellen Syndromen,
chronischen Schmerzen, Herz-Kreislauferkrankungen und psychischen
Störungen beitragen. Ziel dieser Arbeit ist es, eine Übersicht über Häufigkeit,
Erscheinungsformen und Erklärungsmodelle für Mobbing sowie Hinweise zur
differenzialdiagnostischen Einordnung und zur Therapie zu geben.
Seit Menschen zusammenarbeiten, gibt es berufliche Konflikte und Machtkämpfe. Steigende Anforderungen an die soziale Kompetenz sowie die
Team- und Konfliktfähigkeit überfordern nicht
selten Beschäftigte und Führungskräfte gleichermaßen. Parallel dazu werden Anschuldigungen,
im Beruf „gemobbt“ worden zu sein, immer häufiger geäußert. Für Personen, die unter interpersonellen Konflikten oder stressbezogenen Symptomen leiden, stellt die Selbstdefinition als
„Mobbing-Opfer“ zunächst eine Möglichkeit dar,
die Ursache der Problematik zu externalisieren,
was sicherlich zur Popularität des Begriffes beiträgt [1].
Dies ändert jedoch nichts daran, dass Mobbing
als arbeitsbezogener Risikofaktor für die seelische und körperliche Gesundheit inzwischen gut
belegt ist. Ärztinnen und Ärzte stehen also vor
der Aufgabe, sich mit dem Phänomen „Mobbing“
auseinanderzusetzen, um Konzepte für Diagnostik und Therapie zu entwickeln – oder, wenn sie
in einer Führungsposition sind, Anzeichen für
Mobbing im eigenen Team rechtzeitig zu erkennen und gegenzusteuern.
Definition
„Mobbing“ stellt ein Kunstwort dar und ist von
dem Verb „to mob“ (über jemanden herfallen,
anpöbeln) bzw. dem Substantiv „the mob“ ableitbar. Der wissenschaftliche Ursprung des Begriffes liegt in der biologischen Verhaltensforschung. Konrad Lorenz verstand darunter Gruppenangriffe unterlegener Tiere mit dem Ziel, einen überlegenen Gegner zu verscheuchen. Heinz
Leymann [2] „importierte“ den Mobbing-Begriff
in das Setting „Arbeitswelt“ und gründete in
Schweden die erste Fachklinik für Mobbingopfer.
Der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG) definiert Mobbing als
eine konflikthafte Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten
und Mitarbeitern, bei der eine Person von einer
oder einigen Personen systematisch häufig (minklinikarzt 2016; 45 (1): 20–25
Heruntergeladen von: Klinikum Nürnberg. Urheberrechtlich geschützt.
Volker Köllner1, Wolfgang Söllner2
1
Rehazentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung, Teltow/Berlin
2
Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Klinikum Nürnberg, Nürnberg
Bild: Fotolia; Fotograf/Grafiker: lightwavemedia
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Schwerpunkt
Tab. 1
Mobbing – begünstigende Faktoren der Arbeitswelt.
• Arbeitsverdichtung – Überforderung – chronischer Stress
• Verschärfter Wettbewerb (Zeit-/Erfolgsdruck)
• Unterforderung („Langeweile“)
• Perspektivlosigkeit – Inhaltsarmut
• Unklare Arbeitsorganisation
• Arbeitsplatzunsicherheit – Angst vor Arbeitsplatzverlust
• Pathologisches Konkurrenzdenken
• Schlechtes Betriebsklima
• Innerbetriebliche Veränderungen (neue Vorgesetzte, neue Abläufe)
• Unternehmenskultur, die Mobbing verharmlost
• Defizitäre Führungskompetenz – mangelhafte Personalpolitik
• Defizitäre Kommunikation – Intransparenz von Entscheidungen
• Fehlende Anerkennung („Feed-Back“)
• Fehlende gemeinsame Werte – soziales Desinteresse
• Rollenkonflikte
Epidemiologie
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ging im Jahr
2000 für die damalige EU von einer MobbingPrävalenz von ca. 9 % aus. Für Deutschland lieferte 2002 der Mobbing Report der Bundesanstalt
für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
repräsentative Daten [3]. Zum Zeitpunkt der Untersuchung wurde eine Mobbing-Quote von
2,7 % objektiviert. Somit waren im Jahr 2000 ca.
1 Mio. Beschäftigte in Deutschland betroffen; die
12-Monats-Prävalenz betrug 5,5 %.
Neue Mitarbeiter sind gefährdeter als langjährig
Beschäftigte. Frauen haben ein um 75 % höheres
Mobbing-Risiko als Männer [4]. Dies scheint auch
mit einem Machtgefälle am Arbeitsplatz zusammenzuhängen. In den USA sind Hispanoamerikaner und Schwarze doppelt so häufig von Mobbing
betroffen wie asiatischstämmige und weiße Amerikaner [5] (Workplace Bullying Institute 2011).
Die am stärksten betroffenen Altersgruppen sind
unter 25-Jährige und Auszubildende (3,7 %) sowie
über 55-Jährige (2,9 %). Häufigste Mobbing-Täter
sind männliche Vorgesetzte im Alter zwischen 35
und 55 Jahren. Bei derzeitigem Wissensstand
scheint das Mobbing-Risiko in sozialen und Gesundheitsberufen, bei Beschäftigten von Banken/
Versicherungen, im öffentlichen Dienst und bei
Verkaufspersonal am höchsten zu sein. Im produzierenden Gewerbe soll die Mobbing-Prävalenz
am niedrigsten sein. In einer jüngst veröffentlichten longitudinalen Studie bei 621 Assistenzärzten
in süddeutschen Krankenhäusern gaben 12,9 %
an, am Arbeitsplatz gemobbt zu werden. Diese
Rate stieg nach einem Jahr auf 14,9 % und nach
3 Jahren auf 15,9 % [6].
Ätiopathogenese
Mobbing ist ein multifaktoriell verursachter Prozess, dessen Entstehungsbedingungen sich soklinikarzt 2016; 45 (1): 20–25
Tab. 2
Häufig beschriebene Mobbing-Strategien.
• Soziale Isolierung (Ausgrenzung, Vorenthalten von Informationen)
• Gerüchte („Brunnenvergiftung“ – Verbreitung von Unwahrheiten)
• Verbale Aggressionen (Drohungen, Demütigungen)
• Aufgaben-/Kompetenzentzug („Kaltstellen“)
• Angriff auf Person/Privatsphäre
• Androhung/Ausübung körperlicher Gewalt
• Überforderung (Zuteilung unlösbarer Aufgaben)
• Abwertung der Person (vor Kollegen lächerlich machen)
• Ständige Kritik
• Falsche Bewertung der Arbeitsleistung
• Ständiges Sticheln und Hänseln
• Sabotage („Dateien löschen – Ideenklau“)
wohl aus Verhalten („Opfer und Täter“) als auch
aus Verhältnissen („Organisation Gruppe“) rekrutieren [7, 8, 9, 10] (Tab. 1). Die Europäische
Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz
am Arbeitsplatz [7] unterscheidet zwischen
Mobbing als „Folge eines eskalierenden Konfliktes“ und “Mobbing Fällen, in denen Täter ihre
Aggressionen ausleben (Suche nach einem Sündenbock) und die Opfer primär nicht in einen
Konflikt verwickelt waren“. Eine Übersicht zu
Hypothesen und Konzepten zur Entstehung von
Mobbing findet sich z. B. bei [1] oder [9]. Eine
spezifische „Opfer-Typologie“ ist bis heute nicht
gesichert. Es gibt jedoch Hinweise, dass Mobbing-Opfer eher ängstlich, konfliktscheu und depressiv sind [11, 12]. In der Studie bei deutschen
Assistenzärzten waren die Betroffenen häufiger
übergewichtig, chronisch krank, alleinlebend,
tranken mehr Alkohol und arbeiteten länger als
nicht von Mobbing Betroffene. Depressivität erwies sich sowohl als Risikofaktor als auch als Folge des Mobbings [6]. Für Mobbing-Täter stehen
die fehlende Bereitschaft zur Konfliktlösung und
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destens einmal pro Woche), während längerer
Zeit (mindestens 6 Monate) mit dem Ziel des
Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder
indirekt angegriffen wird“
Darüber hinaus lassen sich verschiedene Formen
von Mobbing unterscheiden:
• „Bossing“: Mobbing-Handlungen von Vorgesetzten gegen Untergebene
• „Staffing“: beschreibt den umgekehrten
Sachverhalt (Mobbing von Untergebenen gegen den Vorgesetzten).
• „Strategisches Mobbing“: hierunter werden
in der Populärliteratur Mobbing-Handlungen
als Mittel des Personalabbaus (z.B. bei ansonsten unkündbaren Beschäftigten bei Discounter-Ketten) verstanden.
• „High Tech Mobbing“ beinhaltet Manipulationen am PC des Opfers (z.B. das Löschen von
Dateien, Eingriffe in den E-Mail-Verkehr).
21
Schwerpunkt
1.
oder ihnen wird gekündigt bzw. sie willigen auf
Druck in Auflösungsverträge ein. Nicht selten
zieht der Verlust des Arbeitsplatzes auch das generelle Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nach
sich. Nach längerer Arbeitsunfähigkeit wegen
psychosomatischer Erkrankungen schaffen viele
Betroffene den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt
nicht mehr. Es drohen Frühinvalidität oder Langzeitarbeitslosigkeit mit erheblich limitierter Lebensperspektive und im schlimmsten Fall Suizid.
Ungelöster Konflikt
Schuldzuweisungen
persönliche Angriffe
2.
Psychoterror – Etablierung von Mobbing
Ausgrenzung / Isolation
abnehmendes Selbstwertgefühl
3.
Abmahnung
Versetzung
Kündigung
4.
Gesellschaftliche und individuelle Folgen
Eskalation – Verschlechterung der Arbeitsleistung
Ausschluss – Verlust des Arbeitsplatzes
Psychische Erkrankung
Arbeitsunfähigkeit
Frühverrentung
Arbeitslosigkeit
Sozialer Abstieg
Suizid – vorzeitiger Tod
Abb. 1 Mobbing – Verlaufsmodell nach Leymann.
die Aggression, der Wunsch, andere zu verletzen,
im Vordergrund. Daneben können auch Intoleranz, Neid, Angst, Rivalität und persönliche Probleme wie gescheiterte Karriereträume oder
Alkohol-/Drogenmissbrauch eine Rolle spielen.
Phänomenologie: Mobbing-Handlungen
und -Verlauf
Die am häufigsten beobachteten Mobbing-Handlungen sind in Tabelle 2 dargestellt. Nach bislang
vorliegenden empirischen Befunden kommt
„Kollegen-Mobbing“ mit ca. 50 % am häufigsten
vor, gefolgt von „Bossing“ mit Prävalenzraten von
etwa 40 %. Nahezu jeder 4. Betroffene wird täglich und etwa jeder 3. mehrmals pro Woche „gemobbt“, die Dauer des Mobbings beträgt einige
Monate bis mehrere Jahre [16]. Auf Leymann
geht ein heute breit akzeptiertes 4-stufiges Verlaufsmodell zurück, das in Abbildung 1 zusammengefasst ist. Dabei ist es nicht zwingend, dass
Betroffene jede Stufe konsekutiv durchlaufen
müssen. Am Anfang der „Mobbing-Kaskade“
steht in der Regel ein ungelöster oder unzureichend bearbeiteter Konflikt, aus dem Schuldzuweisungen und persönliche Angriffe gegen eine
bestimmte Person erwachsen. Im weiteren Verlauf gerät der Konflikt in den Hintergrund, während die Person immer häufiger zur Zielscheibe
systematischer Schikanen wird („Opferrolle“).
Das Mobbing-Opfer wird zunehmend ausgegrenzt und isoliert, sein Selbstwertgefühl ist beschädigt. Die Entwicklung eskaliert, die Arbeitsleistung des Opfers sinkt, es treten gehäuft Fehler auf und die Vorgesetzten drohen arbeitsrechtliche Maßnahmen an. Fortgeschrittene
Mobbingfälle enden fast immer mit dem Verlust
des Arbeitsplatzes. Entweder kündigen die Betroffenen selbst, weil sie es nicht mehr aushalten
44 % der gemobbten Personen berichten über
stärkere gesundheitliche Einschränkungen bzw.
manifeste Erkrankungen [1, 3]. Ein Drittel musste therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, bei
jedem sechsten war eine stationäre Behandlung
notwendig. Die Fähigkeit zur Berufsausübung
kann ebenso schwerer beeinträchtigt sein: Regelmäßige feindselige Attacken führen zu Verunsicherung und negativen Gefühlen mit Folgen
auf Arbeitsverhalten und Leistungsfähigkeit (z. B.
Isolation, innere Kündigung). Rückwirkungen
auf das Privatleben sind u. a. familiäre Krisen,
Partnerschafts-/Sexualprobleme und/oder Trennungen. Eine prospektive Kohortenstudie [13]
aus Finnland, die über 5000 Beschäftigte des Gesundheitswesens einschloss, erbrachte positive
Assoziationen zwischen Mobbing und dem Auftreten depressiver und kardiovaskulärer Erkrankungen. Dabei ließen sich sogar Dosis-Wirkungsbeziehungen aufzeigen.
In Betrieben wird durch Mobbing nicht nur die
Unternehmenskultur und die Wettbewerbs­
fähigkeit negativ beeinflusst, sondern manchmal
sogar die Lebensfähigkeit einer Organisation
gefährdet. Betriebswirtschaftlich wurden die
Kosten aufgrund erhöhter Fehlzeiten, Fluktuation, Qualitätseinbußen oder verminderte Produktivität pro Mobbingfall auf bis zu 30 000,- €
geschätzt. Auch die gesellschaftlichen Auswirkungen sind erheblich. Nach volkswirtschaftlichen Berechnungen macht der gesamtwirtschaftliche Schaden allein in Deutschland jährlich ca. 15 Mrd. Euro aus. Dabei schlagen insbesondere Krankschreibungen, Arztbehandlungen,
Psychotherapie, Klinikaufenthalte, vorzeitige
Berentungen und Arbeitslosigkeit sowie verminderte Produktivität bei Opfern und Tätern zu
Buche [1, 3].
Diagnostik
In der ICD 10 werden mobbingassoziierte Beeinträchtigungen unter Z 56.4 (Unstimmigkeiten
mit Vorgesetzten oder Arbeitskollegen) eingeordnet. Mobbing selbst stellt somit keine medizinische Diagnose dar. Ärztliche Aufgabe ist es
daher, zunächst eine sorgfältige Diagnostik
durchzuführen und festzustellen, ob ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vorliegt. Wenn
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Schwerpunkt
Gesundheitliche Folgen von Mobbing
Individuell weist das Beschwerdebild von Mobbing-Betroffenen in der Regel eine Multidimensionalität mit psychischen, somatischen sowie
sozialen Beeinträchtigungen auf. Beklagt werden
meist diverse unspezifische Symptome, wie z. B.
Selbstzweifel, Schuld- und Ohnmachtsgefühle,
Gereiztheit, Konzentrationsdefizite, Leistungsund Denkblockaden, Niedergeschlagenheit,
Kopfschmerzen, Schlaf- und Sexualstörungen,
Magen-Darm- oder Herz-/Kreislaufbeschwerden) und Rückenschmerzen bis hin zu schweren
Beeinträchtigungen der seelischen Gesundheit,
wie z. B. depressiven Störungen bis zur Suizidalität oder der Entwicklung von Suchterkrankungen oder posttraumatische Belastungsstörungen
[1, 3, 9].
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen psychischer Störung und Mobbing-Problematik lassen sich 3 Möglichkeiten unterscheiden [8]:
1. Komorbides Auftreten ohne Zusammenhang
2. Die psychische Störung ist prädisponierender Faktor oder auslösende Bedingung des
Mobbings. Dies ist leicht nachvollziehbar bei
der emotional instabilen, der paranoiden
oder schizoiden Persönlichkeitsstörung oder
bei einer blande verlaufenden Psychose.
Aber auch Patienten mit sozialer Phobie oder
ängstlich-vermeidender Persönlichkeitsstörung können „in die Schusslinie geraten“,
wenn ihr ängstlich-vermeidendes Verhalten
von der Umgebung als unnahbar, arrogant
oder arbeitsscheu interpretiert wird. Auch
Überengagement z. B. bei einer zwanghaften
Persönlichkeitsstruktur oder schlechte Abgrenzungs- und Durchsetzungsfähigkeit bei
Depression können Risikofaktoren sein.
3. Die psychische Störung entsteht oder verschlechtert sich als Reaktion auf das Mobbing. Hier sind v. a. Anpassungsstörungen,
Depression, soziale Phobie und somatoforme
Störungen und chronische Schmerzsyndrome sowie vegetative Stressreaktionen (arterielle Hypertonie) relevant.
klinikarzt 2016; 45 (1): 20–25
Tab. 3
Bei folgenden Diagnosen kommt Mobbing
als (Mit-)Ursache in Betracht.
• Anpassungsstörungen und depressive Störungen
• Angststörungen (v. a. Panikanfälle und arbeitsplatz­
bezogene Ängste)
• Somatoforme und funktionelle Störungen
• Chronische Schmerzerkrankungen
• Schlafstörungen
• Arterielle Hypertonie
• Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zum Myokard­
infarkt
Bei hinreichend begründeten Verdachtsmomenten sollten Betroffene frühzeitig innerbetriebliche (z. B. Betriebsrat, Betriebsarzt, Gleichstellungsbeauftragte, Mobbingbeauftragte) oder außerbetriebliche Informations- und Hilfsangebote
(z. B. von Gewerkschaften, Selbsthilfegruppen) in
Anspruch nehmen. Für die Objektivierung und
Quantifizierung gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Funktionsstörungen ist in der Regel
eine körperliche Untersuchung, ergänzt durch
wichtige Routine-Laborparameter durchzuführen, sofern derartige Informationen nicht anderweitig verfügbar sind.
Die Bandbreite der Problematik, die hinter einer
Mobbing-Symptomatik stehen kann, soll an 3
Fallvignetten verdeutlichet werden (Tab. 4).
Therapie
Mobbing-Betroffene sind in besonderer Weise
auf eine stabile Arzt-Patient-Beziehung angewiesen, da sie sich ja bereits in ihrem beruflichen Umfeld als ausgegrenzt und hilflos erleben und das familiäre Umfeld bei länger bestehender Problematik häufig auch „genervt“ und
wenig empathisch reagiert. Auf jeden Fall ist eine
Therapie der jeweils bestehenden psychischen
Störung auch unabhängig von der Mobbing-Problematik indiziert und den Betroffenen meist gut
zu vermitteln („Stärke gewinnen, um die schwierige Situation am Arbeitsplatz bewältigen zu
können“). Insbesondere das Herausarbeiten von
Eigenanteilen sollte erst nach dem Aufbau einer
tragfähigen Beziehung erfolgen. Hier ist ein ambulantes oder stationäres Gruppensetting sehr
hilfreich, in dem der Betroffene gleichzeitig Solidarität erfahren und eigene problematische Erlebens- und Verhaltensmuster zurückgemeldet
bekommen kann. Mehrere psychosomatische
Abteilungen und Rehabilitationskliniken haben
inzwischen spezielle therapeutische Settings
zur Behandlung arbeits­platzbezogener Probleme und Störungen auf psychodynamischer oder
verhaltenstherapeutischer Grundlage entwickelt
[9, 15, 16]. Gegebenenfalls können auch mit Unterstützung des Klinik-Sozialdienstes berufliche
Heruntergeladen von: Klinikum Nürnberg. Urheberrechtlich geschützt.
dies nicht der Fall ist, besteht auch keine Therapieindikation und der Mobbing-Betroffene sollte
an eine spezielle Beratungsstelle vermittelt werden. In einer somatischen Klinik werden Betroffene eher nicht spontan über ihre Mobbing-Problematik berichten. In der Anamnese sollte aber
bei allen funktionellen Störungsbildern, bei
Herz-Kreislauferkrankungen oder bei chronischen Schmerzen explizit nach Belastungen auch
im beruflichen Bereich gefragt werden, was es
vielen Betroffenen dann ermöglicht, ihr Problem
zur Sprache zu bringen (Tab. 3). Spezielle Fragebögen, wie das Burnout-Mobbing-Inventar [14],
können die klinischen Interviews ergänzen und
für Verlaufsstudien genutzt werden.
23
Schwerpunkt
Tab. 4
3 Fallvignetten der Mobbing-Symptomatik.
Fall 1
Frau W., 57 Jahre, arbeitet seit 25 Jahren bei der gleichen Supermarktkette. Seit 3 Jahren wird
sie von einem neuen Filialleiter schikaniert: Obwohl völlig unbescholten, muss sie nach
Arbeitsschluss ihre Taschen vorzeigen, um zu prüfen, ob sie nichts gestohlen hat. Mehrmals in
der Woche wird sie zum Chef zitiert und erhält Vorhaltungen über ihre schlechten Arbeitsleistungen. Ihre Kolleginnen grüßen sie nicht mehr. Hinter vorgehaltener Hand erfährt sie, dass dies
auf Anweisung des Filialleiters geschehe, sie sei einfach zu teuer und solle durch 400 €-Kräfte
ersetzt werden. Frau W. ist auf das Geld angewiesen und kann daher nicht kündigen. Sie bricht
mit Kreislaufbeschwerden bei der Arbeit zusammen und wird vom Notarzt in die Medizinische
Klinik gebracht. Aufnahmediagnose: Erschöpfungszustand, schwere depressive Episode mit
Suizidgedanken, zwanghafte und dependente Persönlichkeitsanteile. Über den psychosomatischen Konsiliardienst wird eine Rehamaßnahme in einer psychosomatischen Fachklinik
eingeleitet. In der therapeutischen Gemeinschaft dort erlebt sie erstmals seit Jahren wieder,
dass sie im Team „funktioniert“ und Wertschätzung erhält. Dies hilft ihr zu realisieren, dass sie
eigentlich ohne eigenes Verschulden „in die Schusslinie“ geraten ist. Ihre Selbstvorwürfe und
Schuldgefühle gehen zurück und sie kann Strategien entwickeln, wie sie die Situation am
Arbeitsplatz überstehen kann, bis sie in den Vorruhestand gehen kann. Hierzu gehört auch, ihr
bis dahin hohes Engagement am Arbeitsplatz und ihre trotz aller Kränkungen hohe Loyalität zum
Arbeitgeber deutlich zurückzufahren.
Fall 2
Frau S., 51 Jahre, allein lebend, arbeitet als akademische Mitarbeiterin in einem Klinikum. Sie
kommt mit depressiven Symptomen und Schlafstörungen zum Hausarzt und berichtet, sie halte
das Mobbing und den Psychoterror an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr aus. Sie ist mehrere
Wochen arbeitsunfähig. Durch jahrelange Konflikte und gegenseitige Verletzungen scheint die
Situation verfahren, andererseits möchte die Patientin nicht durch eine Kündigung ihre soziale
Sicherheit gefährden. Während einer stationären Rehamaßnahme kann die Patientin die Nähe zu
den Mitpatienten nicht ertragen – es kommt zur psychotischen Dekompensation. Rückblickend
zeigt sich, dass wohl auch in der Vergangenheit schon eine blande verlaufende paranoide
Psychose bestanden hat. Nach der Rückkehr aus der Klinik fand ein klärendes Gespräch mit dem
Betriebsarzt und dem Vorgesetzten statt, das Ausgangspunkt zu einer gelungenen beruflichen
Reintegration war. Die Kollegen erlebten das manchmal „schräge“ Verhalten der Patientin nun
als Symptom und nicht mehr als Kränkung, Frau S. konnte wiederum die Diagnose akzeptieren,
sich auf eine Medikation einlassen und interaktionell schwierige Situationen mithilfe einer
Verhaltenstherapie klären.
Fall 3
Herr W., 45 Jahre, der Sparkassenangestellte wird wegen einer ambulant nicht mehr
beherrschbaren arteriellen Hypertonie stationär aufgenommen. Zusätzlich leidet er an massiven
Ein- und Durchschlafstörungen, die er sowohl mit Benzodiazepinen als auch mit Alkohol zu
behandeln versucht. In der Anamnese berichtet er, dass sein Vorgesetzter ein Verhältnis mit
einer Mitarbeiterin habe, dass beide dadurch ihre Arbeit vernachlässigen würden und er dies vor
6 Monaten angesprochen habe. Seitdem würde er von seinem Vorgesetzten und vom Rest des
Teams der kleinen Filiale gemobbt. Er könne diese Ungerechtigkeit kaum ertragen. Mithilfe des
Sozialdienstes und eines Psychosomatischen Konsils wird der Mobbing-Beauftragte des
Unternehmens eingeschaltet. Als klar ist, dass eine innerbetriebliche Umsetzung erfolgt,
entspannt sich Herr W. und die antihypertensive Medikation zeigt Wirkung.
Alternativen gesucht werden, wenn eine Rückkehr an den alten Arbeitsplatz gesundheitlich
nicht mehr zugemutet werden kann oder wenn
besondere Unterstützung zur Reintegration notwendig ist (z. B. Integrations-Fachdienst).
Bei einer akuten psychischen Dekompensation
kann eine kurzfristige Krankschreibung zur
Entlastung und zur Deeskalation des Konflikts
hilfreich sein. Auf jeden Fall sollte der Patient davon abgehalten werden, von sich aus den Arbeitsplatz zu kündigen, ohne vorher juristischen Beistand eingeholt zu haben. Gerade bei Bossing und
strategischem Mobbing wird in dieser Richtung
erheblicher Druck auf die Beschäftigten ausgeübt
und eine kurzfristige AU-Bescheinigung kann die
Betroffenen hier vor einem Schritt bewahren, der
langfristig negative Folgen haben kann.
Mit zunehmender Dauer der Arbeitsunfähigkeit
findet jedoch eine Entwöhnung vom Arbeitsumfeld statt und die Ängste vor einer Wiederaufnahme der Berufstätigkeit steigen. Letztlich wird
Vermeidungsverhalten verstärkt und die Prognose verschlechtert. Wenn sich eine schnelle
Rückkehr an den Arbeitsplatz nicht realisieren
lässt, sollte mit dem Patienten geklärt werden,
welche Maßnahmen notwendig sind, um eine
berufliche Reintegration zu ermöglichen (z. B.
psychosomatische Rehabilitation). Vielen Patienten ist nicht klar, dass auch die medizinisch gut
begründete Unmöglichkeit, an einen bestimmten Arbeitsplatz zurückzukehren, nicht mit einer
generellen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
gleichzusetzen ist und somit keinen Rentenanspruch begründet.
Bezüglich professioneller Unterstützung lassen
sich inner- und außerbetriebliche Angebote abgrenzen. Von Experten werden innerbetriebliche
Helfer (z. B. Betriebsräte und -ärzte, Gleichstellungsbeauftragte, Mobbingbeauftragte, Personalleiter) aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse
der Organisation, der Sensibilisierung für die
Thematik und des oftmals größeren Engagements präferiert. Hauptansprechpartner im Betrieb sind laut Mobbing-Report Betriebs-/Personalräte (69 %) sowie befreundete Kollegen (62 %).
23 % der Betroffenen wünschten keinerlei innerbetriebliche Unterstützung, weil sie Angst um
ihren Arbeitsplatz hatten oder aus dem Betrieb
keine wirksame Hilfe erwarteten. Der Anschluss
an eine Selbsthilfegruppe wirkt meistens entlastend, da er Selbstzweifel verringert und die eigene Wahrnehmung bestätigt.
Prävention
Die Prävention und Behandlung von Mobbing
kann nicht nur auf individueller Ebene im Gesundheitswesen geleistet werden. Gefordert sind
angesichts der wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Dimension des Problems auch
die Betriebe, Sozialversicherungsträger und
Berufs- und Interessenverbände. Von besonderer
Bedeutung ist die Schulung von Führungskräften, da einerseits ein problematischer Führungsstil Mobbing begünstigen kann, andererseits
Führungskräfte aber durch frühes Erkennen und
Ansprechen von Warnhinweisen auf Mobbing
dieses unterbinden können. Bewährt hat es sich
auch, dass Betriebe neutrale Ansprechpartner
(Personalräte, Betriebsärzte, Gesundheitsbeauftragte, Mobbingbeauftragte) vorhalten, an die
Betroffene sich vertraulich wenden können.
Mobbing-Fälle im Gesundheitswesen und gerade in Kliniken sind häufig. Sie verschlechtern die
Leistungsfähigkeit eines Teams und verschärfen
schlimmstenfalls durch vorzeitiges Ausscheiden
von Mitarbeitern den Fachkräftemangel. Ärztinnen und Ärzten als Vorgesetzten kommt daher
klinikarzt 2016; 45 (1): 20–25
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Literatur
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Korrespondenz
Prof. Dr. med. habil. Volker Köllner
Rehazentrum Seehof der Deutschen
Rentenversicherung
Lichterfelder Allee 55
14513 Teltow/Berlin
Fax: 03328/345-555
E-Mail: [email protected]
Heruntergeladen von: Klinikum Nürnberg. Urheberrechtlich geschützt.
eine besondere Verantwortung zu, in Kliniken
Mobbing-Früherkennung und Prävention zu etablieren.
Autorenerklärung
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt
besteht.
Workplace bullying – Explanatory model, differential diagnosis and resulting health impacts
Bullying includes intended chicanery/hostility (systematics) towards a person (purpose, asymmetry
of power) in certain frequency/continuity (at least once a week for 6 months) with the intention to
ostracize a person from his/her employment. In Europe prevalence varies between 2% and 15%, in
Germany a national report supports with representative data about 3%, here women are more affected than man. The highest prevalence rates are found in services sector and in public health, social services and education. Aetiology places bullying mainly as a multi-factor process with complex
reciprocity between individual and professional/social factors conditioned in many cases by unresolved conflicts or occupational changes. In first place bullying is no medical diagnosis, but health
injuries resulting from bullying makes this phenomenon more and more important for social and
professional medicine.
Key words
Bullying – psychosocial stress – mental health – conflicts at the workplace – work related health
hazards – adjustment disorder
klinikarzt 2016; 45 (1): 20–25
25
10.1055/s-0041-111189
klinikarzt 2016; 45 (1): 20–25
© Georg Thieme Verlag KG ·
Stuttgart · New York
ISSN 0341-2350
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