Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Bachelorstudiengang Sonderpädagogik / Technik BACHELORARBEIT Titel: „Erklärungsmodelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Aggressionen sowie Interventionsmöglichkeiten an einer Förderschule für Emotionale und Soziale Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der subjektiven Sichtweise der Schülerinnen und Schüler.“ vorgelegt von: Martina van den Hooven Betreuende Gutachterin/Betreuender Gutachter: Dr. Uwe Tänzer Zweite Gutachterin/zweiter Gutachter: Prof. Dr. Gisela C. Schultze Oldenburg, 30.06.2008 0 Inhaltsverzeichnis 1.Enleitung 5 2. Definition von Aggression 7 - Fazit 9 10 3. Formen der Aggression - Instrumentelle Aggression 11 - Vergeltungsaggression 11 - Abwehr Aggression 12 - Erlangungsaggression 12 - Lust Aggression 13 - direkte und indirekte Aggression 14 - Fazit 15 16 4. Aggressionstheorien - Sigmund Freud 16 - Konrad Lorenz 17 - Frustrations-Aggressions- Hypothese 17 - Fazit 18 20 5. Biologische Faktoren - Chromosomale Anomalien 20 - Gehirn und Hirnschäden 22 - Fazit 25 6. Entstehung von Aggressionen - Umwelteinflüsse 25 - Sozialisation der Aggression 26 - Alterstypische Unterschiede 27 - Geschlechtstypische Unterschiede 29 - Individuelle Hemmungen 30 1 - Anregende und enthemmende Hemmungen 31 - Entwicklungsverlauf und Entwicklungsfaktoren 32 - Kriminelle Gewalt 33 - Politische Gewalt 34 - Gewalt in den Medien 35 - Aggressive Modelle in der Familie 36 - Modelle in Bezugsgruppen (Peers) und Gesellschaft 38 - Fazit 38 40 7. Umgang mit Aggressionen - Katharsishypothese 40 - Verminderung von Frustration 42 - „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“ 44 - Lernen 45 - Lernen am Modell 46 - Lernen am Effekt 47 - Klassisches Konditionieren 47 - Operantes Konditionieren 49 - Fazit 51 52 8. Diagnostikmöglichkeiten - Grundgedanke zur Diagnostik aggressiven Verhaltens 54 - Verfahren zur Erfassung aggressiven Verhaltens 54 - Handlungsempfehlungen aus Subjektiver Expertensicht (HasE) 55 - Die Methode von HasE 56 - Erste Evaluationserkenntnisse 58 - Mögliche Grenzen von HasE 59 - Fallbeispiel der Anwendung der HasE- Diagnostik an einer Schule für emotionale und soziale Entwicklung 59 - Durchführung des HasE 60 - Fazit 62 2 9. Intervention 64 - Fazit 66 10. Gesamtfazit 67 11. Schlusswort 70 12. Quellenverzeichnis 71 3 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Unterschiedliche Aggressionstypen und Prozesse des Verhaltens; Eine Zusammensetzung zweier Abbildungen Noltings in: Lernfall Aggressionen – Wie sie Entsteht – wie sie zu Vermeiden ist, Seite 126 und 132, Rowohlt Verlag 2005. Abbildung 2: Alterstypische Entwicklung aggressiven Verhaltens In: Nolting - Lernfall Aggressionen- Wie sie Entsteht – wie sie zu Vermeiden ist, Seite 148, Rowohlt Verlag 2005 Abbildung 3: Situative und interpersonale Aspekte für das Auftreten aggressiven Verhaltens in: Nolting – Lernfall Aggressionen – Wie sie Entsteht – wie sie zu Vermeiden ist, Seite 167, Rowohlt Verlag 2005 Abbildung 4: Operantes Konditionieren (in Anlehnung an Skinner) In: Mazur, J.E. Lernen und Gedächtnis, Kapitel 4, Pearson Studium, München 2004 4 1. Einleitung Ich bin seit zwei Jahren mit einem freiwilligen Praktikum an einer Schule für Emotionale- und Soziale Entwicklung tätig. Während des Unterrichts, aber auch in den Pausen fiel mir auf, dass die Mittelstufen Schüler sehr unterschiedlich auf ähnliche Situationen reagieren. Mir ist bewusst, dass jeder Mensch ein einzigartiges Individuum ist und daher auch unterschiedlich reagiert. Aber gibt es einen Grund, warum manche Menschen aggressiver sind bzw. aggressiver reagieren als andere? Und wenn ja, warum ist das so und wie kann damit umgegangen werden? Wieso greifen manche Menschen sofort tätlich an und wissen sich nicht anders zu helfen, wohingegen andere Menschen einen anderen Weg suchen um ihren Ärger raus zulassen? Im Professionalisierungsbereich Psychologie habe ich erfahren, dass es verschiedene Formen der Aggression gibt. Ich möchte mich in der Bachelorarbeit mit den Fragen beschäftigen was Aggression ist, wie sie entsteht und wie mit Aggressionen umgegangen werden kann. Ich hoffe Erklärungen und Lösungen zu finden, die ich in der Schule anwenden kann. Deshalb möchte ich auch die HasE- Diagnostik bei den Schülern anwenden. Damit erhoffe ich mir weitere Antworten auf meine Frage, wie mit Aggressionen umgegangen werden kann. Das Wort Aggression ist ein weitgefasster Begriff, darauf werde ich im Laufe der Bachelorarbeit noch weiter eingehen. Bei den Tieren dient die Aggression dem Selbstschutz, der Verteidigung der Nahrung, des Territoriums oder der Jungen. Bei Menschen sind durch aus auch andere Motive im Spiel. Nicht nur die Überlebensabsicht spielt in der Aggression eine Rolle, es wird auch von weiteren Aggressionsformen wie z.B. die Vergeltungs- Erlangungs- oder Lust-Aggressionen geschrieben (3. Kapitel). Nach Benner (1997, S.60) besteht die Ansicht, dass Aggressionen von allgemeiner Frustration (4.Kapitel), von einem Mangel an Zuneigung und/oder dem Verhalten der Eltern herrührt. Gleichwohl benötigen aggressive Ausbrüche in aller Regel jedoch konkrete Anlässe. Sie beginnen im Allgemeinen nicht ohne Grund, sondern sind Überreaktionen auf Vorfälle 5 und Probleme. Deshalb sollte auch die biologisch- organische Seite der Entstehung von Aggression bedacht werden. Aggressives Verhalten kann außerdem durch eine Hirnschädigung, Kopfverletzungen oder durch Tumore ausgelöst werden. Darauf werde ich im 5. Kapitel näher eingehen. Hat die Umwelt und die Sozialisation Einfluss auf die menschliche Aggressivität? Sind Mädchen genauso Aggressiv wie die Jungen und wie sieht es mit den Familien aus? Dies sind weitere Punkte, die ich im 6. Kapitel näher beleuchte. Nachdem es bereits so viel Fragen zur Entstehung von Aggressionen in den vorangegangenen Kapiteln gibt, möchte ich mich im 7. Kapitel mit dem Umgang von Aggressionen befassen. Die Hauptfrage wird sein, ob es überhaupt Wege aus der Aggression gibt. Anschließend werde ich die Diagnostikmöglichkeiten erläutern. Dabei lege ich den Schwerpunkt auf die Handlungsempfehlungen aus subjektiver Expertensicht (HasE). Dies ist eine noch sehr junge Diagnostik die noch nicht etabliert ist. Schließen möchte ich dann mit einem Gesamtfazit zur Arbeit. 6 2. Definition von Aggressionen Gibt es eine einheitliche Definition von „ Aggressionen“? Unter dem Wort „Aggressionen“ können sich wohl viele Menschen etwas vorstellen und haben ihre eigenen Erklärungsansätze dafür. Auch die Wissenschaft stellt sich seit langem die Frage nach der Aggression. Wie uneinheitlich die Sichtweise auf „Aggressionen“ ist, wird sich im Weiteren zeigen. Dollard („Dollard, Doob, Miller Mowrer, Sears, 1970, 8 f“) hat bereits 1939 versucht Aggressionen damit zu Definieren, dass es immer eine Folge von Frustration ist. „Das Auftreten von aggressivem Verhalten setzt immer die Existenz einer Frustration voraus, und umgekehrt führt die Existenz einer Frustration immer zu irgendeiner Form von Aggression“ so Dollard et al.. Dollard entwickelte die „Frustrations-Aggressions-Hypothese“, dazu später mehr. Krech, Crutchfiled, Levison, Willson und Parducci („2006, Kapitel 4, 23”) sind der Meinung, dass „Nach der ersten verhaltensbezogenen Definition [ist] Aggressionen jedes Verhalten, das anderen schadet. Nach der zweiten Definition, die von der Absicht ausgeht, ist Aggression jede Handlung, die der Absicht dient, anderen zu schaden.“ Dieser Meinung ist auch Hillenbrand (2006, 175), denn er versteht unter Aggressionen ein Verhalten „ das Personen oder Gegenständen Schaden zufügt oder eine solche Schädigung intendiert“. Nach Myschker (2005, 382) sind „Aggressionen destruktive Verhaltensweisen, die mit den Grundemotionen Ärger, Wut, Hass, Zorn oder einer entsprechenden Gestimmtheit zusammenhängen“. 7 „Aggression ist zerstörendes, zumindest aber störendes Verhalten. Aggressivität bedeutet Aggressionsbereitschaft. Und von einem Aggressionspotential sprechen wir, wenn jederzeit die Möglichkeit gegeben ist, aggressiv zu handeln“ (Urte Finger-Trescher/ Hans-Georg Trescher, 1995, 12). Auch Selg zitiert in seinem Buch „Menschliche Aggressivität“ (1974) einige Autoren die Aggressionen zu definieren versuchen. Er zitiert u.a. Merz, der bereits 1965 schrieb, dass er Aggressionen hinreichend umschreiben könne. „Sie umfasst jene Verhaltensweisen, mit denen die direkte oder indirekte Schädigung eines Individuums, meist eines Artgenossen intendiert wird“. Dieser Meinung ist auch Buss. Er definiert Aggressionen als ein Verhalten „das einem anderen Organismus Schaden zufügt“. Viele Wissenschaftler scheinen diesen Standpunkt zu vertreten. Doch stellen Bandura (1979, 16) und Nolting (2005, 13 f) fest, dass Aggressionen im Grunde nicht definiert werden können, da jeder eine andere Vorstellung von Aggressionen habe. Einige Autoren und Wissenschaftler definieren Aggressionen ausschließlich in Form von Verhaltensattributen, während andere, Annahmen über die Auslöser, über die emotionalen Begleiterscheinungen oder über die Absicht bei potenziell schädigenden Verhaltensweisen einbeziehen“ (ebd.). In den meisten jüngeren Theorien und auch in den o.g. Definitionen lässt sich erkennen, dass viele Autoren und Wissenschaftler die Absicht zu schädigen als einen wesentlichen Aspekt der Aggressionen übernommen haben. Nach Nolting ebd. kann auch die Wissenschaft nicht klar sagen, was Aggressionen sind. Sie kann nur erklären „welche Sachverhalte unter diesem Wort zusammengefasst werden sollten, um sie von anderen Sachverhalten sinnvoll abzugrenzen und klare Verständigung zu erleichtern“. 8 Fazit Meine obige Frage, ob es eine einheitliche Definition von Aggression gibt, kann hiermit verneint werden, es gibt sie nicht. Es wird im Allgemeinen nur darauf hingewiesen, dass Aggressionen immer etwas mit der Schädigung einer anderen Person zu tun hat. Im 3. Kapitel werde ich den verschiedenen Aggressionsformen nachgehen. 9 3. Formen der Aggressionen Wie sehen die verschiedenen Formen der Aggressionen aus? Dem aggressiven Verhalten können verschiedene Intentionen zugrunde liegen, je nachdem welche Absicht unterstellt wird. Wird jemand Beschimpft oder ausgeraubt, sieht jemand bei einer aggressiven Handlung zu? Was steckt hinter solchen Handlungen? Nolting (2005, 124) stellt in diesem Zusammenhang folgende Fragen: • Welche Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse bestimmen das aggressive Verhalten? Welche Besonderheiten der Situation spielen dabei eine Rolle? • Welche Dispositionen sind typisch für diese Person? • Welche Entwicklungsbedingungen können dazu geführt haben? und • in welcher Weise ist das Verhalten ein Ergebnis der Interaktion, der Kommunikation und der Beziehung zwischen den beteiligten Personen? Aggressives Verhalten muss keineswegs immer auf aggressiven Gefühlen beruhen (Nolting 2005, 124). Die Aggressionspsychologen unterscheiden zwei Grundtypen: Als erstes wird die affektive Aggressionsform genannt, die durch aggressive Emotionen wie Ärger, Groll, Rachebedürfnis bestimmt wird und somit direkt das „Wehtun“ bezweckt. Es haben sich auch Begriffe wie „feindselige“, „emotionale“ oder „Ärger“- Aggression eingebürgert. Die affektive oder auch feindliche Aggression hat immer das Ziel einen anderen zu Schädigen. Als zweites nennen die Aggressionspsychologen die instrumentelle Aggressionsform. 10 Instrumentelle Aggression Die instrumentelle Aggression wird von der „feindseligen“ Aggression unterschieden. Da schädliche und destruktive Verhaltensweisen weitgehend aggressiven Triebkräften zugeschrieben werden, wird die instrumentelle Aggression nur beiläufig beachtet. Sie lassen sich auch nur darin unterscheiden, dass die instrumentelle Aggression nicht die Schädigung eines Menschen beabsichtigt, es aber auch nicht ablehnt, wenn die Person dadurch ihr Ziel erreicht. Feshbach (vgl. Selg 1974) beschreibt die instrumentelle Aggression so: „Die instrumentelle Aggression will ein Ziel erreichen, wobei Schädigung nicht angestrebt, aber auch nicht unbedingt vermieden werden, sie ist oft eine ultima ratio.“ Buss nahm 1961 eine ähnliche Unterteilung vor, indem er Wütende von instrumenteller Aggression trennte. Ersteres geschieht aus dem Affekt heraus, das Zweite aus dem Kalkül. Wann immer ein Bedürfnis geweckt ist, aber kein alternativer Weg zum Ziel gesehen wird, rückt eine instrumentelle Aggression in den Bereich des Möglichen. Vergeltungsaggression Die Vergeltungsaggression ist eine emotional-reaktive Aggression, auch ÄrgerAggression genannt. Hiermit ist nicht das ärgerliche Verhalten gemeint, das eine Unmutsäußerung darstellt, sondern eine „echte“ Aggression. Bei einer typischen Unmutsäußerung setzt sich die emotionale Erregung unmittelbar in heftiges Verhalten um. Ein Beispiel: Person A tritt versehentlich im Bus auf den Fuß von Person B., Person B ruft „Ey, kannst du nicht aufpassen?!“. Person A hatte nicht die Absicht jemanden zu verletzen oder Schmerz zuzufügen. Person B zeigt eine Unmutsäußerung. Zweites Beispiel: Person A bekommt eine Tür nicht auf. Er versucht es schon eine Weile und fängt dann an diese Tür zu beschimpfen. Solche Ausbrüche wie Beispiel 1 und 2 sind impulsiv und unkontrolliert und manchmal bedauert es der betreffende Mensch hinterher. Daraus wird ersichtlich, dass keine Schädigungsabsicht vorliegt (vgl. Nolting 2005). 11 Die Vergeltungsform ist nun eine zielgerichtete Antwort auf Provokationen, oder unfaires Verhalten. Die Emotion wird in diesem Fall von Groll, Hass oder Feindseligkeit bestimmt und wird zu einem eindeutig aggressiven Gefühl. Die Vergeltung ist eine Bestrafungsaktion, mit der man wirklich wehtun möchte, daraus ergibt sich dann die emotionale Befriedigung wie z.B. „Rache ist Süß“ oder „Schadenfreude“. Abwehr- Aggression Aggression zum Zwecke der Abwehr mag der Vergeltung auf den ersten Blick sehr ähnlich erscheinen. Beide sind Reaktionen auf aversive Erfahrungen, und können durchaus gemeinsam auftreten, sind jedoch nicht dasselbe. Die Abwehr- Aggression möchte nur etwas Unangenehmes abwenden. Sie dient dem eigenen Schutz. Ein Kind möchte seine Hausaufgaben nicht machen und reagiert aggressiv, indem es z.B. den Eltern die Schulhefte vor die Füße wirft. Kinder lernen schon früh, dass sie sich mit aggressiven oder voraggressivenoppositionellem Verhalten (voraggressiv= nicht oder kaum personenbezogen) nicht nur Angriffe, sondern auch Störungen oder lästige Anforderungen vom Leibe halten können. Dies ist primär eine instrumentelle Aggression, da das aggressive Verhalten als Mittel zum Zweck dient. Dabei spielen auch Emotionen eine wichtige Rolle. Wird die als Bedrohung oder Belästigung empfundene Situation beendet, endet auch die Abwehr- Aggression (vgl. Nolting 2005). Erlangungsaggression Während die Abwehr- Aggression und die Vergeltungs- Aggression auf ein Ereignis reagieren, beruht die Erlangungs- Aggression auf einer aktiven Gesinnung. Eine Person versucht über jeden Widerstand hinweg, etwas zu bekommen. Der Nutzeffekt besteht aus der Erlangung von Vorteilen. Z.B. ein Schüler schubst einen anderen beiseite, um einen besseren Platz im Bus zu bekommen. Die Erlangungs- Aggression ist wie die Abwehr- oder Vergeltungsaggression, instrumentell. Das heißt, sie dient als Mittel zum Zweck. Denn in der Erlangungs- Aggression geht es nicht nur um persönliche Vorteile, sondern auch 12 um Durchsetzung von „höheren Werten“ und um moralische Normen und politische Ziele. Erfolge bei der Erreichung der angestrebten Ziele stabilisieren gewöhnlich die Neigung, erneut aggressive Mittel einzusetzen. Soziale Vorteile, wie Beachtung und Anerkennung, können ebenfalls zur Erlangungs- Aggression führen. Auch hier ist es ein Instrument zur Befriedigung eines an sich unaggressiven Bedürfnisses. Die Erlangungs- Aggression wird nicht primär von Emotionen bestimmt. Im manchen Fällen wird sie ausgesprochen kühl und kalkuliert ausgeführt (vgl. Nolting 2005). Lust- Aggression Die meisten Aggressionshandlungen lassen sich in die verschiedenen Aggressionskategorien wie Erlangungs-, Abwehr-, oder Vergeltungsaggression einordnen. Die Lust- Aggression kommt ohne negativen Anlass oder Nutzeffekte aus. Die Personen, welche die Lust- Aggression ausüben, schikanieren Mitmenschen, suchen jede Gelegenheit um zu kämpfen oder suchen sich vermeintlich schwächere Menschen für grausame Quälereien. Diese Erscheinungen sind bisher wenig erforscht und es gibt auch keine gemeinsame Bezeichnung, daher entwickelte Nolting (2005) die Bezeichnung „Lust- Aggression“. Das Spektrum solcher Handlungen reicht von Sticheleien bis zu sadistischen Quälereien, und zwar unprovoziert. Sicherlich sind irgendwelche Anlässe vorausgegangen, aber die sind vom Provokant selbst „provoziert“ worden, z.B. durch die bloße Anwesenheit einer anderen Person. Die Opfer der reinen Lust- Aggression sind im Allgemeinen schwach und wehrlos. Daher werden oft Kinder, Frauen, Gefangene, Obdachlose, schwächere Mitschüler oder auch Tiere gequält. Die schwäche des Opfers erleichtert anscheinend das Erlebnis der vollkommenden Beherrschung (vgl. Nolting 2005). 13 Direkte und indirekte Aggression Die Wörter „direkt“ und „indirekt“ beschreiben diese Aggressionsform sehr genau. Nach Selg (1974) ist eine direkte Aggression unmittelbar gegen das Opfer gerichtet, bei einer indirekten Aggression ist entweder das Opfer nicht anwesend und man verbreitet eine üble Nachrede über ihn, oder aber man richtet die Aggression nicht gegen das Opfer selbst, sondern gegen Ersatzobjekte, gegen Surrogate (ersetzen, anstelle des Opfers) oder gegen Teile aus seinem „Hof“, auch die Arbeit des Opfers kann abfällig bewertet werden oder gar sein Haus angezündet. • Vergeltungs – Aggression Provokation Ärger, Groll emotionale, feindselige Genugtuung Aggression ……………………………………………………………………………………………………………. • Abwehr – Aggression Bedrohung, instrumentell, Angst, Ärger Erleichterung emotional …………………………………………………………………………………………………………… • Erlangungs – Aggression Durchsetzung, instrumentell Vorteile, Befriedung über Vorteile, …………………………………………………………………………………………………………… • Lust- Aggression Aggressionslust emotional Spaß, Machtgefühl, Stimulierung Abb.1: Unterschiedliche Aggressionstypen und Prozesse des Verhaltens (in Anlehnung an Nolting 2005 S.126 u. 132) 14 Fazit Auf die eingangs gestellte Frage, wie die verschiedenen Formen der Aggression aussehen, konnte m.E. mit sechs verschiedenen Formen erklärt werden. Es gibt sie in reiner Form, in Überschneidungen und in Kombinationsform. Um eine Diagnose der Aggressionsform zu stellen, reicht es jedoch nicht aus, nur aus der sichtbaren Handlung zu schließen, es muss aus dem gesamten Kontext der Person erschlossen werden. Im 4. Kapitel werde ich näher auf die Theorien von Freud, Lorenz und Dollard eingehen. 15 4. Aggressionstheorien Erklären die Theorien die Aggressionen? Siegmund Freud Im Jahre 1905 schockierte Sigmund Freund die wissenschaftliche Welt mit der Vorlage einer psychologischen Theorie. Freud postulierte, dass das menschliche Denken und Handeln immer auf Grundlage der Sexualität bestimmt werde und das „die treibende Kraft des menschlichen Verhaltens unabhängig vom Alter, vom kleinsten Neugeborenen bis zum ältesten Senior“ eine Kanalisierung der Sexualität wäre (vgl. Buss 2004). 1915 ließ Freud in seiner Abhandlung „Triebe und Triebschicksale“ die biologische Orientierung seiner Triebtheorie erkennen. Ein Trieb ist eine aus dem Organismus stammende, also biologisch vorgegebene, konstante Kraft, die ein bestimmtes Ziel verfolgt, nämlich Befriedigung zu finden. Diese trieb- psychologische Auffassung des Menschen ist im Hinblick auf die Sexualität nachvollziehbar, aber aus der Sicht der Aggression schwerer zu verstehen (vgl. FingerTrescher, Trescher 1995). Freud versuchte seine Triebtheorie über ein Triebmodell zu erläutern, in dem er die Psyche des Menschen in drei Bereiche „Es“, „Ich“ und „Über-Ich“ aufteilte. Das Es ist der älteste Bereich, der das Ererbte und die gesamte Trieborganisation enthält. Der Es Bereich ist dem Bereich des Unterbewussten zuzuordnen. Von ihm gehen Wünsche, Begierden und Triebansprüche aus. Im Es herrschen Abläufe nach eigenen Gesetzen, die als Primärvorgänge bezeichnet werden (vgl. Myschker 2005). Freud versuchte diese Triebe auf zwei Grundtriebe zu beschränken. Eros, der Liebestrieb, auch Libido genannt, zielt auf die Herstellung von Einheiten, auf Erhaltung und Bindung ab. Der zweite Grundtrieb ist der Thanatos, der Todestrieb, er zielt auf Auflösung und Zerstörung ab. Nach Freud ist essen ein Todestrieb, aber auch Selbst- Erhaltung, genauso wie die körperliche Liebe Herstellung von Einheit und Erhaltung, aber auch Aggression ist (ebd.). Für Trescher und Finger- Trescher (1995) ist diese triebpsychologische Auffassung von Aggression aus heutiger Sicht weniger akzeptabel, 16 wenn Freud Aggression mit dem Ich und der Selbsterhaltung in Zusammenhang bringt. In der Freud`schen Lehre ist die Annahme eines Todestriebes von jeher ein besonders strittiger Punkt gewesen. Sie erscheint nach Nolting (2005) biologisch unverständlich und sehr spekulativ. Daher hat dieser Ansatz heute nur noch eine historische Bedeutung. Konrad Lorenz Der Tierverhaltensforscher Lorenz entwickelte eine Trieblehre, die nach ihrer Veröffentlichung 1963 in Deutschland rasch Verbreitung fand. Die Aggressionsenergie bildet sich nach Lorenz (vgl. Selg 1974) ständig neu. Für Lorenz schließt Aggression ein Triebsystem ein, das eine eigene Quelle aggressiver Energie unabhängig von externer Stimulation erzeugt. Dieser Drang zu kämpfen baut sich allmählich auf, bis er durch einen geeigneten Auslösereiz entladen wird (vgl. Bandura 1979). Beim Menschen ist, gegenüber den Tieren, der Aggressionstrieb besonders verhängnisvoll, denn dem Menschen würden nach Lorenz angeborene Hemmungen fehlen, ihre Mitmenschen ernsthaft zu verletzten und zu töten. Dies geriet später genauso wie Freud`s Trieblehre in die Kritik. „Die neuzeitliche Zivilisation erlaube ihm nicht genug sinnvolle Entladungen (…) (ebd.). Frustrations- Aggressions-Hypothese nach Dollard 1939 veröffentlichte Dollard erstmalig seine Frustrations-AggressionsHypothese. Dollard geht davon aus, dass das Auftreten von aggressivem Verhalten immer die Existenz einer Frustration vorrausetzt, und umgekehrt das die Existenz einer Frustration immer zu irgendeiner Form von Aggression führt. Die Theorie von Dollard besagt in ihrer strengsten Form: 1. Aggression ist immer eine Folge von Frustration, 2. Frustration führt immer zu einer Form von Aggression (vgl. Selg 1974). 17 Die Frustrations- Aggressions- Hypothese legt dabei fest, dass als Frustration die Störung einer bestehenden, zielgerichteten Aktivität ist, wobei die Aggression jede Verhaltenssequenz ist, die auf die Verletzung einer Person oder eines Ersatzobjektes abzielt. Das auf Frustration oftmals Aggressionen folgen, ist nicht zu verleugnen. Eine Frustration führt beim Betroffenen zu messbarer Erregung, welches nachfolgendes Verhalten intensiviert. Ob diese Erregung als Wut, Ärger oder als ein anderes Gefühl erlebt wird, ist bei jedem Individuum unterschiedlich. Solange die Erwachsenen den Kindern vorwiegend wütende Reaktionen vorleben, wird der Ärger- Wut –Affekt die häufigste Reaktion bleiben (vgl. Selg 1974). In der ursprünglichen Form, in der die Hypothese vorgelegt wurde, nahm man an, dass Frustration immer Aggressionen hervorruft. Später wurde diese Hypothese modifiziert. Wann immer eine aggressive Verhaltensweise auftrat, wurde angenommen, dass jeweils eine Frustration als auslösende Bedingung vorausgegangen war. Jahrelang wurde Aggression generell im Sinne der Frustration- AggressionsHypothese erklärt (ebd.). Fazit Erklären die Theorien die Aggression? Die am Anfang des Kapitels gestellte Frage muss m.E. verneint werden. Nach Selg (1974) erklären die Trieblehren menschliches Verhalten gar nicht, sondern benennen es nur mit unzähligen Begriffen. Diese Lehren werden in vielen Bereichen vertreten. Zum Beispiel wird eine Schlägerei beobachtet und ein Aggressionstrieb daraus geschlossen ohne jegliches Hintergrundwissen und/oder Interesse, warum die Schlägerei zustande kam. Zeigt ein Mensch ein ängstliches Verhalten, wird daraus ein Fluchttrieb und selbst wenn Kinder einfach nur spielen, wird daraus ein Spieltrieb. Wie umfangreich müssten dann die Trieblisten sein um menschliches Verhalten zu erklären?! 18 Nach Selg wurde die Triebtheorie von Lorenz nur deshalb populär, weil alle, die im 2. Weltkrieg keine „saubere Weste“ mehr hatten, die Theorie als Ausrede verwendeten. „Wenn wir alle einen Aggressionstrieb haben und dieser ausgelebt werden muss, kann ich nicht viel dafür, dass…..“ (vgl. Selg 1974). Lorenz hat Phänomene, die nicht in sein Konzept passen, einfach nicht verarbeitet. Er nahm bedeutende empirische Untersuchungen aus der Aggressionsforschung nicht zur Kenntnis. Er zitierte Goethe, Schiller und die Bibel, aber keine Forscher wie Bandura, Berkowitz oder Buss (ebd.) Aber nicht nur an den Theorien von Freud und Lorenz hat die Wissenschaft Kritik geübt, auch an Dollard´s Hypothese ging die Kritik nicht spurlos vorbei. Die Kritik an der Frustrations- Aggressions- Hypothese konzentrierte sich zuerst auf die Art der Reaktionen auf Frustrationen. Wissenschaftler wie Bateson (1941) machten darauf aufmerksam, dass aggressives Verhalten nicht in allen Kulturen ein typisches Zeichen für Frustration ist. Wiederum andere argumentierten, dass nicht alle Frustrationsarten aggressives Verhalten hervorrufen. So erwähnen Maslow (1941), Rosenzweig (1944) aber auch Buss (1961), dass eine persönliche Beleidigung und Bedrohung viel wahrscheinlicher ein aggressives Verhalten auslösen, als die Störung eines ablaufenden Verhaltens (vgl. Bandura 1979). Die weitverbreitete Zustimmung zur Frustrations- Aggressions-Hypothese muss wohl mehr ihrer Einfachheit als ihrer Aussagekraft für Vorhersagen zugeschrieben werden. In empirischen Nachprüfungen in Laboratoriumsuntersuchungen hielt die Frustrations- Aggressions- Hypothese nicht stand (ebd.). Im nächsten Kapitel werde ich mich näher mit den biologischen Faktoren, die zur Aggression führen könnten, beschäftigen. 19 5. Biologische Faktoren Können biologische Faktoren Schuld am aggressiven Verhalten sein? Der Mensch ist Natur- und Kulturwesen zugleich. Sein vielfältiges und anpassungsfähiges Verhalten ist einerseits von Lernvorgängen, Einsicht und Willen bestimmt, andererseits aber auch durch ererbte Anlagen. Gerade der Umgang der Menschen untereinander wird durch erbliche Antriebe und Reaktionen mitbestimmt (Linder 1992, 273 ff). Die von der Verhaltensforschung an Tieren gewonnenen Ergebnisse sind aber nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragbar und die dazu entwickelten Methoden aus ethischen Gründen in der Regel nicht anzuwenden. Das Aggressionsverhalten bei Menschen ist dem der Tiere aber sehr ähnlich. Auch Menschen zeigen in bestimmten Situationen ein Aggressionsverhalten wie bei Tieren, z.B. wollen sie ihren Nachwuchs schützen, die Rangordnung festigen oder ändern, ihr Eigentum schützen, Verhaltensregeln innerhalb der Familie durchsetzen usw. Das universale Auftreten des Aggressionsverhaltens beim Menschen legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine stammesgeschichtliche Anpassung handelt (ebd.). Chromosomale Anomalien Züchtungen bei verschiedenen Tieren, besonders bei der Ratte, haben eine Hypothese erhärtet, dass Erbanlagen Einfluss auf aggressives Verhalten nehmen. Für den Menschen liegen allerdings keine gesicherten Erkenntnisse vor (vgl. Selg 1974). Bei einigen männlichen Straftätern ist jedoch ein zusätzliches Y-Chromosomen gefunden worden. In der Annahme, dass das Chromosom, das das männliche Geschlecht bestimmt, mit Aggressivität verbunden ist, untersuchen Forscher, ob eine genetische Abweichung, die ein zusätzliches Chromosom einschließt, die Neigung zu gewalttätigem Verhalten erhöht (vgl. Bandura 1979). Nach Bandura zeigen statistische Untersuchungen bei neugeborenen Kindern, dass ungefähr eines von 500 männlichen Kindern ein zusätzliches YChromosom (XYY), normal ist der Chromosomensatz XY, besitzt. 20 Dieses XYY – oder auch „Supermann“- Syndrom wurde in der neueren Zeit mit erhöhter Aggressivität und Kriminalität in Verbindung gebracht. Nach der Schilderung von Jacobs, Brunton und Melville 1965 (vgl. Krech u.a. 2006), trete diese Anomalie 15- 20-mal häufiger bei Verbrechern auf als bei der normalen Population. Wobei die Männer mit dem XYY- Chromosom eine geistige Retardierung, eine überdurchschnittliche Körpergröße und zu gelegentlichen Ausbrüchen extremer Gewalttätigkeit neigen sollen (ebd.). Nach Krech u.a. (2006) ist zu bedenken, dass die meisten Gewaltverbrechen von Männern mit der normalen XY- Chromosomverbindung begangen werden, wobei die Männer mit einer XYY Kombination keine Gewalttaten verüben sondern wegen Delikten wie Diebstahl oder Raub inhaftiert sind. Es ist deshalb noch sehr umstritten, wie viel Einfluss das zusätzliche Y-Chromosom auf die Aggressivität des einzelnen haben könnte. Die amerikanische Psychologin Terrie Moffitt ist dem Phänomen, das Aggressivität vererbt wird, nachgegangen und veröffentlichte 2002 eine Studie, in der sie herausfand, dass die Chromosomen bei Männern sehr wohl Einfluss auf das Verhalten haben können (vgl. Haegele 2003). Moffitt hat 442 männliche Neuseeländer der Jahrgänge 1972/73 über 26 Jahre hinweg in ihrer Entwicklung beobachtet. Von ihnen waren 154 als Kinder misshandelt worden. Daraufhin bestätigte sich Moffitts Verdacht, dass überdurchschnittlich viele von den 154 Männern zu Gewaltdelikten neigten. Daraus entwickelte sie die Frage, was die anderen Männer der 154er Gruppe dazu bewog, aus diesem Teufelskreis auszubrechen (ebd.). Ihr erster Verdacht zielt auf einen Stoff im Gehirn der „Friedlichen“. Sie fand heraus, dass die Gruppe der verträglichen Testpersonen eine höhere Konzentration des Enzyms Monoaminoxidase A (MAOA) besaß. Dieses MAOA hilft dem Gehirn Nervenbotenstoffe wie Serotonin und Dopamin ins richtige Verhältnis zu bringen, um Stress und traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Die Mehrheit aller Menschen verfügt über eine hohe MAOA- Konzentration im Gehirn. Den Männern aber, die von ihren Vätern einen Hang zur Gewalttätigkeit geerbt zu haben schienen, mangelte es an MAOA, und zwar infolge eines Defekts. Eine Veränderung auf ihrem X- Chromosom hemmte die Produktion des Enzyms im Gehirn, welches wiederum die Effizienz der Neurotransmitter- Regulation be21 einträchtigt. Die Psychologin geht davon aus, dass diese Männer ihre Erfahrungen mit Gewalt nicht richtig verarbeiten und deshalb selbst gewalttätig werden. Dieses kann aber nicht auf alle Männer mit niedrigem MAOA im Gehirn bezogen werden, denn ein Drittel von ihnen ist friedlich. Aufschlussreich fand Moffitt die Entdeckung, dass auf dem X-Chromosom bei Männern ein genetischer Schreibfehler auftritt. Frauen besitzen das X-Chromosom zweimal, Männer nur einmal. Fehlfunktionen des MAOA- Gens auf nur einem X-Chromosom kann der weibliche Organismus korrigieren, wenn das zweite X-Chromosom tadellos arbeitet. Das männliche X-Chromosom kann dieses jedoch nicht. So ließe sich erklären warum Frauen seltener gewalttätig sind als Männer. Während das MAOA- Niveau im Gehirn zeitlebens gleich bleibt, schwanken die Konzentrationen der Nervenbotenstoffe, zum Beispiel die des Serotonin und beeinflussen dabei Stimmung und Verhalten des Betroffenen (vgl. Haegele 2003). Genetische Faktoren können somit weiterhin in gewissem Maße die größere körperliche Aggressivität von männlichen Personen im Vergleich zu weiblichen Personen erklären. Alle Verhaltensweisen und inneren psychischen Prozesse haben eine körperliche Entstehung im Gehirn, es kann der Aggression aber kein fester Platz im Gehirn zugeordnet werden (vgl. Nolting 2005). Gehirn und Hirnschäden Auch wenn der Aggression kein fester Platz im Gehirn zugeordnet werden kann, so sind der Hypothalamus und das limbische System wichtige Schaltstellen. Einige Strukturen des limbischen Systems, v.a. der Hypothalamus, die Amygdala, die Hypophyse und der Hippocampus sind an der Kontrolle des emotionalen Erlebens und Verhaltens beteiligt (vgl. Karnath und Thier 2006). Funktionsstörungen dieser Bereiche können bei Tieren als auch beim Menschen Veränderungen des emotionalen Erlebens bzw. Verhaltens hervorrufen. Aufgrund verschiedener Versuche, die hier nicht näher erläutert werden sollen, ist der Hypothalamus als Zentrum des emotionalen Gehirns bezeichnet worden (ebd.). 22 Letztlich wird alles Verhalten vom Gehirn und dem Zentralennervensystem kontrolliert. Der Einfluss des Gehirns auf die Aggression wird durch die Tatsache bestätigt, dass sich aufgrund einer Hirnschädigung das Aggressionsverhalten verändern kann. Nicht alle Hirnschäden verstärken die Tendenz zu Gewalttätigkeiten oder Aggressivität, aber es ist oft der Fall. Krech u.a. beschreiben ein dramatisches Beispiel aus dem Jahre 1966. Charles Whitman hatte seinen Psychiater von seinen periodisch auftretenden unkontrollierbaren Anwandlungen von Gewalttätigkeiten erzählt, dass war jedoch ohne Folgen geblieben. Schließlich ermordete er seine Frau und Mutter. Einen Tag später schoss er 90 Minuten auf alles was sich bewegte. Er tötete vierzehn Menschen und verwundete 38, bevor er selbst getötet wurde. Eine Autopsie ergab einen Tumor von der Größe einer Walnuss im limbischen System seines Gehirns. Das ist ein extremes, aber wahrscheinlich nicht seltenes Beispiel von Gewalttätigkeit, die durch einen Hirnschaden verursacht wurde (vgl. Kerch 2006). Weitere Ursachen für einen Hirnschaden können Unfälle, bestimmte Krankheiten, Drogen-, Alkohol – oder Medikamentenmissbrauch sein, selbst während der Geburt kann durch Komplikationen ein Gehirnschaden auftreten. Allerdings kann nicht gesagt werden, dass jede Hirnschädigung zu aggressiven Handlungen führt. So wie das limbische System für das emotionale Erleben und Verhalten zuständig ist, übernimmt die frontale Großhirnrinde die Kontrollfunktion für die Bewertung von Ereignissen. Die hier ablaufenden kognitiven Prozesse geben den äußeren Ereignissen eine Bedeutung (z.B. Beleidigungen). Sie dienen der bewussten Steuerung des eigenen Verhaltens. Als allgemeine menschliche Ausstattung sind diese Gehirnstrukturen und ihre Funktionsweisen genetisch begründet und letztlich über Tausende von Generationen vererbt (vgl. Nolting 2005). In Einzelfällen können Besonderheiten des individuellen Gehirns die persönliche Aggressivität mit bedingen. Beeinträchtigungen im Frontalhirnbereich können heftige aggressive Reaktionen auf eine Provokation begünstigen, weil die hemmenden, kontrollierenden Prozesse gestört sind. Dies kann während der Geburt geschehen, diese Schädigung ist dann angeboren, aber nicht vererbt (ebd.). 23 Fazit M.E. können biologische Faktoren u.a. eine Ursache für aggressives Verhalten bei Menschen sein. Das Menschliche Verhalten hat genetische Grundlagen, so können Hirnschäden und chromosomale Anomalien in manchen Fällen die Neigung zur Aggressivität erhöhen. Allerdings sind Humangenetiker im Gegensatz zu einigen Psychologen und Ethnologen mit Aussagen über die Vererbung menschlichen Verhaltens zurückhaltend (Selg 1974). Selbst wenn ein Gehirnschaden vorhanden ist, kann die Provokation zur Aggression dennoch von den in der Umwelt vorhandenen Auslösereizen abhängen. Die menschliche Aggression scheint ebenso wie das prosoziale Verhalten ein sehr komplexes Phänomen zu sein, bei dem biologische-, situationsbedingte-, und Lerneinflüsse eine Rolle spielen dürfen (vgl. Krech 2006). Dies wird u.a. im 6. Kapitel unter dem Titel Entstehung von Aggression ausgeführt. 24 6. Entstehung von Aggression Haben verschiedene Einflüsse wie zum Beispiel die Umwelt, Sozialisation, das Alter usw. einen Einfluss auf Aggression bzw. auf aggressives Verhalten? Nur selten verhalten sich Menschen wahllos aggressiv. Viel eher treten aggressive Handlungen zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Situationen, gegenüber bestimmten Gegenständen oder Personen und als Reaktion auf bestimmte Formen von Provokation auf. Im Gegensatz zu den Darstellungen, dass Aggressionen explosive und emotionale Reaktionen sind, wird die Ausführung schädigender Handlungen, genau wie andere soziale Verhaltensformen auch, in weitem Umfang durch Hinweisreize aus der Umgebung reguliert. Daher sollte nicht nur geklärt werden, wie sich aggressives Verhalten entwickelt, sondern auch, wie es dazu kommt, dass einige Reize Aggressionen auslösen, andere hingegen nicht (vgl. Bandura 1979). Die meisten Ereignisse, die beim Menschen aggressives Verhalten hervorrufen, erreichen dies eher aufgrund von Lernerfahrungen als aufgrund genetischer Ausstattung. Bei einem zweijährigen Kind lösen Aggressionsauslöser wie Beleidigungen, Herausforderungen, Statusbedrohungen oder ungerechte Behandlung noch kein aggressives Handeln aus. Im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung stehen Menschen Aggressionen nicht mehr gleichgültig gegenüber. Die Frage ist nun, warum gerade nicht angeborene Auslöser in besonderem Maße aggressionserregende Eigenschaften erwerben (ebd.). Umwelteinflüsse Neben dem Umstand, dass viele Menschen sich untereinander schlecht behandeln, gibt es noch weitere externe Bedingungen, die als unangenehm empfunden werden, zum Beispiel Lärm, schlechte Luft, Menschengedränge und Hitze. Wissenschaftler fanden heraus, dass die Hitze im Leben eines Menschen eine große Rolle spielt. Nach Krech (2006) macht extreme Hitze nicht nur reizbar, sondern auch die Tendenz, aggressiv zu werden, erhöht sich. Carlsmith und Anderson (vgl. Krech 2006), wiesen nach, dass ein Großteil kollektiver Gewalt in den amerikanischen Städtchen bei „Hitzewellen“ verübt wird. Laborversuche 25 von Baron und Bell (ebd.) ergaben ebenfalls, dass sich bei extremer Hitze zumindest unter bestimmten Bedingungen die Aggressivität erhöht. Genauso wie die Hitze kann auch Kälte, sofern sie unangenehm ist, die momentane Aggressionsbereitschaft erhöhen. Auch eine Zusammenballung von Menschen auf engen Raum lässt viele Menschen aggressiv werden. Wobei dies bei Konzerten oder Sportveranstaltungen kein Problem zu sein scheint (vgl. Nolting 2005). Berkowitz (1974) weist noch auf die „aggressiven Auslösereize“ als weitere Umweltdeterminanten hin. Diese Reize disponieren oder verleiten Menschen zu aggressiven Reaktionen, so dass umso mehr Aggression auftritt, je mehr solche Reize in der Umwelt vorhanden sind. Berkowitz zufolge erwerben Waffen aufgrund ihrer regelmäßigen und wiederholten Assoziierung mit Aggression einen starken aggressiven Auslösereizcharakter (vgl. Krech 2006). Sozialisation der Aggression Der Prozess, durch den man lernt, die Aggression zu beherrschen oder in einer Weise auszudrücken, die für die eigene Kultur akzeptabel ist, wird als Sozialisation der Aggression bezeichnet. Nach Krech ist es offensichtlich, dass der Mensch nicht aufhört aggressiv zu sein. Im Laufe der Sozialisation lernen die Menschen jedoch im Allgemeinen ihre Aggressionen unter Kontrolle zu halten. Manche Menschen bleiben aber (überaus) aggressiv und lernen Aggressionen auf subtilere Weise zu äußern, etwa durch verbale Angriffe, verdeckten Zwang und ähnliches. Schließlich gibt es auch Menschen, die weitgehend unsozialisiert bleiben und ihre aggressiven Impulse finden Ausdruck in der tätlichen Verletzung anderer (vgl. Krech 2006). Sears, Maccoby und Levin weisen in einer Studie von 1957 auf zwei wichtige und klar unterscheidbare Dimensionen der Sozialisation von Aggression hin: 1. Die Permissivität Das Ausmaß, in dem die Eltern dem Kind gestatten, aggressiv zu sein. 2. Die Strenge der Bestrafung Das Ausmaß, in dem die Eltern das Kind bestrafen, nachdem es sich 26 aggressiv verhalten hat (ebd.). Die Permissivität bezieht sich auf das Verhalten eines bzw. beider Elternteils vor einem Verstoß. Die Bestrafung bezieht sich auf die Handlungen von Eltern nach einem Verstoß. Abgesehen von dem Grad an Permissivität, den Eltern gegenüber den Aggression ihrer Kinder zeigen, dienen sie auch, insbesondere die punitiven (strafend), als Vorbilder für Aggressionen (vgl. Krech 2006). Näheres dazu in Kapitel 7. Alterstypische Unterschiede Es lässt sich nicht genau festlegen, wann „echtes“ aggressives Verhalten bei Kindern beginnt. Es ist eher so, dass es sich im Laufe des Lebens entwickelt. Der alterstypischen Übergang vom voraggressiven zum aggressiven Verhalten kann nach Nolting (2005) so beschrieben werden: „Den Anfang bildet die Phase der aggressionsaffinen Emotionen, also der Unmutsaffekte und Unmutsäußerungen, die sich gegen irgend etwas richten“. Wenn das Kind bewusst anderen Personen wehtun möchte um sich durchzusetzen, ist dies ein aggressives Verhalten. Für viele Eltern belastend, ist die Häufigkeit aggressionsnaher Verhaltensweisen im Zweiten und Dritten Lebensjahr. In dieser Zeit wachsen die Bedürfnisse und Absichten des Kindes schneller als seine Handlungsmöglichkeiten. Die Frustrationsgrenze ist schnell durch die Gesetze in der Umwelt und den eigenen Fähigkeiten erreicht. Trotzanfälle sind statistisch normal und keine Verhaltensstörung, doch sollten diese Anfälle im Alter von fünf Jahren deutlich zurückgehen (vgl. Nolting 2005). Die Aggressionsentwicklung ist in die allgemeine körperliche, sprachliche, intellektuelle und emotionale Entwicklung eingebettet. Wenn verbale Fertigkeiten noch fehlen, neigen jüngere Kinder zu offenen, körperlich- aggressiveren Verhaltensweisen. Mit zunehmendem Alter der Kinder werden offen- verbale oder verdeckte, indirekte Formen aggressiven Verhaltens entwickelt. Wobei die prosozialen Fähigkeiten wie zum Beispiel, das Einfühlungsvermögen, mit steigendem Alter zunehmen. Mädchen überflügeln dabei die Jungen in ihren sozialen Fähigkeiten Konflikte friedlich und verbal zu lösen (vgl. Petermann und Petermann 2000). 27 Über das Erwachsenenalter eine allgemeine Aussage zu machen ist nach Nolting schwierig, es scheint aber so, das dass aggressive Verhalten im Erwachsenenalter gegenüber dem Jugendalter abnimmt. Am häufigsten tritt aggressives Verhalten schon in früher Kindheit auf, die schwerwiegendsten Formen findet man aber im Jugend- und frühen Erwachsenenalter (ebd.). Erstes Jahr, 1. Halbjahr: Kind äußert negative Emotionen, auch rudimentären Ärger es zeigt Unmutsäußerungen bei verschiedenen Anlässen (Ankleiden, Waschen u.a.) Erstes Jahr, 2. Halbjahr: Zusätzlich entwickeln sich körperliche Verhaltensformen wie Hauen, Stoßen, Zerren, Reißen usw. mit voraggressivem Charakter: objektbezogen statt personenbezogen. Zweites Jahr: Deutliche Zunahme solcher Aktivitäten und heftigen Unmutsäußerungen. Auf Einschränkungen („Trotzanfälle“) bei den meisten Kindern. Gegen Ende zweiten Jahres: erste personenbezogene Aggression. Drittes Jahr: Weiterhin Trotzanfälle, zunehmend auch aggressives Verhalten im engerem Sinne. Individuelle sowie geschlechtstypische Aggressivitätsunterschiede beginnen sich herauszubilden. Vorschulalter: Im 4. und 5. Jahr allmählicher Rückgang der Trotz- und Wutausbrüche bei den meisten Kindern; Fortdauer dieses Verhaltens bei Einzelnen. Grundschulalter: Unterschiede individueller Aggressivität treten deutlich hervor; antisoziale Tendenzen Einzelner fallen auf. Mehr körperliche Aggression bei Jungen und mehr indirekte Formen bei Mädchen. Jugendalter und frühes Erwachsenenalter: Individuelle Unterschiede sind weiterhin bedeutsamer als der Alterstrend. Gravierende Gewalthandlungen Einzelner aufgrund von Körperkraft und Waffengebrauch. Zusammenschluss aggressiver Jugendlicher zu antisozialen Gruppen. Einzelne greifen Eltern oder Lehrkräfte an. Leichte Delinquenz bei vielen Jugendlichen. Erwachsenenalter: Zwischen 20 und 25 Jahren insgesamt Rückgang der Aggressionsrate sowie der Kriminalitätsrate, da Jugenddelinquenz bei den meisten aufhört. Bei Einzelnen verfestigt sich die antisoziale Entwicklung. Abb. 2 Alterstypische Entwicklung aggressiven Verhaltens ( Nolting 2005) 28 Geschlechtstypische Unterschiede Auf den ersten Blick mag Aggressivität ein vorwiegend männliches Problem zu sein. Jungen bzw. Männer zeigen auffällig häufig körperlich aggressive Handlungen. Laut Nolting (2005) ist Gewalt überwiegend „Männersache“. Im Kindergarten, auf dem Schulhof und in der Kriminalstatistik für Gewaltverbrechen, überall finden sich aggressive Handlungen, die überwiegend von Jungen oder Männern verübt werden. Desweiteren zeigen männliche Personen häufiger als weibliche, aggressives Verhalten ohne vorangehende Provokation. Bei Männern stehen die Machtausübung (instrumentell- aggressiv) und die selbst initiierte Aggression aus Spaß am Kämpfen im Vordergrund. Bei Mädchen und Frauen kommen die indirekten und versteckten Formen der Aggression tendenziell häufiger vor als bei den Männern. Dies entwickelt sich bei Mädchen im Übergang vom Kindes- zum frühen Jugendalter durch die zunehmend an Bedeutung gewinnende Peergroup. Da direkte Aggressionen bei älteren Kindern weniger toleriert werden, wählen Mädchen zunehmend die verdeckte und indirekte Form aggressiven Verhaltens. Jungen wählen oftmals die offen- aggressive Verhaltensweise um ihre Position in der Peergroup zu festigen (vgl. Petermann/Petermann 2000). Nach Nolting gibt es drei Erklärungsansätze warum Männer eher zu körperlicher Aggression neigen als Frauen. 1. Die Hormon- Hypothese Nach der Hormon- Hypothese steigert das männliche Testosteron die Aggressivität. Eindeutige Beweise gibt es dafür aber nicht. 2. Die Evolutions- Hypothese Diese Hypothese besagt, dass Aggressivität den Männern, insbesondere jungen Männern, in der Frühgeschichte der Menschheit Vorteile in der Konkurrenz zu anderen Männern verschaffe. Sie erhöht die Chance, Frauen zu „erobern“ und somit die eigenen Gene weiterzugeben. 29 3. Die Geschlechtsrollen- Hypothese Nach dieser Hypothese werden Männern und Frauen durch die Gesellschaft unterschiedliche Rollen zugewiesen, diese beruhen auf Lernprozessen und werden weitervermittelt. Nolting schließt daraus, das die Erziehung und Sozialisationseinflüsse dafür sorgen, dass die heranwachsenden jungen Menschen sich an diesen Leitbildern orientieren. Individuelle Hemmungen Wie bei Tieren gibt es auch bei Menschen aggressionshemmende oder aggressionsabblockende Verhaltensweisen. Grußgebärden, die Darreichung der Hand, eine Umarmung oder ein Kuss, durch die wir den Wunsch nach vertrauensvollen und freundlichen Beziehungen deutlich machen, senken das Aggressionsverhalten. Aggressionsdämpfend wirkt auch das senken des Blickes, dagegen wird das Anstarren als Drohung gedeutet (Linder 1992, 299). Starken Aggressionen stehen angeborene, aggressionshemmende Ausdrucksformen wie Weinen und Schreien oder durch kulturelle Gewohnheiten gefestigte und überlieferte Demutsgebärden wie z.B. Kniefall, Hochheben der Hände, Verbeugen oder Gesten der Hilflosigkeit gegenüber. Die sichtbare Aggressivität wird jedoch nicht nur von Motiven für, sondern auch von Motiven gegen aggressives Verhalten bestimmt. Wer häufig Strafen und Tadel für aggressives Verhalten erwartet, wird es eher unterlassen, als jemand ohne diese Befürchtung. Die moralische Werthaltung, die eigene Bewertung von Gewalt, fördert die Bildung einer Aggressionshemmung (ebd.). Bei hoch aggressiven Menschen sind moralische Hemmungen meist gering ausgeprägt. Sie neigen dazu, das eigene Verhalten unkritisch und selbstgerecht zu bewerten und die Schuld bei anderen zu suchen. Auch die notorischen Angreifer auf dem Schulhof haben immer eine Ausrede und Entschuldigung zur 30 Hand, selbst wenn für jeden Beobachter klar ist, dass sie Täter und nicht Opfer sind. Eine ausgeprägte Tendenz und Fähigkeit zur Einfühlung (Empathie) können hemmend wirken. Wer sich in ein Aggressionsopfer hineinversetzt, empfindet eher Mitgefühl und einen Widerspruch zur eigenen Werthaltung (vgl. Nolting 2005). Anregende und enthemmende Faktoren Aggressives Verhalten tritt in Situationen auf, die aggressive Tendenzen anregen und / oder zugleich reduzieren. Dabei sollten die anregenden Faktoren stärker als die hemmenden sein. In erster Linie sind es nicht nur die äußeren Umgebungsfaktoren, sondern auch andere Personen, die in einer bestimmten Situation aggressives Verhalten anregen oder erleichtern. Die anregenden Faktoren sind von grundlegender Bedeutung (Abb. 3). Negative Ereignisse sind die externen Anreger für Vergeltungs- und Abwehrreaktionen (Kapitel 3). 31 Anregende Faktoren: • Negative Ereignisse (Provokation, Bedrohung u.a.) • Positive Anreize (materielle, soziale, emotionale) • Aggressive Modelle; Aufforderungen, Befehle • Aggressive Signalreize Enthemmende Faktoren: • Geringes Entdeckungs- und Strafrisiko ( Anonymität, Dunkelheit usw.) • Diffuse Verantwortlichkeit; rechtfertige Beeinflussung • Alkohol Hemmende Faktoren: • Hohes Entdeckungs- und Strafrisiko • Moralische Appelle, „friedliche“ Signalreize Zusätzliche interpersonale Bezüge: • Wechselwirkung des Verhaltens von A und B (z.B. Eskalation) • Beziehung der zusammentreffenden Personen • Besondere Gruppenkonstellationen Abb.3: Situative und interpersonale Aspekte für das Auftreten aggressiven Verhaltens (Nolting 2005) Entwicklungsverlauf und Entwicklungsfaktoren Wie weiter oben dargestellt, sind Wutausbrüche und teilweise auch personenbezogene aggressive Verhaltensweisen im zweiten und dritten Lebensjahr als normale, vorübergehende Erscheinungen zu sehen. Wenn sich dieses Verhalten verschärft und über diese Altersgrenze hinaus fortsetzt, ist dies als ein frühes Warnzeichen zu betrachten. Zu beachten ist vor allem ein ausgeprägtes oppositionelles Verhalten, welches eine wiederkehrende Verweigerung gegenüber Aufforderungen und Verhaltensregeln darstellt. Dem oppositionellen Ver- 32 halten folgt offen aggressives Verhalten gegen andere Personen und im Jugendalter delinquentes und gewalttätiges Verhalten. Solche Entwicklungen kommen bei Jungen häufiger vor als bei Mädchen. Doch die Prognose ist für beide Geschlechter ungünstig (vgl. Nolting 2005). Aggressivität hat nicht nur eine bestimmte Ursache, sondern entwickelt sich immer aus einem Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Wie schon im Kapitel 5 erwähnt kann die Aggressivität genetische Faktoren haben. Aber auch die Umwelt spielt eine große Rolle. Aufgrund der Auswertung von 51 Studien schätzen Rhee und Waldmann (vgl. Nolting 2005), dass eine hohe Aggressivität zu 40 Prozent auf genetischen und 60 Prozent auf Umwelteigenschaften zurückzuführen ist. Der hohe erbliche Anteil lässt sich nicht auf ein „Aggressivitäts- Gen“ festlegen, sondern darauf das Erregbarkeit, mangelnde Impulskontrolle oder ein „schwieriges“ Temperament biologische Grundlagen des Menschen sind und somit erbliche Komponenten sein können. Vieles hängt aber davon ab, wie die Umwelt damit umgeht. Bei verschiedenen Dispositionen wie zum Beispiel mangelnde Impulskontrolle sind antisoziale Entwicklungen zu erwarten, wenn sie aber mit einer Umwelt kollidiert, wird das negative Verhalten verstärkt. Neben den genetischen Faktoren und den Umwelteinflüssen spielen auch Schadstoffe, Fehlernährung oder Verletzungen eine wichtige Rolle. Auch die Familie kann erheblich zur Entwicklung aggressiver Verhaltensweisen zum Beispiel durch mangelnde Wärme, durch einen negativen Erziehungsstil, durch Inkonsequenz oder durch Bekräftigung des aggressiven Verhaltens beitragen (vgl. Nolting 2005). In der Schulzeit können sich die Probleme eines aggressiven Kindes verschärfen. Die Schulleistungen können u.a. durch mangelnde Selbstkontrolle, mangelnde soziale Kontakte bzw. Isolation beeinträchtigt werden. Kriminelle Gewalt Die kriminelle Gewalt kann mit der instrumentellen Erlangungs- Aggression verglichen werden. Oftmals wollen Kinder die Aufmerksamkeit oder eine Wunscherfüllung durch ihr aggressives Verhalten erzwingen. Aber auch unter Erwach33 senen geht es nicht selten um Geld und Güter, um die Durchsetzung einer bestimmten Entscheidung, Raub, Erpressung usw. Definiert man als „kriminell“, was nach dem Strafgesetzbuch verboten ist, so sind Gewalthandlungen in der Familie und anderen Beziehungen kriminell. Die eigentliche kriminelle Gewalt gibt es in individueller als auch in kollektiver Form. Das heißt es gibt Einzeltäter und organisierte Banden (vgl. Nolting 2005). Bei kriminellen Handlungen im Kollektiv ist der einzelne Täter den Einflüssen durch die Mittäter ausgesetzt, z.B. bei Mutproben oder kriminellen Handlungen als Aufnahmeritual. Als Einzeltäter würden viele diese kriminellen Handlungen nicht begehen (ebd.). Situative Faktoren bestimmen häufig mit, ob eine Tat ausgeführt wird oder nicht, doch reichen sie als Erklärung für kriminelles Verhalten nicht aus. Es gibt sicherlich Notsituationen, in denen Menschen um zu überleben Raubüberfälle begehen. Doch zumindest in westlichen Industriegesellschaften ist kriminelle Gewalt stark personenabhängig. Oftmals sind es die gleichen Täter (vgl. Nolting 2005). Politische Gewalt Die politische Gewalt sieht nach Nolting deutlich anders aus als die kriminelle Gewalt. Wenn Gewalt darauf abzielt, dass gesellschaftliche Zustände zu bewahren oder zu verändern sind, dann wird diese Gewalt politisch. Nolting unterscheidet dabei drei Hauptformen: • Kriege zwischen den Staaten, sowie Bürgerkriege • Völkermord, Verfolgung und Vertreibung • Aufruhr, Rebellion und Terrorismus Die Verflechtung mehrerer Typen von Aggressionen kommt in der Praxis häufiger vor. Was die Motivation betrifft, so verleiht die primäre Zielsetzung, nämlich eine politische Ordnung zu erhalten oder zu verändern, der Gewalt einen deutlich instrumentellen Charakter. Es geht um Landbesitz, um Bodenschätze, um Machtpositionen oder um die Durchsetzung einer Weltanschauung oder Religi34 on. Typisch ist, dass die Konfliktparteien den Gewaltprozess einseitig und parteiisch bewerten. Was der Gegner macht, ist eine Aggression und was das eigene Lager macht, ist eine legitime Verteidigung (vgl. Nolting 2005). Gewalt in den Medien Nach jahrzehntelangen Forschungen ist erwiesen, dass Medien Gewalt- Aggressivität fördern und zwar in dem Ausmaß, wie Zigarettenrauch Lungenkrebs fördert (vgl. Nolting 2005). Die Fernsehleute fürchten hingegen, dass derartige Ergebnisse zu Regierungsvorschriften in Form einer Zensur des Programminhaltes führen könnten. Gegner der Fernsehkritiker fahren das Argument auf, das dass Verhalten multipel determiniert ist. Es könnte mit gleichem Recht behauptet werden, zerrüttete Elternhäuser, Verarmung, Unterdrückung und polizeiliche Provokationen seien für sich genommen die Verursachung aggressiven Verhaltens (vgl. Bandura 1979). Längsschnittstudien weisen nach, dass der Konsum von TV-Gewalt mit 8 Jahren in gewissem Ausmaß die Aggressivität mit 30 Jahren vorhersagt. Ähnliche Ergebnisse findet man für das tägliche Ausmaß des TV- Konsums im Jugendund frühen Erwachsenenalter selbst dann noch, wenn alle Risikofaktoren (z.B. Familiäre Vernachlässigung) rechnerisch konstant gehalten werden. Das Fernsehen wirkt also nicht nur in der Kindheit (vgl. Nolting 2005). Sommerfeld (1996) geht davon aus, dass Kinder Fernsehsendungen völlig anders wahrnehmen als Erwachsene. In ihrem Buch „Umgang mit Aggressionen“ schreibt sie: „So stufen Kinder insgesamt sehr viel weniger Handlungen als Gewalt ein. Insbesondere Gewaltdarstellungen in Zeichentrickfilmen werden im Allgemeinen nicht als grausam oder brutal erlebt, da sie so wirklichkeitsfremd sind“. Kinder würden sich bei den schnellen Bewegungen, der Musik und den Geräuschen (in Zeichentrickfilmen) in einem Wechselbad von Spannung und Entspannung erleben, wodurch sie sich den Fantasien und Tagträumen hingeben können. Dagegen werden Szenen, die dem Alltag näher liegen, viel eher als Gewalt erlebt. 35 Doch was genau als Gewalt erlebt wird hängt sehr stark von der Persönlichkeit des Kindes, seinen Lebensbedingungen und seinem Umfeld ab (vgl. Sommerfeld 1996). Viele Kinder sind mehr oder weniger immun, weil ihre Eltern den Fernsehkonsum ohnehin begrenzen, Gewaltdarstellungen kommentieren und überhaupt liebevoll und kompetent erziehen (vgl. Nolting 2005). Durch die lehrenden und enthemmenden Funktionen, kann das Fernsehen Dispositionen zu aggressiven Verhalten schaffen wie aktivieren (vgl. Bandura 1979). Aggressive Modelle in der Familie Wenn Kinder und Jugendliche aggressiv und gewalttätig sind, werden die Ursachen meist in ihren Familien gesucht. Erklärungen für Verhaltensauffälligkeiten lassen sich viele finden: • Eltern misshandeln ihre Kinder • Eltern sind Alkohol- oder Drogenabhängig • Eltern denken nur an ihren Beruf und Karriere • Eltern leben getrennt oder die Ehe ist nur noch Fassade • Eltern fördern gar nichts • Eltern überfordern ihre Kinder • Eltern sind überfordert oder unzufrieden mit der Gesamtsituation • Eltern ziehen keine Grenzen • usw. (vgl. Sommerfeld 1996). Es ist unbestreitbar, dass viele Kinder in ihren Familien leiden. Für die individuelle Entwicklung der Kinder sind natürlich die Eltern von besonderer Bedeutung. Aggressive Vorbilder begegnen den Kindern aber in allen Lebenslagen, neben den Vorbildern in der Familie, auch in der Schule, in den Medien, auf dem Sportplatz und in der Politik. Bandura und Walters (vgl. Nolting 2005) fanden heraus, dass Kinder von aggressiven Vätern zwar nicht den Vätern gegenüber aggressiv wurden, wohl aber gegenüber den Mitschülern erhöhte Aggressivität zeigten. Olweus (ebd.) fand 36 ebenfalls in einer Studie heraus, dass Kinder von ihren Mitschülern als besonders aggressiv eingeschätzt werden, deren Eltern zu harten, aggressiven Erziehungspraktiken neigten. Das Lernen am Modell (Kapitel 7) stellt hier eine sehr direkte Verbindung her. Solche Zusammenhänge geben stark zu denken, wenn Eltern aggressive Bestrafungen anwenden, um ihrem Kind aggressive Verhaltensweisen auszutreiben. Auch die Gewalt der Eltern untereinander kann als Modell für Kinder ausreichen. Gewalt auszuüben und Gewalt zu erdulden kann als normales Beziehungsmodell erlernt werden (vgl. Nolting 2005). Somit befinden sich die Kinder und Jugendlichen, wie auch die jungen Erwachsenen in einem Teufelskreis. Zur Gewalt zählen aber nicht nur die körperliche Gewalt, sondern auch direkte psychische Beeinträchtigungen wie Bedrohung, Beschimpfungen, Beleidigungen, Erpressung und die indirekte Beeinträchtigung wie Liebesentzug oder das Ignorieren stellen eine Art von Gewalt dar (vgl. Gratzer 1997). Obwohl Gewalt gegen Kinder in den Familien nicht auf bestimmte soziale Schichten begrenzt ist, lassen sich besondere Stressfaktoren nennen, die die Ausübung von Gewalt begünstigen. Es sind besonders der Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Probleme, fehlende Unterstützung und Hilfen, die zu Überforderungssituationen und Verlust des Selbstwertgefühles führen können. Diese Tatsachen müssen aber nicht zwangsläufig zu aggressiven Handlungen der Kinder und Jugendlichen führen. Bandura und Walters wiesen bereits 1959 durch Studien nach, das auch Intelligente Jungen aus intakten Mittelschichtsfamilien, deren Eltern sich an die Verhaltensstandards der Umgebung hielten und gesetzestreues Verhalten förderten, antisozial aggressiv wurden. Die Familien von Jugendlichen, die wiederholt antisoziales Aggressionsverhalten zeigten, wurden mit denen von Jungen verglichen, die weder ausgesprochen aggressiv noch passiv waren. Die Familien unterschieden sich auffällig darin, indem sie ihren Söhnen durch Unterweisung und Vorbild beibrachten sich aggressiv zu verhalten. Die Eltern der nicht- aggressiven Jungen ermutigten ihre Söhne sehr wohl ihre Prinzipien entschlossen zu verteidigen, aber sie duldeten keine aggressiven Handlungen um diese durchzusetzen. Im Vergleich dazu zeigten die Eltern der aggressiven Jungen zwar wenig antisoziales Aggressionsverhalten, doch sie verstärkten immer wieder kämpferische Einstellun37 gen und Verhaltensweisen. Gegen sie selber gerichtete Aggressionen wurden allerdings nicht toleriert. Der eine oder andere Elternteil ermunterte ihre Söhne dazu sich gegen Gleichaltrige, Lehrer oder andere Erwachsene außerhalb der Familie aggressiv zu verhalten (vgl. Bandura 1979). Diese Untersuchungen von Bandura und anderen Forschern zeigen was für eine große Bedeutung die Familie hat und wie wichtig das Lernen am Modell ist. Modelle in Bezugsgruppen (Peers) und Gesellschaft Nicht nur Eltern und andere Erwachsene können aggressive Vorbilder sein. Kinder und Jugendliche schauen ebenfalls auf das Verhalten ihrer Altersgenossen (Peers), jedenfalls auf die, die ihnen wichtig erscheinen. Jugendliche die vorher schon aggressiv waren suchen sich Altersgenossen gleicher Gesinnung. Manche Jugendliche neigen dazu sich Banden anzuschließen, die in Rivalität zu anderen Banden stehen. Wiederum andere engagieren sich in politischem Extremismus. Alle gruppentypischen Verhaltensweisen werden über das Lernen am Modell schnell und effektiv an neue Mitglieder weitergegeben. Hinzu kommt, dass die Nachahmung in manchen Kreisen durch Anerkennung belohnt wird. Fazit Die am Anfang des Kapitels gestellte Frage, ob verschiedene Einflüsse wie z.B. die Umwelt, die Sozialisation, das Alter usw. einen Einfluss auf Aggressionen bzw. auf aggressives Verhalten haben kann m.E. bestätigt werden. Sie haben einen Einfluss. Hitze und Kälte, Menschenmassen, enge Räume alles sind Umwelteinflüsse die bei der Aggression eine Rolle spielen können. Auch die Sozialisation trägt zur Aggressivität des Menschen bei. Einige Menschen lernen sich zu kontrollieren und andere wiederum können auch im Erwachsenenalter ihre angestauten oder impulsiven Aggressionen nicht beherrschen. 38 Auch wenn kleine Kinder eine „ausgedehnte“ Trotzphase durchlaufen, heißt das noch nicht, dass diese Kinder auch weiterhin ihr oppositionelles Verhalten beibehalten müssen. Wieder kommt es auf die Sozialisation der Kinder an. Wie ist ihre Umgebung? Wird in der Familie die Gewalt geduldet, gefördert oder gar vorgelebt? Oder wird dem Kind oder Jugendlichen durch eine liebevolle und konsequente Erziehung verdeutlicht, wie nicht kontrollierte Aggressionen das Leben schwer machen können? Auf jeden Fall hat das Umfeld eines Menschen m.E. Einfluss darauf, ob ein Mensch aggressiv wird oder nicht. Daher hat die Erziehung auch Einfluss auf die Aggressionshemmung. Die Hemmungen sind Selbstschutz und bewahren auch vor einer möglichen fatalen Eskalation zwischen den Beteiligten. Diese Hemmungen aber alleine lösen keine Probleme. Dafür benötigt man aktive, konstruktive Verhaltensweisen, die die eigenen Bedürfnisse, wie auch die der Mitmenschen ernst nehmen. 39 7. Umgang mit Aggressionen Gibt es Wege aus der Aggression? Aggressive Verhaltensweisen gehören auf allen Ebenen zum menschlichen Alltag. Aber findet eine Aggressionsverminderung statt, wenn man versucht Wege aus aggressiven Impulsen zu finden? Sind diese Wege im Sport, durch anschreien oder Gewalt Filme zu finden? Wie ist es mit der Verminderung der Aggressionen? Die Verminderung von Provokation, Frustration und anderen negativen Faktoren ist schon mal ein wichtiger Ansatzpunkt. Diese lassen sich durch Lernen erzielen. Grundsätzlich stützt sich die Aneignung konstruktiver Verhaltensweisen auf dieselben Lernprozesse wie aggressives Verhalten und zwar das Lernen am Modell, das Lernen am Effekt und die kognitiven Lernprozesse. Die Katharsishypothese Die Katharsishypothese nimmt an, dass der Trieb, sich aggressiv zu verhalten, nicht nur durch stellvertretende Erfahrung, sondern auch durch unmittelbare Äußerung von Aggressionen reduziert wird (vgl. Bandura 1979). Aristoteles meinte mit Katharsis eine Reinigung der Gefühle durch Theater. Die Hypothese wurde vorwiegend von Triebtheoretikern vertreten, zu der auch Dollard ´s Frustrationstheorie gehört. Danach wird durch die Frustration ein Aggressionsbedürfnis hervorgerufen, das nur durch einen aggressiven Akt, möglichst gegen den Auslöser einer Aggression, wieder entspannt werden kann (vgl. Nolting 2005). Die Ergebnisse von Experimenten mit Erwachsenen, in denen aggressives Verhalten verwendet wird, ähneln im Wesentlichen den Ergebnissen, die bei Kindern erzielt wurden. Daten aus Forschungsarbeiten mit Kindern zeigen, dass die Teilnehmer an aggressiven Tätigkeiten im Rahmen einer permissiven Situation ihr Verhalten auf seinem ursprünglichen Niveau aufrechterhalten oder sogar erhöhen (vgl. Bandura 1979). 40 Aber sollte die Katharsishypothese nicht ein „Dampf ablassen“ der Aggressionen sein? Dabei ist zu beachten, dass unterschiedliche Aktivitäten und Wirkungen des „Dampf Ablassens“ oder des „Auslebens“ gemeint sein könnten. Was die katharischen Aktivitäten anbelangt, so reichen sie von nur quasi- aggressiven Aktivitäten, wie Holzhacken, Geschirr zertrümmern oder dem Anschauen eines Boxkampfes bis zur direkten Vergeltung am Provokateur. Nach Nolting (2005) ist es ebenso wichtig, zwischen diesen unterschiedlichen Effekten dieser Aktivitäten zu unterscheiden. Das Abreagieren soll akuten Ärger abbauen, soll weiteres aggressives Verhalten vermindern und soll auch eine emotionale Beruhigung mit sich bringen. Auch diese Unterscheidungen sind von großer Bedeutung. Es könnte sein, dass bei genauerer Betrachtung der eine Effekt möglich ist, der andere aber nicht. Was geschieht mit aggressiven Gefühlen und Verhaltensweisen, wenn man sich am Provokateur rächen, also abreagieren kann? Die Vergeltung ist eine aggressive Handlung, somit keine Lösung. Nolting (2005) beschreibt ein Experiment, indem eine Versuchsperson durch eine Hilfskraft des Versuchsleiters provoziert wird. Die Versuchsperson hat später die Möglichkeit sich über die Unverschämtheit der Hilfskraft beim Versuchsleiter zu beschweren. Dieser zeigt Verständnis und verspricht die Hilfskraft später zur Rechenschaft zu ziehen. Die Versuchsperson, die die Möglichkeit zur Beschwerde beim Versuchsleiter hatte, hatte sich später zu dem Vorfall nicht mehr geäußert, als sie mit dem Provokateur zusammentraf. Während von der Versuchsperson aus der Kontrollgruppe, die keine Möglichkeit der Beschwerde hatte, verbale Angriffe zu hören waren. Die Forschungsbefunde sind aber nicht einheitlich. Bei einigen Personen reicht diese Form der Vergeltung, bei anderen nicht (ebd.). Besonders häufig wird Sport, hier vor allem der Kampfsport, als Ventil zur Aggressionsverminderung angenommen, weil irrtümlicherweise geglaubt wird, dass aggressives Verhalten mit „angestauten Energien“ im Zusammenhang steht, die durch solche Aktivitäten „verbraucht“ werden könnten. Von der aktuellen Forschung kann dies aber in keinster Weise bestätigt werden. 41 Dies wird von Nolting (2005) untermauert, in dem er auf zwei Experimente eingeht. In dem einen Experiment konnten Personen ihre Aggressionen beim Radfahren in Heimtrainer Form abreagieren. Dies machte sie aber nicht weniger aggressiv, ganz im Gegenteil. Im anschließenden „Lernexperiment“ konnten sie ihren Provokateur mit Elektroschocks, und nutzten die Gelegenheit, bestrafen. Im zweiten Experiment wurde versucht eine vorher provozierte Gruppe mit Skigymnastik abzureagieren. Der andere Teil der provozierten Gruppe musste einfach nur warten. Durch den Sport und durch das Warten wurden die Gruppen nicht aggressiver. Als wirksamer erwies sich dagegen ein Geschicklichkeitstest den eine weitere Gruppe durchführen musste. Zum Beispiel auf einen Balken balancieren und dabei Keulen einsammeln. Die Forschungsergebnisse sind nach Nolting (2005) eindeutig belegt. Egal welches „Ventil“ gewählt wird, das Produzieren aggressiver Fantasien, das Anschauen von Gewalt, aggressives Reden, quasi- aggressive, spielerische oder körperliche Aktivitäten senken nicht die Aggressionen und es ist auch nicht möglich, auf diese Weise akute Aggressionen zu beseitigen. Jedoch Ablenkungen wie, Musik hören, Spazieren gehen, Duschen oder Baden, ein Kreuzworträtzel lösen, Gedanken und Gefühle herbeiführt, die gerade nichts mit dem Ärger zu tun haben, einfach nur tun, was einem Spaß macht, lässt die Aggressionen sinken oder ganz verschwinden. Wenn Ruhe eingekehrt ist, kann der Ärger aus einem anderen Winkel betrachtet und Lösungen gefunden werden. Nach Nolting (2005) und Bandura (1979) ist die Katharsishypothese eine Binsenweisheit. Verminderung von Frustration Es können gar nicht alle negativen Bedingungen aufgezählt werden, die zu einer Frustration führen könnten. Nach Toch (1969) haben Menschen, die dazu neigen in Kampfhandlungen zu geraten, einen Mangel an verbalen und anderen sozialen Fertigkeiten, um mit provokativen Situationen fertig werden zu können. Sozial erfahrene Personen können durch beschwichtigendes Handeln, zum Beispiel durch Humor oder freundliche Überredung die Situation entschärfen. Verbale Fertigkeiten reduzieren nicht nur Verhaltensweise, die Gewalt hervorrufen könnten, sondern auch 42 „die eigene Integrität und Selbstachtung in unbequemen Situationen zu erhalten, ohne den Gegner körperlich angreifen zu müssen“ (Bandura 1979). Bandura ist der Meinung, dass die Neigung zu körperlicher Aggressivität in den unterschiedlichen sozialen Schichten liegt. Den Angehörigen einer höheren Schicht wird eher beigebracht, über ihre Probleme zu sprechen, als sich ihren Weg aus schwierigen Situationen zu erkämpfen. Sozial und verbal unerfahrene Personen, werden wahrscheinlich auf die kleinste Provokation hin körperlich aggressiv reagieren, besonders wenn sie aus einem Milieu kommen wo Gewalt günstig beurteilt wird (ebd.). Kinder können durch das Erziehungsverhalten der Eltern schon früh Frustrationen Ausgesetz sein. Nach Nolting (2005) sollte eine vernünftige Erziehung zwei Ziele haben: • Kinder müssen lernen, mit Hindernissen und unerfüllten Wünschen fertig zu werden und • psychische Schäden müssen vermieden werden. Es ist nicht sinnvoll Kinder von allem Frustrationserleben fern zu halten, aber es sollte sichergestellt sein, dass das Kind aus dieser Situation lernt und nicht leidet. Viele Kinder stehen heute schon früh unter hohen Leistungsanforderungen, diese müssen aber dosiert sein, so das vorrangig Erfolge erlebt werden können und das sich Misserfolge durch mehr Anstrengung, andere Zeiteinteilung, verbesserte Lernstrategien usw. bewältigen lassen. Nolting (2005) warnt vor ständiger Überforderung. Die Kinder suchen sich dann andere Wege und geraten dabei auf die „schiefe Bahn“. Unvermeidlich und auch keine unnötige Frustration sind die Grenzsetzungen für das Verhalten der Kinder. Der Sinn einer Grenzsetzung sollte immer erkennbar bleiben. Das Recht auf die eigene Selbstentfaltung hört dort auf wo sie andere einengt. Diese Einsicht wird erzieherisch gut vermittelt, wenn nicht so sehr das Fehlverhalten des Kindes betont wird, sondern die Selbstbehauptung wie z.B. ich möchte in Ruhe Zeitung lesen. Durch das Ausbaden eines Fehlverhaltens, sollte das Kind nicht unnötig frustriert werden. Das Kind muss lernen die meist unangenehmen Folgen des Fehlverhaltens zu tragen (Wiedergutmachung, Schadensersatz usw.). 43 Auf jeden fall muss vermieden werden, dass ein Kind durch emotionale Entbehrung (Liebesentzug) für sein Fehlverhalten bestraft wird. Nicht die Person wird sanktioniert, sondern das Fehlverhalten. Eine emotional warme, unterstützende Eltern- Kind – Beziehung ist nicht nur eine Aggressionsprävention, sondern auch eine Prävention anderer Störungen (vgl. Nolting 2005). „Mensch-Ärgere- Dich- nicht“ Ärger lässt sich im Leben nicht vermeiden. Muss auch nicht, denn Ärger hat, ebenso wie Angst, eine sinnvolle Funktion. Ärger kann ein Signal sein und kann Energie für das Bemühen um Verbesserung liefern. Eine Ärgerbewältigung ist also nur für die Person nötig wo der Ärger für die Person selbst oder für seine Umwelt ein Problem ist. Ärger wird dann zu einem Problem, wenn die Gesundheit oder die Schule bzw. der Beruf darunter leidet. Ärgeranlässe gibt es im Alltagsleben genug. Oft reicht schon ein kleiner Anlass oder auch ein Missverständnis. Das Missverständnis könnte aus der Welt geschafft werden, wenn die verärgerte Person eine Stellungnahme als glaubhaft empfindet und sich ernst genommen fühlt. Eine ideale Form der entschärfenden Neubewertung ist der Humor. Er kann zweifellos über viele Ärgernisse des Alltags hinweghelfen. Ein altes deutsches Sprichwort sagt: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“. In diesem Fall steht das „Trotzdem“ für Frustration. So könnte man auch sagen: Humor ist, wenn man auch in einer frustrierenden Situation lachen kann (vgl. Nolting 2005). Ob humorvoll oder anders, die Neubewertung von Ärgeranlässen ist ein zentrales Element von Trainings zum besseren Umgang mit Ärger (Kapitel 8). 44 Lernen Seit den 1960er Jahren spielt die Lernpsychologie in der empirischen Aggressionsforschung eine wichtige Rolle. Demnach bedarf aggressives Verhalten keiner Erklärung, sondern beruht, wie soziales Verhalten generell, überwiegend auf Lernvorgängen. Der bekannteste Vertreter dieser Richtung ist Albert Bandura. Zusammen mit Richard Walters formulierte er eine komplexe sozial- kognitive Lerntheorie. Von Lernen sprechen wir, wenn Menschen aufgrund ihrer Erfahrungen (z.B. nicht auf die heiße Herdplatte fassen), Fertigkeiten, Kenntnisse, Einstellungen, Vorlieben, Gewohnheiten usw. verändern (vgl. Nolting 2005). Nolting unterscheidet drei Typen von Lernvorgängen, die für den Bereich der Aggression von besonderem Interesse sind: 1. Lernen am Modell 2. Lernen am Erfolg und Misserfolg 3. kognitives Lernen Bandura fügt noch die „Unterscheidung von Lernen und Ausführen“ hinzu. Er ist der Meinung, dass die Theorie des sozialen Lernens aggressiven Verhaltens zwischen dem Erwerb von Verhaltensweisen und der evtl. Ausführung unterschieden werden muss. Diese Unterscheidung, die bei der Erörterung aggressiven Verhaltens allgemein übersehen wird, wird deshalb hervorgehoben, weil Menschen nicht alles, was sie lernen, in ihren Verhaltensweisen auch zeigen. Wenn aber aggressive Verhaltensformen gelernt worden sind (z.B. Lernen am Modell), bestimmen im Wesentlichen die sozialen Umstände, ob und wann sie ausgeführt werden. Bandura wies in einen Versuch (1965) mit Kindern nach, dass die Jungen eher dazu neigen das vorher gesehene aggressive Verhalten nachzuahmen, als die Mädchen. Die Jungen wurden zu ihrer aggressiven Verhaltensweise ermuntert, da sie gelernt hatten, dass es keine Konsequenzen für sie hat. Im Gegensatz dazu behielten die Mädchen, bei denen körperliches Aggressionsverhalten traditionell 45 als für ihr Geschlecht ungehörig betrachtet und deshalb negativ sanktioniert wird, viel von dem was sie gelernt hatten, für sich, ohne Rücksicht darauf, wie auf das Verhalten des Jungen reagiert wurde. Aggressives Verhalten wird im Wesentlichen über dieselben Prozesse erlernt, die auch den Erwerb jeder anderen Verhaltensform regulieren. Menschen lernen durch Beobachtung und durch unmittelbare Erfahrung. Lernen am Modell Neue Verhaltensweisen kann man oft einfach und schnell erwerben, indem sie bei anderen Menschen beobachtet werden. Schon einfache Beobachtungen machen offenkundig, dass menschliches Verhalten in hohem Grad sozial vermittelt wird. Dies kann durch einflussreiche Modelle bewusst oder unbewusst geschehen. Modellierungseinflüsse spielen bei den Lernprozessen des täglichen Lebens eine wichtige Rolle. Zum Beispiel wo kostspielige oder gefährliche Konsequenzen beim fehlerhaften bedienen einer Maschine, entstehen. Es müssen kompetente Modelle zur Verfügung stehen, die demonstrieren, auf welche Art und Weise die erforderlichen Aktivitäten ausgeführt werden sollen (vgl. Bandura 1979). Wie im Kapitel 6 bereites erwähnt, spielt die Familie und die Gesellschaft als Vorbild, in der Entwicklung eines Kindes, eine wichtige Rolle. Aggressive Erziehungsmodelle sind ein bedeutsamer Risikofaktor. Der aggressive Einfluss der Eltern kann auf die Kinder ein ganzes Leben lang wirken. Das heißt ein aggressiver Umgang mit anderen Kindern, sowie auch Jahre später im Umgang mit den eigenen Kindern und dem Ehepartner. Ein Kind wird, das was es beobachtet, egal ob positiv- oder negatives Verhalten nachahmen, wenn positive bzw. gar keine Konsequenz auf ihr Verhalten folgt (vgl. Nolting 2005). 46 Lernen am Effekt Menschen und teilweise auch Tiere lernen aus den Konsequenzen ihres Verhaltens, welches „Lernen am Effekt“ genannt wird. Dieses Lernprinzip erklärt allerdings nicht, warum ein Mensch bestimmte Aggressionsformen zeigt, sondern warum er so handelt. Er führt es z.B. aus, weil das Verhalten in Form von angeborenen Fähigkeiten wie stoßen, beißen, kratzen usw. zur Verfügung steht. Oder weil Lernen am Modell statt fand, oder weil es durch problemlösendes Denken entwickelt wurde (raffinierte Verbrechen, militärische Taktik). Ob aber von dem verfügbaren Verhalten tatsächlich Gebrauch gemacht wird, hängt von Banduras These „Unterscheidung von Lernen und Ausführung“ ab. Nicht alle aggressiven Verhaltensweisen werden von den Kindern und Jugendlichen nachgeahmt (vgl. Nolting 2005, Bandura 1979). Es kommt darauf an, welchen Nutzen sie daraus ziehen können. Haben sie einen emotionalen Gewinn oder erzielen sie Nutzeffekte durch das Erlangen von etwas Positivem oder im Abwenden von etwas Negativem? Erfolge sind nicht nur ein entscheidender Faktor für Lernvorgänge, sondern auch für die Motivation zu aggressivem Verhalten. Die Erreichung dieses Effektes (Motivation) bildet eine Verhaltensbereitschaft auch für künftige Situationen aus – und das ist der Lernaspekt in dem Geschehen (ebd.). Klassisches Konditionieren Der Konditionierungsansatz des Lernens erforscht die Möglichkeit, dass ein Großteil des komplexen Verhaltensrepertoires von Tieren und Menschen in Kategorien einfacher Reiz-Reaktions-Verbindungen kennzeichnet, und dieses als Reflexe bezeichnet. Der Vorgang des klassischen Konditionierens wird mit einer Reihe weiterer Begriffe belegt: • Lernen bedingter Reaktionen, • Lernen konditionierter Reaktionen, • Lernen respondenten Verhaltens • Signallernen und • Assoziationslernen (S-S und S-R- Assoziation) (vgl. Petermann 2006) 47 Das klassische Konditionierungsverfahren wurde 1905 von Iwan P. Pawlow entwickelt. Dieses Verfahren beginnt immer mit einem Reflex, der bereits vorhanden ist. Sein Hundeexperiment ist weltberühmt deshalb werde ich es nur kurz anschneiden. Gibt man einem hungrigen Hund Futter, so sondert er Speichel ab. Diese Speichelabsonderung ist ein unbedingter Reflex (vgl. Selg 1974). Dieser Reflex ist unbedingt in dem Sinne, dass er von nichts abhängt: Wenn Nahrung, dann Speichelfluss! (vgl. Krech u.a. 2006). Lässt man der Fütterung einen neutralen Reiz, z.B. einen Glockenton vorrausgehen, dann zeigt das Tier auf den für ihn neutralen Reiz zunächst keinen Speichelfluss. Nach wiederholten Kopplungen von einem neutralen Reiz und einem unbedingten Reiz ist jedoch ein Speichelfluss allein durch den ursprünglichen neutralen Reiz zu erzielen. Der neutrale Reiz ist zum bedingten Reiz geworden, ein bedingter Reiz ist ausgebildet. Das klassische Konditionieren setzt natürliche, unbedingte Reflexe oder reflexartige Reaktionen voraus (vgl. Selg 1974). Nach Petermann (2006), ist Pawlows Stimulussubstitutionstheorie als Prinzip der klassischen Konditionierung nicht ausreichend bzw. in manchen Fällen nicht zutreffend, um Verhalten im Sinne einer konditionierten Reaktion vorherzusagen. Die konditionierte Reaktion kann der unkonditionierten sehr ähnlich, aber auch sehr unähnlich sein. Pawlow selbst benutze ausgetüftelte Versuchsmethoden, er variierte systematisch das eine oder andere Merkmal seines Verfahrens, um die Grundprinzipien des Erwerbs von konditionierten Reaktionen herauszufinden (vgl. Krech u.a. 2006). Auch Menschen können konditioniert werden. Wie beim Hund der Speichelfluss, kann bei einem Menschen die Atemreaktion, Übelkeit, Blinzeln oder sogar der elektrische Hautwiderstand konditioniert werden. Gerade die physiologischen Gegebenheiten sind es, die durch Entspannungsverfahren konditioniert werden können. Bei entspannungsgeübten Personen können anfangs neutrale Reize, wie die Worte „Warmer Arm“, oder auch eine spezielle Sitz- oder Körperhaltung, zu einem konditionierten Stimulus (CS) und zu körperlichen Entspannungsreaktionen (CR) führen. 48 Selbst emotionale Reaktionen wie Wut, Ärger, Schreck, Furcht oder Angst können konditioniert werden (vgl. Petermann 2006). Das klassische Konditionieren bietet in der Aggressionsforschung Ansätze zur Erklärung einiger Wut/ Ärger Reaktionen. So reicht es z.B. oft schon aus, den Namen einer Person zu hören, die einen ständig ärgert, um eine Missstimmung auszulösen. Möglicherweise findet eine Generalisierung auf seine ganze Familie, seine Freunde oder seine Landsleute satt. Nach Selg (1974) lernen wir durch klassisches Konditionieren gefühlsmäßige Reaktionen auf neutrale Reize zu übertragen und so auch negative Einstellungen gegen bestimmte Objekte zu erwerben. Durch die klassische Konditionierung erwirbt der Mensch, aber kein Verhalten im eigentlichen Sinne. Dieses geschieht dann beim operanten Konditionieren (ebd.). Operantes Konditionieren Zwischen dem klassischen und operanten Konditionieren besteht der Unterschied darin, dass beim klassischen Konditionieren eine Person auf einen vorausgegangenen Reiz reagiert. Beim operanten Konditionieren erfährt eine Person die Konsequenz für ihr Verhalten (nachfolgender Reiz). Erfährt eine Person keine Konsequenz auf ihr Verhalten oder Reaktion, kann es dazu führen, dass das Verhalten häufiger oder intensiver auftritt oder gehemmt wird. „ Damit ist das Verhalten eine Funktion seiner Konsequenzen“ (vgl. Petermann 2006). Im operanten Konditionieren wird daher auch von Verstärkungslernen und instrumentellem Lernen gesprochen. Beim Verstärkungslernen geht es um positive aber auch negative Verstärkung. Eine positive Verstärkung besteht darin, ein angenehmes oder erwünschtes Verhalten einer Person durch einen angenehmen Reiz als Konsequenz zu fördern. Die negative Verstärkung ist nicht mit einer Bestrafung zu vergleichen, vielmehr wird ein unangenehmer, negativer Reiz entfernt (ebd.). 49 Reiz angenehm Reiz unangenehm (Zunahme) (Abnahme) Stimulus Eine Situation nach Positive (Reiz) (Positive) Bestrafung einer Reaktion Verstärkung Einen unangenehmen Reiz dazugeben hinzufügen Aus einer Situation nach einer Reakti- (Negative) Bestrafung on entfernt Ein angenehmer Reiz wird (Negative) Verstärkung Unangenehmer Reiz wird entfernt entfernt Abb.4: Operantes Konditionieren (Anlehnung an Skinner) Skinner nennt drei Arten der positiven Verstärkung: • Primäre Verstärker Es ist ein unkonditionierten Stimulus, da es Instinkt bestimmt zu sein scheint, z.B. Nahrungszufuhr, Sexualität, Schlaf usw. • Sekundäre (Konditionierte) Verstärker Sie erhalten die Verstärkung erst mit Kovariationen mit primären Verstärkern, d.h. sie werden in einem individuellen Lernprozess erworben. • Generalisierte Verstärker Sie erhalten ihre Wirkung durch die Möglichkeit, in fast beliebige Belohnungsarten ein- oder umgetauscht werden zu können z.B. Token (vgl. Rost 2001). 50 Bei der negativen Verstärkung besteht die Belohnung in der Abschwächung oder der Beendigung von etwas Unangenehmen, Schmerzhaften usw. Solche Reize können, wie bei den positiven Verstärkern, in primäre, sekundäre und generalisierte bzw. in materielle, soziale und aktivitätsbezogene Verstärker eingeteilt werden. Fazit Die eingangs gestellte Frage lautete: Gibt es Wege aus der Aggression? Nolting (2005) hält das „abreagieren“ z.B. über Kampfsport für nicht nützlich. M.E. ist die Definition von Kampfsport nicht eindeutig. Es gibt Kampfsportarten die durchaus nur von einer Person ausgeführt werden wie z.B. Schattenboxen, selbst Karate Übungen können ohne Partner bewältigt werden, so dass die Wut bzw. Aggression nicht auf eine andere Person übertragen wird. M.E. kann körperliche Erschöpfung dazu dienen, die Situation zu Deeskalieren. Durch den „Zeitgewinn“ und die Erschöpfung ist es möglich, die Aggression als ggf. nicht mehr für nötig oder überspitzt zu betrachten. Bandura (1979) sowie Nolting (2005) sind der Meinung, dass wenn eine Person von einer vorausgegangenen Provokation abgelenkt wird, auf dieser Weise die erregenden Grübeleien ausgeschaltet werden, so dass diese Person eine merkliche Spannungsreduktion erlebt. Dies ist auch Ziel vieler Trainingsprogramme. Dollard ist der Meinung, dass Aggressionen aufgrund von Frustrationen entstehen. Diese Frustrationen würden nach Dollard, häufiger bei sozial benachteiligten Menschen bestehen da es ihnen u.a. an verbalen Fähigkeiten fehle und sie daher vieles falsch oder auch gar nicht verstehen. Sie fühlen sich provoziert und schlagen deshalb häufiger zu. Daher ist nach Nolting (2005) eine „vernünftige Erziehung“ sehr wichtig. Diese Erziehung sollte neben viel Liebe und Verständnis noch zwei weitere Ziele haben: • Die Kinder müssen lernen auch mit Hindernissen und unerfüllten Wünschen klar zu kommen und • es muss psychischer Schaden vermieden werden. Seiner Meinung nach sind diese Ziele auf jeden Fall ein Weg aus der Aggression bzw. ein Weg der Prävention. 51 8. Diagnostikmöglichkeiten Wie kann eine Diagnostik bei aggressivem Verhalten aussehen? Es gibt verschiedene Formen der Diagnostik. In diesem Kapitel werde ich mich mit der sonderpädagogischen Diagnostik beschäftigen. Die sonderpädagogische Diagnostik ist eine pädagogische Diagnostik, die den Prozess der Bildung, Erziehung und Förderung unter erschwerten Bedingungen begleitet. Die Pädagogen, die diagnostisch tätig sind, müssen in einem formellen Überprüfungsverfahren im Unterricht oder in Einzelsituationen Entwicklungs-, Erziehungs- und Bildungsprozesse von Kindern und Jugendlichen erkennen, beschreiben und schlüssig beurteilen. Diese Aufgaben werden unter der Vorstellung des Menschenbilds in Fragestellungen transformiert und mit geeignet erscheinenden diagnostischen Konzepten (Methoden und Strategien) einer Lösung zugeführt (vgl. Borchert 2000). Heute beschäftigt sich die Diagnostik im Bereich der Sonderpädagogik vor allem mit der Problemsituation eines einzelnen Kindes, welches im Kontext der Beeinflussung durch das Umfeld einen individuellen Förderbedarf benötigt. Bei Kindern mit Verhaltensstörungen ist die primäre Aufgabe der sonderpädagogischen Diagnostik, Störungen hinsichtlich ihrer Ätiologie (Ursache bestehender Krankheiten), besonders im Zusammenhang mit störender Bedingungen zu erkennen, damit das Kind geschützt und eine positive Veränderung in dessen Umfeld entstehen kann (vgl. Bundschuh 2005). Bei welchen Kindern ist es notwendig eine Diagnose zu stellen? Bundschuh (2005, 41f) führt einige Möglichkeiten auf: 1. Kinder, die in früher Kindheit und im vorschulischen Alter als auffällig, teilweise auch als „entwicklungsverzögert“ bezeichnet werden. 2. Kinder, die bei der Einschulung individuellen sonderpädagogischen Förderbedarf aufweisen [..]. 3. Kinder, die in der Regelschule auffällig werden [..]. 52 4. Kinder, die aufgrund ihres Verhalten in der Regelschule „als nicht mehr tragbar“ gelten. 5. Kinder, die irgendwelche Lernleistungen und im Sozialverhalten [..] Schädigungen aufweisen […]. 6. Körperbehinderte oder hinsichtlich ihrer Motorik beeinträchtigte Kinder. 7. Sprachgestörte und –behinderte Kinder. 8. Beeinträchtigte Schüler die vor der Berufswahl stehen. 9. Allgemein gesehen Kinder, Jugendliche und Eltern, die sich im Rahmen von Erziehung und Unterricht (Lernen) in Notsituationen befinden […]. Petermann und Petermann (2005) zählen zu den wichtigen Aufgaben einer Diagnostik vor allem die Ermittlung von Befunden, anhand derer eine Diagnose erstellt und eine Interventionsplanung statt finden kann. Die Diagnostik dient als ein Problemlösungs- und Entscheidungsprozess, der in den verschiedenen Phasen einer Intervention mehrfach wiederholt, aber auch revidiert werden kann (vgl. Petermann & Petermann 2005). Folgende Erhebungsmethoden sind nach Petermann/Petermann ein zu setzten: • Gespräche mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen (um in der Gesprächssituation störungsrelevante Defizite und Kompetenzen zu beobachten), • Fragebögen und Tests (z.B. der EAS von Petermann & Petermann 1996a), • Aktenstudium (Akten des Jugendamts und der Gerichte, etc.) • Verhaltensbeobachtungen (in den systematischen Verhaltensbeobachtungen werden Häufigkeit, Art und Ausprägung von aggressiven Prob- 53 lemverhalten sowie alltägliche soziale Situation erfasst (vgl. Lauth, Brack, Linderkamp, 2007). Im weiteren Verlauf dieser Arbeit, werde ich mich ausschließlich mit der Diagnostik aggressiven Verhaltens befassen. Grundgedanke zur Diagnostik aggressiven Verhaltens Wie ein Verhalten einzustufen ist hängt von vielen Faktoren ab. Petermann und Petermann (2005) schlagen zur Informationserhebung die Einstellungs-, Verhaltens- und die Umweltebene vor. Desweiteren sind umfassende Befragungen und Beobachtungen des als aggressiv eingestuften Kindes und seiner Bezugsperson mit einzubeziehen. Die Exploration eines Kindes sollte getrennt von seinen Eltern erfolgen. Eltern, wie auch das Kind, benötigen einen Schutzraum indem sie unbeeinflusst ihre Probleme und Sichtweisen schildern können. Verfahren zur Erfassung aggressiven Verhaltens Es wurden viele unterschiedliche Verfahren zur Erfassung aggressiven Verhaltens entwickelt, daher sollte man bei der Auswahl einer Diagnostik sehr sorgfältig vorgehen. Bei den unterschiedlichen Kombinationen diagnostischer Zugänge und Methoden sollte darauf geachtet werden, dass - aggressives Verhalten optimal zu erfassen, - komorbide Störungen zu identifizieren und - psychosoziale Beeinträchtigungen und Kompetenzen abzuschätzen sind (vgl. Petermann/ Petermann 2005). Da es unterschiedliche Verfahren zur Erfassung aggressiven Verhaltens gibt, werde ich mich in dieser Arbeit nur auf Petermann und Petermann (2005) beziehen. Zur Erfassung aggressiven Verhaltens wenden Petermann und Petermann vor allem folgende Verfahren an: das indirekte Verfahren, qualitative Verfahren, das direkte Verfahren, die Erfassungsbreite und die Strukturierungsgrade. Das indirekte Verfahren ist eine Befragung des Betroffenen oder der Außenstehenden Personen wie Eltern oder Lehrer. Damit wird versucht das Problem auf 54 eine Gesprächsebene zu erfassen. Im direkten Verfahren wird das diagnostische Erst-, oder auch Familiengespräch geführt, welches in unterschiedlichen hoch- und niedrigstrukturierten Interviews oder Fragebogenverfahren verläuft. Das qualitative Verfahren ist gleichzeitig auch ein indirektes Verfahren, da man sich mit diesem Verfahren das aggressive Verhalten eines Kindes erschließen kann. Wenn man ein Problemverhalten in einer Konfliktsituation unmittelbar feststellen kann, dann handelt es sich um ein direktes Verfahren (ebd.). Die Erfassungsbreite diagnostischer Verfahren kann sich sehr variabel sein. Während einige Verfahren auf der Basis des DSM-IV (aggressives Verhalten) ermitteln, definieren andere Verfahren einen großen psychopathologischen Bereich wie Hyperaktivität, Depression, usw. Auch die Strukturierungsgrade sind in den diagnostischen Verfahren sehr unterschiedlich. Unstrukturierte Verfahren legen weder die zu explorierenden Bereiche noch die Beurteilungsmaßstäbe in differenzierter Weise fest (vgl. Petermann/Petermann 2005). Aus dieser Vielzahl an Verfahren habe ich mich für die HasE- Diagnostik entschieden. Handlungsempfehlungen aus subjektiver Expertensicht (HasE) Die Handlungsempfehlungen aus subjektiver Expertensicht ist eine von Tänzer (2006) neu entwickelte Methode. Hierbei handelt es sich um ein strukturiertes Vorgehen aus der subjektiven Sicht von Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen, das in qualitativer und quantitativer Form erhoben werden kann. Wenn Ärzte, Pädagogen und Psychologen ein Gespräch mit einem Kind führen, werden sie dabei von Bildkarten unterstützt. Dabei wird das betroffene Kind selbst als Experte „seiner Problemlage“ verstanden. Der unterstützende Pädagoge ist dabei u.a. für die Analysierung und Exploration der Problemlage zuständig. Da die Kinder die Bildkarten beschreiben (dazu später mehr) wird deutlich wie diese „Handlungsempfehlungen“ der Kinder eine Veränderung möglich werden lassen und wie diese umgesetzt werden könnte. 55 Aber nicht nur die Sichtweise der Kinder und Jugendlichen ist relevant, sondern auch die der Eltern, Lehrer oder anderen Bezugspersonen (peers), um eine Betrachtung dieser Sichtweisen unterstützend für die Veränderung einzusetzen. Die Eltern u.a. erstellen die Außensicht eines Kindes indem sie ebenfalls mit den Bildkarten arbeiten und versuchen „ihr Kind“ in den Bildern wieder zu finden. Das Kind erstellt die Innenansicht. Diese beiden Ansichten werden dann in einem weiteren Schritt miteinander verglichen. Diese Vorgehensweise führt zu dem Gesamtbild einer Problemlage und ermöglicht Schlussfolgerungen für eine Förderung, die an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen sowie den Bezugspersonen orientiert ist (Tänzer 2006). Durch den HasE soll aus der Sicht des Kindes und aus der Sicht der Bezugsperson eine genaue Erfassung von Fördermöglichkeiten entstehen. Da diese Methode von Tänzer (2006) konzipiert wurde und ich mich im weiteren Verlauf nur auf ihn beziehe, werde ich im Verlauf des Textes keine weiteren Quellen Angaben vornehmen. Die Methode von HasE Die HasE- Diagnostik wird durch Bildkarten erfasst, die die subjektiven Sichtweisen in den Bereichen Beschreibung, Erklärung, Prognose und Technologie in Bezug auf eine Problemlage bzw. einen Gegenstandsbereich wie Aggressionen oder Ängste beschreiben. Die Bereiche Technologie und Prognose beinhalten die praktische Umsetzung von Aspekten und werden daher in dieser Methode zusammengefasst. Wie bereits erwähnt besteht diese Methode aus Bildkarten, die den betroffenen Personen, Kindern, Jugendlichen und/ oder Bezugspersonen, vorgelegt werden. Auf diesen Karten sind Bilder zum Thema Aggression abgebildet. Zum Beispiel zeigt die Karte „Schädigungsabsicht gegen Gegenstände, Tiere und Personen“ wie ein Junge einem Mädchen ins Gesicht schlägt, eine Katze tritt oder einen Gegenstand gegen die Wand wirft. In weiteren Bildern kann das Kind zum Beispiel durch die Karten sagen, dass es sich durch die Eltern zurückgesetzt und abgelehnt fühlt. Auch Karten für positive Aspekte wie Ausdauer und Selbstbewusstsein finden sich wieder. Desweiteren befindet sich unter den 56 Karten eine Fragezeichenkarte für weitere Nennungen, falls die zu befragende Person sich bzw. eine andere Person nicht auf den vorhandenen Karten wiederfindet. Die Karten sind bunt und von „Handgezeichnet“. Zum Beispiel trägt die Hauptfigur, in diesem Fall ein Junge, immer das gleiche grün-weiße T-Shirt, so dass ein Wiedererkennungswert für die Kinder besteht. Diese Bildkarten sind für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren geeignet. Für ältere Kinder und Jugendliche von zwölf bis zwanzig Jahren sind die Zeichnungen Comic ähnlich gehalten, aber auch mit Wiedererkennungseffekt der Hauptfigur (in diesem Fall auch ein Junge). Als erstes sollen die zu befragenden Kinder die Bilder auf den Karten nur erkennen und beschreiben. Dabei ist es noch nicht wichtig, dass die Kinder den Aspekt der Karte benennen. In dieser ersten „Beschreibungsrunde“ geht es nur um die subjektive Sichtweise der Kinder, daher ist ihre Interpretation der Karten wichtig. Es müssen dem Kind alle Bildkarten aus dem Bereich „Beschreibung“ vorgelegt werden. Im nächsten Schritt, dem Bereich „Erklärung“ werden die Kinder dazu befragt ob die Beschreibung der Bilder auch auf ihr Verhalten zutrifft. So ergeben sich für das Kind relevante und nicht relevante Aspekte. Um auf die Intensität und Häufigkeit von bedeutsamen Aspekten eingehen zu können, entwickelte Tänzer eine Rating-Skala. Diese Rating-Skala zeigt auf den Bildkarten Würfelaugen von eins, als wenig häufig eingestuft, bis sechs Augen für sehr häufig und intensiv eingestuft. Den Kindern können im Laufe des Gesprächs die Karten vorgelegt werden, so dass sie die Häufigkeit und Intensität ihres Verhaltens benennen müssen. Desweiteren befinden sich unter den Bildkarten einige aus dem Bereich „Beschreibung“ relevante Aspekte von verursachenden Momenten. Dort können die Kinder beschreiben was ihres Erachtens nach den Auslöser ihres Verhaltens darstellt, z.B. zu wenig Beachtung durch eine Bezugsperson. Anschließend sollen die Kinder wieder mit den Würfelkarten beschreiben wie oft die beschriebene Situation in ihrem Alltag vorkommt. Von dem Pädagogen können im weiteren Verlauf des Gesprächs einige Karten aus den verschiedenen Teilbereichen aussortiert werden, die nichts mit dem Problem des Kindes zu tun haben, z.B. wenn ein Kind glaubhaft versichert, dass es eine bestimmte Situation noch nicht 57 erlebt hat, oder es in seiner Intensität und Häufigkeit so gut wie nie vorgekommen ist. Im Prognose und Technologie Bereich werden die angesprochenen Teilbereiche aus dem Bereich „Erklärung“ wieder aufgegriffen und im weiteren Gespräch mögliche Ansätze für eine Veränderung thematisiert. Dazu gibt es Beziehungskarten, auf denen die Eltern mit dem Kind, die Eltern mit dem Kind und eine Beraterin und der Junge mit seiner Schwester abgebildet sind. Wenn die Kinder den Bereich der Veränderung (Prognose) genannt haben, werden die Umsetzungsmöglichkeiten (Technologie) präsentiert. Sobald die Auswertung des Gesprächs vorliegt, stellt sich schnell heraus, dass die Kinder genaue Angaben, Beschreibungen und mögliche Ursachen über ihrer Situation bzw. ihrem Verhalten deutlich erkennen können. Jetzt können auch die Aussagen der Bezugsperson des betroffenen Kindes, die ebenfalls dieses „Kartengespräch“ durchlaufen haben, verglichen werden. Um einen höheren Erkenntnisgewinn zu erzielen, können Bezugspersonen mit der Sichtweise der befragten Kinder konfrontiert und anders herum, können die befragten Kinder mit der Sichtweise der Bezugsperson konfrontiert werden. Erste Evaluationserkenntnisse Nach Tänzer (2006) sind die ersten Ergebnisse sehr vielversprechend. Durch die HasE-Diagnostik ist eine fundierte Kind-Umfeld-Analyse möglich. Die Antworten der befragten Personen können zum größten Teil als ehrlich und nicht sozial erwünscht eingestuft werden. Durch die gewonnenen Erkenntnisse konnten Interventions- und Fördermöglichkeiten mit Erfolg umgesetzt werden. Weitere Bewertungen der HasE- Diagnostik werden in der nächsten Zeit noch erwartet. 58 Mögliche Grenzen von HasE Trotz des weitreichenden Nutzen hat die HasE- Diagnostik aber auch seine Grenzen. Die Anwendung bei Kindern unter drei Jahren ist aufgrund der kognitiven Entwicklung noch nicht möglich. Auch bei Personen mit stärkerer, intellektuellen oder kognitiven Beeinträchtigungen, mit emotionalen und psychischen Erkrankungen und pathologischen Depression stößt die HasE- Diagnostik laut Tänzer an seine Grenzen, da keine weitreichenden diagnostischen Beurteilungen zu erwarten sind. Auch bei sehr delinquenten Jugendlichen und Erwachsenen wird kein Erfolg bei der Datengewinnung vermutet. Nach Tänzer (2006) lässt sich der HasE aber als hilfreiche Methode zur Ermittlung von sinnvollen Fördermaßnahmen einsetzen. Fallbeispiel der Anwendung der HasE-Diagnostik an einer Schule für emotionale und soziale Entwicklung In diesem Fallbeispiel handelt es sich um einen 14jährigen Jungen, nachfolgend Willi genannt. Willi besucht seit einem halben Jahr eine Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung. Seit er diese Einrichtung besucht hat er ständig Streit mit seinen Mitschülern. Mal hat er die Streitereien provoziert und zum anderen lässt er sich schnell provozieren. Nach Provokation durch seine Mitschüler greift er diese körperlich an und schlägt zu. Dabei achtet er im Allgemeinen sehr genau darauf, dass er von keinem Erwachsenen beobachtet wird. Willi wurde für die Diagnostik ausgewählt, weil er aggressives Verhalten gegenüber seinen Mitschülern zeigt, und zwar in Form von u.a. Schlägen, Backpfeifen, Boxhieben. Durch die HasE-Diagnostik wird erhofft, dass Willi sich selbst erkennt und dass ihm durch geeignete Therapie- und Fördermaßnahmen, die aus dem HasE abgeleitet werden, die Möglichkeit gegeben wird alternative/ neue Wege zu finden, als den Mitmenschen Schaden zuzufügen. 59 Durchführung des HasE Wie oben erwähnt wurde die Diagnostik mit dem 14jährigen Schüler “ Willi“ durchgeführt. Willi verhielt sich kooperativ und beantwortete alle Fragen. Da das Gespräch aufgenommen wurde, werde ich im weiteren Verlauf das Wort „Interviewer“ benutzen. Willi wurde über das Gespräch aufgeklärt und sein Einverständnis zur Aufnahme des Gesprächs eingeholt. Das Gespräch hat eine gesamt Zeit von 40 Minuten. Aus Organisatorischen Gründen kann hier nicht das komplette Gespräch dargelegt werden. Daher werden nur ein paar Ausschnitte aufgezeigt. Aus dem Gespräch konnte m.E. herausgehört werden, wie angepasst Willi im Gespräch war. Er wusste genau worauf der Interviewer hinaus wollte und setzte alles daran die „richtigen“ Antworten zu geben. Obwohl er der Comic Figur den Namen „Pascal“ gab und nicht auf sich selbst bezog, sprach er m.E. bei der einen oder anderen Karte von sich selbst. Dieses kann m.E. aus seinem Verhalten, Mimik und manchmal doch sehr spontanen Antworten geschlossen werden, als ob er sich durch die Karten an eine bestimmte Situation erinnere. Auf einer Karte sollte Willi erklären ob er öfter Streit mit seinen Freunden oder Geschwistern hat. Der Interviewer war sich allerdings sicher (Aktenkunde), dass Willi keine Geschwister hat und wollte den Satz auf Freunde oder sonstige Personen umformulieren. Willi antwortete jedoch sehr schnell mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Doch eine kleine Schwester, nee, mit meiner kleinen Schwester habe ich noch nie Krach gehabt, eher etwas gebaut, oder so, aber kaputt gemacht, nee, ich war noch nie wütend bei ihr. Eine weitere Karte bezog sich auf das BMX fahren (Willi´s Hobby). Willi reagierte spontan und mit einem Lachen auf das Bild und sagte: 60 Da ist er echt wütend, da könnte er am liebsten ausrasten. Interviewer: Ist das eine Situation in der sich „Pascal“ auf sein BMX Rad setzen und losfahren würde? Willi: […] ich weiß ja nicht wo Pascal wohnt. M.E. hat Willi gemerkt, dass der Interviewer die erste Antwort auf die BMX Karte auf Willi bezog und nicht auf den „Pascal“. Er versuchte die Antwort zu „retten“ in dem er bei der nächsten Frage, ob „Pascal“ losfahren würde, sich länger Zeit ließ. Als der Interviewer ihm mitteilte, das „Pascal“ hier in der Nähe wohnt, kam Willi wieder überraschend schnell mit der Antwort: Dann würde er nach Kreyenbrück fahren. Eine weitere Karte beschrieb Willi wieder auffällig schnell. Die Karte zeigt „Pascal“, der einen anderen Jungen angreift. Willi: Der hat ne 6 geschrieben und will jemand anderes verprügeln. Interviewer: Ja? Willi: Ja, er weiß nicht wohin mit seiner Wut. Willi antwortet wieder ziemlich schnell und sehr sicher. M.E kann daraus geschlossen werden, dass er diese Situation schon ausgelebt hat. Die nächste Karte bezieht sich auf die vorangegangene Kartensituation. „Pascal“ greift einen Jungen an und dieser weint. Interviewer: Würde „Pascal“ dann aufhören, wenn sein Gegner weint? Willi: Glaub nicht. Interviewer: Der „Pascal“ würde weiter draufhauen? Willi: Ja. Auch bei dieser Karte ist der Interviewer sich sicher, dass Willi hier von sich selbst sprach und diese Situation ihm auch nicht fremd war. 61 Die nächste Karte befasste sich mit dem Rauchen bzw. Kiffen. Interviewer: Kennst du das? Willi: Ja, hab ich schon, aber gefällt mir nicht. Interviewer: Was war das für ein Gefühl? Willi: Ich war nur müde, nur müde und geschmeckt hat´s auch nicht. Da gehen die ganzen Gehirnzellen weg. M.E. war dies eine bewusst ehrliche Antwort. Auch bei der Karte der Empathie zeigte Willi eine ehrliche Reaktion. Er bezog die Karte wieder auf seine kleine Schwester. Er kann es nicht ertragen, wenn sie weint. Manchmal kommt sie dann zu ihm. Fazit Wie kann eine Diagnostik bei aggressivem Verhalten aussehen? Das war die eingangs gestellte Frage. In erster Linie wird Erfahrung im Bereich Diagnostik benötigt um eine Diagnostik zu erstellen. Das wurde m.E. bei der Hase-Diagnostik sehr deutlich. Diese Diagnostik ist für diagnostische Anfänger etwas schwierig zu bewältigen. M.E. war es ein Vorteil, dass der Interviewer das Kind bereits kannte und es einschätzen konnte, bei welcher Karte er die Wahrheit sagte und bei welcher nicht. Bei einem fremden Kind wäre dies nicht möglich gewesen. Diagnostische Verfahren, in denen vorgegebene Fragen von Klienten mit ja oder nein beantwortet werden, sind m.E. einfacher für einen geübten Diagnostiker durchzuführen. Beim HasE wurde mir schnell klar, wie wichtig eine neutrale Haltung des Interviewers ist. Es ist schwierig das Gespräch „nicht wertend“ zu führen. Der Klient soll ja möglichst frei und unbefangen die Bildkarten beschreiben. Anfänglich fiel es mir schwer, durch meine Fragen den Klienten nicht in bestimmte Bahnen zu lenken. Genauso schwer war es, die Reaktion des Schülers mitzubekommen und zu dokumentieren um aus dem Gesamteindruck Schlüsse ziehen zu können. 62 Insgesamt war das durch die Bildkarten gestützte „Gespräch“ m.E. ein voller Erfolg. Der Schüler kam gut ins Erzählen, konnte parallelen zu seinem Leben ziehen und Ideen entwickeln, wieso „Pascal“ bestimmte Verhaltensweisen zeigt. Dies wäre ohne die Karten nicht möglich gewesen. Allzu oft versandeten Gespräche in der Sackgasse: „ Wieso hast du das Gemacht?“ „Weiß nicht“. Auf Grund des HasE können nun weiterführende Schritte/ Fördermöglichkeiten eingeleitet werden. 63 9. Interventionen Nach Borchert (2000) weist ein aggressives und delinquentes Verhalten eine hohe Therapieresistenz auf. Bei jüngeren Kindern mit weniger starken aggressiven Verhaltensstörungen haben eingesetzte Behandlungen mehr Aussicht auf Erfolg, als bei delinquenten Jugendlichen. Dies spiegelt sich durch eine hohe Rückfallquote wider (ebd.). Kognitiv-behaviorale Ansätze verschiedener Trainingsprogramme, indem die delinquenten Jugendlichen z.B. • den Aufbau von Selbstkontrolle • die Selbstinstruktion • Ärgerkontrolltechniken und einen angemessenen Ausdruck von Emotionen • Perspektivübernahme und Empathie • die Verbesserung von Problemlösefähigkeiten und gewaltfreier Konfliktlösestrategien sowie • den Aufbau sozialer Kontakte lernen sollen, haben sich als effektiv erwiesen (vgl. Borchert 2000). Auch das Lernen durch Beobachtung ist sehr wirksam. Es sollte dann allerdings in vivo (durch das Leben), statt durch verschiedene Medien vermittelt werden (vgl. Linderkamp 2007). Desweiteren ist eine vertrauensvolle Beziehung zum Kind / Jugendlichen sowie eine positive authentische Wirkung auf das Kind sehr wichtig. Das Kind sollte den Inhalt einer Therapie verstehen und für realistisch und umsetzbar erachten. Der Therapeut oder auch Lehrer darf dabei den Entwicklungsstand des Kindes nicht außer Acht lassen (ebd.). Linderkamp (2007) stellt im Gegensatz zu Borchert (2000) fest, dass sich empirisch eine insgesamt hohe Wirksamkeit kognitiv behavioraler Interventionen bei Kindern und Jugendlichen belegen lassen. Desweiteren fand Linderkamp heraus, das Kinder zwischen 11 und 13 Jahren in 36 Einzelstudien deutlich besser abschnitten als Kinder im Alter von 5-7 bzw. 7-11 Jahren. Die Art und Schwere der Störung nahm hingegen keinen wesentlichen Einfluss auf die Behandlungswirksamkeit. 64 Nach Borchert (2000) und Nolting (2005) ist es notwendig, dass Kinder in einer Umgebung aufwachsen, die durch emotionale Wärme und Anteilnahme am Leben des anderen geprägt ist. Dies bedeutet soziales Interesse und Involvierung seitens der Erwachsenen, deren Aufgabe es ist, den Alltag, das gemeinsame Leben positiv zu gestalten. Gleichzeitig ist es auch notwendig, klare Grenzen für inakzeptables Verhalten zu vereinbaren und auf ihre Einhaltung zu achten (vgl. Borchert 2000). Da dieses oftmals in Familien nicht geschieht, werden auch verschiedene Interventionen in der Familie u.a. das Elterntraining angeboten. In den Elterntrainings lernen die Eltern, die Aktivitäten ihrer Kinder besser zu beobachten und prosoziales Verhalten zu loben, geringfügige störendes Verhalten [..] zu ignorieren, einfache, klare Anforderungen an die Kinder zu stellen und [..] wenn sie diesen nachkommen, zu loben, anderenfalls ein kurzes Auszeitverfahren anzuwenden (ebd.). Borchert äußert in der Form an den bisherigen Elterntrainingsprogrammen Kritik, dass die persönlichen Probleme und die sozioökonomischen Belastungen der Eltern in den Trainings nicht beachtet werden. Auch die Eltern müssen gestärkt, ihre Hilflosigkeit abgebaut und ihr Selbstvertrauen gefördert werden. Erst dann kann mit den Eltern daran gearbeitet werden, wie sie ihren Kindern helfen können. Die Kinder und Jugendlichen können während dieser Zeit z.B. Entspannungstechniken und/oder Stressbewältigungsstrategien erlernen. Zu den Entspannungstechniken gehören zum Beispiel autogene Trainings, progressive Muskelrelaxation oder auch Phantasiegeschichten wie z.B. die Kapitän Nemo Geschichten von Ulrike Petermann. Das Einüben solcher Entspannungsverfahren, eignet sich dann gut, wenn sich der Stressor (z.B. eine anstehende Klassenarbeit) selbst nicht ändern lässt. Bei kleineren Kindern können Eltern, Lehrer oder eine Audiokassette beim Erlenen der Übungen helfen. Größere Kinder oder Jugendliche müssen oft nur angeleitet werden, sie lernen die Entspannungsübungen selbst und aktiv in den entsprechenden Belastungssituationen. Nach Lauth, Linderkamp, Schneider und Brack (2008) ist es sinnvoll den Kindern die Grundgedanken des transaktionalen Stressmodells zu vermitteln. Die 65 Kinder sollen verstehen, dass Stress individuell unterschiedlich ist und dass Stress durch bestimmte Eigenschaften der stressauslösenden Situation und vom eigenen Verhalten abhängt. Entspannungsübungen oder Stressbewältigungsstrategien sind auch in Schulen durch geübte Lehrer oder auch Eltern durchführbar. Sie lassen sich in Einzeltrainings aber auch in Gruppen einüben. Fazit Wie oben nur kurz dargestellt gibt es unterschiedliche Interventions- und Trainingsverfahren, die sich mit aggressiven Verhalten befassen. Die Effektivität wird je nach Expertensicht unterschiedlich gewichtet. Offensichtlich sollte ein großes Augenmerk darauf gelegt werden, für welche Altersspanne welche Testverfahren und Trainings zur Anwendung kommen. Wichtig ist m.E. auch das die Kinder verstehen, warum sie diese Trainings und Übungen lernen sollen. Ansonsten hätten diese Übungen wenig Sinn. Die Umsetzung in der Schule, zum Beispiel von Entspannungsübungen sollte, im Stundenplan fest verankert werden. Gerade die regelmäßige Einübung und Anwendung ermöglicht meiner Meinung nach erst einen positiven Effekt in Krisensituationen. 66 10. Gesamt Fazit Mein Erkenntnisinteresse für diese Arbeit bestand darin, herauszufinden warum manche Menschen aggressiver sind bzw. aggressiver reagieren als andere und wie damit umgegangen werden kann. Eine weitere Frage war, warum manche Menschen sofort tätlich angreifen, wohingegen andere Menschen einen anderen Weg suchen um ihren Ärger raus zulassen. Diese Fragen werden im Laufe des Fazits beantwortet werden. Da ich jedes Kapitel mit einer Fragestellung und einem Fazit abgeschlossen habe, werde ich diese hier nur kurz wiedergeben. Beginnen werde ich mit der im 2. Kapitel gestellten Frage ob es eine einheitliche Definition von Aggression gibt. Nachdem ich mehrere Definitionen verschiedener Autoren erläutert habe, schloss ich im Fazit, dass diese Frage verneint werden müsse, eine einheitliche Definition gibt es nicht, doch haben die Theorien eines gemeinsam, dass eine Aggression mit der Schädigung einer anderen Person zu tun hat. Die Antwort aus dem zweiten Kapitel führt mich zur Frage des 3. Kapitels. Gibt es verschiedene Formen der Aggressionen? Nach einer kurzen Einführung stellte ich die verschiedenen Formen der Aggressionen vor. Im Laufe der Arbeit stellte sich heraus das es sehr viele Erscheinungsformen der Aggression gibt und somit auch eben so viele Gründe, warum die Menschen so unterschiedlich auf Aggressionen reagieren bzw. damit umgehen. Die Formen der Aggressionen überschneiden sich und es gibt Kombinationsvarianten. Um eine genaue Diagnose der Aggressionsform zu stellen, darf nicht nur aus der sichtbaren Handlung geschlossen werden, sondern es muss der gesamte Kontext gesehen werden. Das führt uns zum 4. Kapitel indem Freuds, Lorenz’ und Dollards Theorien betrachtet werden. Freud ist der Meinung, dass das gesamte menschliche Denken und Handeln, somit auch die Aggression, immer auf der Grundlage der Sexualität bestimmt wird, während Lorenz von einem Triebsystem spricht, das eine eigene Quelle aggressiver Energie unabhängig von externer Stimulation erzeugt. Dollard versuchte Aggression 1939 damit zu erklären, dass immer der Aggression eine Frustration vorausgehen muss. Somit kann die eingangs gestellte Frage, ob die Theorien Aggressionen erklären können, mit nein beantwortet 67 werden. Es gibt viele Theorien, die behaupten die Aggressionen erklären zu können. Die Frustrations- Aggressions- Hypothese von Dollard hielt den meisten Nachprüfungen nicht stand. Nach der Frage ob Theorien die Aggressionen erklären können schließt sich die Frage an, ob biologische Faktoren Schuld am aggressiven Verhalten sein können. Nachdem ich auf die Chromosomalen Anomalien und auf die Gehirn und Hirnschäden eingegangen bin, folgte daraus die Erkenntnis das biologische Faktoren eine Ursache für aggressives Verhalten sein können. Die verschiedenen Wissenschaftler sind sich allerdings nicht einig darüber ob Aggressivität vererbt wird oder nicht. Krech (2006) ist der Meinung das sowohl biologische, situationsbedingte Faktoren sowie Lerneinflüsse eine Rolle spielen. Das führt uns zu der Frage im 6. Kapitel. Haben verschiedene Einflüsse wie zum Beispiel die Umwelt, Sozialisation, das Alter usw. einen Einfluss auf Aggression bzw. auf aggressives Verhalten? Diese Frage kann eindeutig mit Ja beantwortet werden. Umwelteinflüsse wie z.B. Hitze, Kälte, Menschenansammlungen spielen eine große Rolle. Die Gesellschaft, die Eltern, Peers und die Medien sind maßgeblich an einer „aggressiven Entwicklung“ z.B. durch aggressive Modelle in der Familie, Gewalt in den Medien, Politische Gewalt usw. beteiligt. Aber wie kann damit umgegangen werden? Gibt es Wege aus der Aggression (Kapitel 7)? Ja, m.E. es gibt Wege. Da wären z.B. eine liebevolle Erziehung, Förderung bei Lernproblemen, denn wer sich verbal nicht wehren kann, wehrt sich unter umständen mit Gewalt. Auch das Problemlösende Denken ist sehr wichtig. Denn wenn man weiß, wie man sich in bestimmten Situationen zu verhalten hat oder sich in bestimmten Situationen verhalten sollte um eine Eskalation zu vermeiden, tritt man schon einen riesigen Schritt aus der Aggression heraus. Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten müssen lernen, dass Gewalt keine Lösung aus ihren Problemen darstellt. Es gibt mehrere Wege aus der Aggression und Lernen ist der beste Weg. Der erste Weg aus der Aggression kann eine Diagnostik darstellen (Kapitel 8). Es gibt verschiedene Formen der Diagnostik und wie ein aggressives Verhalten einzustufen ist, hängt von vielen Faktoren ab. Da es sehr viele Verfahren zur Erfassung von Aggressionen gibt, habe ich mich in dieser Arbeit auf den HasE 68 (Handlungsempfehlungen aus subjektiver Expertensicht) beschränkt. Diese Diagnostik wurde bei einem Schüler an einer Schule für Emotionale- soziale Entwicklung angewandt. Im Laufe des Gesprächs wurde immer ersichtlicher, dass der Schüler genau wusste worauf der Interviewer hinaus wollte und passte m.E. seine Antworten dem entsprechend an. Meiner Meinung nach sollte der Interviewer seinen Klienten bzw. Schüler schon kennen, um Schlüsse aus dem Gespräch ziehen zu können. Im 10. Kapitel konnte leider nicht ausführlicher auf die Interventionsmaßnahmen eingegangen werden. Nur soviel, dass es unterschiedliche Meinungen zur Effektivität der Trainingsmaßnahmen im Bezug auf das Alter der Kinder gibt. Nach Borchert (2000) erscheint die Therapie mit delinquenten Jugendlichen nicht so wirksam wie die bei jüngeren Kindern zu sein. Wobei Linderkamp (2007) darlegt, dass die Therapien mit Jugendlichen auch mit schwerer Störung Erfolg haben kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich meine eingangs gestellten Fragen alle beantworten ließen, sich daraus aber weitere Fragen und Interessen entwickelten und ich diese evtl. in der Masterarbeit weiter ergründen möchte. Z.B. helfen Konfliktschlichter Trainings? Oder hilft Klassische Musik zur Entspannung einer ganzen Klasse, Autogenes Training usw. 69 10. Schlusswort Wie im Gesamt Fazit schon erwähnt haben sich meine Fragen für mich alle beantwortet. Doch im Laufe der Arbeit entwickelten sich weitere Fragen die alle nach einer Antwort verlangen z.B. die Interventionsmöglichkeiten in der Schule. Durch die Arbeit habe ich gelernt mich mit viel Literatur gleichzeitig zu befassen und konnte daher viele unterschiedliche Standpunkte erkennen. Ansonsten hat es mir sehr viel Freude gemacht mich mit dieser Bachelorarbeit zu befassen. Daher habe ich die Bachelorarbeit m.E. so konzipiert, dass ich die Masterarbeit darauf aufbauen kann. Meine Fragen konnten durch das Studium verschiedener Theorien/ Autoren beantwortet werden. Doch es entwickelten sich weitere Fragen wie zum Beispiel: • Interventionsmöglichkeiten in der Schule • Langzeitstudien und Wirksamkeiten Spannend war für mich die Erfahrung, dass in Gesprächen mit meinen Freunden, Lehrer oder Kommilitonen jeder festgelegte Ansichten über die Fragen was ist Aggression, wie entstehen sie und wie kann man mit ihnen umgehen, hatte. Vieles davon ist jedoch nicht „wissenschaftlich“ fundiert sondern ist eher eine „Gefühlssache“. Dies bringt mich zu der Frage, in wie weit man Einfluss auf Aggressives Verhalten nehmen kann, gerade in der Schule, ohne seine Bemühungen auf eine wissenschaftliche Theorie zu gründen. Kann Schule Interventionsmaßnahmen ergreifen, ohne eine fundierte Diagnostik? Reicht es zu reagieren oder wie kann oder sollte man agieren. 70 Quellenverzeichnis Monografien • Bandura, A. (1979) : Aggressionen- Eine sozial – lerntheoretische Analyse 1. Auflage, Klett Verlag, Stuttgart • Benner, K.U. (1997): Gesundheit und Medizin heute 3. Auflage, Bechtermünz Verlag, • Borchert, J. (2000): Handbuch der sonderpädagogischen Psychologie, Hogrefe Verlag, Göttingen • Bundschuh, K. (2005): Einführung in die sonderpädagogische Diagnostik, 6. Auflage, Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel • Buss, D.M. (2004): Evolutionäre Psychologie, 2. Auflage, Pearson Studium Verlag, Deutschland • Dollard, Doob, Miller, Mower, Sears (1971): Frustration und Aggression, Beltz Verlag, Weinheim • Döpfner, Schürmann, Fröhlich (2007): Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischen und oppositionellem Problemverhalten THOP, 4. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim, Basel • Dutschmann, A. (2003): Aggressionen und Konflikte unter emotionaler Erregung – Das Aggressions- Bewältigungs- Programm, ABPro, 2. Auflage dgvtVerlag 71 • Eisenberg, G. (1993): Jugend und Gewalt – Der neue Generationskonflikt oder der Zerfall der zivilen Gesellschaft, Rowohlt Verlag • Gratzer, W. (1993): Mit Aggressionen umgehen, 1. Auflage, Westermann Verlag • Hillenbrand, C. (2006): Einführung in die Pädagogik bei Verhaltensstörung, 3. Auflage, Reinhardt Verlag, München • Karnath, H.-O., Thier,P. (2006): Neuropsychologie, 2. Auflage, Springer Verlag, Heideberg • Krech, D., Crutchfield, R. (2006): Grundlagen der Psychologie, Studienausgabe, Beltz Verlag, Augsburg • Lauth, Schlottke (2002): Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern, 5. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim • Lauth, Linderkamp, Schneider, Beck (2008): Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen. Praxishandbuch, 2. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim • Linder (1992): Biologie – Lehrbuch der Oberstufe, 20. Auflage, Metzler Schulbuchverlag Stuttgart • Linderkamp, F., Grünke, M. (2007): Lern- und Verhaltensstörungen Genese- Diagnostik- Intervention, 1. Auflage, Beltz Verlag, Weinheim • Mitscherlich, W. (1969): Die Idee des Friedens, Suhrkamp Verlag • Myschker, N.(1993): Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen Erscheinungsformen – Ursachen- Hilfreiche Maßnahmen ,5. Auflage, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 72 • Nolting, H.-P. (2005): Lernfall Aggression – Wie sie Entsteht – Wie sie zu Vermeiden ist. Eine Einführung. Vollständig überarbeitet Neuausgabe, Rowohlt Verlag, • Petermann, F. (2006): Kinderverhaltenstherapie Grundlagen, Anwendung und Ergebnisse, 3. Auflage, Schneider Verlag, Hohengehren • Petermann, F., Petermann, U. (2000): Aggressionsdiagnostik Kompendium Psychologische Diagnostik, Band 1, Hogrefe Verlag, Göttingen • Rost, D.-H. (2001) : Handbuch Pädagogischer Psychologie, 2. Auflage, Beltz Verlag Weinheim • Selg, H. (1974): Menschliche Aggressivität Theorien, Diagnostik, Therapiemöglichkeiten, Hogrefe Verlag Göttingen • Sommerfeld, V. (1996): Umgang mit Aggressionen Ein Arbeitsbuch für Erzieher, Lehrer und Eltern, Luchterhand Verlag • Tänzer, U. (2007): Kind- Umfeld- Analyse durch Handlungsempfehlungen aus subjektiver Expertensicht (HasE), Hase Verlag • Trescher, H.-G., Finger-Trescher, U. (1995): Aggression und Wachstum Theorie, Konzepte und Erfahrungen aus der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, 3. Auflage, Matthias- Grünewald- Verlag Mainz Zeitschriften: • Geo Wissen Nr. 32 Jh. 2003 Haegele A.: Gewalt ist männlich, Gemeinheit weiblich S. 81-87 73 Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Unterschrift…………………………………………………………………………. 74