Kapitel_03 29..33

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3.1 Symptomebenen
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Symptome und Stærungen verstehen
Michael Lotzgeselle
3.1
Symptomebenen
Dieses Kapitel soll helfen, die Symptome zu verstehen, die uns bei psychischen Stærungen begegnen.
Folgende Fragen stehen dabei im Zentrum:
Auf welchen Ebenen åuûern sich psychische
Symptome?
Auf welche Weise sind kærperliche Ablåufe beteiligt?
Welche Rolle spielt die Kommunikation?
Psychische Stærungen åuûern sich primår auf den
Ebenen
Fçhlen;
Denken;
Verhalten (Abb. 3.1).
Hinzu kommt, da sich seelisches Erleben (und
somit auch psychisch gestærtes Erleben) in kærperlichen Ablåufen widerspiegelt, die physiologische
Ebene.
Ûber die Sinnesorgane erhålt der Organismus eine
Fçlle von Stimuli (Eindrçcke aus der Umwelt und der
eigenen Kærperwahrnehmungen). Diese Eindrçcke
werden auf den genannten Ebenen (Fçhlen, Denken, Physiologie, Verhalten) verarbeitet.
Ein åuûerer Stimulus kann z. B. der Anblick einer
Spinne sein. Die zunåchst wertfreie Information
¹Spinneª wird vom Gehirn registriert und erfåhrt
dort eine weitere Verarbeitung auf den oben genannten Ebenen.
Abb. 3.1
3.1.1
Fçhlen
Fçhlen (empfinden) kann man auf der emotionalen
Ebene (z. B.: Trauer, Freude, Ørger, Wut, ...), und der
kærperlichen (somatischen) Ebene (Herzrasen,
Schweiûausbruch, zittern, ...) oder auf beiden Ebenen.
In unserem Beispiel kommt es, wenn eine Spinnenphobie vorliegt, zu Angsterleben (Emotion)
verbunden mit kærperlichen Sensationen wie Zittern und Herzrasen.
3.1.2
Denken/Kognition
Die kognitive Ebene beschreibt alle gedanklichen
Vorgånge, die als Reaktion auf eine Wahrnehmung
ablaufen. Im Beispiel vielleicht: ¹Ich ertrage den
Anblick nicht!ª, ¹gleich verliere ich die Kontrolle
çber mich!ª
3.1.3
Verhalten
Der Organismus nimmt çber das Verhalten Kontakt
mit der Umwelt (Ehepartner, Mutter, Bruder,
Schwester, ...) auf. Im Beispiel vielleicht in lautem
Schreien, ziellosem Umherlaufen und Hilfeerflehen
(Appell!).
Die Verhaltensebene stellt damit die Verbindung
zur Umwelt her, die ihrerseits in charakteristischer
Weise reagiert (Kommunikation!).
Im Beispiel læst der Appell mæglicherweise Hilfsverhalten und Zuwendung beim Partner aus
(schlågt die Spinne tot, nimmt Partner in den
Arm, træstet, ... ).
Die Reaktion der Umwelt wird dann selbst wiederum zum Stimulus, wodurch sich ein bestimmtes Verhalten verfestigen kann. Wenn Sie wie im
genannten Beispiel erfahren, dass sie auf hilfloses,
desorganisiertes Verhalten Schutz und Zuwendung
bekommen, wird sich diese Reaktionsweise mæglicherweise verfestigen.
Symptomebenen
Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag
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3 Symptome und Stærungen verstehen
3.1.4
Kærper/Soma
Jedes Erleben wird von physiologischen Ablåufen
begleitet, die dem Individuum teilweise bewusst
sind, teilweise aber auch unbewusst ablaufen. Der
Kærper reagiert sowohl mit kurzfristigen als auch
mit långerfristigen Verånderungen auf psychischen
Stress. Sofortreaktionen sind: Herzrasen, Blutzuckererhæhung, Muskelanspannung, Erhæhung
des Kortisolspiegels, Blutdruckerhæhung. Bei Fortdauer der Stresssituation kommt es zu dauerhaften
3.2
Umstellungen wie Muskelhårten, chronischer Bluthochdruck, erhæhter Cholesterinspiegel (Abbauprodukt des Stresshormons Kortisol) und damit
auch langfristig zu Gefåûerkrankungen mit den
Folgeerkrankungen Herzinfarkt und Schlaganfall.
Die chronische Verspannung der Muskulatur kann
letztlich auch zu Bandscheibenvorfållen fçhren.
Im Beispiel (Spinnenphobie) kommt es zur Ausschçttung von Adrenalin, wodurch sich die Herzfrequenz erhæht (bewusst), aber auch der Blutzuckerspiegel ansteigt (unbewusst).
Stærungsbilder und ihre Leitsymptome
Im Folgenden werden nun die wichtigsten psychiatrischen Stærungsbilder nach ihren Leitsymptomen beschrieben. Auûerdem mæchten wir Ihnen
eine gewisse Ordnung vorstellen, nach der die
Stærungen einzuteilen sind. Nach der Qualitåt der
Leitsymptome unterscheiden wir 2 Hauptgruppen
psychischer Stærungsbilder:
Stærungsbilder mit psychotischer Leitsymptomatik: Dazu zåhlt man die Schizophrenie, die affektiven Psychosen (Manie, Depression) und die organischen Psychosen (Delir);
nicht psychotische Stærungsbilder: z. B. Angsterkrankungen, Zwangserkrankungen, Suchterkrankungen, Essstærungen, etc. (Tab. 3.1).
Psychotische Stærungen sind gekennzeichnet durch
den Verlust des Realitåtsbezugs und verminderte
Krankheitseinsicht. Der Betroffene erlebt die Psychose u. U. als ¹normalª und fçhlt sich weder behandlungsbedçrftig noch åuûert er einen subjek-
Tabelle 3.1 Ûbersicht çber die Charakteristika von psychotischen und nicht psychotischen Stærungen
psychotische Stærung
nicht psychotische Stærung
Psychopathologie viel
wenig
Krankheitseinsicht
gering oder nicht
vorhanden
vorhanden
Realitåtsbezug
geht oft verloren
erhalten
Symptomatik
nur schwer nachfçhlbar, da dem normalen
Erleben fremd: Wahn,
Halluzination, bizarre
Denkstærungen
nachfçhlbar, da
dem normalen
Erleben nicht
fremd
genetischer Anteil hoch
geringer
tiven Leidensdruck. Es finden sich bei psychotischen Stærungen deutlich mehr psychopathologisch auffållige Befunde als bei nicht psychotischen
Stærungen.
Leitsymptome sind je nach Art der Psychose
Wahn;
Halluzinationen;
extreme affektive Entgleisungen;
Desorientiertheit.
Nicht psychotische Krankheitsbilder åhneln dem
¹normalenª Erleben. Angst ist z. B. eine Empfindung, die fçr alle Menschen mehr oder weniger
vorstellbar und einfçhlbar ist. Auch Zwånge sind
vielen nachvollziehbar. Wer hat sich nicht schon
einmal gefragt, ob die Kaffeemaschine wirklich
aus, das Wasser abgedreht, das Licht ausgeschaltet
ist? Krankheitswert hat das allerdings noch nicht.
Erst wenn der Betroffene einen subjektiven Leidensdruck verspçrt, seine Leistungsfåhigkeit beeintråchtigt ist oder zwischenmenschliche (soziale) Probleme auftreten, wird von einer psychiatrisch relevanten Stærung gesprochen. Es handelt
sich bei nichtpsychotischen Stærungen also um
einen eher quantitativen als um einen qualitativen
Unterschied zum normalen Erleben. Bei nicht psychotischen Stærungen sind die Krankheitseinsicht
und der Realitåtsbezug erhalten. Beispiele sind:
Angststærungen;
Zwangsstærungen;
Sucht;
Essstærungen;
Depression (falls keine psychotischen Symptome
das Symptombild kennzeichnen).
Betrachten wir nun die Leitsymptomatik der wichtigsten Stærungsbilder. Auf Symptome, die bereits
in Kap. 2 erlåutert wurden, wird nicht mehr erklårend eingegangen.
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3.2 Stærungsbilder und ihre Leitsymptome
3.2.1
Psychotische Stærungen
Schizophrenie
Die Schizophrenie und die affektiven Psychosen
(Depression und Manie) zåhlt man zu den sog.
funktionellen Psychosen.
Wenn von ¹Psychoseª gesprochen wird, ist oft
die Schizophrenie gemeint. Die Wahrscheinlichkeit, bis zum 40. Lebensjahr an Schizophrenie zu
erkranken, liegt çberall auf der Welt, unabhångig
von Rasse oder Kultur, bei etwa 1 %. Månner und
Frauen erkranken etwa gleichhåufig. Etwa 1/3 der
Erkrankungen verlaufen ¹gutartigª mit oft nur
einer Krankheitsphase, die folgenlos ausheilt. Bei
einem weiteren Drittel kommt es zu wiederholten
Schçben, die z. T. eine Verånderung der Persænlichkeit des Betroffenen hinterlassen. Ein weiteres
Drittel verlåuft als allmåhlicher Prozess mit
ungçnstiger Prognose, der letztlich in ein chronisches Stadium, das Residualsyndrom, einmçndet.
Als Grundstærung der Schizophrenie beschrieb
Bleuler 1911 das Wesen der Schizophrenie als
eine elementare Stærung der seelischen Einheit;
eine Zersplitterung und Aufspaltung des Denkens
und Fçhlens und letztlich der ganzen Persænlichkeit. Hierdurch wird das fçr den nicht psychotischen Menschen selbstverståndliche Gefçhl, eine
abgegrenzte Einheit zu sein, læchrig (Ich-Grenze,
Ich-Demarkation). Der Schizophrene fçhlt im Kontakt zum Nåchsten die Gefahr der Verschmelzung,
die er als Auflæsung seiner selbst erlebt. Diese
Auflæsung wird auch als Desintegration bezeichnet.
Die Einzelteile seines seelischen Lebens læsen sich
aus ihrer Verankerung und stçrzen wie ein Bauwerk, das seine Statik verliert, zusammen. Diese
Desintegration ist mit Gespaltensein gemeint.
Viele der im Folgenden beschriebenen Symptome
erklåren sich aus dieser grundlegenden Bedrohung
der seelischen Einheit, die als Ich-Stærungen bezeichnet werden.
Symptomatik
Grundsåtzlich unterscheidet man zwischen Positivsymptomatik bzw. produktiver Symptomatik
einerseits und Negativ- oder Minussymptomatik
andererseits.
Positivsymptome: Gemeinsam sind den Positivsymptomen, dass sie fçr den Diagnostiker relativ
leicht erkennbar sind, da sie in ihren Erscheinungsweisen der Umwelt auffallen (deshalb auch produktive oder Plus-Symptome). Produktive Symp-
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tome sind charakteristisch fçr die akute Verlaufsform und klingen håufig unter medikamentæser
Behandlung rasch ab.
Zu den Positivsymptomen zåhlt man vor allem
Halluzinationen (z. B. Stimmenhæren), Wahn (z. B.
Verfolgungswahn), katatone Symptome (z. B. Stupor) und Ich-Erlebnisstærungen.
Halluzinationen. Halluzinationen sind Stærungen
der Wahrnehmung (siehe S. 25), die håufig im
Rahmen der Schizophrenie vorkommen. Insbesondere akustische Halluzinationen in Form von Stimmen, die das Tun des Betroffenen kommentieren,
mitunter auch in Form von Befehlen (imperative
Stimmen). Prinzipiell sind aber Halluzinationen in
allen Sinnesqualitåten mæglich, insbesondere
auch kærperbezogene Halluzinationen (charakteristische kærperliche Empfindungen). Typisch fçr
die schizophrene Psychose ist allerdings das
Hæren von Stimmen. Dem Kranken erscheint die
Stimme so real wie jede andere wirkliche Stimme
auch.
Wahn. Das Phånomen Wahn wurde bereits in Kap.
2, S. 26 eingehend dargestellt. Die Schizophrenie
ist nun eine der Erkrankungen, die håufig durch
eine Wahnsymptomatik entscheidend mitgeprågt
wird. Håufige Wahnvorstellungen bei Schizophrenen sind Verfolgungs- und Beziehungsideen.
Dabei wird das Verhalten anderer vom Patienten
wahnhaft auf sich selbst bezogen. Geschehnisse
in der Umgebung des Kranken erlangen eine spezifische, speziell auf ihn bezogene Bedeutung (alles
hat mit ihm zu tun und geschieht seinetwegen).
Daneben gibt es auch Græûenideen im Rahmen
der Schizophrenie. Oft kommt es zu besonders bizarren Wahnformen mit Phånomenen, die fçr den
Kulturkreis des Betroffenen als vollkommen abwegig erscheinen. Zum Beispiel, dass der Nachbar das
Verhalten çber magnetische Wellen kontrolliert,
dass Menschen dem Kranken çber das Fernsehen
besondere Nachrichten çbermitteln, oder dass eigene Gedanken anderen gesendet werden.
Ich-Erlebnisstærungen. Hierzu gehæren Gedankeneingebung und Gedankenentzug. Es handelt sich
dabei um Beeinflussungserlebnisse, die als ¹von
auûen gemacht und gelenktª empfunden werden.
Katatone Symptome. Zu den katatonen Symptomen zåhlt man Bewegungsauffålligkeiten wie Stereotypien, Manieriertheiten, Bewegungsdrang und
den katatonen Stupor (siehe Kap. 2, S. 23).
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3 Symptome und Stærungen verstehen
Negativ- oder Minussymptome: Anders als die Positivsymptome wirken die Negativ- oder Minussymptome auf den ersten Blick weniger auffållig.
Sie åuûern sich zum Beispiel in einem Mangel an
Energie und Ausdauer. Die Betroffenen sind antriebsgemindert und haben kaum noch Interesse
an ihrer Umwelt. Sie wirken deshalb gleichgçltig
und unbeteiligt. Sie sind aufmerksamkeitsgestært
und kænnen nicht mehr çber långere Zeit konzentriert eine Aktivitåt verfolgen (z. B. Lesen). Hinzu
kommen Sprachverarmung und Affektverflachung
(Einbuûe von Stimmung, Befindlichkeit, Zumutesein). Gespråche verarmen oder versiegen. Der
Kranke braucht långer als ein durchschnittlicher
Gesunder, bis er auf eine gestellte Frage antworten
kann. Die Sprache ist oft abgehackt und stockend.
Gemeinsam ist dem Symptomkomplex der Minus- oder Negativsymptomatik, dass es zu einem
Defizit kommt (Energie, Interesse, Sprache und
Gefçhl verarmen). Hieraus erklårt sich das Minus
bzw. Negativ, das diesen Symptomen als Ûberschrift voransteht. Minussymptome treten schleichend, oft prozesshaft auf und werden deshalb
håufig lange nicht richtig angesprochen. Die Negativsymptome sind es auch, die bei ungçnstigem
Krankheitsverlauf das chronische Stadium, das Residualsyndrom (siehe unten), bestimmen und weniger gut auf medikamentæse Behandlung ansprechen. Neuere Medikamente zeigen hier allerdings
hoffnungsvollere Perspektiven auf.
Affektverflachung. Die Affektverflachung zeigt sich
in einer weitgehenden Einbusse der affektiven
Schwingungsfåhigkeit. Insbesondere leidet die im
Alltag çbliche Variationsmæglichkeit der Gemçtsreaktionen. Ereignisse im Umfeld werden gefçhlsmåûig nicht mehr adåquat beantwortet. Der Erkrankte wirkt unbeteiligt und ungerçhrt (¹wurstigª). Bleibt nach Abklingen der akuten Erkrankung
eine Restsymptomatik bestehen, zeigt sich håufig
eine Verarmung des Gefçhlslebens. Beeintråchtigungen der Affektivitåt zeigen sich auch in Phånomenen wie Parathymie und Gefçhlsambivalenz.
Parathymie. Als Parathymie werden nicht angemessene Gefçhlsåuûerungen oder mimische Reaktionen bezeichnet. Die erlebten Gefçhle stimmen
nicht mit dem Inhalt des gegenwårtig Erlebten
çberein (ein Patient berichtet, er sei in der letzten
Nacht in schauerlicher Weise gefoltert worden und
lacht dazu).
Ambivalenz. Unter Ambivalenz versteht man ein
Nebeneinander von positiven und negativen
Gefçhlen. Unvereinbare Gefçhlszustånde und
Wçnsche kænnen nebeneinander stehen (z. B.
Liebe und Hass auf ein und denselben Menschen).
Manchmal ist bei Patienten eine oberflåchliche,
grundlose Heiterkeit zu beobachten (låppische Gestimmtheit), welche als Grundstimmung durch åuûere Umstånde kaum zu beeinflussen ist. Auch
hier liegt eine verminderte bis aufgehobene affektive Schwingungsbreite vor.
Schizophrene Denkstærungen. Die typischen schizophrenen Denkstærungen werden teilweise zu
den produktiven, teilweise zu den Minussymptomen gerechnet. So wurden bereits die schizophrenen Erscheinungsweisen des Wahnphånomens
oben besprochen. Ebenso die Konzentrationsstærungen. Insbesondere die schizophrenen IchStærungen bewirken charakteristische Beeintråchtigungen des Denkens. So reiûen Gedankengånge
plætzlich ab (Gedankenabreissen) oder sind versperrt (Gedankensperrung) oder kænnen im Empfinden des Betroffenen der eigenen Kontrolle entzogen werden (Gedankenentzug). Håufig hat der
Betroffene ein Gefçhl der Fremdbeeinflussung
(Gefçhl des Gemachten).
Weitere Denkstærungen sind:
Lockerung der logischen Abfolge der Gedanken:
Die Gedanken werden unorganisiert und fragmentieren. Die Bandbreite dieser sog. Zerfahrenheit des Denkens reicht von einer leichten Lockerung der logischen Verbindungen (der Zuhærer
bekommt Mçhe, den Sinn des Gesagten zu erfassen) çber das Auftreten von sprunghaften und
unlogischen Gedankengången bis hin zum sog.
Wortsalat, einem vællig zusammenhanglosen
Aneinanderreihen von Wærtern, wobei selbst
die Wærter unverståndlich werden kænnen:
± Neologismen: Wortneuschæpfungen;
± Kontaminationen: Verschmelzung mehrerer
Wærter zu einem Begriff.
Nach dem Abklingen einer akuten schizophrenen
Phase kommt es nicht selten zu einem depressiven
Syndrom (postschizophrene Depression oder postremissives Erschæpfungssyndrom).
Verlauf
Oft kçndigt sich eine schizophrene Erkrankung in
der sog. Prodromalphase an. Typisch ist der sog.
Leistungsknick (abrupter Leistungsabfall in der
Schule oder im Beruf). Es kænnen eigentçmliche
Vorstellungen oder magisches Denken wie Aberglaube, Hellseherei, Telepathie, etc. hinzukommen.
Beziehungsideen (¹andere kænnen meine Gefçhle
spçrenª) und çberwertige Ideen treten auf. Der Er-
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3.2 Stærungsbilder und ihre Leitsymptome
krankte zieht sich dann oft von seinen sozialen
Kontakten zurçck und entwickelt autistisch anmutende Verhaltensweisen.
Fallbeispiel: Ein bis zu diesem Zeitpunkt weitgehend unauffålliger guter Schçler zeigt deutlich abnehmende Schulleistungen, wirkt desinteressiert
und veråndert in seinem Verhalten. Seine Freunde
finden ihn zunehmend schwierig im Umgang. Mal
ist er mitteilsam, dann wieder aggressiv ablehnend,
bis er sich immer mehr abkapselt und zunehmend
skurrilere Verhaltensweisen annimmt (redet z. B.
oft stundenlang im Park auf einer Bank vor sich hin).
Bei etwa 2¤3 der schizophrenen Erkrankungen
kommt es zu mehr oder weniger erkennbaren,
dauerhaften Symptomen, die im weiteren Verlauf
der Erkrankung immer deutlicher das Symptombild bestimmen. Man nennt dieses chronifizierte
Bild Residualsyndrom. Es handelt sich dabei um
eine Persænlichkeitsånderung : Das seelische Leben
verarmt. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr
zurçck (Beruf, soziales Leben) und zeigen autistische Verhaltensweisen (man hat das Gefçhl,
kaum noch zu den Betroffenen ¹durchzudringenª,
die sich immer mehr in ihrer Welt einspinnen).
Durch eine zunehmende Verflachung des Affektes
wirken die Kranken abgestumpft, antriebsschwach
und unbeeindruckt von åuûeren Umstånden. Oft
besteht auch ein Restwahn, mit dem sich die Kranken und deren Umwelt oft arrangiert haben.
Manchmal kommt es zur Verwahrlosung und skurrilen, eigenbrætlerischen Verhaltensweisen (z. B.
Sammeln von Mçll, Reden an Straûenråndern, etc.).
Natçrlich kommt es zu erheblicher Beeintråchtigung der Rollenerfçllung im Beruf, in der Schule
und in der Familie. Daneben finden sich dauerhafte
Stærungen des Denkens, der Sprache (siehe oben)
und der Bewegungsmuster (katatone Symptome
wie z. B. Stereotypien).
Die Langzeitprognose ist umso gçnstiger, je akuter die Symptomatik beginnt (plætzlicher Beginn
mit produktiven Symptome: z. B. Wahn und Halluzinationen) und je deutlicher die situativen Auslæser sind (z. B. schwere Krankheit einer bedeutenden Bezugsperson, Trennung, etc.).
Formen der Schizophrenie
Je nach Ausprågung bestimmter Symptome unterscheidet man folgende Untertypen der Schizophrenie:
paranoid-halluzinatorische Form: Wahn und
Halluzinationen prågen das Bild des Erkrankten;
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katatone Form: Vorherrschen der psychomotorischen Stærungen. Im Rahmen der heute çblichen
medikamentæsen Behandlung ist dieser Subtyp
selten geworden;
hebephrene Form: Affektstærungen stehen im
Vordergrund. Distanzgemindert aufdringliches
Verhalten kann neben eruptiven Gefçhlsausbrçchen und albernen, lçmmelhaften Verhaltensweisen (¹Faxenª) stehen. Der Affekt ist
dabei oberflåchlich im Rahmen einer verminderten affektiven Schwingungsfåhigkeit. Der Beginn
der Ersterkrankung liegt meist im Jugendalter.
Schizophrenia simplex: Symptomarme Form. Es
fehlen vor allem die produktiven Symptome. Negativsymptomatik prågt das Symptombild.
Die akuten Formen der Schizophrenie (paranoidhalluzinatorische Schizophrenie, katatone Schizophrenie) verlaufen i. d. R. schubweise. Bei ihnen
stehen die produktiven Symptome (Positivsymptomatik) im Vordergrund (akuter bizarrer Wahn,
Halluzinationen, katatone Symptome). Die Prognose dieser ¹dramatischª verlaufenden Subtypen
ist relativ gçnstig.
Eher schleichend und prozesshaft verlaufen die
Schizophrenieformen (Schizophrenia simplex, hebephrene Schizophrenie), die wenig produktive
Symptome hervorbringen, sondern vorrangig
durch Minussymptomatik in Erscheinung treten.
Diese Formen der Schizophrenie åhneln von Anfang an der Residualsymptomatik. Sie haben eine
ungçnstigere Prognose; nicht zuletzt, da die Symptome oft lange nicht erkannt werden und Medikamente bislang auf diese Symptome weniger gut
wirken.
Grundlagen und Ursachen
Bei der Verursachung von Schizophrenie wird wie
bei allen anderen psychiatrischen Erkrankungen
von einem Zusammenwirken unterschiedlicher
Faktoren ausgegangen, wobei hier allerdings die
genetische Veranlagung (Disposition) eine bedeutendere Rolle spielt. Oft findet sich eine psychoreaktive Verursachung der Krankheitsschçbe. Solche auslæsenden Faktoren kænnen besondere Lebensumstånde und Lebenserfahrungen sein (z. B.
Stærungen im Miteinander der Familie oder der
Partnerschaft, siehe auch Kap. 4, S. 62). Auch der
Verlauf der Erkrankung kann wesentlich durch besondere Lebensumstånde beeinflusst werden. So
zeigt sich beispielsweise, dass die Rçckfallquote
bei Schizophrenen hæher ist, die in Familien leben,
die sich gegençber dem Erkrankten çbermåûig
behçtend verhalten.
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