5.2 Räumliche Integration

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MODUL:
AGRARPREISBILDUNG AUF EU-MÄRKTEN
WS 01/02
ULRICH KOESTER
5.2: RÄUMLICHE INTEGRATION – INTERREGIONALER PREISZUSAMMENHANG1
Einleitung und Lernziele
Bei der Darstellung der Grundlagen der Preistheorie werden Märkte in der Regel zunächst als
isolierte Punktmärkte betrachtet. Mit anderen Worten, es wird von der räumlichen Dimension
der Märkte abgesehen. Die Wirkung agrarmarktpolitischer Maßnahmen und Änderungen von
regionalen Bestimmungsfaktoren der Nachfrage und des Angebots wird aber erheblich vom
Ausmaß des interregionalen Preiszusammenhangs bestimmt. So kann z.B. das Auftreten der
Schweinepest in Holland zu erhöhten Erzeugerpreisen für Schlachtschweine in Deutschland
führen und die Ankündigung einer speziellen Erstattungsausschreibung für Exportweizen
aus norddeutschen Häfen wird erwartungsgemäß Auswirkungen auf die Getreidepreise auch
in Bayern zur Folge haben.
In diesem Kapitel wird:
•
•
•
•
•
der Preiszusammenhang zwischen räumlich getrennten Märkten
analysiert,
erläutert, welche Rolle Transport- und Transaktionskosten bei der
räumlichen Preisbildung spielen,
gezeigt, dass es auch bei nichthandelbaren Gütern zu räumlichen
Preiszusammenhängen kommt,
die Bedeutung der räumlichen Preisbildung für das Produktsortiment eines Verarbeiters analysiert,
die Wirkung von staatlichen Eingriffen auf die räumliche Preisbildung erläutert.
1
LERNZIELE
!
Kapitel 11 von Koester, U. und S. von Cramon-Taubadel, Preisbildung: Theorie und Praxis auf Agrarmärkten. In Vorbereitung.
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
2
1 Räumliches Marktgleichgewicht für handelbare Güter
Die Preise für Güter auf räumlich getrennten Märkten stehen bei freiem Handel in engem Zusammenhang. Der Preiszusammenhang ist direkter und enger auf Märkten für handelbare als auf Märkten für nicht handelbare Güter. Im folgenden soll daher zunächst der
räumliche Preiszusammenhang für handelbare Güter dargestellt werden. In Abschnitt 2
werden anschließend nicht handelbare Güter untersucht.
1.1 Räumliches Gleichgewicht auf zwei Märkten ohne Transportkosten
Es ist naheliegend, dass der räumliche Preiszusammenhang für Güter, die handelbar
sind, vornehmlich von der Höhe der Transportkosten abhängig ist. Dennoch wird im folgenden zunächst von Transportkosten abstrahiert. Diese Vorgehensweise erlaubt es, die Bestimmungsgründe gleichgewichtiger räumlicher Preise herauszuarbeiten. Anschließend werden
die Bedeutung der Transport- und der Transaktionskosten für räumliche Preiszusammenhänge erläutert.
Zunächst wird davon ausgegangen, dass ein bestimmtes Gut auf vollkommenen Märkten und bei vollständiger Konkurrenz ausschließlich in zwei Regionen A und B angeboten
und nachgefragt wird. Im oberen Teil des Schaubildes 1 ist die entsprechende Situation dargestellt. In der Autarkiesituation (kein Handel zwischen A und B) ergeben sich in der Region A der Preis p0A und die Menge q 0A und in Region B der Preis p0B und die Menge q 0B . Findet Handel zwischen A und B statt, werden die Märkte in den Regionen A und B integriert.
Die regionalen Angebots- und Nachfragekurven können horizontal aggregiert werden. Als
Ergebnis ergibt sich die Konstellation, wie für die Gesamtregion dargestellt.
Die Integration der Märkte führt zu einer neuen Gleichgewichtsmenge und einem
neuen Gleichgewichtspreis. Die Gleichgewichtsmenge q A+ B ist größer als die Summe der
einzelnen Gleichgewichtsmengen ohne Handel. Der neue Gleichgewichtspreis p A+ B ist niedriger als der Preis in der Hochpreisregion A in der Autarkiesituation ( p0A ) und höher als der
Preis in der Region B in der Autarkiesituation ( p0B ). Als Folge dieser Preisänderungen wird
demnach in der Region A weniger angeboten und mehr nachgefragt, während in der Region
B das Angebot steigt und die Nachfrage sinkt. Aus Schaubild 1 wird auch ersichtlich, dass
33
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
die Angebots- und Nachfragekurven der Gesamtregion preiselastischer sind als die entsprechenden Kurven in den Regionen A und B.
Schaubild 1: Preisbildung auf regionalen Märkten
a) Aggregation regionaler Angebots-und Nachfragekurven
Region A
Region B
Gesamtregion
p
p
p
qD
A
q
q DA + q
S
D
B
A
qD
A
p0
q
B
S
B
qS+ q
A
B
p0
q A0
p
qB
q
0
S
B
A+B
q A+B
q
0
q
A+B
b) Regionale Angebots-und Nachfrageüberschußkurven
Region A
Region B
p
p
p
Gehandelte Mengen
A
0
p
Angebotsüberschußkurve
Angebotsüberschußkurve
p A0
B
p0
Nachfrageüberschußkurve
qA
p
Nachfrageüberschußkurve
qB
B
0
q A+B
q A+B
0
Dieser Zusammenhang wird im unteren Teil des Schaubildes 1 durch eine alternative
Darstellungsweise nochmals verdeutlicht. Es werden sogenannte Angebots- und Nachfrageüberschusskurven abgeleitet. In der Region A wird z.B. beim Preis p0A genau so viel
produziert, wie nachgefragt. Liegt der Preis höher (niedriger) als p0A , so wird in dieser
Region mehr (weniger) angeboten als nachgefragt. Es ergibt sich demnach bei
entsprechenden Preisen ein Angebotsüberschuss (Nachfrageüberschuss). Ausgehend von dem
Preis p0A , kann daher eine Angebotsüberschusskurve ableitet werden, die sich aus der
Differenz zwischen den angebotenen und nachgefragten Mengen bei Preisen größer p0A
4 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
4
den angebotenen und nachgefragten Mengen bei Preisen größer p0A ergibt. Analog dazu ergibt sich für Preise kleiner p0A eine Nachfrageüberschusskurve aus der Differenz zwischen
den nachgefragten und angebotenen Mengen. Einzelne Regionen werden je nach Höhe ihrer
Autarkiepreise und je nach Verlauf ihrer Angebots- und Nachfragekurven unterschiedliche
Verläufe von Angebotsüberschuss- und/oder Nachfrageüberschusskurven aufweisen. Im unteren Teil des Schaubilds 1 sind die Angebots- und Nachfrageüberschusskurven für Regionen
A und B entsprechend aufgezeichnet.
Da p0A > p0B und p0A ≥ p A + B ≥ p0B gelten muss, wird Region A auf dem integrierten
Markt als Nachfrager auftreten und Region B als Anbieter. Im rechten Teil des Schaubildes
1b) werden daher lediglich die Nachfrageüberschusskurve der Region A und die Angebotsüberschusskurve der Region B übertragen. Der Schnittpunkt dieser Kurven gibt an, welche
Mengen zwischen der Region A und der Region B gehandelt werden und zu welchem Preis.
Die Menge q A+ B gibt demnach die Exportmenge der Region B und die Importmenge der Region A an.
Anhand des Schaubildes 1 kann man erkennen, dass die Angebotsüberschuss- und
Nachfrageüberschusskurven preiselastischer sind als die Angebots- und Nachfragekurven,
von der sie abgeleitet werden. Dies folgt aus der Tatsache, dass die Überschusskurven Angebots- und Nachfragereaktionen gleichzeitig widerspiegeln. Wenn sich der Preis z.B. in der
Region B von p0B zu p A+ B ändert, dann verändert sich das Überschussangebot, weil a) in der
Region mehr produziert wird und b) in der Region weniger nachgefragt wird. Die Preiselastizität des Überschussangebots kann algebraisch wie folgt abgeleitet werden:
q ÜA = q A − q N
mit:
(1)
q ÜA = Überschussangebot,
q A = angebotene Menge und
q N = nachgefragte Menge.
Durch totales Differenzieren folgt:
dq ÜA = dq A − dq N
(2)
55
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
dq ÜA q A dq A q N dq N
= ÜA A − ÜA N
q
q
q ÜA
q
q
(3)
dq ÜA
dq A
dq N
qA qA
qN qN
q ÜA
= ÜA
− ÜA
dp
dp q
dp
q
p
p
p
(4)
und wegen
qA
qN
qA
S
= A
=
N
ÜA
q
q
S −1
q
− N
N
q
q
mit:
S=
bzw.
qN
qN
qN
1
= A
=
N
ÜA
q
q
S −1
q
− N
N
q
q
(5)
qA
( der Selbstversorgungsgrad)
qN
folgt
ε ÜA =
S
1
εA −
εN
S −1
S −1
(6)
Nach Gleichung (6) ist die Höhe der Preiselastizität des Überschussangebots einer
Region abhängig von der Angebotselastizität, der Nachfrageelastizität und dem Selbstversorgungsgrad in der Region. Der Koeffizient vor der Angebotselastizität ist immer größer
als Eins, da im Falle eines Überschussangebots (Exportsituation) S > 1 gelten muss. Der Koeffizient vor der Nachfrageelastizität ist demnach auch größer als Eins. Es kann daher angenommen werden, dass die regionale Überschussangebotselastizität erheblich größer ist als die
regionale Preiselastizität des Angebots. Eine analoge Aussage lässt sich für die Preiselastizität der Überschussnachfrage einer Region ableiten, d.h. ε ÜA > ε A und ε ÜN > ε N .
Es kann demnach gefolgert werden, dass Preiselastizitäten des Angebots und der
Nachfrage durch die Integration räumlich getrennter Märkte vergrößert werden. Diese Tatsache hat erhebliche Konsequenzen für die Wirkung regionaler Schocks. Fällt z.B. in einem
Jahr in Region A die Ernte eines nicht oder nur begrenzt lagerfähigen Gutes überdurchschnittlich hoch aus, so wird der Marktpreis in dieser Region bei Integration mit Region B
weniger fallen als im Autarkiefall. Da der Segen einer guten Ernte (der im Autarkiefall nur
einem begrenzten Nachfragerkreis zugute käme) bei räumlicher Integration einer Vielzahl
6 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
6
von Konsumenten zugute kommt, muss der Marktpreis weniger sinken. Marktintegration
führt folglich zu einer relativen Stabilisierung der Preise .
1.2 Räumliches Gleichgewicht auf zwei Märkten mit Transportkosten
Es ist offensichtlich, dass die Höhe der Transportkosten ein wesentlicher Bestimmungsfaktor regionaler Preisunterschiede ist. Ein Zusammenhang zwischen den Preisen in
unterschiedlichen Regionen kann nur dann bestehen, wenn Güter gehandelt werden. Handel
benötigt aber Transport. Bis in das 19. Jahrhundert hinein begrenzte im wesentlichen die Höhe der Transportkosten das Ausmaß des Handels mit Agrargütern. Auch in modernen Zeiten
kann eine unterentwickelte Infrastruktur den Handel auf dem Landwege sehr einschränken.
1969 berichtete Clark2 z.B., dass ein Träger in Ostafrika einen Lohn von 12,4 kg Getreide
pro km für den Transport von 1 t Getreide erhielt. Unter diesen Bedingungen erhält der Träger nach 80 km Transportweg einen Lohn, der der zu transportierenden Menge entspricht.
Bei solch hohen Transportkosten wird sich der Handel auf einen sehr kleinen Radius begrenzen, wahrscheinlich unter 20 km.
Anders ist es, wenn die Möglichkeit besteht, Wasserwege zu nutzen3. Viele ältere
Kulturen, wie Sumerer, Ägypter und Chinesen, benutzten Wasserwege, um landwirtschaftliche Güter zu transportieren. Die Inkas z.B. bauten ein Kanalsystem, um landwirtschaftliche
Güter in die Städte zu bringen. Allerdings beschränkte sich der Handel bis zum 20. Jahrhundert in der Regel auf den intrakontinentalen Bereich. Der Handel zwischen den Kontinenten
erfasste vornehmlich Güter mit einer hohen Wertdichte wie Gewürze, Seide und Edelmetalle,
wie aus Schaubild 2 ersichtlich ist. Eine Ausnahme stellte der Getreidehandel zwischen
Nordafrika und Europa in der Antike dar.
Schaubild 2: Historische Entwicklung des internationalen Handels mit Massengütern
2
CLARK, C., Problems of Subsistence Agriculture. Zeitschrift für ausländische Landwirtschaft, Bd.8,
S.241, 1969.
3
Vgl. WEBER, A., Long-Term Geographical Changes in International Agricultural Trade. Quarterly
Journal of International Agriculture, Bd. 23 Nr.2, 1984.
77
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
Wertdichte
Salz
Elfenbein
Edelsteine
Gewürze
Naturseide
Naturfarben
Häute
Felle
Wolle
Baumwolle
Zucker
Getreide
Vieh
Fleisch
Milchprodukte
Früchte
Gemüse
andere frische Produkte
A.D.
1000
1500
2000
Zeit
Agricultural Trade. "Quarterly Journal of International Agriculture", Vol.23
(1984), Nr. 2, S. 162.
Der internationaler Handel mit transportkostenintensiven und leicht verderblichen Agrargütern nahm im Laufe des 19. Jahrhunderts deutlich zu und hat sich bis heute weiter intensiviert. Heute kann behauptet werden, dass fast alle wichtigen Agrargüter auch interkontinental handelbar sind. Schaubild 3 verdeutlicht z.B. den Zusammenhang zwischen Frachtraten,
Handel und Preisen für Getreide.
Von 1820 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sind die Ozeanfrachtkosten für Getreide
stark gesunken. Weber4 schätzt, dass um 1820 die Transportkosten für Weizen von Nordamerika nach Europa die Hälfte des damaligen Weizenpreises ausmachten. Dieser Anteil sank bis
1875 mit Einführung der Dampftechnik auf 16% des damaligen Weizenpreises, was die Aufnahme des transatlantischen Handels mit Getreide ermöglichte. Heute liegen die transatlantischen Transportkosten für Getreide bei ca. 7 bis 8% des Weizenpreises. Inzwischen betragen
die Transportkosten für Getreide von New Orleans nach Rotterdam zwischen 5 und 15 US$/t
und damit weniger als die Kosten des Transports über 1000 km auf dem Landweg in
Deutschland.
8 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
8
Schaubild 3: Zur Entwicklung des internationalen Getreidehandels
Gramm Weizen/
Tonne und km
a) Entwicklung der Ozean-Frachtraten
80
60
40
20
0
1820
kg/Kopf
1860
1900
1940
1980
Zeit
1980
Zeit
1980
Zeit
b) Entwicklung des Weltgetreidehandels
40
30
20
10
0
1820
$/bushel *
1860
1900
1940
c) Entwicklung der realen Weizenpreise
7
6
5
4
3
2
1
0
1820
1860
1900
* 1 bushel=35,2 l (amerik.)
-----------------------------------------------4
. Siehe WEBER, A., a.a.O.
1940
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
99
Um Transportkosten zu berücksichtigen, muss die Ableitung der Angebots- und
Nachfrageüberschusskurven, wie sie in Schaubild 1 erfolgte, modifiziert werden. Aufgrund
von Transportkosten beginnen die Angebots- und die Nachfrageüberschusskurve nicht bei
den Autarkiepreisen p0A bzw. p0B , sondern ihre Ursprünge unterscheiden sich durch die Höhe
der doppelten Transportkosten. Region A z.B. wird nur dann zu einer Exportregion, wenn in
Region B ein Preis erzielt werden kann, der um mindestens die Höhe der Transportkosten
über dem Autarkiepreis p0A liegt. Gleichermaßen wird Region A aus Sicht von potentiellen
Exporteuren in Region B erst dann eine relevante Einfuhrregion, wenn der Preis in Region B
um mehr als die Transportkosten unterhalb p0A liegt. Die Berücksichtigung von Transportkosten führt daher zu Verschiebungen der Überschusskurven im Vergleich zu Schaubild 1.
Diese Verschiebungen werden in Schaubild 4 dargestellt.
Als Folge der Transportkosten verändert sich das Ergebnis des Handels zwischen den
Regionen A und B5. Aus Schaubild 4 wird deutlich, dass die gehandelten Mengen geringer
werden und es zwischen den Regionen zur Entstehung eines Preisunterschieds kommt. Die
Transportkosten führen dazu, dass der fob-Preis in der Exportregion B ( p BFOB ) niedriger liegt
als in der Situation ohne Transportkosten ( p0A+ B ). Ebenfalls wird der cif-Preis in der EinfuhrA
region A ( pCIF
) als Folge von Transportkosten höher liegen als es der Fall ohne Transportko-
sten war (auch p0A+ B ). Der cif-Preis ergibt sich aus dem Preis, den die Exporteure in der Region B erzielen, zuzüglich der Transportkosten. Ob die Importpreise mehr steigen oder die
Exportpreise mehr fallen, gegenüber der Situation ohne Transportkosten, hängt von den
Preiselastizitäten der Überschussangebotskurve bzw. der Überschussnachfragekurve ab.
5
Wichtig ist, dass die Transportkosten nicht doppelt gezählt werden. Zur Ableitung des Handelsgleichgewichts im rechten Teil von Schaubild 4 müssen die Transportkosten entweder auf der Export- oder aber
auf der Importseite berücksichtigt werden. In Schaubild 4 werden beide Möglichkeiten dargestellt, und es ist
ersichtlich, dass beide zum gleichen Ergebnis führen.
10 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
10
Schaubild 4: Preisbildung auf regionalen Märkten und Überschusskurven bei der Existenz von Transportkosten
p
A
pB
Angebotsüberschusskurve
p
A+B
Angebotsüberschusskurve
p
A
p
0
Nachfrageüberschusskurve
p
q
A
B
0
A+B
0
p A+B
1
Nachfrageüberschusskurve
q
B
q
A+B
0
q
A+B
1
q
A+B
Wichtig ist auch, dass die Berücksichtigung von Transportkosten dazuführt, dass
möglicherweise kein Handel zwischen den Regionen A und B stattfindet. Dies wäre der Fall,
wenn p0A − t < p0B und p0B − t < p0A . Ersichtlich wird, dass der Preisunterschied zwischen zwei
Regionen entweder der Höhe der Transportkosten entspricht6 (es findet Handel statt) oder
niedriger als diese Kosten liegt (es findet kein Handel statt).
1.3 Die Bedeutung der Transaktionskosten und unsichere Erwartungen
Würden beim Güteraustausch neben den physischen Transportkosten keine weiteren
Kosten entstehen, so würden die regionalen Preisunterschiede nicht größer sein als die Transportkosten. In der Realität entstehen aber beim Austausch von Gütern weitere Kosten, die
allgemein als Transaktionskosten bezeichnet werden. Diese führen dazu, dass regionale
Preisunterschiede die Höhe der physischen Transportkosten übersteigen. Zu den Transaktionskosten gehört z.B. die Informationsbeschaffung über die Höhe der Preise in anderen Regionen. Ein lückenhaftes bzw. unzuverlässiges Kommunikationsnetz kann dazu führen, dass
es erhebliche regionale Preisunterschiede gibt. Zu den Transaktionskosten gehören auch die
Kosten der Schließung und Durchsetzung von Verträgen. Der Austausch von Gütern erfolgt
in marktwirtschaftlichen Systemen in der Regel auf der Grundlage von Verträgen. Käufer
und Verkäufer erwarten, dass ihre Handelspartner Verträge erfüllen und Ware fristgerecht
liefern bzw. bezahlen. Mangelnde Klarheit über die genauen Spezifikationen eines Vertrages
6
Diese Aussage gilt natürlich nur bei einer Preisbildung auf vollkommenen Märkten und bei vollständiger Konkurrenz.
11
11
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
oder Schwierigkeiten bei der eindeutigen Festlegung der Vertragserfüllung (z.B. im Fall der
Lieferung minderwertiger Qualitäten), erhöhen die Transaktionskosten. Das Rechtssystem ist
entscheidend dafür, ob man auf eine schnelle rechtliche Klärung der Vertragsstreitigkeiten
hoffen kann. Ist das Rechtssystem in der Importregion aus Sicht des Exporteurs wenig durchschaubar oder unzuverlässig, so erhöhen sich für ihn die Transaktionskosten. Er wird daher
nur bereit sein, zu einem Preis in der Importregion anzubieten, der diese Kosten entsprechend
abdeckt.
Besonders hoch können die Transaktionskosten sein, wenn Import- und Exportregion
in unterschiedlichen Ländern liegen, die sich durch unterschiedliche Währungen, Außenhandels- und Rechtssysteme unterscheiden. Transaktionen in Fremdwährungen führen ebenso zu
zusätzlichen Kosten wie Grenzkontrollen der Waren oder handelspolitische Maßnahmen, wie
z.B. Zertifizierungsvorschriften, die zu einer Belastung beim Grenzübergang führen.
1.4 Marktintegration und ‚The Law of One Price‘
MONKE & PETZEL7 definieren integrierte Märkte als „markets in which prices of differentiated products do not behave independently“. Oben wurde gezeigt, dass die Differenz
zwischen den Preisen für ein Gut, das zwischen zwei Regionen gehandelt wird, höchstens die
Kosten des Transports (und die mit dem Handel verbundenen Transaktionskosten) betragen
wird. Findet Handel zwischen 2 Regionen, A und B, statt, dann wird folgende Beziehung
zwischen den Preisen auf diesen Märkten im Gleichgewicht herrschen:
p A = p B + t A→ B
mit:
(7)
t A→ B = die Transportkosten von A nach B pro Einheit des Gutes und
pi = der Preis in Region ‚i‘.
Regionale Preisschocks, die durch Änderungen der Marktparameter wie z.B. Ange-
bot und Nachfrage in einzelnen Regionen hervorgerufen werden und die dazu führen, dass
die Gleichgewichtsbedingung (7) gestört wird, werden Anreize für räumliche Transaktionen
– sogenannte Preisarbitrage - schaffen, die eine Wiederkehr zu Gleichung (7) bedingen.
Steigt beispielsweise p A aufgrund einer schlechten Ernte in Region A, dann werden Händler
7
MONKE, E. und T. PETZEL, Market Integration: An Application to International Trade in Cotton.
American Journal of Agricultural Economics, Bd. 66, S. 481-487, 1984.
12 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
12
erhöhte Anreize für Exportgeschäfte von B nach A spüren. Diese Exportgeschäfte werden, in
Abhängigkeit von den Angebots- und Nachfrageelastizitäten in den Regionen A und B, den
Preis in A senken und in B erhöhen bis die Bedingung (7) wieder gilt. Somit wird es zu einer
statistischen Beziehung zwischen p A und p B im Zeitablauf kommen. Diese Beziehung wird
gelegentlich als ‚Law of one price‘ bezeichnet. Das Gesetz kann sowohl in absoluter
p A = β0 + β1p B
(8)
als auch in relativer Form
ln(p A ) = α0 + α1 ln(p B )
mit:
(9)
β i bzw. α i = Koeffizienten.
gelten.
Gilt das ‚Law of one Price‘ uneingeschränkt in absoluter Form, dann muss auch gelten: β 0 = t A→ B sowie β 1 = 1. Gilt dagegen das ‚Law of one price‘ uneingeschränkt in relativer Form, dann muss auch gelten α 0 = ln(1 + tˆ A→ B ) sowie α 1 = 1, mit tˆ A→ B gleich den
Transportkosten zwischen A und B in Prozent des Preises in B ( ˆt A→B = t A→B p B ). Diese Bedingungen können empirisch überprüft werden, z.B. anhand von ökonometrischen Methoden,
wie im folgenden kurz erläutert wird.
In Schaubild 5 werden wöchentliche Schlachtschweinepreise in Schleswig-Holstein
und den Niederlanden dargestellt. Der starke Zusammenhang zwischen den beiden Preisreihen sowie die Tatsache, dass die Preise in Schleswig-Holstein höher liegen als die in der großen Exportregion Niederlande ist offensichtlich.
Der Korrelationskoeffizient zwischen den Preisreihen in Schaubild 5 beträgt 0,95. Eine einfache Regression zwischen den Reihen ergibt:
pSH
= 23,15 + 0,96p tNL
t
[6,05] [45,9]
(10)
mit t-Werten in den eckigen Klammern. Die Wahl des Preises in den Niederlanden p tNL als
‚exogen‘ in Gleichung (10) ist zunächst willkürlich und kann ohne weitere statistische Über-
13
13
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
prüfungen weder bestätigt noch abgelehnt werden. Die Ergebnisse deuten auf eine Einhaltung
des ‚Law of one price‘ auf dem Schlachtschweinemarkt im Norden der EU hin, mit Transportkosten von ca. 23 DM/100kg (sowie Transaktionskosten und eventuelle Produktqualitätsunterschiede) zwischen den Niederlanden und Schleswig-Holstein8.
Schaubild 5: Wöchentliche Schlachtschweinepreise in Schleswig-Holstein und den Niederlanden, 1989-1992 in DM/100kg
275
Schleswig-Holstein
250
Niederlande
225
D
M/ 200
10
0
175
150
125
100
1989
1990
1991
1992
Wichtig ist natürlich, dass nicht nur der Handel, sondern z.B. auch hohe Inflationsraten, saisonale Angebots- bzw. Nachfrageschwankungen, der Einfluss von agrarpolitischen
Maßnahmen oder auch die Ausübung von Monopolmacht zu statistisch signifikanten Beziehungen zwischen den Preisen auf räumlich getrennten Märkten führen können. Somit erlaubt
die Existenz einer statistisch signifikanten Beziehung zwischen Preisen an sich keine Rückschlüsse auf die Effizienz der betrachteten Märkte.
2 Räumliches Gleichgewicht für nicht handelbare Güter und Produktionsfaktoren
8
Zu neueren Methoden der Marktintegrationsanalyse siehe: VON CRAMON-TAUBADEL, S., J.-P. LOY &
E. MUSFELDT, Empirische Methoden zur Analyse der Marktintegration am Beispiel des EUSchweinefleischmarktes. Schriftenreihe der GeWiSoLa, Band 31, S. 119-137, 1995.
14 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
14
Es ist einsichtig, dass der Handel zu einem Preiszusammenhang bei den Gütern führt,
die regional gehandelt werden. Aber auch nicht handelbare Güter werden indirekt durch den
Handel beeinflusst. Auch für diese Güter gibt es einen interregionalen Preiszusammenhang.
Steigt z.B. die Kaufkraft in einer Region, so wird in dieser Region die Nachfrage nach den
meisten importierten Gütern steigen und die Preise dieser Güter nach oben treiben. (die Ausnahme bilden solche Güter, die inferior nachgefragt werden). Als Folge werden von der Exportregion mehr Güter in diese Region exportiert, so dass die Preise dieser Güter auch in der
Exportregion steigen. Diese Preissteigerung bewirkt eine Erhöhung der Opportunitätskosten
der Produktion nicht handelbarer Güter sowohl in der Exportregion als auch in der Importregion. Der Sektor, der handelbare Güter produziert, wird wettbewerbsfähiger auf den Faktormärkten und wird daher Produktionsfaktoren von den Sektoren abziehen, die nicht handelbare Güter produzieren. Es verlagert sich damit bei diesen Gütern die Angebotskurve (Grenzkostenkurve) nach oben, was zu einer Preissteigerung auch bei diesen Gütern führen wird.
In der Regel werden allerdings die Preissteigerungen für gehandelte Güter höher ausfallen als die dadurch ausgelösten Preissteigerungen für nicht handelbare Güter. Ein Exportboom in der Exportregion wird demnach dazu beitragen, dass sich die Preisrelationen zugunsten der handelbaren Güter verändern. Es werden damit mehr Faktoren in der Produktion
handelbarer Güter und weniger in der Produktion nicht handelbarer Güter eingesetzt. In bestimmten Fällen können die durch einen Exportboom ausgelösten Preis- und Mengenreaktionen zu erheblichen Anpassungsschwierigkeiten in einer Wirtschaft führen, die in Anlehnung
an die Ereignisse in Holland nach der Entdeckung von Energievorkommen in den 60er Jahren
als sogenannte ‚Dutch Disease‘ bekannt geworden sind.
Interregionaler Handel führt nicht nur zu einer Preisangleichung für nicht handelbare
Güter. Handel trägt auch dazu bei, dass sich die Preise der Produktionsfaktoren, selbst wenn
sie zwischen Regionen immobil sind, angleichen. Generell gilt, dass sich zwischen den Regionen eine Arbeitsteilung entsprechend den komparativen Kostenvorteilen entwickeln wird.
Eine Region wird die Produkte exportieren, die relativ mehr Leistungen von den Faktoren
enthalten, die relativ reichlich in diesem Land vorhanden sind. Eine Region, die beispielsweise relativ arm an Kapital, aber relativ reich an Arbeit ist, wird daher arbeitsintensive Güter
exportieren und kapitalintensive Güter importieren. Durch den Handel wird sich daher die
Faktornachfrage in dieser Region zugunsten des relativ reichlich vorhandenen Faktors Arbeit
15
15
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
verschieben, während in einer kapitalreichen Region sich die Nachfrage nach Kapital relativ
zur Arbeit erhöhen wird. Somit führt der interregionale Handel tendenziell zu einer Faktorpreisangleichung9.
3
Interregionaler Preiszusammenhang und regionale Produktionsstruktur
In Abschnitt 1.2 wurde gezeigt, dass sich bei freiem Handel in einer Importregion ein
Preis in Höhe der Importparität einstellen wird und in einer Exportregion ein Preis in Höhe
der Exportparität. Infolgedessen ergibt sich für die einzelnen Regionen eine unterschiedliche
Preis- und damit auch Produktionsstruktur. Die Unterschiede in den Produktpreisrelationen
zwischen den Regionen hängen somit von der Höhe der Transaktionskosten ab. Im folgenden
soll die Bedeutung der Transportkosten für die Wettbewerbsfähigkeit einer Region bei unterschiedlich transportkostenintensiven Produkten dargestellt werden.
Der Angebotspreis für ein bestimmtes Produkt einer Region A in einer anderen Region B hängt von der Höhe des Preises in der Region A und der Höhe der Transportkosten ab
(von weiteren Transaktionskosten wird im folgenden abgesehen). Es gilt:
p AinB = p A + (t * E)
mit:
(11)
p AinB = Angebotspreis der Produzenten von Region A in Region B,
p A = Angebotspreis in Region A,
t = Frachtkosten pro Mengeneinheit des Produkts und km,
E = Entfernung.
Geht man davon aus, dass Region A in Region B um so wettbewerbsfähiger ist, je
niedriger p AinB ist, so folgt aus Gleichung (7), dass die regionale Wettbewerbsfähigkeit einer
Region auf anderen regionalen Märkten von drei Bestimmungsfaktoren abhängt:
1. vom Angebotspreis p A in Region A. Dieser Angebotspreis ist auf Wettbewerbsmärkten
identisch mit den Grenzkosten der Produktion in dieser Region.
9
In der Realität wird der Handel zwar tendenziell zu einer Angleichung, aber nicht zu einem vollkommenen Ausgleich der Faktorpreise führen. Dies liegt u.a. daran, dass die Produktionsfaktoren in den einzelnen
Regionen unterschiedlicher Qualität sein können, und dass sich die relativen Faktorknappheiten in den einzelnen Regionen aufgrund von Nachfrageänderungen und technischen Fortschritten permanent verändern.
16 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
16
2. von der Höhe der Frachtkosten t und
3. von der Entfernung zwischen den Regionen E .
Eine besondere Rolle für die interregionale Wettbewerbsfähigkeit spielt die Höhe der
Frachtkosten. Oben wurde bereits ausgeführt, dass Frachtkosten erheblich von der Art des
Transportmittels abhängen und dass die Transportkosten auf dem Seeweg oft niedriger liegen als auf dem Landweg. Daraus folgt, dass Länder, die vom Seeweg abgeschlossen liegen,
auf internationalen Märkten beschränkt wettbewerbsfähig sind. Für diese Länder ist die Differenz zwischen den cif- und fob-Preisen relativ groß. Ist dies der Fall, so steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Konstellationen kommt, wie sie am Ende des Abschnitts 2.1 beschrieben wurden, mit anderen Worten, dass p0A − t < p0B und p0B − t < p0A und kein Handel
stattfindet.
Die Höhe der Frachtkosten je Mengeneinheit eines Produkts hängen nicht nur vom
Transportmittel sondern auch von der Wertdichte des Gutes ab. Die Wertdichte gibt den
Güterwert in Abhängigkeit vom Volumen an. Güter, die pro Volumeneinheit einen hohen
Wert aufweisen, werden daher eine größere regionale Wettbewerbsfähigkeit aufweisen als
Güter mit einer geringen Wertedichtigkeit. Dieser Sachverhalt soll im folgenden für eine
marktferne Region, die den Rohstoff Milch verarbeitet, aufgezeigt werden.
Eine gewinnmaximierende Molkerei wird das Produktsortiment und damit die Absatzwege so
wählen, dass die Grenzverwertung des Rohstoffs Milch bei allen Produkten gleich ist. Da
aber die einzelnen Milchprodukte wie Milch, Sahne, Käse und Butter unterschiedliche
Transportkosten je km und Produkteinheit verursachen, bedeutet dies gleichzeitig, dass das in
diesen Produkten enthaltene Rohprodukt Milch in unterschiedlicher Entfernung vom Produktionszentrum einen unterschiedlichen Preis erzielt. Der Sachverhalt ist durch Schaubild 6
dargestellt.
Schaubild 6: Angebotspreise für unterschiedliche Milchprodukte bei gleicher
Verwertung des Rohstoffes Milch
17
17
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
Preis für Frischmilch
Preis für Käse
Preis für Butter
Grenzverwertung
des Rohstoffes
Milch
Produktionsstätte
Entfernung
Verbrauchszentrum
Im Schaubild 6 wird ausgehend von der Gewinnmaximierung angenommen, dass die
drei Milchprodukte Frischmilch, Käse und Butter in der Produktionsstätte die gleiche Grenzverwertung des Rohstoffs Milch erbringen sollen. Der Angebotspreis für diese Milchprodukte ändert sich mit der Entfernung von der Produktionsstätte. Der Anstieg der Geraden, die
alle in Höhe des Preises der Grenzverwertung des Rohstoffs Milch an der Produktionsstätte
beginnen, gibt die Transportkosten je Produkteinheit und km für die alternativen Milchprodukte an. Frischmilch verursacht die höchsten Transportkosten je Produkteinheit und km. Die
Gerade hat damit einen höheren Anstieg als die Gerade für Käse bzw. Butter. Aus Schaubild
6 ist ersichtlich, dass sich die Preisrelationen zwischen Frischmilch, Käse und Butter bei
gleicher Grenzverwertung des Rohstoffs Milch mit zunehmender Entfernung von der Produktionsstätte ändern.
Hieraus folgt, dass sich die regionale Wettbewerbsfähigkeit einer bestimmten Molkerei in anderen Regionen mit zunehmender Entfernung für die einzelnen Produkte unterschiedlich verändert. Die relative Wettbewerbsfähigkeit von Frischmilch sinkt mit zunehmender
Entfernung von der Produktionsstätte am stärksten. Die relative Wettbewerbsfähigkeit von
Butter sinkt dagegen am geringsten. Es ist daher verständlich, dass sich in Abhängigkeit von
der Entfernung von der Produktionsstätte unterschiedliche Produktgrenzen für die einzelnen
Milchprodukte ergeben. Diese Produktgrenzen geben an, in welchem Entfernungsbereich von
der Produktionsstätte die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Milchprodukte am größten ist.
Algebraisch gilt folgende Gleichung:
18 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
N i = αi (pi − ci − t i * E)
mit:
18
(12)
N i = Nettowert des Rohprodukts bei der Herstellung des i-ten Fertigprodukts,
α i = Verarbeitungskoeffizient des i-ten Fertigprodukts (Menge des Rohproduktes pro Menge des Fertigproduktes),
pi = Marktpreis des i-ten Fertigprodukts,
c i = Herstellungskosten des i-ten Fertigprodukts,
ti = Frachtrate des i-ten Fertigprodukts,
E = Entfernung zwischen Angebotsort und Produktionsstätte.
Dieser Sachverhalt ist im Schaubild 7 dargestellt. Im Schaubild 7 wurde angenommen, dass die Preise für die Fertigprodukte gegeben sind, dass aber die Nettoverwertung lediglich aufgrund der Transportkosten sinkt. Am Ort der Produktionsstätte ist die Nettoverwertung für das Milchprodukt Frischmilch am höchsten und für Käse und Butter niedriger.
Mit zunehmender Entfernung von der Produktionsstätte sinkt die Nettoverwertung aufgrund
der Transportkosten. Die Nettoverwertung sinkt bei den Produkten, die den Rohstoff in konzentrierter und eher haltbarer Form enthalten, weniger, als bei den mehr voluminösen und
verderblichen Produkten. Daher sinkt im Schaubild 7 die Kurve der Nettoverwertung für
Frischmilch stärker als für Käse und die für Käse stärker als für Butter.
19
19
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
Schaubild 7: Angebotspreis für unterschiedliche Milchprodukte bei gleicher Verwertung des Rohstoffes Milch
Nettoverwertung des
Rohproduktes Milch
Nettoverwertung Frischmilch
Nettoverwertung Käse
Nettoverwertung Butter
0
Butter
t0
Frischmilch
t1
Entfernung
Butter
Käse
Aus dem Schaubild 7 wird ersichtlich, dass am Ort der Produktionsstätte und in einem
bestimmten Umkreis die Nettoverwertung des Rohprodukts Milch durch den Verkauf von
Frischmilch am höchsten ist. Molkereien werden daher zunächst versuchen, den Frischmilchmarkt zu bedienen. Ist die Rohstoffanlieferung größer als auf dem Markt für Frischmilch benötigt wird, so wird die Molkerei den Absatzradius erweitern und auch Käse auf
weiter entfernt liegenden Märkten anbieten. Ab der Entfernung t0 wird es für die Molkerei
günstiger, keine Frischmilch mehr anzubieten, sondern nur noch Käse oder Butter. Die relative Vorzüglichkeit des Käseabsatzes ist in einem Umkreis, der durch die Entfernung t1 gekennzeichnet wird, günstiger als von Butter. Ist die kaufkräftige Nachfrage für Frischmilch
und Käse in dem Absatzgebiet, das durch die Entfernung t1 von der Molkerei gekennzeichnet
ist, nicht ausreichend, um die angelieferte Rohmilch zu verwerten, so wird die Molkerei auch
Butter in einer Entfernung über t1 bis t2 anbieten. Es gibt also um die Molkerei einzelne Absatzgebiete, die die relative Vorzüglichkeit der Vermarktung alternativer Milchprodukte an-
20 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
20
geben. Marktferne Molkereien werden unter Marktbedingungen veranlaßt, verstärkt in die
Produktion von Butter zu gehen, während marktnahe Molkereien sich auf die Produktion von
Frischmilch konzentrieren können. Marktferne Molkereien können daher auch nur geringere
Auszahlungspreise für den Rohstoff Milch gewähren als marktnahe Molkereien.
Der hier für den Rohstoff Milch und den Molkereien dargestellte Zusammenhang gilt
grundsätzlich auch für andere Produkte. Die Marktentfernung spielt eine Rolle für das Produktsortiment jeder Produktionsstätte. Natürlich ist der Zusammenhang zwischen Entfernung
und Nettoverwertung in der Realität komplexer als hier dargestellt. So ist z.B. - anders als in
Schaubild 7 dargestellt - der Raum nicht homogen. Historisch gewachsene Straßen, Schienen
und Wasserwege sowie geographische Gegebenheiten führen dazu, dass in einigen Richtungen der Transport wesentlich günstiger ist als in anderen. Folglich werden die in Schaubild 7
gezeichneten Absatzgebiete nicht kreisförmig, sondern irregulär sein. Ostholsteinische Getreideproduzenten werden höchstwahrscheinlich günstiger in St. Petersburg anbieten können
als in München. Die soeben dargestellten Zusammenhänge gelten natürlich auch nur bei freier Preisbildung. Auf den stark reglementierten EU-Märkten kann es zu erheblichen Verzerrungen in der räumlichen Preisbildung kommen, wie unten noch zu zeigen sein wird.
4
Wirkungsanalyse ausgewählter staatlicher Eingriffe
4.1
Zur Festlegung der Marktordnungspreise in der EU
Viele EU-Agrarmärkte sind weitgehend von der Preisentwicklung auf den Weltag-
rarmärkten abgekoppelt. Bis zur Agrarreform von 1992 konnten sich die Preise für eine Vielzahl von Agrarprodukten zwischen den Richtpreisen und den staatlich garantierten Interventionspreisen auf den EU-Märkten ‚frei‘ bilden. Aus den obigen Überlegungen folgt, dass dieses Preisband um so größer sein muss, je größer das Wirtschaftsgebiet und die Transportkosten sind. Die Süderweiterung der EU musste daher die Folge haben, dass die Richtpreise
stärker angehoben wurden als die Interventionspreise. Nur dadurch war es möglich, dass die
Produkte von nördlichen Überschussregionen auch in südliche Einfuhrregionen abfließen
konnten. Hätte man das Preisband zu eng festgelegt, so hätte möglicherweise in nördlichen
Überschussregionen interveniert werden müssen, während in den südlichen Einfuhrregionen
vom Weltmarkt eingeführt worden wäre.
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
21
21
Die Erweiterung des Preisbandes hatte allerdings zur Folge, dass der Wettbewerb einzelner Regionen in der EU mit Regionen außerhalb der EU weiter eingeschränkt wurde. Südliche Länder, die unter freien Marktbedingungen von Übersee importiert hatten, wurden gezwungen, teurer von den EU-Nachbarländern einzuführen. Die Vergrößerung des Preisbandes bedeutete gleichzeitig, dass zunehmend mehr Produkte in der EU auf dem Landweg
transportiert wurden. Somit stieg der Transportkostenanteil am Wert des konsumreifen Agrarprodukts an.
4.2 Zur Regionalisierung der Getreidepreise
Die bis 1961/62 gültige deutsche Getreidemarktordnung sah eine regionale Staffelung
der Höchst- und Mindestpreise für Weizen und Roggen vor. Für jede der beiden Getreidearten war das damalige Bundesgebiet in vier Preisgebiete eingeteilt. Die Preisunterschiede sollten der Versorgungssituation in den einzelnen Regionen und den Bewegungskosten der Waren von den Überschuss- zu den Zuschussgebieten Rechnung tragen. In der Realität zeigte
sich, dass sogenannte ‚tote Winkel' entstanden. Das Getreide konnte in diesen Regionen zum
festgesetzten Mindestpreis nicht an Private verkauft werden. Die öffentliche Hand war daher
gezwungen, die überflüssigen Mengen aufzukaufen und auf ihre Kosten in die Einfuhrregionen zu transportieren, um dort den Mindestpreis durchzusetzen.
Auch die EU-Marktordnung für Getreide, die 1967/68 in Kraft trat, sah zunächst eine
Regionalisierung der Getreidepreise vor. Diese Regionalisierung der staatlichen Aufkaufpreisen (Interventionspreisen) ging von der Überlegung aus, dass sich in einem Wirtschaftsgebiet je nach regionaler Versorgungslage unterschiedlich hohe Marktpreise einstellen werden. Da durch den staatlichen Aufkaufpreis der Marktpreis gleichermaßen in allen Regionen
stabilisiert werden sollte, erschien es zunächst sinnvoll, regional gestaffelte Interventionspreise festzulegen. Hierbei traten aber zwei Probleme auf:
1.
Die Regionalisierung der Preise müsste so erfolgen, dass sie den Bewegungskosten
der Ware Rechnung trägt. Es ist aber unmöglich, die Bewegungskosten der Ware exakt zu ermitteln. Entscheidend sind nicht die durchschnittlichen Frachtkosten, sondern
die Grenzkosten desjenigen Getreidehändlers, der gerade noch im Stande ist, die Einfuhrregion bei geltenden Preisen zu beliefern. Diese Grenzkosten hängen nicht nur
von den Aufkaufpreisen und marginalen Transportkosten ab, sondern auch von an-
22 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
22
deren Elementen der Transaktionskosten, so z.B. von den Fixkosten der Beladung und
den herrschenden Wetterbedingungen. Doch selbst die Grenzkosten des Transports
können nicht einfach ermittelt werden. Sie hängen vom gewählten Transportmittel ab
und davon, ob z.B. Fahrzeuge in beide Richtungen voll ausgenutzt werden. Werden
die Transferkosten bei der Regionalisierung zu hoch angesetzt, so wird hiermit
gleichzeitig der Interventionspreis in den Importregionen zu hoch festgelegt; das Getreide wird dann nicht in den Exportregionen in die Intervention laufen, sondern in
den Importregionen.
2.
Die regionale Versorgungslage ändert sich von Jahr zu Jahr, vor allem weil die Produktionsschwankungen regional sehr unterschiedlich sind, aber auch durch den fortlaufenden Ausbau der Verkehrswege. Als Folge dessen musste auch jedes Jahr eine
neue Regionalisierung der Interventionspreise vorgenommen werden.
Die Regionalisierung der Interventionspreise ging von der falschen Vorstellung aus,
dass in den Importregionen nur dann eine Stabilisierung eintreten würde, wenn man auch in
dieser Region einen Interventionspreis festlegt, der oberhalb des Interventionspreises in den
Exportregionen liegt. Dabei wurde verkannt, dass die Marktpreise in den Importregionen
bereits durch den Interventionspreis in den Exportregionen stabilisiert werden. Der festgelegte Interventionspreis in den Exportregionen führt in Verbindung mit den Bewegungskosten
der Ware zu einem elastischen Angebot in den Importregionen. Aufgrund dessen ist die Instabilität der Preise in den Einfuhrregionen sehr begrenzt. Eine Regionalisierung der Interventionspreise ist daher überflüssig, und da sie darüber hinaus - wie oben erläutert - höchstens approximativ implementiert werden kann, besteht die Gefahr, dass sie zu erheblichen
Verzerrungen führen wird. Letzteres trat in der EU in den frühen 70er Jahren auch ein, als
die Regionalisierung zu künstlichen Getreidehandelsströmen innerhalb der EU führte. Es
verwundert daher nicht, dass die Regionalisierung der Interventionspreise für Roggen
1973/74, für Gerste 1974/75 und für Weizen 1975/76 endete. Seit dieser Zeit gibt es nur regional undifferenzierte Interventionspreise.
Bei der Festsetzung der Marktordungspreise für Getreide in der EU geht die EUKommission davon aus, dass die Preise in der Haupteinfuhrregion - das ist Duisburg - am
höchsten und in der Hauptüberschussregion - das ist Ormes im Departement
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
23
23
Loiret/Frankreich - am niedrigsten sein sollten. Im folgenden soll geprüft werden, ob man
tatsächlich erwarten kann, dass in einem abgeschlossenen Wirtschaftsgebiet die Preise in der
Hauptüberschussregion am niedrigsten und in der Haupteinfuhrregion am höchsten sein werden.
Der Sachverhalt wird durch Schaubild 8 veranschaulicht. Im Schaubild 8 wird angenommen, dass es fünf Regionen gibt, drei Überschuss- und zwei Einfuhrregionen ( B0 , B1
und B2 , bzw. A0 und A1 ). Auf der Abszisse ist die Entfernung zwischen diesen Regionen
festgehalten. Die Säulen stellen die Preise in den betreffenden Regionen dar. Dabei muss
natürlich gelten, dass die Unterschiede zwischen den regionalen Preisen den Transportkosten
entsprechen.
Aus dem Schaubild 8 wird deutlich, dass der Preis in der Hauptüberschussregion nicht
am niedrigsten und in der Haupteinfuhrregion nicht am höchsten ist. Der Preis liegt z.B. in
der Region B1 niedriger als in der Hauptüberschussregion B0 , weil das überschüssige Angebot dieser Region in den Einfuhrregionen A0 und A1 benötigt wird. Die Differenz zwischen p A1 und p B1 wird sich nicht nur dann einstellen, wenn Waren von der Überschussregion B1 bis zur Einfuhrregion A1 abfließen. Auch dann, wenn die Waren der Überschussregion B1 nur bis zu Einfuhrregion A0 transportiert werden, die nicht so weit entfernt
ist wie die Einfuhrregion A1 , wird sich die dargestellt Preisabstufung ergeben. Somit macht
das Schaubild 8 deutlich, dass es falsch ist, anzunehmen, dass die Preise in der Hauptüberschussregion am niedrigsten und in der Haupteinfuhrregion am höchsten sind.
24 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
24
Schaubild 8: Regionale Preisabstufung in einem Wirtschaftsgebiet
P
P
P
P
A1
A0
P
B2
B0
B1
Überschussregion
B
1
Hauptüberschussregion
B
Haupteinfuhrregion
A
0
0
Schlagwörter und Begriffe
!
Räumlicher Preiszusammenhang
!
Autarkie
!
Marktintegration, integrierte Märkte
!
Nachfrage- und Angebotsüberschusskurven
!
Selbstversorgungsgrad
!
Transport- und Transaktionskosten
!
Frachtkosten
!
Faktorpreisangleichung
!
Wertdichte
!
Stabilisierung von Preisen
!
cif- und fob-Preise
Einfuhrregion
A
1
Überschussregion
B
2
5.2 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
!
Dutch Disease
!
Absatzgebiete
!
Regionalisierung
!
‚Law of one price‘
25
25
Weiterführende Literatur
LANGE, D., Bestimmungsgründe des Weltagrarhandels, Kiel 1987.
PERSSON, K. G., Grain Markets in Europe, 1500-1900: Integration and Deregulation. Cambridge University Press, Cambridge 1999.
TAKAYAMA. T. und G.G. JUDGE, Spatial and Temporal Price and Allocation Models,
Amsterdam: North-Holland 1971.
VON
CRAMON-TAUBADEL, S., J.-P. LOY & E. MUSFELDT, Empirische Methoden zur
Analyse der Marktintegration am Beispiel des EU-Schweinefleischmarktes. Schriftenreihe
der GeWiSoLa, Band 31, S. 119-137, 1995.
26 Räumliche Integration: Interregionale Preiszusammenhänge
5.2
26
Übungsaufgaben:
1. Unter welchen Bedingungen wird Rohmilch von Schleswig-Holstein nach Holland exportiert, um dort verarbeitet zu werden? Wie hat sich die Milchmarktordnung in Schleswig-Holstein als marktferne Region auf das Produktsortiment der
Molkereien ausgewirkt?
2. Wie wirkt sich die EU-Milchmarktordnung auf das Erfassungsgebiet der Molkereien und letztlich auf die Struktur der Molkereien aus? Gibt es Auswirkungen der
Milchmarktordnung auf Milchprodukte, für die sie nicht gilt?
3. Mit der Verwirklichung des EG-Binnenmarktes musste die staatliche Festlegung
der Frachtraten im Güterverkehr in der BRD aufgegeben werden. Wie wirkt sich
diese Maßnahme auf die Preise in marktfernen Regionen aus?
4. Ein Konsortium norddeutscher Molkereien versuchte die saisonale Preisfigur von
Butter durch Lagerhaltung zu glätten. Diskutieren Sie die Erfolgsaussichten dieser
Maßnahme.
5. Änderungen in der Steuerpolitik der BRD haben 1999 zu einer Erhöhung der Preise für Kraftstoffe geführt und zu einer Senkung der Lohnnebenkosten. Nehmen
Sie an, dass für ein bestimmtes Molkereiunternehmen bei unveränderter Produktions- und Absatzstruktur die Kostenbelastung der Kostenentlastung entspricht.
Wird sich die Produktions- und Absatzstruktur des Unternehmens verändern?
6. Die EU erhöht die ihre Marktordnung für Getreide die Instabilität der Preise für
Getreide auf dem Weltmarkt. Diskutieren Sie Argumente, die für und gegen diese
Aussage sprechen.
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