Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie von Herbert Hof, Rüdiger Dörries erweitert, überarbeitet Duale Reihe Medizinische Mikrobiologie – Hof / Dörries schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Thieme 2004 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 13 125313 2 184 n Klinischer Fall C 2 Spezielle Virologie n Klinischer Fall. Ein 58-jähriger Mann bemerkte eine zunehmende Bewegungsschwäche und Schmerzen im Bereich der unteren Extremität. 3 Tage nach dem Auftreten der ersten Symptome suchte er einen Arzt auf. Am 5. Krankheitstag hatte sich eine schlaffe proximale Lähmung entwickelt, sodass ein Aufstehen aus der Hocke nicht mehr möglich war. Unter dem Verdacht einer Parese wurde er zunächst in ein allgemeines Krankenhaus eingewiesen und 2 Tage später in ein Fachkrankenhaus verlegt. Anamnestisch wurde bekannt, dass der Patient 15 Tage vor Auftreten der ersten Symptome im Rahmen der Vorbereitung einer Reise in die Türkei eine erstmalige Impfung mit trivalenter oraler Poliovakzine (OPV) erhalten hatte. Frühere Impfungen konnten nicht eruiert werden. Die darauf erhobene Verdachtsdiagnose auf eine vakzineassoziierte paralytische Poliomyelitis (VAPP) konnte durch Untersuchungen am Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren bestätigt werden: Aus Stuhlproben konnte wiederholt Poliovirus Typ 3 isoliert und als sabinähnlich, d. h. als Impfvirus, bestimmt werden. Die Diagnose gründet sich auf dem zeitlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten der ersten Krankheitszeichen (mögliches Intervall 7–30 Tage nach Impfung) und der Isolierung des Impfvirus. (Quelle: Epidemiologisches Bulletin 26/98 des Robert-Koch-Institutes, Berlin) Coxsackieviren, ECHO-Viren, Enteroviren Coxsackieviren, ECHO-Viren, Enteroviren Bedeutung: Coxsackie-, ECHO- und Enteroviren können eine Vielzahl unterschiedlicher Erkrankungen auslösen, die sich nicht auf ein Organ beschränken. Bedeutung: Im Gegensatz zu den Polioviren verursachen die übrigen humanpathogenen Enteroviren keine organspezifischen Infektionskrankheiten, sondern sind Verursacher einer Reihe unterschiedlicher Erkrankungen (s. u.). Die Nomenklatur der drei Virusarten ist deshalb auch in stetigem Fluss. So wurde z. B. das Coxsackie-A-23-Virus zum ECHO-Virus 9; das ECHO-Virus 34 zum Coxsackie A 24, das ECHO-Virus 10 zum Reovirus Typ 1 und das ECHOVirus 28 zum Rhinovirus 1 A erklärt. 1969 hat man schließlich beschlossen, neue Typisolate nicht mehr als Coxsackie- oder ECHO-Viren zu klassifizieren, sondern sie als Enteroviren-Spezies fortlaufend zu nummerieren. Unter diesen Umständen ist es sinnvoll, Coxsackie-, ECHO- und Enteroviren gemeinsam zu besprechen. n Definition n Definition: Coxsackieviren wurden 1948 aus dem Stuhl Polioverdächtiger in der Stadt Coxsackie im US-Bundesstaat New York isoliert, und zwar in neugeborenen Mäusen. Man unterscheidet die Gruppe A mit 23 und die Gruppe B mit 6 Serogruppen. Der Begriff ECHO-Viren ist das Akronym aus „enteric cytopathogenic human orphan“ und umfasst Enteroviren, die in Zellkulturen einen zytopathogenen Effekt erzeugen. In der virologischen Forschung bezeichnete man humane Virusisolate, die keiner Krankheit zugeordnet werden konnten, also auch bei Gesunden gefunden wurden, als „Waisen“ (engl. orphan). Epidemiologie: Die Übertragung erfolgt fäkal-oral. Epidemiologie: Die Übertragung aller Enteroviren erfolgt fäkal-oral durch Schmutz- und Schmierinfektionen über Trinkwasser und kontaminierte Lebensmittel. Pathogenese: Coxsackie- und ECHO-Viren sind zytolytisch. Nach primärer Vermehrung in den lymphatischen Geweben des Oropharynx und des Darms erreichen sie auf dem hämatogenen Weg ihre Zielorgane. Pathogenese: Ebenso wie Polioviren verursachen Coxsackie- und ECHO-Viren die Lyse ihrer Zielzellen. Die Viren treten in den Verdauungstrakt ein, vermehren sich zunächst oropharyngeal und erreichen über eine Virämie je nach Tropismus unterschiedliche Organe des Wirtes. Die Inkubationszeit liegt zwischen 2 und 40 Tagen. Klinik: s. Tab. C-2.4. Klinik: Die durch Cocksackie- und ECHO-Viren hervorgerufenen Krankheitsbilder sind in Tab. C-2.4 zusammengefasst. Diagnostik: Die Anzüchtung in Zellkulturen ist möglich, aufwendig und in der Praxis wenig gebräuchlich. Serologische Befunde unterstützen die klinsche Diagnose, sind jedoch in der Regel nicht beweisend. Die Diagnose erfolgt häufig klinisch als Ausschlussdiagnose. Diagnostik: Eine Virusisolierung in Zellkulturen und die Typisierung durch neutralisierende Antikörper sind prinzipiell möglich, jedoch muss stets abgewogen werden, ob der extrem große Aufwand (über 60 verschiedene Antiseren müssen teilweise eingesetzt werden) sich angesichts der therapeutischen Konsequenz wirklich lohnt. Die Diagnose erfolgt häufig klinisch als Ausschlussdiagnose. Serologische Bestimmungen sind dabei hilfreich, aber in der Regel spezifisch nicht beweisend. Für den Nachweis von Viren der Gattung Enterovirus steht ein PCR-Test (s. S. 39) zur Verfügung. Hof/Dörries, Duale Reihe: Medizinische Mikrobiologie (ISBN 3-13-125313-4), c 2005 Georg Thieme Verlag C 2.1 RNA-Viren C-2.4 185 Durch Cocksackie- und ECHO-Viren hervorgerufene Krankheitsbilder Krankheitsbild Erreger Klinik Epidemische Myalgie (Pleurodynie, Bornholmer Krankheit) Coxsackie-B-Viren seltener auch Coxsackie-A-Viren und ECHO-Viren typisch ist ein stechender Brustschmerz, der sich bei Bewegungen verstärkt und von Fieber begleitet wird. Die Symptome dauern 2–4 Tage und verschwinden dann in der Regel vollständig. Rückfälle sind möglich. Jugendlicher Diabetes mellitus Coxsackie-B-Viren (in 10 % aller Fälle) Nierenversagen, Blindheit, kardiovaskuläre Komplikationen Infektionen des Respirationstraktes Coxsackie A, Coxsackie B, ECHOViren, Enterovirus 71 (bei Kindern auch Enterovirus 68) Bronchitis bis Pneumonie Infektionen des Gastrointestinaltraktes Enteroviren seltener auch ECHO-Viren und Coxsackie-A-Viren Diarrhö, Pankreatitis, Hepatitis Herpangina (Abb. C-2.2a) Coxsackie-A-Viren vor allem Kleinkinder in den Sommermonaten sind betroffen. Typisch sind plötzlich einsetzendes hohes Fieber, Rachenentzündung und gastrointestinale Beschwerden, im hinteren Gaumenbereich kleine Bläschen mit rotem Hof, die zur Eruption neigen und sich nach 10–14 Tagen zurückbilden, wobei auch die übrigen Symptome verschwinden. Infektion des Rachenraumes Coxsackie A 10 ähnlich der Herpangina, aber keine Bläschen, sondern feste weißgelbliche Papeln im Rachenraum. Klinisch dominiert eine Pharyngitis mit lokaler Lymphknotenschwellung. Makulopapulöse Hautinfektionen Coxsackie-A-Viren, Coxsackie-BViren und ECHO-Viren („Boston“-Exanthem) Exanthem Kombiniertes „Handund Fußexanthem mit Mundenanthem“ (Abb. C-2.2b) Coxsackie-A-Viren A4, 5, 9, 10, 16 Enterovirus 71 Bläschen auf der Haut von Händen (besonders Daumen) und Füßen (besonders Großzehen) sowie in der Mundschleimhaut. In der Regel kommt es innerhalb von 2 Wochen zur narbenlosen Abheilung. Augeninfektionen ECHO-Virus 7 und 11, Coxsackie A14, A24 und B2 und Enterovirus 70 hämorrhagische Konjunktivitis Poliomyelitis-ähnliche Erkrankungen Coxsackie-A-, Coxsackie-B-, ECHOund Enteroviren Typ 70 und 71 Meningitis und Paralyse Für die Praxis bedeutet dies: Poliomyelitisähnliche Symptome können von allen Enterovirus-Arten verursacht werden! Kardiale Erkrankungen Coxsackie-B-Viren Peri- und Myokarditis „Sommergrippe“ Coxsackie- und ECHO-Viren uncharakteristische, fiebrige Erkrankung in den Sommermonaten C-2.2 Durch Coxsackie-Virus hervorgerufene Krankheitsbilder a Herpangina (Coxsackie-A-Virusinfektion): Anamnese 3 Tage. Typisch sind die weißlichen Bläschen mit entzündetem Rundhof im Bereich des weichen Gaumens, der Tonsillen und der Uvula. b Hand-Fuß-Mund-Krankheit: Coxsackie-Viren verursachen palmare Pusteln mit erythematösem Randsaum, die gleichzeitig auch in der Mundschleimhaut auftreten. Hof/Dörries, Duale Reihe: Medizinische Mikrobiologie (ISBN 3-13-125313-4), c 2005 Georg Thieme Verlag