Ubung zum Grundkurs Logik

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Übung zum Grundkurs Logik
Günther Eder
Institut für Philosophie
Universität Wien
2
http://www.youtube.com/watch?v=kQFKtI6gn9Y
ACHTUNG!
Bei diesem Dokument handelt es sich NICHT um ein offizielles (oder auch nur
halb-offizielles) Skriptum zu irgendeiner Lehrveranstaltung.
Das Dokument ist nur eine Zusammenstellung von Erinnerungsblättern, die ich in
vergangenen Semestern geschrieben habe (angereichert um ein paar Bildchen).
Vielleicht hilft es irgendwem dabei, den Grundkurs Logik heil zu überstehen.
(Für Hinweise auf Fehler, fahrlässige Auslassungen, etc. bin ich natürlich trotzdem
dankbar.)
Inhaltsverzeichnis
1 Aussagenlogik – AL
7
1.1
Die Sprache der Aussagenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
1.2
Semantik der AL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
1.2.1
Exkurs 1: Funktionale Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . .
12
1.2.2
Exkurs 2: Normalformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
12
1.3
Semantischer Folgerungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
1.4
Syntaktische Folgerungsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
1.4.1
Axiomatischer Kalkül nach Frege-Lukasievicz . . . . . . . . . .
21
1.4.2
Exkurs: Das Deduktionstheorem . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1.4.3
Kalkül des natürlichen Schließens . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1.4.4
Übungsbeispiele
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
1.4.5
Der Resolutionskalkül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
Metatheorie der AL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
1.5.1
39
1.5
Exkurs: Beweis Vollständigkeitssatz . . . . . . . . . . . . . . .
2 Prädikatenlogik – PL
2.1
2.2
2.3
41
Die Sprache der Prädikatenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
2.1.1
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
Semantik der PL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
2.2.1
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
Kalkül des natürlichen Schließens für PL . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2.3.1
59
Übungsbeispiele
Übungsbeispiele
Übungsbeispiele
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 Anhang
3.1
61
Lösungen zu den Übungsbeispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
3.1.1
Lösungen zu den Bespielen aus Abschnitt 1.4.4 . . . . . . . . .
61
3.1.2
Lösungen zu den Beispielen aus Abschnitt 2.1.1 . . . . . . . . .
66
3.1.3
Lösungen zu den Beispielen aus Abschnitt 2.2.1 . . . . . . . . .
67
3
4
INHALTSVERZEICHNIS
Vorbemerkung
Logik Lernen ist wie im Wesentlichen wie eine neue Sprache Lernen. Und das ist immer mühsam! Noch mühsamer ist es in diesem Fall, weil es sich bei den Sprachen, die
wir behandeln werden um formale Sprachen handelt. Man wird mit viel neuer Terminologie, neuen Zeichen und Methoden – z.T. auch mathematischen – konfrontiert.
Und das ist anstrengend! Mein Rat ist:
Nur nicht die Nerven weghauen und am Ball bleiben!
Das bedeutet vor allem: Viel Üben! Vor allem in den ersten paar Einheiten ist es
wichtig am Ball zu bleiben. Wichtig ist aber auch – und das sollte man sich immer
vor Augen halten: Wir machen in der Logik nichts, was wir nicht ständig (implizit)
machen, wenn wir miteinander reden und streiten. Der Grad an Allgemeinheit den
man in der Logik in der Regel verfolgt, macht es zwar notwendig, dass man neue Zeichen zur Abkürzung, Variablen etc. einführt – aber wie gesagt: Im Prinzip besprechen
wir hier nichts, was wir nicht alle ständig implizit anwenden – nämlich Argumente,
Schlussregeln usw. In der Logik beschäftigen wir uns mit diesen Dingen nur in einer
präziseren und allgemeineren Form als sonst.
Logik ist, ganz grob, die Lehre vom korrekten Schließen. Da stellt sich
natürlich sofort die Frage: was ist ein korrekter oder gültiger Schluss oder ein gültiges
Argument? Wieder ganz grob kann man sagen (und wir werden uns das noch genauer
ansehen). Als erste Annäherung bietet sich Aristoteles Charaktersierung an:
Ein Syllogismus ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt ist, etwas anderes
als das Gesagte notwendig folgt aufgrund des Vorausgesetzten.
Logisch gültige Argumente sind also solche, wo die Prämissen, falls sie wahr sind,
die Wahrheit der Konklusion garantieren. Etwas genauer: wo die Prämissen, falls
wahr, mit Notwendigkeit die Wahrheit der Konklusion garantieren – aufgrund ihrer
logischen Form. Hier ein Beispiel für ein gültiges Argument:
P1. Max mag Ida oder Fred mag Ida.
P2. Max mag Ida nicht.
∴
C. Also mag Fred Ida.
Und hier noch ein Beispiel:
P1.’ Heut gehe ich ins Kino oder ich betrinke mich.
P2.’ Ins Kino gehe ich nicht.
∴
C. ’ Also betrinke ich mich heute.
INHALTSVERZEICHNIS
5
Offensichtlich haben beide Argumente etwas gemeinsam – nämlich ihre Form, die
man etwa so notieren könnte:
P1.” P oder Q
P2.” Nicht-P
∴
C.” Also Q
Offensichtlich haben wir es hier mit einem gültigen Argument-Schema zu tun –
d.h. alle Argumente, die diesem Schema genügen, sind gültig. Eines der Kerngeschäfte
der Logik besteht nun darin, allgemeine Kriterien anzugeben, wie man die gültigen
Schemata von den ungültigen trennen kann.
Die Aussagenlogik beschäftigt sich mit (Un-)Gültigkeit von Argumenten, insofern sich diese auf ihre aussagenlogische Struktur bezieht! Was das ganz genau heisst,
wird dann Thema der nächsten Einheiten sein – aber ganz grob: Die kleinsten semantisch signifikanten Einheiten sind hier ganze Sätze! Ein aussagenlogisch nicht
weiter zerlegbarer Satz beinhaltet keine der (aussagen-)logischen Konstanten – d.h.
kein “und”, “nicht”, “oder”, etc.
Das Geschäft der Prädikatenlogik besteht dann darin, Argumente auch daraufhin zu untersuchen, ob sie (un-)gültig sind, wenn man diese aussagenlogischen Einheiten noch weiter – in sogenannte sub-sententiale Bestandteile – zerlegt. Also in
semantisch signifikante Bestandteile von Sätzen wie Namen, ein- oder mehrstellige
Prädikate, etc.. Vor allem repräsentiert man hier auch sogenannte quantifikatorische
Ausdrücke wie “Alle Menschen ...”, “Einige (d.h. mindestens ein) Student ...” usw.
Wieso man so eine “feinere” Analyse braucht, ist schnell erklärt: Man kann sich leicht
davon überzeugen, dass eine aussagenlogische Analyse von Sätzen oft nicht fein genug
ist, um die Gültigkeit bestimmter Argumente zu erfassen. Hier ein Beispiel:
P1. Irgendjemand in diesem Raum mag alle Existentialisten.
∴
C. Jeder Existentialist wird von irgendjemandem in diesem Raum gemocht.
Weder P1. noch C haben eine relevante aussagenlogische Struktur. Keiner der
beiden Sätze ist die Negation eines Satzes, die Konjunktion zweier Sätze, etc. Die
erste Prämisse kann also die Wahrheit der Konklusion sicherlich nicht allein aufgrund
ihrer aussagenlogischen Struktur garantieren. Trotzdem ist das Argument offenbar
gültig! D.h. hier müssen wir eine feinere Analyse ansetzen, um erklären zu können
wie die Wahrheit von P1 die Wahrheit von C garantiert aufgrund der “Form” dieser
Sätze.
6
INHALTSVERZEICHNIS
Wir werden uns aber nicht nur damit beschäftigen, was es heisst, dass ein Argument aussagen- oder prädikatenlogisch gültig oder ungültig ist – sondern, und vor
allem, auch damit, wie man das überprüfen kann! Insbesondere werden wir uns rein
syntaktische Methoden ansehen, mit denen wir nachweisen können, dass ein Argument gültig ist. Ein wichtiger Teil der Logik besteht darin, zu lernen, was ein Kalkül
ist. D.h. zu lernen, wie man mit Hilfe von exakt formulierten syntaktischen Regeln aus bestimmten Prämissen eine bestimmte Konklusion herleiten kann – bloß mit
Hilfe von Zeichenmanipulationsregeln!
Kapitel 1
Aussagenlogik – AL
1.1
Die Sprache der Aussagenlogik
Die Sprache der Aussagenlogik besteht aus unendlich vielen Aussagebuchstaben
p, q, r, s, p1 , q1 , r1 , ... und den aussagenlogischen Verknüpfungen ?- den Junktoren - ¬
(“nicht”), ∧ (“und”), ∨ (“oder”), und → (“wenn..., dann...”) und den Klammern (“)”
und “(”). Die Wohlgeformtheitsbedingungen für unsere aussagenlogische Sprache, die
uns sagen, wann ein Ausdruck, der aus Partikeln unserer Sprache besteht, rechtmäßig
gebildet ist, sind ein Beispiel für eine rekursive (oder induktive) Definition.
Die Definition besteht aus 3 Teilen:
Definition 1. i. Jeder Aussagebuchstabe ist eine wohlgeformte Formel
(eine WFF)
ii. Falls α und β wohlgeformte Formeln sind, so auch ¬α, (α ∧ β), (α ∨ β)
und (α → β)
iii. Nichts sonst ist eine wohlgeformte Formel. Jede wohlgeformte Formel
muss sich durch endlich-ofte Anwendung der Regeln i. und ii. ergeben.
Z.B. sind die Zeichenfolgen (¬p ∧ p), ((¬p →) → q) und (q ∨ ¬s17 ) wohlgeformte
Formeln – nicht aber p ∧ ¬p und t17
Es ist zu beachten, dass die griechischen Buchstaben α, β in der obigen Definition
der Wohlgeformtheitsbedingungen Metavariablen für Zeichenfolgen sind, also nicht
zum eigentlichen Bestand der Objektsprache gehören: Dazu gehören nur die oben
genannten Zeichen, nämlich Aussagebuchstaben, die Junktoren und Klammern.
Ab einem gewissen Zeitpunkt ist man meistens nicht mehr so genau mit den
Klammern; äussere Klammern werden meistens weggelassen (d.h. man schreibt etwa p ∧ ¬p statt dem offiziellen (p ∧ ¬p) – was der Lesbarkeit sehr zuträglich ist. Oft
7
8
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
benutzt man noch zusätzliche Klammerersparungsregeln (“Punkt-vor-Strich-Regeln”)
und setzt z.B. fest, dass ∧ stärker bindet als ∨ und dieses wiederum stärker als →.
Rekursive Definitionen
Die allgemeine Form so einer rekursiven Definition ist also:
i. Alle Basiselemente gehören zu einer bestimmten Klasse X.
ii. Wenn dieses und jenes zur Klasse X gehört, dann ist auch das Ding,
das ich durch Anwendung irgendeiner Operation F auf dieses und
jenes erhalte in X.
iii. Nichts sonst ist inX.
Das Paradebeispiel sind die natürlichen Zahlen: In diesem Fall gibt es ein Basiselement, die Zahl 0; Die Operation, die wir anwenden, ist die sogenannte Nachfolgeroperation S, die, angewendet auf eine Zahl, deren Nachfolger ausgibt; Die Klasse
der natürlichen Zahlen ist dann genau die Klasse X = N, die
i. 0 enthält und
ii. für jedes n auch S(n) (den Nachfolger von n) enthält und
iii. nichts sonst enthält (also nichts, was sich nicht durch endlich ofte
Anwendung der Nachfolgeroperation “erzeugen” lässt).
Induktion über den Formelaufbau
So eine rekursive Definition gibt uns auch eine Beweismethode an die Hand, mit
Hilfe derer wir beweisen können, dass eine bestimmte Eigenschaft auf alle wohlgeformten Formeln zutrifft. Können wir nämlich zeigen, dass eine Eigenschaft auf alle
atomaren Aussagezeichen zutrifft und dass sie auf eine Formel ¬α, (α ∧ β), (α ∨ β)
und (α → β) zutrifft, FALLS sie auf α und β zutrifft, so haben wir damit gezeigt,
dass diese Eigenschaft auf ALLE wohlgeformten Formeln zutrifft, denn andere gibt es
nach unseren Wohlgeformheitsbedingungen nicht. Diese Beweismethode nennt man
auch Induktion über den Formelaufbau.
Beispiel: Wir wollen zeigen, dass jede wohlgeformte Formel genau so viele rechte
wie linke Klammern hat. Im ersten Schritt (dem Induktionsanfang) zeigen wir
also, dass diese Eigenschaft (genau so viele rechte wie linke Klammern zu haben) auf
atomare Aussagezeichen zutrifft. Das ist klar, weil atomare Aussagezeichen gar keine
Klammern enthalten.
1.2. SEMANTIK DER AL
9
Im zweiten Schritt (dem Induktionsschritt) zeigen wir, dass sich diese Eigenschaft ?vererbt?; Dazu beobachten wir: Falls die wohlgeformte Formel α genau so
viele rechte wie linke Klammern hat, dann auch ¬α (weil ja keine Klammern dazukommen!).
Falls α und β beide gleich viele rechte wie linke Klammern haben, dann auch
(α ∧ β), (α ∨ β) und (α → β). Denn in jedem Fall kommt genau eine rechte und eine
linke Klammer dazu. Weil alle wohlgeformten Formeln entweder atomare Aussagebuchstaben oder der Form ¬α, (α ∧ β), (α ∨ β) und (α → β) sind, ist damit gezeigt,
dassalle wohlgeformten Formeln die Eigenschaft besitzen, genau so viele rechte wie
linke Klammern zu haben.
1.2
Semantik der AL
Ein aussagenlogisches Modell (oder Interpretation, Bewertung) ist eine Funktion
v, die jedem atomaren Satzzeichen einen der Wahrheitswerte w (für wahr) oder f
(für falsch) zuordnet. Hier also die erste wichtige Definition:
Definition 2. Ein aussagenlogisches Modell ist eine Funktion v :
{p, q, r, s, p1 , q1 , ...} −→ {w, f }.
Für jedes Modell (d.h.für jede solche Funktion v) definieren wir nun weiters, wie
die Wahrheitswerte der komplexeren Sätze (d.h. der Sätze, die wir mittels der atomaren Satzzeichen und der Junktoren bilden können) von den Wahrheitswerten der
atomaren Satzzeichen abhängen. M.a.W: Wir geben Wahrheitsbedingungen für
alle möglichen Sätze an.
Wir machen das, indem wir wider rekursiv die Erweiterung v̄(α) der Funktion v
auf alle wohlgeformten Formelen definieren.
Definition 3.
v(α)
I. Falls α ein atomares Satzzeichen ist, so ist v̄(α) =
II. Falls α, β beliebige Formeln sind, so ist
i. v̄(¬α) = w genau dann wenn v̄(α) = f
ii. v̄(α ∧ β) = w gdw. v̄(α) = w und v̄(β) = w.
iii. v̄(α ∨ β) = w gdw. v̄(α) = w oder v̄(β) = w (oder beides).
iv. v̄(α → β) = w gdw. v̄(α) = f oder v̄(β) = w (oder beides)
Wir sagen nun: Ein Satz α ist wahr im Modell v” falls v̄(α) = w. Die Klausel II.i.
besagt also z.B. dass die Negation eines Satzes wahr ist genau dann wenn der Satz
10
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
selbst falsch ist. Klausel II. ii. besagt dass die Konjunktion zweier Sätze wahr ist genau
dann wenn beide Konjunkte wahr sind. Klausel II.iii. legt fest, dass eine Disjunktion
(ein “oder”-Satz) wahr ist, wenn mindestens einer der beiden Teilsätze wahr ist (mit
dem Zeichen ∨ haben wir uns also auf ein einschließendes Oder festgelegt).
Beispiel: Gegeben sei das Modell (die Interpretation, die Bewertung) v, wobei v
definiert sei durch
v(p) = w
v(q) = f
v(r) = w
(Die restlichen Werte von v interessieren uns im Moment nicht.)
Wir wollen den Wahrheitswert der Aussage ((p ∧ q) ∨ ¬r) berechnen, d.h. wir
wollen wissen, ob v̄((p ∧ q) ∨ ¬r) gleich f oder w ist. Wir wenden dazu suzsessive die
Wahrheitsbedingungen von oben an:
v̄((p ∧ q) ∨ ¬r) = w genau dann wenn v̄(p ∧ q) = w oder v̄(¬r) = w.
(Klausel )
Wir prüfen zunächst den ersten Fall:
v̄(p ∧ q) = w genau dann wennv̄(p) = w und v̄(q) = w. (Klausel ii)
Diesen Fall können wir aber schon ausschließen, denn bzgl. unserer Interpretation
v (und Klausel II.i.)) gilt: v̄(q) = f . Bleibt noch der andere Fall zu prüfen, nämlich
ob v̄(¬r) = w:
v̄(¬r) = w genau dann wenn v̄(r) = f , was bzgl. unserer Interpretation v
(und wiederum Klausel II.i.)) aber ebenfalls nicht der Fall ist.
Wir haben also gezeigt, dass in unserem Modell sowohl die Aussage (p ∧ q), als
auch die Aussage ¬r falsch ist ?- und damit dass die Aussage (p ∧ q) ∨ ¬r) ebenfalls
falsch ist.
Man kann sich die Definitionen von oben auch mit Hilfe von Wahrheitstafeln
klarmachen. Die Wahrheitstafel für die Bedingung II.ii. etwa sieht so aus:
α
w
w
f
f
β
w
f
w
f
(α ∧ β)
w
f
f
f
1.2. SEMANTIK DER AL
11
und die Wahrheitstafel für das sogenannte materiale Konditional (Klausel II.iv.)
sieht so aus:
α
w
w
f
f
β
w
f
w
f
(α → β)
w
f
w
w
Offenbar kann man solche Wahrheitstafeln auch dazu benutzen, um beliebigkomplexe Formel durchzuchecken und daraufhin zu überprüfen, ob sie in jeder/mindestens
einer/keiner Interpretation wahr (oder falsch) ist. Folgende Wahrheitstafel zeigt z.B.
dass das komplexe Schema (¬α ∨ β) äquivalent ist zu (α → β):
α
w
w
f
f
β
w
f
w
f
(¬α ∨ β)
w
f
w
w
Hier eine Wahrheitstafel für die komplexer Formel ((p ∨ q) ∨ ¬r):
p
w
w
w
w
f
f
f
f
q
w
w
f
f
w
w
f
f
r
w
f
w
f
w
f
w
f
((p ∨ q) ∨ ¬r)
w
w
w
w
w
w
f
w
Die Tafel zeigt, dass ((p ∨ q) ∨ ¬r) in jeder Interpretation wahr ist — bis auf die
Interpretation, in der p falsch, q falsch und r wahr ist.
Definition 4. i. Aussagenlogische Formeln, die in jeder Interpretation
wahr sind, nennt man Tautologien
ii. Aussagenlogische Formeln, die in mindestens einer Interpretation wahr
sind, nennt man erfüllbar
iii. Aussagenlogische Formeln, die in keiner Interpretation wahr sind,
nennt man Kontradiktionen
12
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Man kann sich etwa leicht davon überzeugen, dass die Formeln
a.) (p ∨ ¬p)
b.) (p → p)
Tautologien sind — dass die Formeln
a.) (p ∧ ¬p)
b.) ¬(p → p)
Kontradiktionen sind und dass die Formeln
a.) (p ∨ p)
b.) ¬(p → q)
erfüllbar sind.
Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, wie man Wahrheitstafeln benutzen kann,
um Argumente auf ihre Gültigkeit hin zu testen.
1.2.1
Exkurs 1: Funktionale Vollständigkeit
1.2.2
Exkurs 2: Normalformen
Folgende Problemstellung: wir haben eine vollständig ausgefüllte Wahrheitstafel vorgegeben. Wie können wir eine Formel (die genau die vorgegebenen atomaren Aussagebuchstaben enthält) finden, die genau diese Wahrheitstafel hat?
Angenommen wir haben etwa vorgegeben, dass unsere gesuchte Formel α diese
Wahrheitstafel hat:
1.2. SEMANTIK DER AL
13
p
w
w
w
w
f
f
f
f
q
w
w
f
f
w
w
f
f
r
w
f
w
f
w
f
w
f
α
w
f
w
f
f
f
w
f
Wie können wir so eine (irgendeine) Formel α finden? Eine Möglichkeit wäre
Herumprobieren. Herumprobieren ist zwar manchmal nicht das Schlechteste, man
kommt aber zu einer systematischeren Methode, wenn man sich folgendes überlegt:
Die vorgegebene Wahrheitstafel sagt uns, dass die gesuchte Formel in drei Fällen
wahr (1., 3. und 7. Zeile), in den restlichen Fällen falsch ist. Das heisst, die gesuchte
Formel ist wahr genau dann wenn:
p wahr und q wahr und r wahr (1. Zeile) ODER
p wahr und q falsch und r wahr (3. Zeile) ODER
p falsch und q falsch und r wahr (7. Zeile)
anders ausgedrückt: die gesuchte Formel α ist wahr genau dann wenn:
p wahr und q wahr und r wahr (1. Zeile) ODER
p wahr und ¬q wahr und r wahr (3. Zeile) ODER
¬p wahr und ¬q wahr und r wahr (7. Zeile)
nochmal anders ausgedrückt (indem wir die Wahrheitsbedingung für die Konjunktion (“und”) ∧ benutzen): die gesuchte Formel ist wahr genau dann wenn:
(p ∧ q ∧ r) wahr ist ODER
(p ∧ ¬q ∧ r) wahr ist ODER
(¬p ∧ ¬q ∧ r) wahr ist
14
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
oder nochmal anders (indem wir die Wahrheitsbedingung für die Disjunktion
(“oder”) ∨ verwenden – genau dann wenn
(p ∧ q ∧ r) ∨ (p ∧ ¬q ∧ r) ∨ (¬p ∧ ¬q ∧ r)
Et voila! Schon haben wir eine Formel α gefunden mit der obigen Wahrheitstafel,
nämlich die gerade erwähnte (lange) Formel (p ∧ q ∧ r) ∨ ..... (Wen die “Herleitung”
nicht überzeugt hat, der möge dies überprüfen, indem er eine Wahrheitstafel für die
Formel (p ∧ q ∧ r) ∨ .... macht.)
Man nennt so eine Formel auch eine Formel in (kanonischer) disjunktiver Normalform (kurz DNF ), weil sie eine Disjunktion (von lauter Konjunktionen) ist,
die Disjunktion ∨ also der Hauptjunktor der ganzen Formel ist. Sieht man sich
noch einmal die vorgegebene Wahrheitstafel an und vergleicht sie mit unserer Formel
(p ∧ q ∧ r) ∨ ...., so springt auch sofort der Algorithmus ins Auge, den man befolgen
muss, um zu (p∧q ∧r)∨.... zu kommen. Wir wollen uns dieses “Kochrezept” an einem
weiteren Beispiel veranschaulichen:
Folgende Wahrheitstafel sei vorgegeben:
p
w
w
w
w
f
f
f
f
q
w
w
f
f
w
w
f
f
r
w
f
w
f
w
f
w
f
α
f
f
f
f
w
w
f
w
Wieder wollen wir eine Formel α mit dieser Wahrheitstafel finden. Dazu machen
wir folgendes:
REZEPT für DNF :
Erster Schritt: Wir sehen uns alle Zeilen an, in der die gesuchte Formel
wahr sein soll. (In diesem Beispiel sind das die 5., 6. und die 8. Zeile.)
Zweiter Schritt: Wir sehen uns die Interpretationen der atomaren Aussagebuchstaben all dieser Zeilen an und bilden (für jede Zeile) eine Konjunktion
1.2. SEMANTIK DER AL
15
wie folgt: falls der atomare Aussagebuchstabe in dieser Interpretation den Wahrheitswert w hat, nehmen wir den Aussagebuchstaben selbst zur Konjunktion
dazu; falls der Aussagebuchstabe in dieser Interpretation den Wahrheitswert f
hat, nehmen wir die Negation dieses Aussagebuchstabens zur Konjunktion dazu. (Auf dieses Beispiel bezogen bedeutet das, dass wir Konjunktionen (¬p∧q∧r),
(¬p ∧ q ∧ ¬r) und (¬p ∧ ¬q ∧ ¬r) bilden.)
Dritter Schritt: Wir bilden die Disjunktion aller im zweiten Schritt gebildeten Konjunktionen und sind fertig. (Im Beispiel: Wir bilden die Formel
(¬p ∧ q ∧ r) ∨ (¬p ∧ p ∧ ¬r) ∨ (¬p ∧ ¬q ∧ ¬r).)
Der eben erläuterte Algorithmus bietet eine Möglichkeit eine Formel zu einer
beliebig vorgegebenen Wahrheitstafel zu finden (nämlich eine Formel in kanonischer
disjunktiver Normalform). Was tun wir aber mit folgender Wahrheitstafel?
p
w
w
w
w
f
f
f
f
q
w
w
f
f
w
w
f
f
r
w
f
w
f
w
f
w
f
α
w
w
w
f
w
w
f
w
Selbstverständlich funktioniert auch hier das eben beschriebene Kochrezept: wir
können also eine Formel in DNF finden, die genau diese Wahrheitstafel hat. Andererseits ist diese Formel ziemlich lang – es wäre also fein, wenn wir eine Methode
zur Hand hätten, um eine Formel mit dieser Wahrheitstafel zu finden, ohne 6 Konjunktionen von jeweils drei Aussagebuchstaben (oder deren Negationen) bilden zu
müssen.
Glücklicherweise gibt es so einen Algorithmus und er ist genau so einfach wie der
oben Beschriebene zum Finden einer Formel in DNF. Tatsächlich ist er vollkommen
komplementär dazu (man vergleiche dazu die beiden “Rezepte”). Wir machen dazu
folgendes:
16
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
REZEPT für KNF :
Erster Schritt: Wir sehen uns alle Zeilen an, in der die gesuchte Formel
falsch sein soll. (In diesem Beispiel sind das die 4. und die 7. Zeile.)
Zweiter Schritt: Wir sehen uns die Interpretationen der atomaren Aussagebuchstaben all dieser Zeilen an und bilden (für jede Zeile) eine Disjunktion
wie folgt: falls der atomare Aussagebuchstabe in dieser Interpretation den Wahrheitswert f hat, nehmen wir den Aussagebuchstaben selbst zur Disjunktion
dazu; falls der Aussagebuchstabe in dieser Interpretation den Wahrheitswert w
hat, nehmen wir die Negation dieses Aussagebuchstabens zur Disjunktion dazu.
(Auf dieses Beispiel bezogen bedeutet das, dass wir Disjunktionen (¬p ∨ q ∨ r)
und (p ∨ q ∨ ¬r) bilden.)
Dritter Schritt: Wir bilden die Konjunktion aller im zweiten Schritt gebildeten Disjunktionen und sind fertig. (Im Beispiel: Wir bilden die Formel
(¬p ∨ q ∨ r) ∧ (p ∨ q ∨ ¬r).)
Man nennt so eine Formel auch eine Formel in (kanonischer) konjunktiver Normalform (KNF ). Wir haben also eine zweite Methode gefunden, um eine Formel zu
finden, die zu einer vorgegebenen Wahrheitstafel “passt”. Beide Methoden kann man
selbstverständlich auch dazu benutzen um zu einer vorgegebenen Formel eine andere,
dazu äquivalente Formel in DNF (oder KNF ) zu finden.
Angenommen uns ist etwa die Formel (p → q) ∨ q vorgegeben und wir wollen eine
dazu äquivalente Formel in DNF finden. Alles was wir tun müssen ist, die Wahrheitstafel für (p → q) ∨ q aufstellen
p
w
w
f
f
q
w
f
w
f
(p → q) ∨ q
w
f
w
w
und danach das “REZEPT für DNF ” anwenden um auf die zu (p → q) ∨ q
äquivalente Formel (p ∧ q) ∨ (¬p ∧ q) ∨ (¬p ∧ ¬q) zu kommen.
Man beachte dass man mit den beiden Methoden kanonische Normalformen (DNF
oder KNF ) bekommt. Bei der kanonischen DNF z.B. kommt in jedem Disjunkt jeder
1.3. SEMANTISCHER FOLGERUNGSBEGRIFF
17
Aussagebuchstabe genau einmal vor (negiert oder unnegiert). Es gibt aber natürlich
auch Formeln, die in DNF vorliegen, aber nicht in kanonischer DNF. Eine Formel
liegt in DNF vor, wenn sie eine Disjunktion von Konjunktionen von Literalen (d.i.
Aussagebuchstaben oder deren Negationen) ist. Das muss aber nicht bedeuten dass
in den Konjunktionen jeder Aussagebuchstabe auch vorkommen muss! Z.B. ist die
Formel ¬p ∨ q eine Formel in DNF (sie ist eine Disjunktion von “leeren Konjunktionen”, d.i. Konjunktionen, die nur aus einem Konjunkt bestehen), die zu obiger
Formel (p → q) ∨ q äquivalent ist. Sie ist aber nicht in kanonischer DNF, weil eben
nicht in jedem Disjunkt jeder Aussagebuchstabe genau einmal vorkommt. Anders gesagt: Während es zu jeder Formel (unendlich) viele dazu äquivalente Formel in DNF
gibt (man überlege sich wieso!), gibt es – bis auf Vertauschungen bei den Disjunkten
und den Konjunkten – nur eine kanonische DNF (deshalb heißt sie auch kanonisch).
(Das alles gilt natürlich mutatis mutandis auch für die (kanonische) KNF.)
1.3
Semantischer Folgerungsbegriff
Es sei α eine AL-Formel und Σ eine Menge von AL-Formeln. Ein Paar hΣ, αi nennen
wir ein Argument (manchmal auch einen Schluss). Die Formeln in der Menge Σ
nennt man die Prämissen des Arguments, die Formel α die Conclusio.
Die Logik beschäftigt sich ganz entscheidend mit der Frage, welche Argumente
(oder Schlüsse) gültig sind und welche nicht. Hier die zentrale Definition der semantischen Gültigkeit eines Arguments:
Definition 5. Eine Formel α (die Conclusio) folgt semantisch aus
einer Menge von Formeln Σ (den Prämissen) genau dann wenn für jedes
AL-Modell v gilt: Wenn für jedes β ∈ Σ gilt, dass v̄(β) = w, dann ist auch
v̄(α) = w. Falls das der Fall ist, schreiben wir auch Σ |= α.
In Worten also: Eine Formel α folgt semantisch aus einer Menge von Formeln Σ
genau dann wenn α immer dann wahr ist, wenn auch alle Prämissen (also die Formeln
in Σ wahr sind.
Wollen wir also zeigen, dass ein Argument semantisch gültig ist, so haben wir
demnach alle AL-Modelle durchzusehen, wo alle Prämissen wahr sind. Falls in all
diesen Modellen auch die Conclusio wahr ist, so ist das Argument semantisch gültig.
Falls dies nicht der Fall ist (d.h. falls es auch nur ein Modell gibt, in dem alle Prämissen
wahr sind, nicht aber die Conclusio) so ist das Argument nicht semantisch gültig. Ein
Beispiel dazu wird (hoffentlich) helfen:
18
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Wir betrachten folgendes Argument (A):
A. Lorelay mag Emily oder Rory mag Emily.
B. Lorelay mag Emily nicht.
———————
C. Also mag Rory Emily.
Wenn wir dieses Argument, dessen Prämissen die Sätze “Lorelay mag Emily oder
Rory mag Emily” und “Lorelay mag Emily nicht” sind und dessen Conclusio der Satz
“Rory mag Emily” ist, in unsere aussagenlogischen Sprache übersetzen, so erhalten
wir folgendes Schema:
A. (p ∨ q)
B. ¬p
——–
C. q
Wir wollen nun wissen ob die letze Formel (also q) aus den Prämissen (also der
Menge von Formeln {(p ∨ q), ¬p} semantisch folgt, d.h. ob {(p ∨ q), ¬p} |= q.
Dazu stellen wir zunächst eine Wahrheitstafel für alle beteiligten Formeln auf.
p
w
w
f
f
q
w
f
w
f
(p ∨ q)
w
w
w
f
¬p
f
f
w
w
q
w
f
w
f
In der zweiten und dritten Spalte stehen die Prämissen, in der letzten die Conclusio. Wie man sehen kann, gibt es genau ein Modell (eine Zeile in der Wahrheitstafel),
in der alle Prämissen wahr sind, nämlich das Modell, wo p falsch ist und q wahr. In
diesem Modell ist auch die Conclusio wahr (siehe letzte Spalte).
Nun erinnere man sich daran, dass ein Satz semantisch aus einer Menge von
Prämissen folgt, wenn dieser Satz in jedem Modell wahr ist, in dem auch alle Prämissen
wahr sind. Nun ist das einzige Modell, in dem alle Prämissen wahr sind aber dieses
eine Modell (Zeile 3) – und hier ist tatsächlich auch die Conclusio wahr.
Wir haben somit gezeigt, dass
1.3. SEMANTISCHER FOLGERUNGSBEGRIFF
19
{(p ∨ q), ¬p} q
und damit, dass das Argument (A) oben gültig ist.
Hier noch ein weiteres Beispiel. Wir wollen wissen, ob folgendes Argument (B)
semantisch gültig ist:
A. Wenn Martina Kuno mag, dann mag sie auch Leopold.
B. Martina mag Kuno nicht.
———————
C. Also mag sie auch Leopold nicht.
Wir übersetzen wieder und sind also vor die Frage gestellt, ob gilt, dass {(p → q), ¬p} |=
¬q und wieder erstellen wir eine Wahrheitstafel für alle beteiligten Formeln:
p
w
w
f
f
q
w
f
w
f
(p → q)
w
f
w
w
¬p
f
f
w
w
¬q
f
w
f
w
Wir müssen wieder alle Modelle durchgehen, in denen alle Prämissen wahr sind. Im
gegebenen Beispiel gibt es deren 2 Stück – die dritte und die vierte Zeile. In beiden
Modellen muss die Conclusio ebenfalls wahr sein, damit das Argument tatsächlich
semantisch gültig sein soll. In der vierten Zeile ist dies auch tatsächlich der Fall. Aber
in der dritten nicht!
Wir erinnern uns, dass ein Satz aus einer Menge von Prämissen folgt genau dann
wenn der Satz in jedem Modell wahr ist, in dem auch alle Prämissen wahr sind. Hier
haben wir aber ein Gegenmodell gefunden. Zeile 3 liefert uns ein Modell, in dem alle
Prämissen wahr sind, aber die Conclusio falsch. Kurz, ¬q folgt nicht semantisch aus
der Prämissenmenge {(p → q), ¬p}, oder in Zeichen:
(p → q), ¬p 2 ¬q
Damit ist auch gezeigt, dass das Argument (B) oben nicht semantisch gültig ist.
(Diesen – bekannten – Fehlschluss nennt man auch “Verneinung des Antezedens”. Der
20
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Fehlschluss der “Affirmation des Konsequens” ergibt sich, wenn wir von p → q und q
auf p schließen wollen.)
MERKE!
Um zu zeigen, dass ein Satz aus einer Menge von Prämissen semantisch folgt, ist
es notwendig alle Modelle durchzugehen, in denen alle Prämissen wahr sind. Es
ist in jedem dieser Fälle zu prüfen, ob dort auch die Conclusio wahr ist.
Um andererseits zu zeigen, dass ein Satz nicht semantisch aus einer Menge von
Prämissen semantisch folgt, ist es ausreichend, ein einziges Modell zu finden, in
dem alle Prämissen wahr sind, aber die Conclusio falsch.
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
1.4
21
Syntaktische Folgerungsbegriffe
Der semantische Folgerungsbegriff besagte: eine Formel γ folgt semantisch aus
einer Menge von Formeln Σ (in Zeichen: Σ |= γ), genau dann wenn γ in jedem Modell
(bei jeder Interpretation, bei jeder Bewertung) wahr ist, in dem auch alle Formeln in
Σ wahr sind.
Demgegenüber betrachten wir jetzt den (genauer gesagt einen bestimmten) syntaktischen (oder beweistheoretischen) Folgerungsbegriff. Ein Satz γ folgt syntaktisch aus einer Menge von Sätzen Σ (in Zeichen: Σ ` γ ) genau dann wenn γ mit
bestimmten Regeln hergeleitet werden kann. Was mit “bestimmten Regeln” gemeint
ist, kann von Fall zu Fall variieren. D.h. je nach den Axiomen, die wir annehmen
und den Schlussregeln, die wir zulassen, erhalten wir verschiedene syntaktische Folgerungsbegriffe (auch wenn sich dann später herausstellen wird, dass diese äquivalent
sind, in dem Sinne, dass aus einer bestimmten Satzmenge dieselben Sätze syntaktisch
folgen, i.e. beweisbar sind).
1.4.1
Axiomatischer Kalkül nach Frege-Lukasievicz
Der erste syntaktische Folgerungsbegriff, den Sie in der Vorlesung kennen gelernt
haben, geht aus von bestimmten Axiomen, nämlich:
I. α → (β → α)
II. (α → (β → γ)) → ((α → β) → (α → γ))
III. (¬α → ¬β) → (β → α)
Man nennt diese Axiome auch die Frege-Lukasiewicz-Axiome, benannt nach
den beiden Logikern Gottlob Frege und Jan Lukasiewicz.
Es ist zu beachten, dass es sich hier eigentlich nicht um einzelne Axiome, also
um Sätze, sondern um Axiomenschemata, handelt. Die griechischen Kleinbuchstaben
sind – wie schon früher – Metavariablen, die für Formeln stehen und gehören nicht zu
unserer offiziellen aussagenlogischen Sprache (dazu gehören nur die atomaren Satzbuchstaben p, q, r, ..., die aussagenlogischen Junktoren und Klammern. Wir erhalten
durch Einsetzen von konkreten Formeln für α, β und γ dann konkrete Axiome. Es
sind z.B. die Formeln
i. p → ((p → q) → p)
ii. (¬(p → q) → ¬q) → (q → (p → q))
beides Axiome: Die erste Formel ist ein Axiom der Form α → (β → α), denn wir
erhalten sie, indem wir im Schema α → (β → α) für α die Formel p einsetzen und für
β die Formel (p → q).
22
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Die zweite Formel ist ein Axiom der Form (¬α → ¬β) → (β → α), weil wir sie
erhalten, indem wir in (¬α → ¬β) → (β → α) das α durch die Formel p → q ersetzen
und β durch die Formel q.
Bis jetzt haben wir nur die Möglichkeit Axiome anzuschreiben. Wenn wir aber
Sätze formal beweisen wollen, brauchen wir auch noch Schlussregeln, die es uns erlauben, von bestimmten Sätzen zu anderen Sätzen überzugehen. Die einzige Schlussregel, die wir hier benutzen, ist der Modus Ponens, der besagt, dass: Wenn wir die
Formel α schon bewiesen haben und auch die Formel α → β, dann können wir β auch
hinschreiben. D.h. der Modus Ponens erlaubt uns den Übergang von α und α → β zu
beta.
Wir sagen, dass eine Formel α ein Theorem ist, falls gilt ` α, d.h. falls α aus der
leeren Prämissenmenge syntaktisch folgt (d.i. beweisbar ist). Ein Theorem ist also das
syntaktische Äquivalent zur Tautologie, die semantisch aus der leeren Menge folgt.
Hier nochmal zum Nachlesen der Beweis aus der Übung, wo wir nachgewiesen
haben, dass ` p → p, d.h. dass p → p ein Theorem ist. Man sieht hier auch, wie ein
Beweis in diesem konkreten Kalkül auszusehen hat (Beweis im Kalkül des natürlichen
Schließens, den sie später kennen lernen werden, sehen anders aus).
1. p → ((q → p) → p) [Ax.der Form 1; α/p, β/q → p]
2. (p → ((q → p) → p)) → ((p → (q → p)) → (p → p)) [Ax. der Form 2;
α/p, β/q → p, γ/p]
3. (p → (q → p)) → (p → p) [Modus Ponens auf Zeilen 1 und 2]
4. p → (q → p) [Ax. der Form 1; α/p, β/p]
5. p → p [Modus Ponens auf Zeilen 3 und 4]
Der Kommentar “[Ax.der Form 1; α/p, β/q → p]” auf der rechten Seite bedeutet
hierbei folgendes: “Ergebnis der Ersetzung von α durch die Formel p und der Ersetzung von β durch die Formel q → p im Axiomenschema 1, d.i. im Axiomenschema
α → (β → α)”. D.h. wir notieren rechts immer, wie wir zur Formel in der aktuellen
Zeile gekommen sind. “[Modus Ponens auf Zeilen 3 und 4]” bedeutet offensichtlich,
dass wir die Formel in der aktuellen Zeile durch Anwendung des Modus Ponens auf
die Formeln in den Zeilen 3 und 4 gewonnen haben.
Wichtig also:
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
23
Definition 6. Ein Beweis (im axiomatischen Kalkül nach Frege-Lukasievicz) von α
aus der Formelmenge Σ ist eine endliche Folge von Formeln, sodass gilt: α steht
in der letzten Zeile dieser Folge und jede Formel der Folge ist
i. eine Prämisse, d.h. Element der Menge Σ oder
ii. eine Instanz eines der Axiomenschemata I. – III. oder
iii. geht aus früheren Zeilen durch Modus Ponens hervor.
MERKE!
Formales Beweisen besteht also darin, ohne Rücksicht auf deren Bedeutungen,
aus bestimmten Zeichenketten nach exakten Regeln andere Zeichenketten zu erzeugen.
1.4.2
Exkurs: Das Deduktionstheorem
1.4.3
Kalkül des natürlichen Schließens
Wir haben früher schon einen Kalkül kennen gelernt, mit dem es möglich ist, die
Gültigkeit von Argumenten rein syntaktisch – durch Zeichenmanipulationen und ohne
Bezug auf Wahrheit oder andere semantische Begriffe – zu überprüfen. Aber axiomatische Kalküle sind beweistechnisch sehr unhandlich – einen Beweis gezielt zu finden
kann ziemlich schwierig sein. Deshalb hat man in den 30er Jahren handlichere, intuitivere Kalküle erfunden; Kalküle, die dem Schlussfolgern, wie es z.B. in der Mathematik
tatsächlich vor sich geht, näher kommen. Eine Variante so eines Kalküls – einen Fitchstyle Kalkül des natürlichen Schließens – werden wir uns näher ansehen.
Im Gegensatz zu axiomatischen Kalkülen, wo es einige Axiome und nur wenige
Schlussregeln gibt -– in unserem Fall beschränkten sich die Schlussregeln auf den
modus ponens -– gibt es in dieser Variante des Kalküls des natürlichen Schließens
keine Axiome und viele Schlussregeln.
Es gibt für jeden unserer Junktoren ¬, ∧, →, ∨ sogenannte Einführungs- (Introduction) und Beseitigungsregeln (Eliminationrules). Außderdem gibt es — weil es ja keine
Axiome gibt eine Regel der Annahme, die es erlaubt, beliebige Annahmen (möglicherweise
nur temporär) zu treffen, um daraus etwas herzuleiten.
24
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Die Regeln lauten:
Regel der Annahme:
α
A
...
Die Regel der Annahme besagt, dass man beliebige Formeln an jeder Stelle in
einem Beweis einfach annehmen kann. Kommentiert wird diese Regel mit dem Kürzel
A. Der waagrechte Strich wird unter jede Annahme angebracht und der senkrechte
Strich gibt an, wie weit man eine Annahme “mitschleppt”. Jedes mal, wenn wir eine
neue Annahme treffen, rücken wir um einen senkrechten Strich nach rechts herein.
Und jedes Mal wenn wir eine Abhängigkeit beseitigen können (Regeln, mit denen man
Abhängigkeiten beseitigen kann, werden wir später kennen lernen), rücken wir nach
links: Die senkrechten Striche links neben einer Formel deuten also an, von welchen
Annahmen diese Formel abhängt. Um die verschiedenen Abhängigkeiten festzustellen
geht man einfach alle senkrechten Striche neben der Formel nach oben und sieht nach,
welche Annahmen (oder Prämissen) dort beginnen (also einen waagrechten Strich
haben). (Nach ein paar Beispielen wird klarer sein, wie das funktioniert.)
Einführungsregel für ∧:
α
...
β
...
α∧β
∧-E
1. Beseitigungsregel für ∧:
α∧β
...
α
2. Beseitigungsregel für ∧:
∧-B
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
25
α∧β
...
β
∧-B
Die Einführungsregel für ∧ besagt: Wenn ich α herleiten kann und auch β, dann
kann ich mit der Regel der ∧-Einführung auch α ∧ β herleiten.
Die Beseitigungsregeln für ∧ besagen, dass, wenn ich α ∧ β herleiten kann, dann
mit der jeweiligen Beseitigungsregel sowohl α als auch β herleiten kann – also sowohl
die links vom ∧ stehende als auch die rechts vom ∧ stehende Formel.
1. Regel der ∨-Einführung
α
...
α∨β
∨-E
2. Regel der ∨-Einführung
α
...
β∨α
∨-E
Die Einführungsregeln für ∨ sollten klar sein: Wenn ich α bewiesen habe, dann
kann ich auf das (schwächere) α ∨ β und das (ebenfalls schwächere) β ∨ α schließen.
Die Beseitigungsregel(n) für ∨ lauten:
1. Regel der ∨-Beseitigung:
α∨β
...
¬α
...
β
∨-B
26
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
und
2. Regel der ∨-Beseitigung:
α∨β
...
¬β
...
∨-B
α
Beide Regeln sind also Varianten des disjunktiven Syllogismus (modus tollendo
ponens), der besagt: Wenn eine Disjunktion wahr ist, und von einer der beiden Aussagen (Disjunkte) ist bekannt, dass sie falsch ist, dann muss die andere Aussage wahr
sein.
Einführungsregel für →:
α
A
...
β
α→β
→-E
Beseitigungsregel für →:
α
...
α→β
β
→-B
Die Einführungsregel für → besagt, dass: wenn ich unter der Annahme, dass α
gilt, mit den Regeln des Kalküls zeigen kann, dass auch β gilt, so kann ich mit der →Einführungsregel zeigen, dass α → β gilt und nach links hereinrücken; die Annahme
α kann also fallengelassen werden.
Die Beseitigungsregel ist einfach nur eine Formulierung des Modus Ponens, d.h.
von α und α → β kann man auf β schließen.
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
27
Einführungsregel für ¬:
α
...
β ∧ ¬β
¬α
¬-E
Beseitigungsregel für ¬:
¬α
...
β ∧ ¬β
α
¬-B
Die ¬-Einführungsregel besagt: Wenn ich unter der Annahme, dass α gilt, einen
expliziten Widerspruch der Form β ∧ ¬β herleiten kann, so kann ich mit dieser Regel
¬α beweisen und die Annahme α beseitigen (also nach links unter den senkrechten
Strich hereinrücken).
Ähnlich besagt die ¬-Beseitigungsregel, dass ich α beweisen kann, falls ich unter
der Annahme, dass ¬α gilt, einen Widerspruch herleiten kann. Wieder kann ich nach
links einrücken und die Annahme ¬α fallenlassen.
Beide Regeln entsprechen gewissermaßen dem Widerspruchsbeweis, auch reductio ad absurdum genannt. Wir zeigen also, dass ein Satz gilt, indem wir zeigen,
dass ihre Negation zu einem Widerspruch führt.
Hier einige Beispiele:
Wir wollen zeigen, dass das Gesetz der doppelten Negation ¬¬p → p ein Theorem
ist – also aus der leeren Prämissemenge beweisbar.
28
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
1
¬¬p
A
2
¬p
A
3
¬¬p ∧ ¬p
∧E 1,2
4
5
p
¬¬p → p
¬-B 1,2,3
→E 1,4
Zur Erklärung: Die erste Spalte gibt die Zeilennummer an. In der letzten Spalte
stehen die (Kürzel für die) Regeln und auf welche Zeilen sie angewandt wurden.
In der ersten Zeile nehmen wir an, das ¬¬p gilt und wollen daraus herleiten, dass
p gilt. Diese Strategie ist ganz allgemein: Immer wenn das, was gezeigt werden soll,
eine Implikation -– also der Form α → β -– ist, führe man das Antezedens α mit
der Regel der Annahme ein, und versuche β herzuleiten. Zum Schluss wende man die
Regel der →-Einführung an und man erhält α → β (und kann die Abhängigkeit von
α beseitigen — also nach links einrücken).
Mit ¬¬p können wir mit unseren Regeln zunächst nicht viel anfangen: wir wollen es
deshalb mit einer reductio ad absurdum versuchen: Dazu nehmen wir die Negation von
dem was wir zeigen wollen (nämlich p), also ¬p an und versuchen einen Widerspruch
herzuleiten. Ein Widerspruch ergibt sich dann ganz leicht, wenn wir einfach die Regel
der ∧-Einführung auf unsere beiden Annahmen anwenden. Die Zahlen neben dem
Kürzel ∧E sollen darauf hinweisen, dass wir diese Regel auf die (Formeln in den)
Zeilen 1 und 2 anwenden.
Wir haben nun einen Widerspruch aus der Annahme ¬p hergeleitet, können also die Regel der ¬-Beseitigung anwenden und wieder nach links einrücken (und die
temporäre Annahme ¬p, die nur dazu da war, den Widerspruch herzuleiten, wieder
fallen lassen). Neben dem Kürzel schreiben wir die Zahlen der Zeilen, auf die die Regel
angewandt wurde; das sind die Zeilennummern der Annahmen, die zum Widerspruch
geführt haben und die Zeile, in der der explizite Widerspruch steht.
Zum Schluss wenden wir — wie angekündigt -– die Regel der →-Einführung an,
rücken wieder nach links (werden also die Abhängigkeit von ¬¬p los) und sind fertig.
Zitiert werden bei der →-Einführung die Zeile, in der das Antezedens angenommen
wurde, und die Nummer der Zeile, in der das Konsequens steht (das ja irgendwo
stehen muss, damit diese Regel überhaupt angewendet werden kann).
Hier noch ein Beispiel: Wir wollen zeigen, dass das sogenannte ex contradictione
quodlibet (aus einem Widerspruch folgt beliebiges) , also (p ∧ ¬p) → q gilt:
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
1
p ∧ ¬p
A
2
¬q
A
3
p ∧ ¬p
Re 1
4
5
29
¬-B 1,2,3
q
(p ∧ ¬p) → q
→E 1,4
Wir haben in diesem Beispiel eine neue Regel benutzt, die strenggenommen notwendig ist. Die Regel besagt, dass wir in beliebigen späteren Zeilen, auch auf “höheren”
Ebenen schon bewiesene Formeln beliebig oft wiederholen können. Man nennt sie auch
Reiterations- oder Repetitionsregel.
Im konkreten Fall brauchen wir diese Regel deshalb, weil wir ja nach ¬q einen
expliziten Widerspruch brauchen, um dann Regel ¬B anwenden zu können. Wir benutzen diese neue Regel deshalb, um den Widerspruch in Zeile 1 zu wiederholen.
Ansonsten ist die Strategie ziemlich ähnlich der im ersten Beispiel: Der zu beweisende Satz (p ∧ ¬p) → q ist eine Implikation – wir nehmen also wieder das Antezedens
an und versuchen das Konsequens herzuleiten. Das machen wir wieder via reductio ad absurdum, d.h. wir nehmen die Negation der Conclusio an – d.i. ¬q – und
versuchen einen Widerspruch herzuleiten. Der Widerspruch ist nun aber schon da –
nämlich die Annahme in Zeile 1 – wir brauchen ihn also nur zu wiederholen. Die ¬Beseitigungsregel erlaubt uns nun auf q zu schließen und mit der →-Einführungsregel
kommen wir wieder auf das gewünschte (p ∧ ¬p) → q.
Die letzten beiden Regeln (die wir, wie wir gesehen haben, aus rein technischen
Gründen brauchen) sind also die sogennanten Reiterationsregeln:
1. Reiterationsregel:
α
...
α
Re1
Diese Regel besagt also nichts weiter, als dass wir jeden Satz, der schon bewiesen
wurde, beliebig oft wiederholen können.
2. Reiterationsregel:
30
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
α
...
...
α
Re2
Die Regel Re2 besagt, dass ich einen schon bewiesenen Satz wiederholen darf,
auch auf einer neuen, “höheren” Ebene. D.h. ich darf eine bewiesene Formel von einer
zusätzlichen Annahme abhängig machen. Man beachte, dass man diese Regel nicht
benutzen darf, um eine Formel von einer “höheren” in eine “niedrigere” Ebene zu
importieren.
Man betrachte etwa folgende (falsche!) Anwendung der Regel Re2 :
1
p
2
A
q
3
q
4
p→q
A
Re 2
→E 1,3
Wir hätten somit bewiesen, dass p → q ein Theorem ist, egal welche Sätze p und
q sind, was natürlich nicht sein kann.
Der Grund, warum man beide Regeln – streng genommen – braucht, ist, weil die
anderen Regeln in einer ganz bestimmten Art und für eine ganz bestimmte Reihenfolge formuliert waren. Die Regel für die →-Beseitigung etwa war (streng genommen)
so formuliert: Wenn wir (zuerst!) α und (dann!) α → β bewiesen haben, dann können
wir β mit →-B beweisen. Offensichtlich spielt aber die Reihenfolge keine wesentliche
Rolle. Rein technisch müssen wir diesem Umstand aber Rechnung tragen und brauchen demgemäß die Regel Re1 . (Frage: Warum braucht man so eine Regel für den
axiomatischen Kalkül nicht!?)
Ähnliches gilt für die Regel Re2 . Sehen wir uns wieder beispielhaft die Regel für
die →-Beseitigung an: Diese Regel war nur für Formeln α und α → β, formuliert,
wenn sie auf einer Beweisebene stehen. Intuitiv sollten beide Formeln aber auch
auf höhere Ebenen übertragbar sein, denn: was bewiesen ist, ist bewiesen, d.h. eine
zusätzliche Annahme kann etwas schon Bewiesenes nicht “falsch machen”; wir sollten
schon Bewiesenes verwenden können, auch wenn wir zusätzliche Annahmen treffen.
Folgende streng genommen nicht ganz korrekte Ableitung
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
1
q→p
P
2
q
A
3
p
→-B 1,2
4
q→p
31
→-E 2 - 3
kann aber sehr einfach in eine vollständige Ableitung verwandelt werden:
1
q→p
P
2
q
A
3
q→p
Re2 1
4
p
→-B 2,3
5
q→p
→-E 2 - 4
Wir werden aber bei der Anwendung dieser Regeln nicht besonders streng sein,
und meistens weglassen. (Tatsächlich wurde die Regel im ersten Beispiel oben schon
“vergessen”.)
Hier noch ein Beispiel, in dem eine ∨-Beseitigung vorkommt: Wir wollen zeigen,
dass {¬p ∨ q, q → ¬p} ` ¬p
1
¬p ∨ q
P
2
q → ¬p
P
3
¬¬p
A
4
q
∨-B 1, 3
5
¬p
→-B 2, 4
6
¬¬p ∧ ¬p
∧-E 3, 5
7
¬p
¬-B 3 - 6
In diesem Beweis kommen auch Prämissen vor. Prämissen verhalten sich ähnlich
wie Annahmen, nur dass man ihre Wahrheit für einen ganzen Beweis als “fixiert”
betrachet (anders als Annahmen, die innerhalb eines Beweises auch nur temporär
getroffen werden können). Wir setzen die Prämissen daher geblockt an den Anfang
eines Beweises.
32
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Die grundsätzliche Idee hinter dieser Ableitung ist eine reductio ad absurdum: Wir
nehmen an, ¬¬p würde gelten, und führen diese Annahme zu einem Widerspruch. Der
Rest sollte klar sein: nimmt man ¬¬p an, dann muss aufgrund der ersten Prämisse q
gelten (mit ∨-Beseitigung); damit aber auch ¬p aufgrund der zweiten Prämisse (mit
→-B). ¬p steht aber im Widerspruch zur getroffenen Annahme ¬¬p. Also muss ¬¬p
falsch sein, also ¬p wahr.
1.4.4
Übungsbeispiele
Leite im Kalkül des natürlichen Schließens ab:
1. {p → ¬p} ` ¬p
2. {¬p → (p ∧ q), ¬q} ` p ∧ ¬q
3. {p, p → (p ∧ r)} ` r ∨ s
4. {(p ∧ ¬q) ∨ (¬r ∧ p)} ` p
5. {p ∧ q} ` ¬(¬p ∨ ¬q)
6. {p ∨ q} ` ¬(¬p ∧ ¬q)
7. {¬(¬p ∨ ¬q)} ` p ∧ q
8. {¬(¬p ∧ ¬q)} ` p ∨ q
9. ` (p → q) → (¬p ∨ q)
10. ` (¬p ∨ q) → (p → q)
Die Lösungen findet man im Abschnitt 3.1.
1.4.5
Der Resolutionskalkül
Der Resolutionskalkül ist ein weiteres syntaktisches Verfahren, um zu zeigen ob ein
Argument gültig ist. Die Motivation ist allerdings etwas anders als bei den bisherigen Kalkülen. Im Axiomatischen Kalkül oder dem Kalkül des natürlichen Schließens
hatten wir einige Regeln und Axiome, mit deren Hilfe wir aus einer bestimmten Menge von Prämissen direkt (manchmal mit Hilfe von Zusatzannahmen) die Konklusion
hergeleitet haben. Im Resolutionskalkül ist das anders.
Die Motivation des Resolutionsverfahrens ist stark semantisch motiviert und geht
von der Tatsache aus, dass ein Satz β semantisch aus einer Menge von Prämissen
{α1 , ...αn } folgt wenn es keine Interpretation gibt bzgl. der alle Prämissen wahr sind
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
33
und die Konklusion β falsch (d.h. ¬β wahr) ist. Kurz: {α1 , ...αn } β genau dann
wenn die Menge {α1 , ...αn , ¬β} nicht erfüllbar ist. Die Grundidee des Resolutionsverfahrens ist dann sehr einfach: wir nehmen einfach an, dass {α1 , ...αn , ¬β} — oder
was dasselbe ist α1 ∧ ... ∧ αn ∧ ¬β — doch erfüllbar ist und versuchen dann (mit Hilfe
einfacher Umformungsregeln) zu zeigen, dass auch eine bestimmte widersprüchliche
Formel erfüllbar wäre. Gelingt uns das, sind wir fertig. Denn widersprüchliche Formeln sind nicht erfüllbar ! Die ursprüngliche Annahme dass {α1 , ...αn } erfüllbar wäre,
muss also falsch sein, {α1 , ...αn , ¬β} muss unerfüllbar sein — und damit muss β aus
{α1 , ...αn } semantisch folgen.
Soweit zur Idee, die hinter dem Resolutionskalkül steht. Das Verfahren selbst ist
sehr einfach und lässt sich durch folgenden Alogrithmus beschreiben:
REZEPT für Resolutionsverfahren:
Erster Schritt: Bilde die Konjunktion aller Prämissen α1 , ...αn zusammen
Negation der Konklusion β, d.h. α1 ∧ ... ∧ αn ∧ ¬β.
Zweiter Schritt: Wandle die Formel α1 ∧ ... ∧ αn ∧ ¬β in eine Konjunktive
Normalform um. Entweder — brute force — mit Hilfe des oben besprochenen
Algorithmus (vgl. 1.2.2) oder mit Hilfe folgender Ersetzungsregeln: ¬¬α = α,
α → β = ¬α ∨ β, α ∧ β = ¬(¬α ∨ ¬β), ¬(α ∨ β) = ¬α ∧ ¬β, α ↔ β = (α →
β) ∧ (β → α), α ∨ (β ∧ γ) = (α ∨ β) ∧ (α ∨ γ), α ∧ (β ∨ γ) = (α ∧ β) ∨ (α ∧ γ)
Dritter Schritt: Man lasse in der resultierenden Formel in KNF die ganzen
Konjunktionen weg und ersetze sie durch Beistriche.
Vierter Schritt: Man wende die beiden folgenden Regeln an, bis man auf
einen Ausdruck der Form α, ¬α — d.h. einen Widerspruch — kommt:
α ∨ β, ¬β ∨ γ
RES
α∨γ
α∨α
FAKT
α
Die erste Regel ist die Resolutionsregel, die zweite die Faktorisierungsregel.
Hier einige einfache Beispiele. Wir wollen mit Hilfe des Resolutionskalküls zeigen,
dass aus den Prämissen p ∨ q und ¬p die Konklusion q folgt. Dazu bilden wir gemäß
Schritt 1 die Konjunktion der Prämissen und der Negation der Konklusion, also den
Satz (p ∨ q) ∧ ¬p ∧ ¬q. Im nächsten Schritt wandeln wir den Satz um in Konjunktive
Normalform. In diesem Fall ist das sehr einfach — der Satz IST schon in konjunktiver
Normalform, d.h. er ist ein Konjunktion von Lauter Disjunktionen von sogenannten
34
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Literalen. Literale sind die atomaren Satzbuchstaben und deren Negationen — nicht
aber deren doppelte Negationen. Die einzelnen Konjunkte in der KNF — d.h. die
Disjunktionen — heissen auch Klauseln. D.h. die Formel um die es in diesem Beispiel
geht enthält 3 Klauseln: (p ∨ q), ¬p und ¬q. Jede einzelne Klausel ist eine Disjunktion
(einzelne Satzbuchstaben oder deren Negationen zählen auch als Disjunktionen) von
Literalen. Die Formel p ∨ q z.B. ist die Disjunktion der Literale p und q.
Im nächsten Schritt lassen wir die Konjunktionen weg und ersetzen sie durch
Beistriche und erhalten den Ausdruck p ∨ q, ¬p, ¬q — auf diesen wenden wir dann die
Regeln RES und FAKT an und versuchen die “leere Klausel” bzw. einen Widerspruch
herzuleiten, d.h. einen Ausdruck der Form α, ¬α. In diesem Beispiel ist das wieder
sehr einfach: wir wenden einfach einmal die Resolutionsregel an:
p ∨ q, ¬p, ¬q
RES
q, ¬q
Das p in der ersten Klauesel p ∨ q und das ¬p in der zweiten Klausel “kürzen
sich weg” aufgrund unserer Resolutionsregel RES. (Streng genommen entspricht das
nicht unserer Formulierung der Regel RES, die das “Wegkürzen” eigentlich nur dann
erlaubt, wenn die beiden Formeln direkt nebeneinander stehen. Wir erlauben uns hier
den Luxus dieser etwas verallgemeinerten Regel — die natürlich immer noch gültig
ist: p ∨ q ist ja logisch äquivalent zu q ∨ p. Wir erlauben uns ausserdem, einzelne
Klauseln zu vertauschen, wenn das günstig ist: statt ...α, β... können wir also zu
....β, α... übergehen. Wir werden so einen move daneben mit VER kommentieren.)
Was übrig bleibt ist der Ausdruck q, ¬q, also ein Widerspruch, wenn man sich die
inhaltliche Bedeutung vor Augen hält.
Was damit gezeigt ist, ist dass die Annahme, dass die Sequenz p ∨ q, ¬p, ¬q —
die der Formel (p ∨ q) ∧ ¬p ∧ ¬q entspricht — nicht erfüllbar ist! Angenommen sie
wäre es, dann wäre es auch die abgeleitete widersprüchliche (“leere”) Sequenz q, ¬q
(die ja ‘inhaltlich’ der Formel q ∧ ¬q entspricht). Aber widersprüchliche Sequenzen
(oder Formeln) sind natürlich nicht erfüllbar. Also kann es auch die ursprüngliche
Sequenz bzw. Formel nicht erfüllbar gewesen sein. Also gibt es keine Interpretation
in der die Formel (p ∨ q) ∧ ¬p ∧ ¬q wahr ist — oder was dasselbe bedeutet: in jeder
Interpretation in der p ∨ q und ¬p wahr sind, ist auch q wahr. Wir haben also mit dem
Resolutionskalkül — nocheinmal — gezeigt, dass das Argument mit den Prämissen
p ∨ q und ¬p und der Konklusion q gültig ist.
Hier noch ein Beispiel:
Wir wollen mit dem Resolutionsverfahren zeigen, dass aus den Prämissen p → q,
q → r die Konklusion p → r folgt. Wir gehen wieder wie vorhin vor und bilden
Konjunktion von Prämissen und Negation der Konklusion: (p → q) ∧ (q → r) ∧ ¬(p →
r). Im nächsten Schritt überführen wir diese Formel mit Hilfe der Ersetzungsregeln
aus dem Rezept (Zweiter Schritt) in eine Konjunktive Normalform:
1.4. SYNTAKTISCHE FOLGERUNGSBEGRIFFE
35
(p → q) ∧ (q → r) ∧ ¬(p → r)
wird mit der Regel für das Konditional zu
(¬p ∨ q) ∧ (¬q ∨ r) ∧ ¬(¬p ∨ r)
Mit Hilfe der Ersetzungsregel für negierte Disjunktionen, angewendet auf die letzte
Teilformel, erhalten wir daraus
(¬p ∨ q) ∧ (¬q ∨ r) ∧ ¬¬p ∧ ¬r
und mit der Regel, die uns erlaubt, doppelte Negationen zu eliminieren, erhalten
wir schließliche unsere Konjunktive Normalform
(¬p ∨ q) ∧ (¬q ∨ r) ∧ p ∧ ¬r
Im nächsten Schritt beseitigen wir die Konunktionszeichen zugunsten von Beistrichen und beginnen wieder unsere Resolutionsregeln RES und FAKT (und VER)
anzuwenden mit dem Ziel die leere Klausel — d.h. einen Widerspruch — herzuleiten:
¬p ∨ q, ¬q ∨ r, p, ¬r
¬p ∨ q, p, ¬q ∨ r, ¬r VER
RES
q, ¬q ∨ r, ¬r
RES
r, ¬r
Hier noch eine Ableitung im Resolutionskalkül, die zeigt dass aus den Prämissen
p ∨ q ∨ ¬r, r und r → ¬q die Konklusion p folgt.
p ∨ q ∨ ¬r, r, ¬r ∨ ¬q, ¬p
p ∨ q ∨ ¬r, ¬r ∨ ¬q, r, ¬p VER
RES
p ∨ ¬r ∨ ¬r, r, ¬p
FAKT
p ∨ ¬r, r, ¬p
RES
p, ¬p
36
1.5
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Metatheorie der AL
Informell haben wir uns schon das ganze Semester mit metatheoretischen Begriffen
beschäftigt. Ganz grob kann man diese in zwei Klassen einteilen — in semantische
und syntaktische Begriffe, wobei semantische Begriffe immer in irgendeiner Form
mit Wahrheit, Bedeutung, Interpretationen, Modellen und dergleichen zu tun haben,
während sich syntaktische Begriffe ausschließlich auf rein formale Aspekte beziehen
(etwa auf die Gestalt von Zeichenreihen).
Der wichtigste semantische Begriff ist sicherlich der semantische Folgerungbegriff. Wir erinnern uns, dass er definiert war über Interpretationen, i.e. Funktionen v,
die jedem atomaren Satz einer gegebenen Sprache einen der beiden Wahrheitswerte
w oder f zuordnet. Über die Auswertungsregeln für die aussagenlogischen Junktoren
kann man dann, gegeben so eine Interpretation, jedem beliebig komplexen Satz, der
sich aus atomaren Aussagen via der Junktoren zusammensetzt, einen Wahrheitswert
zuordnen. Der semantische Folgerungsbegriffe war dann wie folgt definiert:
Definition 7. α folgt semantisch aus der Satzmenge Σ (kurz: Σ α)
genau dann wenn für alle Interpretationen v gilt: wenn für alle Sätze β in
Σ gilt, dass v̄(β) = w, dann auch v̄(α) = w.
Mit anderen Worten: Ein Satz β folgt semantisch aus der Satzmenge Σ genau
dann wenn α immer dann wahr ist, wenn auch alle Sätze in Σ wahr sind.
Ähnlich wichtig wie der Begriff der semantischen Folgerung ist der Begriff der
Erfüllbarkeit:
Definition 8. Eine Satzmenge Σ heißt erfüllbar genau dann wenn es
eine Interpretation v gibt, sodass für alle Sätze β in Σ gilt: v̄(β) = w.
D.h. eine Menge von Sätzen Σ heißt erfüllbar genau dann wenn es irgendeine
Belegung der atomaren Sätze mit Wahrheitwerten gibt, sodass alle Sätze in Σ dadurch
wahr werden.
Der wichtigste syntaktische Begriff auf der anderen Seite ist der Begriff der syntaktischen Folgerung oder Beweisbarkeit oder Ableitbarkeit. Doch hier ist Vorsicht angebracht: “Den” syntaktischen Folgerungsbegriff gibt es eigentlich nicht: es
1.5. METATHEORIE DER AL
37
gibt eine ganze Fülle von (zueinander äquivalenten) syntaktischen Folgerungsbegriffen. Welcher gemeint ist, sollte aus dem Kontext zwar immer klar sein, aber eigentlich
sollte man immer angeben, auf welchen konkreten Kalkül man sich bezieht, wenn man
von “Ableitbarkeit” oder dgl. spricht. Das allgemeine Schema für eine Definition eines syntaktischen Folgerungsbegriffs könnte man aber so bestimmen (wobei mit K
irgendein konkreter, rein syntaktisch definierter Kalkül gemeint ist):
Definition 9. α folgt syntaktischK aus der Satzmenge Σ (kurz: Σ `K
α) genau dann wenn α mit den durch den Kalkül K festgelegten Regeln
aus Σ herleitbar ist.
Z.B. erhält man aus diesem Definitionsschema eine konkrete Definition eines syntaktischen Folgerungsbegriffs, wenn man für K den axiomatischen Kalkül oder den
Kalkül des natürlichen Schließens hernimmt.
Ein weiterer wichtiger syntaktischer Begriff ist der Begriff der Konsistenz – er ist
bekanntlich wie folgt definiert (und muss ebenfalls wieder auf einen konkreten Kalkül
K bezogen werden):
Definition 10. Eine Satzmenge Σ heißt konsistentK genau dann wenn
aus Σ (in K) kein Widerspruch, i.e. kein Satz der Form β ∧ ¬β ableitbar
ist. (Das heißt wenn es keinen Satz β gibt, sodass Σ `K β ∧ ¬β.)
In der Metatheorie beschäftigt man sich nun (unter anderem) mit der folgenden
Frage: in welchem Zusammenhang stehen die semantischen Begriffe der semantischen
Folgerung und der Erfüllbarkeit mit den syntktischen Begriffen der Ableitbarkeit und
Konsistenz? Die zwei (bzw. vier) gewichtigsten Fragen, die man sich (bezüglich eines
konkreten Ableitungskalküls K) nun fragen kann, sind die folgenden:
F1. Wenn ein Satz α aus einer Menge von Sätzen Σ ableitbar ist, folgt er
dann auch semantisch aus ihr?
F2. Wenn ein Satz α aus einer Menge von Sätzen Σ semantisch folgt, ist
er dann auch ableitbar aus ihr?
und analog:
F1’. Wenn eine Satzmenge erfüllbar ist, ist sie dann auch konsistent?
38
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
F2’. Wenn eine Satzmenge konsistent ist, ist sie dann auch erfüllbar?
Auf die jeweils erste Frage hätte man sicherlich für JEDEN Kalkül gerne die Antwort: JA. Wieso? Man würde ungern aus einer Satzmenge Σ Sätze ableiten können,
die falsch sind, obwohl die Prämissen möglicherweise wahr sind. Analog würde man
ungern aus einer erfüllbaren Menge von Sätzen einen Widerspruch ableiten können.
Dass dem tatsächlich nicht der Fall ist für die Kalküle, die wir kennengelernt haben,
besagt der sogenannte Korrektheitssatz.
Definition 11. Ein Kalkül K heiße korrekt genau dann wenn gilt: Wenn
Σ `K α, dann Σ α.
Tatsächlich gilt für den axiomatischen Kalkül Ax und den Kalkül des natürlichen
Schließens KN S:
Satz 1. (Korrektheit des axiomtischen Kalküls)
Wenn Σ `Ax α, dann Σ α
und
Satz 2. (Korrektheit des Kalküls des natürlichen Schließens)
Wenn Σ `KN S α, dann Σ α
Wie könnte man den Korrektheitssatz für (etwa) den axiomatischen Kalkül beweisen? Nun ja, da man beweisen muss, dass immer dann wenn ein Satz α aus einer
gegebenen Satzmenge Σ ableitbar ist, α auch semantisch aus Σ folgt, muss man im
Prinzip nur folgendes tun: Man sieht sich alle Regeln und Axiome des axiomatischen
Kalküls an und schaut sich an, ob
1. alle Axiome des Kalküls wahr sind und
2. alle Schlussregeln wahrheitserhaltend (d.h. von wahren Prämissen immer auf
wahre Konklusionen führen).
1.5. METATHEORIE DER AL
39
Das ist aber sehr einfach einzusehen: 1. sind alle unsere Axiomeschemata Tautologien, und daher immer wahr. 2. aber ist die einzige Schlussregel im axiomatischen
Kalkül, die zu prüfen ist, der Modus Ponens, i.e. die Regel, die uns erlaubt von α und
α → β auf β zu schließen und dass diese Regel wahrheitserhaltend ist, ist hoffentlich
jedem sofort einsichtig. Angenommen also alle Sätze in Σ sind wahr. Wir müssen
zeigen, dass – wenn α im axiomatischen Kalkül aus Σ ableitbar ist – auch α wahr
ist. Aber das kann gar nicht anders sein! Denn die einzigen Sätze die wir ausser den
wahren Σ-Sätzen verwenden dürfen sind aussagenlogische Axiome – und die sind immer wahr. Und unsere einzige Schlussregel führt von wahren Sätze immer auf wahre
Sätze.
Sehr viel schwieriger ist die zweite Frage von oben zu beantworten: Reicht ein
gegebener Kalkül aus, um ALLE semantisch gültigen Argumente auch als gültig zu
erweisen? D.h. lässt sich ein Satz α IMMER aus einer Satzmenge Σ (im Kalkül K) ableiten, wenn α aus Σ semantisch folgt? Die Antwort liefert der Vollständigkeitssatz.
Definition 12. Ein Kalkül K heiße vollständig genau dann wenn gilt:
Wenn Σ α, dann Σ `K α.
Tatsächlich gilt sowohl für den axiomatischen Kalkül Ax als auch den Kalkül des
natürlichen Schließens KN S:
Satz 3. (Vollständigkeit Axiomatischer Kalkül)
Wenn Σ α, dann Σ `Ax α
und
Satz 4. (Vollständigkeit Kalkül des natürlichen Schließens)
Wenn Σ α, dann Σ `KN S α
Der Beweis für diese letzten beiden Sätze ist allerdings alles andere als trivial und
erfordert einiges an zusätzlichen Überlegungen.
1.5.1
Exkurs: Beweis Vollständigkeitssatz
40
KAPITEL 1. AUSSAGENLOGIK – AL
Kapitel 2
Prädikatenlogik – PL
2.1
Die Sprache der Prädikatenlogik
Bisher haben wir uns nur mit Aussagenlogik beschäftigt, d.h. wir haben Sätze als
unanalysierte Einheiten angesehen. Die Möglichkeiten, die uns die Aussagenlogik zur
Analyse von Argumenten (ist das vorgelegte Argument semantisch gültig oder nicht;
ist es – in einem geeigneten Kalkül – beweisbar oder nicht) liefert, sind aber sehr
beschränkt.
Man betrachte etwa folgendes Argument:
A. Alle Menschen sind Säugetiere.
B. Alle Säugetiere sind sterblich.
—————
C. Also sind alle Menschen sterblich.
Allem Anschein nach ist dieses Argument logisch gültig. Mit den Mitteln der
Aussagenlogik lässt sich aber nicht einsehen, wieso das so sein sollte. Wir könnten etwa
für die erste Prämisse den Aussagebuchstaben p wählen, für die zweite q (wir brauchen
einen anderen Buchstaben, weil die beiden Prämissen ja verschieden sind) und für die
Conclusio den Buchstaben r. Der Schluss von den Prämissen p und q auf die Conclusio
r ist aber offensichtlich nicht gültig. Es fehlt hier einfach die Möglichkeit der genaueren
Differenzierung innerhalb von Sätzen. Aussagenlogisch betrachtet haben die Sätze (1),
(2) und (3) nichts gemeinsam.
Haben wir es mit Prädikaten zu tun, die nur endlich viele Instanzen haben, bzw.
mit nur endlich vielen Gegenständen, über die wir sprechen wollen, können wir uns
noch wie folgt behelfen: Wir fassen Satz (1) nicht als einen Satz auf, sondern wir
analysieren ihn als Konjunktion von vielen Sätzen. Da es nur endlich viele Dinge gibt
41
42
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
über die wir hier sprechen wollen (nämlich alle Säugetiere und Menschen), könnten wir
(1) etwa so formulieren: “Wenn Ding 1 ein Mensch ist, dann ist Ding 1 ein Säugetier
und Wenn Ding 2 ein Mensch ist, dann ist Ding 2 ein Säugetier und ... Wenn Ding
n ein Mensch ist, dann ist Ding n ein Säugetier”, wobei n eine hinreichend große
natürliche Zahl ist. Auf ähnliche Weise könnten wir auch (2) und (3) analysieren und
könnten dann mit aussagenlogischen Mitteln zeigen, dass das Argument gültig ist.
Die Probleme dieser Vorgehensweise sind offensichtlich: erstens ist diese Analyse
enorm umständlich (Der einfache Satz “Alle Menschen sind Säugetiere” würde so dargestellt, als wäre es eine ewig lange Konjunktion von anderen Sätzen; also in Wahrheit
ein Satz, der so lang wäre, dass vermutlich ein Menschenleben nicht ausreichen würde,
um ihn aufzuschreiben); zweitens aber, und gewichtiger: Diese Analyse funktioniert
nur dann, wenn der Bereich der Gegenstände, über die wir sprechen wollen (im konkreten Fall: den Bereich der Säugetiere/Menschen) endlich ist! Viele Bereiche, die
wir mit logischen Mitteln erfassen wollen, erfüllen diese Bedingung aber nicht! Vor
allem in der Mathematik haben wir es ständig mit Gegenstandsbereichen zu tun, die
unendlich sind (die Menge der natürlichen Zahlen; Die Menge aller reellen, stetigen
Funktionen; die Menge aller Punkte in der Ebene usw.).
Wir erweitern deshalb unsere aussagenlogische Sprache um neue Symbole, um
Aussagen der Form “Alle Dinge sind ...” und “Es gibt Dinge, sodass ...” behandeln
zu können.
Die wichtigsten neuen Symbole sind die sogenannten Quantoren ∀ (Allquantor)
und ∃ (Existenzquantor) und unendlich viele Gegenstandsvariablen x, y, z, x1 , y1 , z1 , ....
Ausserdem erweitern wir unsere Sprache um unendlich viele Relationssymbole
P 1 , Q1 , R1 , ...P 2 , Q2 , R2 , ...P 3 , Q3 , R3 , ... verschiedenster Stelligkeit und unendlich
viele Konstantensymbole a, b, c, d, a1 , b1 , ....
(Die derart erweiterte Sprache ist in einem gewissen Sinne maximal : Wir haben
unendlich viele Relations- und Konstantensymbole dazugenommen; die meisten Sprachen – auf jeden Fall die, die wir betrachten – sind aber endlich; wir wollen mit dieser
Maximal-Definition der prädikatenlogischen Sprache nur sicherstellen, dass für jede
beliebige konkrete Sprache, die wir modellieren wollen, genügend Symbole vorhanden
sind. Wenn der Kontext klar ist, lassen wir oft die Stellen-Indizes weg und verwenden
einfach Buchstaben P, Q, R, ...)
Relationen verschiedener Stelligkeit sind auch in der natürlichen Sprache standard;
die natürlich-sprachliche “Relation” “... ist ein Mensch” (der Begriff des “MenschSeins”) z.B. ist einstellig (einstellige Relationen nennt man meistens Prädikate).
Durch Einsetzung eines Namens wird daraus ein vollständiger Satz. Setzen wir z.B.
in die Leerstelle des Prädikatsausdrucks “... ist ein Mensch” den Namen “Günther
2.1. DIE SPRACHE DER PRÄDIKATENLOGIK
43
Eder” ein, so erhalten wir den (wahren) Satz “Günther Eder ist ein Mensch”. Ein
Beispiel für eine zweistellige Relation wäre etwa die Relation “... ist kleiner als —”,
d.h. wir erhalten einen vollständigen Satz, der wahr oder falsch sein kann, wenn wir
in die Leerstellen “...” und “—” Namen für irgendwelche Gegenstände einsetzen. Z.B.
liefert die Einsetzung “2” für die erste Leerstelle und “1” für die zweite den (falschen)
Satz “2 ist kleiner als 1”. Es gibt auch 3- und mehrstellige Relationen (etwa “... legt
— auf ***”), die in ähnlicher Weise durch Ergänzung durch Namen zu Sätzen werden.
Die Konstantensymbole sind dazu da, in unserer künstlichen Sprache Namen
für bestimmte ausgezeichnete Objekte zur Verfügung zu haben, so wie es auch in
natürlichen Sprachen Namen für bestimmte Gegenstände (Menschen, Haustiere, chemische Substanzen, Blumen, usw.) gibt.
Die Menge der Relationssymbole zusammen mit der Menge der Konstantensymbole nennt man auch die Menge der nichtlogischen Konstanten.
Die Menge der Terme oder Individuensymbole ist die Menge der Variablen
zusammen mit der Menge der Konstantensymbole.
Da wir unsere Sprache erweitert haben, brauchen wir auch neue Klauseln, die uns
sagen, was eine wohlgeformte Formel unserer neuen Sprache ist.
Definition 13. i. falls P n ein n-stelliges Relationssymbol ist und t1 , ...tn
Terme (d.h. Individuenkonstanten oder Gegenstandsvariablen), so ist
P n t1 ...tn eine wohlgeformte Formel
ii. falls α eine wohlgeformte Formel ist und x eine Gegenstandsvariable,
so sind auch ∀xα und ∃xα wohlgeformte Formeln
iii. falls α und β wohlgeformte Formeln sind, so auch ¬α, (α ∧ β), (α ∨ β)
und (α → β)
iv. Nichts sonst ist eine wohlgeformte Formeln, wenn nicht durch endlichofte Anwendung der Regeln 1. - 3. erzeugt
Wie auch schon früher handelt es sich hierbei um eine rekursive Definition. Klauseln 1. und 2. tragen unserer erweiterten Sprache Rechnung und Klausel 3. dem Umstand, dass es sich um eine Erweiterung der aussagenlogischen Sprache handelt; d.h.
wir können mittels der aussagenlogischen Bildungsregeln aus prädikatenlogischen Formeln neue prädikatenlogische Formeln erzeugen (mittels der aussagenlogischen Junktoren).
Wie schon im Falle der Aussagenlogik können wir diese künstliche Sprache nun
benutzen, um Aussagen aus der Umgangssprache auf deren logisches Verhalten zu
44
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
prüfen – z.B. darauf, ob ein bestimmter Satz immer wahr oder ein Argument gültig
ist (dazu brauchen wir noch eine geeignete Semantik, zu der wir später kommen
werden).
Wir sehen uns das Beispiel vom Beginn dieses Kapitels noch einmal an; es lautete:
A. Alle Menschen sind Säugetiere.
B. Alle Säugetiere sind sterblich.
—————
C. Also sind alle Menschen sterblich.
Bei einer Formalisierung (d.i. einer Übersetzung von umgangssprachlichen Sätzen
in unsere künstliche Sprache) ist prinzipiell folgendes zu beachten: Jedem Namen muss
ein Konstantensymbol zugeordnet werden; jedem einstelligen Prädikat ein einstelliges
Relationszeichen, jeder zweistelligen Relation ein zweistelliges Relationszeichen usw.
Kommen Wendungen vor wie “alle ... sind...” oder “es gibt ... sodass ...”, so muss dies
durch geeignete Verwendung der Quantoren ∀ und ∃ übersetzt werden. Dem muss oft
eine Analyse des umgangssprachlichen Satzes vorhergehen.
Nehmen wir etwa Satz (1) von oben: Die primitiven, einfachen Prädikate, die darin
vorkommen, sind die Prädikate “... ist ein Mensch” und “... ist ein Säugetier”. Es
handelt sich bei beiden um einstellige Prädikate. Wir wählen zur Formalisierung also
zwei einstellige Prädikatszeichen – etwa P 1 und Q1 . “Alle Menschen sind Säugetiere”
kann analysiert werden als: “Für jedes Ding gilt: wenn dieses Ding ein Mensch ist,
dann ist es ein Säugetier.” Den Ausdruck “für jedes Ding gilt” übersetzen wir mit
“∀x”. Bei der restlichen Aussage handelt es sich um ein Konditional: “wenn dieses
Ding ein Mensch ist, dann ist es ein Säugetier”. Die darin vorkommenden Ausdrücke
“dieses Ding” und “es” verweisen zurück auf den Ausdruck “jedes Ding” – d.h. wir
verwenden für die Symbolisierung dieses komplexen Ausdrucks dieselbe Variable x,
die auch in der Übersetzung von “für jedes Ding gilt” (nämlich “∀x”) vorkommt.
Nach unserer Wahl der einstelligen Relationsausdrücke lautet unsere Übersetzung
demnach ∀x(P 1 x → Q2 x), i.e. “für jedes Ding x gilt: wenn x ein Mensch ist, dann ist
x ein Säugetier”.
Oft will man die Quantoren beschränken und nicht von allen Dingen sprechen,
sondern nur von allen Dingen bestimmter Art, z.B. von allen Menschen, oder allen
Tieren, oder allen Menschen eines bestimmten Alters.
Angenommen etwa, wir wollen in einem bestimmten Kontext nur über Menschen
sprechen, dann bedeuten die Quantoren ∀ und ∃ nicht “für jedes Ding” und “es gibt
Dinge”, sondern “jeder Mensch” (oder einfach “jede/r”) und “einige Menschen” (oder
einfach “einige”).
2.1. DIE SPRACHE DER PRÄDIKATENLOGIK
45
Betrachten wir etwa folgenden Satz:
(A) Jeder Mensch mag Susi Schmalspiel
Zunächst sehen wir uns an, welche nichtlogischen Ausdrücke (A) enthält und erkennen: es kommt der Name “Susi Schmalspiel” darin vor und die zweistellige Relation “... mag —”. Wir wählen für unsere Formalisierung für “Susi Schmalspiel”
das Konstantensymbol a und für die zweistellige Relation “... mag —” das zweistellige Relationszeichen P 2 . Weil der Quantor in diesem Fall auf Menschen beschränkt
ist, können wir (A) wie folgt analysieren: “für jeden Menschen gilt: er/sie mag Susi
Schmalspiel”, was in unserer formalen Sprache so aussieht:
(A’) ∀xP 2 xa
Oder Halb-formal: “Für alle Menschen x gilt: x mag Susi Schmalspiel”. Allgemein
empfiehlt es sich, bei der Formalisierung von umgangssprachlichen Sätzen so vorzugehen, dass man sich zunächst ansieht, welches nicht-logische Vokabular im gegebenen
Satz vorkommt (in den bisherigen Beispielen etwa die Prädikate “... ist sterblich”,
“... ist ein Mensch”, die Relation “... mag —” und die Individuenkonstante “Susi Schmalspiel”). Dann wählt man geeignete Symbole der künstlichen Sprache als
“Übersetzungen” dieser nichtlogischen Ausdrücke. Um sich die logische Struktur eines Satzes klarzumachen sollte man den Satz in eine “halb-formale” Form bringen:
Im ersten Beispiel etwa: “für alle Dinge x gilt: wenn x ein Mensch ist, dann ist x
sterblich” und im zweiten Beispiel: “für alle Dinge x gilt: x mag a”. Man sollte seine
Intuitionen befragen, ob diese “halb-formale” Variante wirklich dem ursprünglichen
Satz enspricht – d.h. denselben Sinn hat. Falls dem so sein sollte, dürfte der Rest ein
Kinderspiel sein.
2.1.1
Übungsbeispiele
Im folgenden seien die Quantoren ∀x und ∃x immer auf Menschen beschränkt, d.h.
∀x bedeutet im folgenden immer “Für alle Menschen x gilt” und ∃x bedeutet “Für
einige Menschen x gilt” oder “Es gibt mindestens einen Menschen x, für den gilt...”.
Hier eine Liste der Individuenkonstenten, Prädikate und Relationen, die in den
folgenden Sätzen vorkommen werden:
Joshua... j
Dave... d
Nick ... n
46
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
Troy ... t
x ist ein Musiker ... M x
x ist Musik-Kritiker ... Kx
x mag y ... Rxy
Formalisieren sie unter den gegebenen Festsetzungen die folgenden Aussagen prädikatennlogisch.
(Einige der Beispiele sind schon recht kompliziert. Gehen sie also langsam vor und
versuchen sie sich zunächst den Gehalt der Aussage und seine logische Struktur klarzumachen!)
1. Joshua und Nick mögen sich nicht.
2. Joshua mag Dave und der mag Nick.
3. Jeder Musiker mag Joshua.
4. Kein Kritiker, der Joshua mag, mag Nick nicht.
5. Jeder Kritiker, der auch Musiker ist, mag Dave.
6. Einige Kritiker, die alle Musiker mögen, mögen Troy.
7. Einige Kritiker mögen überhaupt niemanden.
8. Alle Kritiker, die irgendwen mögen, mögen Joshua.
9. Jeder Musiker, der einen Kritiker mag, mag Nick nicht.
10. Wenn jeder Kritiker Dave mag, dann gibt es keinen der ihn nicht mag.
11. Wenn es einen Musiker gibt, der alle Kritiker mag, dann wird jeder Kritiker
von irgendjemandem gemocht.
12. Kein Kritiker, der sich selbst mag, mag Dave nicht.
13. Alle Musiker sind selbstverliebt.
Die Lösungen gibt es hier: 3.1
2.2. SEMANTIK DER PL
2.2
47
Semantik der PL
Wie schon in der Semantik für die AL, geht es in der Semantik der Prädikatenlogik
(PL) um die Bedeutung unserer wohlgeformten Zeichenreihen. Die Semantik der AL
war ziemlich einfach: sie bestand einfach in einer Bewertungsfunktion v, die jedem
Satzbuchstaben einen der beiden Wahrheitswerte zugeordnet hat, und für deren Erweiterung v̄ Einschränkungen galten wie: v̄(p ∧ q) = w genau dann wenn v̄(p) = w
und v̄(q) = w (i.e. eine Konjunktion ist wahr genau dann wenn beide Konjunkte wahr
sind); v̄(¬p) = w genau dann wenn v̄(p) = f . Ähnliches galt auch für die anderen
Junktoren ∨ und →.
Wegen der sehr viel größeren Ausdrucksstärke der PL im Vergleich zur AL ist nun
aber auch die Semantik der PL um einiges komplexer. Das Ziel ist aber das Gleiche:
Wir wollen, dass jeder wohlgeformte Satz der PL einen der zwei Wahrheitswerte hat
– er soll wahr oder falsch sein bzgl. einer bestimmten Interpretation der nichtlogischen
Ausdrücke, die in diesem Satz vorkommen.
Dass die Semantik der PL wesentlich komplexer als die der AL ist, liegt vor allem
an den Quantoren – wir müssen uns also überlegen, was wir mit diesen anfangen.
Ein Beispiel: Ist der wohlgeformte PL-Satz “∀x(P x ∧ Rxa)” wahr oder falsch?!
Auf diese Frage wird man antworten: Naja, das kommt darauf an.. Was bedeutet
denn hier der Prädikatsbuchstabe P ? Für welche Relation steht R und welches Individuum bezeichnet der Name a? Vor allem aber: Was heißt hier überhaupt ∀x? Was
sind “alle x”? – alle Menschen, Blumen, Bücher oder wie?!
Man sieht: die Wahrheit eines Satzes hängt von verschiedenen Dingen ab.
a.) Was ist der Bereich (oder die domain) der Quantoren, d.i. was bedeutet ∀x?
b.) Was bedeuten die nichtlogischen Zeichen? (Im Beispiel: R, P und a)
Das führt zu folgender Definition:
Definition 14. Ein PL-Modell A ist ein geordnetes Paar (A, I), bestehend aus einer nichtleeren Menge A (der domain, Bereich, Universum
der Dinge, über die man sprechen will) und einer Funktion I, die jedem
nichtlogischen Zeichen eine Bedeutung zuordnet.
Für die Interpretationsfunktion I soll gelten:
48
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
i. Falls P ein n-stelliges Relationszeichen ist, so ist I(P ) ⊆ An . (Erklärung folgt)
ii. Falls a eine Individuenkonstante ist, so ist I(a) ∈ A.
Die zweite Bedingung sollte klar sein: Jeder Name a soll ein Ding bezeichnen, das
in der domain liegt, d.h. in der Menge aller Dinge, über die wir im konkreten Fall
sprechen wollen.
Für die erste Bedingung sehen wir uns zunächst den Spezialfall n = 2 an, i.e. wir
haben es mit einem zweistelligen Relationszeichen R zu tun. Unsere Interpretationsfunktion muss nun diesem Zeichen R eine Teilmenge von A2 , d.i. A × A zuordnen. A2
bezeichnet hier das (zweifache) kartesische Produkt von A mit sich selbst; und das ist
nichts anderes als die Menge aller geordneten Paare, deren Komponenten jeweils aus
A sind.
Beispiel: Für die Menge A := {1, 2} ist das kartesische Produkt A2 die Menge aller
geordneten Paare (x, y), wobei x und y jeweils aus A sind, d.i.: A2 = {(1, 1), (1, 2), (2, 2), (2, 1)}.
Falls unser “Redebereich” (unsere domain) also durch die Menge A := {1, 2} gegeben ist, so muss die Interpretationsfunktion I einem zweistelligen Relationszeichen
R eine Teilmenge I(R) der Menge A2 = {(1, 1), (1, 2), (2, 2), (2, 1)} zuordnen (diese
kann auch leer sein).
Für den Fall, dass die Relation P einstellig ist (n = 1 und wir haben es mit einem
Prädikat zu tun), gilt demnach, dass die I(P ) eine Teilmenge Teilmenge der domain
A sein muss (d.i. I(P ) ⊆ A).
Ähnliches gilt für allgemeines n: Jedem n-stelligen Relationszeichen wird durch
die Interpretationsfunktion I eine Teilmenge des n-fachen kartesischen Produktes von
A zugeordnet, i.e. eine Menge von geordneten Paaren, deren Komponenten sämtlich
aus A sind.
Zurück zum Beispiel von oben: Wir hatten es dort mit dem Satz “∀x(P x ∧ Rxa)”
zu tun (und nehmen an, dass es in der konkreten Sprache, mit der wir es zu tun
haben, keine anderen nichtlogischen Zeichen ausser P, R und a gibt).
Um den Wahrheitswert dieser Aussage zu bestimmen, müssen wir – gemäß obiger Definition – ein bestimmtes Modell A betrachten und bezüglich dieses Modells
bestimmen, ob die Aussage wahr oder falsch ist.
Wir betrachten etwa das Modell A1 := (A, I), wobei die domain A durch {M artin, T homas, Hilde}
festgelegt ist. Die Interpretationsfunktion I ordne dem Prädikat P die Menge I(P ) :=
{M artin, T homas, Hilde} zu; der Relation R werde die Menge von geordneten Paaren
I(R) := {(M artin, Hilde), (T homas, Hilde)} zugeordnet; und der Name a bezeichne
2.2. SEMANTIK DER PL
49
I(a) =Hilde.
Der Satz “∀x(P x ∧ Rxa)” ist nun wahr im Modell A1 falls für jedes Ding m in der
domain A folgendes gilt: m liegt in I(P ) und das geordnete Paar (m, Hilde) liegt in
I(R).
Nun stimmt es zwar das alle Dinge in der domain A in I(P ) liegen, aber es gilt
nicht, dass für jedes m in der domain auch (m, Hilde) in I(R) liegt, denn das Paar
(Hilde, Hilde) liegt nicht in der Interpretation von R, d.i. liegt nicht in I(R).
Der Satz “∀x(P x ∧ Rxa)” ist also in diesem Modell A1 falsch!
Betrachten wir nun das Modell A2 := (A0 , I 0 ): die domain A0 sei dieselbe wie oben,
d.i. {M artin, T homas, Hilde}. Die Interpretationsfunktion sei ebenfalls genau gleich,
nur dass der Relation R nun die Menge I 0 (R) := {(M artin, Hilde), (T homas, Hilde), (Hilde, Hilde)}
zugeordnet werde.
In diesem Modell A2 ist nun der Satz “∀x(P x ∧ Rxa)” tatsächlich wahr !
Wir müssen uns auch die Frage stellen, was mit wohlgeformten Formeln ist, die
keine Sätze sind. D.i. mit Formeln, die freie Variable (Variablen, die nicht durch
Quantoren gebunden sind) enthalten. Was für einen Wahrheitswert sollte z.B. die
Formel ∀x(Rxy) in einem unserer Modelle A1 oder A2 von oben haben?! y ist hier
eine freie Variable – bleibt also von der Interpretationsfunktion I unberührt. Die
wohlgeformte Formel ∀x(Rxy) macht also gar keine Aussage, weil nicht klar ist, für
was die freie Variable y stehen soll.
Wir definieren aus diesem Grund eine Funktion s, die jeder Variable einen Wert
aus der domain A zuordnet. So eine Funktion nennen wir eine Belegung. Weiters
definieren wir eine Fortsetzung s̄ dieser Funktion wie folgt:
Definition 15. Es sei s eine Belegung; dann ist die Fortsetzung von s
auf alle Individuenterme (d.i. Variablen plus Konstanten) gegeben durch:
i. s̄(α) := s(α) falls α eine Variable ist und
ii. s̄(α) := I(α) falls α eine Individuenkonstante ist
Kurz: Die Fortsetzung der Belegung s bleibt für Variablen gleich (sie soll ja eine Fortsetzung sein), ordnet nun aber auch Individuenkonstanten, d.i. Namen (also
a, b, c, ...) ein Element aus der domain zu. (Wofür das alles gut ist, wird sich hoffentlich
bald zeigen)
50
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
Wir nennen dann ein Paar (A, s), bestehend aus einem Modell A und einer Belegung s eine vollständige Interpretation oder einfach Interpretation. (Man beachte: Die Terminologie ist hier uneinheitlich. Oft sagt man auch zu dem, was hier
“Interpretation” genannt wird, “Modell”. Oft nennt man das, was hier “Modell” genannt wurde eine “Struktur”. Oft verwendet man das Wort “Modell” auch für beides
und unterdrückt die Rede von “Belegungen”. Es ist also immer auf den jeweiligen
Kontext zu achten.)
Nun eine der wichtigsten Definitionen (wieder einmal handelt es sich um eine
rekursive Definition):
Definition 16. Es sei eine Interpretation (A, s) gegeben. Dann gilt für
alle wohlgeformten Formeln α:
1. Falls α atomar ist, d.i. der Form P t1 ...tn für ein n-stelliges Prädikat
P und Terme t1 , ....tn , so ist α wahr in (A, s) gdw. (s(t1 ), ...s(tn )) ∈
I(P )
2. Falls α, β wohlgeformte Formeln sind, so gilt:
(a) ¬α ist wahr in (A, s) gdw. α in (A, s) falsch ist.
(b) α ∧ β ist wahr in (A, s) gdw. α und β beide in (A, s) wahr sind.
(c) α ∨ β ist wahr in (A, s) gdw. α oder β (oder beide) in (A, s) wahr
sind.
(d) α → β ist wahr in (A, s) gdw. α in (A, s) falsch ist oder β in
(A, s) wahr ist (oder beides).
3. Falls α der Form ∀xβ ist, so ist α in (A, s) wahr gdw. für alle Belegungen s0 , die sich von s höchstens bzgl. der Variable x unterscheiden,
gilt: β ist wahr in (A, s0 ).
4. Falls α der Form ∃xβ ist, so ist α in (A, s) wahr gdw. es eine Belegung s0 gibt, die sich von s höchstens bzgl. der Variable x unterscheidet, so dass gilt: β ist wahr in (A, s0 ).
Man beachte, dass, falls es sich bei der Formel α Formeln in um einen Satz handelt
(also eine Formel ohne freie Variablen), man auch einfach sagen könnte: α ist wahr in
A. Die Belegung s spielt für einen Satz sozusagen keine Rolle. (Man mache sich klar,
warum!)
2.2. SEMANTIK DER PL
51
Diese Definition – vor allem die letzten beiden Punkte – sieht unnötig kompliziert
aus – sie ist aber streng genommen notwendig, um die Semantik von Aussagen, die
Quantoren enthalten, richtig zu handhaben.
Um ein richtiges Verständnis der Semantik quantifizierter Aussagen zu bekommen, sollte man sich klar machen, wieso diese Definition so eine komplizierte Form
annimmt. Will man verstehen, wie (und warum) diese Definition funktioniert, ist
es ratsam, sich den Wahrheitswert einiger Sätze mittels dieser Definitionen epxlizit
“auszurechnen”. (Wir werden aber in den Übungsbeispielen darauf verzichten, die
Definitionen wirklich 1:1 anzuwenden).
Inhaltlich sagt die Definition (Punkt 3) de facto nicht viel mehr als folgendes:
Wenn φ(x) eine komplexe Formel mit der freien Variable x ist (also z.B. etwas wie
P x ∧ ∀z(Rxz) ∧ Qx), so ist die Aussage ∀xφ(x) wahr in (A, s) genau dann wenn die
Menge, die durch die Formel φ(x) definiert wird, jedes Ding in der domain A als
Element enthält. (was ja auch zu erwarten ist von jeder solchen Definition)
Nach dieser Definition sind wir nun auch in der Lage, den wichtigsten semantischen Begriff zu definieren, den die PL zu bieten hat – den Begriff der logischen oder
semantischen Folgergung.
Man erinnere sich: Für die AL war der Begriff der semantischen Folgerung folgendermaßen charakterisiert: Ein Satz α folgt semantische aus einer Menge von Sätzen
Σ gdw. für alle aussagenlogischen Modell (das waren die Bewertungsfunktionen, die
v’s) gilt: wenn alle Sätze in Σ wahr sind, so ist auch α wahr. Ganz analog funktioniert
das auch für die PL:
Definition 17. Wenn Σ eine Menge von PL-Formeln ist und α eine PLFormel, so folgt α logisch aus der Menge von Formeln Σ gdw. für alle
Interpretationen (A, s) gilt: wenn alle Sätze in Σ wahr in der Interpretation (A, s) sind, so ist auch α wahr in (A, s).
In diesem Fall schreiben wir (wie auch in der Aussagenlogik): Σ |= α
Falls α und β Sätze sind, so schreiben wir auch α |= β, falls β aus α logisch (d.i.
semantisch) folgt. α |= β bedeutet dann definitionsgemäß nichts anderes als: β ist in
allen Interpretationen wahr, in denen auch α wahr ist. Um also zu zeigen, dass ein
Satz β nicht aus einem anderen Satz α folgt, ist es hinreichend eine Interpretation
anzugeben, in der α wahr ist, β aber falsch.
Beispiel: Wir wollen zeigen, dass aus α := ∀x(P x ∨ Qx) nicht folgt, dass β :=
∀xP x ∨ ∀yQy. Dazu wählen wir Als Interpretation das Modell A dessen domain die
Menge A = {1, 2, 3} ist. Die Interpretationsfunktion I definieren wir durch I(P ) =
52
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
{1, 2} und I(Q) = {3}. (Weil in den beiden Sätzen keine Variablen frei vorkommen,
spielt die Belegungsfunktion s keine Rolle). In diesem Modell ist α wahr, aber β falsch.
(Man überlege sich, warum!)
Damit ist gezeigt, dass β nicht semantisch aus α folgt.
2.2.1
Übungsbeispiele
Gib für jeden Satz eine Interpretation an, in der er wahr ist und eine, in der er falsch
ist.
1. ∀x(M xa ∨ M xb)
2. ∃x(¬P x ∧ ¬Qx)
3. ∀x(P x → ∃y(P y ∧ M xy))
4. ∃x∀y(P y → M xy)
5. ∃x(P x ∧ ∀y(P y → M xy))
6. Folgt aus den ersten beiden Sätzen der dritte semantisch?
i. ∀x∀y∀z((Rxy ∧ Ryz) → Rxz)
ii. ∀x∃yRxy
iii. ∃xRxx
(Hinweis: Gibt es eine Interpretation in der sowohl (1), als auch (2), als auch die
Negation von (3) (also ¬∃xRxx) wahr sind? Falls ja, dann kann (3) nicht semantisch
aus (1) und (2) folgen, denn dazu müsste (3) ja in jedem Modell wahr sein (d.h.
nicht-(3) falsch), in dem auch (1) und (2) wahr sind. Siehe auch das Beispiel in den
Folien zur 6. Einheit.)
Welche der folgenden Sätze sind erfüllbar? (Begründe deine Entscheidung durch
Angabe geeigneter Modelle, bzw. argumentiere informell, wieso der Satz nicht erfüllbar
ist.)
7. ∃x∀y(¬M yy → M xy)
8. ∃x∀y(M xy → ¬M yy)
9. ∃x∀y(M xy ↔ ¬M yy)
2.3. KALKÜL DES NATÜRLICHEN SCHLIESSENS FÜR PL
2.3
53
Kalkül des natürlichen Schließens für PL
Wie für die Aussagenlogik, gibt es auch für die Prädikatenlogik Kalküle, mit denen man mit Hilfe von Zeichenmanipulationsregeln aus gegebenen Prämissen eine
bestimmte Konklusion ableiten kann.1
Hier eine Zusammenstellung der Regeln für die Quantoren:
∀-Beseitigungsregel:
...
∀xφ
...
φ(a/x)
∀-B
...
Hier steht φ(a/x), für die Formel, die man aus φ bekommt, indem man alle Vorkommnisse der Variable x in φ durch a ersetzt. Die Regel besagt also: Wenn etwas für alle Dinge gilt, dann gilt es für jedes einzelne Ding a. Etwas schwieriger die
Einführungsregel für den Allquantor:
∀-Einführungsregel:
...
φ(a/x)
...
∀xφ
∀-E
...
Die Regel besagt intuitiv: Wenn ich für ein beliebig gewähltes Ding a zeigen kann,
dass φ von diesem Ding gilt, dann muss φ für alle Dinge gelten. Damit die Regel
sinnvoll ist und der Forderung gerecht wird, dass a beliebig ist, sind folgende Einschränkungen entscheidend:
1 Für
die Prädikatenlogik sind solche Kalküle sogar noch wichtiger als für die Aussagenlogik, weil
es hier kein Entscheidungsverfahren für semantische Gültigkeit / semantische Folgerung gibt.
54
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
i. Der Name a darf in keiner Annahme vorkommen und
ii. a darf im quantifizierten Satz ∀xφ nicht mehr vorkommen.
∃-Einführungsregel:
...
φ(a/x)
...
∃xφ
∃-E
...
Diese Regel ist wieder einfacher: Wenn ich von einem konkreten Ding a zeigen
kann dass φ von diesem Ding gilt, dann muss es irgendein Ding (i.e. mindestens
eines) mit der Eigenschaft φ gelten. Schwieriger wieder die Beseitigungsregel für den
Existenzquantor:
∃-Beseitigungsregel:
...
∃xφ
φ(a/x)
...
γ
γ
∃-B
...
Die Regel besagt also Folgendes: Wenn ich
(1) zeigen kann dass es mindestens ein Ding mit der Eigenschaft φ gibt
und ich
(2) zeigen kann, dass aus φ(a) (für a beliebig gewählt) irgendein Satz γ
folgt
2.3. KALKÜL DES NATÜRLICHEN SCHLIESSENS FÜR PL
55
so kann ich (mit der ∃-Beseitigungsregel) zeigen, dass γ schon aus der Existenzbehauptung alleine folgt – ausser der Tatsache, dass dieses beliebig gewählt a ein φ ist,
wurde ja nichts spezielles über a vorausgesetzt.
Damit diese “Beliebigkeitseigenschaft” nicht verletzt ist, müssen wir die Regel
wieder geeignet einschränken und verlangen
i. dass a in keiner Annahme vorkommt (ausser natürlich der Annahme
φ(a/x) aus der wir ja etwas folgern wollen)
ii. dass a nicht in ∃xφ vorkommt und
iii. dass a nicht in γ vorkommt.
Hier einige Beispiele für korrekte Ableitungen:
1
∀x(P x → Qx)
P
2
∀x(Qx → Sx)
P
3
Pa
A
4
P a → Qa
∀-B 1
5
Qa
→-B 3, 4
6
Qa → Sa
∀-B 2
7
Sa
→-B 5, 6
8
P a → Sa
→-E 3 - 7
9
∀x(P x → Sx)
∀-E 8
(Alle Menschen sind Säugetiere und alle Säugetiere sind sterblich, also ....)
56
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
1
∀x(P x ∧ Qx)
P
2
P a ∧ Qa
∀-B 1
3
Pa
∧-B 2
4
∀xP x
∀-E 3
5
Qa
∧-B 2
6
∀xQx
∀-E 5
7
∀xP x ∧ ∀xQx
∧-E 4, 6
1
∃x∀yRxy
P
2
∀yRay
A
3
Rab
∀-B 2
4
∃xRxb
∃-E 3
5
∃xRxb
∃-B 1 - 4
6
∀y∃xRxy
∀-E 5
(Das ist ein formaler Beweis für das, was schon jeder weiß: Wenn es jemanden
gibt, der alle mag, dann wird jeder von jemandem gemocht.)
1
∃x(P x ∨ Qx)
P
2
P a ∨ Qa
A
3
Pa
A
4
∃xP x
∃-E 3
5
∃xP x ∨ ∃xQx
∨-E 4
6
Qa
A
7
∃xQx
∃-E 6
8
∃xP x ∨ ∃xQx
∨-E 7
9
10
∃xP x ∨ ∃xQx
∃xP x ∨ ∃xQx
∨-B 2 - 8
∃-B 1 - 9
2.3. KALKÜL DES NATÜRLICHEN SCHLIESSENS FÜR PL
57
(Hier wurde statt der offiziellen ∨-Beseitigungsregel unsere inoffizielle verwendet.
Wer will, kann den Beweis so umformulieren, dass nur die offizielle Regel gebraucht
wird. Ausserdem taucht hier der Name a in einer zusätzlichen Annahme (ausser P a ∨
Qa) auf – das ist aber offenbar kein Problem. Eine bessere Einschränkung wäre also: a
darf in keiner Annahme ausserhalb des Unterbeweises vorkommen, den wir mit φ(a/x)
eröffnen.)
∀x¬P x
1
P
2
∃xP x
A
3
Pa
A
4
¬P a
∀-B 1
5
P a ∧ ¬P a
∧-E 3, 4
6
⊥
ExFQ
7
⊥
∃-B 2 - 6
8
¬∃xP x
¬-E 2 - 7
(Hier wurde das sogenannte Falsum (⊥) verwendet, das für einen beliebigen Widerspruch (bzw. “konstant für das Falsche”) steht. Man könnte auch einen konkreten
anderen Widerspruch hinschreiben (das geht mit dem Ex Falso Quodlibet) – wir
müssen aber sicherstellen, dass a im Widerspruch nicht auftaucht. Siehe die dritte
Einschränkung für die ∃-Beseitigungsregel oben.)
Hier nun ein paar Beispiele für falsche Ableitungen. In jedem Beispiel wurde eine
der einschränkenden Bedingungen von oben verletzt:
1
∀xRxa
P
2
∀y∀xRxy
∀-E 1
Jedem ist hoffentlich klar, dass diese Ableitung falsch sein muss. Daraus, dass
jeder George Clooney mag, folgt nicht, dass jeder jeden mag. Hier wurde die erste
einschränkende Bedingung für die Allquantor-Einführungsregel verletzt, weil a in einer
Annahme (bzw. Prämisse) auftaucht.
58
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
1
∀xRxx
P
2
Raa
∀-B
3
∀xRxa
∀-E 2
Wieder ist klar, dass etwas schief gelaufen sein muss: Nur weil jeder sich selbst
mag, muss nicht jeder Orson Welles mögen. Hier wurde die zweite Bedingung verletzt:
nicht jedes Vorkommnis der Variable a wurde quantifiziert, sodass a in der Conclusio
der Anwendung der Einführungsregel noch vorkommt.
1
¬Ga
P
2
∃xGx
∀-B P
3
Ga
A
4
Ga ∧ ¬Ga
∧-E 1, 3
Ga ∧ ¬Ga
5
∃-B 2 - 4
Dass aus den beiden Sätzen “Josh spielt nicht Bass” und “Irgendjemand spielt
Bass” ein Widerspruch folgt, wird wohl niemand glauben. Hier wurde in der Annahme φ(a/x) der Name a gerade nicht beliebig gewählt – es wurde vorher schon eine
spezifische Annahme über a gemacht, nämlich ¬Ga. Bedingung 1 von oben ist also
verletzt. (Tatsächlich auch noch eine weitere – welche!?)
1
∀y∃xRxy
P
2
∃xRxa
∀-B 1
3
Raa
A
4
∃xRxx
∃-E 4
5
∃xRxx
∃-B 1 - 4
Daraus, dass jeder von jemandem gemocht wird, können wir offenbar nicht schließen, dass es jemanden gibt, der sich selbst mag. Der Fehler in der Anwendung der
∃-Beseitigungsregel liegt darin, dass der Name a in der quantifizierten Formel in der
zweiten Zeile vorkommt, d.h. Bedingung 2 von oben verletzt ist.
2.3. KALKÜL DES NATÜRLICHEN SCHLIESSENS FÜR PL
1
∀x(P x ∨ Qx)
P
2
∃x¬P x
P
3
¬P a
A
4
P a ∨ Qa
∀-B 1
5
Qa
∨-B 3,4
6
Qa
59
∃-B 2 - 4
Jeder ist ein Mann oder eine Frau. Irgendjemand ist kein Mann. Also ist Max eine
Frau!? Hier ist offenbar die dritte Bedingung verletzt – d.h. in der Formel, auf die wir
schließen wollen (γ von oben), kommt der Name a vor.
Aus diesem falschen Beweis von Qa können wir aber einen korrekten Beweis von
∃xQx machen:
1
∀x(P x ∨ Qx)
P
2
∃x¬P x
P
3
¬P a
A
4
P a ∨ Qa
∀-B 1
5
Qa
∨-B 3,4
6
∃xQx
∃-E 5
7
∃xQx
∃-B 2 - 5
(Wenn jeder in einem eigenen Haus oder einer Wohnung lebt und einige Leute
nicht in einem eigenen Haus leben, dann muss es Leute geben, die in einer Wohnung
leben.)
Der Name a taucht jetzt nicht mehr in der Formel γ (i.e. ∃xQx) auf – alles passt
bestens.
2.3.1
Übungsbeispiele
60
KAPITEL 2. PRÄDIKATENLOGIK – PL
Kapitel 3
Anhang
3.1
3.1.1
Lösungen zu den Übungsbeispielen
Lösungen zu den Bespielen aus Abschnitt 1.4.4
1.
1
p → ¬p
P
2
p
A
3
¬p
→-B 1,2
4
p ∧ ¬p
∧-E 2, 3
5
¬p
¬-E 2 - 4
2.
61
62
KAPITEL 3. ANHANG
1
¬p → (p ∧ q)
P
2
¬q
P
3
¬p
A
4
p∧q
→-B 1, 3
5
p
∧-B 4
6
p ∧ ¬p
∧-E 3, 5
7
p
¬-B 3 - 6
8
p ∧ ¬q
∧-E 2,7
3.
4.
1
p
P
2
p → (p ∧ r)
P
3
p∧r
→-B 1,2
4
r
∧-B 3
5
r∨s
∨-E
3.1. LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSBEISPIELEN
(p ∧ ¬q) ∨ (¬r ∧ p)
1
63
P
2
¬p
A
3
¬p ∨ q
∨-E 2
4
p ∧ ¬q
A
5
¬q
∧-B 4
6
¬p
∨-B 3, 5
7
p
∧-B 4
8
p ∧ ¬p
∧-E 6, 7
¬(p ∧ ¬q)
¬-E 4 - 8
10
¬r ∧ p
∨-B 1, 9
11
p
∧-B 10
12
p ∧ ¬p
∧-E 2, 11
9
13
¬-B 2 - 12
p
5.
1
p∧q
P
2
p
∧-B 1
3
q
∧-B 1
4
¬q
A
5
q ∧ ¬q
∧-E 3, 4
6
6.
¬¬q
¬-E 4
7
¬p ∨ ¬q
A
8
¬p
∨-B 6, 7
9
p ∧ ¬p
∧-E 2, 8
10
¬(¬p ∨ ¬q)
¬-E 7 - 9
64
KAPITEL 3. ANHANG
p∨q
1
P
2
¬p ∧ ¬q
A
3
¬p
∧-B 2
4
q
∨-B 1,3
5
¬q
∧-B 2
6
q ∧ ¬q
∧-E 4,5
7
¬(¬p ∧ ¬q)
¬-E 2 - 6
7.
1
P
2
¬p
A
3
¬p ∨ ¬q
∨-E 2
4
(¬p ∨ ¬q) ∧ ¬(¬p ∨ ¬q)
∧-E 1, 3
5
¬-B 2 - 4
p
6
¬q
A
7
¬p ∨ ¬q
∨-E 6
8
(¬p ∨ ¬q) ∧ ¬(¬p ∨ ¬q)
∧-E 1, 7
9
10
8.
¬(¬p ∨ ¬q)
q
¬-B 6 - 8
p∧q
∧-E 5, 9
3.1. LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSBEISPIELEN
65
1
¬(¬p ∧ ¬q)
P
2
¬(p ∨ q)
A
3
p
A
4
p∨q
∨-E 3
5
(p ∨ q) ∧ ¬(p ∨ q)
∧-E 2,4
6
¬p
¬-E 3 - 5
7
q
A
8
p∨q
∨-E 7
9
(p ∨ q) ∧ ¬(p ∨ q)
∧-E 2,8
10
¬q
¬-E 7 - 9
11
¬p ∧ ¬q
∧-E 6, 10
12
(¬p ∧ ¬q) ∧ ¬(¬p ∧ ¬q)
∧-E 1, 11
13
p∨q
¬-B 2 - 12
1
p→q
A
9.
2
¬(¬p ∨ q)
A
3
p
A
4
q
→-B 1,3
5
¬p ∨ q
∨-E 4
6
(¬p ∨ q) ∧ ¬(¬p ∨ q)
∧-E 2, 5
7
¬p
¬-E 3 - 6
8
¬p ∨ q
∨-E 7
9
(¬p ∨ q) ∧ ¬(¬p ∨ q)
∧-E 2, 8
10
11
¬p ∨ q
(p → q) → (¬p ∨ q)
¬-B 2 - 9
→-E 1 - 10
66
KAPITEL 3. ANHANG
10.
1
¬p ∨ q
A
2
p
A
3
¬p
A
4
p ∧ ¬p
∧-E 2,3
5
¬¬p
¬-E 3 - 4
6
q
∨-B 1, 5
7
p→q
8
3.1.2
(¬p ∨ q) → (p → q)
→-E 2 - 6
→-E 1 - 7
Lösungen zu den Beispielen aus Abschnitt 2.1.1
1. ¬Rjn ∧ ¬Rnj (falls der Satz sagen soll, dass sich die beiden gegenseitig nicht
mögen); ¬Rjj ∧ ¬Rnn (falls der Satz sagen soll, dass keiner der beiden sich selbst
mag)
2. Rjd ∧ Rdn
3. ∀x(M x → Rxj)
4. ¬∃x(Kx ∧ Rxj ∧ ¬Rxn)
5. ∀x((Kx ∧ M x) → Rxd)
6. ∃x(Kx ∧ ∀y(M y → Rxy) ∧ Rxt)
7. ∃x(Kx ∧ ∀y¬Rxy)
8. ∀x((Kx ∧ ∃yRxy) → Rxj)
9. ∀x((M x ∧ ∃y(Ky ∧ Rxy)) → ¬Rxn)
10. ∀x(Kx → Rxd) → ¬∃x(Kx ∧ ¬Rxd)
11. ∃x(M x ∧ ∀y(Ky → Rxy)) → ∀x(Kx → ∃y(Ryx))
3.1. LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSBEISPIELEN
67
12. ¬∃x(Kx ∧ Rxx ∧ ¬Rxd)
13. ∀x(M x → Rxx)
3.1.3
Lösungen zu den Beispielen aus Abschnitt 2.2.1
Gib für jeden Satz eine Interpretation an, in der er wahr ist und eine, in der er falsch
ist.
1. ∀x(M xa ∨ M xb) (könnte etwa stehen für “Jeder mag Anton oder Berta”) ist
wahr z.B. in diesem Modell:
und falsch z.B. in diesem Modell
(weil Berta in diesem Modell keinen mag)
68
KAPITEL 3. ANHANG
2. ∃x(¬P x ∧ ¬Qx) (könnte z.B. stehen für “Jemand ist weder Platon-Fan noch
Quine-Fan”) ist wahr z.B. in diesem Modell:
und falsch z.B. in diesem Modell
3.1. LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSBEISPIELEN
69
3. ∀x(P x → ∃y(P y ∧ M xy)) (könnte etwa stehen für “Jeder Philosoph mag irgendeinen Philosophen”) ist wahr z.B. in diesem Modell:
und falsch z.B. in diesem Modell
Hier gibt es einen Philosophen, der keinen Philosophen mag (der “untere” von den
beiden Philosophen).
70
KAPITEL 3. ANHANG
4. ∃x∀y(P y → M xy) (könnte etwa stehen für “Irgendjemand mag alle Philosophen”) ist wahr z.B. in diesem Modell:
und falsch z.B. in diesem Modell
3.1. LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSBEISPIELEN
71
5. ∃x(P x ∧ ∀y(P y → M xy)) (könnte etwa stehen für “Irgendein Philosoph mag
alle Philosophen”) ist wahr z.B. in diesem Modell:
und falsch z.B. in diesem Modell
(Hier mag zwar irgendjemand alle Philosophen, aber dieser jemand ist keine Philosoph!)
72
KAPITEL 3. ANHANG
6. siehe Folie S 76 ff.
Welche der folgenden Sätze sind erfüllbar? (Begründe deine Entscheidung durch
Angabe geeigneter Modelle, bzw. argumentiere informell, wieso der Satz nicht erfüllbar
ist.)
7. ∃x∀y(¬M yy → M xy) (könnte etwa stehen für “Jemand mag alle, die sich nicht
selbst mögen”) ist wahr z.B. in diesem Modell:
In diesem Modell mag Max alle, die sich nicht selbst mögen - nämlich Jeremia und
Helena. (Ausserdem noch nicht selbst.)
3.1. LÖSUNGEN ZU DEN ÜBUNGSBEISPIELEN
73
8. ∃x∀y(M xy → ¬M yy) (könnte etwa stehen für “Jemand mag nur Leute, die
sich nicht selbst mögen”) ist wahr z.B. in diesem Modell:
In diesem Modell mag Jeremia nur Leute, die sich nicht selbst mögen (und keine
anderen) - nämlich Helena.
9. ∃x∀y(M xy ↔ ¬M yy) andererseits ist nicht erfüllbar! Keiner kann alle und
nur solche Menschen mögen, die sich nicht selbst mögen. (Man erinnere sich an das
Russell Paradox bzw. das Paradox vom Barbier von Sevilla, der alle und nur
denen die Haare schneidet, die sich nicht selbst die Haare schneiden!)
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KAPITEL 3. ANHANG
Liste aller Definitionen
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