Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 1|7 Das Nervensystem Wie ein dicht geknüpftes Straßennetz durchziehen Nervenbahnen unseren Körper und bilden mit dem Rückenmark und der übergeordneten Zentrale, dem Gehirn, das Nervensystem. Es besteht aus unzähligen Nervenzellen, die untereinander und mit anderen Organen wie z.B. Sinnesorganen, Muskeln und Drüsen verbunden sind. Über die Nervenfasern werden Signale versendet - zum Beispiel der Schmerzreiz vom verbrannten Finger in das Gehirn oder umgekehrt der Befehl an die Beinmuskeln, einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Die Nervensignale werden dabei von Nervenzelle zu Nervenzelle fortgeleitet und können blitzschnell auch weite Distanzen überbrücken. Das Nervensystem hat vielfältige Aufgaben: Es ist für die Sinneswahrnehmungen zuständig, vermittelt das Berührungs- und Schmerzempfinden, koordiniert unsere Bewegungen und steuert wichtige Körperfunktionen wie beispielsweise den Herzschlag, die Verdauung und das Schwitzen. Auch unser ganzes Denken, Fühlen und Handeln basiert auf dem Nervensystem, dessen wichtigste Schaltstelle das Gehirn ist. Die Nervenzellen Das Nervensystem wird von hochspezialisierten Zellen gebildet, den Nervenzellen (= Neurone). Sie bestehen wie die übrigen Körperzellen aus einem Zellleib, der mit einer Hülle (Zellmembran) von der Umgebung und anderen Zellen abgegrenzt ist. In diesen Zellleib eingebettet ist der Zellkern, in dem sich u.a. die genetischen Informationen des Menschen befinden. Die Gene sind u.a. dafür verantwortlich, dass die Nervenzelle ihre ganz speziellen Aufgaben erfüllen kann. Anders als die meisten übrigen Körperzellen verfügen die Nervenzellen am Zellleib über kurze Ausläufer (= Dendriten), die sich ähnlich wie ein Baum nach außen verzweigen und verästeln. Die Dendriten besitzen und sind die Empfangsorgane der Zelle für Signale anderer Zellen – in einem technischen Vergleich mit dem Telefon sind sie die Hörmuschel, in die andere Nervenzellen hineinsprechen. Außerdem besitzen Neurone noch einen Zellfortsatz zur Weiterleitung von Signalen. Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 2|7 Das Axon - Verbindung im Nervensystem Die Nervenzellfortsätze (= Axone) sind sehr, sehr dünn (etwa 0,5–10 μm). Sie können sehr kurz oder aber auch sehr lang sein, in Einzelfällen durchziehen sie den Körper über eine Länge von mehr als einem Meter (z.B. vom Rückenmark zum Fuß). Über die Axone „spricht“ die Nervenzelle zu anderen Nerven- und Körperzellen, u.a. auch zu Muskel- und Drüsenzellen. Vergleicht man die Nervenzelle mit einem Telefon, so entspricht das Axon der Telefonleitung, über die das gesprochene Wort in Form elektrischer Impulse an andere Teilnehmer weitergeleitet wird. Ein Axon verzweigt sich an seinem zellfernen Ende vielfach und trägt an jedem Ausläufer kleine Knöpfchen, über die es Kontakt zu anderen Neuronen (über eine sogenannte „Synapse“) bzw. zu Muskelzellen (über eine sogenannte „motorische Endplatte“) und anderen Zellen hat und die Nervenzellsignale über Botenstoffe („Neurotransmitter“) überträgt. Myelin und die Markscheide Myelinscheide und Axon Im Hinblick auf die MS-Erkrankung ist der feingewebliche Aufbau der Axone sehr wichtig: So wie die Telefonleitung durch eine Kunststoffhülle geschützt und isoliert wird, so ist auch das Axon vieler Nervenzellen von einer Schutzhülle überzogen. Darin enthaltene spezielle Hüllzellen („Oligodendrozyten“ im ZNS, „Schwannsche Zellen“ im peripheren Nervensystem) produzieren den Fett-Eiweißstoff Myelin. Mehrere Schichten dieses Myelins übereinander bilden die Myelinscheide (Markscheide) des Nerven. Im Gegensatz zum Kabel dient diese aber keineswegs nur der elektrischen Isolation und dem Schutz des Axons, sie ist auch für die Schnelligkeit der Reizleitung verantwortlich. Durch regelmäßige Einkerbungen der Hülle (= „Ranviersche Schnürringe“) sind der Nervenfaser sehr hohe Leitungsgeschwindigkeiten bei reduziertem Energieverbrauch möglich. Die Signale können in dicken Nerven dabei Geschwindigkeiten von bis zu 120 Metern pro Sekunde erreichen. Es gibt auch Nervenfasern, die von keiner Myelinscheide umhüllt sind. Diese einfacheren, nichtmyelinisierten Fasern leiten das Nervensignal deutlich langsamer fort und bringen es teilweise nur auf ein bis zwei Meter pro Sekunde. Bei gleicher Faserdicke sind myelinisierte Fasern etwa zehnmal schneller als nichtmyelinisierte. Wird die Myelinscheide von Nerven oder Leitungsbahnen beschädigt oder zerstört, wie es bei der MS im ZNS der Fall ist, verlangsamt sich die Fortleitung des Nervenimpulse oder wird sogar unterbrochen. Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 3|7 Myelin hat ein weißliches Aussehen, in Gehirn und Rückenmark gibt es der „weißen Substanz“, die viele Myelin-ummantelte Bahnen enthält, ihren Namen. Übrigens in Abgrenzung von der „grauen Substanz“ im ZNS, die aus nah beieinander liegenden Nervenzellkörpern besteht (die „grauen Zellen“ des Volksmundes). Zentrales und peripheres Nervensystem Beim Nervensystem handelt es sich wohl um den komplexesten Teil unseres Körpers. Es wird nach seiner Anatomie grundsätzlich unterteilt in das zentrale Nervensystem (ZNS), zu dem das Gehirn und das in der Wirbelsäule liegende Rückenmark gehören, und in das periphere Nervensystem, das aus 12 sogenannten Hirnnerven sowie aus 31 Rückenmarknervenpaaren (Spinalnerven) besteht, die die verschiedenen Regionen des Körpers durchziehen. Gehirn und Rückenmark sind die entscheidenden Schaltzentralen des Nervensystems. Sie nehmen einerseits Signale, also „Informationen“, aus der Außenwelt und der Innenwelt unseres Körpers auf und verarbeiten sie weiter. Andererseits senden sie selbst vielfältige Signale in die Peripherie aus und lösen dadurch an den Zielorganen bestimmte Aktionen aus. Das Gehirn Im Gehirn als oberster Kommandozentrale laufen alle Informationen aus dem eigenen Körper und der Umwelt zusammen. Sie werden dort in einem höchst komplexen Prozess abgeschwächt, verstärkt gefiltert, bewertet und schließlich in bewusste und unbewusste Aktionen und Reaktionen umgesetzt. Das Gehirn besteht aus etwa 100 Milliarden (!) Nervenzellen und enthält spezialisierte Bereiche für die verschiedenen Aufgaben. Das Gehirn ist eines der aktivsten Organe des Körpers: Rund 20% des Blutes werden vom Herzen durch das Gehirn gepumpt. Es macht mit 1.300 bis 1.600 Gramm nur etwa 2% Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht aber mehr als 20% der Energie, die wir mit der Nahrung aufnehmen. Wenn die Versorgung auch nur für zehn Sekunden unterbrochen wird, kommt es zur Bewusstlosigkeit, ein mehrere Minuten andauernder Sauerstoffmangel hat meist schwere, nicht wieder behebbare Hirnschäden zur Folge. Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 4|7 Den Kortex-Arealen werden die höheren Hirnfunktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Planung etc. zugeordnet, letztlich auch Selbstreflexivität und damit das Bewusstsein des Menschen. Schäden des Kortex durch Verletzung oder Erkrankung gehen mit Beeinträchtigungen der kognitiven Funktionen und sogar Wesens- oder Persönlichkeitsveränderungen einher. Das eindrucksvollste Beispiel bietet vielleicht der geistige Abbau durch die degenerativen Veränderungen von Rindenbereichen bei der Alzheimer-Demenz. Das Rückenmark An der Unterseite des Gehirns tritt das Rückenmark aus und bildet den zweiten großen Anteil des ZNS. Es enthält Nervenzellen, Umschaltstationen und vor allem Nervenbahnen, die vom Gehirn in die Peripherie und umgekehrt ziehen. Es liegt – bedeckt von Rückenmarkshäuten – geschützt im Inneren der knöchernen Wirbelsäule, im Wirbelkanal. Aus ihm treten durch kleine Durchgänge zwischen den Wirbelkörpern (Zwischenwirbellöcher) die Spinalnerven aus, es nimmt außerdem Nervenfasern aus der Peripherie auf, die zum Gehirn ziehen. Das Rückenmark hat eine quer-ovale bis runde Form und läuft, sich immer weiter verjüngend, in Höhe der Lendenwirbelsäule konisch aus. Wie das Gehirn besteht das Rückenmark aus grauer (innen liegend) und weißer Substanz (seitlich bzw. außen liegend). Im Querschnitt hat die graue Substanz eine schmetterlingsförmige Figur, deren „Flügelspitzen“ die sogenannten Hinter-, Vorder- und Seitenhörner bilden. Die in der weißen Substanz laufenden Bahnen sind in Hinter-, Vorder- und Seitensträngen organisiert. Peripheres Nervensystem Das periphere Nervensystem besteht aus den außerhalb des ZNS befindlichen Nerven und hat, vereinfacht dargestellt, zwei Hauptaufgaben: Einerseits sammelt es verschiedenste Informationen, sowohl aus dem Inneren unseres Körpers als auch über die Sinneszellen aus der „Außenwelt“ und leitet diese ins Rückenmark und ins Gehirn fort (über „afferente“ oder „sensible“ Nervenfasern und -bahnen). Dort werden die aufgenommenen Reize eingeordnet, bewertet, und koordiniert weiter verarbeitet. Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 5|7 Andererseits dient das periphere Nervensystem dazu, die aus dem ZNS stammenden Befehle an die entsprechenden Zielzellen zu leiten. Dies können z. B. Signale für die Muskulatur sein, den Körper in Bewegung zu setzen („efferente“ oder „motorische“ Nervenfasern“), aber auch andere Funktionssysteme wie etwa der Magen-Darmtrakt oder die Sexualorgane erhalten ihre Weisungen vom ZNS. Die aus dem Rückenmark bzw. der Wirbelsäule austretenden Spinalnerven, die für die Versorgung der Extremitäten zuständig sind, bilden Nervengeflechte (Plexus), aus denen dicke Nervenstränge hervorgehen und in unsereArme und Beine ziehen. Dort verästeln sie sich immer weiter und steuern die großen und die vielen kleinen und allerkleinsten Muskeln an und erzeugen damit präzise, koordinierte Bewegungen. Beispiel für das Zusammenspiel im Nervensystem Am deutlichsten wird das überaus komplexe Zusammenspiel zwischen peripherem Nervensystem, Rückenmark und Gehirn vielleicht an einem Beispiel: Stoßen wir uns den Fuß kräftig an, wird das Schmerzsignal von den Schmerzmeldern am Fußknochen über die peripheren Nerven (in diesem Fall „sensible“ Nerven) zum Rückenmark geleitet. Dort werden die Reize über Umschaltstationen in motorische Nervenimpulse umgesetzt, die sofort zu den Beinmuskeln geschickt werden und dort für das augenblickliche, koordinierte Zusammenziehen jener Muskeln sorgen, die den Fuß von der Schädigungsquelle zurückziehen. Da die Leitung vom Fuß zum Rückenmark und von dort zu den Beinmuskeln nur kurz ist, geschieht dies in Sekundenbruchteilen und ohne unser wissentliches Zutun. Tatsächlich ist das Gehirn an den Aktionen dieses sogenannten Reflexbogens nicht direkt beteiligt. Die Schmerzimpulse erreichen das Gehirn „erst“ Sekundenbruchteile später. Als Reaktion auf den Schmerz versuchen wir, seinen Grund herauszufinden, den eingetretenen Schaden zu ermitteln und eventuelle Gegenmaßnahmen einzuleiten. Diese Denkprozesse laufen in der grauen Substanz der Großhirnrinde ab. Gleichzeitig werden wir möglicherweise sehr wütend, dass jemand diesen Gegenstand liegen ließ, an dem wir uns gestoßen haben. An den Gefühlsreaktionen sind wieder andere Hirnbereiche beteiligt, unter anderem das „limbische System“. Wir merken uns das Erlebnis und in der Folge lenken wir unsere Aufmerksamkeit vielleicht eher auf den Boden, um weitere schmerzverursachende Kontakte zu vermeiden. Diese planenden Prozesse gehören zu den höheren Hirnfunktionen. Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 6|7 Somatisches und autonomes Nervensystem Außer nach dem Aufbau in „zentral“ und „peripher“ kann das Nervensystem auch nach anderen Gesichtspunkten unterteilt werden: nämlich in ein somatisches („animales“) und ein vegetatives („autonomes“) Nervensystem. Somatisches System Der somatische Teil ist an der Regelung der Beziehungen zur Außenwelt beteiligt und umfasst außer den willentlich ausgeführten Bewegungen auch unwillkürliche Aktionen unserer Muskeln, z.B. wenn wir sprechen, essen, lesen etc.. Auch ein Teil unserer von innen kommenden Sinnesreize wird über das somatische Nervensystem verarbeitet. Zum Beispiel senden beim aufrechten Stehen kleine Sensoren in den Muskeln („Muskelspindeln“) ständig Informationen über unsere Stellung im Raum an Gehirn und Rückenmark. Als Reaktionen erfolgen – uns unbewusst bleibende – kleinste Muskelkontraktionen und -erschlaffungen, die uns im Gleichgewicht halten und unsere Bewegungen ausgleichen. An dieser unwillkürlichen Haltungskontrolle sind das Rückenmark und verschiedene Gehirnregionen („extrapyramidal-motorisches“ System) einschließlich des Kleinhirns beteiligt. Kommt es, wie bei der MS, zu Schädigungen der Reizleitung und -verarbeitung in entsprechenden Regionen des Gehirns oder Bahnen des Rückenmarks leiden wir beispielsweise unter einer Gangunsicherheit (= Ataxie) oder entwickeln z.B. ein Zittern der Hände und Arme (= Tremor). Autonomes Nervensystem Vom somatischen Nervensystem unterschieden wird das „vegetative“ oder auch „autonome“ Nervensystem, ein weiterer Teil unseres Gesamtnervensystems, der in der Regel ebenfalls nicht von unserem Willen kontrolliert wird. Seine Aufgabe ist die Aufrechterhaltung der Balance der Organfunktionen oder des „inneren Milieus“ unter wechselnden Umweltanforderungen. Die oberste Zentrale des autonomen Nervensystems ist der „Hypothalamus“, eine Hirnstruktur, die mit fast allen anderen Gehirnregionen einen engen Austausch pflegt. Die autonomen Regulationszentren erhalten über sogenannte viszerosensible Nervenfasern (viszeral: die Eingeweide betreffend) ständig Meldungen von unseren inneren Organen. Auf der anderen Seite steuert es über efferente Einstiegslevel • Körpersystem I Nervensystem I Seite 7|7 Fasern unsere Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag, Speichelfluss, Verdauung, Harnblasenfunktion, Schwitzen etc., ohne dass wir uns bewusst darum kümmern müssen, eben „autonom“. Nervensystem Die Gegenspieler Seite 7|7 Innerhalb des autonomen Nervensystems werden zwei Gegenspieler voneinander unterschieden. Der sogenannte Sympathikus – seine wichtigste Struktur ist der parallel zum Rückenmark verlaufende „Grenzstrang“ – wirkt mit seinen motorischen und sekretorischen Nervenfasern auf die glatte Muskulatur innerer Organe, Drüsen etc. meist aktivierend bzw. anregend (z.B. beschleunigt er den Herzschlag). Der sogenannte Parasympathikus – sein Hauptnerv ist der Vagusnerv („der Umherschweifende“) – wirkt auf die von ihm versorgten Organe und Systeme meist hemmend bzw. beruhigend (z.B. verlangsamt er den Herzschlag). Die momentanen Funktionen unserer Verdauung und vieler anderer Organ- und Funktionssysteme wie die Durchblutung, die Temperaturregelung etc. sind damit immer ein Ausdruck des Zusammenspiels von Sympathikus und Parasympathikus. Die Sinnesorgane Quelle: www.g-netz.de Zu den lebenswichtigen Aufgaben des Nervensystems gehört auch die Verarbeitung von Sinneseindrücken. Die Aufnahme der Informationen aus der Außenwelt geschieht durch unsere Sinnesorgane mit ihren hochspezialisierten Sinneszellen in der Netzhaut der Augen, den CORTI-Haarzellen des Ohres, den Sinneszellen im Innenohr für den Gleichgewichtssinn, den Geschmacksknospen der Zunge und den Riechzellen in der Nasenschleimhaut. Auch die Haut verfügt über verschiedene Endorgane, über die Berührungen, Hitze-, Kälte- und Schmerzreize an das Gehirn gemeldet werden. In elektrische Signale umgewandelt werden die Informationen über die entsprechenden Nerven (z.B. den Sehnerven, Nervus opticus) zu spezialisierten Regionen im Gehirn, wie z.B. der Seh- und der Hörrinde, weitergeleitet. Dort erst geschieht die eigentliche Wahrnehmung der Sinnesreize, erst danach können die Informationen in unser Bewusstsein treten. Für die MS von besonderer Bedeutung ist der Sehnerv, dessen krankheitsbedingte Schädigungen häufig zu Sehstörungen führen können.