2. Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik

Werbung
2. Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
Bevor wir die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in der Art des vorausgegangenen Kapitels
zu untersuchen, sollten wir uns mit einigen wichtigen theoretischen Hilfsmitteln vertraut machen, insbesondere mit den Begriffen Menge, Relation und Funktion und den verschiedenen
Möglichkeiten, sie zu beschreiben, wie beispielsweise der Lambda-Notation. Ferner eignen
wir uns einige Grundbegriffe und –schreibweisen der Aussagen- und Prädikatenlogik an.
2.1 Elementare Mengenlehre
2.1.1 Der Begriff der Menge
Die Mengenlehre wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem Mathematiker Georg
Cantor als theoretische Basis der Mathematik entwickelt. Der Grundgedanke war, eine elementare, einfache und konsistente Theorie zu schaffen, auf deren Grundlage sich die gesamte
Mathematik aufbauen ließe. Nachfolgend die klassische Definition einer Menge (englisch:
set).
(1) Eine Menge ist eine abstrakte Zusammenfassung bestimmter wohlunterschiedener Objekte unserer Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen.
Betrachten wir die Bestandteile dieser Definition genauer:
• “abstrakt”: Die Objekte brauchen nicht physisch zusammengefasst zu werden, wie etwa
die Marken einer Briefmarkensammlung in einem Album.
• “Zusammenfassung”: Es muss klar sein, welche Objekte dazugehören und welche nicht.
Des Weiteren handelt es sich lediglich um eine Zusammenfassung, nicht um eine Anordnung – die Reihenfolge, in der wir die Elemente angeben, spielt daher keine Rolle.
(Strukturen, in denen die Reihenfolge relevant ist, heißen Tupel oder Listen.)
• “wohlunterschieden”: Die Objekte müssen identifizierbar sein, das heißt, man muss sie
auseinanderhalten können. Insbesondere kann in einer Menge ein und dasselbe Objekt
nicht mehrfach auftauchen. Strukturen, die auch das mehrfache Vorkommen von Objekten erlauben, heißen Multimengen.
• “Anschauung”/“Denken”: Die Objekte können konkret sein (z.B. die Studenten im Seminarraum) oder abstrakt (wie die sieben Kardinaltugenden oder die natürlichen Zahlen
zwischen 3 und 17).
Einige Beispiele und weitere Begriffe:
• Die Objekte, die zu einer Menge gehören, nennt man Elemente der Menge. Von den Elementen wird nichts weiter vorausgesetzt. Insbesondere kann es sich bei ihnen selbst um
Mengen handeln.
• Mengen können klein sein (wie die Menge der natürlichen Zahlen zwischen 3 und 17)
oder groß (wie die Menge der natürlichen Zahlen zwischen 3 und 17 Milliarden). Diese
Mengen sind endlich, aber es gibt auch unendliche Mengen (z.B. die Menge aller natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, …).
• Mengen können nur ein einziges Objekt enthalten (sogenannte Einermengen); man beachte, dass die Menge, die Manfred Krifka als einziges Element besitzt, verschieden ist
von Manfred Krifka selbst (beispielsweise ist die Menge abstrakt, ich bin hoffentlich
konkret).
• Mengen können auch überhaupt keine Objekte enthalten (die leere Menge, ∅).
Ein paar Vereinbarungen zur Schreibweise:
• Mengen werden gewöhnlich mit Großbuchstaben A, B, C, X, Y etc. bezeichnet.
• Elemente bezeichnet man gewöhnlich mit Kleinbuchstaben a, b, c, x, y etc.
• a∈A “a ist Element von A”, a∉A “a ist kein Element von A”
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Elementare Mengenlehre 2
Wann sind zwei Mengen gleich? Wir sollten mindestens folgendes verlangen: Wenn zwei
Mengen A und B gleich sind, dann besitzen sie dieselben Elemente. Das kann man wie folgt
ausdrücken:
(2) Wenn A = B gilt,
dann gilt auch für alle x: Wenn x∈A, dann x∈B, und wenn x∈B, dann x∈A.
Dies ist jedoch noch keine Definition für die Gleichheit, nur eine notwendige Bedingung:
Wenn immer A = B gilt, gilt notwendigerweise auch, dass die beiden Mengen die gleichen
Elemente haben. Man kann nun weitergehen und fordern, dass zwei Mengen, welche dieselben Elemente besitzen, gleich sind:
(3) Wenn für alle x gilt:
Wenn x∈A dann x∈B, und wenn x∈B, dann x∈A,
dann gilt auch: A = B
Dies ist eine hinreichende Bedingung: Wenn immer zwei Mengen die gleichen Elemente
haben, dann sind sie gleich. Das heißt, die Mengen sind ausschließlich durch ihre Elemente
definiert. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Mengen von Ausschüssen, Musikgruppen etc.
Es kann beispielsweise sein, dass Hans, Bill und Maria freitagabends Rockmusik als ‘The
Rocking Stones’ spielen, und samstagabends Country als ‘The Rattlesnakes’; diese beiden
Bands haben natürlich recht unterschiedliche Eigenschaften, auch wenn die Mitglieder dieselben sind.
Wir müssen nun nur noch ausschließen, dass zwei Mengen auch unter anderen Umständen
gleich sind. Das tun wir, indem wir die beiden Gesetzmäßigkeiten (2) und (3) kombinieren:
(4) Definition:
A = B gilt genau dann wenn (gdw.)
Für alle x, wenn x∈A, dann x∈B, und wenn x∈B, dann x∈A.
Das heißt, zwei Mengen sind gleich genau dann, wenn sie dieselben Elemente besitzen.
2.1.2 Spezifikation von Mengen: Aufzählung und Abstraktion
Es gibt verschiedene Weisen, wie man Mengen angeben kann. Hier wollen wir zwei Methoden einführen: die Aufzählung und die Abstraktion.
Aufzählung
Wir können die Elemente einer Menge einfach aufzählen. Das nennt man auch die “Listennotation”.1 Gewöhnlich verwendet man dazu geschweifte Klammern sowie Kommata, um die
Elemente voneinander zu trennen. Beispiele:
(5) a. {Haydn, Mozart, Beethoven} (Menge von Komponisten, die wir K nennen wollen).
b. {Mozart, Sirius, 3}
c. {Haydn, {Mozart, Beethoven}} (verschieden von K )
c. {Mozart} (eine Einermenge)
d. {} (die leere Menge, auch Ø geschrieben)
Beachte:
• Die Reihenfolge der Aufzählung ist irrelevant: {Mozart, Beethoven, Haydn} = K
• Das mehrfache Vorkommen eines Elementes spielt keine Rolle:
{Haydn, Mozart, Mozart, Beethoven} = K
Abstraktion
Die Abstraktion, auch Prädikatsnotation genannt, beschreibt die Elemente, die zu der Menge gehören, in einer Sprache – auf Deutsch beispielsweise oder in einer mathematischen
1 Diese Benennung ist etwas irreführend; denn für Listen ist die Reihenfolge der Elemente wichtig, für Mengen hingegen
nicht.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
3 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
Sprache. Alle Objekte, auf welche die Beschreibung zutrifft, und nur diese Objekte, sind
dann in der Menge enthalten. Die folgende Schreibweise ist gebräuchlich:
(6) {Variable | Beschreibung}
Typischerweise verwenden wir x, y, z als Buchstaben für Variablen. Einige Beispiele:
(7) a. {x | x ist ein bedeutender Komponist der klassischen Wiener Periode}
(= unsere Menge K )
b. {x | x ist ein ägyptischer Pharao}
(= {Cheops, Chefren, … Cleopatra})
c. {x | x ist eine natürliche Zahl größer/gleich 1 und kleiner/gleich einer Milliarde}
(= {1, 2, … 1,000,000,000})
d. {x | x ist eine gerade Zahl}
(= {2, 4, 6, 8, …}, wir wollen diese Menge mit G bezeichnen).
Beispiel (7.a) liest man “die Menge aller x so, dass x ein bedeutender Komponist der klassischen Wiener Periode ist”. Die allgemeine Form der Prädikationsnotation ist also wie folgt zu
verstehen:
(8) {x | Aussage}:
die Menge aller x, sodass die Aussage wahr ist
Was passiert, wenn die Variable x gar nicht in der Aussage vorkommt, wie in den folgenden
Beispielen?
(9) a. {x | Potsdam ist die Hauptstadt von Brandenburg}
b. {x | Cottbus ist die Hauptstadt von Brandenburg}
Nach unserer Definition ist (a) die Menge aller x so, dass “Potsdam ist die Hauptstadt von
Brandenburg” wahr ist. Diese Beschreibung ist wahr unabhängig davon, welchen Wert x hat.
Das bedeutet, dass alles in dieser Menge enthalten ist. Eine analoge Überlegung ergibt, dass
in der Menge (b) nichts enthalten ist, dass es sich also um die leere Menge ∅ handelt.
2.1.3 Mächtigkeit von Mengen
Manchmal interessiert uns lediglich die “Größe” einer Menge, d. h. die Anzahl der Elemente
in ihr, ihre sogenannte Mächtigkeit (oder Kardinalität). Die Mächtigkeit einer Menge A
wird durch |A|, #(A), #A oder card(A) bezeichnet. Beispiele:
(10) a. #{Mozart, Haydn, Beethoven} = 3
b. #{Mozart, {Haydn, Beethoven}} = 2 (!)
c. #{Mozart, Haydn, Haydn, Beethoven} = 3 (!)
d. #Ø = 0
Der Begriff der Mächtigkeit lässt sich auf unendliche Mengen wie unsere Menge G ausdehnen. Offenbar kann #G
G keine natürliche Zahl sein. Für die Mächtigkeit unendlicher Mengen
wie G benutzen Mathematiker das Symbol ℵ0 (Aleph-Null).2
2.1.4 Die Teilmengenbeziehung und Potenzmengen
Wir wollen ausdrücken, dass alle Elemente einer Menge A auch in einer Menge B enthalten
sind. Dazu schreiben wir A ⊆ B und sagen, dass A eine Teilmenge von B und B eine Obermenge von A ist. Um auszudrücken, dass A keine Teilmenge von B ist, schreiben wir A ⊄ B.
(11) a. Definition: A ⊆ B gdw. für alle x: Wenn x∈A, dann x∈B.
b. Definition: A ⊄ B gdw. nicht gilt: A ⊆ B.
2 Es gibt mehr als eine Art von Unendlichkeit – tatsächlich existieren unendlich viele Arten von Unendlichkeit. Leider haben
wir in diesem Kurs zu wenig Zeit, um darauf einzugehen.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Elementare Mengenlehre 4
Beispiele:
(12) a. K ⊆ {Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert}
b. G ⊆ {x|x ist eine natürliche Zahl}
c. K ⊆ K
Im letzten Fall gilt die Teilmengenbeziehung in beiden Richtungen. Wollen wir diesen Fall
ausschließen und die echte Teilmengenbeziehung ausdrücken, verwenden wir das Symbol ⊂
und schreiben A ⊂ B für “A ist eine echte Teilmenge von B”. Wir können diese Beziehung
folgendermaßen definieren:
(13) Definition: A ⊂ B gdw. A ⊆ B und B ⊄ A.
(Hier und im folgenden steht “gdw.” für “genau dann, wenn”). Um zum Ausdruck zu bringen, dass A keine echte Teilmenge von B ist, schreibt man A ⊄ B. Beispiele:
(14) a. K ⊂ {Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert},
b. K ⊄ K
Man beachte, dass nach unserer Definition die leere Menge ∅ Teilmenge einer jeden Menge
A ist (zur Erinnerung: ∅ ⊆ A ist definiert als “jedes Element von ∅ ist auch Element von A”;
diese Forderung ist trivialerweise erfüllt, da ∅ kein einziges Elemente besitzt).
(15) Ø ⊆ A, für jede Menge A.
Bei Einermengen müssen wir genau zwischen der Teilmengen- und der Element-vonBeziehung unterscheiden. Zum Beispiel:
(16) a. 4 ∈ G , aber nicht: 4 ⊆ G .
b. {4} ⊆ G , aber nicht: {4} ∈ G .
Die Menge aller Teilmengen einer Menge A heißt die Potenzmenge von A, englisch: power
set. Wir schreiben dafür pow(A) oder auch ℘(A).
(17) Definition: pow(A) = {X | X ⊆ A}
Wie viele Elemente besitzt eine Potenzmenge? Schauen wir uns zunächst ein paar Beispiele
an:
(18) a. pow({a, b, c}) = {{a, b, c}, {a, b}, {b, c}, {a, c}, {a}, {b}, {c}, ∅}
(Ausgangsmenge: 3 Elemente, Potenzmenge: 8 Elemente)
b. pow({a, b}) = {{a, b}, {a}, {b}, ∅}
(Ausgangsmenge: 2 Elemente, Potenzmenge: 4 Elemente)
c. pow({a}) = {{a}, ∅}
(Ausgangsmenge: 1 Element, Potenzmenge: 2 Elemente)
d. pow(∅) = {∅}
(Ausgangsmenge: 0 Elemente, Potenzmenge: 1 Element)
Allgemein gilt: Wenn eine Menge A aus n Elementen besteht, so besitzt die Potenzmenge
von A 2 ⋅ 2 ⋅ 2 ⋅ … (n-mal) Elemente :
(19) Mächtigkeit von Potenzmengen: Wenn #(A) = n, dann #(pow(A)) = 2n.
Diese Gesetzmäßigkeit kann man sich wie folgt klarmachen: Hat die Menge A ein Element,
z.B. A = {a}, dann hat pow(A) offensichtlich zwei Elemente: {∅, {a}}. Hat A ein zweites
Element, z.B. A = {a, b}, dann hat pow(A) doppelt so viele Elemente: die Mengen, die bereits vorher präsent waren, und die Mengen, die als Kombination dieser Mengen mit dem
neuen Element {b} entstehen, also {∅, {a}, {b}, {a,b}}. Dies kann man verallgemeinern:
Wenn immer pow(A) n-viele Elemente enthält, und ein neues Element zu A hinzukommt,
dann enthält pow(A + neues Element) 2n-viele Elemente.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
5 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
2.1.5 Mengentheoretische Operationen
Es gibt eine Anzahl wichtiger Operationen, die man mit Mengen vornehmen kann. Die Vereinigung (englisch: union) zweier Mengen A und B, geschrieben A ∪ B, ist diejenige Menge, welche alle Elemente, die in A oder B vorkommen, und nur diese enthält.
(20) Definition: A ∪ B = {x| x ∈ A oder x ∈ B}
Zum Beispiel:
(21) a. {1,2,3} ∪ {3,4,5} = {1,2,3,4,5}
b. {1,2,3} ∪ {2,3} = {1,2,3}
c. {1,2,3} ∪ Ø = {1,2,3}
Der Durchschnitt (englisch: intersection) zweier Mengen A und B, geschrieben A ∩ B, ist
diejenige Menge, welche alle Elemente, die sowohl in A wie auch in B vorkommen, und nur
diese enthält:
(22) Definition: A ∩ B = {x| x ∈ A und x ∈ B}
Zum Beispiel:
(23) a. {1,2,3} ∩ {3,4,5} = {3}
b. {1,2,3} ∩ {7,8,9} = Ø
c. {1,2,3} ∩ Ø = Ø
Die mengentheoretische Differenz (englisch: subtraction) A \ B ist diejenige Menge, welche
genau die Elemente aus A enthält, die nicht in B enthalten sind:
(24) Definition: A \ B = {x| x ∈ A und x ∉ B}
Zum Beispiel:
(25) a. {1,2,3} \ {3,4,5} = {1,2}
b. {1,2,3} \ {7,8,9} = {1,2,3}
c. {1,2,3} \ Ø = {1,2,3}
Man beachte, dass die mengentheoretischen Operationen ∪, ∩ und \ etwas anderes sind als
die Teilmengenbeziehung. Wenn wir beispielsweise A ∪ B schreiben, so bezeichnen wir
damit eine neue Menge. Schreiben wir stattdessen A ⊆ B, so erhalten wir keine neue Menge,
sondern eine Behauptung, die wahr oder falsch sein kann.
Häufig beschränken wir uns auf eine bestimmte Menge von Objekten, z.B. die Menge der
natürlichen Zahlen, und betrachten Teilmengen dieser Menge. Eine solche Menge nennt man
Universum, oft mit U bezeichnet. Bezüglich eines Universums U definieren wir das Komplement einer Menge A (wobei A ⊆ U), geschrieben A′, mittels
(26) A′ =def U \ A.
Zum Beispiel gilt bezüglich der natürlichen Zahlen als Universum
(27) a. {1,2,3}′ = {x | x ist eine natürliche Zahl und x≥4}
b. G ′ = {x | x ist eine ungerade Zahl}
2.1.6 Venn-Diagramme
Eine nützliche Methode zur Darstellung mengentheoretischer Beziehungen bilden die sogenannten Venn-Diagramme (nach dem Mathematiker John Venn), auch Euler-Kreise genannt (nach dem im 18. Jahrhundert lebenden Mathematiker Leonhard Euler, der sie als didaktisches Hilfsmittel in seinen im Jahre 1768 in St. Petersburg veröffentlichten Lettres à une
Princesse d’Allemagne einführte). Wir haben im vorausgegangenen Kapitel schon so etwas
wie Venn-Diagramme benutzt. In einem Venn-Diagramm werden die Elemente durch Punkte
in der Ebene dargestellt, and Mengen von Elementen durch geschlossene Flächen. Beispiele:
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Elementare Mengenlehre 6
(28)
A
B
B⊆A
(29)
A
A
A
B
B
B
A∪B
A∩B
A\B
(30)
U
A′ (Komplement von A, = U \ A)
A
2.1.7 Mengentheoretische Gesetze
Die mengentheoretischen Begriffe wie Vereinigung, Durchschnitt, Teilmenge, Komplement
etc. sind durch einfache strukturelle Beziehungen, die wir in Gleichungen ausdrücken können, miteinander verbunden. Im Folgenden seien X, Y, Z beliebige Mengen. Die jeweiligen
Gesetze lassen sich mit Hilfe von Venn-Diagrammen darstellen.
(31) a. Idempotenz:
•
X∪X = X
b. Kommutativität: X∪Y = Y∪X
c. Assoziativität:
X∩X = X
X∩Y = Y∩X
(X∪Y)∪Z = X∪(Y∪Z) (X∩Y)∩Z = X∩(Y∩Z)
Wegen der Assoziativität von Vereinigung und Durchschnitt spielt die Klammerung in Ausdrücken, die entweder nur ∪ oder nur ∩ enthalten, keine Rolle. Wir dürfen daher z.B.
X∪Y∪Z für (X∪Y)∪Z schreiben.
Die Schreibweise für Vereinigung und Durchschnitt können wir noch verallgemeinern. Sei X
eine Menge von Mengen, dann:
(32) a. Definition: ∪X =def die Vereinigung aller Mengen in X.
b. Definition: ∩X =def der Durchschnitt aller Mengen in X.
Beispiele:
(33) a. ∪{{a,b,c}, {c,d,e}, {e,f,g}} = {a,b,c,d,e,f,g}
b. ∩{{a,b,c}, {b.c.d}, {c.d.e}} = {c}
(34) a. Distributivität:
b. Identitätsgesetze:
X∪(Y∩Z) = (X∪Y)∩(X∪Z)
X∩(Y∪Z) = (X∩Y)∪(X∩Z)
das heißt, ∪ “distribuiert” (verteilt) über ∩ und umgekehrt.
X∪Ø = X
X∩Ø = Ø
X∪U = U
X∩U = X
d.h, leere Menge Ø und Universum U spielen besondere
Rollen hinsichtlich Vereinigung und Durchschnitt.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
7 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
c. Komplementgesetze:
X∪X′ = U
(X′)′ = X
X∩X′ = Ø
X\Y = X∩Y′
d. de Morgansche Gesetze:
(X∪Y)′ = X′∩Y′
(X∩Y)′ = X′∪Y′
e. Konsistenz:
X⊆Y gdw. X∪Y = Y X⊆Y gdw. X∩Y = X
Das Konsistenzgesetz erlaubt es uns, ⊆ durch ∪ oder ∩ zu definieren oder umgekehrt ∪ bzw.
∩ durch ⊆. Das heißt, es stellt eine Beziehung auf zwischen der Teilmengenbeziehung und
den Mengenoperationen.
Ein mathematisches Modell, das die oben angeführten Gesetzmäßigkeiten erfüllt, nennt man
eine Boolesche Algebra (nach dem Logiker George Boole, 1815-1864). Boolesche Algebren
spielen eine sehr bedeutende Rolle in vielen Bereichen, unter anderem auch in der Informatik.
Die mengentheoretischen Gesetze ermöglichen es, manche Ausdrücke zu vereinfachen. Beispiel:
(35) (A∪B) ∪ (B∩C)′ =
(A∪B) ∪ (B′∪C′) =
A ∪ (B ∪ (B′∪C′)) =
A ∪ ((B∪B′) ∪ C′) =
A ∪ (U ∪ C′) =
A∪U=
U
(de Morgan)
(Assoziativität)
(Assoziativität)
(Komplement)
(Identität)
(Identität)
Solch eine Rückführung eines Ausdrucks auf einen anderen, für gewöhnlich einfacheren
Ausdruck nennt man einen Beweis: Ein Beweis ist eine Folge von Ausdrücken, in der jeder
Ausdruck von seinem Vorgänger mittels Anwendung eines Gesetzes ableitbar ist. Betrachten
wir ein weiteres Beispiel; darin zeigen wir, dass eine bestimmte Tatsache gilt:
(36) a. Zeige: A∩B ⊆ A∪B !
b. Nach Konsistenz: X⊆Y gdw. X∩Y=X;
setze X:=(A∩B) und Y:=(A∪B), dann bleibt zu zeigen: (A∩B)∩(A∪B) = A∩B.
c. Zum Beweis bedienen wir uns der mengentheoretischen Gesetze:
(A∩B)∩(A∪B)
((A∩B)∩A) ∪ ((A∩B)∩B) (Distributivität)
(A∩(A∩B)) ∪ ((A∩B)∩B) (Kommutativität)
((A∩A)∩B) ∪ (A∩(B∩B)) (Assoziativität, zweimal)
(A∩B) ∪ (A∩B)
(Idempotenz, zweimal)
A∩B
(Idempotenz)
q.e.d.
(“quod erat demonstrandum” – was zu zeigen war).
2.2 Mengenlehre und semantische Beziehungen
Wir haben hier die Grundlagen der Mengenlehre eingeführt, weil sie sich als geeignet erweisen wird, wichtige semantische Beziehungen darzustellen. Wir wollen dies hier bereits an
zwei Beispielen aufzeigen: Die Beziehungen zwischen Wörtern wie Nomina, Adjektiven und
Verben, und die Verknüpfung von Sätzen
2.2.1 Mengenlehre und Wortbedeutungen
Mithilfe der Mengenlehre können wir wesentliche Aspekte von Wortbedeutungen modellieren. Als die Bedeutung eines Nomens, eines prädikativen Adjektivs oder eines intransitiven
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Mengenlehre und semantische Beziehungen 8
Verbs α nehmen wir die Menge derjenigen Objekte, auf die sich α funktional anwenden lässt,
an. Erinnern wir uns, dass die Bedeutung von α durch [[α]] bezeichnet wird. Zum Beispiel:
(37) a. [[Pferd]]= {x| x ist ein Pferd}
b. [[rot]] = {x| x ist rot}
c. [[spricht]]= {x| x spricht}
Hyponymie lässt sich als Teilmengenbeziehung ausdrücken: [ Pferd]] ⊆ [ Tier]] . Im allgemeinen gilt:
(38) α ist ein Hyponym von β gdw. gilt: [[α]] ⊆ [[β]].
Kombinationen von Ausdrücken mittels und, oder und nicht (den sogenannten Boolschen
Operatoren) lassen sich durch Vereinigung, Durchschnitt bzw. Komplementbildung darstellen:
(39) a. [[rot und rund]] = [[rot]] ∩ [[rund]]
b. [[rot oder rund]] = [[rot]] ∪ [[rund]]
c. [ nicht rot]] = [ rot]] ′
Wir können dies zu den folgenden Regeln verallgemeinern:
(40) a. [[α und β]] = [[α]] ∩ [[β]]
b. [[α oder β]] = [[α]] ∪ [[β]]
c. [[nicht α]] = [[α]]′
Die mengentheoretischen Gesetze sagen das semantische Verhalten voraus:
(41) a. [[rot und rund]] = [[rund und rot]], weil
[[rot]] ∩ [[rund]] = [[rund]] ∩ [[rot]]
(Kommutativität)
b. [[rot und [rund und weich]]] = [[[rot und rund] und weich]], weil
[[rot]] ∩ ([[rund]] ∩ [[weich]]) = ([[rot]]∩ [[rund]]) ∩ [[weich]]
(Assoziativität)
c. [[nicht [rot und rund]]] = [[[nicht rot] oder [nicht rund]]], weil
([[rot]] ∩ [[rund]])′ = [[rot]]′ ∪ [[rund]]′
(de Morgan)
d. [[rot und [rund oder weich]]] = [[[rot und rund] oder [rot und weich]]], weil
[[rot]] ∩ ([[rund]] ∪ [[weich]]) = ([[rot]] ∩ [[rund]]) ∪ ([[rot]]∩[[weich]])
(Distributivität)
Mengenlehre kann also verwendet werden, um Theorien zur Semantik natürlicher Sprachen
darzustellen – sowohl hinsichtlich der semantischen Beziehungen zwischen Wörtern wie
auch hinsichtlich der semantischen Beziehungen zwischen komplexen Ausdrücken.
2.2.2 Mengenlehre und Satzbedeutungen
Die Mengenlehre kann nicht nur zur Darstellung von Wortbedeutungen eingesetzt werden;
auch wesentliche Eigenschaften der Beziehung zwischen Sätzen und der Verknüpfung von
Sätzen kann durch sie dargestellt werden. Wir haben im ersten Kapitel gesehen, dass die Bedeutung eines (Aussage-)satzes weitgehend mit den Wahrheitsbedingungen des Satzes
identifizierbar ist. Die Wahrheitsbedingungen wiederum sind mit den Situationen oder
möglichen Welten identifizierbar, in denen der Satz wahr ist. Das führt zu folgender Definition der Satzbedeutung in der Wahrheitsbedingungen-Semantik:
(42) Die Bedeutung eines Satzes Φ ist die Menge der möglichen Welten,
in denen der Satz wahr ist.
[[Φ]] = {w | Φ ist in w wahr}
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
9 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
Wir nehmen generell Φ, Ψ als metasprachliche Variablen über (Aussage-)sätze an, und Variablen w, w′ usw. als Variablen über mögliche Welten. W stehe für die Menge aller möglichen
Welten. Eine Menbe von möglichen Welten wird Proposition genannt. – Ein Beispiel:
(43) [[Es regnet.]] = {w | Es regnet in w}
Es lassen sich mit dieser Modellierung von Satzbedeutungen bestimmte semantische Beziehungen zwischen Sätzen darstellen. Eine wichtige Beziehung ist die der logischen Folgerung
(auch Implikation und englisch Entailment genannt). Aus einem Satz Φ folgt ein Satz Ψ,
wenn in jeder Welt, in der Φ wahr ist, auch Ψ wahr ist, d.h. wenn die Bedeutung von Φ eine
Teilmenge der Bedeutung von Ψ ist. Wenn wir für die logische Folgerung ⇒ schreiben, können wir das wie folgt ausdrücken:
(44) Φ ⇒ Ψ gdw. [[Φ]] ⊆ [[Ψ]].
Die logische Folgerung ist also gewissermassen die Hyponymie-Relation für Sätze (vgl.
(38)). Ein Beispiel:
(45) Lola rennt. ⇒ Lola bewegt sich.
da [[Lola rennt]] = {w | Lola rennt in w},
[[Lola bewegt sich]] = {w | Lola bewegt sich in w}
und {w | Lola rennt in w} ⊆ {w | Lola bewegt sich in w}
Ebenso können die Satzverbindungen mit und, oder und der Satznegation nicht oder es ist
nicht der Fall, dass mit den elementaren Mengenoperationen dargestellt werden:
(46) a. [[Φ und Ψ]] = [[Φ]] ∩ [[Ψ]]
b. [[Φ oder Ψ]] = [[Φ]] ∪ [[Ψ]].
c. [[es ist nicht der Fall dass Φ]] = [[Φ]]′ = W \ [[Φ]]
Einige Beispiele:
(47) a. [[Es ist nicht der Fall dass Lola rennt.]]
= [[Lola rennt]]′ , = W \ [[Lola rennt]]
= W \ {w | Lola rennt in w}
= {w | Lola rennt nicht in w}
b. [[Lola rennt und Manne flennt.]]
= [[Lola rennt]] ∩ [[Manne flennt]]
= {w | Lola rennt in w} ∩ {w | Manne flennt in w}
= {w | Lola rennt in w und Manne flennt in w}
c. [[Lola rennt oder es ist nicht der Fall dass Manne flennt]]
= [[Lola rennt]] ∪ [[es ist nicht der Fall dass Manne flennt]]
= [[Lola rennt]] ∪ [[Manne flennt]]′
= {w | Lola rennt in w} ∪ [W \ {w | Manne flennt in w}]
= {w | Lola rennt in w oder Manne flennt nicht in w}
Unsere Modellierung von Satzbedeutungen erlaubt es auch bereits, Gesetze für notwendige
semantische Beziehungen aufzustellen. Zum Beispiel gilt das folgende Gesetz:
(48) Φ und Ψ ⇒ Φ
Beispiel: Aus Lola rennt und Manne flennt folgt logisch: Lola rennt. Dies folgt aus dem
mengentheoretischen Gesetz der Konsistenz, das die Durchschnittsbildung und die Teilmengenbeziehung miteinander verbindet (vgl. (34.e)):
(49) [[[Φ]] ∩ [[Ψ]]] ⊆ [ Φ]]
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Funktionen 10
2.3 Funktionen
Ein weiterer grundlegender Begriff der Mathematik ist der der Funktion. Funktionen kann
man als einen Spezialfall von Relationen ansehen, mit denen wir uns zunächst beschäftigen
wollen.
2.3.1 Geordnete Paare und Relationen
Mit Hilfe von Mengen sind wir in der Lage, einstellige Prädikate wie rot, Ball, oder rennen
zu modellieren. Wie sieht es aber mit transitiven Verben wie lieben oder Nomen wie Vater
(von) aus? Man beachte, dass ein solches Prädikat nicht von einem einzelnen Objekt gelten
kann, sondern nur von einem Paar von zwei Objekten. Es handelt sich dabei also um Relationen zwischen zwei Entitäten. Beispiele:
(50) a. Maria liebt Hans.
b. Abraham ist der Vater von Isaak.
Brauchen wir völlig neue Begriffe, um Relationen zu beschreiben, oder reicht unser Wissen
aus der Mengenlehre dafür aus? Wir könnten versuchen, Relationen als Mengen von zweielementigen Mengen darzustellen:
(51) [[Vater]]
= {{Isaak, Abraham}, {Jakob, Isaak}, {Esau, Isaak}, ...}
= {{x,y}| y ist der Vater von x}
Dabei gibt es ein Problem: Bei vielen Relationen ist die Reihenfolge wichtig, bei Mengen
dagegen nicht. Gemäß unserer obigen Definition würde auch Isaak als ein Vater von Abraham gelten.
Zweiter Versuch: Relationen als Mengen geordneter Paare. Geordnete Paare sind Mengen
mit genau zwei Elementen ähnlich, außer dass bei ihnen die Reihenfolge der Elemente wichtig ist. Wir schreiben geordnete Paare so:3
〈Isaak, Abraham〉
Nun müssen wir sicherstellen, dass ein Paar wie 〈Isaak, Abraham〉 verschieden ist von einem
Paar wie 〈Abraham, Isaak〉. Das folgt, wenn wir das folgende Identitätskriterium für geordnete Paare annehmen:
(52) Definition: Zwei geordnete Paare 〈x,y〉, 〈u,v〉 sind gleich gdw. x = u und y = v.
Mit Hilfe des Begriffes des geordneten Paares können wir folgende Interpretation angeben:
(53) [[Vater]] = {〈Isaak, Abraham〉, 〈Jakob, Isaak〉, 〈Esau, Isaak〉, ...}
= {〈x,y〉| y ist der Vater von x}
Es gibt verschiedene Arten anzuzeigen, dass zwei Elemente x, y in einer Relation R stehen.
Jede der folgenden Schreibweisen erfüllt diesen Zweck:
3 Eine Frage, die an dieser Stelle auftritt, ist: Müssen wir geordnete Paare als eine neue mathematische Entität einführen,
oder lassen sie sich mit Hilfe von Mengen rekonstruieren? Es zeigt sich, dass Letzteres zutrifft. Geordnete Paare können wir
als Mengen definieren. Das ist die Standardrekonstruktion nach Wiener und Kuratowski:
Definition: 〈x,y〉 = {{x}, {x,y}}
Man kann sich leicht überzeugen, dass wir aus der Mengendarstellung die Paardarstellung gewinnen können. Beispielsweise
stehen {{7}, {7, 9}} oder {{7}, {9, 7}} oder {{7, 9}, {7}} oder {{9, 7}, {7}} alle für das Paar 〈7, 9〉. Ein gleichelementiges
Paar wie 〈7, 7〉 wird als {{7}, {7,7}} dargestellt, was natürlich mit {{7}, {7}} und {{7}} identisch ist. Man beachte, dass
diese Rekonstruktion geordneter Paare aus Mengen dem Identitätskriterium für geordnete Paare genügt:
{{x}, {x,y}} = {{u}, {u,v}} gdw. x=u und y=v.
Insbesondere erhalten wir {{x}, {x,y}} ≠ {{y}, {x,y}} (falls x ≠ y). Wir können also die Schreibweise 〈x,y〉 als eine Abkürzung für die zugrundeliegende Darstellung {{x}, {x,y}} ansehen. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie komplexere mathematische Begriffe auf Mengen zurückgeführt werden.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
11 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
(54) a. 〈x, y〉 ∈ R
b. xRy
c. R(x,y)
Die Idee, die Gesamtheit aller Paare zu betrachten, die sich aus zwei gegebenen Mengen bilden lassen, indem man das erste Element immer aus der einen, das zweite Element immer aus
der anderen Menge nimmt, führt auf das Kartesische Produkt:
(55) Definition: A×B = {〈x, y〉 | x∈A, y∈B}.
Zum Beispiel:
(56) {a, b, c, d} × {1, 2, 3} =
{〈a, 1〉, 〈a, 2〉, 〈a, 3〉,
〈b, 1〉, 〈b, 2〉, 〈b, 3〉,
〈c, 1〉, 〈c, 2〉, 〈c, 3〉,
〈d, 1〉, 〈d, 2〉, 〈d, 3〉}
Eine Relation R zwischen einer Menge A und einer Menge B ist eine Teilmenge des Kartesischen Produkts A×B.
Sobald wir den Begriff eines geordneten Paares zur Verfügung haben, können wir ohne
Schwierigkeit Tripel, Quadrupel etc., allgemein n-Tupel definieren:
(57) a. Tripel: 〈x, y, z〉 =def 〈〈x, y〉, z〉 (Rückführung auf Paare)
b. Quadrupel: 〈u, x, y, z〉 =def 〈〈u, x, y〉, z〉 (Rückführung auf Tripel)
c. n-Tupel: 〈x1, x2, ... xn〉 =def 〈〈x1, x2, ... xn-1〉, xn〉
(Rückführung auf (n-1) Tupel)
Der jeweils links stehende Ausdruck kann wieder als Abkürzung des Ausdrucks auf der rechten Seite angesehen werden. Wir werden Tripel zur semantischen Beschreibung ditransitiver
Verben benötigen; z.B. können wir die Bedeutung von geben wiedergeben als:
(58) [[geben]] = {〈x, y, z〉 | x gibt y an z}
Eine Menge von Paaren nennen wir eine zweistellige Relation, eine Menge von Tripeln eine
dreistellige Relation. (Eine Menge einfacher Entitäten könnte man eine einstellige Relation
nennen).
2.3.2 Funktionen als Relationen
Relationen sind Paarungen von Objekten; beispielsweise ordnet die Relation [ Vater]] jeder
Person x den Vater von x zu. Diese Relation hat eine wichtige Eigenschaft: Jede Person besitzt genau einen Vater. Von solchen Relationen sagen wir, dass sie die Eigenschaft der
Rechtseindeutigkeit haben, welche folgendermaßen definiert ist:
(59) Eine Relation R ist rechtseindeutig gdw. gilt:
Für jedes x, y, z mit 〈x, y〉 ∈ R und 〈x, z〉 ∈ R ist y = z.
Offenbar ist [[Vater]] rechtseindeutig. Die folgenden Relationen sind nicht rechtseindeutig:
(60) a. {〈x, y〉 | y ist Sohn von x}
(man beachte, dass Jakob und Esau denselben Vater haben!)
b. {〈x, y〉 | x, y sind reelle Zahlen, and y ist größer als x}
Rechtseindeutige Relationen nennt man Funktionen. Die Eigenschaft der Rechtseindeutigkeit erlaubt eine neue Schreibweise, die aus dem Matheunterricht in der Schule bekannt ist.
Anstelle von 〈x,y〉∈R oder einer äquivalenten Notation können wir Folgendes schreiben:
(61) y = R(x).
Wir sagen, dass x das Argument and y der Wert ist. Wir sprechen davon, dass R auf x angewendet wird und dass R x auf y abbildet. Häufig verwenden wir für Funktionen Buchsta© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Die Lambda-Notation für Funktionen 12
ben wie f, F, g, G. Man beachte, dass die obige Schreibweise nicht zulässig ist für Relationen,
die keine Funktionen sind. Wir können sagen: der Vater von Jakob IST Isaak, aber wir können
unmöglich sagen: der Sohn von Isaak IST Jakob – schließlich hatte Isaak einen zweiten Sohn,
nämlich Esau.
Ein weiteres wichtiges Begriffspaar sind der Definitionsbereich (auch Argumentbereich,
englisch domain und der Wertebereich (Englisch range) einer Funktion f:
(62) a. Definitionsbereich einer Funktion f, DOM(f): {x | es gibt y so, dass 〈x, y〉 ∈ f}
b. Wertebereich einer Funktion f, RNG(f): {y | es gibt x so, dass 〈x, y〉 ∈ f}
Im Definitionsbereich von f sind also die möglichen Argumente von f enthalten, im Wertebereich von f die möglichen Werte von f. Der Definitionsbereich von [[Vater]] ist die Menge der
Personen (jeder hat einen Vater), der Wertebereich von [[Vater]] ist die Menge der Väter.
Es sei f eine Funktion. Ist A der Definitionsbereich von f, B der Wertebereich, so sagen wir,
dass f eine Funktion von A auf B ist. Ist nun B eine Teilmenge von C, so sagen wir, dass f
eine Funktion von A nach (oder in) C ist. (Technisch gesprochen ist f auch eine Funktion
nach B, da ja auch B eine Teilmenge von B ist). Ist f eine Funktion von A nach C, so schreiben wir dafür f: A → C. Ist weiter A eine Teilmenge von D, so sagen wir, dass f eine partielle Funktion von D nach C ist. (Technisch gesprochen ist f auch eine partielle Funktion von A
auf B). Eine Funktion, in der kein Element ein Wert von mehr als einem Element ist, heißt
ein-eindeutig. (Genauer, es sie heißt ein-eindeutig, wenn auch jedes Element des Wertebereichs der Wert eines Arguments des Definitionsbereichs ist.)
(63)
A
B
A
B
A
B
A
B
a
b
c
d
e
f
1
2
3
4
a
b
c
d
e
f
1
2
3
4
a
b
c
d
e
f
1
2
3
4
a
b
c
d
1
2
3
4
Funktion von A
auf / nach B
Funktion von A
nach B
partielle Funktion
von A auf/nach B
ein-eindeutige Funktion von A auf B
Oft ist es vorteilhaft, Funktionen in der folgenden Notation anzugeben:
(64) [[Vater]] =
Isaak → Abraham
Jakob → Isaak
Esau → Isaak
...
Dies macht klar, dass es sich bei Funktionen im wesentlichen um Zuweisungsvorschriften
oder Abbildungen (englisch mappings) handelt. Beispielsweise weist die Funktion [[Vater]]
dem Isaak den Abraham zu, dem Jakob den Isaak usw.
2.4 Die Lambda-Notation für Funktionen
Der Lambda-Notation ist eine sehr klar durchschaubare Art, Funktionen zu beschreiben und
mit Funktionen zu arbeiten, derer wir uns im gesamten Kurs bedienen werden. Dieser Abschnitt ist eine praktische Einführung in die Notation des Lambda-Kalküls (den Vorschriften,
wie mit Ausdrücken in der Lambda-Notation umgeganben wird), sowie in einige Anwendungen der Notation und des Kalküls. Wir werden dabei in der Hauptsache mathematische Beispiele heranziehen, aber wir werden bald sehen, wie sich der Kalkül anwenden lässt, um Bedeutungen darzustellen.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
13 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
2.4.1 Beschreibung von Funktionen
Eine Funktion kann man angeben, indem man ihre Argument-Werte-Paare aufzählt – entweder als eine Menge von Paaren oder in der Pfeilnotation wie in (64). Oftmals ist eine solche
explizite Auflistung unpraktisch oder sogar unmöglich. In diesem Fall können wir eine Funktion beschreiben. Ein gängiges Format ist das Folgende:
(65) a. [[Mutter]]
m: Personen → Personen,
x |→ die Mutter von x.
b. [[Alter]]
a: Personen → natürliche Zahlen
x |→ das Alter von x, in Jahren.
c. [[Nachfolger]]
s: natürliche Zahlen → natürliche Zahlen,
x |→ x + 1
d. [[Quadrat]]:
q: natürliche Zahlen → natürliche Zahlen,
x |→ x2
Die Funktion f sei definiert als eine Funktion von Personen nach Personen, wobei f jedes x
auf den Vater von x abbildet; z.B. ist f(Isaak) = Abraham. Die Funktion s sei definiert als
eine Funktion von den natürlichen Zahlen in die natürlichen Zahlen, wobei s jede natürliche
Zahl x auf den Nachfolger von x abbildet, d. h. die Zahl x + 1. So ist z.B. s(13) = 14.
Aus der Algebra ist uns eine andere Schreibweise für Funktionen bekannt:
(66) f(x) = x2 + x + 1
Dies ist eine Funktion f, die jede Zahl x auf x2 + x + 1 abbildet. Wir haben z.B. f(2) = 7.
2.4.2 Die Lambda-Notation als kompakte Funktionsbeschreibung
In den bisherigen Schreibweisen haben wir Funktionen wie m, s, q, f definiert. Das bedeutet,
wann immer wir m, s, q oder f verwenden, z.B. in Ausdrücken wie m(Isaak) oder s(13), müssen wir nachschauen, wie diese Funktionen definiert wurden. Die Lambda-Notation bietet
uns die Möglichkeit, Funktionen in einer Weise zu benennen, sodass sofort klar ist, wie sie
definiert sind. In dieser Notation hätten m, s, q und f folgende Gestalten:
(67) m:
s:
q:
f:
λx[die Mutter von x]
λx[x+1]
λx[x2]
λx[x2 + x + 1]
Wir nennen solche Ausdrücke Lambda-Terme. Die Struktur von Lambda-Termen sieht folgendermaßen aus:
(68) λ Variable [Beschreibung des Wertes der Variablen]
Dieser Ausdruck steht für diejenige Funktion, welche jedem Objekt, für das ‘Variable’ stehen
kann, den Wert der Variablen gemäß der Beschreibung im sogenannten Rumpf des LambdaTerms zuordnet. Die Bildung eines Lambda-Terms aus einer Beschreibung, die eine Variable
enthält, wie z.B. “Mutter von x” oder “x2 + x + 1”, heißt (Lambda) Abstraktion.
Wie schon angedeutet, ist eine nette Eigenschaft der Lambda-Notation die, dass den Funktionen ihre Definition auf der Stirn geschrieben steht. Das macht es möglich, den Wert einer
Funktion angewendet auf ein Argument anzugeben, indem man einfach die Lambda-Variable
durch das Argument ersetzt. Dieser Vorgang heißt (Lambda) Konversion bzw. Reduktion:
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Die Lambda-Notation für Funktionen 14
(69) a. λx[Mutter von x](Isaak)
= Mutter von Isaak
= Sarah
b. λx[x2 + x + 1](3)
= 32 + 3 + 1
=9+3+1
= 13
2.4.3 Lambda-Notation mit Angabe des Definitionsbereichs
Nach dem, was wir bisher gesehen haben, ist die Lambda-Notation weniger flexibel als einige andere Schreibweisen. Das liegt daran, dass sie nicht explizit den Definitionsbereich der
Funktion angibt. Betrachten wir ein Beispiel:
(70) a. f: N → N
x |→ x2 + x + 1
b. g: G → N
x |→ x2 + x + 1
Hier ist (70.a) eine Funktion von den natürlichen Zahlen in die natürlichen Zahlen, wohingegen der Definitionsbereich von (b) stärker eingeschränkt ist, da die Funktion nur für die geraden Zahlen definiert ist. Unsere gegenwärtige Schreibweise unterscheidet nicht zwischen
diesen beiden Funktionen. Aber wir können sie einfach erweitern. Es gibt hierfür keine allgemein eingeführte Schreibweise; wir werden hier die folgenden verwenden:
(71) a. λx∈G
G [x2 + x + 1]
b. λx〈x∈G
G 〉 [x2 + x + 1]
Die erste Schreibweise ist günstiger, wenn wir, wie hier, den Definitionsbereich unmittelbar
durch eine Menge angeben können; die zweite dann, wenn wir die Bedingung beschreiben,
denen die Variable x gehorchen soll. Das allgemeine Format lässt sich also wie folgt veranschaulichen:
(72) a. λ Variable ∈ Definitionsbereich [Wert der Variable]
b. λ Variable 〈Bedingung für die Variable〉 [ Wert der Variable]
Wir werden diese Schreibweise immer dann verwenden, wenn der Definitionsbereich einer
Funktion relevant ist, was häufig der Fall sein wird. Wird eine Funktion auf eine Entität außerhalb ihres Definitionsbereiches angewendet, so ist der Wert an jener Stelle natürlich nicht
definiert. So gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Funktionen aus dem
vorigen Beispiel, wie die folgende Anwendung zeigt:
(73) a. λx∈N
N [x2 + x + 1](3) = 13
b. λx∈G
G [x2 + x + 1](3): nicht definiert.
2.4.4 Funktionen mit Funktionen als Argumente
In den Beispielen, die wir bis jetzt gesehen haben, waren die Argumente, auf die wir eine
Funktion angewendet haben, immer einfach – eine Zahl oder eine Person. Aber Funktionen
können auch komplexe Argumente erwarten, zum Beispiel Mengen oder andere Funktionen.
Das wird oftmals durch unterschiedliche Variablennamen angedeutet, wie z.B. X für Mengen
oder f für Funktionen.
(74.a) ist eine Funktion, die eine Menge als Argument nimmt und sie mit der Menge {1, 2, 3}
schneidet. Durch Anwendung auf die Menge {2, 3, 4} erhalten wir die Menge {2, 3}; Anwendung auf die Menge {4, 5, 6} ergibt die leere Menge, und die Funktion ist nur definiert
für Mengen und nicht definiert für eine Person wie Isaak.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
15 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
(74) a. λX[X ∩ {1, 2, 3}]
b. λX[X ∩ {1, 2, 3}]({2, 3, 4}) = {2, 3}
c. λX[X ∩ {1, 2, 3}]({4, 5, 6}) = ∅
d. λX[X ∩ {1, 2, 3}](Isaak): nicht definiert
Die Funktion ist nicht definiert für die Anwendung auf eine Person, weil die Durschnittsbildung ∩ nur für Mengen definiert ist. Das könnten wir in unserer erweiterten LambdaNotation explizit machen:
(75) λX 〈X ist eine Menge〉 [X ∩ {1, 2, 3}]
Im nächsten Beispiel sehen wir eine Funktion, die eine Funktion als Argument nimmt und als
Wert das Ergebnis liefert, welches wir erhalten, wenn wir die Argumentfunktion auf die Zahl
3 anwenden.
(76) λf[f(3)]
Wir können mit solchen Funktionen höherer Ordnung wie gewohnt arbeiten. Wieder ersetzen
wir die Variable, in unserem Fall f, durch das Argument. Typischerweise können wir die resultierende Beschreibung des Wertes noch weiter vereinfachen, indem wir nämlich die Funktion f auf ihr Argument, hier die Zahl 3, anwenden:
(77) a. λf[f(3)](λx[x2])
= λx[x2](3)
=9
b. λf[f(3)](λx[x2 + x + 1])
= λx[x2 + x + 1](3)
= 13
Ein komplizierteres Beispiel einer Funktion höherer Ordnung mit Anwendung auf ein Argument:
(78) a. λf[f(3) + f(4)]
b. λf[f(3) + f(4)](λx[x2 + x + 1])
= λx[x2 + x + 1](3) + λx[x2 + x + 1](4)
= 13 + 21
= 34
Und noch ein Beispiel, um den Dreh rauszukriegen. In der Ableitung habe ich jeweils den
Teilausdruck unterstrichen, der in der darauffolgenden Zeile manipuliert wird.
(79) a. λf[f(f(3)–9)]
b. λf[f(f(3)–9)](λx[x2 + x + 1])
= λx[x2 + x + 1](λx[x2 + x + 1](3) – 9)
= λx[x2 + x + 1](13 – 9)
= λx[x2 + x + 1](4)
= 21
Solche Funktionen zu berechnen ist nicht wirklich schwierig; allerdings kann man sich leicht
vertun. Das ist eines der Dinge, in denen Computer besser sind als Menschen. In der Tat basierte eine der ersten Programmiersprachen, LISP, auf dem Lambda-Kalkül, und LISP ist
noch immer in Gebrauch, besonders in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz.
Bei Funktionen, die Funktionen als Argumente nehmen, müssen wir besonders auf Fälle achten, in denen die Funktion nicht definiert ist, was sich bisweilen erst recht spät in der Ableitung herausstellt. Betrachten wir das folgende Beispiel:
(80) λf[f(f(4)–8)](λx 〈x∈ G 〉 [x2 + x + 1])
= λx 〈x∈ G 〉 [x2 + x + 1](λx 〈x∈ G 〉 [x2 + x + 1](4) – 8)
= λx 〈x∈ G 〉 [x2 + x + 1](21 – 8)
= λx 〈x∈ G 〉 [x2 + x + 1](13): nicht definiert
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Die Lambda-Notation für Funktionen 16
Im letzten Schritt zeigt sich, dass die Funktion für das Argument, die Zahl 13, nicht definiert
ist, weil 13 keine gerade Zahl ist. Folglich ist die Ausgangsfunktion λf[f(f(4)–8)] für das Argument λx〈x∈G
G 〉 [x2 + x + 1] nicht definiert.
2.4.5 Funktionen mit Funktionen als Werte
Wir haben gesehen, dass wir Funktionen definieren können, die Funktionen als Argumente
nehmen; nun wollen wir Fälle von Funktionen betrachten, die Funktionen als Werte liefern.
Ein Beispiel ist das folgende:
(81) λxλy[x2 + y]
Diese Funktion nimmt einen Wert x und liefert eine Funktion, die ihrerseits einen Wert y
nimmt und den Wert x2 + y ausgibt. Man betrachte das folgende Beispiel, in dem wir zuerst
die Funktion λxλy[x2 + y] auf das Argument 3 anwenden, woraus sich die Funktion λy[9 + y]
ergibt. Dann wenden wir diese Funktion auf das Argument 4 an.
(82) λxλy[x2 + y](3)(4)
= λy[9 + y](4)
=9+4
= 13
2.4.6 Skopus, Variablenbindung, Variablenumbenennung
An dieser Stelle ist es angebracht, etwas zur Benennung von Variablen zu sagen. Prinzipiell
sollte der Name einer Variablen in der Funktionsbeschreibung keinen Einfluss auf die Bedeutung dieser Beschreibung haben. Schließlich sind Variablen nur Platzhalter, und es sollte keine Rolle spielen, wie die Platzhalter heißen. Die beiden folgenden Ausdrücke beschreiben
genau dieselbe Funktion:
(83) a. λx[x2 + x + 1]
b. λy[y2 + y + 1]
Bei Funktionen, die Funktionen als Werte liefern, müssen wir gewöhnlich die Variablen voneinander unterscheiden. Während wir Variablen austauschen können und trotzdem dieselbe
Funktion erhalten, dürfen wir Unterscheidungen, die sich aus unterschiedlichen Variablennamen ergeben, nicht aufgeben.
(84) a. λxλy[x2 + y]
b. = λyλx[y2 + x]
c. ≠ λxλx[x2 + x]
Hat (84.c) überhaupt eine Bedeutung? Ja! Grundlegend dafür, wie die Lambda-Notation interpretiert werden soll, ist der Begriff des Skopus eines mit einer Variablen besetzten Lambda-Operators. Das ist jener Teil der Beschreibung, in welchem die Vorkommen der Variablen
durch das Argument ersetzt werden müssen. Allgemein gilt:
(85) In einem Lambda-Term λ v […] ist “[…]” der Skopus von “λv”.
Skopus ist mit Bezug auf ein konkretes Vorkommen einer Variablen (ein Token) definiert,
nicht allgemein für einen Variablennamen (auch Typ genannt). In dem folgenden Beispiel
sind Variablentoken wo nötig durch Striche identifiziert.
(86) a. λx[x2 + x + 1]
Skopus von λx
b. λx[3x + λx′[x′2 + x′ + 1](x)]
Skopus von λx′
Skopus von λx
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
17 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
Es gilt die Konvention, dass ein Variablen-Token in einer Beschreibung im Skopus des
nächst höheren Lambda-Operators mit derselben Variablen ist. Wir sagen dann, dass der
Lambda-Operator jene Variable bindet. Obwohl Lambda-Ausdrücke wie (84.c) oder (86.b)
korrekt sind, trägt es viel zur Verständlichkeit bei, verschiedene Variablennamen zu benutzen, wie z.B. im Folgenden:
(87) a. λxλy[y2 + y]
b. λx[3x + λy[y2 + y + 1](x)]
Man beachte, dass im Fall von (87.a) die Variable x im Rumpf des Lambda-Terms überhaupt
nicht vorkommt. Das ist kein Problem; es bedeutet vielmehr, dass eine konstante Funktion
vorliegt. Das kann beispielsweise eine Funktion sein, die alles auf die Zahl 13 abbildet:
(88) λx[13]
Da der konkrete Name einer Variablen keine Rolle spielt, solange er verschieden ist von denen anderer Variablen, die von anderen Lambda-Operatoren gebunden werden, können wir
nach Belieben Variablen umbenennen, vorausgesetzt dass wir dies auf konsistente Weise tun.
Umbennung von Variablen ist oft notwendig, um einen Lambda-Term besser lesbar zu machen oder um mit der Berechnung der Werte fortfahren zu können.
2.4.7 Verknüpfung von Funktionen
Wir können Funktionen nicht nur auf Argumente anwenden; wir können Funktionen (und
allgemeiner Relationen) auch miteinander verknüpfen. Als Beispiel ist die Verknüpfung der
Funktionen f: {A, B, C, D} → {1, 2, 3, 4} und g: {1, 2, 3, 4} → {α, β, γ, δ} in dem folgenden Diagramm dargestellt.
(89)
A
C
1
B
3
D
f:
g:
2
4
α
γ
β
δ
g ° f:
Wir schreiben g°f für die Verknüpfung der Funktion f mit der Funktion g. Warum aber in
dieser Reihenfolge, die auf den ersten Blick unserer Intuition zu widersprechen scheint? Weil
dann für jede zwei Funktionen f und g gilt:
(90) Für alle x im Definitionsbereich von f: g(f(x)) = [g°f](x) — oder kürzer: g°f(x).
Wir brauchen eigentlich kein neues Symbol für die Verknüpfung von Funktionen. Wir können sie nämlich mit Hilfe von Lambda-Termen definieren:
(91) Verknüpfung von Funktionen: λg[λf[λx[g(f(x))]]]
Dieser Lambda-Term nimmt als Argumente eine Funktion g und dann eine Funktion f und
liefert die Verknüpfung der beiden Funktionen g°f, die sich als λx[g(f(x))] beschreiben lässt.
Nehmen wir das folgende Beispiel, die Verknüpfung der Nachfolgerfunktion mit der
Verdopplungsfunktion für natürliche Zahlen:
(92) λg[λf[λx[g(g(x)))]]](λy[y + 1])(λz[z + z])
= λf[λx[λy[y + 1](f(x))]](λz[z + z])
= λx[λy[y + 1](λz[z + z](x))]
= λx[λy[y + 1](x + x)]
= λx[x + x + 1]
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Charakteristische Funktionen 18
Frage: Erhalten wir das gleiche Ergebnis für die Verknüpfung der Verdopplungsfunktion mit
der Nachfolgerfunktion?
Verknüpfung von Funktionen mag den Anschein erwecken, von rein mathematischem Interesse zu sein. Ist sie aber nicht. Zum Beispiel lässt sich die Bedeutung von Großvater mütterlicherseits als Verknüpfung der Bedeutungen von Vater und von Mutter definieren:
(93) [[Großvater mütterlicherseits]]
= λf[λg[λx[f(g(x)))]]](λy[der Vater von y])(λz[die Mutter von z])
= λg[λx[λy[der Vater von y](g(x))]](λz[die Mutter von z])
= λx[λy[der Vater von y](λz[die Mutter von z](x))]
= λx[λy[der Vater von y](die Mutter von x)]
= λx[der Vater der Mutter von x]
Einige Sprachen besitzen ein recht transparentes System zum Ausdruck dieser Beziehungen.
Ein Beispiel ist Schwedisch, das morfar, wörtl. ‘Mutter Vater’, für Großvater mütterlicherseits (und entsprechend mormor, farmor und farfar) kennt. Die Bedeutung des komplexen
Terms morfar ist offenbar von den Bedeutungen der einfacheren Terme mor und far mittels
Verknüpfung von Funktionen abgeleitet:
(94) [[morfar]] = λf[λg[λx[f(g(x)))]]]([[far]])([[mor]]), = [[far]] ° [[mor]]
2.5 Charakteristische Funktionen
Wir haben oben den Begriff einer Menge eingeführt. Auf der Grundlage dieses Begriffes
haben wir Relationen eingeführt und Funktionen als eine spezielle Art von Relationen. Jetzt
wollen wir Funktionen verwenden, um eine neue Notation für Mengen zu entwickeln.
2.5.1 Wahrheitswertige Funktionen
Mengen haben wir als Zusammenfassungen von Elementen (eines gegebenen Universums)
definiert. Eine Menge zu kennen bedeutet, in der Lage zu sein, die Elemente jener Menge zu
identifizieren. Das heißt, von jedem Objekt müssen wir wissen, ob es in der Menge enthalten
ist oder nicht. Diese Information kann als eine Funktion gegeben sein, als diejenige Funktion
nämlich, die jedem Objekt in dem Universum genau einen von zwei möglichen Werten zuordnet:
• den Wert wahr (1), falls das Objekt in der Menge enthalten ist;
• den Wert falsch (0), falls das Objekt nicht in der Menge enthalten ist.
Dabei sind wahr und falsch die beiden Wahrheitswerte, über die wir in der Einführung gesprochen haben.
Solche Funktionen heißen charakteristische Funktionen einer Menge, weil sie die jeweilige
Menge “charakterisieren”. Wir schreiben χA (“chi-A”) für die charakteristische Funktion der
Menge A. Sei U ein Universum und A eine Menge mit A ⊆ U, dann haben wir die folgende
Definition für die charakteristische Funktion von A:
(95) χA:
U → {0, 1},
x → 1, wenn x ∈ A,
x → 0, wenn x ∉ A.
Beispiel:
(96) Sei das Universum U die Menge der Kleinbuchstaben {a, b, c, ..., z}. Dann gilt:
χ{b, c} = {〈a, 0〉, 〈b, 1〉, 〈c, 1〉, 〈d, 0〉, 〈e, 0〉, ..., 〈z, 0〉}
Der Begriff einer charakteristischen Funktion erlaubt es uns, eine wichtige Beziehung zwischen der Prädikatsnotation bzw. Abstraktion für Mengen und der Lambda-Notation für
Funktionen zu klären. Man betrachte die folgende Menge:
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
19 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
(97) {x | x ist eine Frau}
Dies ist die Menge aller Frauen. Ihre charakteristische Funktion ist diejenige Funktion, die
jedes x auf 1 abbildet, falls x eine Frau ist, und auf 0, falls x keine Frau ist:
(98) χ{x | x ist eine Frau} U → {0, 1}
x |→ 1 wenn x ∈ {x | x ist eine Frau}, i.e. falls x eine Frau ist
x |→ 0 wenn x ∉ {x | x ist eine Frau}, i.e. falls x keine Frau ist.
2.5.2 Charakteristische Funktionen als Lambda-Terme
Können wir charakteristische Funktionen als Lambda-Terme ausdrücken? Nicht ganz, weil
Lambda-Terme keine disjunktiven Beschreibungen der Art “wenn x so-und-so, dann ist der
Wert der-und-der, aber wenn x solch-und-solch, dann ist der Wert das-und-das” erlauben.
Wir können jedoch die folgende Konvention für Beschreibungen in Lambda-Termen einführen, die intuitiv Sätze sind:
(99) In einem Lambda-Term “λ Variable ∈ Definitionsbereich [Beschreibung des Wertes]”,
in dem die Beschreibung des Wertes ein Satz ist, der entweder wahr oder falsch sein
kann,
steht diese für 1, wenn der Satz für ein gegebenes Argument wahr ist,
und für 0, wenn der Satz für ein gegebenes Argument falsch ist.
Damit sind wir in der Lage, die charakteristische Funktion der Menge {x | x ist eine Frau}
folgendermaßen darzustellen:
(100) λx[x ist eine Frau]
Statt z.B. “Maria ∈ {x | x ist eine Frau}” zu schreiben, können wir die Funktionsnotation
benutzen und schreiben:
λx[x ist eine Frau](Maria)
= 1, wenn Maria eine Frau ist, = 0, wenn Maria keine Frau ist.
Diese Schreibweise können wir auch für mathematische Beispiele einsetzen. Zum Beispiel
können wir die Menge der natürlichen Zahlen größer oder gleich 7 statt in der Mengennotation
{x | x∈N
N und x≥7}
in der Lambda-Notation durch die zugehörige charakteristische Funktion darstellen:
λx[x∈N
N und x≥7]
Die Lambda-Notation ist allerdings ausdrucksstärker. Die gerade definierte Funktion bildet
jedes Objekt ab – auf 1, falls es sich um eine natürliche Zahl größer oder gleich 7 handelt,
und auf 0 sonst. Mit Hilfe der Lambda-Notation können wir die folgende Funktion definieren:
λx∈N
N [x≥7]
Diese Funktion bildet jede natürliche Zahl auf 1 ab, falls sie größer oder gleich 7 ist, und auf
0 sonst. Wenden wir die Funktion auf etwas an, das keine natürliche Zahl ist, so erhalten wir
gar nichts, weil das Argument nicht im Definitionsbereich der Funktion enthalten ist.
In folgender Hinsicht ist daher die Schreibweise mit charakteristischen Funktionen ausdrucksstärker als die Mengennotation:
• In der Mengennotation {x | ...x...} gibt es für jedes bestimmte Objekt e genau zwei Möglichkeiten:
Entweder gilt e ∈ {x | ...x...} (was bedeutet, dass die Beschreibung ...e... wahr ist),
oder e ∉{x | ...x...} (was bedeutet, dass die Beschreibung ...e... nicht wahr ist).
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Funktionen und sprachliche Bedeutungen 20
•
In der Funktionsnotation λx∈D[...x...] gibt es für jedes bestimmte Objekt e genau drei
Möglichkeiten:
Entweder ist e im Definitionsbereich D und die Beschreibung ...e... ist wahr,
oder e ist im Definitionsbereich D und die Beschreibung ...e... ist falsch, oder e ist nicht
einmal im Definitionsbereich der Funktion.
2.5.3 Mengentheoretische Operationen für charakteristische Funktionen
Da charakteristische Funktionen mit Mengen eng verwandt sind, können wir die mengentheoretischen Beziehungen Teilmenge ⊆ und echte Teilmenge ⊂ sowie die Operationen Durchschnitt ∩, Vereinigung ∪ und Differenz \ auf charakteristische Funktionen ausweiten. Aber
wir müssen vorsichtig sein; wir haben gesehen, dass charakteristische Funktionen ausdrucksstärker als Mengen sind, insofern als man zwischen den beiden Fällen, dass nämlich die
Funktion für ein gegebenes Objekt den Wert 0 liefert oder aber für dieses Objekt gar nicht
definiert ist, unterscheiden kann. Wir werden die mengentheoretischen Begriffe in folgendem
Sinne gebrauchen:
(101) Seien c, d zwei charakteristische Funktionen, dann gilt:
a. c ⊆ d ist definiert, wenn DOM(c) ⊆ DOM(d).
Wenn definiert, ist es wahr, falls {x | c(x)} ⊆ {x | d(x)}, sonst falsch.
b. c ⊂ d ist definiert, wenn DOM(c) ⊆ DOM(d).
Wenn definiert, ist es wahr, falls {x | c(x)} ⊂ {x | d(x)}, sonst falsch.
c. c ∩ d = λx〈x∈DOM(c)∩DOM(d)〉 [x ∈ {x| c(x)} ∩ {x | d(x)}]
d. c ∪ d = λx〈x∈DOM(c)∩DOM(d)〉 [x ∈ {x| c(x)} ∪ {x | d(x)}]
e. c \ d = λx〈x∈DOM(c)∩DOM(d)〉 [x ∈ {x| c(x)} \ {x | d(x)}]
f. c′
= λx〈x∈DOM(c)〉 [x ∉ {x | c(x)}]
Zum Beispiel ist die Vereinigung zweier charakteristischer Funktionen c und d eine Funktion,
welche für alle x definiert ist, die sowohl im Definitionsbereich von c als auch im Definitionsbereich von d enthalten sind. Sie bildet x auf den Wert wahr ab, falls x in der Vereinigung
der Objekte, die c auf wahr abbildet, mit denjenigen, die d auf wahr abbildet, enthalten ist,
sonst ordnet sie x den Wert falsch zu.
2.6 Funktionen und sprachliche Bedeutungen
Es sollte bereits klargeworden sein, dass der Begriff der Funktion ganz zentral ist, um
sprachliche Bedeutungen zu beschreiben – eine Erkenntnis, die auf Frege zurückgeht. Wir
wollen uns hier einige Aspekte näher betrachten.
2.6.1 Darstellung von Relationen als Funktionen: Die Schönfinkelisierung
Wir haben in 2.3.1 gesehen, dass wir die Bedeutung transitiver Verben wie liebt als Relationen darstellen können. Diese Relation ist sicher keine Funktion, da sie nicht rechtseindeutig
ist: Eine Person kann mehr als nur eine Person lieben. Auch viele Nomina haben relationale,
und nicht funktionale Bedeutung, so etwa Tochter im Gegensatz zu Mutter. Es sieht daher so
aus, als ob wir grundsätzlich von relationalen, und nicht funktionalen Bedeutungen ausgehen
sollten.
Allerdings gibt es Verfahren, mit denen wir Relationen als Funktionen darstellen können.
Wir haben gesehen, dass charakteristische Funktionen es uns erlauben, Mengen als Funktionen darzustellen. Relationen sind auch Mengen, nämlich Mengen von Paaren, und folglich
können wir sie ebenfalls als Funktionen darstellen. Man betrachte z.B. die folgende Relation,
die Bedeutung von Vorfahr:
(102) a. [[Vorfahr]] als Relation: {〈x, y〉 | y ist ein Vorfahr von x}.
b. [[Vorfahr]] als Funktion: λ〈x,y〉∈{〈x,y〉| x∈Person, y∈Person}
[y ist ein Vorfahr von x]
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
21 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
Zum Beispiel ist λ〈x,y〉[y ist ein Vorfahr von x](〈Isaak, Abraham〉) = 1. Die erste Darstellung
erlaubt Aussagen der Art:
〈Isaak, Abraham〉 ∈ {〈x, y〉 | y ist ein Vorfahr von x},
da Abraham ein Vorfahr von Isaak ist.
Bei der zweiten Darstellung müssen wir Paare von Variablen zulassen, dann können wir
funktionale Applikation auch für Argumente benutzen, die ihrerseits Paare sind. Damit ist
funktionale Applikation wie im Folgenden möglich:
λ〈x,y〉[y ist ein Vorfahr von x](〈Isaak, Abraham〉) = 1,
da Abraham ein Vorfahr von Isaak ist.
Aber es gibt noch einen anderen Weg, die Funktionsnotation zu nutzen. Statt die Bedeutung
von Vorfahr als Funktion über Paare aufzufassen, können wir sie als Funktion ansehen, die
erst das eine Argument (den Nachfahren z.B.) und dann das andere nimmt. Diese Reduktion
auf einstellige Funktionen geht auf die Logiker Schönfinkel und Curry zurück und wird
Schönfinkelisierung genannt.
(103) [[Vorfahr]], auf einstellige Funktionen reduziert:
λx∈Person[λy∈Person[y ist ein Vorfahr von x]]
Damit sind Aussagen wie die folgende möglich:
λx∈Person[λy∈Person[y ist ein Vorfahr of x]](Isaak)(Abraham)
= λy∈Person[y ist ein Vorfahr von Isaak](Abraham)
= 1, da Abraham ein Vorfahr von Isaak ist.
Dieselbe Technik lässt sich natürlich auch auf dreistellige Relationen anwenden:
(104) a. [[geben]] als Relation:
{〈x, y, z〉 | x gibt y an z}
b. [[geben]] als Funktion:
λ〈x,y,z〉[x gibt y an z]
c. [[geben]] als reduzierte Funktion: λz[λy[λx[x gibt y an z]]]
Es gibt natürlich verschiedene Arten, eine Funktion zu reduzieren. Zum Beispiel ist anstelle
von (103) auch die folgende Reduktion möglich, welche sich nur in der Reihenfolge, in der
die Funktion die Argumente erwartet, unterscheidet:
(105) [[Vorfahr]] auf andere Art reduziert:
λy∈Person[λx∈Person[y ist ein Vorfahr von x]]
Für die semantische Analyse bietet der Gebrauch einstelliger Funktionen einen wichtigen
Vorteil. Natürlichsprachliche Ausdrücke, die zwei oder mehr Argumente besitzen, behandeln
diese oft unterschiedlich, wobei ein Argument dem Ausdruck “näher” zu sein scheint als das
andere. Zum Beispiel zeigt die syntaktische Konstruktion des Nomens Vater, dass das KindArgument näher als das Vater-Argument ist. Das Kind-Argument bildet mit dem Nomen eine
syntaktische Konstituente, eine sogenannte Nominalphrase (NP).
(106) a. Abraham ist [NP Isaaks Vater].
b. Abraham ist [NP der Vater von Isaak].
Entsprechend ist das Objekt-Argument von lieben näher als das Subjekt-Argument – das Objekt bildet eine syntaktische Konstituente mit dem Verb, die sogenannte Verbalphrase (VP).
(107) Abraham [VP liebte Sarah].
Bei dem dreiargumentigen Verb geben werden die Dinge ein bisschen kompliziert. Es ist
klar, dass das Subjekt-Argument am weitesten entfernt steht. Aber die beiden Formen im
folgenden Beispiel legen die Vermutung nahe, dass geben in zwei verschiedenen Rahmen
auftritt, die sich nur darin unterscheiden, ob das Objekt dem Verb am nächsten steht oder der
Rezipient.
(108) a. Eva [VP gab einen Apfel Adam].
b. Eva [VP gab Adam einen Apfel].
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Funktionen und sprachliche Bedeutungen 22
Allgemein finden wir syntaktische Evidenz, die für binär-verzweigende Strukturen gegenüber
tertiär-verzweigenden Strukturen spricht:
(109)
Abraham liebte Sarah
Abraham liebte Sarah
Und das wiederum spricht für den Gebrauch von Funktionen, die ein einfaches Argument
nehmen, gegenüber der Verwendung von mehr-als-einstelligen Relationen, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden.
2.6.2 Charakteristische Funktionen und Satzbedeutungen
Wir haben in 2.2.2 gesehen, dass die Bedeutung eines Satzes als eine Menge von möglichen
Welten darstellbar sind – diejenigen möglichen Welten, in denen der Satz wahr ist. Wir haben ebenfalls gesehen, dass Mengen als Funktionen gedeutet werden können – als charakterische Funktionen, die den Elementen des Grundbereichs die Wahrheitswerte 0 oder 1 zuweisen. Wir können nun sehr leicht charakteristische Funktionen verwenden, um Satzbedeutungen (Propositionen) wiederzugeben:
(110) Die Bedeutung eines Satzes Φ,
ist die Funktion [[Φ]] von der Menge aller möglichen Welten W
in die Menge der Wahrheitswerte {0, 1},
sodass für jedes w∈W gilt: [[Φ]](w) = 1 gdw. Φ wahr in w ist, sonst 0.
Mit der Lambda-Notation können wir dies wie folgt darstellen:
(111) [[Φ]] = λw∈W[Φ ist wahr in w]
Wenn Φ in w wahr ist, dann wird durch diese Funktion der Welt w der Wert 1 zugewiesen;
wenn Φ in w nicht wahr ist, dann wird der Welt w der Wert 0 zugewiesen. – Ein Beispiel:
(112) [[es regnet]]
= λw∈W[es regnet ist in w wahr],
= λw∈W[es regnet in w]
Wir können solche Propositionen, wie andere charakterische Funktionen auch, mit den mengentheoretischen Operationen ∪, ∩ und der Komplementbildung verknüpfen, wie in
(101) definiert. Einige Beispiele:
(113) [[es donnert und blitzt]]
= [[es donnert]] ∩ [[es blitzt]]
= λw[es donnert in w] ∩ λw[es blitzt in w]
= λw[es donnert in w und es blitzt in w]
(114) [[es ist nicht der Fall, dass es donnert]]
= λw[es donnert in w]′
= λw[es donnert nicht in w]
2.6.3 Zum Aufbau von Sätzen
Wir wollen hier vorwegnehmen, wie wir uns den kompositionalen Aufbau von sehr einfachen
Sätzen wie Lola rennt vorstellen können.
Wir haben die Bedeutung von intransitiven Verben wie rennt oben dargestellt als Funktionen
von Entitäten in Wahrheitswerte. Das liefert nun aber keine charakteristische Funktion einer
Menge von möglichen Welten, wenn wir solche Verbbedeutungen auf die Bedeutung von
Namen anwenden. Wir sollten daher mit Bedeutungen der folgenden Art für intransitive Verben rechnen:
(115) [[rennt]] = λx∈Uλw∈W[x rennt in w]
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
23 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
Dies ist eine Funktion von der Grundmenge U aller Entitäten zu Funktionen von der Menge
der möglichen Welten w in die Wahrheitswerte {0, 1}. Wir können uns dann den Aufbau
eines Satzes wie folgt vorstellen:
(116) [[Lola rennt]]
= [[rennt]] ([[Lola]])
= λxλw[x rennt in w](Lola)
= λw[Lola rennt in w]
Dies ist eine Funktion, die jede mögliche Welt w auf den Wahrheitswert 1 abbildet, wenn
Lola in w schläft, und sonst auf den Wahrheitswert 0.
2.7 Aussagen- und Prädikatenlogik
2.7.1 Warum Logik?
Der Grundbegriff der Logik ist die logische Folgerungsbeziehung: Was heißt es, dass aus
bestimmten Annahmen eine andere Annahme folgt. Bereits der Begründer der Logik, Aristoteles, hat sie so verstanden. Das Ziel war, komplexe Beweisführungen auf einfache Schritte
zu reduzieren, die als solche unmittelbar einsichtig waren, sogenannte Syllogismen. Ein
Beispiel eines solchen Syllogismus: Aus den Annahmen Alle Menschen sind sterblich und
Alle Athener sind Menschen folgt: Alle Athener sind sterblich. Damit ist die Logik aber unmittelbar für die Semantik relevant, da logische Folgerungen kraft der Bedeutung der Ausdrücke in den Annahmen gelten.
In der Wissenschaftsgeschichte hat sich die Logik allerdings von der natürlichen Sprache
gelöst. Philosophen und Logiker seit Leibniz haben in den Ambiguitäten und Vagheiten der
natürlichen Sprache ein großes Hindernis für die logische Forschung gesehen und haben
daher auf die Entwicklung von formalen Kunstsprachen gedrängt, deren syntaktische und
auch semantische Eigenschaften genau definiert und bekannt waren. Ein wichtiger Meilenstein dieser Bewegung ist die “Begriffsschrift”, die Frege 1879 publizierte. Heute gibt es eine
schier unüberschaubare Vielfalt von solchen logischen Kunstsprachen, mit unterschiedlichen
Eigenschaften und Folgerungsbeziehungen.
An dieser Stelle kann man selbstverständlich keine Einführung in die Logik erwarten – hierfür gibt es ausgezeichnete Lehrbücher. Es sollen lediglich einige logische Schreibweisen und
ihre Interpretationen vorgestellt werden, die sich für die Metasprache, in der wir Bedeutungen
beschreiben, als praktisch herausgestellt haben.
2.7.2 Aussagenlogik: Syntax
Die Aussagenlogik ist der Teil der Logik, der lediglich Aussagesätze und deren Kombinationen betrachtet, sich also für Phänomene unterhalb der Satzebene nicht interessiert.
Die Syntax der Aussagenlogik kann man mit ein paar Regeln behandeln. Es gibt eine Menge
von einfachen oder atomaren Sätzen und einige wenige Regeln, wie aus Sätzen neue Sätze
gebildet werden. Auf diese Weise wird die Menge der wohlgeformten Sätze festgelegt.
(117) Menge der atomare Sätze: {p, q, r, ...}
(eine endliche oder auch unendliche Menge)
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Aussagen- und Prädikatenlogik 24
(118) Menge der wohlgeformten Sätze:
a. Jeder atomare Satz ist ein wohlgeformter Satz.
b. Wenn Φ, Ψ wohlgeformter Sätze sind, dann sind auch die folgenden Ausdrücke
wohlgeformte Sätze:
¬Φ (die Negation von Φ, gesprochen non Φ)
[Φ ∧ Ψ], (Konjunktion, gesprochen Φ und Ψ; auch & geschrieben)
[Φ ∨ Ψ], (Disjunktion, Φ oder Ψ)
[Φ → Ψ], (Konditional, materiale Implikation, wenn Φ dann Φ, auch ⊃ )
[Φ ↔ Ψ]. (Bikonditional, Äquivalenz, Φ genau dann wenn Ψ; auch ≡)
Einige Beispiele und Nicht-Beispiele von wohlgeformten Sätzen:
(119) wohlgeformt
p
[p ∧ q]
[¬[p ∧ q] ∨ r]
[[[p ∧ q] → ¬q] ∨ ¬¬p]
nicht wohlgeformt
p∧
[p ∧ → q]
→q
[[[p ∧ q] → ¬q] ∨ ¬¬p]]
Es sollte deutlich sein, dass die Definition der wohlgeformten Sätze eine unendliche Menge
erzeugt, selbst wenn die Menge der atomaren Sätze endlich ist. Dies ist der Fall, weil die syntaktischen Regeln rekursiv sind: Der “Output” einer Regel kann wiederum als “Input” der
Regel dienen. Aus der Regel für die Negation folgt zum Beispiel, dass es sich bei den folgenden Ausdrücken um wohlgeformte Sätze handelt:
(120) p, ¬p, ¬¬p, ¬¬¬p, ¬¬¬¬p, ¬¬¬¬¬p, …
Die Klammerung dient dazu, Ambiguitäten zu vermeiden. Zum Beispiel erzeugen die Regeln
sowohl den Ausdruck ¬[p ∧ q] als auch den Ausdruck [¬p ∧ q], die durchaus verschiedenes
bedeuten sollen. Lässt man die Klammern weg, so erhielte man den Ausdruck ¬ p ∧ q, der
ambig ist, und gerade das will ja die logische Notation vermeiden. Es gibt allerdings Konventionen, die es erlauben, Klammern zur Vereinfachung der Schreibweise wegzulassen.
2.7.3 Aussagenlogik: Semantik
Die übliche Semantik der Aussagenlogik ist sehr einfach: Sätze sind entweder wahr oder
falsch. Die Logik selbst kann dabei nichts über die Bedeutung der atomaren Sätze sagen,
wohl aber übe die Bedeutung von komplexen Sätzen, die sich systematisch auf kompositionale Weise aus den Bedeutungen ihrer Teile ergibt. Es gelten dabei folgende Regeln:
(121) a.
b.
c.
d.
e.
¬Φ ist wahr wenn Φ falsch ist, sonst wahr.
[Φ ∧ Ψ] ist wahr wenn sowohl Φ als auch Ψ wahr ist, sonst falsch.
[Φ ∨ Ψ] ist falsch wenn sowohl Φ als auch Ψ falsch ist, sonst wahr.
[Φ → Ψ] ist falsch gdw. Φ wahr und Ψ falsch ist, sonst wahr.
[Φ ↔ Ψ] ist wahr gdw. Φ und Ψ den gleichen Wahrheitswert haben, sonst falsch.
Man kann diese Bedeutungsregeln für komplexe Aussagen in sog. Wahrheitstafeln darstellen,
wobei wir wie üblich die Wahrheitswerte 0 und 1 für falsch und wahr annehmen. Wir betrachten hierzu alle möglichen Kombinationen von Wahrheitswerten für zwei Sätze Φ, Ψ und
geben für jede Kombination den Wahrheitswert für die komplexen Sätze [Φ ∧ Ψ], [Φ ∨ Ψ],
[Φ → Ψ] und [Φ ↔ Ψ] an. Die Bedeutung von ¬Φ hängt dabei natürlich nur von der Bedeutung von Φ ab.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
25 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
(122) Wahrheitswert-Tabelle
Φ
0
1
0
1
Ψ
0
0
1
1
¬Φ
1
0
[Φ ∧ Ψ]
0
0
0
1
[Φ ∨ Ψ]
0
1
1
1
[Φ → Ψ]
1
1
0
1
[Φ ↔ Ψ]
1
0
0
1
Damit kann man den Wahrheitswert eines komplexen Satzes errechnen, wenn die Wahrheitswerte der atomaren Sätze bekannt ist. Ein Beispiel:
(123) [[p ∨ q] → [r ∧ p]]
0
1
1
1
0
[Wahrheitswerte der atomaren Sätze: p: 0, q: 1, r: 1]
0
0
[Abgeleiteter Wahrheitswert des komplexen Satzes]
2.7.4 Die Aussagenlogik als Boolesche Algebra
Nicht zufällig erinnern die aussagenlogischen Symbole ∧ und ∨ and die mengentheoretischen
Operationen ∩ und ∪: Die aussagenlogischen Verknüpfungen bilden nämlich eine mathematische Struktur, in der dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten wie bei den mengentheoretischen
Verknüpfungen, also eine Boolesche Algebra.
Die Rolle des Universums wird dabei von der Tautologie T übernommen, die immer den
Wahrheitswert 1 hat; die Rolle der leeren Menge von der Kontradiktion ⊥, die immer den
Wahrheitswert 0 hat. Dann gelten die folgenden Gesetze:
(124) a. Idempotenz:
[Φ ∧ Φ] ⇔ Φ,
[Φ ∨ Φ] ⇔ Φ
b. Kommutativität: [Φ ∧ Ψ] ⇔ [Ψ ∧ Φ],
[Φ ∨ Ψ] ⇔ [Ψ ∨ Φ]
c. Assoziativität:
[Φ ∧ [Ψ ∧ Ξ]] ⇔ [[Φ ∧ Ψ] ∧ Ξ]
[Φ ∨ [Ψ ∨ Ξ]] ⇔ [[Φ ∨ Ψ] ∨ Ξ]
d. Distributivität:
[Φ ∧ [Ψ ∨ Ξ]] ⇔ [[Φ ∧ Ψ] ∨ [Φ ∧ Ξ]]
[Φ ∨ [Ψ ∧ Ξ]] ⇔ [[Φ ∨ Ψ] ∧ [Φ ∨ Ξ]]
e. de Morgan:
¬[Φ ∧ Ψ] ⇔ [¬Φ ∨ ¬Ψ]
¬[Φ ∨ Ψ] ⇔ [¬Φ ∧ ¬Ψ]
f. Negationsregeln: [Φ ∨ ¬Φ] ⇔ T
¬[Φ ∧ ¬Φ] ⇔ ⊥
¬T ⇔ ⊥
2.7.5 Prädikatenlogik
Eine etwas ausdrucksreichere logische Sprache bietet die Prädikatenlogik. In dieser Logik
gibt es neben atomaren Sätzen auch Ausdrücke, welche Individuen bezeichnen, und solche,
welche Eigenschaften und Relationen zwischen Individuen ausdrücken.
Die Prädikatenlogik enthält die folgenden atomaren Ausdrücke:
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Aussagen- und Prädikatenlogik 26
(125) a.
b.
b.
c.
Menge der Namen: {a, b, c, …}, eine endiche oder unendliche Menge.
Menge der Sätze: {p, q, r, …}, eine endliche oder unendliche Menge.
Menge der Prädikate: {P, Q, R, …}, eine endliche oder unendliche Menge.
Menge der zweistelligen Relationen {P2, Q2, R2, …},
allgemein: für n ≥ 2: Menge der n-stelligen Relationen {Pn, Qn, Rn, …}
Hierbei können Prädikate als einstellige Relationen und Sätze als nullstellige Relationen verstanden werden.
Zusätzlich zu den syntaktischen Regeln der Aussagenlogik gibt es noch die folgende Regel
zum Aufbau von Sätzen:
(126) a. Wenn α ein einstelliges Prädikat und ν ein Name ist, dann ist α(ν) eine Aussage.
b. Allgemein: Wenn α ein n-stelliges Prädikat und ν1, ν2, … νn n Namen sind,
dann ist α(ν1, ν2, … νn) eine Aussage.
Die zugrundeliegende Semantik – die hier nicht weiter entwickelt wird – sagt, dass ein Ausdruck der Art α(ν) besagt: Der Träger des Namens ν hat die Eigenschaft α. Wenn beispielsweise P intuitiv als ‘rot’ und a als Name für einen bestimmten Apfel verstanden wird, dann
steht P(a) für die Aussage ‘a ist rot’; diese kann wahr oder falsch sein. Wenn R intuitiv für
die Relation ‘kennt’ und b und c für die Personen Bill und Carl stehen, dann steht R(b, c) für
die Aussage ‘Bill kennt Carl’.
2.7.6 Variablen und Quantoren
Eine wesentliche Bereicherung ihrer Ausdruckskraft bekommt die Prädikatenlogik durch die
Verwendung von Variablen und Quantoren. Variablen stehen wie Namen für Individuen,
aber nicht für ein bestimmtes Individuum. Namen und Variablen zusammen werden Terme
genannt. Zusammen mit Quantoren können Variablen allgemeine Sätze ausdrücken. Die
Prädikatenlogik verwendet vor allem zwei Quantoren: Den Existenzquantor ∃ und den
Allquantor ∀. Die folgenden Bestimmungen legen fest, wie Variablen und Quantoren verwendet werden.
(127) a. Menge von Variablen {x, y, z, …}
b. Menge von Termen: Menge von Namen ∪ Menge von Variablen
c. Wenn τ1, τ2, … τn Terme sind und Pn eine P-stellige Relation,
dann ist P(τ1, τ2, … τn) eine Aussage.
d. Wenn χ eine Variable und Φ eine Aussage ist,
dann sind ∃χ Φ und ∀χ Φ ebenfalls Aussagen.
Einige Beispiele für Aussagen, in denen Quantoren vorkommen, und ihre intendierte Interpretationen:
(128) a.
b.
c.
d.
∃x P(x)
∀x P(x)
∃x [P(x) ∧ Q(x)]
∀x [P(x) → Q(x)]
e. ∀x [P(x) → ∃y [R(x, y)]]
‘Es gibt ein Individuum x mit Eigenschaft P’
‘Alle Individuen x haben die Eigenschaft P’
‘Es gibt ein x, sodass P(x) und Q(x) gilt’
‘Für jedes x gilt: Wenn P(x) gilt, dann gilt Q(x)’
≈ ‘Jedes x, das ein P ist, ist auch ein Q’
‘Für jedes x gilt: Wenn P(x), dann gibt es ein y,
sodass R(x, y) gilt’
Mithilfe der Prädikatenlogik kann man bereits komplexe Gedanken auf klare Weise formulieren. Beispielsweise kann man den Unterschied zwischen den Interpretationen des folgenden ambigen Satzes ausdrücken:
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
27 Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
(129) Jeder Filmfan bewundert eine Schauspielerin.
a. ∀x[Filmfan(x) → ∃y[Schauspielerin(y) ∧ bewundert(x, y)]]
‘Für jeden Filmfan gibt es eine Schauspielerin, die er bewundert.’
b. ∃y[Schauspielerin(y) ∧ ∀x[Filmfan(x) → bewundert(x,y)]]
‘Es gibt eine Schauspielerin, die jeder Filmfan bewundert.’
Auf der anderen Seite gibt es Hinweise dafür, dass die natürliche Sprache von höherer Komplexität ist als die Prädikatenlogik (jedenfalls die sogenannte Prädikatenlogik erster Stufe, die
hier dargestellt wurde). Beispielsweise kann man schon die Bedeutung eines Satzes wie Die
meisten Filmfans bewundern Franka Polente nicht darstellen.
Ferner ist auffällig, dass prädikatenlogische Aussagen offensichtlich syntaktisch anders aufgebaut sind als solche von natürlichen Sprachen. Vergleichen wir die syntaktische Struktur
der folgenden Sätze:
(130) a.
Jeder
Filmfan
bewundert Franka Polente
b.
∀x [Filmfan(x) → bewundert(x, F.P.)]
‘Für jedes x: Wenn x ein Filmfan ist, dann bewundert x Franka Polente.’
In der natürlichsprachigen Ausdrucksweise (a) bildet jeder Filmfan eine syntaktische Konstitutente; in der prädikatenlogischen Darstellung (b) ist diese auseinandergerissen in einen
Quantorteil ∀x und dem ersten Teilsatz eines komplexen Satzes, Filmfan(x). Wir werden in
dem Kapitel zu Quantoren sehen, dass es möglich ist, eine logische Repräsentationssprache
zu entwickeln, welche der syntaktischen Struktur des Deutschen besser entspricht.
Im folgenden werden wir die Mittel der Prädikatenlogik in der Metasprache verwenden, um
die Bedeutung von Sätzen der Objektsprache – also des Deutschen – zu beschreiben.
2.8 Zusammenfassung
In diesem Kapitel haben wir einige Begriffe und Hilfsmittel kennen gelernt, die wichtig für
die Untersuchung natürlichsprachlicher Ausdrücke sein werden, darunter vor allem Mengen,
Relationen und Funktionen. Wir haben gesehen, dass sich Funktionen in einer besonders
durchsichtigen Weise in der Lambda-Notation darstellen lassen. Wir haben auch herausgefunden, dass Mengen sich als wahrheitswertige Funktionen rekonstruieren lassen, und dass
Relationen als Funktionen angegeben werden können. Das erlaubt es uns, Bedeutungen in
einer Art zu strukturieren, die mit der Syntax menschlicher Sprachen besser in Einklang steht
als die Auffassung von Relationen als Mengen geordneter Tupel. Wir haben schließlich einiges über die Sprache und Interpretation der formalen Logik – genauer, der Aussagenlogik
und der Prädikatenlogik – kennengelernt.
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Zusammenfassung 28
Aufgaben Kapitel 2: Grundlagen: Mengen, Funktionen, elementare Logik
1. Es sei A = {1, 2, 3, 4}, B = {3, 4, 5, 6}, C = {2, 4, 8}, U (Universum) = {x| 0 ≤ x ≤ 10}
Geben Sie die folgenden Mengen in der Aufzählungsnotation an:
a. A ∩ B
c. A \ B e. (A ∪ B)′
g. (A′ ∪ B′)′
i. (C ∩ A) ∪ (C ∩ B)
b. A ∪ B
d. A′
f. A′ ∪ B′
h. C ∩ (A ∪ B) j. C ∪ (A ∩ B)
2. Definieren Sie “∩”, mithilfe der Operationen ∪ und ′.
D.h., geben Sie eine Gleichung A ∩ B = ..., wobei “...” das “∩”-Zeichen nicht enthält.
3. Die mengentheoretischen Regeln für ∪ und ∩ sind den Regeln der Addition + und Multiplikation • ähnlich. Beispielsweise ist + kommutativ: a+b = b+a.
Vergleichen Sie die mengentheoretischen Gesetze (Kommutativität, Assoziativität, Distributivität, Idempotenz) mit den entsprechenden arithmetischen und stellen Sie
Ähnlichkeiten und Unterschiede fest.
4. Zeigen Sie mithilfe von Venn-Diagrammen, dass die folgenden beiden Sätze äquivalent
sind:
a. Es ist nicht der Fall, dass Lola rennt und Manne flennt
b. Es ist nicht der Fall, dass Lola rennt, oder es ist nicht der Fall, dass Manne flennt.
5. Wie viele mögliche Relationen gibt es von einer Menge A in eine Menge B (abhängig
von der Mächtigkeit von A und der Mächtigkeit von B).
Hinweis: Jede Relation von A nach B ist eine Teilmenge des kartesischen Produkts A ×
B, jede Teilmenge von A × B ist eine Relation von A nach B. Die Frage ist: Wie viele
Teilmengen gibt es in A × B, wenn #(A) = n und #(B) = m gilt.
6. Betrachten Sie die folgenden Mengen von Paaren.
R1 = {〈1, a〉, 〈2, b〉, 〈3, c〉, 〈4, d〉}
R2 = {〈1, a〉, 〈2, b〉, 〈3, c〉, 〈3, d〉, 〈4,d〉}
R3 = {〈1, a〉, 〈2, b〉, 〈3, c〉, 〈4, c〉}
R4 = {〈1, a〉, 〈2, b〉, 〈3, c〉}
a) Welche dieser Relationen sind Funktionen?
b) Welche dieser Relationen sind eineindeutige Funktionen?
c) Welche dieser Relationen sind Funktionen auf die Menge {a, b, c, d}?
d) Welche dieser Relationen sind Funktionen in die Menge {a, b, c, d}?
e) Welche dieser Relationen sind partielle Funktionen von der Menge {1, 2, 3, 4}?
7. Reduzieren Sie die folgenden Lambda-Terme so weit wie möglich. Geben Sie dabei jeden
einzelnen Ableitungsschritt an.
a) λx[x • x](3)
b) λx[x • x](λy[2 • y](3))
c) λxλy[(2 • x) + y](3)(4)
d) λf[f(3)](λy[5+y])
e) λf[f(3) + f(4)](λy[5+y])
f) λf[f(3)(4)](λxλy[(2 • x) + y])
g) λf[f(f(f(1)](λx[x+1])
h) λfλg[f(g(f(3)))](λy[5 + y])(λx[2 • x])
i) λfλgλx[g(5)(f(2)(x))](λxλy[x+y])(λxλy[x-y])(8)
8. Geben Sie die charakteristischen Funktionen für die folgenden Mengen an,mit der Menge
{a, b, c, d} als Universum. Sie können die Darstellung als Menge von Paaren oder die
Pfeilnotation verwenden.
a) ∅
b) {a, c}
c) {a, b, c, d}
© Manfred Krifka, Institut für deutsche Sprache und Linguistik, HU Berlin
Herunterladen