Mengen, Funktionen und die Kontinuumshypothese Marina Weigand (27. Juni 2015) Niemand wird uns aus dem Paradies (der Mengenlehre) vertreiben, das Cantor für ” uns erschaffen hat. “(David Hilbert) 1 Mengen Definition 1.1 (Mengenbegriff nach Georg Cantor 1895). Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die Elemente von M genannt werden) zu einem Ganzen. Bemerkung 1.2. Das ist keine mathematische Definition im heute üblichen Sinne, beschreibt jedoch recht genau unsere Vorstellung von einer Menge. Achtung: Nicht jede Zusammenfassung lässt sich als Ganzes oder Einheit denken. Ein weiterer fundamentaler Begriff von Cantor ist die Mächtigkeit einer Menge M, bezeichnet mit |M |. Bei endlichen Mengen kann man einfach die Anzahl der Elemente zählen. Zwei Mengen M und N haben die gleiche Größe, wenn sie dieselbe Anzahl an Elementen enthalten: |M | = |N |. Wie kann dieser Begriff auf unendliche Mengen übertragen werden. Definition 1.3. Zwei beliebige Mengen M und N haben dieselbe Mächtigkeit genau dann, wenn es eine bijektive Abbildung f : M → N von M auf N gibt. Die mit jeder Äquivalenzklasse bezüglich dieser Relation assoziierte Zahl nennt man auch Kardinalzahl. Definition 1.4. Eine Menge M ist abzählbar, wenn sie bijektiv auf die Menge N abgebildet werden kann. Mit anderen Worten: Eine Menge ist abzählbar, falls wir die Elemente von M in der Form m1 , m2 , m3 , ... durchnummerieren können. Satz 1.5 (Abzählbarkeit von Vereinigungen abzählbarer Mengen). Jede Vereinigung von abzählbar vielen abzählbaren Mengen Mn ist wieder abzählbar. Beweis. Setze Mn = {an1 , an2 , an3 , ...} Dann kann die Vereinigung aufgezählt werden: S∞ M = {a11 , a21 , a12 , a13 , a22 , a31 , a41 , a32 , a23 , a14 , ...} n n=1 Seminar Beweise aus dem Buch“, SS 2015, TU München ” 1 2 Abzählbarkeit von Q und R Satz 2.1. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar. Beweis. Cantors Aufzählung der positiven Brüche, Calkin-Wilf-Aufzählung der positiven Brüche (siehe Abbildung 1). (a) (b) Abbildung 1: a) Cantors Aufzählung der positiven Brüche, b) Calkin-Wilf-Aufzählung der positiven Brüche Satz 2.2. Die Menge R der reellen Zahlen ist nicht abzählbar. Beweis. Wenn man eine Teilmenge findet, die nicht abzählbar ist, so ist auch ganz R nicht abzählbar. Wir betrachten hierzu das Intervall (0, 1). Schreibe jedes x ∈ (0, 1) als unendliche Dezimaldarstellung, z.B. 0, 7 = 0, 6999.... Könnte man die Elemente des Intervalls abzählen, dann könnte man eine neue Zahl bilden, indem man die ite Dezimalstelle ungleich der i-ten Dezimalstelle von der i-ten Zahl wählt. Dann ist dies jedoch eine neue Zahl, die nicht in der Aufzählung enthalten ist, jedoch aber im Intervall. Damit ist die Aufzählung nicht vollständig und es existiert somit keine. Satz 2.3. Die Menge R2 aller geordneten Paare von reellen Zahlen (die reelle Ebene) hat dieselbe Größe wie R. Beweis. Die Menge aller Paare (x, y) ∈ (0, 1] × (0, 1] kann bijektiv auf das Intervall (0, 1] abgebildet werden. Hierzu betrachten wir das Paar (x, y) in seiner jeweiligen eindeutigen unendlichen Dezimaldarstellung, z.B. Man beachte die Anordnung in Gruppen jeweils bis zur nächste Ziffer ungleich Null. Nun kann eine neue Zahl z durch Aneinanderreihung der Gruppen gebildet werden: 2 Weder x noch y enthalten ab einem gewissen Punkt nur noch Nullen. Somit wurde eine unendliche Dezimaldarstellung von z gefunden. Aus dieser kann auch unmittelbar das Urbild (x, y) abgelesen werden. Bemerkung 2.4. Diese Feststellung widerspricht unserem intuitiven Verständnis von der Dimension. In [1] gibt es in Kapitel 25 einen Beweis, dass die Dimension unter bijektiven Abbildungen erhalten bleibt, wenn die Abbildung und ihre Umkehrung stetig sind. Bemerkung 2.5. Eine weitere interessante Tatsache ist, dass die Intervalle (0, 1] und (0, 1) die selbe Länge haben. Jedes Intervall der Länge größer 0 hat die gleiche Größe wie ganz R. Die dahinter stehende Idee: Zentralprojektion. (a) (b) 3 Cantor-Bernstein-Satz Manchmal ist es nicht möglich eine Bijektion zu finden. Man kann jedoch meist sagen, dass eine Menge höchstens so groß ist wie eine andere: Definition 3.1. Eine Menge M ist kleiner oder gleich einer Menge N , in Formeln |M | ≤ |N | falls eine Injektion von M nach N existiert. Satz 3.2 (Äquivalenzsatz von Cantor-Bernstein). Wenn jede von zwei Mengen M und N injektiv in die jeweils andere abgebildet werden kann, dann existiert eine Bijektion von M auf N , das heißt, es gilt dann: |M | = |N |. 3 4 Kontinuumshypothese Satz 4.1 (Kontinuumshypothese). Sei M eine Menge und es gelte |N| < |M | < |R|. Dann gilt |N| = |M | oder |M | = |R|. Anders formuliert: Es gibt eine Menge M mit |N| < |M | < |R|. Ist die Kontinuumshypothese richtig oder falsch oder bisher ungelöst? Die Antwort wird durch folgenden Satz gegeben: Satz 4.2 (Fundamentalsatz der Mengenlehre). In der klassischen Mathematik gilt: Die Kontinuumshypothese ist weder beweisbar noch widerlegbar. Bemerkung 4.3. Kurt Gödel hat gezeigt: Die Kontinuumshypothese ist nicht widerlegbar, d.h. die Verneinung der Kontinuumshypothese ist nicht beweisbar. Paul Cohen hat gezeigt: Die Kontinuumshypotese ist nicht beweisbar. Eine (in der klassischen Mathematik) weder beweisbare noch widerlegbare Aussage nennt man unabhängig (von der klassischen Mathematik). Mit dem Beweis der Unabhängigkeit der Kontinuumshypothese hatte man zum ersten Mal eine unabhängige Aussage in Gestalt einer üblichen mathematischen Fragestellung gefunden, vgl [2] und [3]. Literatur [1] M. Aigner, G.M. Ziegler, Das BUCH der Beweise, vierte Auflage, Springer, 2015. [2] O. Deiser, Einführung in die Mengenlehre, zweite Auflage, Springer, 2004. [3] D.W. Hoffmann. Grenzen der Methematik - Eine Reise durch die Kerngebiete der Mathematischen Logik, zweite Auflage, Springer, 2013. 4