Mengen, Funktionen und die Kontinuumshypothese Marco Michel ([email protected]) 17. Januar 2015 R ist von größerer Mächtigkeit als N. Viel größer oder nur ein wenig größer? - das ist die Frage. Die Cantorsche Koninuumshypothese besagt, dass die Kluft zwischen N und R minimal ist, es also keine Mächtigkeit gibt, die echt zwischen |N| und |R| liegen1 . 1 Mengen und ihre Größe Definition 1.1. Georg Cantor, 1845 - 1918; Menge Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten unserer Anschauung oder unseres Denkens - welche Elemente der Menge genannt werden - zu einem Ganzen. Dies ist keine mathematische Definition im heute üblichen Sinne - was genau ist eine Zusam” menfassung“ oder ein Ganzes“ ? -, und dennoch beschreibt sie recht genau unsere Vorstellung ” von einer Menge. Bei dieser naiven“ Vorstellung von Mengen muss man jedoch aufpassen, da sich ” nicht jede Zusammenfassung als Ganzes oder Einheit denken lässt; Stichwort Russellsche Antinomie. Wir interessieren uns jetzt für die Größe von Mengen. Bzw. wann sind zwei Mengen gleich groß? Wie viele Elemente enthalten sie? Bei endlichen Mengen ist das relativ einfach. Z.B. |{1, 2, 3}| = 3. Also haben zwei Mengen die gleiche Größe, wenn sie dieselbe Anzahl von Elementen enthalten. Wie machen wir das aber bei unendlichen Mengen? Definition 1.2. |A| = |B| Seien A und B Mengen. Dann ist A gleichmächtig zu B, in Zeichen |A| = |B|, falls gilt: Es exestiert eine Abbildung f : A → B mit f ist bijektiv. Die Äquivalenzklasse der Menge A bezüglich der Relation der Gleichmächtigkeit nennt man auch Kardinalzahl |A|.2 Wenn eine Menge gleichmächtig zu den natürlichen Zahlen (Das Musterbeispiel des Zählens) ist, wird sie abzählbar genannt. Definition 1.3. Abzählbarkeit Eine Menge M heißt abzählbar wenn eine Bijektion von N nach M existiert. Satz 1.4. Abzählbarkeit von abzählbaren Vereinigungen abzählbarer Mengen Seien dieSMengen Mn mit n ∈ N höchstens abzählbar (endlich oder abzählbar). Dann ist die Vereinigung n Mn abzählbar. Beweis. Setzte Mn = {an1 , an2 , an3 , ...}. Damit ist eine Aufzählung für die Vereinigung {a11 , a21 , a12 , a13 , a22 , a31 , a41 , a32 , a23 , a14 ...} gefunden. 1 vgl. S n Mn = [2] besteht auch die Möglichkeit die Kardinalzahl |A| als kleinste Ordinalzahl zu einer gleich mächtigen wohlgeordneten Menge B zu definieren. 2 Es 1 2 Die Größe von Q und R Satz 2.1. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar Satz 2.2. Die Menge R der reellen Zahlen ist nicht abzählbar Beweis. Es reicht das Intervall (0,1) zu betrachten, da eine Menge nicht abzählbar sein kann, wenn eine echte Teilmenge schon nicht mehr abzählbar ist. Betrachte zu jeder Zahl x ∈ (0, 1) ihre unendlichen Dezimaldarstellung. Beachte: 1, 36 = 1, 3599999999... = 1, 359̄. Nehmen wir an wir könnten die Elemente des Intervalls abzählen. Dann bilden wir eine neue Zahl, indem wir ihre i-te Dezimastelle ungleich der i-ten Dezimalstelle von der i-ten Zahl wählen. Dann unterscheidet sich diese Zahl aber von allen in unsere Aufzählung, ist also nicht in dieser enthalten, jedoch aber im Intervall. Unsere Aufzählung war also nicht vollständig. Folglich existiert Keine. Satz 2.3. Die Menge R2 aller geordneten Paare von reellen Zahlen (die reelle Ebene) hat dieselbe Größe wie R. Beweis. Sei (x, y) ∈ R2 . Wir wollen nur die Ebene (0, 1] × (0, 1] auf das Intervall (0,1] abbilden. Die Idee ist es jetzt, die Zahlen x und y in ihrer unendlichen Dezimaldarstellung zu betrachten. Wir gruppieren dabei die Nachkommastellen so in Gruppen, dass die wir jeweils bis zu nächsten Ziffer ungleich Null gehen. Nun bilden wir eine neue Zahl z, deren Dezimalstellen aus abwechselnder Hintereinaderreihung der Stellen von x und y besteht. Dies ordnet auf eineindeutige weiße ein Element aus der Zahlenebene auf eine Zahl in dem Intervall (0,1) zu. Zur Anschauung ein Beispiel: x = 0, 3 01 2 007 08... y = 0, 009 2 05 1 0008... 009 01 2 2 Daraus erhalten wir: z = 0, 3 05... Bemerkung 2.4. Diese Feststellung ist im höchsten Maße unintuitiv, da dies unsere Vorstellung von Dimension widerspricht. In Kapitel 25 von [1] gibt es einen Beweis, dass die Dimension unter bijektiven Abbildungen erhalten ist, wenn die Abbildung und ihre Umkehrung stetig sind. Bemerkung 2.5. Weitere interessante Tatsachen: Die Intervalle (0,1] und (0,1) haben die selbe Länge. Idee: Jedes Intervall der Länge größer 0 hat die gleiche Größe wie ganz R Idee: Zentralprojektion: 2 3 Äquivalenzsatz von Cantor-Bernstein Da wir nicht immer den Luxus haben eine Bijektion zu finden, definieren wir noch die KleinerGleich Relationen zwischen Mengen. Definition 3.1. |M | ≤ |N | Eine Menge M ist kleiner Gleich einer Menge N, in Formeln |M | ≤ |N |, genau dann , wenn eine injektive Abbildung f : M → N existiert. Satz 3.2. Äquivalenzsatz von Cantor-Bernstein: Wenn gilt |M | ≤ |N | und |N | ≤ |M |, bzw. wenn die Mengen M und N injektiv in die jeweils andere abgebildet werden können, dann existiert eine Bijektion von M auf N, das heißt, es gilt dann |M | = |N |. Beweis. Sei f : M → N und g : N → M injektiv. Außerdem sei M und N disjunkt. (Ansonsten ersetze M durch M ×{0} und N durch N ×{1} und modifiziere f und g entsprechend. Ein bijektives F 0 : M × {0} → N × {1} liefert dann auch ein bijektives F : M → N . Ziel ist es ein bijektives F : M → N zu konstruieren. Wähle dazu ein beliebiges Element m0 ∈ M und wende f darauf an, dann g, wieder f, usw. Jetzt unterscheiden wir vier Fälle: 1. Die Kette kann sich schließen, wir stoßen also wieder auf m0 . m0 ist das einzige Element welches wir doppelt treffen können, da f und g injektiv sind. 2. Wenn die Kette unendlich weitergeht, können wir auch in der Kette zurückgehen und eine Kette von Urbildern von m0 betrachten, indem wir immer wieder die Urbildoperation abwechselnd von f und g anwenden. Dann können wir wieder unterscheiden: a) Die Kette geht in beiden Richtungen unendlich weiter b) Die Kette hat ein Anfangelement in N, das Urbild des letzten Element in N leer ist. c) Die Kette hat ein Anfangelement in M S Die Menge M N zerfällt also in vier disjunkte Ketten. In jeder Kette werden die Elemente bijektiv aufeinander abgebildet. Die Abbildung f (x), sonst F (x) = . g −1 (x), x von T yp 2c 4 Kontinuumshypothese Kontinuumshypothese 4.1. (CH) Sei M eine Menge und es gelte |N| ≤ |M | ≤ |R|. Dann gilt |N| = |M | oder |M | = |R|. Anders formuliert: 3 Es gibt keine Menge M mit |N| < |M | < |R|. Ist (CH) richtig oder falsch oder immer noch ungelöst? Die Antwort ist beunruhigend. Sie wird gegeben durch den folgenden tiefen Satz: Satz 4.2. Fundamentalsatz der Mengenlehre In der klassischen Mathematik gilt: Die Kontinuumshypothese ist weder beweisbar noch widerlegbar. Bemerkung 4.3. Dies wurde zuerst von Kurt Gödel und Paul Cohen bewiesen. Gödel hat gezeigt: (CH) ist nicht widerlegbar, d. h. die Verneinung non (CH) der Kontinuumshypothese ist nicht beweisbar. Cohen hat gezeigt: (CH) ist nicht beweisbar. Eine (in der klassischen Mathematik) weder beweisbare noch widerlegbare Aussage nennt man unabhängig (von der klassischen Mathematik). Das es solche unabhängigen Aussagen gibt, wußte man bereits seit den Gödelschen Unvollständigkeitssätzen (1931). Allerdings werden diese Aussagen - mit einer Diagonalmethode! - sehr abstrakt konstruiert und ihr mathematischer Gehalt ist von einem ganz anderen Typ als (CH); sie besagen ich bin nicht beweisbar“ oder der zugrundeliegende Rahmen ist widerspruchs” ” frei“. Mit dem Beweis der Unabhängigkeit von (CH) hatte man zum ersten Mal eine unabhängige Aussage in Gestalt einer üblichen mathematischen Fragestellung gefunden vgl [2] und [3]. Literatur [1] M. Aigner, G.M. Ziegler, Das BUCH der Beweise, dritte Auflage, Springer, 2010. [2] O. Deiser, Einführung in die Mengenlehre, dritte Auflage, Springer, 2010. [3] D.W. Hoffmann, Grenzen der Mathematik - Eine Reise durch die Kerngebiete der Mathematischen Logik, erste Auflage, Springer, 2011. 4