TU Darmstadt FB Mathematik, AG 9 Jakob Creutzig WS 2004/2005 9.11.04 Lösungsvorschläge zum 2. Aufgabenblatt der Vorlesung ,,Einführung in die Finanzmathematik” Gruppenübungen Aufgabe 1: Wie viele verschiedene σ–Algebren gibt es auf der Menge Ω = {1, 2, 3}? Lösungsvorschlag: Es gibt 5, nämlich A1 = P(Ω), A2 = {∅, Ω} A3 = A2 ∪ {{1}, {2, 3}} A4 = A2 ∪ {{2}, {1, 3}} A5 = A2 ∪ {{3}, {1, 2}} Es ist klar, daß dies alles σ–Algebren sind. Es sind aber auch alle: Ist A eine beliebige σ–Algebra ungleich A2 , so enthält A eine echte Teilmenge von Ω und deren Komplement. Enthält A keine weiteren echten Teilmengen von Ω, so ist es gleich einer der drei σ–Algebren A3 –A5 ; andernfalls enthält es zwei dieser drei σ–Algebren, und man rechnet leicht nach, daß dann A = A1 sein muß. Aufgabe 2: Im folgenden sei Ω = N, A = P(Ω), Y : Ω → R eine Abbildung. a) Geben Sie eine Bijektion an zwischen der Menge der σ–Algebren A0 ⊆ A und der Menge der Partitionen von Ω. Lösungsvorschlag: Für eine σ–Algebra A0 sei ε(A0 ) := {A ⊆ A0 : Aunteilbar in A0 1 } Wir behaupten zunächst, daß ε(A0 ) eine Partition von Ω ist. Dazu stellen wir fest, daß offenbar die Elemente von ε(A0 ) paarweise disjunkt sind. Weiter gilt folgender Sachverhalt: Für jede beliebige Familie (Ai )i∈I von Teilmengen von N existiert eine abzählbare Teilfamilie S S (Aj )j∈J (d.h. J ⊆ I ist hoechstens abzählbar) mit i∈I Ai = j∈J Aj . (Denn jedes Element der linken Vereinigung liegt in einem Aj , und es gibt nur höchstens abzählbar viele solcher Elemente.) Natürlich gilt 1 D.h., daß für B ∈ A0 mit B ⊆ A folgt, daß B ∈ {∅, A}. 1 eine analoge Aussage dann auch für Schnitte von Mengen. Daher ist für jedes n ∈ N die Menge \ A(n) := A A∈A n∈A darstellbar als abzählbarer Schnitt über Elemente von A, und damit meßbar; weiter ist offenbar n ∈ A(n) und A(n) ist unteilbar. Damit S folgt auch, daß N = A∈ε(A) A. Also ist die Abbildung ε : { σ–Algebren A ⊆ P(N)} → {Partitionen π von N} , A 7→ ε(A) wohldefiniert, und wir zeigen nun, daß die Funktion σ : {Partitionen π von N} → {σ–AlgebrenA ⊆ P(N)}, π 7→ σ(π) invers zu ε ist. Hierbei sei für π = (Ai )i∈I o n[ σ(π) = Aj J ⊆ I = σ({Ai : i ∈ I}) . j∈J Zum einen hat nämlich σ(π) offenbar als unteilbare Mengen genau die Ai , also ist ε ◦ σ = id, zum anderen gilt für jede σ–Algebra A, jedes A ∈ A und jedes A0 ∈ ε(A), daß A0 ⊆ A oder A0 ∩ A = ∅; daher ist [ A= A0 , A0 ∈ε(A) A0 ⊆A und folglich ist A={ [ A0 : F ⊆ ε(A)} , A0 ∈F d.h. es gilt auch σ ◦ ε = id. b) Sei A0 ⊆ A eine σ–Algebra. Charakterisieren Sie mit dem Ergebnis aus a), wann Y eine A0 –meßbare Zufallsvariable ist. Lösungsvorschlag: Y ist A0 –meßbar genau dann, wenn Y auf jedem a0 ∈ ε(A0 ) konstant ist. Denn sei zunächst Y A0 –meßbar und A0 ∈ A0 unteilbar; würde nun Y (i) 6= Y (j) gelten für i, j ∈ A0 , so wäre Y −1 (i)∩A0 ( A0 eine meßbare nichttriviale echte Teilmenge im Widerspruch zur Unteilbarkeit von A0 . Ist andererseits Y konstant auf jedem unteilbaren A0 , so folgt für eine beliebige Borelmenge B ∈ B(R), daß [ Y −1 (B) = A0 , A0 ∈ε(A0 ) Y (A0 )∈B was natürlich meßbar ist. 2 c) Wie sieht die aus a) gewonnene Partition, die zu σ(Y ) gehört? Lösungsvorschlag: Dies ist die Partition −1 Y (x) : x ∈ R ; man beachte, daß nur höchstens abzählbar viele dieser Mengen ungleich der leeren Menge sind. d) Sei Z : Ω → R eine Abbildung. Zeigen Sie, daß Z genau dann σ(Y )– meßbar ist, wenn es eine Abbildung h : Y (Ω) → R gibt mit Z = h ◦ Y . Lösungsvorschlag: Z ist σ(Y )–meßbar genau dann, wenn Z auf den unteilbaren Mengen von σ(Y ) konstant ist; die unteilbaren Mengen von σ(Y ) sind aber genau die Konstanzbereiche von Y . Folglich ist die Abbildung ( Z(ω) , ∃om ∈ Ω mit Y (ω) = x , h : R → R, x 7→ 0, sonst , wohldefiniert und erfüllt die Bedingung h ◦ Y = Z. Aufgabe 3: Betrachten Sie folgendes Einperiodenmodell: S0 = (1, 1) und S1 = (1 + %, E), wobei E eine beliebige Zufallsgröße sei. Zeigen Sie: Falls das Modell vollständig ist, so existieren Zahlen y1 , y2 , sodaß P (E ∈ {y1 , y2 }) = 1. (Hinweis: Betrachten Sie den Claim C = E 2 ; dieser ist P –f.s. gleich x1 (1 + ρ) + x2 E für einen passenden Hedge x = (x1 , x2 ). Lösungsvorschlag: Für beliebige Zahlen a, b existieren stets zwei Zahlen y1 , y2 , sodaß gilt: ∀y ∈ R [y 2 + ay + b = 0] ⇒ y ∈ {y1 , y2 } . Für den Claim E 2 erhalten wir aus dem Hinweis, daß E 2 + aE + b = 0 mit a = −x2 , b = −x1 (1+ρ). Die obige Gleichung für Zufallsgrößen bedeutet: Es gibt eine Menge Ω0 ∈ A mit P (Ω0 ) = 1 und dergestalt, daß für alle ω ∈ Ω0 gilt: E(ω)2 + aE(ω) + b = 0 . Dies ist nun eine Gleichung für reelle Zahlen, und aus obiger Vorüberlegung wissen wir, daß es y1 , y2 gibt, sodaß für alle ω ∈ Ω0 gilt: E(ω) ∈ {y1 , y2 }. Da P (Ω0 ) = 1, heißt das E ∈ {y1 , y2 } P –f.s.. Hausübungen: Aufgabe 1: Es sei (Ω, A, P ) ein Wahrscheinlichkeitsraum und (S0 , S1 ) ein vollständiges Einperiodenmodell über (Ω, A, P ), S0 ∈ Rg , S1 ein zufälliger Vektor im Rg . 3 a) Es sei L0 (Ω, A, P ) der Vektorraum der Äquivalenzklassen von Zufallsvariablen über (Ω, A, P ) bezüglich der P –fast sicheren Gleichheit (also der Quotient des Vektorraumes aller Zufallsvariablen nach der Äquivalenzrelation ’P –f.s. gleich’). Zeigen Sie, daß dim(L0 (Ω, A, P )) ≤ g. Lösungsvorschlag: Die Bedingung ’Modell vollständig’ ist äquivalent zu der Behauptung, die Abbildung Φ : Rg → L0 (Ω, A, P ) , x 7→ x · S1 sei surjektiv. Da diese Abbildung offenbar linear ist, folgt daher, daß dim(L0 ) = dim(Im(Φ)) ≤ dim(Rg ) = g. b) Eine Menge A ∈ A mit P (A) > 0 heißt Atom, falls es nicht in meßbare Teilmenge mit positivem Maß zerlegt werden kann; äquivalent dazu ist die Bedingung: Für B ∈ A mit B ⊆ A ist P (B) ∈ {0, P (A)}. Zeigen Sie, daß Ω sich als disjunkte Zerlegung von Atomen A1 , . . . , Ak schreiben läßt mit k ≤ g. (Benutzen Sie a) für die Zufallsgrößen 1Ai .) Lösungsvorschlag: Wir bemerken zunächst, daß eine Menge A ∈ A ein Atom ist genau dann, wenn 1A 6= 0 in L0 und es keine Mengen A1 , A2 ∈ A gibt mit 1A = 1A1 + 1A2 und 1A1 6= 0 6= 1A2 . Nun bilden wir X k := sup m ∈ N : ∃A1 , . . . , Am ∈ A, 1 = 1Ai , 1Ai 6= 0 . i≤m Für jede solche Folge A1 , . . . , Am muß aber P (Ai ∩ Aj ) = 0 sein für i 6= j, also 1Ai · 1Aj = 0Pin L0 . Folglich sind die Funktionen 1Ai linear unabhängig, denn aus i αi 1Ai = 0 folgt X X 0= αi 1Ai · 1Aj = αi 1Aj 1Ai = αj 1Aj i i für jedes j. Folglich muß k ≤ dim(L0 ) ≤ g gelten. Ist nun A1 , . . . , Ak eine passende Folge, so sind die Ai atomar, denn ansonsten könnte man 1Ai nach obiger Überlegung weiter aufspalten, im Widerspruch S zur Maximalität von k. Weiter ist N = Ω\ i≤k Ai eine Nullmenge, und daher ist mit A01 = A1 ∪ N A01 , A2 , . . . , Ak eineSZerlegung von Ω in Atome. Nun bildet man noch rekursiv A0i = Ai \ j<i A0j und sieht sofort, daß dies disjunkte Atome sind, die Ω zerlegen. c) Zeigen Sie: Es existiert eine Menge {y1 , . . . , yl } ⊆ Rg mit l ≤ g und P (S1 ∈ {y1 , . . . , yl }) = 1. Lösungsvorschlag: Es seien Ai gemäß Teil b) gewählt. Dann behaupten wir, daß S1 auf jedem Ai P –fast sicher konstant ist; andernfalls gäbe es nämlich disjunkte meßbare Mengen B1 , B2 ∈ B(Rg ) mit 4 P (Ai ∩ S1−1 (Bj )) > 0 für j ∈ {1, 2}, was der Atomarität von Ai widerspräche. Also existiert für jedes i ein yi mit P (Ai ∩ {S1 6= yi }) = 0. Hieraus erhalten wir, daß X 1Ai yi S1 = i≤k in L0 (also wie üblich P –fast sicher), und damit die Behauptung. d) Zeigen Sie: Es existiert ein endlicher Wahrscheinlichkeitsraum (Ω0 , A0 , P0 ) mit A0 = P(Ω0 ) und eine surjektive meßbare Abbildung ϑ : Ω → Ω0 , sodaß gilt: (i) P0 = Pϑ . (ii) Für jede Zufallsvariable Z : Ω → R existiert eine Zufallsvariable Z0 : Ω0 → R, sodaß P (Z = Z0 ◦ ϑ) = 1. Lösungsvorschlag: Wir nehmen wieder die atomare Zerlegung von Ω aus Teil b) zuhilfe, setzen Ω0 = {1, . . . , k}, A0 = P(Ω) und definieren die Abbildung X ϑ : Ω → {1, . . . k} , ϑ(ω) := i · 1Ai (ω) . i≤k Diese ist offenbar meßbar, und ein ω ∈ Ai wird auf i abgebildet. Nun setzen wir Pϑ = P0 ◦ ϑ−1 . Ist nun Z : Ω → R eine Zufallsvariable, so existieren analog zu der Argumentation in der Lösung von Teil c) Elemente z1 , . . . , zk ∈ R, sodaß für P –fast alle ω ∈ Ω gilt: X X Z(ω) = zi · 1Ai (ω) = zi · 1i (ϑ(ω)) = Z0 (ϑ(ω)) . i≤k i≤k Aufgabe 2: Es sei (S0 , S1 ) ein Modell im Rg , g > 2, sodaß S1 = (1 + ρ, A1 , . . . , Ag−1 ); hierbei seien Ai unabhängige Zufallsgrößen und nicht P – fast sicher konstant (d.h., es existieren für jedes Ai disjunkte meßbare Mengen Mi,1 , Mi,2 mit P (Ai ∈ Mi,j ) > 0). Zeigen Sie, daß das Modell nicht vollständig ist. (Nutzen Sie Aufgabe 1 c).) g−1 ersehen wir, Lösungsvorschlag: Für Q jede Folge ε = (εi )i<g ∈ {1, 2} daß die Menge Mε := i=1 Mi,εi mit positiver W.keit von (A1 , . . . , Ag−1 ) getroffen wird, denn Y P ((A1 , . . . Ag−1 ∈ Mε )) = P (Ai ∈ Mi,εi ) > 0 i<g aufgrund der Unabhängigkeit. Folglich existieren mindestens 2g−1 disjunkte meßbare Mengen in Rg , welche von S1 mit positiver Wahrscheinlichkeit getroffen werden koennen; wäre nun das Modell vollständig, so widerspräche dies der Aussage von Übung H1c). 5