Manuskript Beitrag: Schmerzen ohne Ende – Patienten im Stich gelassen Sendung vom 19. Mai 2015 von Ingo Dell und Jörg Göbel Anmoderation: Jeder von uns kennt Schmerzen. Viele wissen auch, was schlimme Schmerzen sind. Normalerweise können wir uns darauf verlassen, dass der Schmerz auch wieder nachlässt. Aber was ist, wenn er bleibt. 2,8 Millionen Deutsche leiden chronisch unter schlimmen Schmerzen. Tag und Nacht. Monate, Jahre, oft ein Leben lang. Zu solchen zermürbenden Schmerzen kommt noch die Verzweiflung, wenn sich kein Arzt findet, der das Leiden lindert. Denn es gibt zu wenige Spezialisten für immer mehr gepeinigte Patienten. Krankenkassen, Ärzteverbände und Gesundheitspolitiker kennen das Problem seit Jahren - und tun nichts oder viel zu wenig. So werden chronisch Schmerzkranke chronisch im Stich gelassen, diagnostizieren Ingo Dell und Jörg Göbel. Text: Bernburg in Sachsen-Anhalt. Hier treffen wir Elke Schmidt. Seit einem Zeckenbiss vor zehn Jahren leidet sie am ganzen Körper unter unerträglichen Gelenkschmerzen. Das Leben der 56Jährigen hat sich vollkommen verändert. Sie erzählt uns: Schon die einfachsten Handgriffe fallen ihr schwer. O-Ton Elke Schmidt, Schmerzpatientin: Dann habe ich auch von meinem behandelnden Arzt dieses Schneidebrett bekommen. Da kann ich dann mit beiden Händen so schneiden und all so was machen. Und was ich mache, ist egal was, ob ich was berühre – jeder Handgriff ist für mich ein Schmerz. Täglich nimmt sie 15 unterschiedliche Medikamente. Starke Schmerzmittel, auch Antidepressiva. Elke Schmidt ist chronische Schmerzpatientin und auf Hilfe eines Spezialisten angewiesen. Den hatte sie auch. Doch dann musste die Schmerzambulanz schließen. Jetzt ist sie verzweifelt und wütend, demonstrierte mit anderen Betroffenen. Termine bei anderen Schmerzmedizinern der Region bekam sie nicht. O-Ton Elke Schmidt, Schmerzpatientin: Ich habe einen Arzt nach dem anderen angerufen. Jede Schwester in der Annahme sagte mir: Ist nicht, wir nehmen keine neuen Patienten mehr auf. Gehen Sie bitte zu dem Arzt, wo Sie vorher waren. Der behandelt im Klinikum Bernburg. Dr. Ralf Rehwinkel ist Facharzt für Anästhesie und als spezieller Schmerztherapeut ausgebildet. Der Arzt zeigt uns die leeren Räume seiner Ambulanz. Etwa 250 Patienten hatte er hier im Quartal - bis September vergangenen Jahres. Dann entschied die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt, dass die Klinikambulanz nicht mehr gebraucht wird. Der Grund: Ein weiterer Schmerzmediziner hatte sich in der Region niedergelassen. Bei der ambulanten Versorgung haben niedergelassene Mediziner Vorrang. O-Ton Dr. Ralf Rehwinkel, Anästhesist: Es ist so, dass es wohl in den letzten zwei Jahren einen Schmerzmediziner jetzt hier in unserem Salzlandkreis mehr gibt. Das reicht natürlich längst nicht aus. Das ist auch das, was unsere Patienten an uns jetzt im Nachhinein vermitteln – dass sie also sehr lange auf Termine warten oder gar keine Termine bekommen, so dass ich diese Entscheidung tatsächlich auch nicht nachvollziehen kann. Die Klinik geht gegen die Entscheidung juristisch vor. Die Folgen für die Patienten sind fatal, besonders bei akuten Schmerzschüben. O-Ton Dr. Rehwinkel, Anästhesist: Wir können im Moment dann solchen Patienten, die in großer Not sind, nur den Weg über die Notaufnahme empfehlen. Menschen mit chronischen Schmerzen müssen oft monatelang auf einen Termin beim Schmerzmediziner warten. Bis zur richtigen Behandlung können laut Bundesärztekammer vier Jahre vergehen. Und: Die Patientenzahl ist groß. Kürzlich teilte der Berufsverband der Schmerzmediziner mit, dass mehr als 2,8 Millionen Deutsche unter schweren chronischen Schmerzen leiden. Das Schmerzzentrum Göppingen. Dr. Gerhard Müller-Schwefe kennt die Probleme seiner Schmerzpatienten nur zu gut. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und behandelt seit drei Jahrzehnten. Er kämpft fast genauso lange für eine bessere ambulante Versorgung. O-Ton Dr. Müller-Schwefe, Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin: Wir haben eigentlich nicht mal ein Zehntel der versorgenden Ärzte für Schmerzpatienten, die wir brauchen würden. Die schmerzmedizinische Versorgung hängt vom Zufall, von der Gutwilligkeit von Ärzten ab, ob sie sich in diesem Bereich engagieren möchten oder nicht. Es gibt aber keine Sicherstellung für die Patienten. Es gibt keine Bedarfsplanung, in der klar geregelt wird: Wie viele brauchen wir denn, dass eine ausreichende Versorgung für die Patienten stattfindet. Für Müller-Schwefe liegt das auch daran, dass gerade die zeitaufwendige Behandlung schlecht bezahlt wird. Seit Jahren fordert er Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Politik zum Handeln auf. Auch die Bundestagsabgeordnete Barbara Lanzinger kämpft für eine bessere Versorgung von Schmerzpatienten. Und auch sie sieht das Problem: Die Arbeit der Schmerzmediziner wird nicht ausreichend honoriert. O-Ton Barbara Lanzinger, CSU, MdB: Sie müssen als Schmerztherapeut eine saubere Anamnese machen, Sie müssen wissen, wie lange haben Sie die Schmerzen. Welche Medikament hat er überhaupt schon genommen, gibt’s vielleicht auch Wechselwirkungen. Es kann Stunden dauern, oftmals auch Tage dauern, bis der Arzt den Menschen auch kennen lernt. Und das alles muss bezahlt werden. Also, wir brauchen als Erstes eine bessere Bezahlung für die Schmerztherapeuten, dass die sagen können, ich kann davon leben. Dafür soll eigentlich die medizinische Selbstverwaltung sorgen, also Ärzte und Krankenkassen. Die verteilen untereinander das Geld im Gesundheitssystem - offenbar zu Lasten der Schmerzmediziner und ihrer Patienten. Wir treffen auf einem Fachkongress in Berlin Regina Feldmann von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Von ihr wollen wir wissen, warum Schmerzpatienten unterversorgt sind. O-Ton Regina Feldmann, Vorstand Kassenärztliche Bundesvereinigung: Also, ich kann jetzt nicht berichten, dass wir auf der Bundesebene uns diesem Thema verschließen. Aber dieser Diskussionsprozess muss erst mal angestoßen werden. Kaum nachvollziehbar: Denn das Leid der chronischen Schmerzpatienten ist unter Ärzten längst bekannt. Ein Vertreter der Bundesärztekammer drängt daher Gesetzgeber und Krankenkassen sofort zu handeln. O-Ton Dr. Max Kaplan, Vizepräsident Bundesärztekammer: Die Finanzierung ist in keiner Weise gewährleistet. Ich kenne Kollegen, es sind gerade Fachärzte für Anästhesie, die sich auf Schmerzbehandlung spezialisiert haben, die einfach finanziell in Nöte kommen. Da ist auch wieder der Gesetzgeber, da sind die Kostenträger gefordert, sich hier entsprechend einzubringen. Mehr Geld soll her. Und: Die Politik ist schuld. Was sagt der Bundesgesundheitsminister dazu. Mehrfach heißt es: kein Interview. Er verweist auf die Selbstverwaltung. In die sich die Bundesregierung offenbar nicht einmischen will. Auch einer der bekanntesten Gesundheitspolitiker Deutschlands sieht die Verantwortung bei Ärzteverbänden und Krankenkassen. O-Ton Prof. Karl Lauterbach, SPD, Gesundheitsexperte: Das Geld ist da, ist aber ungerecht verteilt. Es kommt bei den Ärzten, die Schmerztherapie gut machen, eine aufwendige Schmerztherapie betreiben, bei diesen Ärzten kommt das Geld nicht an. Ich glaube, das ist ein Verteilungssystem innerhalb Ärzteschaft und Kassen, was nicht funktioniert, wo man sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschiebt. Leidtragende sind Patienten wie Elke Schmidt aus Bernburg. Inzwischen kann sie wieder hoffen. Denn nach Patientendemo und Klinikprotest gibt es Gespräche über eine eventuelle Wiedereröffnung ihrer Schmerzambulanz. Doch egal, wie diese ausgehen: In vielen anderen Regionen Deutschlands bleiben chronische Schmerzpatienten weiter unterversorgt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.