Untersuchungen Blutspiegelbestimmung Was ist der Blutspiegel ? Wie wird der Blutspiegel bestimmt ? Der „Blutspiegel“ eines Medikaments ist seine Konzentration im Vollblut, Plasma (= noch gerinnbare Blutflüssigkeit ohne Zellen) oder Serum (= nicht mehr gerinnbarer Anteil der Blutflüssigkeit). Anstelle von Blutspiegeln wird auch von Plasma- oder Serumspiegeln beziehungsweise -konzentrationen gesprochen. Die Medikamentenkonzentration kann auch in anderen Körperflüssigkeiten wie Urin, Speichel, Tränen, Liquor (Nervenwasser) oder in festen Körperbestandteilen wie z.B. Haaren oder Organgeweben gemessen werden. Meist beschränkt man sich aber auf Blutspiegel bzw. Plasma- oder Serumspiegel, die mit der Konzentration im Gehirn in einem engen Zusammenhang stehen. Zur Bestimmung der Blutspiegel stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, von denen manche nur von Speziallaboratorien durchgeführt werden. Am weitesten verbreitet sind so genannte Enzymoder Immunoassays. Deren Durchführung ist relativ einfach, sie stehen aber nicht für alle Antiepileptika zur Verfügung und ihre Ergebnisse sind nicht immer verlässlich. Aufwändigere Verfahren bestehen in der so genannten Gas- oder Flüssigkeitschromatographie. Bei allen Bestimmungsmethoden muss bedacht werden, dass es Fehlerquellen und Ungenauigkeiten gibt. Die Genauigkeit Für die Wirkung eines Medikamentes ist nicht seine Gesamtkonzentration wichtig, sondern nur der so genannte freie Anteil, der im Blut nicht an Transporteiweisse gebunden ist. Er schwankt zwischen 100% für Medikamente wie Gabapentin und Vigabatrin bis zu etwa 10% für Phenytoin und Valproat. Bei Antiepileptika mit niedrigem freien Anteil kann es bei Krankheiten oder gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente und gegenseitiger Verdrängung aus der Eiweissbindung erforderlich sein, zusätzlich zur Gesamtkonzentration den freien Anteil zu bestimmen. Wie wird der Blutspiegel berechnet? Die Angabe der Konzentration des Medikaments erfolgt entweder in Gewichtseinheiten (meist Milligramm pro Liter oder Mikrogramm pro Milliliter) oder in tatsächlichen Mengeneinheiten. Diese Mengeneinheiten werden in der Fachsprache mit Mol für Molekulargewicht abgekürzt; entsprechende Angaben erfolgen meist als Mikromol oder Millionstel Mol pro Liter. Um die verschiedenen Konzentrationsangaben ineinander umrechnen zu können, muss man das Molekulargewicht der jeweiligen Wirkstoffe kennen. Die Umrechnungsfaktoren zwischen Milligramm pro Liter (= mg/l) und Mikromol pro Liter (= µmol/l) schwanken für die meisten Medikamente in einem Bereich von etwa 3-7. Die durchschnittliche Menge an Körperflüssigkeit beträgt bei einem Erwachsenen ungefähr 50 Liter. Wenn er 500 mg (= ein halbes Gramm) eines Medikamentes einnimmt und sich das Medikament in der gesamten Körperflüssigkeit gleichmässig verteilt, führt dies zu einem Blutspiegel von 10 mg/l oder (bei einem Umrechnungsfaktor von 4) zu 40 µmol/l. eines Messwertes von beispielsweise 30,4 µmol/l liegt bei kritischer Wertung in einem Bereich von etwa 25-35 µmol/l, d.h. bei wiederholter Bestimmung derselben Blutprobe mit verschiedenen Methoden oder in verschiedenen Laboratorien schwanken die Ergebnisse in diesem Bereich. Wovon hängt der Blutspiegel ab ? Stabile und verlässliche Werte setzen eine regelmässige Einnahme voraus. Unerwartet tiefe Werte können auch durch MagenDarmkrankheiten, eine gestörte Tätigkeit der Leber oder Nieren, andere Krankheiten und Begleitmedikamente mit der Möglichkeit von so genannten Interaktionen (= Wechselwirkungen) oder durch Besonderheiten des Medikamentes selbst zustande kommen. Die so genannte Halbwertszeit eines Medikaments gibt an, in welcher Zeit der Blutspiegel ohne weitere Einnahme auf die Hälfte abfällt. Manche Antiepileptika wie etwa Phenobarbital haben eine sehr lange Halbwertszeit von mehreren Tagen, bei anderen wie etwa Gabapentin oder Valproat liegt sie bei wenigen Stunden. Bei diesen Medikamenten hängt der Blutspiegel also unter anderem stark davon ab, wann die letzte Einnahme erfolgte. Was ist der „therapeutische“ Bereich ? Der therapeutische Bereich ist derjenige Blutspiegelbereich, in dem in der Regel eine ausreichende Wirkung ohne nennenswerte Nebenwirkungen zu beobachten ist. Das heisst jedoch nicht, dass unterhalb davon keine Wirkung zu erwarten ist und oberhalb davon zwangsläufig die Gefahr von Nebenwirkungen besteht. Therapeutische Bereiche geben immer nur eine gewisse Orientierung, die im günstigsten Fall für die Mehrzahl von mit einem bestimmten Medikament behandelten Menschen gilt, für jeden einzelnen Betroffenen aber stets überprüft werden muss. Eine ausreichende Wirkung kann durchaus schon mit vermeintlich zu niedrigen, „subtherapeutischen“ Blutspiegeln erzielt werden, und vermeintlich zu hohe, „toxische“ Blutspiegel können ohne Nebenwirkungen vertragen werden. Alle Rechte beim Verfasser, Dr. med Günter Krämer, Medizinischer Direktor des Schweizerischen Epilepsie-Zentrums Zürich 1 Untersuchungen Blutspiegelbestimmung Medikament üblicher „therapeutischer“ Bereich in µmol/l in µg/ml 15- 50 4- 12 280-700 40-100 Gabapentin 70-120 12- 20 Lamotrigin 20- 60 5- 15 Carbamazepin Ethosuximid Levetiracetam 35-120 6- 20 Oxcarbazepin 50-120 7- 25 Phenobarbital 40-130 10- 30 Phenytoin 20- 80 5- 20 Primidon 20- 70 4- 15 Tiagabin 50-250 20-100 Topiramat 15- 60 5- 20 200-850 30-120 Valproat Für Vigabatrin gibt es keinen therapeutischen Bereich, weil dieses Medikament über die Hemmung eines Enzyms im Gehirn wirkt. Diese Hemmung hält sehr lang an und ist ohne Zusammenhang mit dem Blutspiegel. Der Blutspiegel allein ist ohne Bedeutung ! Der Blutspiegel allein hat keine Bedeutung; er muss stets in Abhängigkeit davon bewertet werden, ob eine Medikation vertragen wird und noch Anfälle auftreten. Behandlungsempfehlungen von Laborärzten ohne Kenntnis darüber, wie es den Betroffenen geht, sind unsinnig und gefährlich. Es kommt aber leider immer wieder vor, dass Ärzte sich von solchen Angaben leiten lassen. Dann wird bei einem längere Zeit anfallsfreien Patienten mit sehr niedrigem, „subtherapeutischen“ Blutspiegel ein Medikament in dem Glauben einer nicht mehr vorhandenen Wirkung abgesetzt oder bei einem ebenfalls anfalls- und auch nebenwirkungsfreien Patienten mit einem „toxischen“ Blutspiegel die Dosis verringert. Beide Veränderungen der Medikamenteneinnahme führen häufiger zu einem vermeidbaren erneuten Auftreten von Anfällen. Was ist bei der Bestimmung zu beachten ? Die beiden häufigsten Fehler bestehen ausser einer unkritischen Anwendung und Bewertung in der fehlenden Berücksichtigung des Zeitpunkts der letzten Einnahme und dem fehlenden Abwarten des neuen s. g. Fliessgleichgewichtes nach erfolgten Dosisänderungen. Zur Vermeidung dieser Fehler sollten Nüchternspiegel vor Einnahme der ersten Tagesdosen bestimmt werden oder zumindest immer eine Blutabnahme zu in etwa gleichen Zeiten erfolgen. Nach erfolgten Dosisänderungen muss ausser in Notfallsituationen (z.B. Verdacht einer Überdosierung) etwa fünf Halbwertszeiten des Medikamentes abgewartet werden, damit sich ein neues, aussagekräftiges Fliessgleichgewicht eingestellt hat. Dies dauert z.B. bei Phenobarbital mehrere Wochen und bei Ethosuximid oder Phenytoin zumindest 1-2 Wochen. Es kommt immer wieder vor, dass Dosiserhöhungen vorgenommen und deren Auswirkung auf den Blutspiegel schon wenige Tage später kontrolliert wird. Dies ist aber bei Medikamenten mit langer Halbwertszeit zu früh, und die behandelnden Ärzte glauben dann fälschlicherweise eine richtige Dosis gefunden zu haben. Kurze Zeit später kommt es dann bei gleichbleibender Einnahme mit Erreichen des Fliessgleichgewichts zu noch deutlich höheren und manchmal mit schweren Nebenwirkungen einhergehenden Blutspiegeln. Wann ist eine Bestimmung sinnvoll ? Die Bestimmung eines Blutspiegels sollte nur dann erfolgen, wenn von dem Ergebnis etwas abhängt, also in der Regel die Frage einer höheren oder niedrigeren Dosis besteht. Eine Bestimmung allein aus „Routine“ ist meist wenig sinnvoll. In folgenden Situationen erleichtert die Kenntnis des Blutspiegels die Behandlung: • Auftreten von Nebenwirkungen: Ungewöhnlich hohe Serumkonzentration (besonders dann, wenn gleichzeitig mehrere Medikamente mit ähnlichen Nebenwirkungen eingenommen werden). • Erneutes Auftreten von Anfällen nach längerer Beschwerdefreiheit: Kann dies durch einen Abfall des Blutspiegels erklärt werden? Für einen solchen Abfall kann es neben einer unregelmässigen Einnahme viele andere Gründe haben, • Verdacht auf Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (Antiepileptika wie auch sonstige Wirkstoffe), • Schwangerschaft (häufig fallen die Blutspiegel deutlich ab), • Blutentnahme möglichst rasch nach einem Anfall (so genannte iktale, postiktale oder „Anfallsspiegel“). Alle Rechte beim Verfasser, Dr. med Günter Krämer, Medizinischer Direktor des Schweizerischen Epilepsie-Zentrums Zürich 2