Gehirngerechtes Lernen (Brain-Based-Learning) Neurodidaktik Gliederung • • • • • • • • • • • Was ist gehirngerechtes Lernen? Zwei Positionen zur Neurodidaktik Wodurch wissen Neurowissenschaften? Was wissen Neurowissenschaften? Aufbau des Gehirns Konstruktivistische Didaktik Wie lernt das Gehirn? Lernprozesse: 12 Prinzipien. Empfehlungen der Hirnforschung Kritik an der Neurodidaktik Kooperation der Erziehungswissenschaften mit der Neurodidaktik • Literaturverzeichnis Was ist gehirngerechtes Lernen? • Versuch, die Ergebnisse der modernen Hirnforschung für die Didaktik zu erschließen und pädagogische Anwendbarkeit zu prüfen • Hintergrund ist die naturwissenschaftlich fundierte Annahme, dass materielle Voraussetzung aller psychischen bzw. geistigen Leistungen nur das Gehirn bzw. Zentralnervensystem ist. • Umfassende Kenntnis der im Gehirn ablaufenden Prozesse notwendig, um Lernumgebungen effizient und effektiv gestalten zu können. Zwei Positionen zur Neurodidaktik 1. Berücksichtigung neurowissenschaftlicher wichtig wichtig, weil Didaktik benötigt empirisch gestützten Begriff des Lernens Lerntheorien scheitern an der Realität, wenn im Widerspruch zu gesicherten lerntheoretischen Aussagen Schwierigkeiten des Lernens und Lehrens beschreibbar mit neurowissenschaftlichen Modellen 2. Neurodidaktik versucht Lernen so zu gestalten, wie Gehirn es am besten kann Intensive Rezeption neurowissenschaftlicher Erkenntnisse Änderungen der Methoden Hirngerechtes Lernen und Lehren Wodurch wissen Neurowissenschaften? • Enorme Fortschritte in Untersuchungsmethoden durch bildgebende Verfahren, mit denen sich Hirnaktivitäten bei ungeöffneten Schädel messen lassen Positronen-Emissions-Tomographie (PET) Funktionelle Kernspinresonanztomographie (fMRT) • Messung der Veränderung des Blutflusses und Sauerstoffgehalts • Messung der aktiven Hirnregionen während kognitiver oder emotionaler Tätigkeiten Positronen-Emissions-Tomographie (PET) • Testpersonen bekommen ß+ strahlende Atomkerne mit Protonenüberschuss. e+ zerstrahlt mit e- des Gewebes. Entstehende antiparallele Gammaphotonen werden registriert und Ursprungsort zurückgerechnet Funktionelle Kernspinresonanztomographie (fMRT) • Macht Stoffwechselaktivität von Hirnarealen sichtbar • Nutzt unterschiedliche magnetische Eigenschaften von sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut • Ruhezustand und stimulierter Zustand werden durch statistische Testverfahren miteinander verglichen und Unterschiede räumlich zugeordnet und dargestellt Was wissen Neurowissenschaften? • Es gibt nicht „das Gedächtnis“ sondern verschiedene Gedächtnissysteme Semantisches Gedächtnis für Faktenwissen (Vokabeln etc.) Episodisches Gedächtnis für biographisches Wissen (Erinnerungen, Konfliktsituationen) Prozedurales Gedächtnis für Fertigkeiten (Fahrradfahren) Aufgliederung in Untergedächtnisse und Gedächtnismodule Was wissen Neurowissenschaften? • Ohne Lernprozesse gibt es keine Gedächtnisbildung • Gute Erinnerung an Konfliktsituationen, während Unterrichtsinhalte eher zögerlich erinnert werden, es sei denn, Lerner hat dazu emotional äußerst positive interessierte Einstellung • Lernvorgänge wirken sich auf die neuronale Architektur, Verknüpfung zwischen Nervenzellen aus. • Dauerhafter Lernvorgang verändert/verstärkt nachhaltig die Verbindungen zwischen bestimmten Nervenzellen Aufbau des Gehirns • Hippocampus (Erwerb und Konsolidierung von episodischen und semantischen Gedächtnisinhalten wird kontrolliert durch Mandelkern Amygdala und des mesolymbischen Systems, die zur Ausbildung negativer und positiver Gefühle (Furcht, Abneigung, Antrieb, Begeisterung) nötig sind. • Bevor Gehirn lernt, bewertet es Relevanz und Neuigkeitswert Konstruktivistische Didaktik • Früher: kybernetische Ansätze und schlichtes Modell der Informationsverarbeitung • Modern: Lernen als individueller Konstruktionsprozess • Gehirn nicht objektiv, konstruiert sich individuell seine Wirklichkeit • Lehre kann Lernprozesse auslösen, tut es aber nicht zwangsläufig • Lernen von Inhalten ohne Bezug zur Lebenswelt, liefert träges Wissen, außer in Interessensgebieten • Lehr-Lern-Prozesse sind komplex Wie lernt das Gehirn? Mustererkennung und -erzeugung Wie lernt das Gehirn? Mustererkennung und -erzeugung Wie lernt das Gehirn ? Optische Täuschung Wie lernt das Gehirn ? Optische Täuschung Wie lernt das Gehirn? Kurz- und Langzeitgedächtnis Wie lernt das Gehirn? Lernprozesse: 12 Prinzipien (nach Margret Arnold) • • • • • • • • • • • • Schüler müssen Möglichkeit haben, konkrete Erfahrungen zu machen. Lernprozesse eingebunden in soziale Situationen sind effektiver. Lernprozesse effektiver, wenn Interessen/Ideen der Lernenden berücksichtigt Lernen effektiver, wenn das vorhandene Vorwissen mobilisiert wird. Lernen effektiver, wenn positive Emotionen in das Lernen eingebunden werden Schüler prägen sich Details besser ein, wenn Sie den Zusammenhang mit einem Ganzen verstehen Mit der entsprechenden Lernumgebung wird das Lernen intensiver. Lernen wird verbessert, wenn Zeit zum Reflektieren bleibt. Es wird besser gelernt, wenn Schüler Informationen und Erfahrungen miteinander verbinden können. Lernprozesse effektiver, wenn auf individuelle Unterschiede der Lernenden eingegangen wird. Schüler lernen besser mit einer unterstützenden, motivierenden, herausfordernden Umgebung Lernen effektiver wenn Talente und individuelle Kompetenzen berücksichtigt werden. Empfehlungen der Hirnforschung • Lernen soll Freude machen • Kinder früh und vielseitig fördern • Unterricht an der Lebenswelt der Schüler orientieren, Alltagsbezug herstellen • Lernende sollen Probleme selbständig lösen und experimentieren • Lehrpraxis nach den Vorgängen im Gehirn ausrichten • Lehrer haben Vorbildfunktion und sollen von ihren Fächern begeistert sein • Kürzere, aber häufigere Übungszeiten und –formen • geeignete Variationen in Wiederholungen und Übungen Resultate der Hirnforschung • Jedes Gehirn ist Unikat, daher unterschiedliche Wahrnehmung gleicher Unterrichtsstunde mit gleichem Dozenten • Enorme Leistungsfähigkeit des kindlichen Gehirns kaum zu überfordern, aber Gefahr der Demotivation (langweiliges Pauken, ständige Misserfolge, destruktive und inkonsequente Kritik, Strafen, Demütigung) • Wissen kann nicht übertragen, sondern nur im Gehirn des Lernenden erzeugt werden. • Wissensaneignung beruht auf Rahmenbedingungen und wird durch Faktoren gesteuert, die unbewusst ablaufen und schwer beeinflussbar sind. Kritik an der Neurodidaktik Kritisiert werden häufig nicht die Folgerungen, sondern Standpunkt der Neurodidaktiker • neurodidaktische Methoden und Konzepte lassen sich nicht aus den Studien und Forschungserkenntnissen ableiten • untersuchte Lernprozesse zu artifiziell und schulfern • Methodisch ausdifferenzierte Tradition der empirischen Unterrichtsforschung der bessere Weg • Methoden und Konzepte im Kern nicht neu. Formulieren Methodenrepertoire der allgemeinen Didaktik nur mit neuen Begriffen • Hirnforschung lediglich in speziellen Bereichen der Diagnostik von praktischem Nutzen • Oft als Marketing-Label verwendet, um eigener didaktischer Position durch Verweis auf eine aktuell hoch angesehene Naturwissenschaft mehr Aufmerksamkeit und Autorität zu verschaffen. Kooperation der Erziehungswissenschaft mit der Neurodidaktik • Untersuchung neurophysiologischer Korrelate von Lern- und Verhaltenstörungen, z.B. bei: Leseschwäche Sprachentwicklungsstörungen Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) • Pädagogisch-psychologische Diagnostik kann der Blick ins Gehirn allerdings nicht ersetzen Literaturverzeichnis • • • • • • • • Arnold, M. (2002): Aspekte einer modernen Neurodidaktik. Emotionen und Kognitionen im Lernprozess. München: Ernst Vögel Verlag Becker, N. & Roth, G. (2004): Hirnforschung und Didaktik. Ein Blick auf aktuelle Rezeptionsperspektiven. In: Erwachsenenbildung, 50, H. 3, S. 106–110. Becker, N. (2006a): Rezensionsaufsatz zu: Friedrich, Gerhard (2005): Allgemeine Didaktik und Neurodidaktik. Eine Untersuchung zur Bedeutung von Theorien und Konzepten des Lernens, besonders neurobiologischer, für die allgemeindidaktische Theoriebildung. Peter Lang. Frankfurt am Main. In: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 20, H. 1–2/2006. S. 125–130. Becker, N. (2006b): Die neurowissenschaftliche Herausforderung der Pädagogik. Bad Heilbrunn/Obb.: Verlagsbuchhandlung Julius Klinkhardt. Blakemore, Sarah-Jayne & Frith, Uta (2006): Wie wir lernen. Was die Hirnforschung darüber weiß. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2006. Friedrich, G. (2005): Allgemeine Didaktik und Neurodidaktik. Eine Untersuchung zur Bedeutung von Theorien und Konzepten des Lernens, besonders neurobiologischer, für die allgemeindidaktische Theoriebildung. Frankfurt am Main: Peter Lang. Herrmann, U. (Hrsg.) (2006): Neurodidaktik – Grundlagen und Vorschläge für gehirngerechtes Lehren und Lernen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 215–228. Müller, T. (2005): Pädagogische Implikationen der Hirnforschung. Neurowissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Diskussion in der Erziehungswissenschaft. Berlin: Logos Verlag (2. Auflage 2009). • • • Schumacher, Ralph: Hirnforschung und schulisches Lernen, in: Herrmann, U. (Hrsg.) (2006): Neurodidaktik – Grundlagen und Vorschläge für gehirngerechtes Lehren und Lernen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 124-133 Spitzer, M. (2003a): Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Korr. Nachdr. Heidelberg, Berlin: Spektrum, Akad. Verl. Stern, Elsbeth: Wie viel Gehirn braucht die Schule", in: Herrmann, U. (Hrsg.) (2006): Neurodidaktik – Grundlagen und Vorschläge für gehirngerechtes Lehren und Lernen. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, S. 116-133. Weblinks: • Bilanzierung der Diskussion. Deutsches Jugendinstitut (10/2006). Thema des • • • Monats: Veränderung und Kontinuität im Lebenslauf. Blick von Außen I. Becker, N. (2007): Neuromodisch lernen. In: WOZ – Die Wochenzeitung, Ausgabe vom 24. Mai 2007, Seite 23. Online unter: http://www.woz.ch/artikel/2007/nr21/wissen/14986.html Paulus, J. (2003): Lernrezepte aus dem Hirnlabor. Mithilfe der Neurobiologie wollen Wissenschaftler die Pädagogik revolutionieren. Die Beweise für ihre Thesen sind dürftig. DIE ZEIT 11. September 2003 Nr.38 Spitzer, M. (2003b): Medizin für die Pädagogik. Warum wir es uns gar nicht leisten können, das Lernen nicht wissenschaftlich zu untersuchen. Eine Antwort auf Jochen Paulus’ Angriff gegen die „Neurodidaktik“. DIE ZEIT 18. September 2003 Nr.39