6| Samstagsgespräch Wirtschaftregional | 2. Mai 2015 Bilder: Elma Korac «‹Burn-out› als medizinische Diagnose gibt es nicht» Klinik Schwerst depressiven Patienten, die über den nötigen Versicherungsstatus oder ausreichend Kleingeld verfügen, stehen ab Ende 2017 die Türen auf Gaflei offen. Dort verwirklicht das Arzt-Ehepaar Risch eine exklusive Klinik für Stressfolgeerkrankungen auf höchstem therapeutischen Niveau. MIT MICHAELA UND MARC RISCH SPRACH KIRSTIN DESCHLER «Eine gewisse Anpassungsleistung kann man dem Patienten schon abverlangen.» Wie entstand die Idee, eine Klinik für Stressfolgeerkrankungen in Liechtenstein zu initiieren? Marc Risch: Michaela und ich haben uns am Seziertisch während des Medizinstudiums in Innsbruck kennengelernt. Uns war relativ früh klar, dass wir uns irgendwann im Gesundheitswesen selbstständig machen wollen. Im Zuge unserer Tätigkeiten ist immer deutlicher geworden, dass eine grosse Unterversorgung an qualitativ hochstehender stationärer Therapieangebote für depressiv Erkrankte herrscht. Derzeit werden Menschen, die schwer depressiv erkrankt sind, in der psychiatrischen Grundversorgung unter vielen anderen Störungsbildern mitbehandelt. Es gibt noch keine Tradition wie in anderen medizinischen Bereichen, wo eine Spezialisierung gefördert wird. Die Psychiatrie ist ein grosses Gebiet, in dem ganz viele unterschiedliche Störungen behandelt werden. Das grösste Erkrankungsgebiet ist die Depression und für uns war es einfach nicht einsichtig, warum man für depressives Kranksein keine hochspezifische therapeutisch-stationäre Behandlungsmöglichkeit hat. Wenn ich heute einen schwer depressiven Patienten habe, muss er sechs bis acht Wochen auf einen stationären Behandlungsplatz warten. Ihr Klinikkonzept ist hier ganz anders ausgerichtet, auf wen zielt es ab? Marc Risch: Die Klinik wird sich als Nischenanbieter medizinisch auf affektive Erkrankungen und reaktive Störungen spezialisieren. Das heisst, es werden schwerst symptombelastete Klienten aufgenommen, die von Beginn an eine intensive Behandlung brauchen und für die ausschliesslich eine stationäre Behandlung ihrer Krankheit infrage kommt. Unser Hauptklientel wird wohl hauptsächlich aus urbanen Ballungszentren kommen. Wenn man sich die Schätzungen der WHO ansieht, dann wird einerseits deutlich, dass bis 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern leben werden. Und andererseits bereits 2030 das Spektrum der affektiven Störungen, zu denen vor allem Depression und somit auch schwere Stressfolgeerkrankungen zählen, die häufigsten Krankheiten darstellen werden. Allein in der Schweiz sind diese Erkrankungen in den letzten 10 Jahren um 27 Prozent gestiegen, jährlich sind 70 000 Menschen betroffen. Warum haben Sie sich für den Standort Gaflei entschieden? Michaela Risch: Wir sind überzeugt, dass das Rheintal der perfekte Standort ist. Es ist leicht erreichbar und verfügt über Demnach kann man davon ausgehen, alle klassischen Charakteristika, über dass ein grosser Bedarf vorhanden ist? die ein optimaler Ort im GesundheitsMichaela Risch: Definitiv. Im Zuge der wesen generell verfügen sollte, beiErstellung des Businessplans haben wir spielsweise überproportional viele Sonauch eine Bedarfsanalyse in Deutsch- nenstunden, die gute Luft, die Natur land, Österreich und der Schweiz durch- und vieles mehr. Zudem ist die Krankgeführt und es hat sich gezeigt, dass die heit Depression nach wie vor stigmatiLage überall ähnlich ist. In Österreich siert, weil sie nicht sichtbar ist, wie zum und Deutschland muss man sogar bis zu Beispiel ein Beinbruch. Hier bietet einem Jahr auf einen stationären Thera- Liechtenstein genug Privatsphäre und pieplatz warten. Hinzu kommt, dass Exklusivität für ein nachhaltiges Gesunden. Ein weiterer VorAkut-Patienten in der «Wenn wir beide Psyteil des Standorts ist Regel auf eine Allgemeinstation und dort in chiater wären, wären wir seine geringe Distanz Mehrbettzimmer gelegt nicht mehr verheiratet.» zu Grundversorgern und Spezialisten in der werden. Für uns ist es äusserst fragwürdig, depressive Patien- Umgebung, die jeweils innerhalb von ten in Ermangelung von genug Betten in höchstens einer halben Stunde erreichMehrbettzimmer unterzubringen. Ver- bar sind, sollte eine Verlegung oder treten wird dies unter dem Begriff «Mi- Akutversorgung nötig sein. Eigentlich lieu-Therapie», so ganz nach dem Motto: müsste man das Rheintal sehr viel mehr «Das Rheintal ist für uns schon ein Sechser im Lotto, aber Gaflei ist wie ein Sechser mit Zusatzzahl.» Marc Risch, Initiant Klinik für Stressfolgeerkrankungen für solche Angebote nutzen, unabhängig, für welches Fachgebiet. Und hinzu kommt, dass wir, als wir vor 15 Jahren das erste Mal dort oben zusammen spazieren gegangen sind sofort gesagt haben, dass man dort etwas machen müsste. Insofern war Gaflei immer schon unser Traum-Standort. Das ist also ein Herz-Kopf-und-Bauch-Entscheid. Marc Risch: Das Rheintal ist für uns schon ein Sechser im Lotto, aber Gaflei ist wie ein Sechser mit Zusatzzahl. Der alpine Charakter war Ihnen von Anfang an sehr wichtig und wurde so auch seit Projektbeginn als zentrales Element des Gesamtkonzepts kommuniziert. Was verbirgt sich genau dahinter? Michaela Risch: Ja, das stimmt. Die Ernährung und die Architektur des Gebäudes sind sehr wichtige Bestandteile unseres ganzheitlichen Therapieansatzes. Ein wichtiges Merkmal der Klinik ist ihr alpiner Charakter, der sich sowohl in der Lage, als auch im lokal inspirierten Speisenangebot sowie dem Gebäude niederschlägt. Wir haben auf Grundlage unserer Vorstellungen einen Architekturwettbewerb ausgeschrieben, indem diese Erwartungen erfüllt sein müssen. Es ist uns wichtig, dass sich die Klinik unter Einbezug lokaler Baumaterialien harmonisch in das gegebene landschaftliche Umfeld integriert und so als Ausgangspunkt für vor allem auch körperbezogene Therapieformen im Aussenbereich der Klinik wirkt. Stichwort Konkurrenz: Auch anderen Unternehmern ist die Einzigartigkeit des Rheintals bewusst ... Marc Risch: Die Versorgungsknappheit ist derart gross, dass unser Angebot ein Tropfen auf den heissen Stein bedeutet, gemessen am Potenzial von Privatversicherten und Selbstzahlern. Für unser Projekt sind Marktbegleiter wichtig denn das Spektrum der Krankheiten ist riesig. Zudem zeig es uns, dass wir das Potential richtig erkannt haben und auf dem richtigen Weg sind. Sie haben bisher von Depressionen gesprochen, Ihr Projekt aber «Klinik für Stressfolgeerkrankungen» genannt. Gibt es hier einen Unterschied? Michaela Risch: Wir haben uns für diesen Begriff entschieden, weil es die tatsächliche medizinische Diagnose präzise wiedergibt. Depression ist eine Form von Stressfolgeerkrankungen. «Burn-out» als medizinische Diagnose gibt es nicht. Wir sprechen von Depressionen und die entstehen meist in der Folge von Stress. Dieser Stress kann vielfältige Ursachen haben, sei es nun psychisch oder auch physisch – meist beides. Daher ist es für uns auch zentral, einen Brückenschlag zwischen Körpermedizin und psychotherapeutischer Medizin anzubieten. Marc Risch: Arbeit und Tätigsein ist für uns grundsätzlich positiv konnotiert und Stress ist aus unserer Perspektive nicht prinzipiell als negativ zu bewer- STECKBRIEF Name: Michaela Risch Funktion: Initiantin Klinik Gaflei Jahrgang: 1976 Karriere: Michaela Risch studierte Humanmedizin in Innsbruck und absolvierte später die Fachhochschule in den Bereichen Management und angewandte Informatik mit Vertiefung Solutions in Health and Care. Zudem hat sie einen MAS Business Excellence der Hochschule Luzern. Seit sieben Jahren ist sie Leiterin Zentralstelle Qualität bei den St. Gallischen Psychiatrie-Diensten Süd. Seit drei Jahren ist sie Stiftungsrätin am Liechtensteinischen Landesspital. Name: Marc Risch Funktion: Initiant Klinik Gaflei Jahrgang: 1975 Karriere: Marc Risch studierte Humanmedizin in Zürich und Innsbruck und schloss mit einem Doktorat ab. Seit 2012 führt der Psychiater seine eigene Praxis in Schaan. Er war zuvor ein Jahr am Institut für Rechtsmedizin in Basel tätig und fünf Jahre im Bereich Diagnostik und Therapie bei den St. Gallischen Psychiatrie-Diensten Süd. Er ist Vizepräsident des Stiftungsrates in der Stiftung Liechtensteinische Alters- und Krankenhilfe LAK sowie Stiftungsrat der Stiftung für Krisenintervention. Privates: Das Ehepaar Risch hat zwei Kinder und wohnt in Vaduz. Das Unternehmen: In Gaflei entsteht eine Privatklinik, die auf die stationäre Behandlung von Stressfolgeerkrankungen mit Fokus auf Privatversicherte sowie Selbstzahler spezialisiert ist. Bis zu 250 Patienten jährlich können in der Klinik mit 42 Einzelzimmern behandelt werden. ten. Stress versetzt uns überhaupt erst in die Lage, Wünsche zu haben, Perspektiven zu entwickeln, den Antrieb aufzubringen zu Planen und Dinge umzusetzen also Leistung zu erbringen. Problematisch wird es dann, wenn dieser Stress nicht mehr adäquat reguliert werden kann. Die Folgen sind dabei immer individuell zu verstehen und zu bewerten. Wir pflegen einen ganzheitlichen Zugang zu unseren Klienten, denen wir mit unserem therapeutischen Gesamtkonzept möglichst in einem überschaubaren Zeitraum zu einer Rückkehr in ihr gewohntes Umfeld verhelfen wollen. Die Behandlung dauert zwischen 8 und 12 Wochen. Wir nehmen jedoch keine Patienten auf, die ▲ Das Ehepaar Risch baut in der Sonderzone Gaflei eine exklusive Klinik für Stressfolgeerkrankungen auf. |7 eine Selbst- oder Fremdgefährdung aufweisen und/oder eine Abhängigkeitserkrankung haben. Um eine optimale Behandlung zu gewährleisten, benötigen wir Personal, das mit schweren Störungsbildern und auch mit schweren menschlichen Schicksalen umgehen kann. Wir werden keine medizinische Wellness auf Gaflei betreiben. Wer wird die Patienten behandeln? Michaela Risch: Wir werden mit Psychologen, Psychotherapeuten, Somatikern/ Internisten und Spezialbehandlern zusammenarbeiten und auch das unterscheidet uns von den Grundversorgern in der Region. Marc Risch: Uns ist es ein Anliegen in engem und aktivem Austausch mit den jeweiligen Vor- und Nachbehandlern zu stehen. Aus unserer Erfahrung heraus ist das ein entscheidender Erfolgsfaktor. Oftmals fehlt dieser Informationsfluss.. Wir hingegen zielen darauf ab, gemeinsam mit dem ambulant behandelnden Arzt das therapeutische Prozedere vor Eintritt und vor Austritt festzulegen. Wir verstehen uns als offenes Haus, das fachlich die Leitplanken setzt, unter Einbezug der bestehenden Erfahrungen der jeweils behandelnden Ärzte. Information ist die halbe Miete und Zeitverlust das Schlimmste, das Patienten passieren kann. Bei uns wird es keinen StationsAlltag geben. Wir werden aus diesem Grund auch auf Pflegepersonal verzichten, brauchen aber hochqualifiziertes und belastbares Hotelleriepersonal. Rekrutieren Sie bereits Personal? Michaela Risch: Das ist noch spannend. Seit wir mit dem Projekt an die Öffentlichkeit gegangen sind, bekommen wir aktiv Bewerbungen für den Hotellerieund Therapiebetrieb. Zurzeit können wir die Bewerber leider nur auf Mitte 2017 vertrösten. Wir machen uns keine Sorgen, höchstqualifiziertes Personal zu bekommen. Wir haben uns aber geschworen keine Kompromisse bei Personalfragen einzugehen. Die grosse Herausforderung wird es sein, das Team zusammenzustellen, mit dem wir starten und die neuen Teammitglieder optimal zu integrieren, damit diese ihre Fachkompetenz optimal und ohne Reibungsverluste für die Gesundung unserer Patienten einsetzen können. Die noch viel grössere Herausforderung ist es dann aber, die Philosophie konsequent durchzuziehen. Marc Risch: Wir werden mit Therapeuten zusammenarbeiten, die über eine grosse klinisch-therapeutische Erfahrung verfügen und die die grosse PsychotherapieAusbildung genossen haben. Deswegen haben wir uns auch entschieden, keine Ausbildungsklinik zu sein. Wir sind aber sicher, dass wir als Arbeitgeber durch die Spezialisierung auf den Bereich Depression vor allem auch für therapeutisches Personal sehr attraktiv sein werden. Bei der Klinik handelt es sich um ein 28Millionen-Projekt das höchsten Ansprüchen und Anforderungen genügen muss. Wie stemmen Sie das? Marc Risch: Wir sind uns unserer Stärken und unserer Schwächen bewusst und haben uns daher von Anfang an Experten ins Boot geholt. Unsere Stärke ist sicher die Kombination unser beider Qualifikationen und Erfahrungen. Wir arbeiten seit mittlerweile 15 Jahren zusammen und das klappt hervorragend. Aber ganz ehrlich, wenn wir beide Psychiater wären, wären wir nicht mehr verheiratet. Wann ist Baubeginn und wann soll die Klinik in Betrieb genommen werden? Michaela Risch: Der Spatenstich wird im Frühjahr 2016 sein, die Eröffnung ist für Herbst 2017 geplant. Derzeit sind wir mit der Detailplanung, primär der Innenarchitektur beschäftigt, die für uns ganz wichtig ist, da sie die nötige Atmosphäre schaffen wird. Ich kann den Spatenstich kaum erwarten, von mir aus könnten wir schon morgen mit dem Bau beginnen. Marc Risch: Der Bedarf ist tatsächlich jetzt schon vorhanden und sehr gross, aber es dauert seine Zeit, bis all die nötigen Bewilligungen durch sind und die Planungsphase abgeschlossen ist. Allerdings gibt uns diese Zeit auch die nötige Ruhe für die Planung der Details. Denn die machen es am Ende aus. Ein aktueller wichtiger Schritt war die offizielle Gründung der Betriebsgesellschaft Clinicum Alpinum AG letzten Montag.