Differenzierter Einsatz von Medikamenten erforderlich

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DEMENZEN
Differenzierter Einsatz von
Medikamenten erforderlich
In der aktualisierten S3-Leitlinie zur Diagnostik, Behandlung und Prävention
von Demenzen spielen neben der pharmakologischen Therapie die psychosozialen
Interventionen eine wesentliche Rolle.
ie aktualisierte S3-Leitlinie zur Diagnostik,
Behandlung und Prävention von Demenzen
der DGPPN und DGN ist im Januar vorgestellt worden. Sie bezieht sich auf die Alzheimerkrankheit, die
gemischte und vaskuläre Demenz sowie die frontotemporalen Demenzen, die Lewykörperchen-Demenz und die Demenz bei M. Parkinson.
Entsprechend der S3-Vorgaben wurde die Leitlinie
von insgesamt 25 Organisationen und Fachgesellschaften konsentiert. Zusätzlich wurde ein Kapitel
der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin
(DEGAM) eingefügt.
Im Einklang mit der ersten Auflage (2010) wird
gefordert, dass allen Patienten mit einer Demenz eine
frühe Diagnostik inklusive ätiologischer Ursachenklärung zusteht und angeboten werden soll. Die
diagnostischen Maßnahmen und möglichen Konsequenzen hieraus für eine Therapie erfordern vorherige Aufklärung des Betroffenen und gegebenenfalls
der Angehörigen. Hierbei ist auf das Vorliegen der
Einwilligungsfähigkeit des Patienten zu achten, und
falls erforderlich, sind Maßnahmen zu ergreifen, um
eine rechtlich verbindliche Vertretungssituation zu
schaffen. Die kann durch die Prüfung des Vorliegens
einer Vollmacht erfolgen oder durch die Einrichtung
einer gesetzlichen Betreuung für Gesundheitsfürsorge. Als Ergänzung zu der ersten Auflage der Leitlinie
wird in der aktualisierten Version die notwendige Berücksichtigung einer Patientenverfügung betont.
D
Diagnostik
In dem diagnostischen Prozess soll zunächst eine
syndromale Diagnostik der Demenz basierend auf
klinischer Untersuchung und Anamnese erfolgen.
Die syndromale Demenzdiagnose soll immer auch
die Bestimmung des Schweregrades enthalten
(leicht, mittelgradig, schwer). Hierzu soll neben der
klinischen Bewertung ein neuropsychologischer
Kurztest (zum Beispiel Mini-Mental-Status-Test)
eingesetzt werden. Im nächsten Schritt erfolgt die
ätiologische Zuordnung des Demenzsyndroms.
Bei jedem Patienten sollen Blut-Laboruntersuchungen und eine zerebrale bildgebende Untersuchung (CCT, MRT) durchgeführt werden, um potenziell reversible Ursachen des Demenzsyndroms zu
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identifizieren. Beispiele sind Schilddrüsenfunktionsstörungen, neuroinflammatorische Erkrankungen
oder intrakranielle Raumforderungen.
Im dritten Schritt des diagnostischen Prozesses erfolgt die ätiologische Differenzierung primärer Demenzerkrankungen. Hierzu sind die symptomatische
Ausprägung und der klinische Verlauf informativ.
Das kognitive Beeinträchtigungsmuster kann mit
Hilfe ausführlicher neuropsychologischer Testungen
differenziert dargestellt werden. Die zu untersuchenden kognitiven Domänen umfassen Gedächtnisfunktionen, Orientierung, Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit, exekutive Funktionen, Sprache und
visuell-räumliche Funktionen.
Zur Untersuchung der sozialen Kognition, die als
eine Hauptdomäne bei kognitiven Erkrankungen im
DSM V benannt ist, liegen noch keine ausreichend
evaluierten Testverfahren vor.
Therapie
Eine wesentliche Neuerung der Leitlinie besteht in
der Aufwertung der psychosozialen Intervention
im Rahmen der Behandlung der Demenz. Die kognitive Stimulation mit Aktivierung von Altgedächtnisinhalten, die insbesondere im häuslichen Umfeld
durchgeführte Ergotherapie und die körperliche
Aktivierung werden alle in der Behandlung von Patienten mit Demenz empfohlen. Im Vergleich zu der
ersten Auflage der Leitlinie liegen für diese drei Verfahren neue, deutlich aussagekräftigere Studien vor,
die entsprechende Empfehlungen rechtfertigen.
Isoliertes Training von bestimmten kognitiven
Funktionen zeigt sich hingegen kaum wirksam und
wird als alleiniger Therapieansatz nicht empfohlen.
Die zugelassenen und empfohlenen Antidementiva für die leichte bis mittelschwere Alzheimerdemenz
sind die Acetylcholinesterasehemmer (Donepezil,
Rivastigmin, Galantamin) und für die mittelschwere bis schwere Alzheimerdemenz das Memantin. In
der aktuellen Version der S3-Leitlinie ist die Aussage
zur Langzeitbehandlung mit Antidementiva konkretisiert worden. Das Absetzen von Donepezil bei bereits behandelten, mittelschwer erkrankten Patienten
mit Alzheimerdemenz führte in einer randomisierten
Studie zu einer signifikanten Verschlechterung im
Vergleich zur Weiterbehandlung mit Donepezil oder
zur Umstellung auf Memantin. Daraus folgt, daß die
Langzeitbehandlung auch bei Patienten, die sich
verschlechtern, einen klinischen Effekt hat und
empfohlen wird.
Neben den Antidementiva kann eine Behandlung
mit dem Ginkgo Biloba Extrakt EGb 761 durchgeführt werden. In neueren Studien zeigte sich bei Patienten mit Alzheimerdemenz, gemischter Demenz oder vaskulärer Demenz, bei denen nicht-psychotische Verhaltenssymptome wie zum
Beispiel Depressivität oder Apathie
vorlagen, eine Überlegenheit im Vergleich zu einer Placebobehandlung.
Die Behandlung mit Antipsychotika
sollte nur in nicht anders zu beherrschenden Situationen mit psychotischem oder aggressiv-agitiertem Verhalten und nach Ausschöpfung aller
nicht-pharmakologischer Maßnahmen
wie Kommunikations- und Milieumodifikationen erwogen werden. Zugelassen bei der Alzheimerdemenz ist
hierfür Risperidon in niedriger Dosierung. In einer neueren Absetzstudie
wurde die Wirksamkeit von Risperidon bestätigt. Patienten mit oben genannten Symptomen, die unter Behandlung mit Risperidon eine Verbesserung zeigten, hatten nach Absetzen
ein erhöhtes Risiko, erneut diese
Symptome zu entwickeln, im Vergleich zu Patienten, die weiter RisperiFoto: Fotolia freshidea
Zusätzlich stehen eine Reihe apparativer Verfahren zur ätiologischen Differenzierung von Demenzerkrankungen zur Verfügung.
Von zentraler Bedeutung für die Feststellung einer
Alzheimererkrankung als Ursache einer Demenz
sind Liquor-Biomarker:
● Eine erniedrigte Konzentration von Aβ42 sowie
des Quotienten Aß42/Aß40 weisen auf zerebrale
Amyloid-Pathologie hin.
● Eine erhöhte Konzentration des Tau-Proteins beziehungsweise des phosphorylierten Tau-Proteins
korreliert mit neuronalem Zelluntergang.
Seit kurzer Zeit ist in Deutschland auch die Amyloid-Bildgebung mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zugelassen. Diese aussagekräftigen
Marker für die Alzheimer-Pathologie können in differenzialdiagnostisch unklaren Konstellationen oder
auch im Rahmen der Frühdiagnostik von Demenzen
zur Anwendung kommen. Neben diesen molekularen
Markern sind Atrophie- und vaskuläre Läsionsmuster
in der MRT und das Hypometabolismusmuster in der
Glukose-PET (FDG-PET) differenzialdiagnostisch
informativ und können eingesetzt werden. Eine Reduktion der Dopamintransporter-Dichte, dargestellt
durch FP-CIT-SPECT, ist ein diagnostisches Merkmal der Parkinson- und Lewykörperchen-Demenz.
In der jüngeren Zeit angebotene automatisierte Vermessungen des Hippokampus als alleinige Diagnostik der Alzheimerkrankheit wird nicht empfohlen.
Alle diagnostischen Verfahren müssen immer im
Gesamtkontext des Patienten bewertet werden.
Blutbasierte Biomarker zur Frühdiagnostik für die
Alzheimerdemenz sind derzeit nicht verfügbar.
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don erhielten. Allerdings blieben auch viele Patienten nach Absetzen symptomfrei.
Antipsychotika erhöhen die Mortalität und das Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse bei Demenz.
Sie können daher nur unter strenger Indikationsstellung verordnet werden und es sind nach wenigen
Wochen Behandlung regelmäßige Absetzversuche
durchzuführen. Antipsychotische Effekte wurden neben Risperidon auch für Aripiprazol bei der Alzheimerdemenz berichtet, nicht aber für Quetiapin.
Für Quetiapin wurde nur eine Wirksamkeit auf
agitiertes Verhalten bei Demenz gezeigt.
Olanzapin und Haloperiol werden aufgrund des
Nebenwirkungsprofils in der Behandlung von Patienten mit Demenz nicht empfohlen.
Bei der Lewykörperchen-Demenz und der Parkinsondemenz soll der Einsatz von Antipsychotika gänzlich vermieden werden. Wirksamkeitsnachweise für
die Behandlung von Halluzinationen bei diesen Patienten liegen für Rivastigmin vor. Falls keine andere
therapeutischen Optionen bestehen, soll Clozapin
oder Quetiapin eingesetzt werden.
Die Wirksamkeit von Antidepressiva ist bei Patienten mit Demenz wahrscheinlich geringer als bei
Patienten mit Depression ohne Demenz. Trotzdem
kann bei dem Vorliegen einer Depression ein Behandlungsversuch mit einem Antidepressivum ohne anticholinerge Nebenwirkungen durchgeführt werden.
Früherkennung und Prävention
Das Kapitel zur leichten kognitiven Störung als Prodromalsymptom der Alzheimerdemenz wurde spezifischer ausgearbeitet. Basierend auf großen Biomarkerbasierten Früherkennungsstudien können inzwischen Risikoschätzungen für Patienten mit leichter kognitiver Störung in Bezug auf die Entwicklung einer Alzheimerdemenz abgegeben werden. Die
Leitlinienkommission kam zu dem Schluss, dass,
IMPRESSUM
Perspektiven der Neurologie 1/2016
in Verbindung mit dem Deutschen Ärzteblatt
Chefredakteur: Egbert Maibach-Nagel
(verantwortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der
gesetzlichen Bestimmungen), Köln
Stellvertretender Chefredakteur: Michael Schmedt
Verantwortlich für die Reihe Perspektiven:
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
Deutsches Ärzteblatt, Ottostraße 12, 50859 Köln
Assistenz: Angelika Falk-Stiller;
E-Mail: [email protected]
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falls Patienten mit einer leichten kognitiven Störung
eine entsprechende prädiktive biomarker-basierte
(liquor oder PET) Diagnostik wünschen, diese auch
angeboten werden kann. Von zentraler Bedeutung ist,
dass die Aufklärung hierüber, die Durchführung, die
Interpretation und die Befundmitteilung von Experten für diese Fragestellung durchgeführt werden, damit dem aktuellen Stand des Wissen angemessene
Aussagen für den individuellen Patienten getroffen
werden können.
Eine Anwendung von prädiktiven Liquormarkern
oder PET bei beschwerdefreien Personen ohne kognitive Störungen zur Risikoschätzung oder Krankheitsvorhersage wird aktuell noch nicht empfohlen.
Die Empfehlungen zur Prävention von Demenz
beziehen sich auf die Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren durch eine suffiziente Behandlung von
Hypertonie und Diabetes Mellitus sowie Lebensstilempfehlungen wie körperliche Bewegung, kognitive und soziale Aktivität und ausgewogene mediterran orientierte Ernährung.
Die revidierte S3-Leitlinie zur Diagnostik und
Therapie von Demenzen wird hoffentlich dazu beitragen, den therapeutischen Nihilismus bei De▄
menzerkrankungen zu überwinden.
DOI: 10.3238/PersNeuro.2016.04.15.02
Prof. Dr. med. Frank Jessen
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Uniklinik Köln,
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Bonn
Prof. Dr. med. Richard Dodel
Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Giessen und Marburg
Prof. Dr. med. Günther Deuschl
Klinik für Neurologie, UKSH, Campus Kiel
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Universitätsklinikum Bonn
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