Kann man den Tinnitus mit Medikamenten behandeln? Hörstörung Ich (w, 62) habe seit Monaten im rechten Ohr ein dauerndes Pfeifgeräusch. mein Ohrenarzt diagnostizierte einen Tinnitus. Kann dies mit Medikamenten, eventuell mit Homöopathie, behandelt werden? M. K. in O. Kurzantwort: Ein chronischer Tinnitus kann weder mit Medikamenten noch mit homöopathischen Mitteln weggebracht werden. Helfen kann einzig, das Gehirn zu «schulen», den Tinnitus «wegzufiltern». Stille ist dabei zu meiden, denn der Tinnitus wird in der Stille am meisten wahrgenommen. Dr. med. Monica Conrad-Rüedi, Facharzt für HNO-Krankheiten, spez. Hals- und Gesichtschirurgie, Belegärztin Hirslanden Klinik St. Anna Luzern In Fachkreisen ist man sich einig, dass bei einem chronischen Tinnitus weder Medikamente noch homöopathische Mittel helfen. Dies hängt mit der Entstehung des Tinnitus zusammen: Im Innenohr hat es innere (eigentliche Sinneszellen) und äussere Haarzellen (Verstärkerzellen). Diese haben auch ohne ankommende Geräusche eine Spontanaktivität. Ein bestimmtes Muster von Spontanaktivität wird vom Gehirn als Stille interpretiert. Wenn nun Haarzellen durch Lärm, Entzündungen, Alterungsprozess usw. geschädigt werden, so verändert sich das Muster. Lernt das Hirn nicht, das neue Muster wieder als Stille zu interpretieren, wird die neue Spontanaktivität als Ton oder Geräusch wahrgenommen – man spricht von Tinnitus. Weil unser Gehirn eine grosse Formbarkeit und Lernfähigkeit hat, kann es lernen, den Tinnitus wieder wegzufiltern. Daher ist es möglich, dass der Betroffene im Lauf der Behandlung seinen Tinnitus beeinflussen und reduzieren kann. Stille und Lärm meiden! Das ist in jedem Fall eine wichtige Massnahme. Der Tinnitus wird in der Stille am meisten wahrgenommen, und man konzentriert sich immer mehr darauf. Externe Geräuschquellen (Zimmerbrunnen, Radio, tragbares Audiogerät etc.) helfen, vom Tinnitus abzulenken. Man darf dem Tinnitus nicht «zuhören». Vor Lärm und Stille schützen Nach Lärm wird der Tinnitus oft lauter. Deshalb muss das Gehör vor Lärm (aber nicht vor Alltagsgeräuschen) geschützt werden, wenn möglich mit geeigneten Hörschutzpfropfen, das heisst entweder durch individuell angepasste Otoplastiken oder spezielle Pfropfen für Musiker, die man im Musikfachhandel oder bei der Suva erwerben kann. Als Therapie hat sich seit längerer Zeit das TinnitusRetraining-Programm durchgesetzt, das folgende Elemente beinhaltet: - Das Counseling: ausführliche Erklärungen bezüglich Physiologie des Hörens und Entstehung des Tinnitus mit Aufzeigen von ersten Verhaltensmassnahmen durch den HNO-Arzt. - Psychologisches Tinnitus-Retraining- Programm: Setzt sich zusammen aus Information, Analyse situativer Faktoren von Zunahme/Abnahme der Belästigung durch den Tinnitus, Übungen zur Umlenkung der Aufmerksamkeit, Verbesserung der Bewältigungs-strategien, Üben von verschiedenen Entspannungsverfahren, Selbsthypnosetechniken und Übungen zum Stressmanagement. - Besteht eine relevante Hörstörung, so kann ein Hörgerät angepasst werden. 70 Prozent der Menschen mit Tinnitus hören nach Anpassen eines Hörgeräts ihren Tinnitus deutlich leiser oder gar nicht mehr. Ohne Hörverminderung kann ein sogenannter Noiser eingesetzt werden. Dieser ist einem kleinen Hörgerät ähnlich und wird täglich 6 bis 8 Stunden in der Ohrmuschel getragen. Er gibt ein Rauschen ab, das gerade noch etwas leiser ist als der Tinnitus. Dadurch wird die akustische Hintergrundaktivität erhöht und die subjektive Wahrnehmung des Tinnitus reduziert. Störgeräusche ausblenden Ziel der Behandlung ist die Gewöhnung (Habituation), das heisst ein Ausblenden des Tinnitus aus der Wahrnehmung. Es ist nicht möglich, den Tinnitus einfach zum Verschwinden zu bringen, man kann nicht aktiv vergessen. Man kann aber lernen, seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken, sodass der Tinnitus in den Hintergrund rückt, an Bedeutung verliert und somit nicht mehr stört. (Mehr Infos unter: www.tinnitus-luzern.ch) Dr. med. Monica Conrad-Rüedi Quelle: Neue Luzerner Zeitung 27. Januar 2014