Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie

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Fallbuch
Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie
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von
Harald Genzwürker, Jochen Hinkelbein
2., aktualisierte Auflage
Thieme 2007
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 13 139312 8
Zu Inhaltsverzeichnis
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
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Infektion mit MRSA/ORSA
67.1 An welche Erreger mçssen Sie bei langzeitbehandelten intensivmedizinischen Patienten mit therapierefraktåren Infektionen
denken?
Hochresistente oder multiresistente Hospitalkeime:
J MRSA (Methicillinresistenter Staphylococcus
aureus) bzw. ORSA (Oxacillinresistenter Staphylococcus aureus)
J VRE (Vancomycinresistente Enterokokken)
J PRSP (Penicillinresistente Ståmme von Streptococcus pneumoniae)
J MR-KNS (multiresistente Koagulase-negative
Staphylokokken)
J VISA (Vancomycin intermediår resistenter
Staphylokokkus aureus)
J VRSA (Vancomycin resistenter Staphylokokkus aureus).
67.2 Mçssen Sie noch weitere Untersuchungen vornehmen?
J Bakteriologische Abstriche (Erregernachweis/
-identifikation, Antibiogramm):
± Mund, Nase, Rachen
± Leiste, Nabel, Perineum, Genitalregion
± Wundgebiete
J Blutkulturen (mæglichst im Fieberanstieg)
J Urin- und Stuhlkulturen
67.3 Welche Maûnahmen mçssen Sie nun auf
Ihrer Intensivstation durchfçhren?
J Isolation des Patienten im Einzelzimmer; ggf.
Kohortenisolierung mehrerer betroffener Patienten
J Lokale Sanierung der Besiedelung (Mupirocin
[z. B. Turixin-Nasensalbe], Mundpflege, ggf.
Hautwaschungen mit Hautdesinfektionsmittel [z. B. Octenisept])
J Rçcksprache mit Mikrobiologie- und Hygieneabteilung des Krankenhauses (Schutzmaûnahmen, Hygienevorschriften, gehåuftes Auftreten/Endemie?)
J Bakteriologische Abstriche (Mund, Nase, Rachen, Leiste, Nabel, Perineum, Genitalregion,
Wunden) bei Nachbarpatienten zum Ausschluss einer Infektion/Besiedelung mit MRSA
J Hygienemaûnahmen des Pflegepersonals/der
Ørzte beim Kontakt mit dem betroffenem
Patienten: Tragen von Schutzkleidung
(mæglichst ¹Einmalartikelª: Kopfhaube,
Mundschutz, Kittel, Handschuhe; s. Abb.);
Håndehygiene mit alkoholischen Desinfektionsmitteln vor und nach Patientenkontakt
zur Vermeidung einer Keimverschleppung
(sollte immer erfolgen!)
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Fall
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Pflegepersonal mit Schutzkleidung beim direkten
Patientenkontakt
67.4 Welche Antibiotika wåhlen Sie jetzt zur
Therapie?
J Reservesubstanzen fçr schwere Infektionen:
± Kombination von Vancomycin oder Teicoplanin (z. B. Targocid) mit Rifampicin oder
Fosfomycin (z. B. Infectofos)
± Linzeolid (z. B. Zyvoxid)
± Quinupristin + Dalfopristin (z. B. Synercid)
J Dosisanpassung gemåû Serumspiegel (enger
Kontakt mit Mikrobiologen)
Kommentar
Nosokomiale Infektionen: Nosokomiale Infektionen sind Infektionen, die von Patienten im
Krankenhaus erworben wurden. Sie haben in
den letzten 20 Jahren u. a. aufgrund der Zunahme abwehrgeschwåchter Patienten und dem
Auftreten von Antibiotikaresistenzen stark an
Bedeutung gewonnen.
Erreger und Resistenzen: Staphylokokken sind
beim Menschen ubiquitåre Keime der Haut soÜ Fall 67 Seite 67
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Fall
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wie der Schleimhåute des Nasen-Rachen-Raumes. Die græûte Virulenz besitzt das Bakterium
Staphylococcus aureus. Bei der Entdeckung des
ersten gegen Staphylokokken wirksamen Antibiotikums durch Alexander Fleming im Jahr
1928 waren noch alle Staphylokokken-Ståmme
Penicillin-sensibel. Bereits im Jahr 1944 wurden erste Ståmme mit einer Penicillinresistenz
beobachtet. Diese Penicillinresistenz wird
durch ein Plasmid vermittelt, welches ein bLaktamring-spaltendes Enzym kodiert und somit Penicillin unwirksam macht. Multiresistente Erreger mit Resistenzen gegen fast alle gebråuchlichen Antibiotika werden in steigendem
Ausmaû als Auslæser nosokomialer Infektionen
beobachtet. Einen besonderen Stellenwert besitzen hierbei Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA), die erstmals 1961 gefunden
wurden. Sie sind meist gegen alle b-Laktamantibiotika resistent geworden. Weiterhin treten
regelhaft Resistenzmechanismen gegen Oxacilllin, Ciprofloxycin, Erythromycin, Clindamycin und Gentamycin auf. Gegençber Vancomycin, Teicoplanin, Quinupristin, Dalfopristin
und Linezolid sind diese Bakterienarten meist
noch sensibel. Als multiresistente Bakterienarten werden Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) bzw. Oxacillin-resistente
Staphylococcus
aureus
(ORSA),
Vancomycinresistente Enterokokken (VRE),
multiresistente Koagulase-negative Staphylokokken (MR-KNS), Penicillin-resistente Pneumokokken (PRSP), Vancomycin intermediår resistenter Staphylokokkus aureus (VISA) und
Vancomycin resistenter Staphylokokkus aureus
(VRSA) zusammengefasst.
Epidemiologie: Die Inzidenz von MRSA-Infektionen steigt seit Anfang der 1990 er-Jahre stetig an. In Deutschland wird von einer Inzidenz
von 3,7 % bis 20,7 % bei allen stationår behandelten Patienten ausgegangen. Patienten auf
Intensivstationen haben ein 5- bis 10fach erhæhtes Risiko gegençber Patienten auf Normalstationen an einer nosokomialen Infektion
zu erkranken. Als Ursache fçr die Resistenzentwicklung kommen mehrere Faktoren in Betracht: schwere (Vor-)Erkrankungen der Intensivpatienten (z. B. chronische Lungenerkrankungen, Immunsuppression, Kachexie), eine
steigende Anzahl von invasiven diagnostischen
und therapeutischen Maûnahmen, ein intensiver Kontakt zwischen Personal und Patient auf-
grund aufwåndiger Pflegemaûnahmen oder
Personalmangels, Vernachlåssigung hygienischer Maûnahmen sowie unsachgerechte Breitspektrum-Antibiotikatherapie bei banalen Infektionen.
Klinik: Die håufigsten Infektionen durch multiresistente Staphylokokken sind Wund-, Katheter-, Harnwegsinfektionen und Pneumonien.
Diagnostik: Regelmåûige Abstriche (z. B. 2-mal
pro Woche) von Hauptbesiedlungsorten (Oround Nasopharynx, Stirn-Haar-Grenze, Axilla,
Leiste, Genitalregion, Nabel, Wundegebiete
[z. B. OP-Wunden, Hautlåsionen]) sowie die Gewinnung von Trachealsekret sollten erfolgen
und mikrobiologisch untersucht werden. Die
laborchemischen Entzçndungsparameter kænnen bei einer systemischen Infektion mit multiresistenten Keimen erhæht sein; bei einer reinen Besiedelung, z. B. der Haut oder einer Wunde, sind die Entzçndungsparameter meist
unauffållig.
Therapie: Der Nachweis von multiresistenten
Keimen aus dem Sekret einer Wunde, aus
dem Trachealsekret oder von der (Schleim-)
Haut bei einem Patienten ist nicht gleichbedeutend mit einer behandlungspflichtigen Infektion. Generell muss zwischen einer reinen
Kolonisation und einer Infektion differenziert
werden. Eine Kolonisation fçhrt nicht zu Infektionszeichen und nicht zu Komplikationen, so
dass sie nur in Ausnahmefållen einer antibiotischen Therapie bedarf; eine lokale antibakterielle Behandlung (z. B. Turixin-Nasensalbe bei
Besiedlung des Nasen-Rachenraums, Waschungen mit Octenisept) reicht meist aus. Erst beim
Vorliegen von relevanten systemischen Infektionszeichen (Fieber, Anstieg der Entzçndungsparameter [Linksverschiebung im Differenzialblutbild, Leukozytose, CRP, Procalcitonin]) ist
eine systemische Antibiotikatherapie erforderlich. Zur Therapie von Infektionen mit resistenten Erregern stehen nur wenige wirksame Antibiotika zur Verfçgung, die daher nur bei gegebener Indikation zum Einsatz kommen sollten
(¹Reserveantibiotikaª). Bei der systemischen
Infektion mit multiresistenten Staphylokokken
wird bislang die Gabe von Vancomycin (Glykopeptidantibiotikum) empfohlen. Der Wirkungsmechanismus beruht auf einer Hemmung des Zellwandaufbaus gram-positiver
Ü Fall 67 Seite 67
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Bakterien. Aufgrund der nephro- und ototoxischen Nebenwirkungen sind regelmåûige laborchemische Kontrollen des Serum-Talspiegels und ggf. eine Dosisanpassung erforderlich.
Allerdings sind mittlerweile auch Vancomycinresistente Keime identifiziert worden. Hier bietet sich als wichtige Alternative das Glykopeptid Teicoplanin an. Das Antibiotikum Linezolid
ist der erste Vertreter der neuen Antibiotikaklasse Oxazolidinone. Es handelt sich um einen
synthetisch hergestellten antimikrobiellen
Wirkstoff, der sich in seinem Wirkmechanismus von allen anderen derzeit erhåltlichen Antibiotika unterscheidet (frçhe Blockierung der
Proteinbiosynthese zur Bildung der Bakterienzellwand). Aus diesem Grund bestehen keine
Kreuzresistenzen mit anderen Antibiotika. Vorteile sollen hohe Gewebespiegel bei gleichzeitiger guter Nieren- und Lebervertråglichkeit
sein. Linezolid wirkt bisher gegen alle klinisch
relevanten Gram-positiven Bakterien einschlieûlich ihrer multiresistenten Ståmme, sowie gegen einige Gram-negative und anaerobe
Spezies. Im direkten Vergleich mit Vancomycin
konnten bei durch MRSA verursachten nosokomialen Pneumonien signifikant hæhere Heilungsraten erreicht werden.
Zur Lokaltherapie bei der Besiedelung des
Nasen-Rachen-Raumes durch MRSA ist die tågliche Applikation von Mupirocin (z. B. TurixinSalbe) zu empfehlen.
Hygienemaûnahmen: Im Krankenhaus kommt
den so genannten Kreuzinfektionen ± der Ûbertragung von Erregern çber die Hånde des Personals von einem Patienten zu einem anderen ±
eine besondere Bedeutung zu. Die entscheidenden Maûnahmen zur Kontrolle und Pråvention
von MRSA-Infektionen umfassen daher neben
der frçhzeitigen Erkennung einer Infektion
(Abstriche), der Verifizierung der Infektion (Antibiogramm) und der regelmåûigen Flåchende-
sinfektion im Behandlungszimmer in erster Linie die Einhaltung allgemeiner Hygienemaûnahmen im Krankenhaus (konsequente
Håndedesinfektion; Tragen von Schutzkleidung, Schçrze, Einmalhandschuhen, Mundschutz, Kopfhaube, Plastikçberschuhen, s. Antwort zur Frage 67.3). Ein Zimmer mit MRSAbesiedelten Patienten sollte immer entsprechend gekennzeichnet werden. Auch Angehærige mçssen informiert und instruiert werden,
um einer Verbreitung der Erreger vorzubeugen.
Beim Bekanntwerden einer Infektion mit multiresistenten Erregern muss die mikrobiologische Abteilung und der Hygienebeauftragte des
Krankenhauses informiert werden. Eine Infektion mit MRSA bedeutet derzeit weitreichende
und kostenintensive Isolationsmaûnahmen,
damit sich die Erreger im Krankenhaus nicht
weiter verbreiten. Die Isolationsmaûnahmen
dçrfen erst beendet werden, wenn mindestens
3 negative Abstriche aller besiedelten Kærperregionen im Abstand von jeweils 48 Stunden
vorliegen, ohne dass ein Antibiotikum appliziert wurde.
Verlegung: Bei der Verlegung von MRSA-besiedelten Patienten sind spezielle Maûnahmen zu
ergreifen. Bei hausinternen Verlegungen ist die
Station zu informieren, bei Verlegungen in ein
anderes Krankenhaus muss neben der Zielklinik auch der Rettungsdienst im Vorfeld von der
Besiedelung oder Infektion unterrichtet werden. In den Patientenunterlagen und im Arztbrief ist der MRSA-Befund deutlich zu kennzeichnen.
ZUSATZTHEMEN FÛR LERNGRUPPEN
J Meldepflicht bei infektiæsen Erkrankungen
J Isolationsmaûnahmen bei infektiæsen
Erkrankungen
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