Alzheimer Demenz: Früherkennung und Risikofaktoren

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Alzheimer Demenz:
Früherkennung und
Risikofaktoren
Integra, Wels
21.9.2006
Jungwirth Susanne
Ludwig Boltzmann Institut für Altersforschung, Wien
Alois Alzheimer
• dt. Psychiater und Neuropathologe
• 1888: Assistenzarzt bei Franz Nissl
(“Stadtischen Anstalt für Irre und
Epileptische” in Frankfurt am Main)
• November 1901: Begegnung mit
Auguste D.
1864-1915
Auguste D.
Erstes Protokoll von A. Alzheimer:
“Wie heißen Sie?”
“Auguste”.
“Familienname?”
“Auguste.”
“Wie heißt Ihr Mann?”
Auguste D. zögert – schließlich:
“Ich glaube…Auguste”
1906
Alois Alzheimer
Æ 9. April 1906: Tod von Auguste D.
Æ Alois Alzheimer sezierte das Gehirn und fand einen "eigenartigen
Krankheitsprozess": beträchtliche Teile der Hirnrinde, die Gedächtnis,
Orientierung und das Gefühlsleben ermöglichen, waren stark verändert.
Er fand Eiweißablagerungen, verfilzte Faserbündel, tote
Nervenzellen - nur einige Fortsätze der Nervenzellen hatten den Verfall
überdauert.
Æ1906 veröffentlichte Alzheimer seine vorbildlich zu nennende Fallstudie
"Eine eigenartige Krankheit der Hirnrinde". Sie wurde archiviert und
vergessen (wenig Reputation).
Æ Sein Lehrer E. Kraepelin hat diese bis dahin unbenannte Erkrankung
nach ihm benannt: “Morbus Alzheimer”.
Veränderungen im Gehirn
Bildung und Ablagerung abnorm veränderter Eiweißbruchstücke
• In der Nervenzelle: Neurofibrillenbündel Æ Zellen werden
instabil und sterben ab;
• außerhalb der Nervenzelle: senile Plaques Æ Versorgung ist
gestört und die Zellen gehen zugrunde
Forschreitender Verlust von Nervenzellen
• Früher Nervenzelluntergänge im Meynert-Basalkern Æ
erhebliche Verminderung des Botenstoffes Acetylcholin
• Störung der Informationsverarbeitung und des Gedächtnisses
• Das Gehirn schrumpft um 20%
www.diapat.de
Was ist „Alzheimer Demenz“?
¾ Gedächtnisbeeinträchtigung und
• Störung der Sprache oder
• beeinträchtigte Fähigkeit Bewegungsfolgen
auszuführen oder
• Unfähigkeit, Gegenstände wiederzuerkennen oder
• beeinträchtigtes Planen und Organisieren
¾ wesentliche Beeinträchtigung des täglichen Lebens
¾ schleichender Beginn
¾ Klarheit des Bewußtseins
¾ nicht verursacht durch andere psychiatrische Krankheit (nach DSM IV)
Schweregrade der
Alzheimer Demenz
¾ LEICHT:
die Fähigkeit mit entsprechender körperlicher
Hygiene und erhaltenem Urteilsvermögen
unabhängig zu leben ist erhalten
¾ MÄSSIG:
die selbständige Lebensführung ist erschwert
und ein gewisses Maß an Pflege ist erforderlich
¾ SCHWER: kontinuierliche Pflege ist erforderlich
(nach DSM III-R, 1987)
Diagnose der Alzheimer Demenz
Obligatorisch sind:
- Anamnese
- Medikamente
- Neurologische Untersuchung
- Psychiatrische Untersuchung
- Internistische Untersuchung
- Neuropsychologische Testung
- Laboruntersuchung (Blutbild, Elektrolyte, Nieren- Leber- und
Schilddrüsenfunktionsparameter, Blutzucker, VITB12/Folsäure
- Bildgebende Verfahren (CT, besser MRT)
Die Diagnose der Alzheimer Demenz ist eine AusschlussDiagnose – eine definitive Diagnose kann erst nach dem Tod
durchgeführt werden!
Neuropsychologische Untersuchung
• Gedächtnis: Kurzzeitgedächtnis;
• Sprache: Benennen, Wortfindungsstörungen, Nachsprechen;
• Apraxie: Gebrauch von Objekten, Handlungsabläufe;
• Agnosie: Erkennen von Gegenständen;
• Exekutivfunktionen: abstraktes Denken, Planen, Initiieren
von Handlungen, geteilte Aufmerksamkeit;
Gedächtnistest
Fuld Object Memory Test
Erkennen Benennen
Namen
1.
Abfrage
Traurig
2.
Abfrage
Glücklich
3.
Abfrage
Länder
4.
Abfrage
Namen
5.
Abfrage
60 s
60 s
30 s
60 s
30 s
60 s
30 s
60 s
30 s
60 s
Ball
Flasche
Knopf
Karte
Tasse
Schlüssel
Kamm
Nagel
Ring
Schere
Summe:
|__|__|
|__|__|
|__|__|
|__|__|
|__|__|
Benennen
Geteilte
Aufmerksamkeit
Bildgebende Verfahren
Einsatz sinnvoll um:
• raumfordernde Prozesse festzustellen (Tumor)
• frühe Stadien zu erfassen,
• den Schweregrad zu beurteilen oder
• zwischen gefäßbedingter- und Alzheimer-Demenz zu
unterscheiden
Computertomographie / Magnetresonanzuntersuchung
- dreidimensionale Darstellung des Aufbau des Gehirns
(z.B. Schrumpfungen bestimmter Hirnbereiche);
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und die SinglePhoton-Emissions-Computertomographie (SPECT)
- geben Aufschluss über die Funktion des Gehirns;
FDG-PET zur
Demenzdiagnostik
Die PET-Untersuchung gibt Aufschluss über die Funktion des
Gehirns.
Es wird der Stoffwechsel von Sauerstoff und Zucker gemessen.
Æ Keine Routinediagnostik
Früherkennung, weil dadurch…
• sekundäre Demenzformen geheilt werden können, z.B.
Demenzen, die durch Depression, Medikamente,
Schilddrüsenerkrankungen oder Vitamin-Unterversorgung
bedingt sind.
• frühzeitig therapeutische Möglichkeiten in Anspruch
genommen werden können, die Alltagskompetenz länger
erhalten bleibt und die Lebensqualität verbessert werden
kann.
• mehr Zeit vorhanden ist, um für die Zukunft zu planen.
• enorme Versorgungskosten eingespart werden können.
Jede Alzheimer Demenz beginnt
mit Gedächtnisstörungen
ABER:
Nicht jede Gedächtnisstörung
alter Menschen ist eine
beginnende Alzheimer Demenz
Differentialdiagnose:
Alzheimer Demenz /
Depression
Depressive Episode (DSM-IV)
1. Depressive Verstimmung
2. Freudlosigkeit/
Interesselosigkeit
3. Gewichtsabnahme
4. Schlaflosigkeit
5. Apathie oder Agitiertheit
6. Antriebsmangel
7. Schuldgefühle oder Gefühle
der Wertlosigkeit
8. Konzentrationsstörung od.
Entscheidungsschwäche
9. Todesgedanken, Suizidvorstellungen, SMV
„major depression“:
5-9 Symptome
„minor depression“:
2-4 Symptome
„subsyndromal depression“:
2-7 Symptome
1. oder 2. für major
depression und minor
depression obligat, bei
„subsyndromal depression“
fehlend
Überlappung der Symptome von
Depression und Demenz
•Amnesie
•Verstimmung
•Suizidgedanken
•Angst
•Schuldgefühle
•Selbstentwertung
•Schlafstörung
•Schwankungen
•Energielosigkeit
•Antriebslosigkeit
•Interessenverlust
•Müdigkeit
•Appetitlosigkeit
•Gewichtsverlust
•Agitiertheit
•Verlangsamung
•Vergeßlichkeit
•Libidoverlust
•Unkonzentriert
•andere kognitive
Störungen
•Urteilsunfähigkeit
•Desorientiertheit
•Apraxie
•Aphasia
•Agnosie
Depressive Pseudodemenz
• Depression ist mit oder ohne begleitender
Demenz gut behandelbar
• Kognitive Symptome bei Depression dürfen
nicht von der konsequenten Behandlung der
Depression abhalten
• Die Demenzabklärung kann oft besser nach
der antidepressiven Therapie erfolgen
Behandlung der Alzheimer Demenz
Zur Zeit gibt es keine medikamentöse Therapie, die eine
Heilung der Krankheit möglich macht!
ABER:
• frühzeitige medikamentöse Therapie
(Acetylcholinesterasehemmer) stabilisiert!
• nichtmedikamentöse Interventionen:
– kognitives Training
– spezif. Psychotherapeutische Verfahren
– Musiktherapie
– Kunsttherapie
– Tierunterstützte Therapie
– Angehörigenberatung….
Bedeutung der Prävention
• Verminderung des menschlichen Leids
• Sozioökonomische Bedeutung
Demographische Veränderungen
in Österreich
Anstieg der Lebenserwartung:
– Anfang des 19. Jht.: ø 35 Jahre
– 1998: ø Männer: 74,6 Jahre, ø Frauen: 80,9 Jahre
Anteil der Menschen über 60 Jahre:
– 1923: erstmals über 10%
– bis 1970: 20%
– bis 2035: 35-38% (Statistisches Zentralamt)
Epidemiologie der Alzheimer Demenz
Die Häufigkeit der Alzheimer Demenz nimmt mit steigendem Alter exponentiell
zu und verdoppelt sich ungefähr im 5-Jahresabstand (Jorm et al. 1987).
Punkt-Prävalenz-Raten
alle Demenzen
Alzheimer Demenz
M
W
M
W
Alter
%
%
%
%
65-70
1,6
1,0
0,6
0,7
70-75
2,9
3,1
1,5
2,3
75-80
5,6
6,0
1,8
4,3
80-85
11,0
12,6
6,3
8,4
85-90
12,8
20,2
8,8
14,2
90+
22,1
30,8
17,6
23,6
Wancata, 2002; W=Raten für Frauen, M=Raten für Männer
Blick in die Zukunft
(Österreich)
• 2000: ≈ 57.100 Alzheimer Demenzen
• 2000: jährliche Neuerkrankungen: ≈ 12.900
• 2050: ≈ 147.400 Alzheimer Demenzen
• 2050: jährliche Neuerkrankungen: ≈ 34.100
Æ hohe Priorität, die der Prävention und Früherkennung
dieser Erkrankung zukommt!
Æ Krankheitsbeginn um 6 Monate verzögern: Verringerung
des menschlichen Leids und positive Konsequenzen für
Versorgungskosten!
Gesicherte Risikofaktoren der
Alzheimer Demenz
• Alter
• Positive Familienanamnese
• Down Syndrom (Trisomie 21)
Mögliche Risikofaktoren der
Alzheimer Demenz I
• Schädel-Hirn Trauma
• Epilepsie
• Vaskuläre Schädigung des
Gehirns
• LDL-Cholesterin Ç
• HDL-CholesterinÈ
• Diabetes mellitus
• Vorhofflimmern
• Bluthochdruck
• Homocystein Ç
• Parkinson‘s disease
• Schilddrüsenunterfunktion
• Mangelernährung
• Genetische
Polymorphismen
(Genvariation):
– APO-E ε4
......
Mögliche Risikofaktoren der
Alzheimer Demenz II
Psychosoziale Faktoren:
–
–
–
–
–
–
–
Depression
niedere Intelligenz
niedere Bildung
Analphabetismus
Schwerhörigkeit
geistige Inaktivität
körperliche Inaktivität
–
–
–
–
–
–
niedere soziale Klasse
hohe Geschwisteranzahl
dominante/r EhepartnerIn
schwaches Selbstwertgefühl
weibliches Geschlecht ?
.....
Empfehlungen zur Demenzprävention
(retrospektiver Beobachtungsstudien)
“Modifikation des Lebensstils”
• körperliche Aktivität
• geistige Aktivität ohne Leistungsdruck (Neugier)
• soziale Interaktionen (emotionale Aktivität)
• diätere Empfehlungen: Gemüse (Blattgemüse), Obst,
Fischmahlzeiten 2x pro Woche oder öfter;
• Prävention der vaskulären Risikofaktoren (Bluthochdruck,
Tabakrauchen, Diabetes mellitus...)
Vienna-Transdanube-Aging
VITA - Studie
eine prospektive, bevölkerungsbezogene,
interdisziplinäre, gerontologische
Kohortenstudie
Ludwig Boltzmann Institut für Altersforschung
Leiter: Prof. Dr. K.H. TRAGL
Studienkoordinator: Prof. DDr. P. FISCHER
Hauptziel der VITA-Studie...
...ist die Suche nach Prädiktoren der
senilen Alzheimer Demenz.
Prädiktoren können jeweils
Frühsymptome oder
echte Risikofaktoren
der Alzheimer Demenz sein.
LBI für Altersforschung, Wien
Population der VITA-Studie ...
... sind alle österreichischen Einwohner des
21. und 22. Wiener Gemeindebezirks, deren
Geburtstag zwischen dem
01. Mai 1925 und 05. Juni 1926
(N=1920) liegt.
Untersuchungsdesign der VITA-Studie
Längsschnitt-Design
Wer von den mit 75 Jährigen untersuchten
Probanden später an Alzheimer Demenz erkrankt,
wurde
nach 30 Monaten,
und wird derzeit
nach 60 Monaten
erhoben.
Aus den Befunden bei der Erstuntersuchung
werden die Prädiktoren (Frühsymptome und
Risikofaktoren) der Demenzentwicklung errechnet.
Studienverlauf
Phase
Beginn
Ende
Basisuntersuchung
Mai 2000
Nov. 2002
1. Nachuntersuchung
Nov. 2002
Mai 2005
2. Nachuntersuchung
Mai 2005
Nov. 2007
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
2008
Basisuntersuchung
Proband D0056
1. Nachuntersuchung
Proband D0056
2. Nachuntersuchung
Untersuchungen im Rahmen der VITA
• Blutabnahme (Blutchemie, Hormonstatus, Genetik)
• Anamnese (Krankheiten, Medikamente, psychosoziale- u.
körperliche Aktivitäten, Bildung, Beruf, Familienstand, Wohnen,
Ernährung, Life-events, Alkohol, Nikotin....)
• Fremdanamnese (ADL, IADL, CDR, Angehörigenfragebogen
zum Gedächtnis nach Jorm)
• neuropsychologische Untersuchung (CERAD Batterie + ......)
• psychiatrische Untersuchung (Demenzskalen, Persönlichkeit,
Depression, Angst....)
• neurologische Untersuchung (Status, Parkinsonskala)
• Bildgebende Verfahren (kraniale Magnetresonanztomographie)
Körperliche Aktivitäten
90
78
71
75
63
61
48
43
42
29 31
mit 65 Jahren
0
21
128
0 1 1
Jo
gg
en
W
an
de
rn
Ta
Fa
nz
hr
en
ra
d
fa
hr
en
te
na
rb
ei
t
na
st
ik
G
ar
G
ym
ie
r
en
41
7
mit 75 Jahren
43
34
37
25
7
32
Te
nn
Sc
is
hw
im
m
en
36
30 33
68
G
ol
f
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Sp
az
Prozent
N=487
mit 78 Jahren
Psychosoziale Aktivitäten
N=498 (Stunden/Woche)
30
26,8
25
Prozent
20
15
21,8
20,8
17,9
18,6
18,6
16,4
13,9
13,4
9,6 10,4
10
11,2
5
0
< 6h
6-10h
11-15h
mit 75 Jahren
16-20h
21-25h
mit 78 Jahren
>25h
Depressionen unterschiedlicher Schwere
in der VITA-Studie
1. Nachuntersuchung n=488
(78 Jahre)
Basis n=606
(75 Jahre)
7%
n=44
9%
n=55
6% n=3
78%
n=473
9%
n=46
19%
n=93
4
57%
n=276
major depression
subsyndromale Depression
15%
n=73
minor depression
nicht depressiv
VITA: Basisuntersuchung n=606
(75jährig)
(Ausschluss: n=1 wegen Schizophrenie)
3,3%:
dement
n=20
n=585
96,5%:
nicht dement
VITA: keine Demenz mit 75 Jahren
n=585
8%:
amnestic-MCI
16%
nonamnestic-MCI
n=48
n=93
1%: blind
nicht klassifiziert
n=440
75%:
kognitiv gesund
VITA: Demenz bei der 1. Nachuntersuchung
von 479 Probanden: n=92
mögl. AD
wahrsch. AD
reine AD: 57
reine AD: 13
n=18
+ VD:
n=7
+ VD: n=3
+ DLB
n=2
+ DLB:
n=7
n=72
+ VD+DLB:
n=1
n=2
reine VD
VITA: Risikofaktoren der
Alzheimer Demenz
Depressive Erkrankung in der Vorgeschichte (j/n)
niederer Folsäure-Spiegel
chron. Einnahme von Antirheumatika (Schutz)
APOE ε4 allele (j/n)
niedere Bildung
Zusammenfassung I
Früherkennung:
• Stabilisierung durch medikamentöse Therapie
• Unterstützung durch nicht-medikamentöse
Therapie
• mögliche Reduktion der Versorgungskosten
Zusammenfassung II
• Körperlich, geistig und sozial aktiv bleiben!
• Depressionen behandeln!
• Prävention vaskulärer Risikofaktoren!
• Vitaminreiche Ernährung!
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