Alzheimer Demenz: Ursache, Diagnose und Behandlung Prof. Dr. phil Helmut Hildebrandt Klinikum Bremen-Ost, Neurologie Universität Oldenburg, Psychologie Morbus Alzheimer im folgenden AD = Alzheimer Demenz • Häufigste Demenzursache • Insbes. Frauen betroffen • Meist nach 65.LJ, selten (5%) auch vor 65.LJ als genetische Variante • Schleichender Verlauf, kontinuierliche Progression • Trias : Gedächtnisstörung, Wortfindung und visuell- räumliche Störung • Oft begleitet von Angst, Unruhe, Schlafstörung, später auch Wahn, z.T. auch Aggressivität • Im Verlauf Epilepsie, Lähmungen und Kontrakturen, -2- Nichterkennen von Angehörigen, kompletter Sprachverlust, Inkontinenz Neuropathologische Kennzeichen der AD: Plaques und neurofibrilläre Tangles Cortex eines 71-jährigen Patienten mit AD. Plaques ( ), Tangles ( ), dystrophen Neuriten ( ) Glia ( ) Gehirn bei einem 89-Jährigen ohne Demenz. -3- Guillozet et al. 1997 Fig. 1. Lower level of oxidative damage in neurons adjacent to diffuse Abeta deposition - 4 -Published by AAAS A. Nunomura et al., Sci. Aging Knowl. Environ. 2006, pe10 (2006) -5- -6- Im Tiermodell induziert β- und γ-Sekretase die Phosphorilisierung von Tau und damit auf Dauer den Zelluntergang -7- • • • -8- Deposition of Aß reaches a „ceiling“ early in the disease NFT formation, Synaptic loss, gliosis continue (Ingelson et al., 2004, Neurology) -9- Neuropsychologie bei AD • Primär Störung des episodischen und nicht des semantischen Gedächtnisses, dann später auch andere kognitive Funktionen involviert. • Kontextunabhängiges Speichern dargebotener Information (Eichenbaum: „relational memory“, paired associate learning) • Sensitiver verzögerter freier Abruf • Sensitiver Primacy Effekt • Novelty detection • Intrusionsfehler Autobiographisches Gedächtnis in Demenzen unterschiedlicher Ätiologie Alzheimer (episod. Ged.) Progression in einzelnen Funktionsbereichen Brain (2003) n = 55 Sensitivität und Spezifizität von neuropsychologischen Tests zur Trennung von AD (n=60) und gesunden Personen. C. A. DE JAGER,1 E. HOGERVORST, M. COMBRINCK, M. M. BUDGE: Psychological Medicine, 2003, 33, 1039–1050. HVLT: Kurzform CVLT Placing: Visual Memory Kontextabhängigkeit bei AD Standardisierte False Recognitions The fate of memory errors in Alzheimer‘s Disease from 1982 to 2008 • Tröster et al., 1989: „Thus it would appear prudent to use intrusion errors clinically only in conjunction with other deficits associated with DAT (rapid forgetting, dysnomia)“ • Gainotti et al., 1994; 1998: „…a conservative attitude clearly pointed to a depressive pseudodementia, whereas a liberal attitude pointed to AD“. Intrusionsfehler der Gedächtnisleistung (früh und spät) Alzheimer Erkrankte zeigen herausragendes und spezifisches Gedächtnisdefizit! Rekognition semantisch ähnlicher Items Naming Rekognition unbezogener Items - 19 - Auslassungen und Fehler beim Wiedererkennen Verhaltensauffälligkeiten bei der Alzheimer Demenz (AD) 1 • • • • Bis zu 80% der AD-Patienten sind davon betroffen 2 Häufige Ursache für eine Heimeinweisung 3 Mit Krankenhauseinweisungen verbunden Führen beim Patient und bei der Bezugsperson zu einem deutlichen Leidensdruck2 • Werden mit beträchtlichen finanziellen Kosten in Verbindung gebracht4 • Zusammenhang zwischen Verhaltensstörungen und Beeinträchtigungen bei Alltagsaktivitäten (ADL)5 1Jost & Grossberg, 1996; 2Magai et al. 1995; 3Zubenko et al. 1992 4Beeri et al. 2002; 5Mortimer et al. 1992 8 6 Leicht = MMSE-Scores 21–30 (n=17) Mäßíg = MMSE-Scores 11–20 (n=20) Schwer = MMSE-Scores 0–10 (n=13) L † 4 * 2 * ei zb ar ke it m G ot es Ve oris tör rh ch te al e s te s n un g R ie m m th En th e Ap a An g st Eu ph or ie 0 W st ah el n l H al ung vor lu en zi na tio ne n Ag iti er th ei D t ys ph or ie Mittlere zusammengesetzte NPI-10-Subscores Verhaltensstörungen bei verschiedenen Stadien der AD †Signifikant verschieden von allen Gruppen (p<0.01) *Signifikant verschieden von der Gruppe mit leichter AD (p<0.05) Signifikant verschieden von der Gruppe mit leichter AD (p<0.01) L Mega et al. 1996 MRT und AD • MRT nach wie vor eine Methode zum Ausschluss von behandelbaren Formen von Demenzen, wird bis dato nicht akzeptiert als reliables Untersuchungsinstrument zur Sicherstellung der Diagnose. • Neuere Technologie führt aber dazu, dass MRT im wachsenden Maß auch die Diagnosestellung bei neurodegenerativen Erkrankungen mit beeinflusst. MRT und Alzheimer Demenz Laakso et al., 2000, Biological Psychiatry Structural MRI Gedächtnisleistung und hippokampale Atrophie bei AD Volumetrie: Bei Einbeziehung entorhinalem Cortex Steigerung auf bis zu 90 % Diskrimination. Maximale Höhe der Hippokampusformation in mm nach Gedächtnisleistung 14,50 mediobasal li. mediobasal re. 14,00 mm 13,50 13,00 12,50 12,00 unauffällig auffällig Fehler unauffällig auffällig Verpasser Klinische Relevanz von Biomarkern • Ein auffälliger Biomarker plus differentielles neuropsychologisches Ergebnis reicht nach den neuen internationalen Kriterien zur Diagnose einer wahrscheinlichen bzw. möglichen (präklinischen) Erkrankung, ohne dass bereits das Stadium einer Demenz erreicht wird (Arch.Neurology, 2012). • Probleme bei Destruktionsmarkern im Liquor: – geringe Sensitivität bei hoher Spezifität (je nach Cut-off) – Keine Aussage über Verlauf (Arch.Gen.Psychiat. 2011) • Probleme bei der Bildgebung: wenig differenzialdiagnostische Power in der Frühphase der Demenzen und in der Unterscheidung zwischen verschiedenen ätiologischen Varianten. Liquormarker der Alzheimer Demenz - 29 - Nachweis im Liquor Korrelation der Liquormarker mit Kognition • Marker der AD sind reduzierte Konzentration von BetaAmyloid und erhöhte Konzentration von Tau-Proteine im Liquor. Zumindest erhöhtes Gesamt Tau ist aber unspezifisch, erhöhtes Phosphor-Tau spezifischer • Liquormarker korrelieren in den meisten Untersuchungen nicht mit Alter und MMSE Wert bzw. anderen neuropsychologischen Parametern, wenn der Zustand einer Demenz erreicht ist (was zu einem gewissen Maße erstaunlich ist). • Beim MCI gibt es klarere Hinweise für die Korrelation der Liquormarker mit neuropsychologischen Ergebnissen Tau und Beta Amyloid nach Gedächtnisleistung bei F00-F03 Diagnose 700 Total Tau Beta Amyloid pg per ml 600 500 400 300 unauffällig auffällig Fehler - 32 - unauffällig auffällig Verpasser Testverfahren bei AD (60-90 Minuten) • • • • • • • • • CERAD-NP (Morris et al., 1988) Durchführen? Zahlenspanne (WMS) vorwärts und rückwärts Phonologische Wortflüssigkeit Komplexes Sprachverstehen nach Rey Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest Becks Depressionsinventar IADL, Neuropsychiatric Inventory Durchführen? [Experimentelles Verfahren zum Wiedererkennen] [Prüfung von Lese-, Rechtschreib- und Rechnenleistung] Fallvorstellung 77jähriger ehemaliger leitender Angestellter eine Molkerei ohne subjektive Beschwerden. Frau bemerke zunehmende Vergesslichkeit und Passivität. Klinisch: Wortfindungsstörung, Verlangsamung, Perseverationen Tau: 276.0 (unauff.) Beta-Amyloid 412 (niedrig) Testresultate Wert Max- z 1 Verbale Flüssigkeit 4 - -2,91 2 Boston Naming Test 6 15 -4,11 3 Mini-Mental Status 9 30 -7,92 4 Wortliste Gedächtnis 8 30 -3,08 5 Wortliste Abrufen 0 10 -2,97 6 Wortliste - Intrusionen 3 - -1,64 7 Savings Wortliste (%) 0% 100% -2,75 8 Diskriminabilität (%) 60% 100% -3,59 9 Konstruktive Praxis 7 11 -2,62 10 Konstruktive Praxis Abrufen 0 11 -3,09 11 Savings Konstruktive Praxis (%) 0% 100% -3,12 Melloh… Melloh… Fragen zur Alzheimer Demenz • Welches sind die zentralen Funktionsdefizite, welche am Anfang der AD stehen und wie lassen sie sich methodisch untersuchen? • Wie müsste ein spezifischer CVLT Befund für einen Patienten mit leichter AD aussehen? • Welche kognitiven und nicht kognitiven Bereiche sind im Verlauf betroffen? • Womit korreliert dieses Funktionsdefizit neuroanatomisch und neuropathologisch? Pharmakologische Behandlung • Acetylcholinesterasehemmer (Donepezil bzw. Aricept; Rivastigmin bzw. Exelon; Galantamin bzw. Reminyl) • Glutamat-Antagonisten: (Memantine bzw. Ebixa oder Axura) Pharmakologische Behandlung des demenziellen Syndroms der AD Memantine: NMDA-Antagonisten reduzieren Glutamat-Aktivität (Blockade des Glutamat-Rezeptors) und Verminderung Einstrom von Kalzium Memantine Es gibt keinen Beleg für einen Nutzen der MemantinTherapie. Dies gilt für Patienten mit mittelschwerer und schwerer Alzheimer Demenz. Für die Aktivitäten des täglichen Lebens und die kognitive Leistungsfähigkeit zeigten sich zwar Effekte. Aufgrund ihrer geringen Ausprägung ist ihre Relevanz jedoch fraglich. Memantin-Therapie zeigt im Vergleich zu Placebo kein erhöhtes Schadenpotenzial. Studien zum direkten Vergleich von Memantin mit anderen medikamentösen und nichtmedikamentösen Behandlungsoptionen liegen nicht vor. - 40 - Nach: IQWIG Report A05-19C Acetylcholinesteraseinhibitoren - 41 - nach: IQWIG Report A05-19A Acetylcholinesterase-Inhibitoren - 42 - Donepezil, Galantamin und Rivastigmin haben bei leichtem bis mittlerem Schweregrades einen Nutzen bezüglich der kognitiven Leistungsfähigkeit. Für alle drei Substanzen gibt es Hinweise auf einen Nutzen im Hinblick auf Aktivitäten des täglichen Lebens. Für Galantamin gibt es darüber hinaus Hinweise auf einen Nutzen bezüglich der begleitenden psychopathologischen Symptome. Für Lebensqualität liegen entweder keine Daten vor (Galantamin und Rivastigmin) oder ohne Hinweis auf einen Nutzen (Donepezil). Zur Vermeidung stationärer Pflege liegen keine interpretierbaren Daten vor. Demgegenüber steht ein dosisabhängiger Schaden durch das Auslösen unerwünschter Ereignisse. Prävention und nicht pharmakologische Behandlung von MCI und AD - 43 - Mögliche Schutzfaktoren Personen mit guter Bildung kompensieren die bei Demenz auftretenden Defekte zumindest eine Zeit lang besser (-> höhere Reservekapazität des Gehirns). Ergebnisse einer schwedischen Zwillingsstudie: die Entwicklung einer Demenz fand umso mehr statt, je komplexer die Anforderungen im Berufsleben des mittleren Erwachsenalters waren - 44 - Sportliche Fitness, das Freizeitverhalten und die Ernährung im mittleren und späteren Erwachsenenalter könnte eine Rolle spielen - 45 - Studienanlage Vergleich einer Ernährung mit hohem versus niedrigem Anteil an gesättigten bzw. ungesättigten Fettsäuren. Die Studiendauer war auf 4 Wochen begrenzt. Komplette Verblindung durch Ausbalancierung der aufgenommenen Kalorienwerte (Vermeidung von Gewichtsverlust bzw. –zunahme). Zweimal wöchentliche Auslieferung der entsprechenden Essenspakete an die Teilnehmer. Vor und nach der Untersuchung erfolgte eine Labor- und neuropsychologische Untersuchung. - 46 - Gedächtnisleistung Beta-Amyloid - 47 - S3-Leitlinie-Demenzen • • Es gibt Evidenz für geringe Effekte von kognitiven Training / kognitiver Stimulation auf die kognitive Leistung bei Patienten mit leichter bis moderater Demenz. Die Möglichkeit an einem strukturierten kognitiven Stimulationsprogramm teilzunehmen, kann angeboten werden. Empfehlungsstärke C, Evidenzgrad IIb, Leitlinienadaptation Nice 2007 Kritik psychologischer Therapie • Sinnlos, weil progressiver Prozess aber: dann ist medikamentöse Therapie auch sinnlos, denn neurobiologisch wenig Unterschied • Belastend, weil Patienten auf ihre Defizite gestoßen werden aber: Krankengymnastik bei Parkinson? aber: Beleg dieser Aussage würde nur unsachgemäßes Vorgehen der Psychologen beweisen aber: Viele Patienten wollen Behandlung Effekte einer neunmonatigen gezielten sozialen und neuropsychologische Behandlung n = 25, ca. 50 Stunden Therapie MCI Demenz Ishizaki et al., 2002 - 50 - Vergleich von 4 Gruppe für Verlauf von 2 Jahren - 51 - Gruppe 1: Antidementivum & Neuropsychologie Gruppe 2: nur Antidementivum Gruppe 3: nur Neuropsychologie Gruppe 4: keine Behandlung Intensivbehandlung der Alzheimer Demenz MMSE Werte nach Behandlung 30 MMSE Wert 25 20 15 10 5 Medik. & Neuropsy Nur Neuropsy Nur Medikament Keine Behandlung Vorher - 52 - Erstes Jahr Zweites Jahr Intensivbehandlung der Alzheimer Demenz Globale Zunahme der Beeinträchtigung (FAST) 6 Medik,&Neuropsy mittlerer FAST Wert Medik, 5 Neuropsy Keine Behandlung 4 3 2 Vorher - 53 - Erstes Jahr Zweites Jahr Möglichkeiten funktioneller Therapie In den frühen Phasen und bei leichter kognitiver Störung ist eine funktionelle Therapie wirksam (im Sinne der Prävention von weiterer kognitiver Verschlechterung und Verbesserung der Krankheitsbewältigung) Aber: zu geringe Therapiedichte bringt keine Erfolge (siehe die deutsche CORDIAL Studie, ADAD, 2012) Bei schwereren Formen könnte eine Konzentration auf Orientierung, biographische Information und Angstreduktion ein sinnvoller Ansatz sein. Angehörigenberatung ist eine wichtige und wirksame Hilfestellung - 54 - Behandlung von Verhaltensstörungen Risperidon ist in der Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten bei Demenz wirksam. Aripripazol kann aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Agitation und Aggression als alternative Substanz empfohlen werden. Olanzapin soll aufgrund des anticholinergen Nebenwirkungsprofils Q nicht zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten eingesetzt werden. Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia, Ib o Zudem: wohl negative Auswirkung auf Progression (CATIE-AD, Am.J.Psychiat. , 2011) und evtl. auf Letalitätsrate (DGCD, 2011) Individuelles Verhaltensmanagement, Angehörigen- und Pflegendenschulungen sowie kognitive Stimulation sind wichtige Elemente bei der Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen. - 55 - S3-Leitlinie-Demenzen S3-Leitlinie-Demenzen • Angehörigentraining zum Umgang mit psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenz können geringe Effekte auf diese Symptome beim Erkrankten haben. Sie sollten angeboten werden. Empfehlungsstärke B, Evidenzgrad IIb • Statement: Zur Prävention und Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen (herausforderndes Verhalten) bei Demenzerkrankten kann verstehende Diagnostik, validierendes Verhalten, und Erinnerungspflege eingesetzt werden. In der akuten Situation können basale bzw. sensorische Stimulation, der Einsatz von Musik, Snozelen, körperliche Berührung und körperliche Bewegung wirksam sein. Individuelles Verhaltensmanagement, Angehörigen- und Pflegendenschulungen sowie kognitive Stimulation sind wichtige Elemente bei der Behandlung von psychischen und Verhaltenssymptomen. Zusammenfassung - 57 - Die Verläufe der Alzheimerdemenz sind variabel. Und sie können durchaus beeinflusst werden. Aus meiner Sicht sind wir aber von einer suffizienten (pharmakologischen) Behandlung noch meilenweit entfernt (was nicht als Nihilismus verstanden werden sollte). Ausführliche Diagnostik ist sinnvoll und notwendig. Ausführliche Beratung der Betroffenen ebenso. Wir brauchen dringend mehr Forschung in Richtung Prophylaxe und Rehabilitation. Schauen Sie mal die S3 Leitlinie Demenz, es lohnt sich!