Symptomprofile und –entwicklung in einer

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Aus der Universitätsklinik
für Psychiatrie und Psychosomatik
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter
der
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau
Symptomprofile und –entwicklung in einer katamnestischen
Stichprobe von Patienten
mit High-Functioning und Low-Functioning
Frühkindlichen Autismus: Implikationen für das Konzept der
Autismus-Spektrum-Störungen
INAUGURAL–DISSERTATION
zur
Erlangung des Medizinischen Doktorgrades
der Medizinischen Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg im Breisgau
vorgelegt 2008
von Julia Reusch
geboren in Neuss
Dekan:
Prof. Dr. C. Peters
1. Gutachter:
Prof. Dr. E. Schulz
2. Gutachter:
Prof. Dr. V. Mall
Jahr der Promotion:
2009
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1.
Theoretischer Hintergrund
13
1.1
Einführung
13
1.2
Zur historischen Entwicklung des Autismus
14
1.3
Definition und Klassifikation
16
1.4
Symptomatik
20
1.5
Epidemiologie
22
1.6
Intelligenzniveau und Autismus
24
1.7
Zur klinischen Unterscheidung zwischen High-Functioning-Autismus und
Low-Functioning-Autismus
26
1.8
Ätiologie und Pathogenese
29
1.9
Frühe Indikatoren für autistische Störungen
33
1.10
Diagnose, Differenzialdiagnose und verwandte Störungen
35
2.
Fragestellung der vorliegenden Studie
38
3.
Stichproben- und Datenerhebung
39
3.1
Planung und Durchführung der Untersuchung
41
3.2
Eingesetzte Untersuchungsinstrumente
44
3.3
Statistische Auswertung
55
3.4
Ethikkommission
55
4.
Ergebnisse
56
4.1
Beschreibung der Stichprobe
56
4.2.
Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV
62
4.2.1
Ergebnisse des FAI: Auftretenshäufigkeiten und Zeitpunkte der diagnostischen Kriterien
62
4.2.2
Auffälligkeiten vor Vollendung des dritten Lebensjahres
73
4.2.3
Ergebnisse im ADOS und ADI-R
74
4.2.4
Katamnestische Überprüfung verwandter Störungen
78
4.3
Erkrankungsverlauf: Von den ersten Auffälligkeiten bis zur Diagnosestellung
80
4.3.1
Zeitpunkt der ersten Auffälligkeiten
80
4.3.2
Frühe Indikatoren
81
Inhaltsverzeichnis
4.3.3
Erster Verdacht auf eine Störung aus dem autistischen Formenkreis
87
4.3.4
Zeitpunkt der ersten Verdachtsdiagnose
88
4.3.5
Zeitpunkt der ersten Diagnosestellung
88
4.3.6
Psychiatrische Diagnosen vor Diagnosestellung
90
4.4
Therapeutische Interventionen
93
4.4.1
Ambulante Therapien
93
4.4.2
Stationären Therapien
95
4.4.3
Medikamentöse Therapie
96
4.4.4
Besuchte Bildungseinrichtungen
97
4.5
Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung
99
4.6
Demographische Beschreibung der Stichprobe
4.6.1
Schichtzugehörigkeit der Eltern
104
4.6.2
Familiäre Situation
106
4.6.3
Wohnsituation
106
5.
Diskussion
108
5.1
Diskussion der Ergebnisse
108
5.1.1
Klinische Ausprägung der diagnostischen Kriterien nach ICD-10 und DSM IV bei High-Functioning
104
und Low-Functioning frühkindlichen Autismus
108
5.1.2
Erste Verhaltensauffälligkeiten und frühe Indikatoren für autistische Störungen
115
5.1.3
Erkrankungsverlauf
118
5.1.4
Demographische Faktoren
125
5.2
Limitationen der vorliegenden Studie
127
5.3
Klinische Bedeutung der Ergebnisse
128
6.
Zusammenfassung und Ausblick
133
7.
Anhang
134
7.1
ASD Datenbank
134
7.2
Diagnostische Kriterien MCDD
143
7.3
Danksagung
144
7.4
Lebenslauf
145
8.
Literaturverzeichnis
146
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungen
ABA
Applied Behavior Analysis
ADI-R
Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert
ADOS
Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen
AS
Asperger-Syndrom
ASD
Autism spectrum disorder (Autismus-Spektrum -Störungen)
BaDo
Basisdokumentation
CFT-20
Grundintelligenztest Skala 2
CFT-20-R
Grundintelligenztest Skala 2 - Revision
DD
Differenzialdiagnose
DSM-IV
Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (4 Ed.)
DSM-IV-TR Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (4 Ed.) - Text Revision
EF
Defizit der Exekutivfunktionen
FAI
Freiburger Autismus Inventar
FSK
Fragebogen zur Sozialen Kommunikation
GS
Grundschule
HAWIE
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene
HAWIE-R
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene - Revidiert
HAWIK-R
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder - Revidiert
HAWIK-III
Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder - 3.Edition
HFA
High-Functioning Autismus
ICD-10
International Classification of Diseases-10th Edition
IQ
Intelligenz-Quotient
K-ABC
Kaufman Assessment Battery for Children, Deutsche Version
KJP
Kinder- und Jugendpsychiatrie
LFA
Low-Functioning Autismus
Abkürzungsverzeichnis
M
Mittelwert
Max
Maximum
MBAS
Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom
MCDD
Multiple-Complex Developmental Disorder
Min
Minimum
n
Anzahl
SAS
Statistical Analysis System
SD
Standardabweichung
SPZ
Sozialpädiatrisches Zentrum
SZK
Theorie der schwachen zentralen Kohärenz
SSW
Schwangerschaftswoche
TEACCH
Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped
Children
ToM
Theory of Mind
V.a.
Verdacht auf
WIE
Wechsler Intelligenz Test
Z.n.
Zustand nach
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Flussdiagramm zum Ein- und Ausschluss der Patienten
Abbildung 2: Flussdiagramm zum Ablauf des Studientermins
Abbildung 3: IQ-Bereiche der Gesamtstichprobe im Vergleich zur Normalverteilung
Abbildung 4: IQ-Verteilung der HFA-Stichprobe im Vergleich zur Normalverteilung
Abbildung 5: Zeitachse zum Krankheitsverlauf
Abbildung 6: Psychosoziale Anpassung , HFA-Stichprobe und LFA-Stichprobe
Abbildung 7: Zusammenhang zwischen psychosozialer Anpassung und kognitivem
Leistungsniveau
Tabelle 1.
Alter zum Zeitpunkt der Katamnese
Tabelle 1a.
Alter zum Zeitpunkt der Katamnese für die HFA-Stichprobe
Tabelle 1b. Alter zum Zeitpunkt der Katamnese für die LFA-Stichprobe
Tabelle 2.
Intelligenzniveau
Tabelle 3.
IQ-Bereiche für HFA (IQ > 70) und LFA (IQ < 70)
Tabelle 4.
Beeinträchtigung der sozialen Interaktion: Auftretenshäufigkeiten der
diagnostischen Kriterien
Tabelle 5.
Beeinträchtigung der sozialen Interaktion: Zeitliches Auftreten der Kriterien für
die HFA-Stichprobe
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 5a.
Beeinträchtigung der sozialen Interaktion: Zeitliches Auftreten der Kriterien für
die LFA-Stichprobe
Tabelle 6.
Beeinträchtigungen in der Kommunikation: Auftretenshäufigkeiten der
diagnostischen Kriterien
Tabelle 7.
Beeinträchtigungen in der Kommunikation: Zeitliches Auftreten der Kriterien
für die HFA-Stichprobe
Tabelle 7a.
Beeinträchtigungen in der Kommunikation: Zeitliches Auftreten der Kriterie
für die LFA-Stichprobe
Tabelle 8.
„Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und
Aktivitäten“: Auftretenshäufigkeiten der diagnostischen Kriterien
Tabelle 9.
„Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und
Aktivitäten“: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die HFA-Stichprobe
Tabelle 9a.
Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und
Aktivitäten: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die LFA-Stichprobe
Tabelle 10. Sonderinteressen aufgeschlüsselt nach HFA und LFA
Tabelle 11. Nichtfunktionale Gewohnheiten oder Rituale
Tabelle 12. Manierismen
Tabelle 13. Auffälligkeiten vor Vollendung des dritten Lebensjahres
Tabelle 14. ADOS (Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen): Erzielte
Ergebnisse und vergebene Diagnosen für die HFA-Stichprobe
Tabelle 14a. ADOS (Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen): Erzielte
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Ergebnisse und vergebene Diagnosen für die LFA-Stichprobe
Tabelle 15. ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert): Erzielte
Summenwerte
Tabelle 15a. ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert): Cut-off erreicht
Tabelle 16. MCDD-Krierien, HFA und LFA
Tabelle 17. Mittleres Alter bei Auftreten der 1. Auffälligkeiten, der 1. Konsultation, der 1.
Verdachtsdiagnose und der 1. Diagnosestellung
Tabelle 18. Erste Auffälligkeiten: Auswahlmöglichkeiten, HFA-Stichprobe und LFAStichprobe
Tabelle 19. Erste Auffälligkeiten: Freitext-Felder
Tabelle 20. Weitere Auffälligkeiten: Auswahlmöglichkeiten, HFA-Stichprobe und LFAStichprobe
Tabelle 21. Erste konsultierte Versorgungseinrichtung
Tabelle 22. Person, die den ersten Verdacht auf eine Störung aus dem autistischen
Formenkreis äußerte
Tabelle 23. Diagnostiker, die vor Diagnosestellung konsultiert wurden, HFA-Stichprobe
und LFA-Stichprobe
Tabelle 24. Psychiatrische Diagnosen vor Diagnosestellung des Frühkindlichen Autismus
für die HFA-Stichprobe
Tabelle 24a. Psychiatrische Diagnosen vor Diagnosestellung des Frühkindlichen Autismus
für die LFA-Stichprobe
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Tabelle 25. Durchgeführte ambulante Therapien, HFA-Stichprobe und LFA-Stichprobe
Tabelle 26. Durchgeführte ambulante Therapien vor Diagnosestellung
Tabelle 27. Durchgeführte stationäre Therapien, HFA-Stichprobe und LFA-Stichprobe
Tabelle 28. Durchgeführte stationäre Therapien vor Diagnosestellung
Tabelle 29. Medikation, HFA-und LFA-Stichprobe
Tabelle 30. Besuchte Bildungseinrichtungen zw. 3;0. - 5;11. Lebensjahr
Tabelle 30a. Besuchte Bildungseinrichtungen zw. 6;0. - 10;1. Lebensjahr
Tabelle 30b. Besuchte Bildungseinrichtungen ab dem 11. Lebensjahr
Tabelle 31. Häufigkeitenverteilung der Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung,
Gesamtstichprobe, HFA und LFA
Tabelle 32 . Schichtzugehörigkeit der Eltern
Tabelle 33. Schulabschluss Eltern für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe
Tabelle 34. Familiäre Situation für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe
Tabelle 35.
Wohnsituation für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe
13
Theoretischer Hintergrund
1.
Theoretischer Hintergrund
1.1
Einführung
Der frühkindliche Autismus ist Teil eines Spektrums von neuropsychiatrischen Erkrankungen,
die in den Klassifikationssystemen der Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) sowie der
American Psychiatric Association (APA) als tiefgreifende Entwicklungsstörungen bezeichnet
werden (ICD-10, WHO 1992, DSM VI, APA 1994). Zum Spektrum der tiefgreifenden
Entwicklungsstörungen zählen zudem der atypische Autismus, das Rett-Syndrom, die
desintegrative Störung des Kindesalters, die überaktive Störung mit Intelligenzminderung und
Bewegungsstereotypien,
das
Asperger-Syndrom
und
die
sonstigen
tiefgreifenden
Entwicklungsstörungen. Zwei verbindene Merkmale finden sich bei allen genannten
Krankheitsbildern: Eine qualitative Beeinträchtigung in der wechselseitigen Interaktion und
Kommunikation sowie ein eingeschränktes Spektrum an stereotypen und repetitiven
Interessen
und
Aktivitäten.
Die
qualitativen
Merkmale
der
tiefgreifenden
Entwicklungsstörungen bestehen bereits in der frühesten Kindheit und manifestieren sich in
den ersten fünf Lebensjahren. Tiefgreifende Entwicklungsstörungen erfahren im Laufe der
Entwicklung der betroffenen Personen keine wesentliche Verbesserung der Kernsymptomatik
und sind nur bedingt durch therapeutische Interventionen zu beeinflussen. Der
Ausprägungsgrad kann interindividuell eine große Variationsbreite zeigen, dieser Umstand
zeigt sich auch in Krankheitsverlauf und Prognose.
Der Frühkindliche Autismus ist in den beiden großen Klassifikationssystemen DSM IV und
ICD-10 durch folgende Symptome gekennzeichnet: Qualitative Beeinträchtigungen der
sozialen Interaktion und der Kommunikation sowie eingeschränkte Interessen und stereotype
Verhaltensmuster. Die Manifestation dieser Symptome muss vor dem 3. Lebensjahr
stattgefunden haben. Grundsätzlich ist beim Frühkindlichen Autismus jedes Intelligenzniveau
möglich, jedoch geht man davon aus, dass der Anteil der betroffenen Personen mit einer
geistigen Behinderung bei ca. 50-75% liegt (Sigman & Capps, 2000; Lord & Spence, 2006).
Klinisch wird daher innerhalb der Diagnose zwischen Low-Functioning Autismus (LFA) und
High-Functioning-Autismus (HFA) unterschieden. Bei der Gruppe des LFA handelt es sich
um Personen mit einer Intelligenzminderung und einer geringen oder fehlenden Ausbildung
der Sprachentwicklung. Die Gruppe des HFA bezeichnet Personen ohne Intelligenzminderung
und guten sprachlichen Fähigkeiten. Gerade die Unterscheidung zwischen der Gruppe des
HFA (besonders bei betroffenen Personen mit einem hohen Funktionsniveau) und der des
14
Theoretischer Hintergrund
Asperger-Syndroms führt aufgrund des Ausprägungsgrad der Symptome bzw. deren Variation
häufig zu diagnostischen Unsicherheiten bzw. wirft die Frage auf ob es überhaupt klar
definierbare Unterschiede zwischen beiden Gruppen gibt (Howlin, 2003; Kasari & RotheramFuller, 2005). Daher wurde in den letzen Jahren besonders im englischsprachigen Raum das
Konzept der „Autism spectrum disorder“ (ASD) geprägt, das den frühkindliche Autismus,
den atypischen Autismus und das Asperger-Syndrom subsumiert. Hier wird der Versuch
unternommen, den Übergang zwischen den verschiedenen Formen als Kontinuum mit
quantitativen Unterschieden zu beschreiben (Lord & Spence, 2006; Cohen & Volkmar, 1997).
Das Konzept der Autismus-Spektrum-Störungen integriert somit die große Varationsbreite
von Erscheinungsformen der autistischen Symptomatik sowohl innerhalb als auch zwischen
den einzelnen diagnostischen Kategorien (Caronna, Milunsky & Tager-Flusberg, 2008).
1.2
Zur historischen Entwicklung des Autismus
Der Begriff Autismus findet sich zum ersten Mal 1911 in den Aufzeichnungen des
schweizerischen Psychiaters Eugen Bleuler (1857-1939). Bleuler beschrieb mit diesem
Begriff eines der Grundsymptome der dementia praecox, für welche er später den Begriff der
Schizophrenie prägte (Bleuler 1911: Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenen).
Bleuler beschrieb das Symptom des Autismus als die “Zurückgezogenheit in die innere
Gedankenwelt des an ihr Erkrankten“ (Bleuler, 1911), also den aktiven Rückzug in eine
gedankliche Binnenwelt und die Vermeidung zwischenmenschlicher Kontakte.
Der austro-amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner (1896-1981), erster
Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der John Hopkins Universität in Baltimore
nahm den Begriff Bleulers in einem 1943 veröffentlichen Bericht wieder auf: Unter dem Titel
„Autistische Störung des affektiven Kontakt“ (Kanner, 1943) beschrieb er charakteristische
Verhaltensauffälligkeiten an elf Kindern, die in dieser Form noch nicht beobachtet wurden:
„Die herausragende fundamentale pathognomonische Störung ist die von Geburt an
bestehende Unfähigkeit, sich in normaler Weise mit Personen oder Situationen in Beziehung
zu setzen“ (Kanner, 1943).
Der Umstand, dass bei allen betroffenen Kindern die Verhaltensauffälligkeiten schon im
Kleinkindalter begonnen haben, führte Kanner zu dem Schluss, dass sich die von ihm
beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten deutlich von Varianten einer Schizophrenie oder
einer kindlichen Psychose unterscheiden: „Es handelt sich dabei nicht wie bei schizophrenen
Kindern oder Erwachsenen um einen Rückzug von zunächst vorhandenen Beziehungen oder
der Teilnahme an zuvor vorhandener Kommunikation. Vielmehr handelt es sich vom
15
Theoretischer Hintergrund
Anbeginn an um ein autistisches Alleinsein, welches alles, was von außen auf das Kind
einwirkt nicht beachtet, ignoriert und ausschließt“ (Kanner, 1943). Die Verwendung des von
Bleuler geprägten Begriffs „Autismus“ führte zunächst zu einiger Verwirrung (Bosch, 1970)
(Wing, 1976), da Bleuler unter Autismus den aktiven Rückzug von zwischenmenschlichen
Beziehungen und den Aufbau einer gedanklichen Fantasiewelt verstand, während Kanner
unter dem Begriff die primäre Unfähigkeit der Kinder zum Aufbau zwischenmenschlicher
Beziehungen subsumierte. Im Jahre 1944 veröffentlichte Kanner den Artikel „Early infantile
autism“
(Kanner,
1943)
Verhaltensauffälligkeiten
in
seiner
welchem
mittlerweile
er
ausführliche
auf
20
Beschreibungen
Fallbeispiele
der
angewachsenen
Beobachtungen vornahm. Seine Darstellung des frühkindlichen Autismus ist in den
Grundzügen bis zum heutigen Tag gültig. In den Jahren zwischen 1950 und 1960 kam es zu
weiteren Veröffentlichungen, in denen ebenfalls über Kinder mit denen von Kanner
beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten berichtet wurde (Despert, 1951; Bosch, 1970;
Bakwin, 1954). Hypothesen für eine psychosozial bedingte Entstehung des Autismus prägten
die wissenschaftliche Meinung dieser Zeit, besonders da in diesen Jahren in der
amerikanischen Fachwelt der psychoanalytische Ansatz (u.a. der Einfluss frühkindlicher
Prägung) bei der Ursachenforschung von möglichen Ätiologien psychischer Krankheiten
federführend war (Folstein, 1999). Unter anderem wurde die sogenannte „refrigerator
mothers“ Hypothese, d.h. der Einfluss einer emotional distanzierten Mutter als Grund für die
autistische Störung eines Kindes als ursächlich angesehen. Diese These erwies sich aber als
nicht haltbar (Rimland, 1964; Rutter, 1968), vielmehr haben in den letzten Jahrzehnten viele
Untersuchungen das ursprünglich biologische Konzept von Kanner bestätigt. 1978 wurde ein
auf vier Kriterien beruhender Vorschlag für eine Definition von Autismus veröffentlicht
(Rutter, 1978), diese beeinflusste in den folgenden Jahren die Aufnahme der Diagnose des
frühkindlichen Autismus in das Klassifikationssystem DSM-III (APA, 1980). Hier wurde der
Frühkindliche Autismus erstmals in der Gruppe der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen
mittels
diagnostischer
Kriterien
operationalisiert
(Klin,
2006),
auch
in
das
Klassifikationsssystem der WHO (ICD-10) wurden die tiefgreifenden Entwicklungstörungen
im Jahre 1989 aufgenommen (World Health Organization, 1989).
16
1.3
Theoretischer Hintergrund
Definition und Klassifikation
Der Frühkindliche Autismus ist „eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die durch abnorme
oder beeinträchtigte Entwicklung definiert ist und sich vor dem 3. Lebensjahr manifestiert“
(Dilling, 2004). In den beiden großen, international gebräuchlichen Klassifikationssystemen
International Classification of Diseases (ICD-10) (World Health Organization, 1992) und
Diagnostic and Statistical Manual (DSM-IV) (APA, 1994) finden sich die Kriterien, die der
Diagnose eines Frühkindlichen Autismus zugrunde gelegt werden.
Diagnostische Kriterien des frühkindlichen Autismus nach ICD-10 (F84.0)
(Dilling, 2004) (World Health Organization, 1992)
Der kursiv gedruckte Text des folgenden Abschnitts ist dem aus dem Englischen übersetzten
Orginaltext wortwörtlich übernommen:
A.
Vor dem dritten Lebensjahr manifestiert sich eine auffällige und beeinträchtigte
Entwicklung in mindestens einem der folgenden Bereiche:
a) Rezeptive oder expressive Sprache wie sie in der sozialen Kommunikation verwandt
wird;
b) Entwicklung selektiver sozialer Zuwendung oder reziproker sozialer Interaktion;
c) funktionales oder symbolisches Spielen.
B.
Insgesamt müssen mindestens sechs Symptome von 1., 2., und 3. vorliegen, davon
mindestens zwei von 1. und mindestens je eins von 2. und 3.:
1. Qualitative Auffälligkeiten der gegenseitigen sozialen Interaktion in mindestens drei
der folgenden Bereiche:
a) Unfähigkeit, Blickkontakt, Mimik, Körperhaltung und Gestik zur Regulation
sozialer Interaktion zu verwenden;
b) Unfähigkeit, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzunehmen, mit gemeinsamen
Interessen, Aktivitäten und Gefühlen (in einer für das geistige Alter
angemessenen Art und Weise, trotz hinreichender Möglichkeiten);
c) Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit, die sich in einer Beeinträchtigung
oder devianten Reaktion auf die Emotionen anderer äußert; oder Mangel an
Verhaltensmodulation entsprechend dem sozialen Kontext; oder nur labile
Integration sozialen, emotionalen und kommunikativen Verhaltens.
17
Theoretischer Hintergrund
d) Mangel, spontan Freude, Interessen oder Tätigkeiten mit anderen zu teilen (z.B.
Mangel, anderen Menschen Dinge, die für die Betroffenen von Bedeutung sind,
zu zeigen, zu bringen oder zu erklären).
2. Qualitative Auffälligkeiten der Kommunikation in mindestens einem der folgenden
Bereiche:
a) Verspätung oder vollständige Störung der Entwicklung der gesprochenen
Sprache, die nicht begleitet ist durch einen Kompensationsversuch durch Gestik
oder Mimik als Alternative zur Kommunikation (vorausgehend oft fehlendes
kommunikatives Geplapper);
b) relative Unfähigkeit, einen sprachlichen Kontakt zu beginnen oder aufrechtzuerhalten ( auf dem jeweiligen Sprachniveau), bei dem es einen gegenseitigen
Kommunikationsaustausch mit anderen Personen gibt;
c) stereotype und repetitive Verwendung der Sprache oder idiosynkratischer
Gebrauch von Worten oder Phrasen;
d) Mangel an verschiedenen spontanen Als-ob-Spielen oder (bei jungen
Betroffenen) sozialen Imitationsspielen.
3. Begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten in
mindestens einem der folgenden Bereiche:
a) umfassende Beschäftigung mit gewöhnlich mehreren stereotypen und begrenzten
Interessen, die in Inhalt und Schwerpunkt abnorm sind; es kann sich aber auch
um ein oder mehrere Interessen ungewöhnlicher Intensität und Begrenztheit
handeln;
b) offensichtlich zwanghafte Anhänglichkeit an spezifische, nicht funktionale
Handlungen und Rituale;
c) stereotype
und
repetitive
motorische
Manierismen
mit
Hand-
und
Fingerschlagen oder Verbiegen, oder komplexe Bewegungen des ganzen
Körpers;
d) vorherrschende Beschäftigung mit Teilobjekten oder nicht funktionalen
Elementen des Spielmaterials z.B. ihr Geruch, die Oberflächenbeschaffenheit
oder das von ihnen hervorgebrachte Geräusch oder ihre Vibration).
C.
Das klinische Bild kann nicht einer anderen tiefgreifenden Entwicklungsstörung zugeordnet werden, einer spezifischen Entwicklungsstörung der rezeptiven Sprache (F80.2)
mit sekundär sozio-emotionalen Problemen, einer reaktiven Bindungsstörung (F94.1),
einer Bindungsstörung mit Enthemmung (F94.2), einer Intelligenzminderung (F70 -
18
Theoretischer Hintergrund
F72) mit einer emotionalen oder Verhaltensstörung, einer Schizophrenie mit
ungewöhnlich frühem Beginn oder einem Rett-Syndrom (F84.2).
Diagnostische Kriterien der Autistischen Störung nach DSM-IV-TR ( 299.00)
(APA, 1994) (Saß, 2003)
Der kursiv gedruckte Text des folgenden Abschnitts ist dem aus dem Englischen übersetzten
Orginaltext wortwörtlich übernommen:
A.
Es müssen mindestens sechs Kriterien aus (1), (2) und (3) zutreffen, wobei mindestens
zwei Kriterien aus (1) und je ein Kriterium aus (2) und (3) stammen müssen:
(1) Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion in mindestens zwei der
folgenden Bereiche:
a) ausgeprägte
Beeinträchtigung
Verhaltensweisen
wie
im
Gebrauch
beispielsweise
vielfältiger
Blickkontakt,
nonverbaler
Gesichtsausdruck,
Körperhaltung und Gestik zur Steuerung sozialer Interaktionen,
b) Unfähigkeit , entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen,
c) Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen (z.B.
Mangel, anderen Menschen Dinge, die für die Betroffenen von Bedeutung sind,
zu zeigen, zu bringen oder darauf hinzuweisen),
d) Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit;
(2) Qqualitative Beeinträchtigung der Kommunikation in mindestens einem der
folgenden Bereiche:
a) verzögertes Einsetzen oder völliges Ausbleiben der Entwicklung von
gesprochener Sprache (ohne den Versuch zu machen, die Beeinträchtigung
durch
alternative
Kommunikationsformen
wie
Gestik
oder
Mimik
zu
kompensieren ),
b) bei Personen mit ausreichendem Sprachvermögen deutliche Beeinträchtigung
der Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen,
c) stereotyper oder repetitiver Gebrauch der Sprache oder idiosynkratische
Sprache,
d) Fehlen von verschiedenen entwicklungsgemäßen Rollenspielen oder sozialen
Imitationsspielen;
19
Theoretischer Hintergrund
(3) Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten
in mindestens einem der folgenden Bereiche:
a) umfassenden Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und
begrenzten Interessen, wobei Inhalt und Intensität abnorm sind,
b) auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder
Ritualen,
c) stereotype und repetitive motorische Manierismen (z.B. Biegen oder schnelle
Bewegungen von Händen oder Fingern oder komplexe Bewegungen des ganzen
Körpers),
d) ständige Beschäftigung mit Teilen von Objekten.
B.
Beginn vor Vollendung des dritten Lebensjahres und Verzögerungen oder abnorme
Funktionsfähigkeit in mindestens einem der folgenden Bereiche:
1) soziale Interaktion
2) Sprache als soziales Kommunikationsmittel oder
3) Symbolisches oder Phantasiespiel.
C.
Die Störung kann nicht besser durch die Rett-Störung oder die Desintegrative Störung
im Kindesalter erklärt werden.
In beiden Klassifikationssystemen werden 4 charakteristische Kriterien hervorgehoben:
1. qualitative Beeinträchtigung wechselseitiger sozialer Interaktion,
2. qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation ,
3. eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster,
4. Manifestation vor dem 3. Lebensjahr.
In der ICD-10 Klassifikation werden zusätzlich in den diagnostischen Leitlinien noch
„unspezifische Probleme“ wie Befürchtungen, Phobien, Schlaf- und Essstörungen,
Wutausbrüche, Aggressionen und Selbstverletzungen aufgeführt.
20
1.4
Theoretischer Hintergrund
Symptomatik
Die Kernsymptome des Frühkindlichen Autismus können im Wesentlichen in drei große
Bereiche zusammengefasst werden (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie, 2003):
Qualitative Auffälligkeiten der gegenseitigen sozialen Interaktion
Hier findet sich die Unfähigkeit der Kinder, soziale Interaktion durch nonverbales Verhalten
(Gestik und Mimik) zu regulieren. Fehlender oder merkwürdiger Blickkontakt, fehlendes
soziales Lächeln beim Erblicken der Mutter oder einer anderen engen Bezugsperson, Fehlen
von Antizipationsgesten, zum Beispiel das Entgegenstrecken der Arme beim Wunsch,
hochgehoben zu werden.
Es besteht zudem die Unfähigkeit, Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen, dies äußert
sich in einem ausgeprägten Mangel an Interesse gegenüber anderen Kindern sowie fehlender
Reaktion auf Annäherungsversuche anderer Kinder. Kommt es zu einer Kontaktaufnahme, so
gestaltet sich diese oft sehr schwierig, mit zum Teil aggressivem Verhalten anderen Kindern
gegenüber, rein funktionalen Beziehungen oder auf sehr wenige Interessen und Aktivitäten
reduzierte gemeinsame Beschäftigungen. Die Kinder zeigen ein deutlich reduziertes
Verständnis von sozio-emotionaler Gegenseitigkeit, dies äußert sich darin, dass sie auf die
Emotionen anderer Menschen unangemessen reagieren und dass sie sich sozial unangemessen
verhalten. Sie teilen nicht die Freude an einer Aktivität mit anderen Menschen, sie suchen
keinen Trost, zum Beispiel bei einer Verletzung oder bei Misserfolgen (Remschmidt, 2000).
Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation
Etwa die Hälfte aller Kinder mit einem frühkindlichen Autismus entwickelt keine Sprache
oder zeigt eine deutliche Sprachentwicklungsverzögerung mit einer oft nicht verständlichen
Sprache, es kommt zu keinem sprachlichen Austausch im Sinne einer informellen
Konversation, die Sprache wird mechanisch genutzt. Vor dem Sprachbeginn fehlt das Lallen
und Brabbeln im Tonfall von Sprache. Die mangelnden Sprachfähigkeiten werden nicht durch
Mimik oder Gestik kompensiert. Viele Kinder zeigen stereotype, repetitive oder
idiosynkratische sprachliche Äußerungen. Häufig kommt es zur Pronominal-Umkehr beim
Sprechen: Die Kinder sprechen von sich in der zweiten oder dritten Person. Es kommt zu
Neologismen, d.h. die Kinder entwickeln eigene Wortschöpfungen die für sie eine spezielle
Bedeutung haben können. Bei vielen Kindern ist auch die Stimme auffällig: Sie wirkt
monoton, es fehlt eine Veränderung in der Sprachmelodie, der Sprachrhythmus wirkt
mechanisch; oft stimmt die Betonung von Wörtern oder Satzteilen nicht (Remschmidt, 2000).
21
Theoretischer Hintergrund
Das Spielverhalten der Kinder mit frühkindlichem Autismus ist – ihrem Entwicklungsniveau
und ihren kognitiven Fähigkeiten entsprechend – ebenfalls deutlich auffällig: Spielzeug wird
oft zweckentfremdet benutzt, z.B. werden alle möglichen Gegenstände immer wieder zum
Rotieren gebracht. Häufig ist auch ein Interesse an Teilen von Spielsachen zu beobachten,
z.B. indem das Kind stereotyp die Räder des Spielzeugautos dreht, oder die Autotüren immer
wieder auf und zu macht. Ein symbolisches Spiel auf einer "So-tun-als-ob-Ebene" kommt
nicht vor, genauso wenig wie soziale Rollenspiele mit anderen Kindern.
Eingeschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster
Kinder mit frühkindlichem Autismus zeigen meist ausgeprägte stereotype und repetitive
motorische Manierismen, z.B. in Form von Augenbohren, Drehen oder Schütteln der Hände
vor den Augen, rasches Hin- und Herpendeln mit dem Kopf, Schlagen mit den Händen auf
die Ohren. Auch stereotypes Auf- und Abhüpfen sowie das Drehen um die eigene Achse
werden häufig beobachtet.
Weiterhin zeigt sich bei den Kindern ein ängstlich-zwanghaftes Bedürfnis nach
Gleicherhaltung der Umwelt. Diese Veränderungsängste beziehen sich auf die für das Kind
subjektiv wichtigen Umgebungsbedingungen. So haben die Kinder z.B. Angst vor fremden
Räumen, neuen Schulwegen oder veränderten Fahrtrouten. Sie verweigern
unbekannte
Speisen, neue Kleidungsstücke, Umstellung von Möbeln im Zimmer oder in der Wohnung
können massive Irritationen, z.B. in Form von Panik- oder Schreiattacken auslösen.
Änderungen im Tagesablauf wie die Umstellung von Schulzeit auf Ferienzeit oder Änderung
der gewohnten Essenszeit lösen ebenfalls Unwillen aus. Zudem beobachtet man bei den
betroffenen Kindern eine ausgedehnte Beschäftigung mit stereotypen, eingeschränkten
Handlungen, wie z.B. ständiges An- und Ausschalten von Lichtschaltern, Öffnen und
Schließen von Türen oder dem Berühren von Wänden oder Möbelstücken, auf deren
Durchführung bestanden wird. Je nach Funktionsniveau und Entwicklungsstand fallen auch
ausgestanzte Sonderinteressen bzw. intensive Beschäftigung mit bestimmten Inhalten, wie
z.B. Kraftfahrzeugen oder Verkehrsschildern, Fahrplänen oder Daten auf. Auch die Bindung
an ungewöhnliche Objekte, wie z.B. Steine, Knöpfe oder Bänder, werden beobachtet.
Gegenstände oder Menschen werden häufig beleckt oder berochen, die Kinder scheinen von
bestimmten Gerüchen oder Geräuschen besonders fasziniert zu sein, teilweise wird auch über
eine massive Geräuschempfindlichkeit berichtet. Zärtlichkeiten oder Berührungen enger
Bezugspersonen werden oft abgelehnt, andererseits fällt häufig auch ein distanzloses
Verhalten gegenüber fremden Menschen auf. So wird beispielsweise der Kopf in den Schoß
einer unbekannten Person gelegt.
22
Theoretischer Hintergrund
Sonstige Verhaltensauffälligkeiten / Assoziierte Symptome
Bei Kindern mit frühkindlichem Autismus fallen zusätzlich zu den oben geschilderten
Symptomen eine Reihe weiterer Verhaltensauffälligkeiten auf, die in den diagnostischen
Leitlinien als unspezifische Probleme beschrieben werden. Hierunter fallen, z.B.
Schlafstörungen oder Essstörungen. Besonders kleine Kinder zeigen einen stark gestörten
Schlaf-Wach-Rhythmus mit langen Wachphasen in der Nacht („Spielen“ im dunklen Zimmer,
alle Lichter werden mitten in der Nacht angemacht). Viele Kinder mit einer autistischen
Störung zeigen ein hochselektives Essverhalten, vermeiden unbekannte Nahrungsmittel,
lehnen Nahrungsmittel beispielsweise aufgrund ihrer Farbe, ihres Geruchs oder der
Konsistenz ab.
Wutausbrüche und Aggressionen, oft verbunden mit selbstverletzendem Verhalten, gehören
zu den häufig beobachteten Verhaltensauffälligkeiten. Auf der affektiven Ebene werden
zudem Angstzustände und Phobien verbunden mit einer ausgeprägten Stimmungslabilität
beschrieben. Ebenso berichtet wird von gestörten Sinnesempfindungen, wie z.B. ein
verändertes Temperaturempfinden oder ein herabgesetztes Schmerzempfinden mit fehlender
Schmerzreaktion. Auch eine muskuläre Hypotonie sowie motorische Ungeschicklichkeiten
sowohl im grobmotorischen wie auch im feinmotorischen Bereich werden beobachtet (Klin,
2006). Die beschriebenen Symptome können interindividuell variieren und unterliegen im
Verlauf der Entwicklung auch einigen Veränderungen, es kommt häufig zu einer sogenannten
„Symptomenverlagerung“ (Remschmidt, 2000), z.B. werden Angstanfälle seltener, die
psychomotorische Unruhe sowie die Schlafstörungen nehmen ab, auch die Tendenz
Gegenstände oder Personen zu berühren wird in zunehmendem Alter weniger häufig
beobachtet. Grundsätzlich bleiben die Kernsymptome mit den oben beschriebenen Defiziten
in der sozialen Interaktion, der Kommunikation und den eingeschränkten Interessen aber im
Erwachsenenalter bestehen.
1.5
Epidemiologie
Neuere Untersuchungen geben eine Prävalenz von 30-60/10.00 betroffenen Personen für alle
tiefgreifenden Entwicklungsstörungen an. Vergleicht man diese Zahlen mit den ersten
Untersuchungen im Jahre 1966, wo man von Prävalenzzahlen von 4/10.000 betroffenen
Personen ausging, so scheinen die Prävalenzzahlen deutlich gestiegen zu sein (Fombonne,
2003). Dies wird in der Literatur unter anderem mit der allgemein gestiegenen
Aufmerksamkeit für autistische Störungen sowie der Weiterentwicklung diagnostischer
23
Theoretischer Hintergrund
Kriterien und Instrumente erklärt, jedoch kann ein solch deutlicher Anstieg der Prävalenz mit
diesen Ansätzen nicht abschließend erklärt werden (Blaxill, 2004).
In Bezug auf den frühkindlichen Autismus wird von einer Rate von 10/10.000 ausgegangen,
hier liegen auch die größte Anzahl epidemiologischer Studien vor (Fombonne, 2003).
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Der Umstand, dass deutlich mehr Jungen als Mädchen von einer autistischen Störung
betroffen sind, ist lange bekannt und in vielen Studien bestätigt Das Geschlechterverhältnis
beim frühkindlichen Autismus wird mit etwa 3-4:1 angegeben (Fombonne, 2003). Andere
Autoren geben sogar ein Verhältnis von 4-10:1 im Verhältnis männlich zu weiblich an, hier
wird zudem ein direkter Anstieg der Anzahl betroffener männlicher Personen mit dem
Anstieg des Intelligenzniveaus beobachtet (Folstein & Rosen-Sheidley, 2001).
Über Jahrzehnte hinweg ist der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Intelligenzniveau
bei autistischen Störungen untersucht worden. Einige Studien können nachweisen , dass mehr
weibliche Personen mit einer autistischen Störung im unteren Intelligenzniveau anzusiedeln
sind, auch der Prozentsatz einer geistigen Behinderung scheint unter weiblichen Autisten
höher zu sein, zudem wird die Beeinträchtigung weiblicher Personen durch die autistische
Störung als massiver beschrieben (Wing, 1981; Volkmar, Szatmari & Sparrow, 1993). Im
Gegensatz dazu gibt es nur wenige Studien, die weitere geschlechtsspezifische Unterschiede
innerhalb der autistischen Störung untersucht haben, so z.B. die Frage nach möglichen
Unterschieden in der Manifestation der klinischen Symptome sowie möglichen Unterschieden
in der frühkindlichen Entwicklung, wie sie sich in neuen Untersuchungen anzudeuten
scheinen (Carter et al., 2007). Ein möglicher Erklärungsansatz für Unterschiede in der
geschlechtsspezifischen Ausprägung innerhalb der autistischen Störung wird z.B. auf
genetischer Ebene diskutiert (Stone et al., 2004), andere Ansätze beschäftigen sich mit dem
Einfluss der Geschlechtshormone, im Besonderen wird hier der Einfluss von Testosteron auf
die Gehirnentwicklung als möglichen Einflussfaktor für geschlechtsspezifische Unterschiede
innerhalb der autistischen Störung diskutiert (Baron-Cohen, Knickmeyer & Belmonte, 2005).
Etwaige morphologische Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen autistischen
Gehirnen mittels bildgebender Verfahren konnten bisher nicht nachgewiesen werden, hier
konnten lediglich nahezu identische Veränderungen spezifischer Hirnregionen beider
Geschlechter im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe gezeigt werden (Craig et al., 2007).
24
1.6
Theoretischer Hintergrund
Intelligenzniveau bei Autismus
Intelligenzniveau
Die Intelligenz autistischer Kinder verteilt sich über das gesamte Spektrum der
Intelligenzbereiche. Bisher ging man jedoch davon aus, dass 50-70,0% der Kinder mit einer
autistischen Störung in standardisierten Intelligenztests einen IQ von weniger als 70 Punkten
erzielen, sie befinden sich damit im Bereich einer geistigen Behinderung. 20-25,0% der
Kinder zeigen eine durchschnittliche, in Einzelfällen sogar eine sehr gute Intelligenz (Rutter,
1983; Rutter, 1996; Bryson, 1988). Weiterhin wird angenommen, dass Mädchen mit einer
autistischen Störung im Durchschnitt eine erheblich schwerere intellektuelle Beeinträchtigung
aufweisen als Jungen (McLennan, 1993). Betrachtet man neuere epidemiologische Studien
aus den USA, so wird postuliert, dass die Inzidenz einer geistigen Behinderung deutlich
niedriger anzugeben ist: hier wird von ungefähr 50% betroffener Kinder gesprochen (Lord &
Spence, 2006). Dabei ist jedoch zu beachten, dass in diesen Studien der frühkindliche
Autismus, das Asperger-Syndrom und der atypischen Autismus unter dem Begriff der
Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) zusammengefasst werden (Lord & Spence, 2006).
Dementsprechend werden häufiger Formen einer autistischen Störung mit einem höherem
Funktionsniveau diagnostiziert, welche auch von ihrem Intelligenzniveau höher anzusiedeln
sind und daher Einfluss auf die Inzidenz von geistiger Behinderung nehmen.
Spezifische Intelligenzprofile autistischer Kinder
Es liegen zwar viele Daten zu Intelligenzprofilen von Kindern mit einer autistischen Störung
vor, jedoch unterscheiden sich die einzelnen Studienpopulationen hinsichtlich Alter,
durchschnittlichem Intelligenzniveau sowie Geschlecht und Gruppengröße deutlich. Daher
kommt es zu inkohärenten Ergebnissen, die untereinander nur bedingt vergleichbar sind
(Mayes & Calhoun, 2004). Wohl am häufigsten wurde das spezifische Intelligenzprofil
anhand der Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC) bzw. der Wechsler Adult
Intelligence Scale (WAIS) untersucht (in Deutschland: HAWIK, HAWIE), hier zeigt sich ein
störungsspezifisches, deutlich inhomogenes Leistungsprofil mit starken interindividuellen
Schwankungen in den einzelnen Untertests (Frith, 1989; Venter, Lord, & Schopler, 1992;
Rühl & Poustka, 1995; Mayes & Calhoun, 2004). Besondere Defizite wurden in den
Bereichen „Allgemeines Verständnis“ und „Bilderordnen“ beschrieben, besonders gute
Ergebnisse wurden in den Bereichen „Mosaiktest“ und „Figurenlegen“ erreicht (Arsanow,
1987; Shah & Frith, 1993).
25
Theoretischer Hintergrund
Intelligenzprofile bei HFA und Asperger-Syndrom
In anderen Untersuchungen finden sich zumeist Ergebnisse aus dem direkten Vergleich
zwischen High-Functioning-Autisten (HFA) und Asperger-Autisten (AS). Einige Studien
(Ehlers et al., 1997; Ghaziuddin & Mountain-Kimchi, 2004) kamen zu dem Ergebnis, dass die
Gruppe der High-Functioning-Autisten ein deutlich schlechteres Abschneiden im Bereich des
Verbal-IQ im Gegensatz zum Handlungs-IQ zeigen. In der Studie von Koyama et al.
(Koyama, Tachimori, Osada, Takeda, & Kurita, 2007) lässt sich eine solche Tendenz zwar
ebenfalls nachweisen, eindrücklicher fällt jedoch ein signifikanter Unterschied in den
Untertests „Vocabulary“ (Wortschatztest) und „Comprehension“ (Allgemeines Verständnis)
auf. Hier zeigt die Gruppe der HFA ein deutlich schlechteres Abschneiden.
Andere Studien können einen signifikanten Unterschied zwischen Verbal-IQ und HandlungsIQ nicht belegen, Manjiviona et al. (Manjiviona & Prior, 1999) fanden lediglich eine
Überlegenheit der AS-Gruppe im Gesamt-IQ, Ozonoff et al. (Ozonoff , South & Miller, 2000)
berichten als einzige Abweichung zwischen beiden Gruppen über einen signifikanten
Unterschied im Untertest „Allgemeines Verständnis“, auch Mayes et al. (Mayes & Calhoun,
2004) sehen als Grund für vermeintliche Unterschiede die Zusammensetzung der Gruppen
hinsichtlich Alter und IQ.
Die Annahme, dass aufgrund der häufig fehlenden bzw. nur rudimentären Sprachentwicklung
und dem fehlenden Instruktionsverständnis bzw. der fehlenden Motivation das Ergebnis einer
Intelligenztestung von autistischen Kindern unter fünf Jahren nicht repräsentativ ist, konnte
nicht bestätigt werden (Howlin, Goode, Hutton & Rutter, 2004). Auch die fragliche
Konsistenz des ermittelten IQ-Niveaus im Laufe der Entwicklung wurde untersucht: Bei
Auswahl eines adäquaten Testverfahrens zeigte sich eine deutliche Stabilität des ermittelten
Intelligenzniveaus bis in das Erwachsenenalter (Howlin, Goode, Hutton & Rutter, 2004). Der
Einfluss des in der Kindheit ermittelten Intelligenzquotienten auf das Funktionsniveau im
Erwachsenenalter ist ebenfalls Gegenstand klinischer Forschung. Szatmari et al. (Szatmari,
Bartolucci
&
Bremner,
1989)
postulierten
in
diesem
Zusammenhang
den
Intelligenzquotienten als wichtigsten prognostischen Faktor, dieses konnte durch Howlin et al.
bestätigt werden (Howlin, Goode, Hutton & Rutter, 2004). Zusätzlich konnte in dieser Studie
gezeigt werden, dass erst ab einem Intelligenzquotienten >70 Punkte ein deutlich besseres
Funktionsniveau im Erwachsenenalter erreicht werden kann. Howlin et al. weisen in der
Studie zudem auf den „verwässernden “Effekt von autistischen Verhaltensweisen auf ein
relativ hohes Intelligenzniveau hin, d.h. ab einem Gesamt-IQ von mehr als 70 beeinflusst die
26
Theoretischer Hintergrund
Ausprägung der fundamentalen Defizite dann stärker das Funktionsniveau als der
Intelligenzquotient per se.
Savant-Syndrom
Mit dem Begriff Savant werden Personen mit einer kognitiven (meist allgemeinen
Intelligenzminderung), psychischen oder sensorischen Beeinträchtigung bezeichnet, die auf
einem umschriebenen Gebiet über erstaunliche kognitive oder musische Fähigkeiten
verfügen. Personen mit Savant-Fähigkeiten zeigen vor allem Kompetenzen in den Bereichen
Gedächtnis, Musik, Zeichnen, Rechnen und Lesen. Die besonderen Leistungen treten meist
unerwartet (d.h. ohne vorangegegangene Übung oder besonderes Training) zwischen dem 4.
und 8. Lebensjahr auf. Da wirklich herausragende Leistungen auf einem bestimmten Gebiet
(sog. Inselbegabungen) äußerst selten sind, wird zusätzlich eine Unterscheidung des SavantSyndroms in „erstaunliche“ bzw. „talentierte“ Savants vorgenommen (Treffert, 1988). Die
„talentierten“ Savants weisen höchstens durchschnittliche Leistungen in einem bestimmten
Gebiet auf, diese Leistungen sind aber in Anbetracht ihrer sonstigen Beeinträchtigungen
bemerkenswert.
Es wird vermutet, dass Savant-Fähigkeiten bei Kindern mit einer autistischen Störung gehäuft
auftreten, es wird eine Prävalenz von ca. 10% unter autistischen Personen angegeben
(Rimland, 1978). Einheitliche Erklärungsmodelle liegen für das Savant -Syndrom nicht vor,
die enge Assoziation zu autistischen Störungen bietet jedoch den Ansatz, mögliche
neuropsychologische Defizite, die bei der autistischen Störung maßgeblich beteiligt zu sein
scheinen, auch für die Entstehung des Savant-Syndrom zu diskutieren bzw. diese als
Grundlage für die Entstehung von Savant-Fähigkeiten heranzuziehen (Heaton & Wallace,
2004).
1.7
Zur klinischen Unterscheidung zwischen HighFunctioning-Autismus und Low-Functioning-Autismus
Schon Kanner berichtete in seinen Beobachtungen „Autistic disturbances of affective contact“
darüber, dass einige Kinder eine normale, vielleicht sogar eine überdurchschnittliche
Intelligenz besäßen. Er begründete dies auch mit der unauffälligen physischen Erscheinung
der Kinder sowie den teilweise ungewöhnlichen Interessen in speziellen Bereichen wie
Zahlen oder Zeichnen (Kanner, 1943). Auch in den darauf folgenden Jahrzehnten wurde
beobachtet, dass Kinder mit einer autistischen Störung besonders im Bereich des
Intelligenzniveaus und der Ausprägung der autistischen Symptomatik sowie der
Sprachfunktionen eine heterogene Gruppe bilden: so berichteten Hewett et al. (Hewett,
27
Theoretischer Hintergrund
Newson & Newson, 1970) über „more able autistic people“. Der Begriff High-FunctioningAutismus (HFA) wurde 1981 in einem Artikel von DeMyer et al. zuerst verwendet (Gilberg,
1998).
HFA vs. LFA
Die Bezeichnung High-Functioning-Autisten wird für Personen verwendet, welche die
diagnostischen Kriterien für einen frühkindlichen Autismus erfüllen sowie einen Gesamt-IQ
von 70 oder mehr erreichen und im Laufe ihrer Entwicklung gute sprachliche Fähigkeiten
erlangen. In beiden großen Klassifikationssystemen wird der Begriff HFA nicht erwähnt, es
existieren somit keine offiziellen diagnostischen Kriterien (Gilberg, 1998).
Der Gruppe der High-Functioning-Autisten stellt man die Gruppe der Low-FunctioningAutisten (LFA) gegenüber, hierunter werden die Personen mit einer Intelligenzminderung und
einer geringen oder fehlenden Ausbildung der Sprachentwicklung verstanden. Der Anteil der
Kinder mit einer autistischen Störung, die zur Gruppe der High-Functioning-Autisten gezählt
werden können, wird mit 11-34,0% angegeben (Gilberg, 1998). Wie sinnvoll eine solche
Unterscheidung innerhalb der autistischen Störung ist, zeigt sich insbesondere bei der Frage
nach der weiteren Entwicklung und der Prognose im Erwachsenenalter. Wie schon im
vorherigen Kapitel erwähnt, hat ein Intelligenzquotient von mehr als 70 im Kindesalter einen
entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung und das spätere Funktionsniveau (Howlin et al.,
2004). Damit wird auch früheren Arbeiten entsprochen, die eine Trennung beider Gruppen bei
der Untersuchung von Ätiologie und Prognose postulierten (Lotter, 1974; Wenar, Ruttenberg,
Kalish-Weiss & Wolf, 1986).
HFA und Asperger-Syndrom
Der Begriff des High-Functioning-Frühkindlichen-Autismus ist eng verknüpft mit dem des
Asperger-Syndroms (AS). Es gibt zahlreiche Studien zu der Frage, ob es tatsächlich einen
qualitativen Unterschied zwischen beiden Konditionen gibt oder ob lediglich quantitative
Unterschiede im Sinne eines diagnostischen Kontinuums zu verzeichnen sind. Die am
häufigsten beschriebenen Unterschiede zwischen HFA und AS werden im Bereich des
Intelligenzniveaus sowie der Sprachentwicklung angesiedelt (Szatmari, Tuff, Finlayson &
Bartolucci, 1990; Szatmari et al., 1989; Ozonoff, Rogers & Pennington, 1991; Ozonoff et al.,
2000; Klein, Volkmar, Sparrow, Cicchetti & Rourke, 1995), mit Überlegenheit der ASGruppe in beiden Bereichen. Weitere Unterschiede werden bei Ko-Morbiditäten mit anderen
psychiatrischen Erkrankungen (Klin, Pauls, Schultz & Volkmar, 2005) sowie möglichen
ätiologischen Unterschieden wie z.B. abweichenden Vererbungsmustern bzw. abweichenden
betroffenen Genregionen postuliert (Volkmar, Klin & Pauls, 1998).
28
Theoretischer Hintergrund
Die Ergebnisse von Studien, die einen Direktvergleich beider Gruppen vornehmen, sind nur
bedingt auswertbar, da sie sich, wie bereits erwähnt, häufig signifikant hinsichtlich Alter,
Gruppengrösse sowie durchschnittlichem Intelligenzniveau unterscheiden (Howlin, 2003).
Viele Studien beschäftigen sich zudem nur mit möglichen Unterschieden beider Gruppen im
Kindes- und frühen Jugendalter. Einige Studien postulieren, dass die Unterschiede zwischen
HFA und AS mit zunehmenden Entwicklungsalter immer geringer werden (Gilchrist et al.,
2001) bzw. dass einige Kinder, die primär als HFA diagnostiziert wurden, in späteren Jahren
die Diagnose eines AS erhalten könnten (Szatmari, 2000).
Die Untersuchung auf mögliche Unterschiede im Erwachsenenalter (>18 Jahre) von Howlin
(Howlin, 2003) lieferten folgende Ergebnisse: Im Erwachsenenalter lassen sich zwischen
beiden Gruppen keine signifikanten Unterschiede feststellen, weder im Bereich des erreichten
Intelligenzniveaus, noch in der Ausprägung der autistischen Symptomatik und den damit
verbundenen Beeinträchtigungen für das Funktionsniveau. Weiterhin konnte gezeigt werden,
dass
die
Personengruppe,
für
die
im
Kindesalter
anamnestisch
über
keine
Sprachentwicklungsverzögerung berichtet wurde, im Erwachsenenalter unter einer deutlichen
Beeinträchtigung ihrer expressiven und rezeptiven sprachlichen Fähigkeiten leiden können.
Besonders fiel hier ein signifikanter Unterschied zwischen chronologischem Alter und
Sprachverständnisalter auf, der sich nicht von der Personengruppe mit einer anamnestisch
gesicherten Sprachentwicklungsverzögerung unterschied. Deutliche Unterschiede zwischen
beiden Gruppen wurden lediglich im Bereich der frühen Symptome festgestellt: Die
geschilderten Probleme, über die sich die Eltern in den ersten Jahren besorgt zeigten,
differieren deutlich, zudem wurden bei der Gruppe ohne Sprachentwicklungsverzögerung die
Auffälligkeiten etwas später beobachtet. Howlin kommt somit zu dem Ergebnis, dass im
Erwachsenenalter keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen imponieren und beide
Gruppen
trotz
eines
Intelligenzquotienten
Funktionsbeeinträchtigungen
im
innerhalb
Erwachsenenalter
normaler
aufgrund
der
Grenzen
schwere
Persistenz
ihrer
fundamentalen Defizite erfahren müssen. Eine Metaanalyse von Macintosh et al. (Macintosh
& Dissanayake, 2004) kommt zu dem Ergebnis, dass Unterschiede zwischen HighFunctioning-Autisten und Patienten mit einem Asperger-Syndrom beschrieben werden
können, die Studienlage jedoch nicht ausreicht, um das Asperger-Syndrom als eine eigene
Entität zu betrachten, die sich valide vom High-functioning Autismus unterscheiden lässt.
29
1.8
Theoretischer Hintergrund
Ätiologie und Pathogenese
Vielfältige Forschungsbemühungen der letzten Jahrzehnte lassen heute keinen Zweifel mehr
an einer biologischen Pathogenese der autistischen Störung, wie sie schon Kanner in seinen
frühen Beobachtungen vermutete (Kanner, 1943). Bis heute ist jedoch keine genaue Ursache
für die Entstehung einer autistischen Störung identifiziert, auch existieren keine somatischen
Marker,
wie
z.B.
mögliche
spezifische
Veränderungen
der
EEG-Aktivität
oder
neurochemische Veränderungen, die evtl. durch Bluttests nachzuweisen wären.
Besonders
gut
erforscht
Hirnschädigungen
bzw.
sind
die
Bereiche
Genetik,
Hirnfunktionsstörungen
assoziierte
sowie
Erkrankungen,
neuropsychologische
Beeinträchtigungen und assoziierte Erkrankungen. Insgesamt fehlt jedoch ein schlüssiges
Konzept, welches die identifizierten Einflussfaktoren integrieren kann, so dass weiterhin von
einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen ist, dessen Anteile vermutlich in
Wechselwirkung zueinander stehen.
Genetik
Vor
allem
beim
frühkindlichen
Autismus
kann
aufgrund
von
Ergebnissen
aus
Familienuntersuchungen, Zwillingsstudien sowie zytogenetischen und molekulargenetischen
Untersuchungen von einer starken Beeinflussung durch genetische Faktoren ausgegangen
werden. In Familienuntersuchungen konnte ein erhöhtes Wiederholungsrisiko von 3-8% bei
Geschwistern nachgewiesen werden (Folstein & Rutter, 1988), das Wiederholungsrisiko liegt
damit um ein fünfzig- bis hundertfaches höher als in der Allgemeinbevölkerung.
Zwillingsstudien (Folstein & Rutter, 1977; Bailey et al., 1995; Steffenburg et al., 1989)
zeigten eine sehr hohe Konkordanzrate (bis zu 90%) bei monozygoten Zwillingen sowie eine
sehr geringe Konkordanzrate bei dizygoten Zwillingen. Zudem fiel auf, dass unter den
monozygoten Zwillingen, die diskonkordant für eine autistische Störung waren, auch das
nicht-autistische Geschwisterkind deutliche kognitive und soziale Defizite hatte. Hier fielen
z.B. Sprachentwicklungsverzögerungen und sozialer Rückzug auf. Verlaufsuntersuchungen
im Erwachsenenalter bestätigten diesen Eindruck. Dies führte zu einer Reihe von
Untersuchungen nicht betroffener Verwandter 1.Grades von autistischen Kindern (Fombonne,
Bolton, Prior, Jordan, & Rutter, 1997), mit dem Ergebnis, dass auch hier einzelne Merkmale
aus dem Vollbild einer autistischen Störung wie z.B. sozialer Rückzug, Schwierigkeiten in
der wechselseitigen Kommunikation oder Sprachentwicklungsverzögerungen gehäuft
auftreten, aber eine deutlich mildere Ausprägung haben. In diesem Fall spricht man von
einem „breiteren Phänotyp“ des Autismus („broader autism phenotype“) (Pickles, 2000).
30
Theoretischer Hintergrund
Alle bisherigen Erkenntnisse aus den o.g. Familien- und Zwillingsstudien weisen darauf hin,
dass Autismus durch ein komplexes, multifaktorielles Vererbungsmodell mit einer bis dato
unbekannten Anzahl an beteiligten Genen bedingt wird. Derzeit geht man davon aus, dass
bestimmte Suszeptibilitätsgene zur Erkrankung beitragen und somit erst eine bestimmte
Anzahl funktionell gestörter Krankheitsgene zur Vollausprägung der Störung führen. Die
aktuellen, auch international kooperierenden Forschungsbemühungen versuchen, einzelne
Kandidaten-Gene oder Genregionen zu identifizieren, die hier einen Einfluss haben könnten.
In den letzten Jahren wurden Regionen auf den Chromosomen 2, 7, 15 und dem XChromosom von mehreren Arbeitsgruppen als mögliche Kandidaten identifiziert, mögliche
Transmissionswege sind jedoch noch völlig unklar (Folstein et al., 2001).
Chromosomenanomalien als Ursache für die Entstehung einer autistischen Störung wurden
ebenfalls in vielen Studien diskutiert, am häufigsten wird hier über Veränderungen in Form
von Duplikationen oder Deletionen auf Chromosom 15 berichtet, insgesamt tritt diese
Veränderung jedoch nur in 5% aller Fälle auf. Auch die mögliche Assoziation zwischen
Autismus und HLA-Allelen ist Gegenstand klinischer Forschung (Folstein et al., 2001).
Die Ergebnisse der genetischen Untersuchungen haben in den letzten Jahren zudem das
Konzept der sog. Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) geprägt, das die verschiedenen
Ausprägungen der autistischen Phänotypen von geistig behinderten Autisten mit Epilepsie
und fehlender Sprachentwicklung bis hin zu den High-Functioning Autisten und dem
Asperger-Syndrom sowie milden Formen autistischer Verhaltensweisen integriert (Folstein et
al., 2001).
Assoziierte Erkrankungen
Bei 5-30% aller Kinder mit einer autistischen Störung tritt im Verlauf eine Epilepsie auf. Der
erste Manifestationsgipfel liegt zwischem dem 3. und 5. Lebensjahr, der 2. oberhalb des 10.
Lebensjahres. Besonders Kinder mit einer Intelligenzminderung und den damit verbundenen
Beeinträchtigungen scheinen signifikant häufiger von einer Epilepsie betroffen zu sein
(Gabis, Pomeroy, & Andriola, 2005). In ca. 10% aller Fälle liegt der autistischen Störung ein
monogenetischer Defekt bekannter Ätiologie zugrunde, u.a. das fragile X-Syndrom und die
tuberöse Sklerose. Auch die Assoziation mit Neurofibromatose und anderen, noch selteneren
genetischen Defekten wurden berichtet. Überzufällig häufig wird auch über das Auftreten von
metabolischen Störungen (Phenylketonurie, Histidinämie) sowie von Infektionskrankheiten
(Röteln, Herpes simplex) berichtet (Folstein et al., 2001).
31
Theoretischer Hintergrund
Hirnschädigungen/Hirnfunktionsstörungen
Die Assoziation mit Epilepsie und die hohe Rate an Intelligenzminderungen untermauert die
Hypothese für eine neurobiologische Ursache bei der Entstehung von Autismus.
Forschungsergebnisse der letzten Jahre konnten verschiedene neurobiologische Korrelate
aufzeigen: MRT-Studien zeigen, dass die Gehirngröße bei Kindern mit einer autistischen
Störung 2-10% größer als in gesunden Kontrollgruppen ist, auch die Phasen des
Gehirnwachstums scheinen sich von dem gesunder Kontrollgruppen zu unterscheiden
(Herbert, 2005). In post-mortem Studien konnten zudem neuroanatomische Veränderungen in
Form von verminderter Neuronenzahl und reduzierter Neuronenverästelung in Bereichen des
Limbischen Systems (z.B. Amygdala, Hippocampus) nachgewiesen werden (Volkmar &
Pauls, 2003).
Andere Studien konnten hypoperfundierte Areale (z.B. im Bereich des Temporallappens) und
durch chronische Entzündungsreize veränderte Gehirnstrukturen nachweisen (Herbert, 2005).
Auch Veränderungen im Stoffwechsel bestimmter Neurotransmitter konnten nachgewiesen
werden, im Besonderen dem serotonergen System, die Bedeutung dieser Ergebnisse ist jedoch
noch unklar (Volkmar & Pauls, 2003).
Befunde, die mittels funktionellem Kernspintomogramm (fMRT) versuchen, gängige
neuropsychologische Modellvorstellungen zur Entstehung der autistischen Symptomatik (u.a.
Theory of Mind) mit neuronalen Korrelaten zu untermauern, konnten z.B. hypoaktivierte
Areale im Bereich des Gyrus fusiformis nachweisen, einer Struktur, die mit der Erkennung
von Gesichtern assoziiert ist. Im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen weisen autistische
Personen bei der Verarbeitung von Gesichtern eine verminderte rechtshemisphärische
Aktivierung auf (Schultz, 2005). Im rechtshemisphärischen Gyrus temporalis inferior, einer
Struktur, die mit der Funktion der Objekterkennung assoziiert ist, zeigt sich bei autistischen
Personen hingegen eine erhöhte neuronale Aktivität im Gegensatz zur gesunden
Kontrollgruppe (Schultz et al., 2003).
Allgemein ist die Datenlage zu morphologischen Veränderungen der beschriebenen Regionen
noch sehr uneinheitlich, jedoch geben die neuroanatomischen und funktionellen Studien
insgesamt Hinweise auf eine mögliche mangelnde bzw. abweichende Vernetzung bestimmter
Gehirnareale untereinander, den sog. Diskonnektionssyndromen (Geschwind & Levitt, 2007)
und den damit verbundenen Konsequenzen auf soziale Lernprozesse, kognitive Funktionen
oder emotionaler Reizverarbeitung, die bei Menschen mit Autismus deutlich beeinträchtigt
sind.
32
Theoretischer Hintergrund
Neuropsychologische Beeinträchtigungen
Derzeit existieren eine Reihe unterschiedlicher neuropsychologischer Erklärungsmodelle zur
Ätiologie des Autismus. In den letzten Jahren wurden besonders drei kognitive Ansätze
häufig untersucht:„Theory of Mind“ (ToM), Defizit der Exekutivfunktionen (EF) und die
Theorie der schwachen zentralen Kohärenz (SZK), ein weiterer Ansatz beschäftigt sich mit
der „Spiegelneuronensystem-Dysfunktion“ (MNS-dysfunction of mirror neuron system).
Unter “Theory of Mind“ (Baron-Cohen, 2001) wird die Fähigkeit verstanden, den
psychischen Zustand anderer Menschen (Meinungen, Überzeugungen, Wünsche) zu erfassen.
Viele Studien konnten zeigen, dass autistische Personen Schwierigkeiten haben, mentale
Zustände anderer Menschen korrekt zu erfassen (Yirmiya, Sigman, Kasari & Mundy, 1992).
Die Annahme eines Defizit der Exekutivfunktionen (Pennington & Ozonoff , 1996) wird über
das Vorhandensein typischer rigider und stereotyper Verhaltensmuster und Gedanken
autistischer Personen erklärt. Exekutive Funktionen sind Vorgänge, die für die willentliche
und zielgerichtete Handlungsplanung wichtig sind. Hierunter fallen Aspekte wie Flexibilität,
Planen, Impulskontrolle und Initiierung von Handlungen. Viele Untersuchungen zeigen, dass
Menschen mit einer autistischen Störung große Defizite in diesen Bereichen haben.
Die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz (Frith, 1989) besagt, dass Personen mit einer
autistischen Störung Probleme im Bereich der bedeutungsgeleiteten Verarbeitung und Stärken
im Bereich der detailorientierten Verarbeitung zeigen, d.h. sie haben Schwierigkeiten, die
Zusammenhänge von Gegenständen oder Objekten zu beachten und richten ihr Interesse eher
auf isolierte Details.
Unter „Spiegelneuronensystem-Dysfunktion“ (Williams et al., 2006) wird ein bei Personen
mit einer autistischen Störung beobachtetes defizitäres Imitationslernen in den Bereichen
Motorik und Sprache verstanden, welches weitere Defizite in davon abhängigen kognitiven
Leistungen wie z.B. geteilte Aufmerksamkeit (joint attention), Empathie oder auch Theory of
Mind Funktionen nach sich zu ziehen scheint.
Sämtliche vorgestellte Erklärungsmodelle beleuchten nur Teilaspekte der autistischen
Symptomatik, zudem mangelt es an konsistenten Studienergebnissen. Die Abhängigkeit der
einzelnen Modelle voneinander ist noch weitestgehend unklar, weshalb es neuere
Forschungsbemühungen gibt, die den Versuch unternehmen, Zusammenhänge zwischen den
unterschiedlichen Ansätzen herzustellen (Geschwind & Levitt, 2007; Frith & Happe, 1994).
33
1.9
Theoretischer Hintergrund
Frühe Indikatoren für autistische Störungen
Die in der Literatur häufig beschriebene Tatsache, dass das Diagnosealter einer autistischen
Störung nicht zwangsläufig mit den ersten, von Eltern oder Umfeld (Erzieher, Therapeuten)
beobachteten Verhaltensauffälligkeiten zusammenfällt, hat in den letzten Jahren zu
vielfältigen Forschungsbemühungen im Bereich Frühsymptome und möglichen ersten
Anzeichen für das Vorliegen einer autistischen Störung geführt (Zwaigenbaum et al., 2005;
Chawarska et al., 2007; Wetherby et al., 2004).
Mögliche Frühsymptome im Bereich der sozialen Interaktion (Zwaigenbaum et al., 2005;
Chawarska et al., 2007; Wetherby et al., 2004):
- Kind ist lieber alleine
- möchte nicht im Arm gehalten werden
- kaum soziales Lächeln, wenig Mimik
- abnormer Blickkontakt
- kaum Interesse an sozialen Spielen, ignoriert andere Kinder, nimmt keinen Kontakt zu
anderen Kindern auf
- kaum /fehlende Imitation
Mögliche Frühsymptome im Bereich der Sprache und Kommunikation (Zwaigenbaum et al.,
2005; Chawarska et al., 2007; Wetherby et al., 2004):
- verzögerte oder ausbleibende Sprachentwicklung
- deutliche Einschränkungen in der nonverbalen Kommunikation: kaum Gebrauch von
Mimik, Gestik, Körpersprache
Mögliche
Frühsymptome
im
Bereich
eingeschränkte
Interessen
und
stereotype
Verhaltensweisen (Zwaigenbaum et al., 2005; Chawarska et al., 2007; Wetherby et al., 2004):
- Überempfindlichkeit oder fehlende Empfindlichkeit für Schmerzen, Temperaturreize,
Geschmack
- ungewöhnliche Reaktionen auf akustische oder visuelle Reize
- ungewöhnliche Körperhaltung
- unangemessener Gebrauch von Gegenständen
- ungewöhnliches Spielverhalten
34
Theoretischer Hintergrund
Auch eine Reihe unspezifischer Frühsymptome werden in der Literatur beschrieben, so
berichten Eltern über Auffälligkeiten im Schlaf-, Schrei- oder Essverhalten. Manche Kinder
schreien ohne Pause, egal welche Form der Zuwendung sie von den Eltern erhalten, andere
Kinder schlafen von Beginn ihres Lebens sehr wenig oder sehr unruhig, auch werden gehäuft
Probleme in der Zeit der Nahrungsumstellung von flüssiger auf feste Nahrung bis hin zur
kompletten Verweigerung jeglicher festen Nahrung berichtet (Ornitz, 1983).
Alter bei Auftreten erster Symptome
Verschiedene Studien konnten mittels retrospektiver Elternbefragung sowie retrospektiver
Analyse von Videoaufnahmen der Eltern (die entstanden, bevor das Kind die Diagnose
Autismus erhielt) zeigen, dass das Auftreten der ersten autistischen Symptome bei einem
Durchschnittsalter von 16 - 20 Monaten liegt. Zudem wird bei über der Hälfte der Kinder ein
Beginn der Symptomatik im 1. Lebensjahr beschrieben, bis zum Ende des 2. Lebensjahres
sind über 95% der Kinder retrospektiv auffällig, nur bei wenigen Kindern fallen erste
Symptome im 3. Lebensjahr zum ersten Mal auf (DeGiacomo A. & Fombonne, 1998;
Werner, Dawson, Munson & Osterling, 2005; Howlin & Asgharian, 1999).
Verhaltensauffälligkeiten, die Eltern beunruhigen
In der Literatur werden hier nahezu einheitlich folgende Auffälligkeiten beschrieben: Eine nur
unzureichende oder ausbleibende Sprachentwicklung sowie fehlendes Interesse am sozialen
Umfeld (Desinteresse an sozialen Spielen, kein Interesse an anderen Kindern) werden von den
Eltern am häufigsten als Grund zur Besorgnis genannt. Durchschnittlich haben die Kinder zu
diesem Zeitpunkt ein Alter von 18 Monaten. Stereotypes und repetitives Verhalten, wie es
von den diagnostischen Kriterien gefordert wird, scheint in diesem Alter noch nicht
ausgeprägt genug zu imponieren (Chawarska et al., 2007; Howlin & Asgharian, 1999;
DeGiacomo A. & Fombonne, 1998).
Einige Eltern berichten zudem über das fehlende Erreichen von Meilensteilen der
Entwicklung oder über den Verlust bestimmter Fähigkeiten. Über eine Regression im Bereich
der sprachlichen Entwicklung wird von 25-30,0% der Eltern berichtet (Werner, Dawson,
Munson & Osterling, 2005), oft stellt sich jedoch in retrospektiver Befragung heraus, dass die
Entwicklung des Kindes schon vor diesem Verlust von sprachlichen Fähigkeiten nicht
vollkommen unauffällig war.
Alter bei Diagnosestellung
Trotz dieser früh erkennbaren Auffälligkeiten wird die Diagnose eines frühkindlichen
Autismus in der Regel erst um das 6. Lebensjahr gestellt, (Filipek et al.,1999; Howlin &
Asgharian, 1999), bei Kindern mit einer autistischen Störung auf einem höheren
35
Theoretischer Hintergrund
Funktionsniveau liegt das Durchschnittsalter bei 12 Jahren. Gründe für diese Unterschiede
werden u.a. darin gesehen, dass den Eltern von Low-Functioning-Autisten die
Begleitsymptome und Schwierigkeiten wie eine Intelligenzminderung, Epilepsie oder andere
körperliche Beeinträchtigungen deutlich mehr Sorgen macht (DeGiacomo & Fombonne,
1998), auch das Vorhandensein perinataler Komplikationen scheint eine frühere
Diagnosestellung zu beeinflussen (Baghdadli, Picot, Pascal, Pry & Aussilloux, 2003).
1.10
Diagnose, Differenzialdiagnose und verwandte Störungen
Die Diagnose Autismus ist eine klinische Diagnose, d.h. sie wird hauptsächlich durch die
Vorgeschichte und die Beobachtung des Kindes in verschiedenen Situationen gestellt. Der
Diagnose zugrunde gelegt werden die diagnostischen Kriterien der beiden internationalen
Klassifikationssysteme psychischer Störungen und Erkrankungen ICD-10 (World Health
Organization, 1992) und DSM-IV (APA, 1994). Zur Überprüfung der diagnostischen
Kriterien werden standardisierte Interviews, u.a. das ADI-R: Diagnostisches Interview für
Autismus - Revidiert (Rutter, LeCouteur & Lord, 2003) sowie Beobachtungsskalen, u.a.
ADOS (Lord, Rutter, DiLavore & Risi, 2001) durchgeführt. Zusätzlich wurden in den letzten
Jahren spezifische Screeningbögen entwickelt, u.a. die Marburger Beurteilungsskala zum
Asperger-Syndrom (MBAS), oder der Fragebogen zur Sozialen Kommunikation (FSK), die
als erste Orientierung für den Untersucher dienen können.
Differentialdiagnosen und verwandte Störungen
Abgegrenzt werden muss die Diagnose (frühkindlicher) Autismus von anderen tiefgreifenden
Entwicklungsstörungen wie dem Asperger-Syndrom, dem atypischen Autismus oder dem
Rett-Syndrom.
In der Abgrenzung zum Asperger-Syndrom liegen die Unterschiede laut diagnostischer
Kriterien vorrangig im Bereich der sprachlichen und intellektuellen Fähigkeiten sowie dem
Krankheitsbeginn, die nosologische Validität des Asperger-Syndroms wird zudem als
unsicher beschrieben (vgl. ICD-10 / DSM-IV, World Health Organization, 1992, APA, 1994).
Neuere Forschungsergebnisse plädieren dafür, diese Unterschiede im Rahmen eines
diagnostischen Kontinuums als Form einer Autismus-Spektrum-Störung zu differenzieren, da
die durch die beiden großen Klassifikationssysteme vorgenommene Abgrenzung in vielen
Studien nicht repliziert werden konnten (Howlin, 2003).
Der atypische Autismus unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus entweder durch das
Alter bei Krankheitsbeginn oder dadurch, dass die diagnostischen Kriterien nicht in allen 3
36
Theoretischer Hintergrund
geforderten Bereichen erfüllt werden. Beim Rett-Syndrom kommt es im Gegensatz zum
Autismus zum Verlust bereits erworbener Fähigkeiten (z.B. der Sprachentwicklung),
verbunden mit zahlreichen neurologischen Symptomen. Zudem kommt das Rett-Syndrom fast
ausschließlich bei Mädchen vor und wird durch eine Mutation im distalen Abschnitt der XChromosoms (Lokalisation MECP 2-Gen) verursacht.
Eine weitere Differentialdiagnose des frühkindlichen Autismus ist die Intelligenzminderung.
Bei einer isoliert vorliegenden Intelligenzminderung im Sinne einer geistigen Behinderung
bilden die Defizite in der sozialen Interaktion, der Kommunikation und der motorischen
Beeinträchtigung nicht das Zentrum des klinischen Erscheinungsbildes. Die sprachlichen und
motorischen Besonderheiten der autistischen Symptomatik fehlen meist, zudem haben geistig
behinderte Kinder und Jugendliche deutlich weniger oder gar nicht gestörte emotionale
Beziehungen zu ihrem Umfeld. Auch Sinnesdefekte (z.B. Taubheit) können als
Differenzialdiagnose
in
Frage
kommen.
Auch
der
Symptomenkomplex
um
das
Deprivationssyndrom kommt als mögliche Differentialdiagnose zum (frühkindlichen)
Autismus in Frage. Hierunter versteht man Verhaltensauffälligkeiten, die ebenfalls mit einer
Kontaktstörung einhergehen können, ursächlich ist hier aber die extreme Vernachlässigung
oder mangelnde Förderung eines Kindes. Meistens entwickeln diese Kinder jedoch nach
einem Umfeldwechsel soziale Strategien, einhergehend mit einer Verbesserung der
Kommunikation und einem Abklingen der motorischen Stereotypien.
Auch die Abgrenzung zur Schizophrenie ist von klinischer Bedeutung, besonders im Bereich
der sog. Negativsymptomatik sind Überschneidungen zur autistischen Symptomatik möglich.
Bei Schizophrenie tritt zusätzlich meist eine ausgeprägte Positivsymptomatik auf, u.a. mit
Wahnsymptomen und Halluzinationen. Seit der Erstbeschreibung der autistischen
Symptomatik wurden immer wieder Bezüge zur Schizophrenie hergestellt, in den siebziger
Jahren des 20. Jahrhunderts wurden viele Kinder mit Autismus noch mit der Diagnose einer
„kindlichen
Psychose“
klassifiziert,
dies
sicherlich
auch
wegen
noch
fehlender
operationalisierender diagnostischer Kriterien für den Autismus.
Multiple-Complex Developmental Disorder
Verschiedene klinischer Beobachtungen berichten über Kinder, die sowohl Symptome aus
dem autistischen Spektrum, wie z.B. die Unfähigkeit zum Aufbau sozialer Beziehungen, als
auch eine Reihe affektiver Symptome und Symptome aus dem schizophrenen Formenkreis,
wie Denkstörungen oder Wahnerleben, zeigen. Diese Symptome wurden in der Literatur
lange Zeit u.a. als „Borderline Störung des Kindesalters“, „schizotypische Erkrankung“ oder
37
Theoretischer Hintergrund
„schizoide Persönlichkeitsstörung im Kindesalter“ (Cohen, Paul & Volkmar, 1986)
bezeichnet. Aus der Beschreibung der Symptome entwickelten einige Autoren die
diagnostischen Kriterien für ein noch nicht vollständig untersuchtes Störungsbild, der
Multiple-Complex Developmental Disorder (MCDD) (Cohen, Paul, & Volkmar, 1986;
Towbin, Dykens, Pearson & Cohen, 1993). Es handelt sich hierbei um einen
Symptomenkomplex „in the borderlands of autism“, d.h. Patienten mit oben beschriebener
Symptomatik, welche sich wie beim Autismus in den ersten Lebensjahren manifestiern,
jedoch eine stark fluktuierende Symptomatik zeigen (Towbin, Dykens, Pearson & Cohen,
1993). Bei den Patienten wird zudem über eine hohe Rate an komorbiden Erkrankungen wie
z.B. umschriebene Entwicklungsstörungen, ADHD, Depressionen, bipolar affektiven
Störungen, Angststörungen, soziale Phobien, Tourette-Syndrom, Persönlichkeitsstörungen
sowie Epilepsien berichtet. Einige Studien konnten nachweisen, dass Patienten mit diesem
Symptomenkomplex ein stark erhöhtes Risiko haben, im Laufe ihres Lebens an einer
Schizophrenie zu erkranken (van der Gaag & Buitelaar, 2005). Zunächst wurden die
genannten Symptome als Multiplex Developmental Disorder (MDD) bezeichnet, dies führte
jedoch häufig zu einer Begriffsverwechslung mit der Major Depressive Disorder, so dass seit
1993 der Begriff Multiple-Complex Developmental Disorder geprägt (MCDD) wurde
(Towbin, Dykens, Pearson, & Cohen, 1993). Bis heute gelten die oben beschriebenen
Kriterien als methodische Anleitung zu Forschungszwecken, in die beiden großen
Klassifikationssysteme DSM und ICD haben sie bisher keinen Einzug gefunden, als mögliche
Differentialdiagnose zu den Autismus-Spektrum-Störungen sollten sie jedoch in Betracht
gezogen werden. Die Abgrenzung und Überschneidung der Symptomatik zu den AutismusSpektrum-Störungen sind Inhalt aktueller Forschungsbemühungen.
38
2.
Fragestellungen
Fragestellung der vorliegenden Studie
Ziel der vorliegenden Studie ist es, durch den Vergleich einer Stichprobe von Patienten mit
einem High-Functioining-Autismus mit einer Stichprobe von Patienten mit einem LowFunctioning-Autismus mögliche Hinweise auf das Vorliegen von unterschiedlichen
Symptomprofilen innerhalb der kategorialen Diagnosegruppe F84.0 (Frühkindlicher
Autismus) zu erlangen.
Anhand einer katamnestischen Untersuchung einer Inanspruchnahmepopulation von Patienten
der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der
Universitätsklinik Freiburg sollte untersucht werden, ob in folgenden Bereichen zwischen den
beiden Stichproben Unterschiede und Übereinstimmungen zu beschreiben sind:
1. In der klinischen Ausprägung der diagnostischen Kriterien nach ICD-10 und DSMIV:
-
Sprachliche Fertigkeiten und Kommunikation
-
Repetitive und sterotype Verhaltensweisen
-
Soziale Interaktion
-
Katamnestische Überprüfung einer möglichen Symptomüberschneidung zu den
Multiple-Complex Developmental Disorder (MCDD)
2. Im Bereich der Frühsymptome:
-
Entwicklungsauffälligkeiten
-
Frühe Indikatoren für autistische Störungen
3. Im Erkrankungsverlauf:
-
Diagnostik,
-
Therapie
-
Versorgung (Kindergarten, Schule)
-
psychosoziale Anpassung
-
Intelligenzstruktur
4. Im Bereich allgemeiner demographischer Beschreibungsfaktoren der Stichproben:
-
Familienanamnese
-
Wohnsituation
39
3.
Stichproben- und Datenerhebung
Stichproben- und Datenerhebung
Die vorliegenden Daten wurden im Rahmen einer Katamnese-Untersuchung von Patientinnen
und Patienten der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter
des Universitätsklinikums Freiburg erhoben. Ausgewählt wurden Patientinnen und Patienten,
bei denen zwischen dem 01.01.2000 und dem 31.12.2005 die Diagnose oder
Verdachtsdiagnose eines Frühkindlichen Autismus gestellt wurde.
Im Rahmen eines klinischen Untersuchungstermins wurde die (Verdachts-) Diagnose mittels
eines eigens für diese Untersuchung entwickelten Spezialinstruments (Freiburger Autismus
Inventar) bestätigt bzw. ausgeschlossen. Außerdem wurde eine Katogerienbildung Highfunctioning/ Low-functioning Frühkindlicher Autismus innerhalb der Diagnosegruppe
vorgenommen. Die Unterscheidung erfolgte definitionsgemäß ab einem Gesamt-IQ von 70.
Patienten, die diesen IQ-Wert erreichten oder darüber lagen wurden der Gruppe der HighFunctioning-Autisten zugeordnet, Patienten mit einem IQ-Wert von unter 70 Punkten wurden
zur Gruppe der Low-Functioning-Autisten gezählt. Im Anschluss sollten die anhand des
Freiburger Autismus Inventar gesammelten Daten der beiden Stichproben auf mögliche
Unterschiede überprüft werden.
Bei 78 Patientinnen und Patienten der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im
Kindes-und Jugendalter lag zum Zeitraum der Katamnese-Untersuchung die (Verdachts-)
Diagnose eines Frühkindlichen Autismus (F84.0) vor. Aus dieser Ausgangsstichprobe wurden
zunächst 18 Patienten aus unterschiedlichen Gründen von der Katamnese-Untersuchung
ausgeschlossen: 14 Patienten lehnten explizit die Teilnahme an der Katamnese-Untersuchung
ab, bei zehn Patienten war trotz intensiver Recherche zu keinem Zeitpunkt eine neue Adresse
oder Telefonnummer zu ermitteln, zwei Patienten erschienen nicht zum vereinbarten
Untersuchungstermin und waren zu keiner weiteren Teilnahme bereit, bei zwei Patienten
konnte
durch
Auswertung
Hyperaktivitätsstörung
des
(ADHS)
Patientenblatts
sowie
eine
eine
Aufmerksamkeitsdefizit-/
Teilleistungsstörung
(Lese-/
Rechtsschreibschwäche) als aktuelle Diagnose bestätigt werden.
Zunächst wurden 50 Patienten in die Katamnese-Untersuchung aufgenommen, mit 46
Patienten und Patienteneltern wurde die Diagnostische Beobachtungsskala für autistische
Störungen (ADOS) (Ruehl et al., 2004) und das Diagnostische Interview für Autismus Revidiert (ADI-R) (Boelte et al., 2005) durchgeführt und evtl. noch fehlende Informationen im
Freiburger-Autismus-Inventar (FAI) ergänzt. Bei einem Patienten konnte lediglich das ADI-R
40
Stichproben- und Datenerhebung
durchgeführt werden, bei einem Patienten nur die ADOS, im Anschluss wurden die noch
fehlenden Informationen im Freiburger Autismus Inventar (FAI) ergänzt, um das Vorliegen
der
Diagnose
eines
High-Functioning-
oder
Low-Functioning-Autismus
zum
Katamnesezeitpunkt zu bestätigen bzw. auszuschließen.
Bei zwei Patienten wurde das FAI in einem telefonischen Gespräch mit den Eltern ergänzt,
eine ausführliche Gold-Standard-Untersuchung wurde abgelehnt. Von den ehemals 50
Patienten, die in die Katamnese-Untersuchung aufgenommen wurden, mussten zehn Patienten
aus der endgültigen Stichprobe ausgeschlossen werden. Acht Patienten wechselten innerhalb
der Autismus-Spektrum-Störungen in eine andere Diagnosegruppe: Sechs Patienten erhielten
die Diagnose eines atypischen Autismus (F84.1) und 2 Patienten die Diagnose eines
Asperger-Syndrom (F84.5). Bei zwei Patienten wurde eine Diagnose aus dem autistischen
Spektrum ausgeschlossen, sie erhielten die Diagnose einer Hyperkinetischen Störung mit
Störung des Sozialverhaltens (F90.1).
Bei 40 Patienten wurde die Diagnose eines Frühkindlichen Autismus (F84.0) bestätigt, 28
Patienten wurden der Gruppe des Low-Functioning-Autismus (LFA) zugerechnet, zwölf
Patienten erhielten die Diagnose eines High-Functioning-Autismus (HFA).
41
Stichproben- und Datenerhebung
Abbildung 1: Flussdiagramm zum Ein- und Ausschluss der Patienten
n=14: keine
Einwilligung erteilt
n=78
Ausgangsstichprobe
n=10:Keine Antwort;
nicht erreichbar
n=2:Zum Termin
nicht erschienen
n=2:andere Diagnose
n=6: Diagnose
F84.1
n=50
Einschluss in Katamnese
Ausschluss nach GoldStandard-Untersuchung
n=2: Diagnose
F84.5
n=2: Diagnose
F90.1
n=36: Gold-Standard durchgeführt;
FAI-Ergänzung
n=40
Bestätigung der Diagnose
LFA=28, HFA=12
n=2: Interview mit Patienteneltern
durchgeführt; FAI-Ergänzung
n=1: ADOS mit Patienten
durchgeführt; FAI-Ergänzung
n=1: ADI-R mit Patienteneltern
durchgeführt; FAI-Ergänzung
3.1
Zur
Planung und Durchführung der Untersuchung
Ermittlung
der
Ausgangsstichprobe
wurden
die
durch
die
elektronischen
Dokumentationssysteme und Patientenblätter erhobenen Daten derjenigen Patienten ermittelt,
bei denen die (Verdachts-) Diagnose eines Frühkindlichen Autismus gestellt wurde.
Die vorhandenen Daten wurden im Anschluss in eine Spezialdokumentation übertragen,
hierbei handelt es sich um ein Inventar zur Erfassung Tiefgreifender Entwicklungsstörungen
aus dem autistischen Spektrum, das Freiburger-Autismus-Inventar (FAI-Katamnese-Version).
Dieses Untersuchungsinstrument wurde von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie
42
Stichproben- und Datenerhebung
im Kindes- und Jugendalter des Universitätsklinikums Freiburg zur Erfassung der für diese
Katamnese-Untersuchung relevanten Daten entwickelt. Das Freiburger-Autismus-Inventar
dient zur Erfassung folgender Inhalte:
ƒ
Bestätigung und Ausprägung der diagnostischen Kriterien eines Frühkindlichen
Autismus nach ICD-10 und DSM-IV (Saß, 2003)
ƒ
Dokumentation aller relevanten Quellen zu Vorbefunden sowie kinder- und
jugendpsychiatrischer Untersuchungen
ƒ
Dokumentation möglicher Frühsymptome, die von den Eltern beobachtete wurden
ƒ
Chronologische Dokumentation des Diagnose- und Therapieverlaufs
ƒ
Dokumentation soziodemographischer Daten
Nach Abschluss der Dokumentation wurden die Patienten angeschrieben und zur Teilnahme
an der Katamnese-Untersuchung eingeladen. Auf einer beigelegten Antwortkarte konnten die
Patienten bzw. deren Erziehungsberechtigte ihr grundsätzliches Interesse an einer
Kontaktaufnahme signalisieren. Bei einer positiven Antwort erfolgte ein telefonischer
Erstkontakt. Hier wurde der Ablauf der Katamnese-Untersuchung detailliert besprochen und
bei
Interesse
ein
Untersuchungstermin
vereinbart.
Im
Anschluss
wurden
den
Erziehungsberechtigten die Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS)
(Kamp-Becker et al., 2005) und der Fragebogen zur Sozialen Kommunikation (FSK) (Boelte
et
al.,
2005)
zugeschickt
und
mit
der
Untersuchungstermin ausgefüllt mitzubringen.
Bitte
versehen,
die
Fragebögen
zum
43
Stichproben- und Datenerhebung
Abbildung 2: Flussdiagramm zum Ablauf des Studientermins
Fragebögen
MBAS/FSK
(vor Termin zugeschickt)
Eltern
Studientermin
Interview
ADI-R + MCDD Kriterien
Verhaltensbeobachtung
ADOS
Testpsychologische
Untersuchung
CFT-20 bzw. CPM,
wenn testbar
Kind
Während des vereinbarten Untersuchungstermins wurde mit den Erziehungsberechtigten das
Diagnostische Interview für Autismus - Revidiert (ADI-R) durchgeführt, zusätzlich wurden
differentialdiagnostische Kriterien der Multiple-Complex Developmental Disorder (MCDD)
(Buitelaar & van der Gaag, 1998) erhoben und die noch fehlenden Informationen für das
Freiburger Autismus Inventar (FAI) ergänzt.
Mit den Patienten wurde zeitgleich die Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische
Störungen
(ADOS)
durchgeführt.
Um
eine
hinreichende
Reliabilität
der
Untersuchungsergebnisse zu ermöglichen, wurden alle an der Katamnese beteiligten
untersuchenden Personen zuvor in der Anwendung der Instrumente geschult.
44
Stichproben- und Datenerhebung
Im Anschluss wurde eine orientierende Leistungsdiagnostik (CFT-20 bzw. CPM) (Weiss,
2006; Raven, 2002) vorgenommen, teilweise war dies nicht möglich, da die Patienten
aufgrund der Schwere der autistischen Störung nicht zur Mitarbeit bereit waren. Daher musste
bei einer Anzahl von Patienten aus der Low-Functioning-Gruppe eine klinische Einschätzung
des aktuellen Intelligenzniveaus vorgenommen werden. Anhand vorrausgegangener
Leistungstestungen die im Patientenblatt dokumentiert waren bzw. anhand vorliegender
Untertests von Leistungstestungen und der klinischen Präsentation konnte so eine
Klassifizierung durch eine Fachärztin für Kinder- u. Jugendpsychiatrie vorgenommen werden.
3.2
Eingesetzte Untersuchungsinstrumente
Die Datenerhebung wurde mittels folgender standardisierter Untersuchungsinstrumente
durchgeführt:
ƒ
Freiburger Autismus Inventar - Katamnese Version (FAI)
ƒ
Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS) (Kamp-Becker et
al., 2005)
ƒ
Fragebogen zur Sozialen Kommunikation (FSK) (Rutter, Bailey, Berument,
Lord, & Pickles, 2001; Boelte et al., 2005)
ƒ
Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen (ADOS) (Lord,
Rutter, DiLavore, & Risi, 2001; Ruehl et al., 2004)
ƒ
Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert (ADI-R) (Rutter, LeCouteur,
& Lord, Bölte et al., 2005)
ƒ
Orientierende Leistungsdiagnostik (CFT 20-R, CPM) (Weiss, 2006), (Raven,
2002)
ƒ
Diagnostische Kriterien für Multiple-Complex Developmental Disorder (MCDD)
(Buitelaar & van der Gaag, 1998)
Die Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen (ADOS) (Lord, Rutter,
DiLavore, & Risi, 2001; Ruehl et al., 2004) und das Diagnostische Interview für Autismus Revidiert (ADI-R) (Rutter, LeCouteur, & Lord, Boelte et al., 2005) gehören zum international
anerkannten
Standard
Entwicklungsstörungen.
(„Gold-Standard“)
in
der
Diagnostik
Tiefgreifender
45
Stichproben- und Datenerhebung
FAI: Freiburger Autismus Inventar - Katamnese Version
Das Freiburger Autismus Inventar wurde als katamnesespezifisches Untersuchungsinstrument
innerhalb der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter des
Universitätsklinikums Freiburg entwickelt. Konzipiert wurde der FAI für die drei möglichen
Diagnosen aus dem Bereich der Autismus-Spektrum-Störungen: F84.0 (Frühkindlicher
Autismus), F84.1 (Atypischer Autismus) und F84.5 (Asperger-Syndrom).
Ziel des Inventars in der vorliegenden Studie ist die Dokumentation folgender Inhalte:
1. Das Vorliegen der Diagnostischen Kriterien für den Frühkindlichen Autismus laut
ICD-10 und DSM-IV. Diese Kriterien wurden im FAI zusammengefasst (s. S.4-7, Abschnitt
„Diagnostische Kriterien“)
Somit wurde überprüft, ob für den jeweilig dokumentierten Patienten alle erforderlichen
Kriterien überhaupt jemals aufgetreten waren. Zudem wurde dokumentiert, in welchem
Alter die erforderlichen Kriterien aufgetreten waren. Die Altersangaben wurden in
folgenden zeitlichen Intervallen erhoben:
ƒ
Vor dem Kindergartenalter (bis zum 3. Lebensjahr)
ƒ
Kindergartenalter (4.-6. Lebensjahr)
ƒ
Grundschulalter (7.-11. Lebensjahr)
ƒ
Nach der Grundschulzeit (ab dem 12. Lebensjahr)
Weiterhin wurde dokumentiert, zu welchem Zeitpunkt ein Kriterium vorhanden war:
ƒ
Zu Diagnostikbeginn
ƒ
Am Ende der Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
ƒ
Aktuell (zum Katamnesezeitpunkt)
Bei bestimmten Kriterien waren Freitextangaben zu Dokumentation der individuellen
Interessen und Gewohnheiten sowie spezifischer Objektteile möglich:
ƒ
„Umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen Interessen, wobei
Inhalt und Intensität abnorm sind“
ƒ
„Auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten und
Ritualen“
ƒ
„Ständige Beschäftigung mit Teilen von Objekten“
Die Inhalte der Freitextfelder wurden im Anschluss in ein Kategoriensystem eingeordnet,
welches von zwei Studienmitarbeiterinnen unabhängig voneinander durchgeführt wurde.
46
Stichproben- und Datenerhebung
Die Übereinstimmung lag in allen Bereichen bei über 70%, unklare Fälle wurden noch
einmal besprochen und dann entsprechend zugeordnet.
Weiterhin wurden Angaben zu möglichen Auffälligkeiten vor Vollendung des 3.
Lebensjahres in folgenden Bereichen dokumentiert:
ƒ
Soziale Interaktion
ƒ
Sprache als soziales Kommunikationsmittel
ƒ
Symbolisches Spiel oder Fantasiespiel
2. Ausschluss sämtlicher relevanter Differentialdiagnosen:
ƒ
Rett-Syndrom
ƒ
Desintegrative Störung des Kindesalters/Morbus Heller
ƒ
Schizophrenie
ƒ
Elektiver Mutismus
ƒ
Sprachentwicklungsstörungen
3. Dokumentation aller relevanten Quellen zu Vorbefunden sowie Kinder- und jugendpsychiatrischer Untersuchungen:
Zu diesem Abschnitt wurden folgende Inhalte dokumentiert
ƒ
Vorbefunde, Kindergarten- und Schulberichte
ƒ
Ergebnisse der Autismus-spezifischen Diagnostik ADI-R und ADOS
ƒ
alle Ergebnisse bisher durchgeführter psychologischer Leistungs- und
Psychodiagnostik (Ergebnisse, Durchführungszeitpunkte und Diagnostiker)
4. Dokumentation möglicher Frühsymptome:
Zu diesem Abschnitt wurden folgende Inhalte dokumentiert:
ƒ
Erfassung des Zeitpunkt erster Verhaltensauffälligkeiten
ƒ
Erfassung des Inhaltes derVerhaltensauffälligkeiten in Freitextfeldern
ƒ
Zuordnung der Freitext-Felder in spezifisches Kategoriesystem
Die Inhalte der Freitextfelder wurden ebenfalls im Anschluss in ein Kategoriensystem
eingeordnet, welches von zwei Studienmitarbeiterinnen unabhängig voneinander
durchgeführt wurde. Die Übereinstimmung lag in allen Bereichen bei über 70%, unklare
Fälle wurden noch einmal besprochen und dann entsprechend zugeordnet.
47
ƒ
Stichproben- und Datenerhebung
Abfragen bereits in der Literatur beschriebener Frühsymptome (Zwaigenbaum et al.,
2005; Chawarska et al., 2007; Wetherby et al., 2004) (s. Auflistung sämtlicher
Frühsymptome im FAI, s. Anhang)
5. Chronologische Dokumentation des Diagnose- und Therapieverlaufs:
Zu diesem Abschnitt wurden folgende Inhalte dokumentiert:
ƒ
Zeitpunkt des erstmaligen Kontakts mit Versorgungseinrichtung/Dokumentation der
Versorgungseinrichtung
ƒ
Zeitpunkt erstmaliger Verdacht auf Störung aus autistischem Formenkreis (nicht durch
Spezialist geäußert, d.h. durch Erzieher, Verwandte )
ƒ
Zeitpunkt der erstmaligen Verdachtsdiagnose, Art des Diagnostikers, Art der
Diagnose (F84.0, F84.1, F84.5)
ƒ
Zeitpunkt erstmalig gesicherter Diagnosestellung F84.0, Art des Diagnostikers
Um eine spezifischere Auswertung des Diagnose- und Therapieverlaufs vornehmen zu
können, wurden weiterhin folgende Angaben erfasst:
ƒ
„Konsultationen“, hier erfolgte die Dokumentation der Zeitpunkte und Art der
Versorgungseinrichtungen , die konsultiert wurden
ƒ
„Diagnosen“, hier wurden die Diagnosezeitpunkte, Art der Diagnosen sowie die Art
des Diagnostikers dokumentiert
ƒ
„Ambulante Therapien“, hier erfolgte die Dokumentation aller bis zum
Katamnesezeitpunkt durchgeführten ambulanten Therapien, der Zeitraum sowie die
Art der Therapie und des Therapeuten
ƒ
„Stationäre Therapien“, hier erfolgte die Dokumentation aller bis zum
Katamnesezeitpunkt durchgeführten stationären Therapien (incl. tagesklinischer
Aufenthalte, stationäre Rehabilitationsmaßnahmen und stationärer
Jugendhilfemaßnahmen), der Zeitraum sowie die Art der Therapie und des
Therapeuten
ƒ
„Medikamentöse Therapien“, hier wurden die Wirkstoffgruppe sowie Dauer einer
medikamentösen Therapie dokumentiert
ƒ
„Bildungsweg“, hier erfolgte die Dokumentation aller bis zum Katamnesezeitpunkt
besuchten Kindergärten und Schulen, die Dauer des Besuchs sowie ein eventuell
erfolgter Wechsel einer Bildungseinrichtung
48
ƒ
Stichproben- und Datenerhebung
„Familienanamnese“, hier wurden relevante psychiatrische Diagnosen dokumentiert,
die Frage nach einer möglichen Häufung von Diagnosen aus dem autistischen
Formenkreis stand hier im Mittelpunkt des Interesses
6. Dokumentation soziodemographischer Daten
Anhand der Basisdokumentation (BaDO) (Kommission Qualitätssicherung in der Kinderund Jugendpsychiatrie 2007) der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindesund Jugendalters des Universitätsklinikums Freiburg wurden für jeden in die
Katamneseuntersuchung eingeschlossenen Patienten folgende Daten erhoben:
ƒ
derzeitige Wohnsituation
ƒ
Schulabschluss, Schichtzugehörigkeit der Eltern
ƒ
Dokumentation von Befunden der Achsen I-VI des multiaxialen Klasifikationssystem
für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO
ƒ
Befunde der Achse VI „Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung“ wurden
jeweils bei KJP-Erstkontakt und bei Behandlungsende erhoben, als Behandlungsende
wurde in diesem Fall der Zeitpunkt des katamnestischen Untersuchungstermins
gewählt
MBAS: Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom
(Kamp-Becker et al., 2005)
Bei der Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom handelt es sich um ein
Screening-Verfahren für Kinder und Jugendliche zwischen 6,0 und 20,0 Jahren, bei denen der
Verdacht auf eine autistische Störung auf hohem Funktionsniveau besteht.
Der Aufbau und die 65 Fragen orientieren sich an den diagnostischen Kriterien der
gebräuchlichen Klassifikationsssysteme ICD-10 und DSM-IV. Zusätzlich werden weitere
relevante
Symptome
abgefragt.
Der
Fragebogen
umfasst
die
folgenden
drei
Symptombereiche: (1) Qualitative Beeinträchtigung: Soziale Interaktion (Kontaktverhalten,
soziale Motivation, Theory of Mind, Nonverbales Verhalten, Mangel an geteilter Freude/
sozioemotionale
Gegenseitigkeit),
(2)
Qualitative
Beeinträchtigung:
Kommunikation
(Intonation, Sprechweise, Sprachverständnis, Verständnis sozialer Regeln, Spielverhalten),
(3) Begrenzte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten
49
Stichproben- und Datenerhebung
(Sonderinteressen, Veränderungsängste/ Zwänge, Motorik, Manierismen, sensorische
Interessen).
Eine enge Bezugsperson schätzt die Symptomatik auf einer 5-stufigen Ratingskala ein (Items
1-58). Die Fragen beziehen sich zum Teil auf den aktuellen Zustand, zum Teil auf die
Symptomatik im 4. bis 5. Lebensjahr. Zur weiteren Differenzierung innerhalb der AutismusSpektrum-Störungen werden zusätzlich Fragen (Items 59 bis 65) zum Sprachbeginn, zu
Sprachauffälligkeiten und zu kognitiven Beeinträchtigungen gestellt. Die Auswertung erfolgt
über den Summenwert der als auffällig kodierten Items.
Die interne Konsistenz der gesamten Skala ist als sehr hoch zu bewerten (Cronbachs α =. 91).
Es liegt eine konvergente Validität der Ergebnisse aus der MBAS und dem ADI-R vor (r =
0.61, p < .01). Bei einer Sensitivität von 95,5% und einer Spezifität von 95,7% kommt es nur
zu wenigen Fehlklassifikationen. Die Bearbeitungsdauer beträgt circa 10 bis 15 Minuten.
FSK: Fragebogen zur sozialen Kommunikation
(Rutter, Bailey, Berument, Lord, & Pickles, 2001; Bölte et al., 2005)
Hierbei handelt es sich um die deutsche Fassung des Social Communication Questionnaire
(SCQ) (Rutter, Bailey, Berument, Lord, & Pickles, 2001). Der FSK ist ein aus dem
Diagnostischen Interview für Autismus - Revidiert (ADI-R) abgeleiteter ScreeningFragebogen.
Er
dient
der
Erfassung
von
abnormen
sozialen
Interaktions-
und
Kommunikationsmustern sowie stereotypen Verhaltensweisen im Vorfeld einer ausführlichen
klinischen Diagnostik. Der Einsatz erfolgt bei Personen mit Verdacht auf eine Störung aus
dem autistischen Spektrum ab einem Alter von 4,0 Jahren. Die Anwendung des FSK ist ab
einem Alter von 2,0 Jahren möglich, falls das Intelligenz-/ Entwicklungsniveau
altersentsprechend ist.
Der FSK ist ein 40 binäre Items umfassendes Screening-Instrument. Es liegt eine LebenszeitFassung sowie eine Aktuell-Fassung zur Einschätzung des Verhaltens in den letzten drei
Monaten vor.
50
Stichproben- und Datenerhebung
ADOS: Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen
(Lord, Rutter, DiLavore, & Risi, 2001; Ruehl et al., 2004)
Das ADOS ist ein strukturiertes Verfahren zur Erfassung von Kommunikation, sozialer
Interaktion und Spielverhalten oder Fantasiespiel mit Gegenständen bei Menschen (Kindern
wie Erwachsenen), bei denen das Vorliegen einer autistischen Störung oder einer anderen
tiefgreifenden Entwicklungsstörung vermutet wird.
Die Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen (ADOS) ist ein
zuverlässiges, valides und klinisch sehr anschauliches Verfahren zur Abklärung und
Klassifikation von qualitativen Auffälligkeiten der sozialen Interaktion und reziproken
Kommunikation im Sinne des Autismus. In Abhängigkeit vom Alter und Sprachniveau des
jeweiligen Patienten wird eine von vier Untersuchungsstrategien (Modulen) gewählt, um
anhand von gezielt inszenierten spielerischen Elementen, Aktivitäten und Gesprächen für die
Diagnose des Autismus relevante Sachverhalte und Symptome prüfen zu können. Die
Ergebnisse der ADOS werden anhand der von den Patienten erreichten Punkte ermittelt, es
können 3 unterschiedliche Diagnosen vergeben werden: „Autismus“, „Autismus-SpektrumStörung“ und „Keine Störung aus dem autistischen Formenkreis“. Der kritische Wert (= Cutoff-Wert), der mindestens erreicht werden muss, um die Diagnosen „Autismus“, oder
„Autismus-Spektrum-Störung“ zu erhalten, ist abhängig von Alter und Sprachniveau des
Patienten.
Interrater- und Retestreliabilität sind sowohl auf Diagnosen- (kappaw = 1.00 bzw. .62) als
auch auf Skalenebene (rtt = .84 bzw. .79) gut. Ebenso zufriedenstellend sind die internen
Konsistenzen der Algoritmusskala Kommunikation und soziale Interaktion der Module 1 bis
4 α = .78 bis .89). Die Diagnosekonvergenz mit dem Diagnostischen Interview für Autismus Revidiert (ADI-R) lag bei 79% (kappaw = .23), bei gleichermaßen moderater Korrelation der
korrespondierenden Subskalen der Verfahren (rtc = .31 bis .45). Die Übereinstimmung von
ADOS und klinischer Konsensusdiagnose liegt bei 77% (kappaw = .37), bei einer Sensitivität
des Verfahrens von 90,4% und einer Spezifität von 48,1% für die Diskrimination von
Autismus und anderen autistischen Störungen.
51
Stichproben- und Datenerhebung
ADI-R: Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert
(Rutter, LeCouteur, & Lord, 2003 ; Boelte et al. 2005)
Das ADI-R wird für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Verdacht auf eine Störung aus
dem autistischen Spektrum ab einem Entwicklungsalter von 2; 0 Jahren eingesetzt.
Das ADI-R eignet sich sowohl zur psychiatrischen Statusdiagnostik als auch zur
Interventionsplanung. Es beinhaltet 93 Items zur frühkindlichen Entwicklung, zu
Spracherwerb und möglichem Verlust von sprachlichen Fertigkeiten, verbalen und nonverbalen kommunikativen Fähigkeiten, Spiel- und sozialem Interaktionsverhalten, stereotypen
Interessen und Aktivitäten sowie komorbiden Symptomen (Aggression, Selbstverletzung,
Epilepsie). Informanten sind in der Regel die Eltern oder seltener andere Bezugspersonen, die
mit der Entwicklung und aktuellen Symptomatik des Probanden sehr gut vertraut sind. Die
Auswertung und Interpretation der Ergebnisse erfolgt über die Verrechnung einer Auswahl
von Items in einem empirisch generierten diagnostischen Algorithmus, der sich streng an den
Richtlinien zur klinischen Klassifikation nach ICD-10 und DSM-IV-TR orientiert. Anhand
von erreichten kritischen Werten (= Cut-Off) in den ADI-R Bereichen A, B, C und D können
folgende Befunde ermittelt werden: Negativer Befund: „Keine Störung aus dem autistischen
Spektrum“ = keine Domäne erreicht kritischen Wert, Positiver Befund: „Störung aus dem
autistischen Spektrum“ = alle Domänen erreichen kritischen Wert, oder „gemischter Befund“
= z.B nur eine Verhaltensdomäne erreicht kritischen Wert.
Die Interrater-Reliabilität der Algorithmus-Items: Kappa = .31 bis .95. Interraterreliabilität
der ADI-R-Subskalen (soziale Interaktion, Kommunikation, Stereotypien, abnorme
Entwicklung): Kappa = .75 bis .84. Interne Konsistenz der Subskalen: Cronbachs α = .64 bis
α = .91. Weitere Reliabilitätsstudien (z.B. Retest-Reliabilität) zur englischen Originalfassung
und anderssprachigen Adaptationen liegen vor. Das ADI-R ist aufgrund seiner Ableitung von
der ICD-10 und dem DSM-IV ein kontentvalides Verfahren. Der diagnostische Algorithmus
besitzt eine hohe diskriminative Kraft in Bezug auf die Abgrenzung von Autismus-SpektrumStörungen
und
anderen
psychiatrischen
Störungen.
Durch
Hinzunahme
von
Iteminformationen, die außerhalb des Algorithmus liegen, kann ferner zuverlässig die
Differenzialdiagnostik von tiefgreifenden Entwicklungsstörungen untereinander erfolgen. Für
die deutschsprachige Fassung liegen separate Untersuchungen zur diagnostischen Validität
des ADI-R in Bezug auf Sprachentwicklungsstörungen vor. Darüber hinaus wurde die
faktorielle Validität geprüft. Die Diagnosekonvergenz der deutschsprachigen Versionen des
52
Stichproben- und Datenerhebung
ADI-R und der Diagnostischen Beobachtungsskala für Autistische Störungen (ADOS) beträgt
76,0%.
CFT 20-R: Grundintelligenztest Skala 2-Revision
(Weiss, 2006)
Der CFT 20-R erfasst das allgemeine intelektuelle Niveau (Grundintelligenz) im Sinne der
„general fluid ability“ nach Cattell. Hierbei wird die Fähigkeit überprüft, figurale
Beziehungen und formal-logische Denkprobleme mit unterschiedlichem Komplexitätsgrad zu
erkennen und innerhalb einer bestimmten Zeit zu verarbeiten. Dies geschieht mittels
sprachfreier und anschaulicher Testaufgaben. Der CFT 20-R kann bei Kindern und
Jugendlichen im Alter von 8,5 bis 19 Jahren eingesetzt werden.
Der Test besteht aus zwei gleichartig aufgebauten Testteilen mit 4 Untertests
(Reihenfortsetzen, Klassifikationen, Matritzen und topologische Schlussfolgerungen).
Die faktorielle Validität des CFT 20-R zeigt sich in hohen Ladungen aller 4 Subtests auf dem
Faktor „general fluid ability“. Die Korrelationen mit anderen Intelligenztests (z.B. PSB,
HAWIK, CPM, WIP) liegen im Durchschnitt für den CFT 20 bei r = .64 und reichen von r =
.57 bis r = .73.
CPM: Coloured Progressive Matrices
(Raven, 2002)
Die Coloured Progressive Matrices (CPM) wurden zur sprachfreien Erfassung des
allgemeinen Intelligenzpotentials entwickelt. Sie eignen sich gut zur Anwendung bei
Personen, die die deutsche Sprache weder ausreichend noch verstehen, bei Personen, die unter
körperlicher Behinderung, Aphasie oder Cerebralparese leiden oder gehörlos sind und bei
geistig behinderten Personen, bei denen ein Nachlassen der intellektuellen Fähigkeiten
unterstellt werden kann. Die CPM kann mit Kindern zwischen 3,9 bis 11,8 Jahren
durchgeführt werden.
Der Test besteht aus 36 Items in 3 Sets zu je 12 Items und ist so angeordnet, dass die
wichtigsten kognitiven Prozesse, die Kinder im Alter unter 11 Jahren im Allgemeinen
beherrschen, gemessen werden können. Der Test kann mittels eines Testheftes vorgelegt
werden oder in der „Board-Form“, einer Version des Tests, die das Einfügen der
Antwortmöglichkeiten nach Art eines Puzzles erlaubt. Die Board-Form ermöglicht
53
Stichproben- und Datenerhebung
unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit und Sprache eine verständliche Demonstration der
Testaufgaben und ist darüber hinaus einer der wenigen Tests, die mit zufrieden stellenden
Ergebnissen bei Personen mit Teillähmungen, Taubheit oder Sprachstörungen angewendet
werden können.
Verschiedene Untersuchungen belegen eine Halbierungsreabilität von r= .85 bis .90 für
unterschiedliche Länder und Altersstufen der Kinder. Höhere Werte werden bei älteren, etwas
niedrigere bei jüngeren Kindern gefunden. Für die Testwiederholung im Abstand von ein bis
zwei Wochen wurden Werte von r= .86 bis r= .90 ermittelt. Der Faktor „simultanes
Verarbeiten“ wird mit Ladungen zwischen .75 und .85 erfasst.
Diagnostische Kriterien für Multiple-Complex Developmental Disorder
(MCDD)
(Buitelaar & van der Gaag, 1998)
Diese als methodische Anleitung zu Forschungszwecken vorliegenden Kriterien wurden
zunächst innerhalb der Abteilung in eine deutschsprachige Version übersetzt. Während des
Studientermins wurden die Kriterien im Anschluss an das ADI-R bei den Bezugspersonen
abgefragt, es handelt sich nicht um eine Selbstauskunft der Patienten.
1. Beeinträchtigungen in der Regulation von affektiven Zuständen bzw. Angst
[Impairment in regulation of affective state and anxiety as manifested by at least one of the following:]
a) generalisierte Ängstlichkeit, diffuse Anspannungen/ Spannungen oder Erregbarkeit
[generalized anxiety ,diffuse tension, or irritability]
b) Ängste und Phobien (eingeschlossen Schulphobie)
[fears and phobias (including school phobia)]
c) Panikattacken, panische Angst oder „von Ängsten überrollt werden“
[panic episodes, terror, or „flooding with anxiety”]
d) Minuten bis Tage andauernde Verhaltensauffälligkeiten oder Regressionen mit Auftreten
von deutlich unreifem/ unpassenden Verhalten
[episodes (lasting from minutes to days) of behavioral disorganization or regression with the
emergence of markedly immature behavior]
e) deutliche emotionale Labilität, die auch durch umgebungsbedingte Einflüsse ausgelöst
werden kann
[significant emotional lability (variability) with or without environmental precipitants]
54
Stichproben- und Datenerhebung
2. Beeinträchtigungen im Sozialverhalten/ soziales Gespür
[Impairments in social behavior and social sensitivity including at least one of the following:]
a) Gleichgültigkeit/Desinteresse am sozialen Umfeld, Vermeidungsverhalten bzw. Rückzug
bei Konfrontation, bei sozialer Interaktion, besonders auch im Umgang mit den Eltern
[social disinterest, detachement, avoidance or withdrawal in the face of evident competence
(at times) of social engagement, particularly with parents]
b) Unfähigkeit Freundschaften aufzubauen und zu pflegen
[inability to initiate or maintain peer relationships]
c) Gestörte Beziehung zu Erwachsenen, besonders zu Eltern, gekennzeichnet durch
Klammern, übermäßige Kontrolle (Eltern dürfen nichts ohne das Kind erledigen,
unselbstständiges Verhalten (nichts kann ohne die Hilfe der Eltern erledigt werden),
aggressives Verhalten, oppositionelles Verhalten, ambivalentes Verhalten mit einem
Wechselspiel zwischen „Liebe und Hassgefühlen“ gegenüber Eltern, Lehrern und
Therapeuten.
[disturbed attachments to adults ,particularly parents ,as manifested by clinging ,overly
controlling ,needful behavior and/or aggressive ,oppositional behavior, ambivalence, and
“splitting” with shifting love-hate behavior toward parent, teacher, or therapist]
3. Kognitives Verarbeitungsdefizite (Denkstörungen)
[Impaired cognitive processing (thinking disorder) including at least one of the following to a degree not found in children of
the same developmental level:]
(a) Denkstörung: beinhaltet “magisches Denken“, irrationale Gedanken, plötzliche
Intrusionen im Denkprozess
[thought problems, including magical thinking, irrationality, sudden intrusions on normal
thought process]
b) Probleme Realität und Fantasie auseinanderzuhalten
[confusion between reality and fantasy]
(c) Ratlos und leicht verwirrbar im sozialen Miteinander/ Gedankenabreißen („den roten
Faden verlieren“)
[perplexity and easy confusability (trouble with understanding ongoing social processes and
keeping one’s thoughts “straight”)]
(d) Wahnvorstellungen, beinhaltet Größenwahnfantasien, Beschäftigung mit paranoiden
Denkinhalten und übermäßige Beschäftigung mit Fantasieinhalten/ Fantasiefiguren
55
Stichproben- und Datenerhebung
[delusions, including fantasies of personal omnipotence, paranoid preoccupations, and
overengagement with fantasy figures]
4. Beim Patienten wurde kein Autismus diagnostiziert.
5. Symptome bestehen mindestens seit 6 Monaten.
Um eine Zuordnung der Symptome zum Komplex der Multiple-Complex Developmental
Disorder (MCDD) vornehmen zu können müssen folgende Kriterien erfüllt sein:Insgesamt
mehr als 5 oder mehr Symptome aus den Bereichen 1,2 und 3, wobei mindestens 1 Symptom
aus Bereich 1, mindestens 1 Symptome aus Bereich 2 sowie 1 Symptom aus Bereich 3
stammen soll.
3.3
Statistische Auswertung
Nach Beendigung der Katamnese-Untersuchungen wurden die gesammelten Daten innerhalb
der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters mit Hilfe des
Statistical Analysis System (SAS) ausgewertet. Um die beiden Stichproben bei möglichen
Unterschieden auf statistisch signifikante Effekte untersuchen zu können, wurden
einfaktorielle Varianzanalysen (ANOVA) sowie Fishers exakter Test (Fragestellung
zweiseitig) gerechnet.
3.4
Ethikkommission
Die Durchführung der Katamnese-Untersuchung und der damit verbundene Einsatz der
beschriebenen Instrumente wurden von der Ethikkommission der Albert-Ludwigs-Universität
Freiburg (Votum-Nr. 192/06) genehmigt.
Die Erlaubnis zur statistischen Auswertung der Patientendaten wurde im informed-consent
Verfahren eingeholt.
56
Ergebnisse
4.
Ergebnisse
4.1
Beschreibung der Stichprobe
4.1.1
Alter und Geschlecht
Die vorliegende Gesamtstichprobe von 40 Patienten setzt sich aus 8 (20,0%) weiblichen und
32 (80,0%) männlichen Personen zusammen. Die Gesamtstichprobe aus 40 Patienten wurde
in eine Gruppe von 12 Patienten mit einem High-Functioning-Autismus (HFA), sowie in eine
Gruppe von 28 Patienten mit einem Low-Functioning-Autismus (LFA) unterteilt. Das Alter
zum Untersuchungszeitpunkt lag bei der Gesamtstichprobe für die weiblichen Personen im
Mittel bei 8,7 ± 4,7 Jahren (Minimum 3,9 Jahre, Maximum 16,3 Jahre) und für die
männlichen Personen bei 12,1 ± 6,5 Jahren (Minimum 3,9 Jahre, Maximum 37,9 Jahre). Für
die Gesamtstichprobe ergab sich ein Mittelwert von 11,4 ± 6,5 Jahren (Minimum 3,9 Jahre,
Maximum 37,9 Jahre; s. Tabelle 1).
Tabelle 1. Alter zum Zeitpunkt der Katamnese
WEIBLICH (N=8)
MÄNNLICH (N=32)
GESAMT (N=40)
M
SD
MIN
MAX
8,7
4,7
3,9
16,3
12,1
6,5
3,9
37,9
11,4
6,3
3,9
37,9
HFA- Stichprobe
Die Gruppe der HFA setzt sich aus einer Stichprobengröße bestehend aus einer (8,3%)
weiblichen
Person
und
elf
(91,7%)
männlichen
Personen
zusammen.
Das
Geschlechterverhältnis dieser Stichprobe entspricht somit 11:1.
Das Alter zum Untersuchungszeitpunkt lag bei dieser Stichprobe für die weibliche Person bei
16,3 Jahren, für die männlichen Personen im Mittel bei 16,4 ± 8,5 Jahren (Minimum 7,5
Jahre, Maximum 37,9 Jahre; s. Tabelle 1a). Der männliche Stichprobenanteil zeigt eine
homogene Altersstruktur mit einer Altersspanne von 7-21 Jahren, lediglich ein Patient zeigt
ein deutlich abweichendes Alter von fast 38 Jahren.
57
Ergebnisse
Tabelle 1a. Alter zum Zeitpunkt der Katamnese für die HFA-Stichprobe
M
SD
MIN
MAX
WEIBLICH (N=1)
16,3
-
16,3
16,3
MÄNNLICH (N=11)
16,4
8,5
7,5
37,9
GESAMT (N=12)
16,4
8,1
7,5
37,9
LFA-Stichprobe
Die Gruppe der LFA setzt sich aus einer Stichprobengröße bestehend aus 28 Personen
zusammen, davon sieben (25,0%) weibliche Personen und 21 (75,0%) männliche Personen.
Das Geschlechterverhältnis für die LFA-Stichprobe betrug somit 3:1. Das Alter zum
Untersuchungszeitpunkt lag für die weiblichen Personen im Mittel bei 7,6 ± 3,8 Jahren
(Minimum 3,9 Jahre, Maximum 14,9 Jahre) und für die männlichen Personen im Mittel bei
9,9 ± 3,7 Jahren (Minimum 3,9 Jahre, Maximum 18,9 Jahre; s. Tabelle 1b).
Tabelle 1b. Alter zum Zeitpunkt der Katamnese für die LFA-Stichprobe
M
SD
MIN
MAX
WEIBLICH (N=7)
7,6
3,8
3,9
14,9
MÄNNLICH (N=21))
9,9
3,7
3,9
18,9
GESAMT (N=28)
9,3
3,8
3,9
18,9
Zwischen dem Alter beider Stichproben konnte mittels einfaktorieller Varianzanalyse
(ANOVA) ein signifikanter Unterschied nachgewiesen werden (F (1, 38) = 14.31, p<.001).
4.1.2
Intelligenzniveau
Zur Einschätzung des Intelligenzniveaus wurden zunächst die in den Patientenblättern
vorliegenden Intelligenztestungen verwendet. Lag die letzte Intelligenztestung länger als ein
Jahr zurück, so wurde am Untersuchungstermin eine orientierende Leistungsdiagnostik
mittels des CFT-20 bzw. des CPM durchgeführt.
Für insgesamt 20 Personen der Gesamtstichprobe (n= 40) konnte das Intelligenzniveau über
eine standardisierte Leistungsdiagnostik ermittelt werden. Tabelle 2 zeigt den Mittelwert der
zeitlich zuletzt durchgeführten Leistungsdiagnostik sowie den Mittelwert der zeitlich zuletzt
durchgeführten ausführlichen Leistungsdiagnostik.
58
Ergebnisse
Das Intelligenzniveau der mit einer ausführlichen Leistungsdiagnostik untersuchten Patienten
lag im Mittel bei 76 ± 19,7. Alle Patienten, bei denen eine Leistungsdiagnostik ohne
Schwierigkeiten durchführbar war, erreichten Ergebnisse, die einen IQ von 45 nicht
unterschritten (Bereich der mittelgradigen Intelligenzminderung).
Tabelle 2 Intelligenzniveau n=20a)
IQ letzter Test b)
IQ mittlerer Test
c)
IQ ausführlicher Test
d)
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
M±SD
M±SD
M±SD
(Min –Max)
(Min –Max)
(Min –Max)
76,6±20,6
90,1±14,9
56,5±5,0
(49-113)
(72-113)
(49-63)
75,8±19,1
87,8±14,2
57,7±6,8
(47,5-113)
(72-113)
(47,5-67)
76±19,7
88,8±13,3
56,6±13,3
(45-113)
(72-113)
(45-71)
a) Angabe als IQ-Wert, Populationswert (M = 100, SD = 15)
b) IQ-Wert der pro Person zeitlich zuletzt durchgeführten Leistungsdiagnostik
c) Mittelwert aller pro Patient vorliegenden IQ-Werte
d) IQ-Wert der zeitlich zuletzt durchgeführten, ausführlichen Leistungsdiagnostik
Abbildung 3 zeigt die IQ-Bereiche der mit einer ausführlichen Leistungsdiagnostik getesteten
Patienten (n=20).
59
Ergebnisse
Abbildung3: IQ-Bereiche der Gesamtstichprobe im Vergleich zur Normalverteilung
Intelligenzniveau HFA-Stichprobe
Innerhalb
der
HFA-Stichprobe
lag
für
alle
zwölf
Patienten
eine
ausführliche
Leistungsdiagnostik vor, bzw. für diese Patienten konnte am Untersuchungstermin mittels
einer orientierenden Leistungsdiagnostik eine aktuelle Einschätzung ihres Intelligenzniveaus
vorgenommen werden. Das Intelligenzniveau der ausführlichen Leistungsdiagnostik lag im
Mittel bei 88,8 ± 13,3. Bei insgesamt fünf (41,7%) Patienten lag das Ergebnis der
Intelligenztestung im Bereich der durchschnittlichen Intelligenz, das beste Ergebnis wurde
mit einem Gesamt-IQ von 113 erzielt. Bei sieben (58,3%) Patienten lag das Intelligenzniveau
im Bereich der niedrigen Intelligenz (s. Tabelle 3a). Statistisch weicht die IQ-Verteilung der
HFA-Stichprobe signifikant von der Normalverteilung ab (Kolmogorov-Smirnov–Test:
D=0.49, p<.004).
Zudem weicht der empirische Mittelwert signifikant von dem Populationsparameter µ=100 ab
(t-Test: t (11) = -2.96, p<.0, 02) (s. Abbildung 4).
60
Ergebnisse
Abbildung 4: IQ-Verteilung der HFA-Stichprobe im Vergleich zur Normalverteilung
Intelligenzniveau LFA-Stichprobe
Für acht (28,6%) Patienten lag eine ausführliche Leistungsdiagnostik vor. Hier lag das
Intelligenzniveau im Mittel bei 56,6 ± 13,3 (s. Tabelle 2b). Bei sechs (75,0%) Patienten lag
ein Intelligenzniveau im Bereich der leichten Intelligenzminderung vor, zwei (25,0%)
Patienten wiesen eine mittelgradige Intelligenzminderung auf (s. Tabelle 3).
Bei 20 (71,4%) Patienten aus der LFA-Stichprobe war eine orientierende Leistungsdiagnostik
aufgrund der Schwere der autistischen Symptomatik (u.a. mit fehlender Kooperation und
Motivation) am Untersuchungstermin nicht möglich, zudem lagen in den Patientenblättern
teilweise nur Untertests ausführlicherer Leistungstestungen vor, da die oben beschriebene
Problematik auch in der Vergangenheit aufgetreten war. Die vorliegenden Untertests wurden
zusammen mit der klinischen Präsentation der Personen zur Einschätzung des
Intelligenzniveaus verwendet. Die Einschätzung des Intelligenzniveaus erfolgte durch eine
auf dem Gebiet der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen erfahrene Fachärztin für Kinderund Jugendpsychiatrie. Vier (20,0%) Patienten wurden dem Bereich einer leichten
61
Ergebnisse
Intelligenzminderung zugeordnet, 15 (75,0%) Patienten wurden dem Bereich einer
mittelgradigen Intelligenzminderung zugeordnet und eine Patientin dem Bereich der schweren
Intelligenzminderung (s. Tabelle 3).
Tabelle 3. IQ-Bereiche für HFA (IQ > 70) und LFA (IQ < 70)
HFA
LFA
Gemessen
a)
Gemessen
a)
Geschätzt a)
n
%
n
%
n
%
Durchschnittliche Intelligenz (IQ 85 - 114)
5
41,7
-
-
-
-
Niedrige Intelligenz (IQ 70 - 84)
7
58,3
-
-
-
-
Leichte Intelligenzminderung (IQ 50 - 69)
-
-
6
75
4
20
Mittelgradige Intelligenzminderung (IQ 35 - 49)
-
-
2
25
15
75
Schwere Intelligenzminderung (IQ >35)
-
-
-
-
1
5
12
100
8
100
20
100
Gesamt
a) Die für diese Tabelle verwendeten IQ-Werte sind die Mittelwerte aller pro Patient vorliegenden IQ-Werte
4.1.3
Körperliche Symptomatik
Bezüglich körperlicher Erkrankungen konnte innerhalb der HFA-Stichprobe keine Häufung
einzelner Erkrankungen dokumentiert werden, hier wurde einmalig über familiären
Minderwuchs berichtet, ein Patient war ein ehemaliges Zwillingsfrühgeborenes der 28. SSW
Innerhalb der LFA-Stichprobe wurde einmalig über das Auftreten einer Schrumpfniere sowie
einer Hypothyreose berichtet. Hier fand sich jedoch eine Häufung von ehemaligen
Frühgeborenen unter vier (14,2%) Patienten, sowie das Auftreten von Epilepsie bei drei
(10,7%) Patienten.
62
Ergebnisse
4.2
Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV
4.2.1
Ergebnisse des FAI: Auftretenshäufigkeiten und -zeitpunkte der
diagnostischen Kriterien
Die
nun
folgenden
Ergebnisse
beschreiben
die
Auftretenshäufigkeiten
und
Auftretenszeitpunkte der diagnostischen Kriterien des Frühkindlichen Autismus nach ICD-10
und DSM-VI durch Einschätzung der Eltern bzw. Bezugspersonen. Die Einteilung erfolgte
gemäß den Kriterien in die Bereiche „Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion“,
„Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten“ und
„Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation“. Die Auftretenszeitpunkte wurden in vier
Zeitintervalle eingeteilt: Vor-Kindergartenalter (0-2;11 Jahre), Kindergartenalter (3-5;11
Jahre), Grundschulalter (6-10;11 Jahre) und Nach-Grundschulalter (ab 11;0 Jahre).
4.2.1.1 Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion
Die Auftretenshäufigkeiten der Kriterien im Bereich „Qualitative Beeinträchtigung der
sozialen Interaktion“ sind in Tabelle 4 für die HFA-Stichprobe, aufgeführt, in Tabelle 4a
finden sich die entsprechenden Daten für die LFA-Stichprobe.
Die Auftretenszeitpunkte der einzelnen Kriterien werden in Tabelle 5 für die HFA-Stichprobe
dargestellt, Tabelle 5a gibt die Ergebnisse für die LFA-Stichprobe wieder.
Das Kriterium „Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen“ traf
bei einem Drittel der Patienten aus der HFA-Stichprobe (s. Tabelle 4) nicht zu, lediglich 1
Patient stammt aus der LFA-Stichprobe. Im „Bereich qualitative Beeinträchtigung der
sozialen Interaktion“ ist dieses Kriterium somit das einzige, welches nicht nahezu bei allen
Patienten auftritt.
Der Auftretenszeitpunkt dieses Kriteriums lag bei 6 Patienten aus der HFA-Stichprobe bereits
im Vor-Kindergartenalter, bei 5 Patienten trat dieses Kriterium im Kindergartenalter auf (s.
Tabelle 5a), ein Patient aus dieser Stichprobe zeigte zu keinem Zeitpunkt den Einsatz
nonverbaler Verhaltensweisen. Im Gegensatz dazu zeigten alle Patienten der LFA-Stichprobe
dieses Verhalten. Der Auftretenszeitpunkt dieses Kriteriums lag bei 10 Patienten aus der
LFA-Stichprobe im Vor-Kindergartenalter, bei 18 Patienten im Kindergartenalter (s. Tabelle
5b).
Der Auftretenszeitpunkt dieses Kriteriums liegt somit sowohl in der HFA- als auch in der
LFA-Stichprobe bei der Mehrzahl der Patienten im Kindergartenalter (s. Tabelle 5 und 5a).
63
Ergebnisse
Tabelle 4. Beeinträchtigung der sozialen Interaktion: Auftretenshäufigkeiten der diagnostischen
Kriterien, HFA (n=12) und LFA (n=28)
HFA
Nonverb. Verhaltensweisen a)
Freunde
b)
Geteilte Freude c)
Gegenseitigkeit
d)
LFA
Jemals
aufgetreten
n
%
Niemals
augetreten
n
%
Jemals
aufgetreten
n
%
Niemals
aufgetreten
n
%
11
91,7
1
8,3
28
100
0
0
12
100
0
0
28
100
0
0
8
66,7
4
33,3
27
96,4
1
3,6
12
100
0
0
28
100
0
0
a) Kriterium „Beeinträchtigung im Gebrauch vielfältiger nonverbaler Verhaltensweisen“
b) Kriterium „Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen“
c) Kriterium „Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen“
d) Kriterium „Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit“
Tabelle 5. Beeinträchtigung der sozialen Interaktion: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die HFAStichprobe
Nonverbale V. a)
Freundeb)
Geteilte Freudec)
Gegenseitigkeit d)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
Vor-Kindergartenalter
6
54,5
5
41,7
3
37,5
5
41,7
Kindergartenalter
5
45,5
7
58,3
5
62,5
7
58,3
Gesamt
11
12
8
12
a) Kriterium „Beeinträchtigung im Gebrauch vielfältiger nonverbaler Verhaltensweisen“ [n=11 f]
b) Kriterium „Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen“ [n=12 f]
c) Kriterium „Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen“ [n=8 f]
d) Kriterium „Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit“ [n=12 f]
e) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
f) In eckigen Klammern ist die Anzahl der Patienten angegeben, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
64
Ergebnisse
Tabelle 5a. Beeinträchtigung der sozialen Interaktion: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die LFAStichprobe
Nonverbale V. a)
Freundeb)
Geteilte Freudec)
Gegenseitigkeitd)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
Vor-Kindergartenalter
10
35,7
5
17,8
7
25,9
7
25,0
Kindergartenalter
18
64,3
22
82,2
20
74,1
21
75,0
Gesamt
28
28
27
28
f
a) Kriterium „Beeinträchtigung im Gebrauch vielfältiger nonverbaler Verhaltensweisen“ [n=28 ]
b) Kriterium „Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen“ [n=28 f]
c) Kriterium „Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen“ [n=27 f]
d) Kriterium „Mangel an sozio-emotionaler Gegenseitigkeit“ [n=28 f]
e) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
f) In eckigen Klammern ist die Anzahl der Patienten angegeben, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nicht alle Symptome dieses diagnostischen
Kriteriums vor dem 3. Lebensjahr vollständig ausgeprägt waren. Bestimmte Symptome
wurden zumindest für die Bezugspersonen der HFA-Stichprobe als auch der LFA-Stichprobe
zu einem späteren Zeitpunkt, in den meisten Fällen im Kindergartenalter (3-5 Jahre) manifest.
4.2.1.2 Qualitative Beeinträchtigungen der Kommunikation
Vergleicht man die Ergebnisse der beiden Stichproben miteinander so werden folgende
Unterschiede deutlich:
Ein verzögertes Einsetzen der Sprachentwicklung (Definition lt. ADI-R (Rutter, 2003): Nach
dem 24. Lebensmonat erste Worte, nach dem 33. Lebensmonat funktionaler Gebrauch von
Zwei- oder Dreiwortsätzen) wird in der HFA-Stichprobe für alle Patienten berichtet. In der
LFA-Stichprobe traf diese Definition nur für die Hälfte der Patienten zu (n=14), die andere
Hälfte zeigte zum Katamnesezeitpunkt keine Sprachentwicklung im o.g. Sinne und musste
daher als nicht-sprechend klassifiziert werden.
Innerhalb der LFA-Patientengruppe mit einer verzögerten Sprachentwicklung ließen sich
zudem Unterschiede in der entwickelten Sprache beobachten: Nur drei Patienten zeigten zum
Katamnesezeitpunkt eine flüssige Sprache, die im befriedigenden Maße zur Kommunikation
eingesetzt werden konnte, elf Patienten zeigten eine reduzierte Sprache, d.h. das erlangte
Sprachniveau konnte lediglich zur Befriedigung basaler Bedürfnisse eingesetzt werden
(Nahrungsaufnahme, Willens- und Wunschäußerungen, etc.), der kommunikative Aspekt war
65
Ergebnisse
nur geringfügig ausgeprägt. Somit unterschied sich dieser Anteil der LFA-Stichprobe noch
deutlich von den sprachlichen Fähigkeiten der HFA-Stichprobe.
Innerhalb der Hälfte der LFA-Stichprobe, die zum Katamnesezeitpunkt als nicht-sprechend
klassifiziert wurde, ließen sich folgende Beobachtungen machen: fünf Patienten zeigten die
Entwicklung von verständlichen Lautäußerungen im Sinne von Echolalien und stereotypen
Wortwiederholungen, jedoch nicht im kommunikativen Gebrauch. neun Patienten
entwickelten keine solchen Fähigkeiten. Bei einem Patient dieser Gruppe, der zum
Katamnesezeitpunkt keine Sprache zeigte, berichteten die Eltern über eine beginnende, leicht
verzögerte Sprachentwicklung im Alter von drei Jahren; mit kurz darauf aufgetretenen
epileptischen Anfällen sei es jedoch zu einer Regression der Sprachentwicklung gekommen,
bereits erworbene sprachliche Fähigkeiten seien verloren gegangen.
Die Ergebnisse der Auftretenshäufigkeiten der HFA-Stichprobe (n=12) sowie der LFAStichprobe (n=14) sind in Tabelle 6 dargestellt, die Auftretenszeitpunkte der einzelnen
Kriterien werden in Tabelle 7 (HFA-Stichprobe) sowie Tabelle 7a (LFA-Stichprobe)
dargestellt.
Der Zeitraum des beobachteten Auftretens der verzögert erfolgten Sprachentwicklung wird
innerhalb der HFA-Stichprobe bei jeweils über der Hälfte der Patienten in der
Kindergartenzeit beobachtetet, ein kleiner Anteil entwickelte erst im Grundschulalter ein
ausreichendes Sprachniveau (vgl. Tabelle 7). Innerhalb der LFA-Teilstichprobe (n=14), die
eine verzögerte Entwicklung der Sprache gezeigt hatte, wurde ebenfalls bei über der Hälfte
der Gruppe der Beginn der Sprachentwicklung im Kindergartenalter beobachtet. Das
Kriterium „Deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder
fortzuführen“ erfüllten in beiden Stichproben 100% der Patienten, bei denen die Eltern eine
Angabe machen konnten. Innerhalb der HFA-Stichprobe war dies allen Eltern möglich, aus
der LFA-Stichprobe (n=14) fehlen die Informationen bei zwei Patienten. Somit waren in
beiden Stichproben die Patienten zum Katamnesezeitpunkt in der kommunikativen
Anwendung ihrer vorhandenen sprachlichen Fähigkeiten deutlich beeinträchtigt, jedoch in
unterschiedlicher Ausprägung. Aufgefallen war die beobachtete Beeinträchtigung in beiden
Stichproben meist im Kindergartenalter.
Bei allen Patienten der LFA-Teilstichprobe, die eine verzögerte Entwicklung der Sprache
zeigten, wurde zu 100% auch ein repetitiver Gebrauch von Sprache beobachtet im Gegensatz
zur HFA-Stichprobe, bei der dieses Merkmal laut Einschätzung der Bezugspersonen bei
75,0%
der
Patienten
beobachtet
wurde.
Die
Beobachtungen
bezüglich
des
Auftretenszeitpunkts dieses Kriteriums zeigt ein homogenes Verteilungsprofil in beiden
66
Ergebnisse
Stichproben. Bezüglich des Kriteriums „Fehlen von entwicklungsgemäßen Rollenspielen“
zeigt sich ein ähnliches Profil in beiden Stichproben: Sowohl in der HFA-Stichprobe als auch
in der LFA-Stichprobe traf dieses Kriterium bei nahezu allen Patienten zu. Nach
Einschätzung der Bezugspersonen zeigten lediglich zwei Patienten aus der HFA-Stichprobe
und ein Patient aus der LFA-Stichprobe (n= 28) adäquate Rollenspiele.
Zum Auftretenszeitpunkt dieses Kriteriums ist anzumerken, dass keine zeitlichen Angaben
möglich waren, da nach dem Fehlen eines Kriteriums gefragt wurde.
67
Ergebnisse
Tabelle 6. Beeinträchtigungen in der Kommunikation: Auftretenshäufigkeiten der diagnostischen
Kriterien, HFA (n=12) und LFA (n=28)
HFA
LFA
Jemals
aufgetreten
n
%
Niemals
augetreten
n
%
Jemals
aufgetreten
n
%
Niemals
aufgetreten
n
%
12
100
-
-
28
100
-
-
-
-
-
-
14
50,0
-
-
12
100
-
-
14
50,0
-
-
12
100
-
-
12 f)
85,7
-
-
Repetitive Sprache
9
75,0
3
25,0
14 f)
100
-
-
Rollenspielef)
10
83,3
2
16,7
27
96,4
1
3,5
Sprache a)
Völliges Ausbleiben
b)
c)
Verzögertes Einsetzen
Gespräch
d)
e)
a) Kriterium „Verzögertes Einsetzen/ völliges Ausbleiben der Entwicklung gesprochener Sprache insgesamt“
b) Kriterium „Verzögertes Einsetzen der Entwicklung gesprochener Sprache“
c) Kriterium „Deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen
d) Kriterium „Stereotyper oder repetitiver Gebrauch der Sprache oder idiosynkratische Sprache“
e) Kriterium „Fehlen von entwicklungsgemäßen Rollenspielen oder sozialen Imitationsspielen
f) nur anwendbar, wenn Kriterium „Verzögertes Einsetzen der Entwicklung gesprochener Sprache“ erfüllt
Tabelle 7. Beeinträchtigungen in der Kommunikation: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die HFAStichprobe
Sprache a)
Gespräch b)
Repet. Sprache c)
Rollenspiele d)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
n
Vor-Kindergartenalter
3
25,0
2
16,7
3
33,3
-
-
Kindergartenalter
7
58,3-
9
75,0
6
66,7
-
-
Grundschulalter
2
16,7-
1
8,3
0
0
-
-
Gesamt
12
-
-
12
9
%
a) Kriterium „Verzögertes Einsetzen / völliges Ausbleiben der Entwicklung gesprochener Sprache“ [n=12f]
b) Kriterium „Deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen“ [n=12 ]
c) Kriterium „Stereotyper oder repetitiver Gebrauch der Sprache oder idiosynkratische Sprache“ [n=9 ]
d) Kriterium „Fehlen von entwicklungsgemäßen Rollenspielen oder sozialen Imitationsspielen“: da es sich um das Fehlen handelt, sind hier
keine Angaben bezüglich des zeitlichen Auftretens des Fehlens möglich
e) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
f) In eckigen Klammern ist die Anzahl der Patienten angegeben, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
68
Ergebnisse
Tabelle 7a. Beeinträchtigungen in der Kommunikation: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die LFAStichprobe
Sprache a)
Gespräch b)
Repet. Sprache c)
Rollenspiele d)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
n
Vor-Kindergartenalter
3
21,4
0
0
4
28,6
-
-
Kindergartenalter
8
57,1
12
100
10
71,4
-
-
Grundschulalter
3
21,4
-
-
-
-
-
-
Gesamt
14
-
-
12
14
%
f
a) Kriterium „Verzögertes Einsetzen der Entwicklung gesprochener Sprache “ [n=14 ]
b) Kriterium „Deutliche Beeinträchtigung der Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen“ [n=12 f]
c) Kriterium „Stereotyper oder repetitiver Gebrauch der Sprache oder idiosynkratische Sprache“ [n=14 f]
d) Kriterium „Fehlen von entwicklungsgemäßen Rollenspielen oder sozialen Imitationsspielen“: da es sich um das Fehlen handelt, sind hier
keine Angaben bezüglich des zeitlichen Auftretens des Fehlens möglich “ [n=28 f]
e) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
f) In eckigen Klammern ist die Anzahl der Patienten angegeben, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
4.2.1.3 Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen
und Aktivitäten
Tabelle 8 zeigt die Auftretenshäufigkeiten der Kriterien im Bereich „Beschränkte, repetitive
und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten“ für die HFA-Stichprobe und die
LFA-Stichprobe.
Insgesamt zeigt sich ein unterschiedliches Profil der beiden Stichproben in Bezug auf die
Kriterien „Auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder
Ritualen“, „Stereotype und repetitive motorische Manierismen“ und „Ständige Beschäftigung
mit Teilen von Objekten“: Innerhalb der LFA-Stichprobe traten die Kriterien für
„Objektteile“ sowie für „Manierismen“ bei nahezu allen Patienten auf, während das Kriterium
„Rituale“ bei 60,0% der Patienten dieser Stichprobe nicht aufgetreten ist. Innerhalb der HFAStichprobe zeigt sich eine homogene Verteilung der einzelnen Kriterien, ausgenommen für
das Kriterium „Sonderinteressen“. Für die Mehrzahl der Patienten trafen die genannten
Kriterien zu, insbesondere das Kriterium „Rituale“ traf bei über der Hälfte der Patienten zu.
Das Kriterium „Sonderinteressen“ zeigt in beiden Stichproben ein nahezu identisches Profil,
für über 90% der Patienten beider Stichproben trifft dieses Kriterium zu.
69
Ergebnisse
Tabelle 8. Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten:
Auftretenshäufigkeiten der diagnostischen Kriterien, HFA (n=12) und LFA (n=28)
HFA
Sonderinteressen a)
Rituale
b)
Manierismen
Objektteile
c)
d)
LFA
Jemals
aufgetreten
n
%
Niemals
augetreten
n
%
Jemals
aufgetreten
n
%
Niemals
aufgetreten
n
%
12
100,0
0
0
26
92,8
2
7,2
7
58,3
5
41,7
11
39,3
17
60,7
8
66,7
4
32,3
27
96,4
1
3,6
7
58,3
5
41,7
27
96,4
1
3,6
a) Kriterium „Umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen“
b) Kriterium „Auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen“
c) Kriterium „Stereotype und repetitive motorische Manierismen“
d) Kriterium „Ständige Beschäftigung mit Teilen von Objekten“
Tabelle 9 zeigt die Auftretenszeitpunkte der einzelnen Kriterien für die HFA-Stichprobe
und Tabelle 9a für die LFA-Stichprobe. Auffällig ist auch in diesem Bereich, dass die
Kriterien sowohl in der HFA-Stichprobe als auch in der LFA-Stichprobe bei der Mehrzahl der
Kinder erst im Kindergartenalter zur Ausprägung gekommen sind, teilweise wurden die
Symptome auch erst in der Grundschulzeit oder danach entwickelt, bzw. erst zu diesem
Zeitpunkt beobachtet.
Tabelle 9. Zeitliches Auftreten der Kriterien, Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen,
Interessen und Aktivitäten: Zeitliches Auftreten der Kriterien für die HFA-Stichprobe
Sonderinteressena)
Ritualeb)
Manierismenc)
Objektteiled)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
Vor-Kindergartenalter
4
33,3
1
14,3
3
37,5
0
0
Kindergartenalter
6
50,0
5
71,4
4
50,0
7
100
Grundschulalter
2
16,7
0
0
1
12,5
0
0
Nach Grundschulzeit
0
0
1
14,3
0
0
0
0
Gesamt
12
7
8
7
a) Kriterium „Umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen“ [n=12 f]
b) Kriterium „Auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen“[n=7 f]
c) Kriterium „Stereotype und repetitive motorische Manierismen“ [n=8 f]
d) Kriterium „Ständige Beschäftigung mit Teilen von Objekten“ [n=7 f]
e) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
f) In eckigen Klammern ist die Anzahl der Patienten angegeben, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
70
Ergebnisse
Tabelle 9a. Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und Aktivitäten:
Zeitliches Auftreten der Kriterien für die LFA-Stichprobe
Sonderinteressen a)
Rituale b)
Manierismen c)
Objektteile d)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
n
% e)
Vor-Kindergartenalter
9
34,6
0
0
9
33,3
8
29,6
Kindergartenalter
15
57,7
13
81,3
18
66,7
18
66,7
Grundschulalter
1
3,8
2
12,5
0
0
1
3,7
Nach der Grundschulzeit
1
3,8
1
6,2
0
0
0
0
Gesamt
26
16
27
27
a) Kriterium „Umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten Interessen“ [n=26 f]
b) Kriterium „Auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen“[n=16 f]
c) Kriterium „Stereotype und repetitive motorische Manierismen“ [n=27 f]
d) Kriterium „Ständige Beschäftigung mit Teilen von Objekten“ [n=27 f]
e) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
f) In eckigen Klammern ist die Anzahl der Patienten angegeben, die Angaben zum zeitlichen Auftreten des jeweiligen Kriteriums gemacht
haben
Tabelle 10 gibt die Inhalte der Sonderinteressen wider, die im Kriterium „Umfassende
Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen Interessen, wobei Inhalt und Intensität
abnorm sind“ erfasst wurden. Die Nennungshäufigkeiten wurden getrennt für die HFA- und
die LFA-Stichprobe ermittelt. Insgesamt wird deutlich, dass die Patienten der LFA-Stichprobe
deutlich ausgeprägte Interessen im repetitiven Gebrauch von Alltagsgegenständen wie z.B.
dem Betätigen von Toilettenspülungen oder Wasserhähnen sowie großes Interesse an
Schaltern elektrischer Geräte und Straßenfahrzeuge zeigen. Im Gegensatz dazu spiegeln die
Sonderinteressen der HFA-Stichprobe eine größere Variationsbreite wider und lassen sich
nicht nur einem bestimmten Gebiet zuordnen.
71
Ergebnisse
Tabelle 10. Sonderinteressen aufgeschlüsselt nach HFA und LFA
HFA
1
0
2
1
LFA
8
1
1
Verkehr
Straßenfahrzeuge
Schienenfahrzeuge
Verkehrszeichen
Straßenkarten
Bücher
Lexika/ Sachbücher
Wörterbücher
Umwelt/Natur
Dinosaurier
Tiere
Skelette
Steine
1
1
0
1
1
0
1
Alltagsgegenstände
Fernbedienungen
Telefon
Toilettenspülungen
Wasserhähne
Schalter elektr. Geräte
Werkzeuge
0
0
1
1
2
2
1
1
5
6
13
Malen / Basteln
Ausschneiden
Kreise malen
Buchstaben abmalen
0
1
0
1
1
2
Zahlen / Datum
Kalender
Zahlen
0
1
1
0
Musik
Spieluhren
Plastikmusikinstrumente
Kinderkeyboard
Musik hören
0
0
0
1
1
1
1
0
Nahrungsaufnahme
Restaurants besuchen
Fast-Food-Ketten
Einkaufen v. Lebensmitteln
0
1
0
1
0
1
Film/ Fernsehen
Fernsehen
Star-Wars
Videokassetten sammeln,stapeln
0
1
0
1
0
1
Sonstiges
Schmuck
Glocken
Handpuppen
schwarze Magie
0
0
0
1
1
1
1
0
1
1
1
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro Sonderinteresse
In Tabelle 11 sind die Inhalte, auf die sich das Kriterium „Nichtfunktionale Gewohnheiten
und Rituale“ bezieht, für die Gesamtstichprobe sowie für die HFA- und LFA-Stichprobe
dargestellt. Innerhalb der HFA-Stichprobe betraf die häufigste Nennung nichtfunktionale
Wiederholungen, während innerhalb der LFA-Stichprobe verbale Rituale am häufigsten
72
Ergebnisse
genannt wurden. Die zweithäufigste Nennung betraf in beiden Gruppen Rituale bezüglich des
Essverhaltens. Vorlieben für komplexe Ordnungssysteme wiesen zumeist Patienten der HFAStichprobe auf.
Tabelle 11. Nichtfunktionale Gewohnheiten oder Rituale
Gesamt
HFA
LFA
n
%
n
%
n
%
Rituale bzgl. Essverhalten
8
20,0
3
25
5
17,8
Nichtfunktionale Wiederholungen
8
20,0
4
33,3
4
14,3
Verbale Rituale
7
17,5
1
8,3
6
21,4
Starrer Tagesablauf
5
12,5
0
0
5
17,8
Rituale bzgl. Kleidung
5
12,5
2
16,7
3
10,7
sonstige ritualisierte Abläufe
5
12,2
1
8,3
4
14,3
Sammel-Rituale
5
12,5
3
25
1
3,6
Ordnungssysteme (z.B. Wohnungseinrichtung, etc.)
4
10,0
2
16,7
2
7,1
Rituale bzgl. Körperhygiene
3
7,5
1
8,3
2
7,1
Zu-Bett-Geh-Rituale
1
2,5
0
0
1
3,6
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro Sonderinteresse
Die ermittelten Manierismen wurden in 3 Gruppen zusammengefasst, Tabelle 12 zeigt die
Häufigkeitsverteilung der einzelnen Manierismen für die Gesamtstichprobe, für die HFAStichprobe sowie für die LFA-Stichprobe. Im Vergleich der beiden Stichproben zeigt sich,
dass alle Patienten der LFA-Stichprobe Manierismen aus dem Bereich „komplexe
Bewegungen des ganzen Körpers“ sowie dem Bereich „Finger- und Handmanierismen“
zeigen, während dies innerhalb der HFA-Gruppe nur für den Bereich „Finger- und
Handmanierismen“ zutreffend ist .
73
Ergebnisse
Tabelle 12. Manierismen
Gesamt
HFA
LFA
n a)
% d)
n b)
% d)
n c)
% d)
34
97,1
5
62,5
28
100
5
14,7
0
0
4
14,9
Flattern mit den Armen
9
26,6
1
20
7
25
Hüpfbewegungen
4
11,8
0
0
4
14,9
Rollbewegungen
2
5,9
0
0
2
7,1
Stereotypes Hin- und Herlaufen
4
11,8
0
0
3
10,7
Kopfanschlagen
2
5,9
0
0
3
10,7
Drehen um die eigene Achse
6
17,6
2
40
5
17,8
Sonstige
2
5,9
2
40
3
10,7
Finger- / Handmanierismen
28
80,0
8
100
28
100
Gesichtsmanierismen
5
14,3
2
25
2
7,1
Komplexe Bewegungen des ganzen
Körpers
Wiegende Körperbewegungen
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro Manierismus
a) n=35
b) n=8
c) n=28
d) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die Angaben zum Auftreten des Kriteriums gemacht haben
4.2.2 Auffälligkeiten vor Vollendung des dritten Lebensjahres
Tabelle 13 stellt die Auffälligkeiten in den Bereichen „Soziale Interaktion“, „Sprache als
soziales Kommunikationsmittel“ und „Symbolisches oder Fantasiespiel“ für die HFAStichprobe und die LFA-Stichprobe dar: Um die Diagnose Autismus stellen zu können, muss
mindestens eine Auffälligkeit in einem der Bereiche vor dem vollendeten 3.Lebensjahr
bestehen.
In
den
Bereichen
„Soziale
Interaktion“
sowie
„Sprache
als
soziales
Kommunikationsmittel“ bestehen in beiden Stichproben Auffälligkeiten vor dem 3.
Lebensjahr. Lediglich im Bereich „Symbolisches- oder Fantasiespiel“ zeigt ein Patient aus
der HFA-Stichprobe laut Angaben der Bezugspersonen keine Auffälligkeiten.
74
Ergebnisse
Tabelle 13. Auffälligkeiten vor Vollendung des dritten Lebensjahres, HFA (n=12) und LFA (n=28)
HFA
Auffällig
LFA
Unauffällig
Auffällig
Unauffällig
n
%
n
%
n
%
n
%
Soziale Interaktion
12
100
0
0
28
100
0
0
Sprache als soziales Kommunikationsmittel
12
100
0
0
28
100
0
0
Symbolisches- oder Fantasiespiel
11
91,7
1
8,3
28
100
0
0
Vergleicht man jedoch die Auftretenszeitpunkte der jeweiligen Symptome in den drei
psychopathologischen Bereichen der sozialen Interaktion, der Kommunikation und im
eingeschränkten repetitiven Verhalten, so wird deutlich, dass hier große interindividuelle
Schwankungen sowohl in der HFA-Stichprobe als auch in der LFA-Stichprobe bestehen und
nicht alle Symptome gleichermaßen vor Vollendung des dritten Lebensjahres imponieren.
Trotzdem schätzen die Eltern ihre Kinder nach Beendigung des Interviews in allen Bereichen
schon vor dem 3. Lebensjahr als „auffällig“ ein, die Auftretenszeitpunkte einzelner
Symptome wichen jedoch teilweise erheblich von dem in den diagnostischen Kriterien
geforderten Alter ab.
4.2.3 Ergebnisse im ADOS und ADI-R
Die Tabellen 14 und 14a zeigen die Ergebnisse der „Diagnostischen Beobachtungsskala für
Autistische Störungen (ADOS)“ für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe. Bei
insgesamt 38 Patienten wurde eine ADOS durchgeführt, davon stammen 10 Patienten aus der
HFA-Stichprobe und 28 Patienten aus der LFA-Stichprobe. Die diagnostischen Kriterien für
Autismus nach ICD-10 und DSM-IV wurden in diese diagnostischen Instrumente
implementiert.
75
Ergebnisse
Tabelle 14. ADOS (Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen): Erzielte Ergebnisse und
vergebene Diagnosen für die HFA-Stichprobe
Keine Diagnose c)
Autismus Spektrum d)
Autismus e)
n
% f)
n
% f)
n
% f)
ADOS Bereich A a)
1
10,0
3
30.0
6
40
b)
0
0
4
40,0
6
60,0
1
10,0
4
40,0
5
50,0
ADOS Bereich B
ADOS gesamt
a) ADOS-Bereich A erfasst die „Kommunikation“
b) ADOS-Bereich B erfasst die „Wechselseitige soziale Interaktion“
c) Patienten haben den Cut-off für eine ADOS-Diagnose aus dem autistischen Formenkreis nicht erreicht
d) Patienten haben den Cut-off für die ADOS-Diagnose „Autismus Spektrum Störung“ erreicht
e) Patienten haben den Cut-off für die ADOS-Diagnose „Autismus“ erreicht
f) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der durchgeführten ADOS; n=10
Innerhalb der HFA-Stichprobe erreichten fünf Patienten den kritischen Wert für eine ADOSDiagnose „Autismus“, vier Patienten erreichten den kritischen Wert für eine ADOS-Diagnose
„Autismus-Spektrum-Störung“, eine Patientin erreichte nicht den erforderlichen kritischen
Wert für eine ADOS-Diagnose aus dem autistischen Formenkreis, war jedoch auffällig im
Bereich der sozialen Interaktion. Diese Patientin erhielt bereits im Alter von 18 Monaten die
klinische Diagnose „Autismus“ und wurde über lange Jahre störungsspezifisch gefördert, so
dass sie in der ADOS aufgrund des niedrigeren Wertes im Bereich „Kommunikation“ den
Cut-Off-Wert nicht erreichte.
Innerhalb der LFA-Stichprobe erhielten alle 28 Patienten die ADOS-Diagnose „Autismus“.
76
Ergebnisse
Tabelle 14a. ADOS (Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen): Erzielte Ergebnisse
und vergebene Diagnosen für die LFA-Stichprobe
Keine Diagnose c)
Autismus Spektrum d)
Autismus e)
n
% f)
n
% f)
n
% f)
ADOS Bereich A a)
1
3,5
2
7,2
25
89,3
b)
1
3,5
2
7,2
25
89,3
0
0
0
0
28
100
ADOS Bereich B
ADOS gesamt
a) ADOS-Bereich A erfasst die „Kommunikation“
b) ADOS-Bereich B erfasst die „Wechselseitige soziale Interaktion“
c) Patienten haben den Cut-off für eine ADOS-Diagnose aus dem autistischen Formenkreis nicht erreicht
d) Patienten haben den Cut-off für die ADOS-Diagnose „Autismus Spektrum Störung“ erreicht
e) Patienten haben den Cut-off für die ADOS-Diagnose „Autismus“ erreicht
f) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der durchgeführten ADOS; n=28
Mittels einfaktorieller Varianzanalyse (ANOVA) lassen sich im Vergleich beider Stichproben
signifikante
Unterschiede
zwischen
den
einzelnen
ADOS-Bereichen
sowie
dem
Gesamtergebnis der ADOS-Untersuchung nachweisen, nämlich für den ADOS-Bereich A: F
(1, 36) = 4.46, p<.042, den ADOS-Bereich B: F (1, 36) = 10.02, p<.002 und für das ADOSGesamtergebnis: F (1, 36) = 8.61, p<.006. Diese Ergebnisse sprechen für eine in der ADOS
gemessene stärkere Ausprägung der autistischen Symptomatik für die LFA-Stichprobe zum
Untersuchungszeitpunkt. Es ist dabei zu bemerken, dass die ADOS die autistische
Symptomatik zum Katamnesezeitpunkt erfasst, dies könnte somit für eine geringere
Ausprägung der autistischen Symptomatik für die HFA-Stichprobe im Laufe der Entwicklung
sprechen.
Die Tabellen 15 und 15a zeigen die Ergebnisse des „Diagnostischen Interviews für Autismus
- Revidiert (ADI-R)“ für die Gesamtstichprobe sowie für die HFA und LFA-Stichprobe.
77
Ergebnisse
Tabelle 15. ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert): Erzielte Summenwerte
Gesamtstichprobe
Median
HFA
M±SD
Median
(Min-Max)
ADI-R Bereich Aa)
26,0
24,7±4,7
ADI-R Bereich B
14,0
24,0
ADI-R Bereich C
17,0
ADI-R Bereich D
25,5±4,6
(8-34)
14,0
15,1±5,3
(6-22)
6,7±2,6
4,0
(Min-Max)
26,0
16,3±4,5
6,5
(6-24)
6,3±3,2
(1-12)
d)
M±SD
(13-27)
15,4±5,1
7,0
Median
22,6±4,7
(6-24)
c)
M±SD
(Min-Max)
(8-34)
b)
LFA
7,0
6.9±2,5
(1-11)
3,5±0,9
4,0
(2-12)
3,5±0,9
(2-5)
4,0
3,5±1,0
(2-5)
(2-5)
a) Bereich A erfasst die qualitativen Auffälligkeiten in der reziproken sozialen Interaktion (Cut-off:10)
b) Bereich B erfasst die qualitativen Auffälligkeiten in der Kommunikation (Cut-off:8)
c) Bereich C erfasst repetitives, restriktives und stereotypes Verhalten (Cut-off:3)
d) Bereich D erfasst eine abnorme Entwicklung bis einschließlich 36. Lebensmonat (Cut-off:1)
Tabelle 15a. ADI-R (Diagnostisches Interview für Autismus - Revidiert): Cut-off erreicht a)
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
n
% f)
n
% f)
n
% f)
ADI-R Bereich A b)
36
100
9
100
27
100
ADI-R Bereich B c)
35
97,2
9
100
26
96,2
ADI-R Bereich C
d)
34
94,4
9
100
25
92,6
ADI-R Bereich D
e)
36
100
9
100
27
100
a) Anzahl der Patienten, die den Cut-off des jeweiligen Bereiches erreicht haben
b) Bereich A erfasst die qualitativen Auffälligkeiten in der reziproken sozialen Interaktion (Cut-off:10)
c) Bereich B erfasst die qualitativen Auffälligkeiten in der Kommunikation (Cut-off:8)
d) Bereich C erfasst repetitives, restriktives und stereotypes Verhalten (Cut-off:3)
e) Bereich D erfasst eine abnorme Entwicklung bis einschließlich 36. Lebensmonat (Cut-off:1)
f) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der durchgeführten ADI-R; Gesamtstichprobe n=36, HFA n=9, LFA n=27
Innerhalb der HFA-Stichprobe erreichten alle neun Patienten, bei denen das Elterninterview
durchgeführt wurde, in allen vier ADI-R Bereichen den kritischen Wert für einen positiven
Befund, die autistische Symptomatik war somit im Alter zwischen vier und fünf Jahren in
allen Bereichen deutlich ausgeprägt. Dieses Profil weicht demnach von den Ergebnissen der
Interaktionsbeobachtung
ADOS
ab,
die
die
Ausprägung
der
Symptomatik
zum
Untersuchungszeitpunkt widergibt. Innerhalb der LFA-Stichprobe wurde in den ADI-R
Bereichen A und D von allen Patienten der kritische Wert erreicht, im ADI-R Bereich B
wurde von 26 Patienten der kritische Wert erreicht, im ADI-R Bereich C erreichten 25
Patienten den kritischen Wert für eine positive ADI-R Diagnose. Im Bezug auf die erreichten
78
Ergebnisse
Summenwerte ist hervorzuheben, dass zwischen der HFA-Stichprobe und der LFAStichprobe bezüglich der im Alter von vier bis fünf Jahren erinnerten Verhaltensweisen keine
Unterschiede objektivierbar sind, was sich auch in den nicht-signifikanten Ergebnissen der
ANOVA zeigt. ADI-R Bereich A: F(1, 35) = 2.93, p<.09, ADI-R Bereich B: F(1, 35) = .37,
p<.54, ADI-R Bereich C: F(1, 35) = 0.36, p<.55, ADI-R Bereich D: F(1, 35) = 0.01, p<.92.
4.2.4 Katamnestische Überprüfung verwandter Störungen
Im Rahmen der katamnestischen Überprüfung der Diagnose Frühkindlicher Autismus anhand
der Diagnostischen Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV sollte zusätzlich eine mögliche
Symptomüberlappung zum Komplex der Multiple-Complex Developmental Disorder
(MCDD) (Towbin, 1993) überprüft werden, auch um eventuell Hinweise auf das Vorliegen
komorbider Erkrankungen zu erhalten. Wie bereits im Abschnitt „Differentialdiagnosen“
(Kapitel
Theoretischer
Hintergrund)
beschrieben,
handelt
es
sich
hierbei
um
Verhaltensauffälligkeiten „in the borderlands of autism“, d.h. Patienten, die sowohl
Symptome aus dem autistischen Spektrum zeigen, wie z.B. die Unfähigkeit zum Aufbau
sozialer Beziehungen, als auch eine Reihe affektiver Symptome und Symptome aus dem
schizophrenen Formenkreis, wie beispielsweise Denkstörungen oder Wahnerleben. Aufgrund
der Notwendigkeit einer Beurteilung von inhaltlichen Denkstörungen im 3. Bereich der
Symptomatik wurden die 14 Patienten, die zum Katamnesezeitpunkt als nicht-sprechend
klassifiziert wurden, aus der Befragung ausgeschlossen. In der Literatur wurden die MCDDKriterien auch an Patienten mit einer Intelligenzminderung untersucht (Towbin, 1993), daher
wurden die Patienten der LFA-Stichprobe mit einer ausreichenden Sprachentwicklung in der
vorliegenden Studie ebenso eingeschlossen.
Die Ergebnisse der überprüften Kriterien zeigt Tabelle 16 für die HFA-Stichprobe und die
LFA-Stichprobe. Fünf oder mehr Symptome aus den drei Domänen müssen positiv sein,
wobei mindestens ein Symptom aus der ersten Domäne („Beeinträchtigungen in der
Regulation
von
affektiven
Zuständen
bzw.
Angst“),
der
zweiten
Domäne
(„Beeinträchtigungen im Sozialverhalten/ soziale Sensitivität“) und der dritten Domäne
(„Kognitives Verarbeitungsdefizite/ Denkstörungen“) zutreffen müssen, um die beschriebene
Symptomatik einer MCDD zuordnen zu können.
79
Ergebnisse
Tabelle 16. MCDD-Krierien, HFA und LFA
HFA
n a)
LFA
% b)
n a)
% b)
1. Beeinträchtigungen in der Regulation von affektiven Zuständen bzw. Angst
Generalisierte Ängstlichkeit; diffuse Anspannung;
Spannung/ Erregbarkeit
Ängste und Phobien (auch Schulphobie)
8
66,6
6
42,8
3
25,0
1
7,1
Panikattacken; panische Angst
2
16,6
1
7,1
3
Verhaltensauffälligkeiten/ Regressionen/ unpassendes
Verhalten
3
Emotionale Labilität durch umgebungs-bedingte
Einflüsse
2. Beeinträchtigungen im Sozialverhalten/ soziale Sensitivität
25,0
2
14,3
25,0
3
21,4
8
66,6
12
85,7
10
83,3
14
100
Gestörte Beziehung zu Erwachsenen/ unselbstständiges
Verhalten/ Aggressionen
3. Kognitives Verarbeitungsdefizite (Denkstörungen)
3
25,0
3
21,4
Denkstörung: „magisches Denken“/ irrationale
Gedanken
Probleme Realität und Phantasie auseinander zu
halten
Ratlos und leicht verwirrbar im soz. Miteinander
3
25,0
0
0
4
33,3
2
14,3
2
16,6
1
7,1
Wahnvorestellungen/ Größenwahnphantasien/
paranoide Denkinhalte/ übermäßige Beschäftigung mit
Phantasieinhalten
2
16,6
1
7,1
Gleichgültigkeit/ Desinteresse am sozialen Umfeld/
Vermeidungsverhalten
Unfähigkeit Freundschaften aufzubauen/ pflegen
a) Anzahl der Patienten, die dieses Symptom angaben
b) Prozentagaben beziehen sich auf die Gesamtzahl der Patienten, HFA (n=12), LFA (n=14)
Vergleicht man die Ergebnisse beider Stichproben miteinander, so fällt auf, dass sowohl
innerhalb der HFA-Stichprobe als auch in der LFA-Stichprobe viele Eltern über
„Generalisierte Ängstlichkeit; diffuse Anspannung; Spannung/ Erregbarkeit“ bei ihren
Kindern berichten. Nicht verwunderlich sind die vielen Nennungen in der Domäne 2, dem
Bereich der „Beinträchtigungen im Sozialverhalten und der sozialen Sensitivität“, einem
Kernstück der autistischen Symptomatik. Der Unterpunkt „Gestörte Beziehung zu
Erwachsenen/ unselbstständiges Verhalten/ Aggressionen“ wurde nur von einer geringen
Anzahl der Eltern beider Stichproben bejaht. Dies ist besonders aus Sicht der LFA-Stichprobe
bemerkenswert, da im Bereich der ersten beobachteten Auffälligkeiten häufig Wutanfälle
sowie aggressives Verhalten genannt wurden (vgl. Tabelle 23).
Innerhalb der 3. Domäne, dem Bereich der kognitiven Verarbeitungsdefizite, bestehen
deutlich Unterschiede zwischen beiden Stichproben: Innerhalb der HFA-Stichprobe werden
für mehr als ein Viertel der Patienten Auffälligkeiten in diesen Bereichen bestätigt.
80
Ergebnisse
Die Auswertung der erzielten Summenwerte führte zu folgendem Ergebnis: Innerhalb der
HFA-Stichprobe erfüllten fünf Patienten die MCDD-Kriterien, also fast die Hälfte der
Stichprobe, innerhalb der LFA-Stichprobe waren es nur zwei Patienten.
4.3
Erkrankungsverlauf: Von den ersten Auffälligkeiten bis zur
Diagnosestellung
Die folgenden Ergebnisse, zusammengefasst in Tabelle 17, zeigen den durch die
katamnestische Datenerhebung dokumentierten Krankheitsverlauf der Gesamtstichprobe, der
HFA-Stichprobe sowie der LFA-Stichprobe.
Tabelle 17. Mittleres Alter bei Auftreten der 1. Auffälligkeiten, der 1. Konsultation, der 1.
Verdachtsdiagnose und der 1. Diagnosestellung
Gesamtstichprobe
Median
M±SD
HFA
Median
(Min-Max)
Alter 1. Auffälligkeiten
a)
1,5
1,5±0,9
LFA
M±SD
(Min-Max)
1,0
1,3±1,2
(0-3,1)
Alter 1. Konsultation
b)
2,9
3,4±2,3
4,9
Alter 1. Verdacht
4,0
4,3±2,5
4,6
Alter 1. Diagnose e)
6,1
6,0±3,8
8,0
6,8±3,6
8,7
9,7±4,6
2,7
(3,0-24)
12,5±4,8
2,7±1,3
(0-5,3)
3,8
3,4±1,4
(1,1-5,2)
4,3
(1,6-17,6)
10,1
1,5±0,8
(0-3,1)
(1,6-9,6)
(1,6-17,6)
7,8±4,4
1,5
(0,6-13,2)
(1,1-9,6)
Alter 1. Verdachtsdiagnose d)
4,8±3,3
M±SD
(Min-Max)
(0-2,5)
(0-13,2)
c)
Median
4,4±1,8
(1,8-10,3)
5,4
(8,0-24,0)
5,7±1,9
(3,0-10,3)
a) Alter in Jahren, in dem den Eltern erstmals etwas an der Entwicklung ihres Kindes auffiel; n=31, HFA: n=5, LFA: n=26
b) Alter in Jahren, in dem die erste Konsultation stattfand; n=38, HFA: n=12; LFA: n=26
c) Alter in Jahren, in dem erstmals der Verdacht auf eine Störung aus dem autistischen Formenkreis geäußert wurde; n=15 HFA: n=4;
LFA: n=11
d) Alter in Jahren, in dem zum ersten Mal die Verdachtsdiagnose eines Frühkindlichen Autismus gestellt wurde; n=40; HFA: n=12;
LFA: n=28
e) Alter in Jahren, in dem zum ersten Mal die Diagnose eines Frühkindlichen Autismus gestellt wurde; n=40; HFA: n=12; LFA: n=28
f) Kind seit Geburt auffällig, z.B. Frühgeburt; seit Geburt in Behandlung
4.3.1 Zeitpunkt der ersten Auffälligkeiten
Bezüglich der ersten beobachteten Auffälligkeiten der beiden untersuchten Stichproben zeigt
sich, dass die Eltern der HFA-Stichprobe im wesentlichen zur selben Zeit wie die Eltern der
LFA-Stichprobe Verhaltensauffälligkeiten registrierten (vgl. Tabelle 17). Dabei ist zu
bemerken, dass lediglich fünf Bezugspersonen von Patienten der HFA-Stichprobe die ersten
81
Ergebnisse
Auffälligkeiten zeitlich einordnen konnten, somit ist davon auszugehen, dass die
Patienteneltern, die eine zeitliche Einordnung früher Verhaltensauffälligkeiten nicht
vornehmen konnten, Auffälligkeiten ungefähr beim Alter der ersten Konsultation bemerkten.
Die frühesten unspezifischen Auffälligkeiten beobachteten einige die Eltern der LFAStichprobe bereits in den ersten Lebenstagen des Kindes. Hierbei handelte es sich
durchgehend um Patienten, die vor der vollendeten 38. SSW zur Welt kamen und damit als
Frühgeburt galten.
4.3.2 Frühe Indikatoren
4.3.2.1 Erste Auffälligkeiten
Tabelle 18 zeigt die Auffälligkeiten, die als erstes die Aufmerksamkeit der Eltern weckten für
die
HFA-Stichprobe
und
die
LFA-Stichprobe.
Während
des
katamnestischen
Untersuchungstermins wurden diese Symptome bei den Eltern als Auswahlmöglichkeiten bei
der Vervollständigung des Freiburger-Autismus-Inventar (FAI) abgefragt.
Falls die angegebene Auffälligkeit keiner Auswahlmöglichkeit zugeordnet werden konnte,
wurde sie in einem Freitextfeld notiert. Die in den Freitext-Feldern gesammelten
Auffälligkeiten wurden wiederum in einzelnen Kategorien zusammengefasst: Unter dem
Begriff „Unspezifische Frühsymptome“ wurden von den Eltern beobachtete Auffälligkeiten
im ersten Lebensjahr subsumiert, (u.a. „stilles Baby, mit sich zufrieden“, „als Säugling
stundenlang bis zur Erschöpfung gestrampelt“, sehr unruhiger Säugling“, sehr pflegeleichtes
Kind“, „viel geschlafen als Säugling“), weitere Kategorien bildeten „Auffälligkeiten in der
Sprachentwicklung“, „Inadäquate Kontaktaufnahme“, „Frühgeburt“, „Motorische Unruhe“,
„Auffälligkeiten in der Kommunikation". Deren Häufigkeiten sind in Tabelle 19 für die
Gesamtstichprobe sowie für die HFA- Stichprobe und die LFA-Stichprobe dargestellt.
Vergleicht man die Ergebnisse beider Stichproben miteinander, so zeigt sich, dass in beiden
Gruppen ungefähr gleichhäufig unspezifische Entwicklungsauffälligkeitn auffielen (jeweils
etwa bei 40,0%). Ein signifikanter Unterschied war lediglich bei dem Symptom „Patient
schreit viel“ zu beobachten, dieses wurde deutlich häufiger von Eltern der LFA-Stichprobe
beobachtet. Interessanterweise gaben die Eltern der HFA-Stichprobe deutlich seltener die
Auffälligkeit „Kein Interesse an anderen Kindern“ an.
82
Ergebnisse
Tabelle18. Erste Auffälligkeiten: Auswahlmöglichkeiten, HFA-Stichprobe u. LFA-Stichprobe
Fishers
HFA
LFA
exakter Test
p‫٭‬
n
%
n
%
Unspezifische Entwicklungsauffälligkeiten
1.00
5
41,7
13
46,4
Schlafstörungen
.70
2
16,7
7
25,0
Auffälliges Ernährungverhalten
.70
2
16,7
7
25,0
Patient schreit viel
.001
1
8,3
14
50,0
Kein Interesse an anderen Kindern
1.00
4
33,3
9
32,1
Körperkontakt gemieden
.45
4
33,3
6
21,4
Motorische Stereotypien
.41
4
33,3
5
17,8
Auffälliges Spielverhalten (spielt anders als andere
.21
4
33,3
4
14,2
Monotones Spielverhalten
.70
2
16,7
7
25,0
„Lebt in eigener Welt“
.23
1
8,3
8
25,5
Inadäquate Kontaktaufnahme
1.00
3
25,0
6
21,4
Eltern haben nichts bemerkt
.30
1
8,3
-
-
Kinder)
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro Auffälligkeit möglich
Die in Tabelle 19 dargestellten Ergebnisse der Freitext-Antworten unterscheiden sich im
Vergleich zu Tabelle 18 in folgenden Aspekten: Hier wurde aufgrund der Freitext-Antworten
eine Kategorie „Unspezifische Frühsymptome“ gebildet. Diese Beobachtungen wurden
lediglich von Eltern der der LFA-Stichprobe gemacht. Die Frühgeburtlichkeit des Kindes war
eine weitere, für die LFA-Stichprobe spezifischere Auffälligkeit, ebenso wie beobachtete
Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung bei 25,0% der Patienten.
Insgesamt machten die Eltern der HFA-Stichprobe deutlich weniger Nennungen zum Bereich
der ersten, bewusst beobachteten Auffälligkeiten. Dieser Umstand ist auch einschränkend bei
der durchschnittlichen Altersangabe erster Auffälligkeiten zu berücksichtigen.
83
Ergebnisse
Tabelle19. Erste Auffälligkeiten: Freitext-Felder
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
n
%
n
%
n
%
Unspezifische Früh-Symptome
6
15,0
-
-
6
21,4
Auffälligkeiten Sprachentwicklung
9
22,5
2
16,6
7
25,0
Inadäquate Kontaktaufnahme
7
17,5
3
25,0
4
14,3
Frühgeburt
5
12,5
1
8,3
4
14,3
Motorische Unruhe
4
10,0
1
8,3
3
10,7
Auffälligkeiten Kommunikation
1
2,5
1
8,3
-
-
Übersensibilität gegenüber Tönen
1
2,5
1
8,3
-
-
und Berührungen
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro Auffälligkeit möglich
4.3.2.2 Frühe Auffälligkeiten
Im Anschluss wurden die Eltern nach weiteren, bereits in der Literatur beschriebenen ersten
Auffälligkeiten und Frühsymptomen befragt. Tabelle 20 stellt die Ergebnisse für die HFAStichprobe und die LFA-Stichprobe dar:
Innerhalb der LFA-Stichprobe werden bei über 90% der Patienten die Auffälligkeiten
„Mangel an Gestik“ sowie „Mangel an Mimik“ beobachtet, hier besteht ein signifikanter
Unterschied zu den Ergebnissen der HFA-Stichprobe (Fishers exakter Test: p<.02 bzw.
p<.01). Bei fast 80% der Patienten der LFA-Stichprobe wurde ein Fehlen von sozialem
Lächeln beobachtet, gefolgt von der Beobachtung, dass fast 70% der Patienten motorische
Stereotypien (z.B. „Flattern mit den Händen“) zeigten. Auch bei diesen Auffälligkeiten
besteht ein signifikanter Unterschied zur HFA-Stichprobe (Fishers exakter Test: p<.01 bzw.
p<.01). Ebenfalls signifikant war der Unterschied zwischen beiden Stichproben bei den
Auffälligkeiten „Selbstschädigende Verhaltensweisen“ sowie „Übersensibilität gegenüber
Tönen und Berührungen“ (Fishers exakter Test: p<.04 bzw. p<.03).
Auffälligkeiten aus den Bereichen „Wutanfälle“ sowie „Auffälligkeiten beim Essen“ wurden
bei über 50% aller Patienten der LFA-Stichprobe beobachtet. Auch das Auftreten von
hyperaktivem Verhalten wurde bei 40,0% der Patienten dieser Stichprobe beobachtet.
Die Eltern von Patienten aus der HFA-Stichprobe beobachteten zusätzlich zu den zu zwei
Drittel beobachteten Auffälligkeiten von fehlender Gestik und Mimik auch Auffälligkeiten
wie „Faszination von gewissen Reizen“, „Kuschelte nicht als Säugling oder Kleinkind“ sowie
„Probleme mit Feinmotorik“ mit jeweils über 30%. Im Vergleich zur LFA-Stichprobe
84
Ergebnisse
konnten Unterschiede im Bereich „Sprache: Lautstärke“ sowie „Altkluge Sprache“ als
signifikant nachgewiesen werden (Fishers exakter Test: p<.03 bzw. p<.03).
Besonders
selten
Schmerzschwelle“,
wurden
in
beiden
Stichproben
„Temperaturunempfindlichkeit“
und
Auffälligkeiten
wie
„Hohe
„Jahreszeitenunangemessene
Kleidung“ beobachtet. Teilweise wurden von den Eltern noch weitere Anmerkungen zu
Auffälligkeiten gemacht, deren Inhalte nicht in den Auswahlmöglichkeiten beschrieben
waren: Das Auftreten von zerebralen Krampfanfällen sowie der Verlust von sprachlichen
Fähigkeiten nach Entwicklung einer Sprache auf dem Niveau von Zwei- bzw. Dreiwortsätzen
wurde jeweils einmal von Eltern aus der LFA-Stichprobe genannt.
Insgesamt lässt sich somit beobachten, dass einige wenige Unterschiede hinsichtlich der
Symptomprofile bereits in der Literatur beschriebener Auffälligkeiten zwischen beiden
Stichproben existieren. Besonders die Symptomprofile der Auffälligkeiten, die als erstes die
Aufmerksamkeit der Eltern weckten, zeigen vergleichbare Ergebnisse (vgl. Tabelle 19) in
beiden Stichproben.
85
Ergebnisse
Tabelle 20. Weitere Auffälligkeiten: Auswahlmöglichkeiten, HFA-Stichprobe u. LFA-Stichprobe
Fishers exakter
HFA
LFA
Test
p‫٭‬
n
%
n
%
Benutzt wenig Mimik
.01
7
58,3
27
96,4
Kein soziales Lächeln
.01
4
33,3
22
78,6
Flattern mit den Händen
.01
2
16,7
19
67,9
Benutzt wenig Gestik
.02
8
66,7
27
96,4
Übersensibilität geg Tönen und Berührungen
.03
2
16,7
16
57,1
Selbstschädigende Verhaltensweisen
.03
2
16,7
16
57,1
Sprache: Lautstärke
.03
4
33,3
1
3,8
Sprache: Altkluge Sprache
.03
3
25,0
0
0
Sprache: Geschwindigkeit / Flüssigkeit
.06
6
50,0
5
17,9
Hyperaktivität
.06
1
8,3
12
42,9
Niedriges Körpergewicht
.08
2
16,7
14
50,0
„Unkompliziertes Kind“ („als wäre es nicht da“)
.17
4
33,3
3
10,7
Kuschelte nicht als Säugling oder Kleinkind
.17
4
33,3
3
10,7
Auffälligkeiten beim Essen
.17
3
25,0
15
53,6
Probleme mit Feinmotorik
.21
4
33,3
4
14,3
Sprache: Rhythmus
.21
2
16,7
1
3,8
Auffälligkeiten beim Schlafen
.23
0
0
4
14,3
Wutanfälle
.32
4
33,3
15
53,6
Sprache: Tonfall
.41
3
25,0
4
14,3
Übermäßige Furcht vor harmlosen Dingen
.45
4
33,3
6
21,4
Aggressivität
.45
3
25,0
11
39,3
Reagiert nicht auf elterliche Stimme
.49
3
25,0
11
39,3
Faszination von gewissen Reizen
.50
4
33,3
13
46,4
Jahreszeitunangemessene Kleidung
.52
1
8,3
1
3,8
Hohe Schmerzschwelle
.57
2
16,7
2
7,1
steifes Gangbild/ kein Mitschwingen der Arme
.65
1
8,3
5
17,9
Auffälligkeiten der Stimmung oder des Affekts
.66
1
8,3
6
21,4
Furchtlosigkeit vor wirklichen Gefahren
.67
2
16,7
8
28,6
Kurze Aufmerksamkeitsspanne
.67
2
16,7
8
28,6
Hält sich nicht an Regeln
1.00
2
16,7
6
21,4
Impulsivität
1.00
2
16,7
6
21,4
Übersteigerte Reaktionen auf Licht und Gerüche
1.00
2
16,7
6
21,4
Zehenspitzengang
1.00
2
16,7
5
17,9
Temperaturunempfindlichkeit
1.00
1
8,3
2
7,1
Unfähigkeit, andere um Hilfe zu bitten
1.00
0
0
2
7,1
86
Ergebnisse
4.3.2 Erste Konsultation
Im Vergleich beider Stichproben konsultierten die Patienteneltern der LFA-Stichprobe im
Durchschnitt
drei
Jahre
vor
den
Patienteneltern
der
HFA-Stichprobe
eine
Versorgungseinrichtung, da sie sich um die Entwicklung ihres Kindes sorgten bzw. deutliche
Auffälligkeiten in der Entwicklung ihres Kindes beobachteten. Dieser Unterschied ist
statistisch signifikant (ANOVA:F (1, 38) = 4.84, p<.04).
Der älteste Patient innerhalb der HFA-Stichprobe wurde zum ersten Mal mit 13 Jahren wegen
Verhaltensauffälligkeiten vorgestellt, innerhalb der LFA-Stichprobe war der älteste Patient
zum Zeitpunkt der ersten Konsultation fünf Jahre alt. Somit zeigt sich ein deutlicher
Unterschied zwischen beiden Gruppen.
Tabelle 21 zeigt die konsultierten Versorgungseinrichtungen für die Gesamtstichprobe sowie
für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe. Auch hier fallen Unterschiede zwischen den
Stichproben auf: Innerhalb der LFA-Stichprobe wurde der größte Anteil der Patienten in
einem Sozial-Pädiatrischen Zentrum oder direkt einem Pädiater vorgestellt, während in der
HFA-Stichprobe nur ein Patient in einem Sozial-Pädiatrischen Zentrum vorgestellt wurde.
Zudem wurden Frühförderstellen von Eltern aus der LFA-Stichprobe gehäuft konsultiert.
Tabelle 21. Erste konsultierte Versorgungseinrichtung
Gesamtstichprobe
HFA (n=12)
LFA (n=28)
n
%
n
%
n
%
Kinderarzt
12
30,0
4
33,3
8
28,6
Sozial-Pädiatrisches Zentrum (SPZ)
10
25,0
1
8,3
9
32,1
Frühfördersstelle
7
17,5
2
16,7
5
17,8
Kinder- und Jugendpsychiater
2
5,0
2
16,7
0
0
Andere Beratungsstelle
2
5,0
0
0
2
7,1
Erziehungsberatungsstellen
1
2,5
0
0
1
3,5
Pädaudiologie
1
2,5
1
8,3
0
0
Sprachtherapie
1
2,5
1
8,3
0
0
Ergotherapie
1
2,5
0
0
1
3,5
Keine Angabe
3
7,5
1
8,3
2
7,1
87
Ergebnisse
4.3.3 Erster Verdacht auf eine Störung aus dem autistischen
Formenkreis
Der Vergleich der beiden Stichproben bezüglich des Erstverdachts zeigt folgende
Unterschiede: Innerhalb der HFA-Stichprobe lag das durchschnittliche Alter bei einem ersten
Verdacht durchschnittlich 3 Jahre über dem durchschnittlichen Alter eines Patienten aus der
LFA-Stichprobe. Der älteste Patient aus der HFA-Stichprobe war bei einem ersten Verdacht
bereits fast 10 Jahre alt, hingegen war der älteste Patient aus der LFA-Stichprobe 5 Jahre alt.
Hinsichtlich der jüngsten Patienten, bei denen ein erster Verdacht für eine Störung aus dem
autistischen Formenkreis geäußert wurde, herrscht ein nahezu homogenes Profil: Der
Verdacht wurde jeweils im 2. Lebensjahr geäußert.
Tabelle 22 zeigt für die Gesamtstichprobe und für die LFA-Stichprobe die Personen auf, die
erstmalig den Verdacht auf eine Störung aus dem autistischen Formenkreis äußerten.
Innerhalb der HFA-Stichprobe wurde lediglich bei einem Patienten der Verdacht auf eine
Störung aus dem autistischen Formenkreis durch eine Lehrerin geäußert, bei den anderen
Patienten der HFA-Stichprobe wurde zu keiner Zeit ein solcher Verdacht geäußert. Insgesamt
ist jedoch auch für die LFA-Stichprobe die Anzahl der Personen, die jemals einen solchen
Verdacht äußerten, als sehr gering einzustufen.
Tabelle 22. Person, die den ersten Verdacht auf eine Störung aus dem autistischen Formenkreis äußerte a)
Gesamt
n
a)
LFA
%
b)
n
c)
% d)
Kinderarzt
6
60,0
6
66,6
Frühförderstelle
2
20,0
2
22,2
Verwandte und Bekannte
1
10,0
1
11,2
Lehrer/-in
1
10,0
0
0
a) Gesamtanzahl der Personen, die einen Verdacht äußerten: n= 10
b) Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtanzahl derer, die einen Verdacht äußerten: n=10
c) Gesamtanzahl der Personen, die einen Verdacht äußerten: n= 9
d) Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtanzahl derer, die einen Verdacht äußerten: n=9
88
Ergebnisse
4.3.4 Zeitpunkt der ersten Verdachtsdiagnose
Vergleicht man die Daten von Tabelle 17 miteinander, so lassen sich folgende Unterschiede
zwischen beiden Stichproben beschreiben: Der Unterschied des Alters bei der ersten
Verdachtsdiagnose eines Frühkindlichen Autismus betrug zwischen der HFA-Stichprobe und
der LFA-Stichprobe im Mittel 5,3 Jahre.
Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (ANOVA: F (1, 38)= 30.39, p<.001).
4.3.5 Zeitpunkt der ersten Diagnosestellung
Der Vergleich beider Stichproben verdeutlicht, dass die Patienten der HFA-Stichprobe im
Mittel 5,3 Jahre später die Erstdiagnose eines Frühkindlichen Autismus erhielten (vgl.
Tabelle 17). Auch dieser Unterschied zwischen beiden Stichproben ist statistisch signifikant
(ANOVA: F (1, 38) = 41.14, p<.001).
Tabelle 23 zeigt für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe die Personen, die
konsultiert wurden, bevor die Diagnose eines Frühkindlichen Autismus gestellt wurde.
Zusammenfassend lassen sich folgende Unterschiede zwischen beiden Stichproben
beschreiben: Mehr als die Hälfte aller Patienten der HFA-Stichprobe wurden bei einem
Kinder- und Jugendpsychiater vorgestellt, innerhalb der LFA-Stichprobe wurden die meisten
Patienten zunächst in einem Sozialpädiatrischen Zentrum vorgestellt, gefolgt von
Kinderärzten sowie Kinder- und Jugendpsychiater. Innerhalb der LFA-Stichprobe wurden
zudem die Pädaudiologie bei V.a. Hörminderung konsultiert. Ebenso konsultierten die Eltern
dieser Stichprobe Psychologen bzw. psychologische Beratungsstellen.
89
Ergebnisse
Tabelle 23. Diagnostiker, die vor Diagnosestellung konsultiert wurden, HFA-Stichprobe und LFAStichprobe
HFA
LFA
n a)
% b)
n c)
% d)
n a)
% b)
n c)
% d)
SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum)
27
54,0
6
50,0
34
38,3
17
60,7
Kinderarzt
8
16,0
5
41,6
24
27,0
13
46,4
Kinder- und Jugendpsychiater
8
16,0
8
66,6
20
22,5
13
46,4
Pädaudiologie
1
Psychologe
0
0
0
Hausarzt
0
0
0
1
8
5
0
9
4
0
1
1,1
1
3,6
a) Gesamtanzahl der Konsultationen HFA: n=50; LFA: n=89
b) Prozentangaben bezogen auf die Gesamtanzahl der Konsultationen
c) Anzahl der Konsultationen, wobei pro Patient nur eine Nennung pro Diagnostiker erfolgte
d) Prozentangaben bezogen auf die Patientenzahl HFA: n=12; LFA: n=28; pro Patient nur eine Nennung pro jeweiligem Diagnostiker
Abbildung 5 stellt zusammenfassend den Krankheitsverlauf der beiden Stichproben dar.
Innerhalb der HFA-Stichprobe verging durchschnittlich ein Zeitraum von 5,7 Jahren zwischen
dem Alter der ersten Verdachtsdiagnose und der endgültigen Diagnosestellung, sowie ein
Zeitraum von 11,2 Jahren, der zwischen der Beobachtung erster Auffälligkeiten durch die
Eltern und der endgültigen Diagnosestellung lag. Innerhalb der LFA-Stichprobe vergingen ein
Zeitraum von 1,3 Jahren zwischen dem mittleren Alter der ersten Verdachtsdiagnose und der
endgültigen Diagnosestellung, sowie ein Zeitraum von 4,2 Jahren, der zwischen der
Beobachtung erster Auffälligkeiten durch die Eltern und der endgültigen Diagnosestellung
lag.
90
Ergebnisse
Abbildung 5: Zeitachse zum Krankheitsverlauf
HFA
Erste
Erste Konsultation
Erste Diagnose
Auffälligkeiten
1,3*
4,8
0
12,5
5
1,5
2,7
10
Alter
in Jahren
5,7
Erste
Auffälligkeiten
Erste Diagnose
Erste Konsultation
LFA
*HFA: n=5
4.3.6 Psychiatrische Diagnosen vor Diagnosestellung
Anhand der vorliegenden Arztbriefe und die durch den Untersuchungstermin vorliegenden
Informationen wurden alle psychiatrischen Diagnosen erhoben, die der jeweilige Patient vor
der endgültigen Diagnosestellung eines Frühkindlichen Autismus erhalten hatte. Tabelle 24
zeigt die Ergebnisse für die HFA-Stichprobe und Tabelle 24a für die LFA-Stichprobe. Die
ermittelten Diagnosen wurden in 8 Gruppen zusammengefasst:
1. Nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung
2. Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache
3. ADHS und HKS
4. Intelligenzminderung
5. Tiefgreifende Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet
6. Emotionale Störungen
7. Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
8. Affektive Störungen
91
Ergebnisse
Die ermittelten Diagnosen wurden jeweils in Hauptdiagnosen und Verdachtsdiagnosen
aufgeschlüsselt.
Innerhalb der HFA-Stichprobe wurde eine Diagnose aus dem Bereich „Umschriebene
Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache“ für die Hälfte aller Patienten vergeben,
gefolgt
von
einer
Diagnose
aus
dem
Bereich
„Nicht
näher
bezeichnete
Entwicklungsstörungen“ sowie einer Diagnose aus dem Bereich „ADHS und HKS“ .
Im Vergleich dazu wurde innerhalb der LFA-Stichprobe die Diagnose „Nicht näher
bezeichnete Entwicklungsstörung“ am häufigsten vergeben, gefolgt von einer Diagnose aus
dem Bereich „Umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache“.
Insgesamt zeigt sich im Vergleich beider Gruppen ein homogenes Profil bei der Vergabe
psychiatrischer Diagnosen im Krankheitsverlauf. Bei keinem Patienten der HFA-Stichprobe
wurde im Vorfeld die Diagnose „Tiefgreifende Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet“
vergeben. Im Gegensatz dazu erhielten 4 Patienten aus der LFA-Stichprobe eine solche
Diagnose. Auch Anzeichen hyperkinetischer Symptome scheinen in beiden Stichproben zu
beobachten gewesen sein: Bei 25,0% der Patienten der HFA-Stichprobe wurde eine solche
Diagnose im Verlauf gestellt.
92
Ergebnisse
Tabelle 24. Psychiatrische Diagnosen vor Diagnosestellung des Frühkindlichen Autismus für die HFAStichprobe
Diagnosen
Hpt. D. a)
Hpt. D.b) %
n
d)
Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und
der Sprache
Entwicklungsstörung, nicht
näher bezeichnet
ADHS und HKS
5
41,6
4
V.a. D. c)
Insg.
Insg.
n
% d)
1
6
50,0
33,3
0
4
33,3
3
25,0
1
4
33,3
Emotionale Störungen
2
16,7
1
3
25,0
Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen
Intelligenzminderung
1
8,3
0
1
8,3
1
8,3
0
1
8,3
Affektive Störungen
1
8,3
0
1
8,3
Tiefgreifende Entwicklungsstörung, nicht näher bezeichnet
0
0
0
0
0
Mehrfachnennungen sind möglich, pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Diagnosegruppe
a) Haupt-Diagnosen n
b) Haupt-Diagnosen %
c) Verdachtsdiagnosen n
d) Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe n=12
Tabelle 24a. Psychiatrische Diagnosen vor Diagnosestellung des Frühkindlichen Autismus für die LFAStichprobe
Diagnosen
Hpt. D. a)
Hpt. D.b) %
n
d)
Entwicklungsstörung
14
50,0
Umschriebene Entwicklungsstörungen des Sprechens und
der Sprache
ADHS und HKS
11
V.a. D. c)
Insg.
Insg.
n
% d)
2
16
57,1
39,3
0
11
39,3
3
10,7
2
5
17,8,
Tiefgreifende Entwicklungsstörung
nicht
näher
bezeichnet
Intelligenzminderung
4
14,3
0
4
14,3
3
10,7
1
4
14,3
Emotionale Störungen
2
7,1
0
2
7,1
Persönlichkeits- und
Verhaltensstörungen
Affektive Störungen
1
3,6
0
1
3,6
0
0
0
0
0
Mehrfachnennungen sind möglich, pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Diagnosegruppe
a) Haupt-Diagnosen n
b) Haupt-Diagnosen %
c) Verdachtsdiagnosen n
d) Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe n=28
93
4.4
Therapeutische Interventionen
4.4.1
Ambulante Therapien
Ergebnisse
Tabelle 25 zeigt die Anzahl und die Art der durchgeführten ambulanten Therapien der HFAStichprobe und der LFA-Stichprobe. In Tabelle 26 werden zusätzlich die durchgeführten
ambulanten Therapien vor Diagnosestellung aufgeführt. Zusammenfassend lässt sich
beobachten, dass die Patienten der HFA-Stichprobe insgesamt weniger ambulante Therapien
im Vergleich zur LFA-Stichprobe erhielten, auch nach der Diagnosestellung ändert sich diese
Tatsache nicht. Die Patienten der LFA-Stichprobe erhielten vor Diagnosestellung besonders
Ergotherapie und Logotherapie, nach Diagnosestellung wurde die Ergotherapie weiter erteilt,
ergänzt wurde die Unterstützung durch störungsspezifische verhaltenstherapeutische
Interventionen z.B. im Autismus-Therapie-Zentrum. Es zeigt sich ein sehr heterogenes Profil
an ambulanten Therapien, die Kinder aus der LFA-Stichprobe erhielten zusätzlich noch
Frühförderung oder heilpädagogische Unterstützung sowie Krankengymnastik, wobei diese
Therapien innerhalb der HFA-Stichprobe nicht vertreten waren. Insgesamt wird deutlich, dass
die nicht störungsspezifische Ergotherapie in beiden Stichproben am häufigsten durchgeführt
wurde.
94
Ergebnisse
Tabelle 25. Durchgeführte ambulante Therapien, HFA-Stichprobe und LFA-Stichprobe
HFA
LFA
n a)
% b)
n c)
% d)
n a)
% b)
n c)
% d)
Ergotherapie
4
28,6
4
33,3
8
19,0
8
28,6
Verhaltenstherapie
1
7,1
1
8,3
8
19,0
8
28,6
Kinder- und
3
21,4
3
25,0
2
4,8
2
7,1
Spieltherapie
2
14,3
2
16,7
3
7,1
3
10,7
Krankengymnastik
-
-
-
-
5
11,9
4
14,3
Hippo-Therapie
-
-
-
-
2
4,8
2
7,1
Logopädie
2
14,3
2
16,7
4
9,5
4
14,3
Heilpädagogik
-
-
-
-
2
4,8
2
7,1
Frühförderung
-
-
-
-
4
9,5
4
14,3
Sonstige ambulante Therapien e)
3
21,4
2
16,7
2
4,8
2
7,1
Jugendpsychiatrische Therapie
100
Summe
100
Mehrfachnennungen sind möglich
a) Gesamtanzahl der jeweilig durchgeführten ambulanten Therapie
b) Prozentangaben bezogen auf die Anzahl der insgesamt durchgeführten Therapien; HFA: n=14; LFA: n=42
c) Anzahl der Patienten, die die jeweilige ambulante Therapie erhalten haben; pro Patient nur eine Nennung pro jeweiliger Therapie
d) Prozentangaben bezogen auf die Gesamtstichprobe HFA: n=12; LFA: n=28; pro Patient nur eine Nennung pro jeweiliger Therapie
e) Musiktherapie, Psychomotorikbehandlung, sonstige nicht näher bezeichnete ambulante Therapien
Tabelle 26. Durchgeführte ambulante Therapien vor Diagnosestellung
Gesamtstichprobe
HFA (n=12)
LFA (n=28)
n
%
n
%
n
%
Ergotherapie
11
27,5
3
25,0
8
28,6
Logopädie
7
17,5
2
16,6
5
17,9
Spieltherapie
5
12,5
2
16,6
4
14,3
Krankengymnastik
4
10,0
1
8,3
3
10,7
Frühförderung
4
10,0
1
8,3
3
10,7
Hippo-Therapie
2
5,0
1
8,3
2
7,1
Heilpädagogische Therapie
2
5,0
0
0
2
7,1
Kinder- und Jugendpsychiatrische
2
5,0
0
0
2
7,1
Verhaltenstherapie
1
2,5
0
0
1
3,6
Psychomotorik-Behandlung
1
2,5
0
0
0
0
Sonstige ambulante Therapien
5
12,5
0
0
5
17,9
Therapie
a) Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Therapie
b) Prozentangaben bezogen auf die Gesamtstichprobe n=40; HFA: n=12; LFA: n=28
95
4.4.2
Ergebnisse
Stationäre Therapien
Tabelle 27 zeigt die durchgeführten stationären Therapien für die HFA-Stichprobe und die
LFA-Stichprobe, Tabelle 28 stellt gesondert die Ergebnisse stationärer Therapien vor
Diagnosestellung dar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nahezu die Hälfte der
Patienten aus beiden Stichproben keinen stationären Therapieaufenthalt in ihrer
Krankengeschichte aufweist. Vor Diagnosestellung erhielten Aufenthalte in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie in beiden Stichproben die häufigsten Nennungen, Patienten aus der LFAStichprobe wurden zudem in pädiatrischen Einrichtungen stationär behandelt, innerhalb der
HFA-Stichprobe wurde dies nur für einen Patienten dokumentiert. Nach Diagnosestellung
wurden die Patienten beider Stichproben zusätzlich in Jugendhilfeeinrichtungen stationär
behandelt.
Tabelle 27. Durchgeführte stationäre Therapien, HFA-Stichprobe und LFA-Stichprobe
HFA
LFA
n a)
% b)
n c)
% d)
n a)
% b)
n c)
% d)
Kinder- und Jugendpsychiatrie
8
43,7
5
41,6
7
35,0
6
21,4
Stationäre Jugendhilfeeinrichtungen
3
21,9
3
25,0
6
30,0
6
21,4
Pädiatrie
-
-
-
-
4
20,0
3
10,7
Sonstige stationäre Einrichtung
1
12,5
1
8,3
3
15,0
3
10,7
Kein stationärer Aufenthalt im
-
-
5
41,6
-
-
13
46,4
12
100
20
100
Therapieverlauf
Summe
Mehrfachnennungen sind möglich
a) Gesamtanzahl stationärer Therapieaufenthalte HFA: n=12; LFA: n=20
b) Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtanzahl der stationären Therapieaufenthalte HFA: n=12; LFA: n=20
c) Anzahl der Patienten, die einen stationären Therapieaufenthalt in der jeweiligen Einrichtung im Therapieverlauf hatten; pro Patient nur
eine Nennung pro jeweiliger stationärer Einrichtung
d) Prozentangaben bezogen auf HFA: n=12 und LFA: n=28; pro Patient nur eine Nennung pro jeweiliger stationärer Einrichtung
96
Ergebnisse
Tabelle 28. Durchgeführte stationäre Therapien vor Diagnosestellung
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
n
%
n
%
n
%
Kinder- und Jugendpsychiatrie
8
20,0
5
41,6
3
10,7
Pädiatrie
7
17,5
1
8,3
6
21,4
Stationäre Jugendhilfe
2
5,0
-
-
2
7,1
Sonstiger stationärer Aufenthalt vor
2
5,0
1
8,3
1
3,6
1
2,5
-
-
1
3,6
17
42,5
6
50,0
11
39,3
Diagnosestellung
Reha-Einrichtungen
Kein
stationärer
Aufenthalt
vor
Diagnosestellung
a) Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger stationärer Therapie
b) Prozentangaben bezogen auf die Gesamtstichprobe n=40; HFA: n=12; LFA: n=28
4.4.3
Medikamentöse Therapien
Aus den in den Patientenblättern vorliegenden Arztbriefen und den am Untersuchungstermin
erhaltenen Informationen wurden die im Therapieverlauf verschriebenen und eingenommenen
Medikamente zusammengestellt. Tabelle 29 zeigt die erhobenen Daten für die
Gesamtstichprobe sowie für die HFA- und die LFA-Stichprobe.
Tabelle 29. Medikation, HFA-und LFA-Stichprobe
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
n
%
n
%
n
%
Atypisches Neuroleptikum
10
25,0
2
16,7
8
28,6
Sonstiges (Truxal, Carbamazepin)
3
7,5
0
0
3
10,7
Methylphenidat
3
7,5
1
8,3
2
7,1
Klassisches Neuroleptikum
3
7,5
0
0
3
10,7
Keine Medikation
26
65,0
9
75,0
17
60,7
a) Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Medikamentenklasse
b) Prozentangaben bezogen auf die Gesamtstichprobe n=40; HFA: n=12; LFA: n=28
Der größte Anteil beider Stichproben erhielt keine medikamentöse Therapie, innerhalb der
HFA-Stichprobe liegt der Anteil von Patienten ohne medikamentöse Therapie bei 75,0%. Die
Daten spiegeln folgende Unterschiede zwischen beiden Stichproben:
Innerhalb der LFA-Stichprobe wurde am häufigsten mit einem atypischen Neuroleptikum
behandelt, gefolgt von einem klassischen Neuroleptikum sowie einer antiepileptischen
Therapie. Die Indikation zur Behandlung mit einer neuroleptischen Medikation erfolgte in
allen Fällen wegen fremdaggressivem oder selbstverletzendem Verhalten. Zwei Patienten der
LFA-Stichprobe wurden mit Methylphenidat behandelt, da sie zunächst die Diagnose einer
97
Ergebnisse
hyperkinetischen Störung erhalten hatten. Die Medikation wurde in beiden Fällen wegen
fehlender Wirksamkeit abgesetzt, für den mit Methylphenidat behandelten Patienten aus der
HFA-Stichprobe trat derselbe Fall ein.
Vier Patienten aus der LFA-Stichprobe setzten die Medikation mit einem atypischen
Neuroleptikum wieder ab (bzw. die Eltern). Der kürzeste Einnahmezeitraum belief sich auf
zwei Monate (Absetzen wegen Gewichtszunahme), gefolgt von vier Monaten Einnahmedauer
(Absetzen
wegen
extrapyramidaler
Nebenwirkungen),
gefolgt
von
acht
Monaten
Einnahmedauer (Absetzen wegen Enuresis diurna). Die längste Einnahmedauer vor Absetzen
wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen belief sich auf ein Jahr und sieben Monate, hier
wurde
das
Atypikum
in
einer
anthroposophisch
orientierten
Einrichtung
aus
weltanschaulichen Gründen abgesetzt.
4.4.4 Besuchte Bildungseinrichtungen
Die Tabellen 30, 30a und 30b zeigen die besuchten Bildungseinrichtungen der
Gesamtstichprobe sowie der HFA-und der LFA-Stichprobe. Im Vergleich beider Stichproben
zeigt sich, dass nahezu alle Patienten der LFA-Stichprobe bereits im Kindergartenalter eine
sonderpädagogische Einrichtung besucht haben, während die Verteilung innerhalb der HFAStichprobe sowohl den Besuch im Regelkindergarten als auch in einer sonderpädagogischen
Einrichtung dokumentiert.
Tabelle 30. Besuchte Bildungseinrichtungen zw. 3;0. - 5;11. Lebensjahr
Gesamt
HFA
LFA
n
%a)
n
%a)
n
%a)
Sonderkindergarten
28
70,0
4
33,3
24
85,7
Regelkindergarten
11
27,5
5
41,6
6
21,4
Privater Kindergarten (Waldorf,
1
2,5
-
-
1
3,5
Montessori)
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Bildungseinrichtung
a) Prozentangaben beziehen sich auf die Gesamtstichprobe; n=40, HFA; n=12, LFA;n=28
Auch der dokumentierte Schulbesuch zeigt, dass die Hälfte aller Patienten aus der HFAStichprobe an einer Regelgrundschule beschult wurde. Interessanterweise wurden zwei
Patienten aus der HFA-Stichprobe auch an einer G-Schule beschult, d.h. eigentlich unter dem
Niveau ihrer Leistungsfähigkeit. Der größte Anteil der LFA-Stichprobe besuchte bereits mit
Beginn der Schullaufbahn eine G-Schule (vgl. Tabelle 30a).
98
Ergebnisse
Tabelle 30b dokumentiert, dass etwa 60% der HFA-Stichprobe zum Katamnesezeitpunkt eine
weiterführende
Regelschule
besuchen
konnten.
Ein
Patient
bereitete
sich
zum
Katamnesezeitpunkt auf das Abitur vor, zwei Patienten hatten zum Katamnesezeitpunkt eine
Hauptschullaufbahn mit entsprechendem Abschluss beendet. Innerhalb der LFA-Stichprobe
konnten über 80% der Patienten zum Katamnesezeitpunkt keine reguläre weiterführende
Schule besuchen. Ein Patient aus dieser Stichprobe besuchte durch die Initiative der Mutter
mit Hilfe eines Schulbegleiters und gestützter Kommunikation ein Gymnasium, wobei die
Validität der dort erbrachten Leistungen nicht überprüfbar war.
Tabelle 30a. Besuchte Bildungseinrichtungen zw. 6;0. - 10;1. Lebensjahr
Gesamt
n
a)
HFA
LFA
%b)
n a)
%b)
n a)
%b)
Regelgrundschule
8
22,2
6
46,2
2
8,7
Fördergrundschule
5
13,8
3
23,1
2
8,7
(Grund-)Schule für Erziehungshilfe
2
5,5
1
7,7
1
4,3
Private Schule (Waldorf, Montessori…)
1
2,7
1
7,7
-
-
Grundschule für Körperbehinderte
1
2,7
-
-
1
4,3
Grundschule für geistig Behinderte
21
58,3
2
15,4
18
78,2
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Bildungseinrichtung
a) Gesamtstichprobe n=37, HFA n=13, LFA n=24, bedingt durch Schulwechsel, die von einigen Patienten vollzogen wurden
b) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die älter als 5,11 Jahre sind, n=36, HFA n= 13, LFA n=23
Tabelle 30b. Besuchte Bildungseinrichtungen ab dem 11. Lebensjahr
Gesamt
n
a)
HFA
b)
%
n
a)
LFA
a)
%
n
a
%a)
Gymnasium
2
11,8
1
12,5
1
11,1
Hauptschule
2
11,8
2
25,0
-
-
Realschule
2
11,8
2
25,0
-
-
Hauptschule für Geistigbehinderte
2
11,8
-
-
2
22,2
Förderhauptschule
3
17,6
2
25,0
1
11,1
10
58,8
2
25,0
8
88,8
Sonstige Bildungseinrichtungen
c)
Mehrfachnennungen sind möglich; pro Patient jedoch nur eine Nennung pro jeweiliger Bildungseinrichtung
a) Gesamtstichprobe n= 21, HFA n=9, LFA n= 12 , bedingt durch Schulwechsel, die von einigen Patienten vollzogen wurden
b) Prozentangaben beziehen sich auf die Anzahl der Patienten, die älter als 10;11 Jahre sind, n= 17, HFA n= 8, LFA n=9
c) Jugendhilfeeinrichtungen, Heimsonderschulen, geschützte Werkstätten
99
4.5
Globalbeurteilung
Anpassung
der
Ergebnisse
Defizite
der
psychosozialen
Die Erhebung und Auswertung dieser Daten ist der sechsten Achse des „Multiaxialen
Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes-und Jugendalters nach ICD-10
der WHO“(WHO 1992) entlehnt. Die Einschätzung auf dieser Achse „sollte die psychische,
soziale und berufliche (schulische) Leistungsfähigkeit des Patienten zum Zeitpunkt der
klinischen Evaluation widerspiegeln“ (Remschmidt, 2001). Die hier vorgenommenen
Klassifikationen betreffen Funktionsbeeinträchtigungen, die als direkte Folge aus einer
psychischen Störung, einer spezifischen Entwicklungsstörung oder einer intellektuellen
Beeinträchtigung entstanden sind. Die Beurteilung bezieht sich auf den Zeitraum der
zurückliegenden drei Monate mit den folgenden Abstufungen:
1. Hervorragende/ gute soziale Anpassung
2. Befriedigende soziale Anpassung
3. Leichte soziale Beeinträchtigung
4. Mäßige soziale Beeinträchtigung
5. Deutliche soziale Beeinträchtigung
6. Deutliche und übergreifende (durchgängige) soziale Beeinträchtigung
7. Tiefgreifende und schwerwiegende soziale Beeinträchtigung
8. Braucht beträchtliche Betreuung
9. Braucht ständige Betreuung (24-Stunden-Versorgung)
Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde die „Globalbeurteilung der psychosozialen
Anpassung“ zu folgenden Zeitpunkten erhoben: Zu Beginn der Behandlung in der Abteilung
für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Universitätsklinikums
Freiburg erfolgte die Klassifikation durch den/die aufnehmende(n) Arzt/ Ärztin im Rahmen
der
Basis-Dokumentation
(BaDo).
Eine
zweite
Klassifizierung
erfolgte
zum
Katamnesezeitpunkt (= Behandlungsende) durch eine Fachärztin für Kinder- und
Jugendpsychiatrie sowie durch die Leiterin der Untersuchung.
Zu Behandlungsbeginn zeigen sich folgende Unterschiede zwischen beiden Stichproben:
Innerhalb der HFA-Stichprobe konnte ein Patient im Bereich „Deutliche soziale
Beeinträchtigung“ klassifiziert werden, der größte Anteil der Stichprobe wurde im Bereich
„Deutliche und übergreifende (durchgängige) soziale Beeinträchtigung“ klassifiziert.
Innerhalb der LFA-Stichprobe wurden der größte Anteil der Patienten im Bereich „Braucht
beträchtliche Betreuung“ klassifiziert, neun Patienten dieser Stichprobe erhielten die
100
Ergebnisse
Klassifizierung „Braucht ständige Betreuung (24-Stunden-Versorgung)“, in der HFAStichprobe wurde kein Patient in dieser Kategorie klassifiziert.
Zum Katamnesezeitpunkt (= Behandlungsende) konnten folgende Ergebnisse erhoben
werden: Die beste psychosoziale Anpassung wurde für einen Patienten aus der HFAStichprobe im Bereich „mäßige soziale Beeinträchtigung“ kodiert. Der überwiegende Anteil
der Patienten aus der HFA-Stichprobe wurde wiederum im Bereich „deutliche und
übergreifende (durchgängige) soziale Beeinträchtigung“ kodiert, für einen Patienten war zum
Katamnesezeitpunkt kein Ergebnis zu erheben, da die diesbezüglichen Informationen als
unzureichend eingeschätzt wurden.
Tabelle 31. Häufigkeitenverteilung der Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung,
Gesamtstichprobe, HFA und LFA
Gesamtstichprobe
LFA
Beginn
Ende
Beginn
Ende
Beginn
Ende
%
%
%
%
%
%
n=28
n=28
n=40
0 (hervorrag.) - 2: (leichte sB)
HFA
n=39
b)
n=11
n=12
b)
-
-
-
-
-
-
-
2,6
-
9,1
-
-
a)
2,5
5,1
8,3
18,2
-
-
5:deutliche u. übergreifende sB
12,5
18,0
41,7
63,6
-
-
6: tiefgreifende u.schwerwiegende sB
25,0
23,1
25,0
9,1
25,0
28,6
7: braucht beträchtliche Betreuung
37,5
33,3
25,0
-
42,9
46,4
8: braucht ständige Betreuung
22,5
18,0
-
-
32,1
25,0
3: mäßige sB
a)
4: deutliche sB
a) sB= soziale Beeinträchtigung
b) bei 1 HFA Patienten mit anfänglichen Anpassungsniveau von „7“ konnte zum Katamnesezeitpunkt kein Wert bestimmt werden
Wie in Tabelle 31 gezeigt, lässt sich zusammenfassend sagen, dass sich die Patienten der
HFA-Stichprobe
zwischen
dem
Behandlungsbeginn
und
der
Erhebung
zum
Katamnesezeitpunkt in ihrer psychosozialen Anpassung verbessern konnten, innerhalb der
LFA-Stichprobe ist das Niveau der psychosozialen Anpassung fast unverändert geblieben.
Die Veränderungen der psychosozialen Anpassung von Behandlungsbeginn bis zum
Katamnesezeitpunkt konnten auch mittels statistischer Tests belegt werden:
Die Differenz der Psychosozialen Anpassung von Katamnesezeitpunkt zu Behandlungsanfang
zeigt innerhalb der HFA-Stichprobe einen signifikanten Unterschied (Wilcoxon-MannWhitney-Test, S = -10.5, p<.04). Innerhalb der LFA-Stichprobe besteht bezüglich dieses
Zusammenhanges kein signifikanter Unterschied (Wilcoxon-Mann-Whitney-Test, S = -4.5,
p<.54).
101
Ergebnisse
Abbildung 6: Psychosoziale Anpassung, HFA-Stichprobe und LFA-Stichprobe
Abbildung 6 stellt die oben beschriebene Veränderung der psychosozialen Anpassung
zusätzlich farblich gruppiert für IQ-Bereiche, für die HFA-Stichprobe und die LFAStichprobe graphisch dar.
Die blau eingefärbten Anteile der Graphik stellen den Bereich der durchschnittlichen
Intelligenz dar (IQ 85-114), die grün eingefärbten Anteile stellen den Bereich der niedrigen
Intelligenz dar (IQ 70-84) und repräsentieren somit die HFA-Stichprobe.
Die gelb eingefärbten Anteile stellen den Bereich der leichten Intelligenzminderung (IQ 5069), die rot eingefärbten Anteile den Bereich der mittelgradigen Intelligenzminderung (IQ 3549) dar und repräsentieren somit die LFA-Stichprobe.
Vergleicht man nun die beiden Stichproben bezüglich der psychosozialen Anpassung zu
Beginn der Behandlung miteinander, so lässt sich ein signifikanter Unterschied nachweisen
(Wilcoxon-Signed-Ranks-Test, S = 127.5, p<.0001). Ebenfalls signifikant ist der Vergleich
102
Ergebnisse
beider Stichproben bezüglich der psychosozialen Anpassung zum Ende der Behandlung
(Wilcoxon-Signed-Ranks-Test, S = 70.0, p<.001).
Zudem kann man im Vergleich beider Stichproben einen Zusammenhang zwischen
psychosozialer Anpassung und kognitivem Leistungsniveau herstellen: Wie sich schon in der
Auswertung zur Veränderung der psychosozialen Anpassung für die Gesamtstichprobe und
besonders getrennt für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe andeutet, scheint es
einen systematischen Zusammenhang zwischen dieser Variable und dem IQ zu geben.
Es zeigt sich ein spezifischeres Ergebnismuster, wenn die beiden Gruppen getrennt
ausgewertet werden: Während sich im unteren IQ-Bereich kein signifikanter monotoner
Zusammenhang feststellen lässt (LFA-Stichprobe [n=8]: Spearmans Rho = -.11, p<.80), zeigt
sich ein solcher sehr deutlich im oberen IQ-Bereich (HFA-Stichprobe [n=12]: Spearmans Rho
= -.67, p<.02). Dabei ist einschränkend zu bemerken, dass die Korrelationen aufgrund der
geringen Anzahl regelhaft durchführbarer Intelligenztestungen in der LFA-Stichprobe mit
Vorsicht zu interpretieren sind. Zudem könnte die Signifikanz der Ergebnisse auch auf die
unterschiedliche Gruppengröße zurückgeführt werden. Auf der anderen Seite ist jedoch
anzunehmen, dass bei all denjenigen Beobachtungen in der LFA-Stichprobe, bei denen keine
IQ-Testung vorliegt, auch nahezu keine Veränderung der psychosozialen Anpassung zu
verzeichnen war und sich von daher die Spearman-Rho-Korrelation nur unwesentlich ändern
würde. Abbildung 7 stellt die oben beschriebenen Zusammenhänge graphisch dar.
103
Ergebnisse
Abbildung 7: Zusammenhang zwischen psychosozialer Anpassung und kognitivem Leistungsniveau
104
4.6
Ergebnisse
Demographische Faktoren der Stichproben
4.6.1 Familienanamnese psychiatrischer Erkrankungen
Innerhalb der HFA-Stichprobe wurde bei einer Schwester eines Patienten ein AspergerSyndrom diagnostiziert, bei vier Familienangehörigen innerhalb der Stichprobe wurde von
autistischen Persönlichkeitszügen berichtet, während bei keinem Patienten die gesicherte
Diagnose eines Frükindlichen Autismus in der Familie bekannt war. Ein Drogenabusus war
innerhalb der HFA-Stichprobe bei jeweils einem Bruder, Vater oder Großvater aufgetreten,
Depressionen kamen bei zwei Müttern der Patienten vor.
Innerhalb der LFA-Stichprobe wurden über zwei Familienangehörige mit autistischen
Persönlichkeitszügen berichtet, die Diagnose eines Frühkindlichen Autismus trat bei den
Verwandten innerhalb der Stichprobe nicht auf, ein Bruder erhielt die Diagnose eines
Atypischen Autismus. Innerhalb dieser Stichprobe trat unter dem Kriterium „Sonstige
psychiatrische Erkrankungen“ gehäuft die Diagnose „geistige Behinderung“ bei insgesamt
drei
Brüdern
der
Patienten
auf,
zwei
Brüder
hatten
die
Diagnose
einer
Entwicklungsverzögerung erhalten. Ein Onkel war an einer Schizophrenie erkrankt, bei
weiteren Verwandten wurde in einem Fall von einer gesicherten Epilepsie berichtet.
Depressionen traten bei insgesamt sechs Familienangehörigen auf.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich für die untersuchten Stichproben keine Häufung
von Erkrankungen aus dem autistischen Spektrum objektivieren ließ. Die Anzahl der
Nennungen war insgesamt so gering, dass auf eine Darstellung in tabellarischer Form
verzichtet wurde.
4.6.2 Schichtzugehörigkeit der Eltern
Die Schichtzugehörigkeit der Eltern wurde aus den Daten der Basisdokumentation ermittelt,
wobei jeweils die Schichtzugehörigkeit des sozial höhergestellten Elternteils herangezogen
wurde. Tabelle 32 zeigt die Schichtzugehörigkeit der Eltern für HFA-Stichprobe und die
LFA-Stichprobe.
105
Ergebnisse
Tabelle 32. Schichtzugehörigkeit der Eltern, HFA (n =12) u. LFA (n=23) a)
HFA
LFA
Schichtzugehörigkeit
n
%
n
%
Ungelernte Arbeiter
1
8,3
5
21,7
Angelernte Arbeiter
0
0
1
4,4
Facharbeiter, Handwerker, Angestellte, Beamte im einf. Dienst
5
41,8
7
30,4
Mittlere Angestellte, Beamte im mittleren Dienst
4
33,3
2
8,7
Kleine selbständige Gewerbetreibende
0
0
3
13,0
Selbständige Handwerker, Landwirte, Gewerbetreibende (kleine
0
0
1
4,4
1
8,3
0
0
1
8,3
4
17,4
Betriebe)
Selbständige Handwerker, Landwirte, Gewerbetreibende (mittlere
Geschäfte, Betriebe)
Akademiker, freie Berufe, größere Unternehmer
a) Bei 5 Patienten fehlt die Angabe bezüglich Schichtzugehörigkeit der Eltern, Prozentangaben beziehen sich auf n=23
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Patienteneltern beider Stichproben ein
homogenes Profil bezüglich ihrer sozialen Herkunft zeigen: Der größte Anteil beider
Stichproben lässt sich der Schicht der „Facharbeiter, Handwerker, Angestellte sowie Beamte
im einfachen Dienst“ zuordnen. Eine Überrepräsentation einer besonders bildungsfernen oder
bildungsnahen Schicht konnte nicht objektiviert werden, mit der Ausnahme, dass innerhalb
der LFA-Stichprobe ein etwas größerer Anteil der Eltern zur Schicht der ungelernten Arbeiter
gezählt wurde.
Auch der Schulabschluss der Patienteneltern wurde aus der Basisdokumentation ermittelt: Die
Ergebnisse sind in Tabelle 33 für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe dargestellt.
Innerhalb der HFA-Stichprobe war bei den Müttern ein Hauptschulabschluss am häufigsten
repräsentiert, bei den Vätern war es ein Realschulabschluss. Im Vergleich dazu war sowohl
bei den Müttern als auch bei den Vätern der LFA-Stichprobe ein Realschulabschluss am
häufigsten repräsentiert. Im Gegensatz zur HFA-Stichprobe besaßen zudem vier Mütter und
zwei Väter der LFA-Stichprobe überhaupt keinen Schulabschluss, dies entspricht den
Ergebnissen von Tabelle 32.
106
Ergebnisse
Tabelle 33. Schulabschluss Eltern für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe
HFA
LFA
Mutter
Vater
Mutter
n
%
n
%
0
0
0
0
Sonderschule
0
0
1
Hauptschule
5
41,7
Realschule
4
Abitur
(Fach-)Hochschule/
Vater
%
n
%
4
14,3
2
7,1
8,3
0
0
0
0
1
8,3
2
7,1
1
3,6
33,3
6
50,0
10
35,7
10
35,7
1
8,3
1
8,3
0
0
0
0
0
0
2
16,7
2
7,1
5
17,9
Im Ausland
0
0
0
0
1
3,6
2
7,1
Unbekannt
2
16,7
1
8,3
9
32,2
8
28,6
Gesamt
12
100
12
100
28
100
28
100
Kein
n
Schulabschluss
Universität
4.6.3 Familiäre Situation
Tabelle 34 stellt die ebenfalls mittels der Basisdokumentation erhobenen Daten bezüglich der
familiären Situation dar. In beiden Stichproben lebt über 50% der Eltern zusammen, innerhalb
der HFA-Stichprobe waren die Patienten in zwei Fällen Halbwaisen.
Tabelle 34. Familiäre Situation für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
n
%
n
%
n
%
Leben zusammen
26
65,0
7
58,3
19
67,9
Getrennt/ geschieden/ haben nie
12
30,0
3
25,0
9
32,1
2
5,0
2
16,7
0
0
zusammen gelebt
Durch Tod getrennt
4.6.4 Wohnsituation
Tabelle 35 stellt die aus der Basisdokumentation ermittelte Wohnsituation für die
Gesamtstichprobe sowie die HFA/LFA-Stichprobe dar. Nahezu 70% der Patienten der HFAStichprobe lebt nicht mehr bei den Eltern, sondern ist in einer Jugendhilfeeinrichtung oder
107
Ergebnisse
einer ähnlichen Einrichtung untergebracht, innerhalb der LFA-Stichprobe lebt die Hälfte der
Patienten vermutlich aufgrund deutlich stärkerer psychosozialer Beeinträchtigung sowie
einem insgesamt jüngeren Durchschnittsalter bei den Eltern.
Tabelle 35. Wohnsituation für die HFA-Stichprobe und die LFA-Stichprobe
Gesamtstichprobe
HFA
LFA
n
%
n
%
n
%
(Leibl., Stief-, Adoptiv-)Eltern
18
45,0
4
33,3
14
50,0
Stat.Jugendhilfemaßnahme,
21
52,5
8
66,7
13
46,4
1
2,5
0
0
1
3,6
Rehabilitations- und
Therapieeinrichtung
Andere Wohnsituation
108
5.
Diskussion
Diskussion
Ziel der vorliegenden Studie war es, durch den Vergleich einer Stichprobe von Patienten mit
einem High-Functioning-Autismus mit einer Stichprobe von Patienten mit einem LowFunctioning-Autismus mögliche Hinweise auf das Vorliegen von unterschiedlichen
Symptomprofilen innerhalb der Diagnosegruppe F84.0 (Frühkindlicher Autismus) zu
erlangen. Damit soll den Ergebnissen aktueller Forschungsarbeiten entsprochen werden, die
das Konzept der Autismus-Spektrum-Störungen in das Zentrum ihrer Überlegungen bezüglich
diagnostischer Einschätzungen stellt, und somit der oft heterogenen Ausprägung der
autistischen Symptomatik bei betroffenen Personen begegnen will.
Die innerhalb der Studie untersuchten Stichproben wurden aus einer InanspruchnahmePopulation der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter des
Universitätsklinikums Freiburg generiert. Die Teilnahmebereitschaft der vorliegenden
katamnestischen Untersuchung ist insgesamt als gut zu bewerten. Nahezu zwei Drittel der
ursprünglichen Gesamtstichprobe konnten in die Studie eingeschlossen werden, nur ein
Sechstel der angeschriebenen Familien verweigerten eine Kontaktaufnahme. Der Ausschluss
der anderen Patienten erfolgte aufgrund fehlender Kontaktadressen oder veränderter
diagnostischer
Einschätzung.
In
über
90%
der
Fälle
erfolgte
eine
persönliche
Kontaktaufnahme mit Durchführung der aktuellen Gold-Standard-Untersuchungen zur
Diagnostik eines Frühkindlichen Autismus. Die Vollständigkeit der Angaben konnte somit
gesichert werden. Die Kooperationsbereitschaft der teilnehmenden Eltern und Patienten war
durchweg hoch. Der Gesamtverlauf der Untersuchung ist als durchweg positiv zu bewerten.
5.1
Diskussion der Ergebnisse
5.1.1 Klinische Ausprägung der diagnostischen Kriterien nach
ICD-10 und DSM-IV bei High-Functioning und LowFunctioning Autismus
Sprachliche Fertigkeiten und Kommunikation
In der vorliegenden Untersuchung fiel im Vergleich beider Stichproben eine sehr heterogene
Ausprägung der Sprachentwicklung bzw. der erworbenen sprachlichen Fähigkeiten auf. Es
fielen deutliche Schweregradsunterschiede bei der Beeinträchtigung der expressiven und
109
Diskussion
rezeptiven sowie der pragmatischen sprachlichen Fähigkeiten auf. Die Unterscheidungen
zwischen einer Beeinträchtigung der Kommunikation in den Bereichen expressiver und
rezeptiver sprachlicher Fähigkeiten (als sog. „struktureller“ Anteil) und den pragmatischen
Anteilen
sprachlicher
Fähigkeiten
(Prosodie,
Fähigkeiten
zur
wechselseitigen
Kommunikation) wird in verschiedenen Studien beschrieben. Auch die heterogene
Ausprägung sprachlicher Fähigkeiten bei Patienten mit einer Störung aus dem autistischen
Spektrum ist in der Literatur bekannt (Tager-Flusberg, 1999; Kjelgaard & Tager-Flusberg,
2001; Tager-Flusberg & Caronna, 2007). Der Bereich der sogenannten strukturellen
Beeinträchtigungen bezieht sich auf die Beobachtungen, dass einige Patienten innerhalb des
autistischen Spektrums aufgrund einer mangelhaft ausgeprägten rezeptiven und expressiven
Sprachentwicklung niemals Sprache im kommunikativen Sinn verwenden können und daher
„nicht-sprechend“ bleiben. Im Gegensatz dazu können andere Patienten hervorragende
expressive und rezeptive sprachliche Fähigkeiten entwickeln, der pragmatische Aspekt der
sprachlichen Fähigkeiten bleibt jedoch aufgrund der vorhandenen autistischen Symptomatik
beeinträchtigt (z.B. in den Bereichen der wechselseitige Kommunikation, Soziales
Geplauder).
Bei allen Patienten der untersuchten High-Functioning-Stichprobe wurde über eine
Sprachentwicklungsverzögerung berichtet (lt. Definition ADI-R: Erste Worte nach dem 24.
Lebensmonat, Zwei- oder Dreiwortsätze nach dem 33. Lebensmonat; Rutter, LeCouteur, &
Lord, 2003). Zum Untersuchungszeitpunkt hatten alle Patienten der High-FunctioningStichprobe ein Sprachniveau entwickelt, welches den funktionalen Gebrauch von Sprache im
Alltag ermöglichte (lt. Definition ADI-R: funktionaler Gebrauch spontaner oder echolalischer
oder stereotyper Sprache, die täglich benutzt wird und die Sätze mit drei oder mehr Wörtern
beinhaltet, welche zumindest manchmal ein Verb enthalten und die für andere Menschen
verständlich ist; Rutter, LeCouteur, & Lord, 2003). Nahezu alle Patienten der HFAStichprobe hatten sprachliche Fähigkeiten entwickelt, die über dieses Niveau hinausgingen.
Dies spiegelt sich in den Ergebnissen der direkten Interaktionsbeobachtung ADOS wider.
30,0% der Patienten aus der HFA-Stichprobe erhielten in der ADOS im Bereich der
Kommunikation zum Untersuchungszeitpunkt nur noch eine Diagnose aus dem Bereich des
autistischen Spektrums. Die Beeinträchtigung im Bereich der strukturellen Auffälligkeiten der
Sprache wurde bei diesen Patienten geringer eingeschätzt als die der restlichen Patienten
innerhalb der HFA-Stichprobe. Dies kann auf eine Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten
im
Laufe
der
Zeit
hinweisen.
Diese
Beobachtungen
werden
ebenfalls
durch
Forschungsergebnisse verschiedener Studien unterstützt, die eine deutlich Verbesserung der
110
Diskussion
sprachlichen Fähigkeiten bei Patienten mit einem High-Functioning-Autismus im Laufe der
Entwicklung nachweisen konnten (Gilchrist et al., 2001). Dies lässt sich sicherlich auch aus
der engen Korrelation zwischen Intelligenzniveau und Sprachentwicklung erklären. Bei über
der Hälfte der Patienten der High-Functioning-Stichprobe wurde im Laufe der Entwicklung
das Auftreten repetitiver Sprache beobachtet. Die Beeinträchtigung in der pragmatischen
Anwendung ihrer sprachlichen Fähigkeiten war bei allen Patienten zum Zeitpunkt der
Untersuchung vorhanden (in den Bereichen wechselseitige Konversation, soziales
Geplauder). Diese Beobachtung wird in der Literatur bestätigt. Auch findet sich in diesem
Zusammenhang der Hinweis auf den notwendigen Förderbedarf von Patienten mit guten
expressiven und rezeptiven sprachlichen Fähigkeiten im Bereich ihrer stark beeinträchtigten
pragmatischen sprachlichen Fähigkeiten (Reichow& Klin, 2008).
Die Entwicklung expressiver und rezeptiver sprachlicher Fähigkeiten innerhalb der LowFunctioning–Stichprobe zeigte ein sehr heterogenes Bild: 50,0% der Patienten wurden, den
diagnostischen Kriterien entsprechend, als „nicht-sprechend“ klassifiziert (d.h. ihre
sprachlichen Fähigkeiten entsprachen nicht dem im ADI-R geforderten Umfang). Innerhalb
der Gruppe der als „nicht-sprechend“ klassifizierten Patienten konnten weitere Unterschiede
beobachtet werden: So entwickelten einige Patienten verständliche Lautäußerungen im Sinne
von Echolalien und stereotypen Lautäußerungen, setzten diese jedoch nicht oder nur selten im
kommunikativen Gebrauch ein. Andere Patienten dieser Stichprobe hatten solche Fähigkeiten
zum Untersuchungszeitpunkt nicht entwickelt. Bei einem als „nicht-sprechend“ klassifizierten
Patienten konnte ein Fall von Regression im Bereich sprachlicher Fähigkeiten nachgewiesen
werden. Dies wurde im Zusammenhang mit dem Auftreten epileptischer Anfälle beobachtet;
auch in der Literatur wird dieser Zusammenhang beschrieben (Lewine et al., 1999).
Die als „sprechend“ klassifizierten Patienten der Low-Functioning-Stichprobe lagen mit ihren
strukturellen sprachlichen Fähigkeiten allgemein noch deutlich unter dem Niveau der HighFunctioning-Stichprobe, wobei alle Patienten dieser Stichprobe repetitive Sprache zeigten.
Die Beobachtung, dass besonders Patienten im niedrigen IQ-Bereich mit nahezu identischen
Intelligenzprofilen sehr heterogene Profile bezüglich ihrer strukturellen Sprachentwicklung
zeigen, wird in der Literatur erwähnt (Kjelgaard & Tager-Flusberg, 2001). In diesem
Zusammenhang wurden verbale Fähigkeiten von Patienten mit einer autistischen Störung mit
einer deutlichen Beeinträchtigung expressiver und rezeptiver sprachlicher Fähigkeiten mit
verbalen Fähigkeiten nichtautistischer Patienten verglichen, die an einer spezifischen
Sprachentwicklungsstörung litten. Die Ergebnisse der Patienten mit einer autistischen Störung
zeigten eine Überlappung zu den Ergebnissen nichtautistischer Patienten mit einer
111
Diskussion
spezifischen Sprachentwicklungsstörung. Dies wird in der Literatur als möglicher Hinweis für
das Vorhandensein genetischer Subgruppen innerhalb des autistischen Spektrums gewertet,
welche eine Erklärung für die heterogene Entwicklung strukturell-sprachlicher Fähigkeiten
liefern könnte (Kjelgaard & Tager-Flusberg, 2001).
Repetitive und stereotype Verhaltensweisen
In der Literatur existieren verschiedene Studien, die sich mit der Ausprägung des
diagnostischen Kriteriums „Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen,
Interessen und Aktivitäten“ in den Bereichen Sonderinteressen, Rituale, Manierismen und
Objektteilen und deren Zusammenhang mit Alter und Intelligenzniveau beschäftigt haben
(South, Ozonoff & McMahon, 2005; Bishop, Richler, & Lord, 2006; Esbensen, Seltzer, &
Bodfish, 2008). Die Ergebnisse der vorliegenden Studien zeigen, dass die Ausprägung
repetitiver und stereotyper Verhaltensweisen stärker abhängig vom Alter der Patienten als
vom Intelligenzniveau zu sein scheint. Mit zunehmendem Alter wird eine Veränderung der
Ausprägung repetitiver und stereotyper Verhaltensweisen von einem senso-motorischen Profil
hin zu einem mehr durch Verhaltensweisen wie z.B. starres Festhalten an bestimmten
Gewohnheiten und Ritualen geprägtem Profil beobachtet. Die Literatur beschreibt
verschiedene Gruppen von stereotypen und repetitiven Verhaltensweisen. So wird z.B. über
„higher-level“ repetitive Verhaltensweisen wie Sonderinteresen und Rituale sowie über
„lower-level“ repetitive Verhaltensweisen wie Hand-und Fingermanierismen und Dyskinesien
berichtet, die sich sowohl in unterschiedlichen Altersgruppen als auch bei unterschiedlichem
Funktionsniveau in ihrer Ausprägung unterscheiden. Diese Beobachtung bedeutet jedoch
nicht, dass bestimmte stereotype Verhaltensweisen, die besonders bei Patienten mit einem
High-Functioning-Autismus einer bestimmten Altersgruppe zu beobachten sind, bei den
altersentsprechenden Patienten mit einem Low-Functioning-Autismus überhaupt nicht
auftreten. Der umgekehrte Fall wurde ebenso beschrieben: Besonders stereotype
Verhaltensweisen wie Hand- und Fingermanierismen sowie Bewegungsstereotypien wurden
auch bei Patienten mit einem hohen Funktionsniveau beobachtet, so dass nicht alleine das
Funktionsniveau ursächlich für die Ausprägung dieser Verhaltenweisen sein kann. Stereotype
Verhaltensweisen wie z.B. Sonderinteressen, v.a. im Bereich von intensiven Interessen sowie
Zwängen und Ritualen, wurden aber tendenziell häufiger bei Patienten mit einem höheren
Funktionsniveau beobachtet.
Die Patienten der in der vorliegenden Studie untersuchten LFA-Stichprobe zeigten in über
90% stereotype Verhaltensweisen aus den Bereichen „motorische Manierismen“, „ständige
Beschäftigung mit Teilen von Objekten“ sowie „stereotype und begrenzte Interessen“.
112
Diskussion
Stereotype Verhaltensweisen in Form von Ritualen oder nichtfunktionalen Gewohnheiten
waren bei über 60% der LFA-Stichprobe nicht aufgetreten, dies steht im Einklang mit den
Daten der Literatur (Bishop, Richler, & Lord, 2006).
Motorische Manierismen wie z.B. Hand- und Fingerbewegungen sowie Flattern mit den
Armen ist bei über 60% der untersuchten HFA-Stichprobe aufgetreten, diese Patienten zeigten
jedoch im Vergleich zu den Patienten der LFA-Stichprobe seltener zusätzliche „komplexe
Manierismen“ wie z.B. „um die eigene Achse drehen“ oder „den Kopf an die Wand
schlagen“. Über 60% der Patienten der HFA-Stichprobe zeigten ein „Starres Festhalten an
nichtfunktionalen Gewohnheiten und Ritualen“.
Im Bereich der Sonderinteressen fiel auf, dass Sonderinteressen innerhalb der HFAStichprobe eine größere Variationsbreite zeigten und sich eher mit der im ADI-R gewählten
Beschreibung „intensive Interessen“ deckten, wohingegen die Patienten der LFA-Stichprobe
ein deutlich ausgeprägtes Interesse an sog. „abnormen Interessen“ (ADI-R, Rutter,
LeCouteur, & Lord, 2003) zeigten (z.B. Wasserspülungen, elektrische Geräte). Das
Hauptinteresse lag hier zudem auf dem repetitiven Gebrauch dieser Alltagsgegenstände,
während die Patienten der HFA-Stichprobe durchaus inhaltliche Kompetenzen im Bereich
ihrer Sonderinteressen (z.B. Zahlen, Musik, Werkzeuge) entwickelten.
Für die untersuchte LFA-Stichprobe konnten die oben beschriebenen inhaltlichen
Kompetenzen in einem umschriebenen Bereich nicht eindeutig objektiviert werden. Trotz
ausführlicher Befragung der Eltern nach evtl. vorliegenden Fähigkeiten im Sinne eines
„talentierten“ Savant (Treffert, 1988) berichteten nahezu alle Eltern meist über die
Entwicklungsdefizite ihrer Kinder. Der Fokus der Beobachtung war zumeist auf diesen
Bereich beschränkt. Trotzdem ist durch Beschreibungen der Eltern und direkter Beobachtung
der Patienten davon auszugehen, dass ein oder zwei Kinder aus der untersuchten LFAStichprobe Fähigkeiten im Sinne eines „talentierten“ Savant besitzen.
Soziale Interaktion
Die klinische Ausprägung des diagnostischen Kriteriums „Qualitative Beeinträchtigung der
sozialen Interaktion“ zeigt im Vergleich der beiden untersuchten Stichproben die wenigsten
Unterschiede. In beiden Stichproben zeigt sich eine nahezu identische Ausprägung in allen
Symptombereichen. Lediglich im Bereich „Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge
mit anderen zu teilen“ ließen sich Unterschiede zwischen den beiden Stichproben beobachten.
Innerhalb der HFA-Stichprobe war dieses Kriterium bei über 30% der Patienten nicht
aufgetreten: alle anderen Bereiche der qualitativen Beeinträchtigung der sozialen Interaktion
waren bei beiden Stichproben in nahezu 100% der Fälle aufgetreten. Die Ergebnisse der
113
Diskussion
HFA-Stichprobe im Bereich „Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu
teilen“ decken sich mit den Daten der ebenfalls in der Abteilung für Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindes-und Jugendalters der Universitätsklinik Freiburg durchgeführten
Katamnesestudie von Patienten mit der Diagnose eines Asperger-Syndroms (Heß, 2008).
Auch in dieser Studie wurde bei 30,0% der Patienten dieses diagnostische Kriterium nicht
beobachtet. Die stabile Ausprägung der Symptomatik im Bereich der sozialen Interaktion
wird auch in der Literatur beschrieben. Einige soziale Fähigkeiten sind im Laufe der
Entwicklung zwar „trainierbar“, jedoch persistiert die tiefgreifende Beeinträchtigung im
Bereich der sozialen Interaktion auch bei Patienten mit einem hohen Funktionsniveau ein
Leben lang. Auch ein höheres Intelligenzniveau führt nicht dazu, diese Defizite vollständig zu
kompensieren (Grossmann, 1997).
Katamnestische Überprüfung verwandter Störungen: Multiple-Complex Developmental
Disorder (MCDD)
Die in der Literatur beschriebenen Komorbiditäten autistischer Störungen wie z.B.
Angststörungen oder das Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitässyndrom, die jeweils mit
einer Häufigkeit von bis zu 30% angegeben werden (Leyfer et al., 2006, Simonoff et al.
2008), waren in den Erkrankungsverläufen der in der vorliegenden Studie untersuchten
Patienten sehr selten dokumentiert. Viele Eltern beschrieben jedoch einzelne Symptome
dieser Störungsbilder: Unter anderem fielen diese im Bereich der Beschreibung früher
Auffälligkeiten auf.
Einige Patienten hatten im Erkrankungsverlauf die Diagnose einer ADHS erhalten. Zum
Untersuchungszeitpunkt wurde jedoch für keinen Patienten eine weitere eigenständige
psychiatrische Diagnose gestellt. Dies deckt sich mit den Daten der AspergerKatamnesestudie
(Heß,
2008).
Auch
bei
diesen
Patienten
wurden
zum
Untersuchungszeitpunkt keine komorbiden Störungsbilder diagnostiziert, wogegen im Verlauf
30,0% der Patienten die Diagnose eines ADHS erhalten hatten.
Bei der Überprüfung auf eine Überlappung der Symptomatik zur Multiple-complex
Developmental Disorder (MCDD) konnten einige interessante Beobachtungen bezüglich
zusätzlich
aufgetretener
Symptome
gemacht
werden,
die
im
Rahmen
der
autismusspezifischen Diagnostik nicht abgefragt werden. Wie schon im Ergebnisteil
beschrieben, handelt es sich bei der MCDD um Verhaltensauffälligkeiten „in the borderlands
of autism“, d.h. Patienten, die sowohl Symptome aus dem autistischen Spektrum wie z.B. die
Unfähigkeit zum Aufbau sozialer Beziehungen zeigen, als auch eine Reihe affektiver
114
Diskussion
Symptome und Symptome aus dem schizophrenen Formenkreis wie Denkstörungen oder
Wahnerleben (Cohen, Paul & Volkmar, 1986).
Sowohl die Patienteneltern der LFA-Stichprobe, deren Kinder über ein ausreichendes
Sprachniveau verfügten, als auch die Patienteneltern der HFA-Stichprobe berichteten über
Auffälligkeiten im Bereich von „Generalisierter Ängstlichkeit; diffuser Anspannung;
Spannung oder Erregbarkeit“. In diesem Bereich fallen Symptome wie Ängste und Phobien
sowie Panikattacken auf. Für über 60% der Patienten der HFA-Stichprobe und für über 40%
der Patienten der LFA-Stichprobe mit ausreichender Sprachentwicklung wurde über das
Auftreten solcher Symptome berichtet.
Im Kernbereich der autistischen Symptomatik, dem Bereich der „Beeinträchtigungen im
Sozialverhalten und der sozialen Sensitivität“, bestätigten nahezu alle Eltern beider
Stichproben erwartungsgemäß die beschriebene Symptomatik.
Im Bereich der „kognitiven Verarbeitungsdefizite“ zeigten mehr als ein Viertel der Patienten
der HFA-Stichprobe Auffälligkeiten. Dieser Komplex umfasst Symptome wie z.B.
Denkstörungen, “magisches Denken“, irrationale Gedanken, plötzliche Intrusionen im
Denkprozess, Probleme Realität und Fantasie auseinanderzuhalten oder Beschäftigung mit
paranoiden
Denkinhalten
sowie
übermäßige
Beschäftigung
mit
Fantasieinhalten/
Fantasiefiguren. In diesem Bereich war nahezu kein Patient der LFA-Stichprobe auffällig.
Insgesamt erfüllten fünf Patienten der HFA-Stichprobe die Kriterien für das Vorliegen einer
Multiple-complex Developmental Disorder. Einschränkend ist aber zu bemerken, dass nach
formalen Kriterien die Diagnose eines Autismus ein Ausschlusskriterium für das Vorliegen
einer MCDD darstellt (Buitelaar & van der Gaag, 1998).
Das Ergebnis der vorliegenden Studie deckt sich mit den Daten einer schwedischen Studie, in
der 8,0% der Patienten mit autistischen Störungen auf einem hohen Funktionsniveau die
Kriterien für eine MCDD erfüllten (Sturm, Fernell & Gillberg, 2004). Ziel dieser Studie war
es ebenfalls, Informationen über das Vorliegen von assozierten Beeinträchtigungen bei
autistischen Störungen auf einem hohen Funktionsniveau zu erlangen. In der Literatur finden
sich einige Arbeiten, die der Überlappung von autistischer Symptomatik mit schizoaffektiver
Symptomatik in dieser Patientengruppe eine klinische und ätiologische Bedeutung
zuschreiben (Buitelaar & van der Gaag, 1998; Tonge et al., 1999).
Besonders interessant war für die untersuchte HFA-Stichprobe der vorliegenden Studie die
häufige Nennung im Bereich von Symptomen, die Hinweise auf eine eventuell komorbid
115
Diskussion
vorliegende Angststörung geben könnte. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den oben
beschriebenen Daten der Literatur, die das Vorliegen einer Angststörung neben einer Störung
aus dem autistischen Spektrum mit einer Häufigkeit von bis zu 30% angeben (Simonoff et al.,
2008).
5.1.2 Erste Verhaltensauffälligkeiten und frühe Indikatoren für
autistische Störungen
Erste Verhaltensauffälligkeiten
Forschungsbemühungen der letzten Jahre haben die Früherkennung autistischer Störungen zu
einem der zentralen Themen werden lassen, sicherlich auch aufgrund von Studien, die eine
frühe Diagnose und therapeutische Intervention als prognostisch günstigen Faktor für das
spätere Outcome der Patienten identifizieren konnten (Venter, Lord & Schopler, 1992; Klin et
al., 2007).
Es existieren daher einige Studien, die mögliche Frühsymptome autistischer Störungen vor
dem 3. Lebensjahr beschrieben haben (Wetherby et al., 2004; Eaves & Ho, 2004;
Zwaigenbaum et al., 2005; Chawarska et al., 2007). Dabei fällt eine Vielzahl von möglichen
Symptomen auf, die in ihrer Ausprägung als eher „diskret“ autistisch oder sogar
„unspezifisch“ imponieren. Die „klassische“ autistische Symptomatik in den beeinträchtigten
Bereichen von sozialer Interaktion, Kommunikation sowie repetitiven und stereotypen
Verhaltensweisen ist aufgrund des Entwicklungsstands in diesem Alter zunächst noch
rudimentär ausgebildetet. Auch scheint die gebotene Symptomatik in den verschiedenen
Alterstufen gewissen Veränderungen zu unterliegen (Amorosa & Noterdaeme, 2002). Diese
Einschätzung konnten die Daten der vorliegenden Studie unterstützen: Hier fiel ebenfalls auf,
dass nicht alle Symptome vor dem 3. Lebensjahr vollständig ausgeprägt waren. Die volle
Ausprägung bestimmter Symptome wurde für die Bezugspersonen der untersuchten
Stichprobe häufig zu einem späteren Zeitpunkt beobachtet. In den meisten Fällen geschah
dies im Kindergartenalter, also zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr, wenn entsprechende
soziale Fähigkeiten entwickelt sein können.
In der klinischen Praxis treten daher zahlreiche Schwierigkeiten und Unsicherheiten bezüglich
der Einschätzung der sich präsentierenden Symptomatik auf, obwohl in der Literatur
verschiedene Daten vorliegen, die eine sichere und stabile Diagnosestellung im Alter von 18
Monaten für möglich halten (Stone et al., 1999; Lord et al., 2006). Die Validität einer frühen
Diagnose ist dabei abhängig von der klinischen Erfahrung des Diagnostikers, der die in
116
Diskussion
diesem Alter gezeigten Symptome als sicher autistisch einschätzen kann (Turner & Stone,
2007). Bei der in der vorliegenden Studie vorgenommenen Befragung der Eltern bezüglich
beobachteter Frühsymptome fiel auf, dass viele Eltern bei einer zunächst durchgeführten
unstrukturierten Befragung (d.h. die Eltern wurden gefragt, ob sie sich an erste bewusst
beobachtete Auffälligkeiten in der Entwicklung ihres Kindes erinnern konnten) nur sehr
unspezifische Antworten geben konnten und z.B. sehr allgemein berichteten, dass ihr Kind im
Vergleich zu einem Geschwisterkind „immer anders“ gewesen sei. Am häufigsten wurde
übereinstimmend über „unspezifische Verhaltensauffälligkeiten“ des Kindes berichtet, wie
z.B. „stilles Baby, mit sich zufrieden“, „als Säugling stundenlang bis zur Erschöpfung
gestrampelt“, „sehr unruhiger Säugling“, „sehr pflegeleichtes Kind“ oder „viel geschlafen als
Säugling“. Diese Auffälligkeiten werden in der Literatur als unspezifische Frühsymptome für
Störungen aus dem autistischen Spektrum beschrieben (Remschmidt et al., 2006). Auch bei
der Katamnesestudie von Patienten mit der Diagnose eines Asperger-Syndroms (Heß, 2008)
wurden diese Symptome bei über einem Drittel der Patienten beobachtet. In der vorliegenden
Studie
berichteten
die
Eltern
beider
Stichproben
über
Auffälligkeiten
in
der
Sprachentwicklung sowie inadäquate Kontaktaufnahme als erste beobachtete Auffälligkeiten.
In der Studie von Howlin (1999) berichteten die Eltern der Patienten mit einem Autismus
ebenfalls über die oben geschilderten Auffälligkeiten.
Ein Drittel der Patienten der LFA-Stichprobe waren vor der vollendeten 37. SSW zur Welt
gekommen. Die Eltern waren schon seit der Geburt aufgrund von spezifischen, durch die
Frühgeburt verursachte Probleme beunruhigt. Der Einfluss von Frühgeburtlichkeit als
möglicher Risikofaktor für die Entwicklung einer autistischen Störung wurde in einigen
Studien untersucht: Die Ergebnisse sind jedoch inkohärent (Juul-Dam, Towsend &
Courchesne, 2001; Kolevzon, Gross & Reichenberg, 2007).
Bei strukturierter Abfrage der in der Literatur beschriebenen möglichen Frühsymptome trat
bei vielen Eltern ein „Wiedererkennungseffekt“ auf: Viele Eltern berichteten, dass sie die
beschriebenen Symptome bei ihrem Kind beobachtet hätten, aber sehr unsicher gewesen
seien, ob diese Symptome als Anzeichen für das Vorliegen einer Störung aus dem autistischen
Spektrum gewertet werden konnten. Diese Beobachtung bestätigt die Ergebnisse der
Literatur, die häufig eine große Unsicherheit bezüglich der Einschätzung der frühen
Symptome beschreibt, da die psychopathologischen Merkmale früher autistischer
Verhaltensweisen häufig Eltern und auch Fachleuten nicht bekannt sind (Amorosa &
Noterdaeme, 2002 ).
117
Diskussion
Frühe Indikatoren
Bei der Eltern-Befragung bezüglich früher, in der Literatur beschriebener Auffälligkeiten,
(Filipek et al., 1999; Eaves & Ho, 2004; Wetherby et al., 2004; Chawarska et al., 2007)
ergaben sich leicht abweichende Rangreihenfolgen der Nennungen im Vergleich beider
untersuchter Stichproben: Fast alle Eltern der LFA-Stichprobe beobachteten frühe
Auffälligkeiten wie einen „Mangel an Gestik“ und „Mangel an Mimik“, sowie in über 80%
das „Fehlen von sozialem Lächeln“. Bei über 70% der Patienten wurden „motorische
Stereotypien“ beobachtet „Wutanfälle“ und „Auffälligkeiten beim Essen“ beobachteten über
die Hälfte der Eltern der LFA-Stichprobe. Bei 40% der Patienten der LFA-Stichprobe traten
laut Angaben der Bezugspersonen hyperaktive Verhaltensweisen auf.
Über die Hälfte der Eltern der HFA-Stichprobe beobachteten ebenfalls die in der Literatur
beschriebene fehlende affektive Modulation mit einem Mangel an Gestik und Mimik. Diese
Daten decken sich mit den Ergebnissen der katamnestischen Untersuchung von Patienten mit
einem Asperger-Syndrom (Heß, 2008): Dort zeigten zwei Drittel der Patienten einen
fehlenden Gebrauch von Mimik und Gestik. Das Auftreten von Hyperaktivität wurde in der
Studie von Heß bei 30,0% der Patienten mit einem Asperger-Syndrom beobachtet. Bei der
untersuchten HFA-Stichprobe wurden bei 25,0% der Patienten über hyperaktive
Verhaltensweisen berichtet. Über ein Drittel der Eltern der hier untersuchten HFA-Stichprobe
beobachteten des Weiteren in der Literatur beschriebene Auffälligkeiten wie „Faszination von
gewissen Reizen“, (d.h. bestimmte Geräusche oder Materialien), „Kuschelte nicht als
Säugling oder Kleinkind“ oder „Probleme mit der Feinmotorik“.
Im Vergleich beider Stichproben wurden in der LFA-Stichprobe signifikant häufiger folgende
frühe Auffälligkeiten genannt: „Benutzt wenig Mimik“, „Kein soziales Lächeln“,
„Motorische Stereotypien“, „Selbstschädigende Verhaltensweisen“, und „Übersensibilität
gegenüber Tönen und Berührungen“. In der Studie von Heß (2008) zeigten ebenfalls nahezu
alle Patienten mit einem Asperger-Syndrom eine sensorische Überempfindlichkeit.
Die Eltern der HFA-Stichprobe beobachteten signifikant häufiger Auffälligkeiten, die die
Sprache betrafen, so z.B. die Lautstärke der Sprache. Dieses Ergebnis ist jedoch aufgrund der
großen Unterschiede bezüglich der Sprachentwicklung in beiden Stichproben nicht
erstaunlich. Insgesamt fiel jedoch auf, dass es den Eltern der untersuchten HFA-Stichprobe
eher Schwierigkeiten bereitete, sich im Vergleich zu Eltern der LFA-Stichprobe an frühe
Auffälligkeiten zu erinnern. Diese Tatsache fließt auch in die Berechnung des
durchschnittlichen Alters bei Auftreten erster Auffälligkeiten für die HFA-Stichprobe ein und
muss in diesem Zusammenhang entsprechend berücksichtigt werden.
118
Diskussion
Insgesamt lassen sich zwischen beiden Stichproben keine signifikanten Unterschiede im
Bereich
früher
Auffälligkeiten
objektivieren.
Der
Bereich
der
„klassischen“
psychopathologischen Ausprägung der autistischen Symptomatik wie z.B. stereotypes und
repetitives Verhalten scheint bei jüngeren Kindern vor dem 3. Lebensjahr noch gering
ausgeprägt zu sein, dies stimmt auch mit Daten der Literatur überein (Amorosa &
Noterdaeme, 2002).
Interessant ist sicherlich die Beobachtung, dass viele Eltern erst bei Vorgabe konkreter
Verhaltensweisen frühe Auffälligkeiten ihrer Kinder identifizieren konnten. Allem Anschein
nach haben Eltern große Schwierigkeiten, spontan über spezifische Verhaltensauffälligkeiten
ihrer Kinder zu berichten sowie ihre häufig berechtigten Sorgen zu konkretisieren. Diesem
Umstand ist bei der Früherkennung autistischer Störungen große Bedeutung beizumessen.
Eine strukturierte, spezifische Befragung von Verhaltensauffälligkeiten sollte daher im
Rahmen einer Checkliste bei einer der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen im
Kleinkindalter konkret abgefragt werden. Die „American Academy of Pediatrics“ hat in
diesem Zusammenhang einen Algorithmus für Pädiater entwickelt, der Strategien aufzeigt,
um mögliche frühe Anzeichen für das Vorliegen einer autistischen Störung mittels einer
solchen Checkliste zu identifizieren und somit eine rasche Zuweisung der Kinder zu einer
spezialisierten Einrichtung veranlassen zu können (Johnson & Myers, 2007).
5.1.3 Erkrankungsverlauf
Diagnosealter
In der Literatur existieren mehrere Studien, die sich mit dem Erkrankungsverlauf von
autistischen Störungen befasst haben, u.a. existiert eine große Studie, die den
Erkrankungsverlauf von 770 Patienten mit der Diagnose eines frühkindlichen Autismus oder
eines Asperger-Syndroms untersucht hat, ohne die Patienten mit einem frühkindlichen
Autismus zusätzlich in eine Low-Functioning-Gruppe und eine High-Functioning-Gruppe zu
unterscheiden (Howlin & Asgharian,1999). In dieser Studie beobachteten Eltern der Patienten
mit Autismus erste Auffälligkeiten ab einem durchschnittlichen Alter von eineinhalb Jahren.
Die erste Konsultation erfolgte durchschnittlich im Alter von zwei Jahren, die erste Diagnose
wurde im Durchschnitt mit 5,5 Jahren gestellt.
Vergleicht man die Ergebnisse der in der vorliegenden Studie untersuchten Stichproben mit
den Daten der oben genannten Studie, so werden folgende Unterschiede deutlich: Zwischen
der HFA-Stichprobe und der LFA-Stichprobe existieren große Unterschiede bezüglich des
119
Diskussion
Zeitpunkt der ersten Konsultation sowie der ersten Diagnosestellung. Die Daten der LFAStichprobe sind nahezu identisch mit den Ergebnissen der Studie für die Stichprobe der
Patienten mit einem Frühkindlichen Autismus von Howlin et al. (1999): Die ersten
Auffälligkeiten wurden durchschnittlich im Alter von eineinhalb Jahren beobachtet, die erste
Konsultation erfolgte mit durchschnittlich 2,7 Jahren etwas später als in der oben erwähnten
Studie. Die erste Diagnose wurde durchschnittlich im Alter von 5,7 Jahren gestellt, also nur
zwei Monate später als in der genannten Studie.
Die Ergebnisse der untersuchten HFA-Stichprobe zeigten große Abweichungen von den
Ergebnissen der Literatur bezüglich des durchschnittlichen Alters bei der ersten Konsultation.
Mit
4,8
Jahren
weicht
das
durchschnittliche
Konsultationsalter
2,8
Jahre
vom
durchschnittlichen Alter der ersten Konsultation der englischen Studie ab. Auch das Alter der
ersten Diagnosestellung weicht mit durchschnittlich 12,5 Jahren fast 6 Jahre von der
englischen Studienstichprobe von Patienten mit einem Frühkindlichen Autismus ab. Erste
Auffälligkeiten
beobachteten
die
Eltern
der
hier
untersuchten
HFA-Stichprobe
durchschnittlich mit 1,3 Jahren, wobei einschränkend zu bemerken ist, dass weniger als die
Hälfte der Eltern dieser Stichprobe eine genaue zeitliche Einordnung der ersten
Auffälligkeiten vornehmen konnten. Daher ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass bei
über der Hälfte der Patienten der HFA-Stichprobe, bei denen die Eltern nur unsichere
Angaben machen konnten, das Alter der ersten Auffälligkeiten zeitlich ungefähr mit dem
Alter bei erster Konsultation zusammenfällt, da die Eltern oder das Umfeld zu diesem
Zeitpunkt das Kind als deutlich auffällig einschätzten und professionelle Hilfe suchten.
Die Daten der in der vorliegenden Studie untersuchten HFA-Stichprobe zeigen deutliche
Parallelen zu den Daten der AS-Stichprobe in der Studie von Howlin et al. (1999): Für die
AS-Stichprobe konnte in der englischen Studie ein durchschnittliches Diagnosealter von 11,1
Jahren ermittelt werden, wobei die erste Konsultation im Alter von durchschnittlich 3,5
Jahren erfolgte. Von der ersten Konsultation bis zur Diagnosestellung vergingen somit 7,6
Jahre. Dabei beobachteten die Eltern dieser AS-Stichprobe erste Auffälligkeiten mit
durchschnittlich zweieinhalb Jahren. Das durchschnittliche Alter bei der ersten Konsultation
und erster Diagnosestellung lag bei der untersuchten HFA-Stichprobe somit noch über der
englischen AS-Stichprobe. Das Durchschnittalter der Diagnosestellung ist nahezu identisch
mit den Daten der Katamnesestudie von Patienten mit der Diagnose eines Asperger-Syndroms
(Heß, 2008): Hier betrug das Durchschnittsalter bei Diagnosestellung 11,6 Jahre. Die Daten
von Eisenmajer et al. (Eisenmajer, 1996), die dass Erstdiagnosealter für ein AspergerSyndrom (M = 8,9 Jahre) durchschnittlich fast 3 Jahre später als die Diagnose eines High-
120
Diskussion
Functioning-Autismus (M = 6,0 Jahre) dokumentierte, konnten in der vorliegenden Studie
nicht bestätigt werden.
Interessant ist sicherlich die Beobachtung, dass die erste Konsultation der hier untersuchten
LFA-Stichprobe durchschnittlich 3 Jahre vor der ersten Konsultation der HFA-Stichprobe lag.
Die erste Diagnosestellung erfolgte für die Patienten der LFA-Stichprobe durchschnittlich
sogar 5,3 Jahre vor der HFA-Stichprobe. Beide Ergebnisse konnten als statistisch signifikant
nachgewiesen werden.
Die Gründe für die großen Abweichungen können möglicherweise in der heterogenen
klinischen Ausprägung der autistischen Symptomatik innerhalb der beiden Stichproben
gesehen werden. Auch die Beobachtung, dass einige Symptome in ihrer „klassisch
autistischen“ Ausprägung nicht bei allen Kindern ab einem bestimmten Alter vorhanden sind,
könnte zu einer diagnostischen Verunsicherung führen. Auch die Sorge des Diagnostikers,
aufgrund einer Fehleinschätzung einer noch „unklar“ imponierenden Symptomatik
möglicherweise eine Stigmatisierung der betroffenen Person durch eine Diagnose aus dem
autistischen Spektrum zu erzeugen, könnte eine Erklärung für die deutliche spätere
Diagnosestellung bei der HFA-Stichprobe sein. Bei den Patienten der LFA-Stichprobe
scheinen die oben genannten Vorbehalte aufgrund der vorhandenen eindeutigen
Beeinträchtigungen, besonders auch im Bereich der Intelligenz, deutlich weniger ausgeprägt.
Auch die deutlichen Beeinträchtigungen im Bereich der sozialen Motivation (z.B. Freude
zeigen) scheint die Einordnung der Symptomatik im Vergleich zur HFA-Stichprobe sowie zu
den Patienten mit einem Asperger-Syndrom zu vereinfachen.
Auch das Auftreten von komorbiden Symptomen, wie z.B. hyperaktive Verhaltensweisen,
erschwert die Deutung der gebotenen Symptomatik als „autistisch“, da sie die
Kernsymptomatik maskieren können. Dies wurde in der vorliegenden Studie bei der
Auswertung psychiatrischen Diagnosen, die vor endgültiger Diagnosestellung eines Autismus
vergeben wurden deutlich: So wurden z.B. bei 25,0% der Patienten der HFA-Stichprobe eine
Diagnose aus dem Bereich des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndroms gestellt. In
der Studie von Heß (2008) erhielten 30,0% der Patienten mit einem Asperger-Syndrom die
Verlaufsdiagnose „ADHS“. Diese Beobachtung wirft die grundsätzliche Frage auf, ob es sich
bei der beobachteten hyperaktiven Symptomatik eventuell um einen Teil der autistischen
Symptomatik handelt. Neuere Forschungsbemühungen vermuten, ähnlich wie bei der
Ausprägung der heterogenen sprachlicher Fertigkeiten, das Vorliegen genetischer Subgruppen
121
Diskussion
innerhalb des autistischen Spektrums mit der Ausprägung einer zusätzlichen hyperaktiven
Symptomatik bei einem Teil der Patienten (Holtmann et al., 2007).
Konsultierte Versorgungseinrichtungen
Bezüglich der ersten konsultierten Versorgungseinrichtungen fiel auf, dass sowohl die
Patienteneltern der LFA-Stichprobe als auch die Patienteneltern der HFA-Stichprobe in über
60% bzw. über 40% der Fälle einen niedergelassenen Pädiater oder ein Sozial-PädiatrischesZentrum konsultierten. In beiden Stichproben wurde in über der Hälfte der Fälle Diagnosen
vergeben, die Teilbereiche der autistischen Symptomatik erfassten, so z.B. die Diagnosen
„Nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörung“ oder „Umschriebene Entwicklungsstörung
des Sprechens und der Sprache“. 10,0% der Patienteneltern der LFA-Stichprobe konsultierten
zunächst eine Frühförderstelle, lediglich 16,0% der Patienteneltern der HFA-Stichprobe
konsultierten einen Kinder- und Jugendpsychiater. Dies scheint ein weiterer Hinweis für die
erschwerte diagnostische Zuordnung der autistischen Symptomatik besonders bei jüngeren
Kindern zu sein. Wie schon erwähnt, scheint die Einschätzung der (frühen) Symptomatik
häufig zu Verunsicherung zu führen, z.B. weil die in den Klassifikationssystemen
beschriebenen Kriterien ein gewisses kognitives und sprachliches Entwicklungsniveau
voraussetzen (Amorosa & Noterdaeme, 2002). Trotz steigender Prävalenzzahlen ist Autismus
eine seltene Erkrankung. Pädiater, die aufgrund der unklaren Auffälligkeiten und den
vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen von den Patienteneltern konsultiert werden, fehlt
daher häufig die Erfahrung mit der heterogenen Symptomausprägung. Zudem gibt es im
deutschsprachigen
Raum
kaum
Instrumente,
die
innerhalb
einer
Kinderarztpraxis
routinemäßig als Screeninginstrumente, z.B. bei den Vorsorgeuntersuchungen, eingesetzt
werden können.
Therapeutische Interventionen
Der Vergleich beider Stichproben bezüglich therapeutischer Interventionen kommt zu
folgenden Ergebnissen: Patienten der HFA-Stichprobe erhielten im Vergleich zur LFAStichprobe insgesamt weniger ambulante Therapien: auch nach der Diagnosestellung ändert
sich diese Tatsache nicht. Die Patienten der LFA-Stichprobe erhielten vor Diagnosestellung
besonders Ergotherapie und Logotherapie, nach Diagnosestellung wurde die Ergotherapie
weiter
erteilt.
Ergänzt
wurde
die
Unterstützung
durch
störungsspezifische
verhaltenstherapeutische Interventionen z.B. im Autismus-Therapie-Zentrum. Insgesamt wird
deutlich, dass die nicht auf die spezifischen Verhaltensprobleme orientierte Ergotherapie in
122
Diskussion
beiden Stichproben am häufigsten durchgeführt wurde. Diese Daten decken sich mit den
Ergebnissen der Katamnesestudie von Patienten mit der Diagnose eines Asperger-Syndroms
(Heß, 2008), auch in dieser Stichprobe erhielten über die Hälfte aller Patienten vor
Diagnosestellung Ergotherapie.
Insgesamt zeigt sich ein sehr heterogenes Profil an ambulanten Therapien. Dies sicherlich
auch aufgrund der Tatsache, dass es bis zum heutigen Tag keine für autistische Störungen
generell
gültige
und
erfolgversprechende
Therapie
gibt.
Die
gut
evaluierten
verhaltenstherapeutische Therapieansätze wie ABA (Applied Behavior Analysis, Lovaas,
1981), oder an verhaltenstherapeutische Therapieansätzen orientierte pädagogische Konzepte
wie TEACCH („Treatment and Education of Autistic and related Communication
handicapped Children“, Schopler, 1972) (Ospina et al., 2008) werden bis heute nur wenig
flächendeckend angeboten. Dies sicherlich in erster Linie aus Kostengründen und fehlender
Information der Kostenträger, so dass hier eine deutliche Unterversorgung festzustellen ist.
Insbesondere Frühförderstellen und Autismus-Therapie-Zentren sollten auf diesem Gebiet
(finanziell) unterstützt werden, um diese Therapieansätze anbieten zu können.
Bezüglich einer medikamentösen Therapie fiel in der vorliegenden Studie auf, dass über 75%
der Patienten aus der HFA-Stichprobe und über 60% der Patienten aus der LFA-Stichprobe
im Therapieverlauf nie eine Medikation erhielten. Innerhalb der LFA-Studie wurden 30,0%
der Patienten mit einem atypischen Neuroleptikum behandelt, 10,0% der Patienten mit einem
klassischen Neuroleptikum, 7,0% wurden mit Stimulanzien behandelt. Innerhalb der HFAStichprobe erhielten zwei Patienten ein Atypikum, ein Patient wurde mit Stimulanzien
behandelt.
Die Wirkung atypischer Neuroleptika, im besonderen Risperidon, konnte in einigen Studien
als therapeutische Unterstützung bei Aggressionen, Reizbarkeit, selbstverletzendes Verhalten
und Erregungszuständen für Kinder mit einer autistischen Störung mit Intelligenzminderung
nachgewiesen werden (McCracken et al., 2002). Ziele der medikamentösen Therapie bei
Autismus sind vor allem eine Beeinflussung von Begleitstörungen wie selbstverletzendes oder
fremdaggressives Verhalten. Die Kernsymptomatik des Autismus ist jedoch durch eine
pharmakologische Therapie bis heute kaum beeinflussbar (McDougle et al., 2005).
Psychosoziale Anpassung
In der vorliegenden Studie konnten deutliche Unterschiede zwischen beiden untersuchten
Stichproben bezüglich einer Verbesserung der Defizite der psychosozialen Anpassung zu
Behandlungsbeginn und zum Untersuchungszeitpunkt beobachtet werden: Die untersuchte
123
Stichprobe
der
Patienten
Untersuchungszeitpunkt
mit
im
einem
Vergleich
Diskussion
High-Functioning-Autismus
zum
Behandlungsbeginn
zeigte
eine
zum
signifikante
Verbesserung im Bereich der psychosozialen Anpassung. Allerdings wiesen über 60% der
Patienten der HFA-Stichprobe zum Untersuchungszeitpunkt immer noch eine deutliche und
übergreifende soziale Beeinträchtigung auf.
Diese Ergebnisse decken sich mit den Daten der Asperger-Katamnesestudie (Heß, 2008). Drei
Viertel der Patienten mit Asperger-Syndrom zeigten in dieser Studie ebenfalls eine deutliche
oder sogar übergreifende soziale Beeinträchtigung. Interessanterweise zeigten in dieser Studie
die Patienten mit einem niedrigeren IQ-Wert, der im Durchschnitt ungefähr den Patienten der
HFA-Stichprobe entsprach, eine deutlichere Verbesserung ihrer psychosozialen Anpassung.
Die Patienten mit einem deutlich höheren IQ-Wert zeigten hingegen keine wesentliche
Verbesserung ihrer psychosozialen Anpassung zum Untersuchungszeitpunkt.
Zu bemerken ist außerdem, dass bei über 70% der untersuchten HFA-Patienten eine
außerhäusliche Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung während des beobachteten
Behandlungszeitraums erfolgt war.
Die Patienten der Low-Functioning-Stichprobe zeigten bezüglich der Defizite ihrer
psychosozialen
Anpassung
Behandlungsbeginn
bis
nahezu
zum
keine
Veränderungen
Untersuchungszeitpunkt.
für
Zudem
den
konnte
Zeitraum
ein
von
direkter
Zusammenhang zwischen einer fehlenden Verbesserung der psychosozialen Anpassung und
dem
Intelligenzniveau
gezeigt
werden.
Über
40%
der
Patienten
wiesen
zum
Untersuchungszeitpunkt eine psychosoziale Anpassung auf, die eine beträchtliche Betreuung
notwendig machte, 25,0% Patienten dieser Stichprobe waren sogar auf eine 24-StundenBetreuung angewiesen. Dieses Ergebnis wird durch die Literatur bestätigt: Die Defizite in der
psychosozialen Anpassung werden bei Patienten mit einer Intelligenzminderung als
durchgängig schwer beschrieben (Howlin, 2004; Gilberg, 2007).
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Die Beobachtung, dass deutlich mehr Jungen als Mädchen von einer autistischen Störung
betroffen sind, konnte in der vorliegenden Studie für beide Stichproben bestätigt werden. Für
den frühkindlichen Autismus wird das Verhältnis von männlich zu weiblich in den ICD-10Kriterien mit 3-4:1 angegeben (Dilling et al, 2004). Für die hier untersuchte LFA-Stichprobe
mit einem Geschlechterverhältnis von 3:1 konnte das in der Literatur angegebene
Geschlechterverhältnis
bestätigt
werden.
Für
die
HFA-Stichprobe
konnte
ein
124
Diskussion
Geschlechterverhältnis von 11:1 ermitteln. Dies liegt näher an dem für das Asperger-Syndrom
in der Literatur angegebene Geschlechterverhältnis von 8:1 (Dilling et al., 2004), zudem
unterstützen die vorliegenden Daten die Beobachtung von Folstein et al., die einen direkten
Anstieg der Anzahl betroffener männlicher Personen mit dem Anstieg des Intelligenzniveaus
beobachtet, zumindest bei Untersuchungen von Patienten im Kindes- und Jugendalter
(Folstein & Rosen-Sheidley, 2001). Der Zusammenhang zwischen Geschlecht und
Intelligenzniveau bei autistischen Störungen ist häufig untersucht worden: Unter anderem
wurde nachgewiesen, dass weibliche Personen mit einer autistischen Störung eher im unteren
Intelligenzniveau anzusiedeln sind. Die Beeinträchtigung weiblicher Personen durch die
autistische Störung wird zudem als massiver beschrieben (Wing, 1981; Volkmar, Szatmari &
Sparrow, 1993). Diese Beobachtungen konnten in der vorliegenden Stichprobe bestätigt
werden. Jedoch fiel auf, dass die weiblichen Personen der LFA-Stichprobe teilweise gute
sprachliche Fähigkeiten besaßen, die sich deutlich von ihrem sonstigen intellektuellen
Funktionsniveau abhoben.
Intelligenzniveau
Der Vergleich der intellektuelle Leistungsfähigkeit der beiden untersuchten Stichproben
ergibt folgende Ergebnisse: Obwohl es sich bei den untersuchten Patienten um keine
repräsentative Stichprobe handelt, fiel auf, dass ein Drittel der Patienten ein Intelligenzniveau
im normalen Durchschnittsbereich erreicht und bei zwei Drittel der Patienten eine
Intelligenzminderung vorliegt. Damit können die Daten der Literatur bestätigt werden, die im
Rahmen verschiedener Studien erhoben wurden (Fombonne, 2003).
Für alle Patienten der HFA-Stichprobe lag in den Patientenblättern eine ausführliche
Leistungsdiagnostik vor. Zudem war es allen Patienten möglich, am Untersuchungstag eine
orientierende Leistungsdiagnostik zu absolvieren. Das Intelligenzniveau der HFA-Stichprobe
liegt mit einem durchschnittlichen Mittelwert von 88,8 ± 13,3 IQ-Punkten unter dem
durchschnittlichen IQ-Wert der Normalbevölkerung. Die Profile der Intelligenzdiagnostik
zeigten keinen signifikanten Mittelwertsunterschied zwischen Verbal und Handlungs-IQ, wie
er in der Katamnesestudie von Patienten mit der Diagnose eines Asperger-Syndroms (Heß,
2008) objektiviert werden konnte. Somit konnten die Daten der Literatur bestätigt werden, die
einen solch fehlenden Unterschied bei Patienten mit einem High-Functioning-Autismus als
eine mögliche Abgrenzung zum Asperger-Syndrom sehen (Ghaziuddin & Mountain-Kimchi,
2004; Ehlers et al., 1997).
125
Diskussion
Bei acht Patienten der Low-Functioning-Stichprobe lag eine ausführliche Leistungstestung
vor.
Zudem
konnten
diese
Patienten
am
Untersuchungtag
eine
orientierende
Leistungsdiagnostik durchführen. Für die untersuchte Stichprobe fiel auf, dass mehr weibliche
Patienten der Stichprobe in dieser Gruppe erschienen. Der Grund ist wahrscheinlich in den
besseren sprachlichen Fähigkeiten zu sehen.
Bezüglich der Einschätzung des Intelligenzniveaus der übrigen Patienten der LFA-Stichprobe
müssen folgende Anmerkungen gemacht werden: Eine orientierende Leistungsdiagnostik
konnte von vielen Patienten der LFA-Stichprobe am Untersuchungstag nicht realisiert
werden. Diese Patienten waren aufgrund der Schwere der autistischen Symptomatik (mit
fehlender Kooperation und Motivation) am Untersuchungstermin nicht in der Lage, in einem
vorgegeben Zeitrahmen eine orientierende Leistungsdiagnostik zu erledigen. Daher musste
bei diesen Patienten eine klinische Einschätzung des Intelligenzniveaus durch eine auf diesem
Gebiet erfahrene Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie vorgenommen werden. Das
Problem der mangelnden Validierung des IQ-Niveaus durch standardisierte Leistungstestung
bei bestimmten Patienten mit einem Low-Functioning-Autismus wird auch in der Literatur
beschrieben (Tsatsanis, 2003; Tager-Flusberg, 2003), wobei sich die Vorgehensweise anderer
Studien mit denen der vorliegenden Studie deckt. Das IQ-Niveau wird in diesen Studien z.B.
mit Hilfe der „Vineland Adaptive Behavior Scales“ klinisch festgelegt.
5.1.4
Demographische Faktoren
Besuchte Bildungseinrichtungen
Die erhobenen Daten bezüglich besuchter Bildungseinrichtungen zeigt folgende Unterschiede
zwischen beiden Stichproben: Über 80% der Patienten aus der untersuchten LFA-Stichprobe
waren schon im Kindergartenalter in einer sonderpädagogischen Einrichtung eingegliedert.
Die Patienten der HFA-Stichprobe besuchten zu einem Drittel eine sonderpädagogische
Einrichtung. Nahezu die Hälfte der Patienten besuchte einen Regelkindergarten.
Interessanterweise decken sich diese Daten mit den Daten der Asperger-Katamnesestudie
(Heß, 2008). In dieser Studie besuchten ebenfalls ein Drittel der Patienten trotz normaler
Intelligenz keinen Regelkindergarten.
Die Patienten der LFA-Stichprobe besuchten mit Schuleintritt in nahezu 80% Grundschulen
für Körper- oder Geistig-Behinderte. Hierbei ist in den meisten Fällen anzunehmen, dass trotz
intensiver sonderpädagogischer Unterstützung keine störungsspezifische Förderung der
Patienten erfolgte. Dieser Umstand ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass es in
126
Diskussion
Deutschland praktische keine Lehrkräfte gibt, die eine spezifische Ausbildung im Umgang
mit autistischen Kindern besitzen. Auch sind viele Kinder aufgrund der immer noch
bestehenden Latenz bis zur Diagnosestellung bei Schuleintritt nicht sicher als „autistisch“
identifiziert. Eine gezielte Förderung wird somit erschwert. In der weiterführenden Schulzeit
waren nahezu alle Kinder der LFA-Stichprobe ihrem intellektuellen Leistungsniveau
entsprechend in Sonderschulen beschult. Bei über 80% der Patienten der LFA-Stichprobe war
ein Besuch einer regulären weiterführenden Schule nicht möglich, die meisten wurden in
Heimsonderschulen oder geschützte Werkstätten untergebracht. Diese Daten entsprechen
auch einer Arbeit von Bölte et al. (Boelte, Woerner & Poustka, 2005), in der 82,0% der
Patienten mit einem Low-Functioning-Autismus im Alter zwischen 7 bis 16,11 Jahren in
verschiedenen Sonderschultypen unterrichtet wurden. Bei Patienten mit einem LowFunctioning-Autismus ab einem Alter von 17 Jahren wurden 53,0% in Werkstätten
beschäftigt. Diesbezüglich drängt sich die Frage auf, ob mit dieser Form der Versorgung eine
optimale Förderung der autistischen Patienten erreicht werden kann, da die besuchten
Bildungseinrichtungen im Wesentlichen eine Klientel mit anderen Problemschwerpunkten
fördert (Boelte, Woerner & Poustka, 2005).
Die Patienten der HFA-Stichprobe besuchten zur Hälfte Regelgrundschulen, die restlichen
Patienten besuchten Grundschulen für Körper- oder Geistig-Behinderte, obwohl sie somit
eigentlich unter ihren intellektuellen Fähigkeiten beschult waren. Diese Ergebnisse decken
sich ebenfalls mit den Daten der Asperger-Katamnesestudie (Heß, 2008). Auch hier zeigte
sich, dass ein Drittel der Patienten keine Regelgrundschule besuchen konnte.
Nahezu 60% der hier untersuchten HFA-Stichprobe konnte zum Katamnesezeitpunkt eine
weiterführende Regelschule besuchen. Ein Patient bereitete sich auf das Abitur vor, zwei
Patienten hatten eine Hauptschullaufbahn mit entsprechendem Abschluss beendet. In der
Studie von Heß konnten 50,0% der Patienten mit Asperger-Syndrom trotz höherem
Intelligenzniveau keine weiterführende Regelschule besuchen. In dieser Studie wurde der
Umstand damit begründet, dass die autistische Symptomatik besonders im Bereich der
sozialen Interaktion im Alter zunimmt und somit eine Regelbeschulung erschwert. Somit
können Studiendaten unterstützt werden, die mit zunehmendem Alter eine Annäherung in der
Symptomausprägung in beiden Gruppen beobachteten und daraus schlussfolgerten, dass die
Unterschiede zwischen HFA und AS mit zunehmenden Entwicklungsalter immer geringer
werden (Gilchrist et al., 2001; Howlin, 2003).
127
Diskussion
Familiäre Einflussfaktoren
Die Daten der Katamnesestudie von Patienten mit der Diagnose eines Asperger-Syndroms
(Heß, 2008) konnten eine deutliche familiäre Häufung autistischer Persönlichkeitszüge bei
Verwandten 1. Grades der untersuchten Stichprobe nachweisen. Ein solcher Zusammenhang
konnte in der vorliegenden Studie nicht eindeutig objektiviert werden. In der durchgeführten
Studie von Patienten mit Asperger-Syndrom konnten laut Elternaussagen bei fast 40% der
Eltern autistische Persönlichkeitszüge im Sinne eines „broader autism phenotype“ (Pickles,
2000) festgestellt werden. In den hier untersuchten Stichproben wurde lediglich in der LFAStichprobe
bei
18,0%
der
Patienten
über
eine
Intelligenzminderung
oder
Entwicklungsverzögerung von nahen Familienangehörigen berichtet. In der HFA-Stichprobe
berichteten
ein
Drittel
der
Eltern
über
Familienangehörige
mit
autistischen
Persönlichkeitszügen, wobei nie ein direkter Elternteil des Patienten betroffen war.
5.2
Limitationen der vorliegenden Studie
Aufgrund
des
Studiendesigns
als
katamnestische
Nachuntersuchung
ergeben
sich
zwangsläufig einige Einschränkungen der vorliegenden Untersuchung. Da es sich um eine
selektive, nicht repräsentative Inanspruchnahmepopulation handelt, kann auch nicht
beantwortet werden, inwieweit es sich um eine für die gesamte Population von AutismusSpektrum-Störungen in dieser Region repräsentative Stichprobe handelt. Generalisierungen
der Ergebnisse können daher nur mit der gebotenen Vorsicht vorgenommen werden.
Die Stichprobengröße der High-Functioning-Stichprobe und der Low-Functioning-Stichprobe
wurden nicht vor Beginn der Untersuchung festgelegt. Alleiniges, zwischen beiden
Stichproben bereits vor Beginn der Untersuchung definiertes Unterscheidungsmerkmal stellte
das Intelligenzniveau dar. Auf Grund der nicht allzu hohen Fallzahlen ist die vorliegende
Katamnesestudie in der Lage, nur große Effekte nachzuweisen.
Bei der Durchführung des Elteninterviews zeigte sich, dass besonders die zeitliche
Einordnung der autistischen Symptomatik als auch der frühen Auffälligkeiten vielen Eltern
Schwierigkeiten bereitete. Aussagen über das generelle Auftreten bestimmter Symptome
bereiteten den Eltern hingegen keine Probleme. Die retrospektiven Aussagen der Eltern sind
besonders für die HFA-Stichprobe als eingeschränkt aussagekräftig zu bewerten, da das
Durchschnittsalter
dieser
Stichprobe
mit
16,4
Jahren
recht
hoch
ist.
Aus
der
Gedächtnispsychologie ist bekannt, dass Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse
128
Diskussion
häufiger mit unsystematischen aber auch systematischen Fehlern behaftet sind (Hell, 1993).
Das Durchschnittsalter der LFA-Stichprobe lag mit 9,3 Jahren deutlich unter dem der HFAStichprobe. Bei den Eltern dieser Stichprobe fiel auf, dass die zeitliche Einordnung der
retrospektiven Aussagen weniger schwierig erschien.
Bei der Überprüfung der Diagnostischen Kriterien der Multiple-complex Developmental
Disorder ist zu bemerken, dass es sich um die Einschätzung einer aktuellen Symptomatik
handelt. Jedoch können die Aussagen ebenfalls als nur eingeschränkt aussagekräftig bewertet
werden, da sie sich in hohem Maße auf die Einschätzung der Bezugspersonen stützen und
nicht durch Experten validiert wurden.
Bezüglich der Familienanamnese psychiatrischer Erkrankungen ist zu bemerken, dass
Angaben über Verwandte, die fraglich autistische Persönlichkeitszüge aufweisen, in den
meisten Fällen Eltern-Aussagen sind, die nicht durch fachlich geschulte Personen objektiviert
worden sind. Lediglich der Bericht über betroffene Geschwister konnte objektiviert werden,
da die Diagnose in den betreffenden Fällen durch vorliegende Befunde eines Spezialisten
gesichert waren.
Der Vergleich der Defizite der psychosozialen Anpassung zu Behandlungsanfang und zum
Katamnesezeitpunkt ist nur eingeschränkt als Verlaufsparameter zu verwenden. Zum einen
sind die beobachteten Zeiträume in der vorliegenden Stichprobe unterschiedlich lang, zum
anderen sind die Korrelationen aufgrund der geringen Anzahl regelhaft durchführbarer
Intelligenztestungen in der LFA-Stichprobe mit Vorsicht zu interpretieren. Die Ergebnisse
können zudem durch die unterschiedlichen Gruppengrößen beeinflusst sein.
5.3
Klinische Bedeutung der Ergebnisse
Die vorliegende Studie zeigt für die beiden untersuchten Stichproben von Patienten mit einem
High-Functioning und Low-Functioning Frühkindlichen Autismus bezüglich der klinischen
Ausprägung der autistischen Symptomatik kein homogenes Symptommuster. Auch nach
Ausdifferenzierung anhand des Intelligenzniveaus der untersuchten Patienten in eine Gruppe
von Patienten mit einem High-Functioning-Autismus und eine Gruppe von Patienten mit
einem Low-Functioning Autismus, wie sie in der Literatur beschrieben wird (Gilberg, 1998),
lässt sich ein interindividuelles Symptommuster erkennen, dessen Varianz nicht nur durch das
Intelligenzniveau der betroffenen Personen erklärbar ist. Es konnten zudem deutliche
129
Schweregradsunterschiede
in
der
klinischen
Diskussion
Ausprägung
der
Symptomatik
eines
frühkindlichen Autismus innerhalb der untersuchten Stichproben beobachtet werden. Die
beschriebenen Schweregradsunterschiede konnten ebenfalls nur teilweise in Abhängigkeit des
Intelligenzniveaus der betroffenen Personen beobachtet werden.
Besonders die extrem heterogen ausgeprägten Fähigkeiten im Bereich der Sprachentwicklung
sowie der qualitativen sprachlichen Fähigkeiten nach erfolgtem Spracherwerb bei Patienten
mit nahezu identischem Intelligenzniveau stützt die oben beschriebenen Beobachtungen.
Auch der Bereich der repetitiven und stereotypen Verhaltensweisen imponierte bei den
untersuchten Patienten als interindividuell schwankend. Lediglich der Symptombereich
„Defizite in der sozialen Interaktion“ erweist sich in seiner Ausprägung bei beiden
untersuchten Stichproben als stabil über die Zeit. Die Stärke der Beeinträchtigung wurde
jedoch in beiden Bereichen nicht genauer quantifiziert. Dass auch in diesen Bereichen
Schweregradsunterschiede existieren, lässt sich indirekt durch die Ergebnisse der
standardisierten Verhaltensbeobachtung ADOS belegen. Die geschilderten Beobachtungen
werfen die Frage auf, inwiefern die große interindividuelle Variabilität der autistischen
Symptomatik auf klassifikatorischer Ebene adäquat abgebildet ist.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie unterstützen die in der Literatur vorliegenden Daten,
die eine hohe Variabilität und Bandbreite der autistischen Störungsbilder beschreibt. Eine
Zuweisung dieser Symptomatik zu nur einer Kategorie scheint in hohem Maße
unbefriedigend. Die Begriffsbildung der Autismus-Spektrum-Störungen (Macintosh &
Dissanayake, 2004; Caronna, Milunsky & Tager-Flusberg, 2008) wurde in diesem
Zusammenhang als klinisch sinnvolles Konzept entwickelt, um die große Variabilität der
Symptomatik innerhalb und zwischen den einzelnen diagnostischen Kategorien beschreiben
zu können. Auch die beobachteten Symptomüberlappung im Bereich der autistischen
Störungen auf hohem Funktionsniveau, wie sie in der vorliegenden Studie anhand von Daten
einer katamnestischen Untersuchung von Patienten mit einem Asperger-Syndrom beschrieben
werden konnten, findet durch das Konzept der Autismus-Spektrum-Stöungen eine klinische
Entsprechung. Hier fielen besonders die vielen Übereinstimmungen im Bereich der
Frühsymptome auf. Auch die stabile Ausprägung der qualitativen Beeinträchtigung der
sozialen Interaktion, die sowohl bei Patienten mit einem Asperger-Syndrom als auch bei den
Patienten der HFA-Stichprobe zu beobachten ist, unterstützt diesen Ansatz.
Die große Varianz innerhalb der Ausprägung der allgemeinen Entwicklungsverzögerung (u.a.
im Bereich der sprachlichen Fähigkeiten und kognitiven Fähigkeiten) kann sicherlich als ein
Einflussfaktor gewertet werden, welcher
den
deutlich
voneinander
abweichenden
130
Diskussion
Erkrankungsverlauf der beiden Stichproben beeinflusst. Obwohl sich die beiden in der
vorliegenden Studie untersuchten Stichproben in ihren ersten, durch die Eltern beobachteten
Auffälligkeiten nicht unterscheiden, und sich auch im Alter zwischen 4-5 Jahren keine
Unterschiede in der retrospektiven Erfassung der autistischen Symptomatik mittels ADI-R
beschreiben lassen, weicht das Alter der ersten Diagnosestellung zwischen Patienten mit
einem
Low-Functioning-Autismus
und
einem
High-Functioning-Autismus
erheblich
voneinander ab. Dieser Umstand lässt sich am ehesten mit dem bereits erwähnten
interindividuellen unspezifischen Symptommuster (Vorhandensein/Fehlen sprachlicher
Fähigkeiten, hyperaktive (Co)-Symptomatik, Verhaltensweisen der Säuglingszeit wie z.B.
„Schreikind“ bis hin zum „pflegeleichten“ Säugling) sowie der Variabilität im
Erscheinungsbild der autistischen Symptomatik erklären. Dies scheint bei Eltern und
gleichermaßen bei Fachleuten für große Verunsicherung bezüglich der Einschätzung der
Verhaltensauffälligkeiten als tatsächlich „autistisch“ zu führen. Eine sichere Zuordnung
früher Verhaltensauffälligkeiten zu den Autismus-Spektrum-Störungen könnte eine raschere
Diagnosestellung zur Folge haben und somit die Prognose und Therapieoptionen schon im
Kleinkindalter verbessern.
Der kategoriale Ansatz der beiden großen Klassifikationssysteme nach ICD-10 und DSM-IV
scheint die vorhandene Verunsicherung bezüglich der Einschätzung gebotener Symptome
besonders bei jüngeren Kindern (vor dem vollendeten 3. Lebensjahr) zusätzlich zu fördern, da
in den Klassifikationssystemen nur Symptome beschrieben werden, die erst ab einem
bestimmten Entwicklungsalter der betroffenen Kinder deutlich in Erscheinung treten.
Der Umstand, dass viele Eltern erst durch konkretes Abfragen früher Symptome die
Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder zuordnen können, deutet auf Schwachpunkte bei der
Früherkennung autistischer Störungen hin. Hier wäre ein konkretes Abfragen möglicher
früher Indikatoren für das Vorliegen einer Störung aus dem autistischen Spektrum
wünschenswert, z.B. im Rahmen einer der zahlreichen Vorsorgeuntersuchungen. Hierzu wäre
die Einführung diagnostischer Algorithmen nach dem Beispiel der „American Academy of
Pediatrics“ sinnvoll. Im Verlauf könnte dann die Verdachtsdiagnose durch die diagnostischen
Kriterien weiter überprüft und ggf. verifiziert werden. Es wäre daher wünschenswert, dass
Augenmerk stärker auf „Risikokinder“ (z.B. auch Geschwisterkinder) zu lenken und diesen
eine zeitnahe spezielle Frühförderung zukommen zu lassen.
Verhaltensauffälligkeiten werden bei den betroffenen Kinder in den meisten Fällen spätestens
im Kindergartenalter beobachtet. Dies spiegelt auch das Alter bei erster Konsultation in
131
Diskussion
beiden Stichproben wider. In vielen Fällen erfolgte bei den untersuchten Stichproben eine
erste Konsultation in einem Sozialpädiatrischen Zentrum oder bei einem niedergelassenen
Pädiater. Eine dort durchgeführte Screening-Untersuchung könnte sicherlich zu einer früheren
Diagnosestellung verhelfen bzw. die Zuweisung zu einer entsprechenden, auf autistische
Störungen spezialisierte Einrichtungen wie z.B. die Autismus-Ambulanz einer kinder- und
jugendpsychiatrischen
Klinik
veranlassen.
Die
diagnostische
Sicherung
in
einer
spezialisierten Einrichtung ist besonders auch deshalb erforderlich, da die ausführliche
Diagnostik nach aktuellem Gold-Standard ein Verfahren darstellt, dessen valide Anwendung
eine gewisse Erfahrung im Umgang voraussetzt. Auch ist die Diagnosestellung einer Störung
aus dem autistischen Spektrum nicht unwesentlich von der klinischen Erfahrung der
involvierten Personen abhängig.
Nach erfolgter Diagnosestellung steht sicherlich die optimale Förderung und Versorgung der
Patienten im Vordergrund. In der vorliegenden Studie zeigten sich auf diesem Gebiet noch
erhebliche Defizite. Die meisten Patienten mussten aufgrund fehlender spezifischer
therapeutischer Versorgungsstrukturen auf eine optimale Versorgung verzichten. Zumeist
wurden nicht spezifisch auf autistische Verhaltensweisen ausgerichtete Verfahren und
Versorgungsmöglichkeiten wie z.B. eine ergotherapeutische oder krankengymnastische
Behandlung angeboten.
Erfreulicherweise lassen sich in den letzten Jahren jedoch zunehmende Entwicklungen auf
dem Gebiet der störungsspezifischen therapeutischen Versorgung verzeichnen. Das Angebot
an soziopädagogische Maßnahmen, in Form von Einrichtungen, die besondere Gruppen für
Patienten mit autistischen Störungen anbieten, und somit zu einer Entlastung der Familien
führen, oder die Bereitstellung von Schulbegleitern, die eine den intellektuellen Fähigkeiten
der betroffenen Personen angemessene Beschulung ermöglichen können, sind einige
Beispiele. Auch Initiativen, die die Eltern zu „Spezialisten“ im Umgang mit der
Beeinträchtigung ihrer Kinder machen wollen, z.B. das Bremer Elterntrainingsprogramm
(BET) (Cordes & Cordes, 2006) gehören zu den fortschrittlichen Ansätzen im Bereich der
störungsspezifischen Förderung autistischer Kinder. Soziopsychiatrische Einrichtungen wie
z.B. spezialisierte Autismusambulanzen, die mittlerweile auch im Bereich der ErwachsenenPsychiatrie initiiert werden, bilden einen weiteren Pfeiler der störungsspezifischen Förderung
von Patienten mit einer Störung aus dem autistischen Spektrum.
132
6.
Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassung und Ausblick
Die Daten der vorliegenden Studie wurden im Rahmen einer katamnestischen Untersuchung
von 40 Patienten der KJP des Universitätsklinikums Freiburg erhoben. Bei allen Patienten
wurde eine durch den aktuellen Gold-Standard validierte Diagnose eines High-Functioning
(Gesamt-IQ ≥70 Punkten) oder Low-Functioning Frühkindlicher Autismus bestätigt.
Zusätzlich wurden die Bezugspersonen bezüglich Symptomentwicklung und früher
Auffälligkeiten ihrer Kinder befragt. Der HFA- und der LFA-Frühkindliche Autismus
gehören zu den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen, die durch eine Beeinträchtigung in der
sozialen Interaktion, der wechselseitigen Kommunikation sowie durch stereotype
Verhaltensweisen gekennzeichnet sind. Bei den untersuchten Stichproben der vorliegenden
Studie
konnte
bezüglich
der
klinischen
Ausprägung
der
allgemeinen
Entwicklungsverzögerung (Spracherwerb, Intelligenzniveau) sowie im Erscheinungsbild der
autistischen Symptomatik eine hohe interindividuelle Variabilität beobachtet werden. In der
Literatur werden diese Beobachtungen im Konzept der Autismus-Spektrum-Störungen (ASD)
integriert, die den Frühkindlichen Autismus, den atypischen Autismus und das AspergerSyndrom als diagnostisches Kontinuum mit quantitativen und qualitativen Unterschieden
beschreibt. Die Daten der vorliegenden Studie unterstützen das klinische Konzept der
Autismus-Spektrum-Störungen aufgrund der hohen interindividuellen Symptomausprägung
der untersuchten Patienten innerhalb der Diagnosegruppe F84.0. Dabei fiel besonders in der
untersuchten LFA-Stichprobe die heterogene Ausprägung sprachlicher Fähigkeiten auf. Als
stabil erwies sich die Beeinträchtigung der sozialen Interaktion als Kernstück der autistischen
Symptomatik. Große Unterschiede konnten im Erkrankungsverlauf der untersuchten
Stichproben festgestellt werden. Obwohl sich im Bereich früher Auffälligkeiten keine
Unterschiede objektivieren ließen, wich insbesondere das Diagnosealter der beiden
Stichproben signifikant voneinander ab. Im Bereich der Früherkennung autistischer Störungen
wäre eine Einführung von Screening-Untersuchungen mit expliziter Abfrage möglicher
Frühsymptome im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen wünschenswert, um eine frühe
Identifizierung von Patienten mit einem erhöhten Risiko für das Vorliegen einer Störung aus
dem autistischen Spektrum gewährleisten zu können. Zudem sollten störungsspezifische und
gut evaluierte therapeutische Ansätze in den Fokus der Anwendung bei der frühen Förderung
betroffener Kinder gelangen.
133
7.
Anhang
Anhang
7.1
ASD-Patienten-Datenbank: Absicherung der DSM-IV
Diagnose
Allgemeine (demografische) Daten:
Bisherige Erstdiagnose aus PROMetheus bzw. BaDo:
PIZ:
Name:
Vorname:
Straße, Hausnummer:
PLZ Ort:
Telefon:
Mobil T.:
E-mail:
_________________________________
Geburtsdatum:
Geschlecht:
weiblich □ männlich □
Anamnesebogen vorhanden?
Ja □ Nein □
BaDo vorhanden?
Ja □ Nein □
Psychologischer Befund vorhanden?
Ja □ Nein □
Datum KJP-Erstkontakt (PROMetheus):
Datum der KJP-Anamnese:
Quelle:
Psychologischer Befund von:
______________
Anamnesebogen □ Arztbrief □ Anamnese/BaDo □
_________________________________
Letzter KJP-Therapeut:
Diagnose(n) lt. letztem Arztbrief:
________________________________________
________________________________________
________________________________________
134
Anhang
Diagnostische Kriterien DSM-IV1, Teil A:
Anmerkung: Es müssen mindestens sechs Kriterien aus (1), (2) und (3) zutreffen, wobei
mindestens zwei Punkte aus (1) und je ein Punkt aus (2) und (3) stammen müssen:
(1) Qual. Beeinträchtigung der sozialen Interaktion in mind. 2 der folgenden
Bereiche:
(a) ausgeprägte Beeinträchtigung im Gebrauch vielfältiger nonverbaler Verhaltensweisen wie
z. B. direkter Blickkontakt42, Skala von Gesichtsausdrücken, mit denen kommuniziert wird52,
soziales Lächeln43, Körperhaltung und Gestik zur Steuerung sozialer Interaktionen
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(b) Unfähigkeit, entwicklungsgemäße Beziehungen zu Gleichaltrigen aufzubauen
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(c) Mangel, spontan Freude, Interessen oder Erfolge mit anderen zu teilen (z.B. Mangel,
anderen Menschen Dinge, die für die Betroffenen von Bedeutung sind, zu zeigen, zu bringen
oder darauf hinzuweisen),
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006 vorhanden?
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006vorhanden?
1
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Hochgestellte Zahlen beziehen sich auf die Itemnummern im ADI-R (Deutsche Version, 3. Aufl.)
135
Anhang
(2) Qual. Beeinträchtigung der Kommunikation in mind. einem der folgenden
Bereiche:
(a) verzögertes Einsetzen oder völliges Ausbleiben der Entwicklung von gesprochener
Sprache (ohne den Versuch zu machen, die Beeinträchtigung durch alternative
Kommunikationsformen wie Gestik oder Mimik zu kompensieren) (fehlendes Nicken32 oder
Kopfschütteln33)
Punkt (2) (a) insgesamt:
Ja □ Nein □ Keine Info □ Unzutreffend □
Völliges Ausbleiben d. Entw. gespr. Sprache:
Falls ja, vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Falls ja, aktuell in 2006 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □ Unzutreffend □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Verzögertes Einsetzen d. Entw. gespr. Sprache:
Ja □ Nein □ Keine Info □ Unzutreffend □
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Falls unzutreffend, aktuell in 2006 vorhanden?
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □ Unzutreffend □
(b) bei Personen mit ausreichendem Sprachvermögen deutliche Beeinträchtigung der
Fähigkeit, ein Gespräch zu beginnen oder fortzuführen ([Kein] Soziales
Lautieren/Geplauder16, fehlende wechselseitige Konversation20)
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(c) Stereotyper oder repetitiver Gebrauch der Sprache oder idiosynkratische Sprache
(Stereotype Lautäußerung und verzögerte Echolalie18, Unangepasste Fragen oder
Feststellungen22, Pronominalumkehr23, Neologismen/Iidiosynkratische Sprache24)
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(d) Fehlen von verschiedenen entwicklungsgemäßen Rollenspielen ([nicht-soziale]„So-tunals-ob“-Spiele; Phantasievolles Spiel63) oder sozialen Imitationsspielen65;
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
Ja □ Nein □ Keine Info □
136
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2006 vorhanden?
Anhang
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(3) Beschränkte, repetitive und stereotype Verhaltensweisen, Interessen und
Aktivitäten in mind. einem der folgenden Bereiche:
(a) umfassende Beschäftigung mit einem oder mehreren stereotypen und begrenzten
Interessen, wobei Inhalt und Intensität abnorm sind
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Interessensgebiet(e):
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
________________________________________
________________________________________
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2005 vorhanden?
________________________________________
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(b) auffällig starres Festhalten an bestimmten nichtfunktionalen Gewohnheiten oder Ritualen
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Gewohnheit(en)/Ritual(e):
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
________________________________________
________________________________________
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2005 vorhanden?
________________________________________
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(c) stereotype und repetitive motorische Manierismen (z.B. Biegen oder schnelle
Bewegungen von Händen oder Fingern oder komplexen Bewegungen des ganzen Körpers)
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Manierismen:
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2005 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
________________________________________
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
(d) ständiges Beschäftigen mit Teilen von Objekten.
Überhaupt jemals aufgetreten:
Falls ja, in welchem Alter:
(G)rundschule
Objektteil(e):
Vorhanden zu Diagnostikbeginn?
Vorhanden bei KJP-Behandlungsende?
Aktuell in 2005 vorhanden?
Ja □ Nein □ Keine Info □
____; _____ ___________________________
Jahr ; Monat
(V)or Kinderg. (K)inderg.
________________________________________
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
137
Anhang
DSM-IV, Teil B: Beginn vor dem dritten Lebensjahr und
Verzögerung oder abnorme Funktionsfähigkeit in mindestens
einem der folgenden Bereiche: *)
(1) soziale Interaktion
(2) Sprache als soziales Kommunikationsmittel
(3) symbolisches oder Phantasiespiel
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
Ja □ Nein □ Keine Info □
DSM-IV, Teil C: Differenzialdiagnosen
Offen_
Nein_
1. Rett-Syndrom
Ð
0
2. Sonstige desintegrative Störung des Kindesalters / Morbus Heller (F84.3)
Ja__
Ð
Ð
1
2
0
1
2
3. Schizophrenie
0
1
2
4. Elektiver Mutismus
0
1
2
5. Sprachentwicklungsstörungen
0
1
2
138
Anhang
Psychologische Diagnostik
Autismus-Spektrum-Diagnostik „Gold-Standard“:
ADOS-G
ADI-R
durchgeführt □
durchgeführt □
nicht durchgeführt □
nicht durchgeführt □
Psychologische Leistungsdiagnostik:
Verfahren:
Gesamt-IQ
Datum
Institution, falls nicht KJP-FR
HAWIK-III
□ ____
V-IQ:
____
H-IQ:
____ _________ ________________________
HAWIK-R
□ ____
V-IQ:
____
H-IQ:
____ _________ ________________________
CFT 20
□ ____
Teil I:
____
Teil II:
____
Grundint.Skala 1: ____
_________ ________________________
CFT-1
□ ____
_________ ________________________
K-ABC
□ ____
_________ ________________________
CPM
□ ____
_________ ________________________
Anderes
□ ____
Name: ___________________
_________ ________________________
nicht-testbar □
Weitere psychodiagnostische Verfahren:
1. CBCL
liegt vor □
liegt nicht vor □
Name weiterer Verfahren:
Wert + -typ 1)
Datum
2. __________________________________
_______ ____
_________ ________________________
3. __________________________________
_______ ____
_________ ________________________
4. __________________________________
_______ ____
_________ ________________________
5. __________________________________
_______ ____
_________ ________________________
6. __________________________________
_______ ____
_________ ________________________
: Prozentrang ; T: T-Wert; R: Rohwert
1)
Institution, falls nicht KJP-FR
Bemerkungsfeld für qualitative Beschreibung der Auswertung 2):
Zu 2.: __________________________________________________________________________________
Zu 3.: __________________________________________________________________________________
Zu 4.: __________________________________________________________________________________
Zu 5.: __________________________________________________________________________________
Zu 6.: __________________________________________________________________________________
Bei zu langen qualitativen Beschreibungen: „s. Akte“
2)
139
Anhang
Erste psychische Auffälligkeiten diagnostiziert durch KJP an Hand
von Äußerungen des/r Erziehungsberechtigten*)
Was?
Zuordnung zu DSM-IV-Kriterien
Wann?
1. ____________________
_____________________________
__________________
2. ____________________
_____________________________
__________________
3. ____________________
_____________________________
__________________
4. ____________________
_____________________________
__________________
5. ____________________
_____________________________
__________________
6. ____________________
_____________________________
__________________
7. ____________________
_____________________________
__________________
*) z.B. Schlafstörungen, „hält sich nicht an Regeln“, „Ausrasten während der Psychodiagnostik“,
niedriges Körpergewicht,
„Tonfall, Lautstärke, Rhythmus, Geschwindigkeit/Flüssigkeit“26, „altkluge Sprache“,
Weitere Besonderheiten/Auffälligkeiten *)
_______________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________
_______________________________________________________________________________________
*) z.B. Schlafstörungen, „hält sich nicht an Regeln“, „Ausrasten während der Psychodiagnostik“, niedriges
Körpergewicht, „Tonfall, Lautstärke, Rhythmus, Geschwindigkeit/Flüssigkeit“26, „altkluge Sprache“,
Erstmaliger Kontakt mit Versorgungseinrichtung
□
□
□
□
□
□
□
□
Hausarzt
Kinderarzt
Kinder- und Jugendpsychiater
Psychotherapeut
Erziehungsberatungsstelle
Andere Beratungsstelle
Frühförderung
Sonstige, und zwar: _______________________________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
140
Anhang
Vorherige Therapien:
□ Ergotherapie
Dauer: ______
□ Spieltherapie
Dauer: ______
□ Gestützte Kommunikation
Dauer: ______
□ Verhaltenstherapie
Dauer: ______
□ ________________________________________________
Dauer: ______
□ ________________________________________________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Datum: ____________
Dauer: Familienanamnese:
Diagnose(n) im Freitext
ICD-
10-Code
□ Mutter
_____________________________________________ _______
□ Vater
_____________________________________________ _______
□ Geschwister : _________________ _____________________________________________ _______
□ Geschwister : _________________ _____________________________________________ _______
□ Geschwister : _________________ _____________________________________________ _______
□ Sonstige :
_________________ _____________________________________________ _______
□ Sonstige :
_________________ _____________________________________________ _______
□ Sonstige :
_________________ _____________________________________________
Zeitpunkt der erstmaligen (F84.0|1|5)-Verdachtsdiagnose:
Datum: ________________
Von wem? _____________________
Welche? F84. ______
Zeitpunkt der erstmaligen Diagnosestellung (F84.0|1|5):
Datum: ________________ Von wem?: _____________________
Katamnese-Einverständniserklärung:
Nicht vorhanden □
vorhanden, „Nein“ □
vorhanden, „Ja“ □
141
Anhang
Chronologische Krankheitsgeschichte:
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
_____________ Diagn. □ _________________ ICD10: _____ Therapie □ _________________________
Am / Vom – Bis
Welche?
Welche ? (a)mb (s)tat
Sonstiges: __________________________________________________________________
142
7.2
Anhang
Diagnostische Kriterien für Multiple-Complex
Developmental Disorder (Buitelaar & van der Gaag, 1998)
1. Impairment in regulation of affective state and anxiety as manifested by at least two
of the following:
(a) Generalized anxiety, diffuse tension, or irritability
(b) Fears and phobias (including school phobia)
(c) Panic episodes, terror, or „flooding” with anxiety
(d) Episodes (lasting from minutes to days) of behavioral disorganization or regression with
the emergence of markedly immature behavior
(e) Significant emotional lability (variability) with or without environmental precipitants
2. Impairments in social behavior and social sensitivity including at least two of the
following:
(a) Social disinterest, detachement, avoidance or withdrawal in the face of evident
competence (at times) of social engagement, particularly with parents
(b) Inability to initiate or maintain peer relationships
(c) Disturbed attachments to adults ,particularly parents ,as manifested by clinging, overly
controlling, needful behavior and /or aggressive ,oppositional behavior, ambivalence ,and
“splitting” with shifting love-hate behavior toward parent, teacher, or therapist
3. Impaired cognitive processing (thinking disorder) including at least two of the
following to a degree not found in children of the same developmental level:
(a) Thought problems, including magical thinking, irrationality, sudden intrusions on normal
thought process
(b) Confusion between reality and fantasy
(c) perplexity and easy confusability (trouble with understanding ongoing social processes
and keeping one`s thoughts “straight”)
(d) Delusions, including fantasies of personal omnipotence, paranoid preoccupations, and
overengagement with fantasy figures
143
7.3
Anhang
Danksagung
Die Seiten 143-144 (Danksagung/Lebenslauf) enthalten persönliche Daten. Sie sind deshalb
nicht Bestandteil der Online-Veröffentlichung."
144
.
Anhang
145
7.4
Lebenslauf
Die Seiten 143-144 (Lebenslauf) enthalten persönliche Daten. Sie sind deshalb nicht
Bestandteil der Online-Veröffentlichung."
Anhang
146
8.
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