Gramnegative Sepsis mit Jarisch-Herxheimer-Reaktion

Werbung
D E R B E S O N D E R E FA L L
Forum Med Suisse 2006;6:858–859
858
Gramnegative Sepsis mit Jarisch-Herxheimer-Reaktion
Robert Schorn, Niklaus Höfliger, David Ramsay, Markus Vogt
Medizinische Klinik, Zuger Kantonsspital, Zug
Summary
Gram-negative sepsis with Jarisch-Herxheimer
reaction
We present the case of a 25-year-old male patient with gram-negative sepsis
due to leptospirosis and Jarisch-Herxheimer reaction after the first dose of an
antibiotic. The microscopic agglutination test (MAT) confirmed the diagnosis
with a fourfold rise in titer. The epidemiology, clinical features, diagnosis and
treatment of leptospirosis are discussed.
Fallbeschreibung
Im Juli 2005 wurde uns ein 25jähriger Mann mit
seit zwei Tagen bestehendem Schwächegefühl,
Frösteln, starkem Schwitzen, Hals- und Gelenkschmerzen, Nausea ohne Vomitus, Husten mit
Auswurf und Algurie zugewiesen. Der Patient
arbeitete als Elektroinstallateur unter anderem
in Fahrstuhlschächten und hatte einige Tage
zuvor einen toten Vogel aus einem Weiher geborgen. Bis auf einen Status nach Tonsillektomie
war die persönliche Anamnese bland.
Beim Patienten in klinisch reduziertem Allgemeinzustand (Temperatur: 37,7 °C, HF: 90/min,
RR: 115/78 mm Hg) zeigten sich injizierte Konjunktiven, kleine zervikale Lymphknoten, eine
Druckdolenz im Mittel- und Oberbauch rechts
sowie rissige Haut an beiden Händen. Ansonsten
waren die Befunde unauffällig. Laboranalyse:
Hb 154 G/L, Leukozyten 7,5 G/L mit Linksverschiebung, Thrombozyten 86 G/L, CRP 303 mg/L,
Bilirubin gesamt/direkt 58/12 µmol/L, Kreatinin
109 µmol/L, Harnstoff 8,8 mmol/L, Quick 73%,
isolierte Leukozyturie ohne Bakterien. Elektrolyte, AST, ALT, GGT, alkalische Phosphatase,
LDH, CK, TSH, Drogen-Screening sowie, im
Verlauf, Rheumafaktoren, ANA, ANCA und Serumproteinelektrophorese waren ohne Befund.
Thorax-Röntgen, EKG und eine Abdomensonographie wiesen lediglich eine Hepatosplenomegalie nach.
Nach der Abnahme von Blut- und Urinkulturen
wurden empirisch intravenös 2,2 g Amoxicillin/Clavulansäure verabreicht. Eine Stunde später stieg das Fieber des Patienten an (40 °C)
und er litt unter Schüttelfrost, Sinustachykardie
bis 160/min, Hypotonie, massivster Myalgie
und Zephalgie. Wir postulierten eine schwere,
wahrscheinlich durch einen gramnegativen
Erreger ausgelöste Sepsis mit Jarisch-Herxheimer-Reaktion auf die erste Antibiotikagabe. Bei
isolierter Leukozyturie im Sinne einer beginnenden interstitiellen Nephritis und der Berufs-/
Freizeitanamnese äusserten wir den Verdacht
auf eine Leptospirose. Aufgrund des unklaren
septisch-toxischen Bildes erfolgte die Umstellung
der Antibiotikatherapie auf Imipenem, Gentamicin und Clindamycin. Die Blut- und Urinkulturen
blieben trotz verlängerter Bebrütung negativ.
Am neunten Hospitalisationstag konnte im
Vergleich zum Eintrittstag sowohl mittels einer
Komplementbindungsreaktion (KBR, Leptospira-interrogans-Pool) als auch im Mikroagglutinationstest (MAT, Leptospira interrogans
Serovar icterohaemorrhagiae) eine Serokonversion von <10 auf 80 (KBR) bzw. von <100 auf
800 (MAT) nachgewiesen werden. Bei klinischer
Besserung wurde im Verlauf eine Imipenemmonotherapie über elf Tage durchgeführt. Einen
Monat nach dem Spitaleintritt liess sich ein
Titerabfall (KBR: 20; MAT: 400) feststellen. Alle
Serologien wurden mit dem gleichen Ansatz analysiert.
Kommentar
Die Leptospirose ist eine durch Leptospira interrogans verursachte weltweite Zoonose. In der
Schweiz kommen immer wieder Fälle beim
Menschen vor. Die Dunkelziffer ist bei fehlender
Meldepflicht vermutlich hoch. Etwa 20 Serogruppen und über 200 Serovare von Leptospira
interrogans sind bekannt. Natürliches Reservoir
sind Nagetiere; einige Serovare werden durch
den Harn infizierter Tiere (verunreinigtes Wasser) übertragen. Hautläsionen und Konjunktiven
sind typische Eintrittspforten, die Infektion kann
jedoch auch durch die intakte Haut erfolgen; Infektionen via Ingestion oder Aerosol sind selten.
Angler, Wassersportler, Kanal- und Feldarbeiter
sind besonders gefährdet. Vermutlich hat sich
unser Patient an einem mit Leptospira interrogans kontaminierten Weiher über die rissige
Haut bzw. über die Konjunktiven infiziert. Bei
variabler Klinik sind die Anamnese und die
Kenntnis des Krankheitsbildes für die rasche
Diagnosestellung und Therapie von entscheidender Bedeutung. Der Leptospirennachweis gelingt
in bis zu 50% in Langzeitkulturen. Der Nachweis
in Urinkulturen (Ausscheidung von infektiösem
Harn) ist ab der zweiten Krankheitswoche bis zu
30 Tage nach Symptomfreiheit möglich, jedoch
nicht routinemässig verfügbar [1]. Die WHO
empfiehlt als Standard den Mikroagglutinationstest (MAT) [2]. Dieser erfordert vom Labor zur
Erregerdifferenzierung die ständige Präsenz
lebender Leptospirenserovare, die im Patienten-
D E R B E S O N D E R E FA L L
serum vorhandene IgG- oder IgM-Antikörper
spezifisch binden und agglutinieren. Wegen der
hohen Anforderungen gelingt dies nur in spezialisierten Laboratorien. Der ELISA ist eine vollwertige Alternative zum MAT, und auch die Komplementbindungsreaktion (KBR) ist als Suchtest
gut geeignet. Die PCR wird in der Diagnostik und
wahrscheinlich auch in der Virulenzabschätzung
eine zunehmend grössere Rolle spielen; heute ist
sie Referenz- und Forschungslaboratorien vorbehalten.
Der Krankheitsverlauf der Leptospirose ist
je nach Serovar bzw. je nach Abwehrlage des
Patienten variabel. Meist verläuft die Leptospirose oligosymptomatisch. Den klassischen
biphasischen Verlauf findet man in ungefähr
50% der Fälle. Nach einer Inkubationszeit von
2–20 Tagen klagen 75–100% der Patienten über
schlagartig einsetzendes Fieber, Myalgien, Zephalgien, Nausea, Vomitus, Diarrhoe, Arthralgien, Husten sowie über Hals- und Abdominalschmerzen. Die klinische Untersuchung ist
oft unspezifisch (Muskelverhärtungen, Hepatosplenomegalie, Lymphadenopathie, Pharyngitis,
Exantheme, abnorme Lungenauskultationsbefunde). Konjunktivale Suffusionen sind typisch.
Die zweite Krankheitsphase verläuft, als Ausdruck der Immunreaktion, meist anikterisch;
ein ikterischer Verlauf (Morbus Weil; 5–10% der
Fälle) wird oft durch die Serovare icterohaemorrhagiae und copenhageni verursacht. Eine hämorrhagische Diathese, eine nekrotisierende
Vaskulitis, eine hepatische und eine renale Dysfunktion gehen mit einer hohen Letalität einher.
Eine Leptospirennephritis mit histologischen
Veränderungen im Sinne einer interstitiellen
Nephritis mit tubulären Nekrosen tritt meist in
der zweiten Krankheitswoche auf. Mit einer passageren Dialysebehandlung ist die Prognose
günstig. Pulmonale Beteiligungen sind häufig.
Schwere Leptospirosen können mit Rhabdomyolyse, Myokarditis, Perikarditis, Herzinsuffizienz
mit kardiogenem Schock, ARDS, Meningitis oder
Enzephalitis assoziiert sein [3]. Die Angaben zur
Letalität schwanken in diesem Bereich zwischen
Forum Med Suisse 2006;6:858–859
859
20 und 50%. Differentialdiagnostisch müssen
andere Erkrankungen wie Malaria, Typhus,
Virushepatitiden, Rickettsiosen, Dengue- und
Hantavirusinfektionen abgegrenzt werden.
Der frühzeitige Beginn einer Antibiose ist entscheidend. Bei milden Verläufen nutzt man
peroral Amoxicillin (4x 500 mg/d), Ampicillin
(4x 500–750 mg/d) oder Doxycyclin (2x 100 mg/d).
In schweren Fällen wird eine intravenöse Therapie über sieben Tage empfohlen (Penicillin G
4x 1,5 Mio. E/d; Amoxicillin 4x 1 g/d; Doxycyclin
2x 100 mg/d).
Im von uns beschriebenen Fall wurde die klinisch erfolgreiche Therapie mit Imipenem bis
zum elften Tag beibehalten, da erst am neunten
Tag die Diagnose einer Leptospirose sicher feststand. Neue Untersuchungen zeigen, dass Imipenem, Makrolide und Ceftriaxon in vitro deutlich
potenter sind als die traditionellen Substanzen
[4]. Während der Schwangerschaft gelten Penicillin und Ceftriaxon als sicher. Auf Doxycyclin
sollte, wie auch bei Kindern, verzichtet werden.
Bei der Jarisch-Herxheimer-Reaktion wird nach
der Erstgabe von Antibiotika, vor allem von
Penicillin, gehäuft bei Spirochäten inklusive
Leptospirosen [5] ein Zellzerfall mit Toxinfreisetzung beobachtet. Die klinischen Symptome
umfassen Rigor, Fieber, eine Tachykardie und
eine Hypotension. Zytokine, insbesondere TNF-a,
IL-6 und IL-8, sind pathogenetisch beteiligt.
Beruflich gefährdete Personen sollten einfache
Schutzmassnahmen (Handschuhe, Hautpflege)
einhalten. Eine Chemoprophylaxe mit Doxycyclin (1x 200 mg/Woche) ist bei Militärangehörigen in Risikogebieten bzw. bei einer noch nicht
lange zurückliegenden Exposition indiziert. Eine
grundsätzliche aktive Immunisierung wird in
der Schweiz nicht empfohlen.
Danksagung
Die Autoren danken Herrn PD Dr. med. Lukas
Matter vom Institut Dr. Viollier AG, Basel, für die
Organisation der serologischen Diagnostik und
die wertvollen Hinweise hinsichtlich der Wertigkeit der Tests.
Literatur
Korrespondenz:
Prof. Dr. med. Markus Vogt
Medizinische Klinik
Zuger Kantonsspital
Artherstrasse 27
CH-6300 Zug
[email protected]
1 Kaufmann AF, Weyant RS. Leptospiraceae. In: Manual of
clinical microbiology, 6th ed. Washington, DC: ASM Press;
1995. p. 621.
2 Levett PN, Whittington CU. Evaluation of the indirect hemagglutination assay for diagnosis of acute leptospirosis. J Clin
Microbiol. 1998;36:11–4.
3 Dupont H, Dupont-Perdrizet D, Pere JL, Zehner-Hansen S,
Jarrige B, Daijardin JB. Leptospirosis. Prognostic factors
associated with mortality. Clin Infect Dis. 1997;25:720–4.
4 Murray CK, Hospenthal DR. Determination of susceptibilities
of 26 leptospira serovars to 24 antimicrobial agents by a
broth dilution technique. Antimicrob Agents Chemother.
2004;48:4002–5.
5 Friedland JS, Warrell DA. The Jarisch-Herxheimer reaction
in leptospirosis: possible pathogenesis and review. Rev Infect
Dis. 1991;13:1245–6.
Herunterladen