Nicht-epileptische-Anfälle-Erwachsene-78-E-2008

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Nicht-epileptische Anfälle bei Erwachsenen
Autor: Dieter Dennig, Facharzt für Neurologie, März 2008
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Plötzlich auftretende Störungen von Bewusstsein, unwillkürlichen Bewegungen oder subjektiven Veränderungen des
Befindens oder der Sinneswahrnehmungen sind keineswegs immer den Epilepsien zuzuordnen. Vielmehr kommen
dafür eine ganze Reihe anderer Erkrankungen in Betracht, an die beim ersten Auftreten solcher Symptome gedacht
werden muss. Da es sich z.T. um gut behandelbare Krankheiten handelt, die bei falscher Diagnose
lebensgefährliche Konsequenzen für den Patienten haben können, und andrerseits die fälschliche Diagnose einer
Epilepsie in der Regel zu unnötiger und langfristiger Einnahme von anitepileptischen Medikamenten führt, ist es so
wichtig, am Anfang zur richtigen Diagnose zu kommen. Dies gelingt dem Arzt meist schon dadurch, dass ihm der
Patient und seine Angehörigen oder Zeugen die Anfälle ausführlich und genauestens schildern und er den Patienten
gründlich untersucht. Die weiteren technischen Untersuchungen (z.B. Blutuntersuchungen, EKG, EEG,
Kernspintomographie des Gehirns) dienen der Absicherung der Diagnose. In schwierigen Fällen können auch
aufwendige und teure Untersuchungen wie Langzeit-EKG, Video-EEG-Monitoring, Schlafableitungen oder
Chromosomenuntersuchungen notwendig sein. Besonders schwierig ist die Diagnosestellung bei sehr seltenen
Ereignissen, die ohne Zeugen auftreten und bei denen der Patient selbst keine Erinnerung an das Vorkommnis hat.
Ohnmacht (Synkope)
Eine Ohnmacht wird durch eine plötzliche Minderdurchblutung des Gehirns ausgelöst. Dies kann bei manchen
Menschen schon durch langes Stehen oder Husten, bei anderen durch Schmerz, Blutentnahme oder den Anblick
von Blut ausgelöst werden. Es können sich aber auch lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen erstmals mit einer
Ohnmacht bemerkbar machen. Schwierig im Vergleich zu epileptischen Anfällen ist, dass Synkopen nicht selten
ganz ähnlich aussehen und genauso beispielsweise zu Stürzen, Verkrampfungen, Mundverletzungen und
Einnässen führen können; oft gehen aber typische Vorboten voraus, sie dauern kürzer und der Patient kommt
schneller wieder zu sich. Beim Verdacht auf Synkopen sind vor allem weitere Untersuchungen beim
Herzspezialisten und eventuell eine Kipptischuntersuchung wertvoll, um zur richtigen Diagnose zu kommen. Eine
Unterzuckerung beim Diabetes-Patienten ist meist durch die typischen Vorboten gut von epileptischen Anfällen zu
unterscheiden; allerdings können Herz- und Zuckerkranke nicht so ganz selten auch an einer Epilepsie erkranken.
Dissoziative Anfälle
Dissoziative Anfälle können allen anderen Arten von Anfällen sehr ähnlich sehen, sind aber nicht durch organische
Krankheiten, sondern durch (meist unbewusste) Konflikte und Ängste verursacht. Besonders schwierig ist dabei,
dass nicht wenige Menschen mit Epilepsie auch dissoziative Anfälle haben. Hier bedarf es einer besonders genauen
Analyse der Anfallsbeschreibung in allen ihren Einzelheiten und natürlich einer psychiatrisch-psychotherapeutischen
Mitbehandlung. Oft wird die Differentialdiagnose zu epileptischen Anfällen erst Jahre nach Krankheitsbeginn und im
Video-EEG-Monitoring gestellt.
Panikstörung
Bei Panikattacken wird der Patient manchmal ohne, gelegentlich durch spezifische Auslöser (Höhe, enger Raum)
von einem heftigen Angstgefühl überfallen, das mit Herzklopfen, Erstickungsgefühl, Schwindel und
Schweißausbrüchen einhergehen kann. Panikattacken erleben 15 % aller Menschen mindestens einmal im Leben,
oft ist auch hier eine weitere psychiatrisch-psychosomatische Behandlung erforderlich.
Plötzliche Stürze
Grund für plötzliche Stürze kann nicht nur ein epileptischer Anfall oder eine Synkope sein, sondern es gibt noch eine
ganze Reihe anderer Ursachen. So genannte Drop attacks sind durch plötzliches Hinstürzen meist älterer
Menschen gekennzeichnet, ohne dass Bewusstseinsstörungen auftreten, wahrscheinlich aufgrund von
Durchblutungsstörungen im Versorgungsgebiet der hinteren Gehirnarterien, die über die Halswirbelsäule zum
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Gehirn verlaufen. Kataplexie ist eine plötzliche Lähmung mit Hinstürzen ohne Bewusstseinsverlust, die bei
Patienten mit Narkolepsie (Schlafanfällen) z.B. durch plötzliches Lachen ausgelöst werden können. Häufiger treten
Stürze auch bei bestimmten anderen neurologischen Krankheiten wie den Parkinson-Syndromen auf und gerade bei
älteren Menschen, die alleine leben, ist es oft sehr schwierig im Nachhinein die Ursache eines Sturzes zu klären.
Hier wird gelegentlich eine Epilepsie als Ursache nicht diagnostiziert, obwohl wir wissen, dass epileptische Anfälle
sich im hohen Lebensalter sehr häufig erstmals zeigen können.
Schwindel, Migräne, Durchblutungsstörungen
Auch bei bestimmten Arten von Störungen des Gleichgewichtsorgans, von Migräne und von
Durchblutungsstörungen des Gehirns können Symptome auftreten, die nicht immer eindeutig von einfach fokalen
epileptischen Anfällen zu unterscheiden sind. Es kann sich z.B. um plötzlichen Drehschwindel, Sehstörungen oder
halbseitige Missempfindungen handeln. Selten kann dabei auch ein Hinstürzen oder Bewusstseinsverlust eintreten.
Die genaue Beschreibung des Ablaufes eines solchen Anfalles klärt die Diagnose aber in den meisten Fällen.
Amnestische Episoden
Bei diesen nicht so selten bei älteren Menschen auftretenden Ereignissen (auch transiente globale Amnesie
genannt) kommt es zu einem akuten Ausfall der Merkfähigkeit über Stunden. Die Patienten wirken ratlos, stellen
immer gleiche Fragen (z.B. „was mache ich hier?“) sind aber durchaus in der Lage, komplexe erlernte Tätigkeiten
wie Auto fahren weiter zu führen. Eine Ursache ist nicht bekannt und die Episoden wiederholen sich beim gleichen
Betroffenen nur sehr selten.
Anfallsartige Bewegungsstörungen
Wesentlich seltener sind – oft vererbte – Erkrankungen des Gehirns und der Muskulatur, die mit plötzlichen, aber
vorübergehenden überschießenden Bewegungen, Störungen der Bewegungs-koordination oder Lähmungen
(paroxysmale Dyskinesien, episodische Ataxien, episodische Lähmungen) einhergehen. Oft werden diese nicht mit
Bewusstlosigkeit einhergehenden Bewegungsstörungen durch bestimmte Faktoren wie plötzliche Bewegungen,
Kälte, Hunger oder Alkohol ausgelöst, sie können aber auch ohne Auslöser vorkommen.
Anfälle im Schlaf
Viele epileptische Anfälle treten im Schlaf auf. Nicht-epileptische Anfälle im Schlaf werden als Parasomnien
bezeichnet. Dazu gehören z.B. das Schlafwandeln, der Pavor nocturnus und die Einschlafzuckungen. Eine
Differenzierung ist manchmal erst durch eine Schlafableitung in einem Schlaflabor möglich.
Zusammenfassend müssen sich Arzt und Patient bei jeder Art von Anfällen genug Zeit nehmen, um zur richtigen
Diagnose und Therapie zu kommen. Trotz aller heutigen diagnostischen Möglichkeiten einschließlich Video-EEGMonitoring, Langzeit-EKG und Schlafableitungen kann es trotzdem manchmal unmöglich sein, eine sichere
Abklärung zu erreichen. Dann bleibt die Hoffnung, dass bei weiteren Ereignissen die Diagnose doch noch gesichert
und die richtige Therapie in die Wege geleitet werden kann. Schließlich ist es auch möglich, dass sich epileptische
und nicht-epileptische Anfälle bei ein und demselben Patienten einstellen und einer zweigleisigen Behandlung
bedürfen.
Webseiten zu nicht-epileptischen Anfällen nur unter der Verantwortung der Webseiteninhaber:
http://www.neuro24.de/synkope.htm Karl C. Mayer
http://www.swissepi.ch unter Epilepsie-info (Schweizerisches Epilepsiezentrum)
www.dgn.org Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Fachbücher
J. Bauer, Epilepsie, Nützliches zur Behandlung und Beratung, Steinkopff 2002, ISBN-Nr. 3-7985-1357-0
D. Schmidt, Chr. Elger: Praktische Epilepsiebehandlung, Thieme 2005, ISBN-N: 3131168234
B. Schmitz, B. Steinhoff, Epilepsien, Thieme 2005, ISBN-10-Nr. 3131335815, Taschenatlas
B. Schmitz, B. Tettenborn (Hsrg.): Paroxysmale Störungen in der Neurologie. Springer, 2005,
ISBN-10: 3540407898 ISBN-13: 978-3540407898
B. J. Steinhoff, Der Epilepsiepatient in der Praxis, ComMed-Healthcare 2005, ISBN- 3-905320-77-0
H. Stefan, G. Kurlemann, H.-J. Meencke, B. J. Steinhoff: Interaktiver Lehratlas Epilepsien, CD-Rom ISBN 313133641-2
Allgemeinverständliche Bücher
G. Krämer, Epilepsie von A – Z, med. Fachwörter verstehen, Trias 2005, ISBN 3-8304-3229-1
G. Krämer, Das große Trias-Handbuch Epilepsie, Trias 2005, ISBN 3-8304-3129-5
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Bettina Schmitz, Charité Berlin
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V.
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