POLITIK AMBULANTE SPEZIALFACHÄRZTLICHE VERSORGUNG Magen-Darm macht Beschwerden Foto: mauritius images Der Gemeinsame Bundesausschuss hat festgelegt, nach welchen Regeln Patienten mit gastrointestinalen Tumoren demnächst kooperativ versorgt werden können. Sorgen um einen unfairen Wettbewerb tauchen deshalb wieder auf. Kooperieren, nicht konkurrieren – dieses Ziel hat die ASV immer noch. Fachleute gehen davon aus, dass es eher nötig sein wird, immer mehr Krebskranke angemessen zu versorgen als den Markt aufzuteilen. A 332 er kann, der darf . . . behandeln ohne Mengen- und Budgetbegrenzung. Diese Hoffnung hegten manche, als die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) Gestalt annahm: Ärztinnen und Ärzte mit vorgegebener Qualifikation und technischer Ausstattung sollten in Teams Patienten mit seltenen Leiden oder Krebserkrankungen, die bisher regelmäßig an Sektorengrenzen gestoßen waren, kooperativer behandeln dürfen als bisher. Dafür sollte es keine Rolle mehr spielen, ob die Versorgung in der Praxis, im Medizini- W schen Versorgungszentrum (MVZ) oder im Krankenhaus stattfindet. Jetzt werden nach und nach die Regeln konkretisiert, nach denen die ASV ablaufen soll. Wie immer bei Neuerungen im Gesundheitswesen mischen sich Skepsis und Kritik mit Optimismus und Zufriedenheit. Im Dezember hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Konkretisierung für die Behandlung von Tuberkulose und Mykobakteriose herausgegeben. Nun hat er am 20. Februar festgelegt, nach welchen Regeln Patienten mit gastrointestinalen Tumoren und Tumoren der Bauchhöhle künftig in Kliniken und Praxen ambulant spezialfachärztlich versorgt werden können. Die Vorgaben gelten voraussichtlich von Juli an. „Mit dem Beschluss wurde die Blaupause für alle weiteren Anlagen zu onkologischen Erkrankungen geschaffen. Wir haben zudem Grundsatzentscheidungen, zum Beispiel zur Definition der schweren Verlaufsformen, getroffen und werden nun Zug um Zug nach diesem Muster alle weiteren Anlagen abarbeiten“, erläuterte Dr. med. Regina KlakowFranck, unparteiisches Mitglied im G-BA und Vorsitzende des zuständigen Unterausschusses. So stehe die Beratung zu gynäkologischen Tumoren auf dem Programm. Parallel dazu werde der G-BA die Beratungen zu den seltenen Erkrankungen fortsetzen. Mit dem Beschluss habe man sich auf einen sowohl für Krankenhäuser als auch für niedergelassene Spezialistinnen und Spezialisten akzeptablen „modus vivendi“ geeinigt, betonte Klakow-Franck. Seine Unzufriedenheit äußerte hingegen Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Der Beschluss stelle „einen herben Rückschritt“ dar, so Baum. „Vielen Tausenden Patientinnen und Patienten vornehmlich mit Darm- oder Magenkrebs wird dadurch die Möglichkeit der ambulanten Behandlung durch Krebsspezialisten in Krankenhäusern verwehrt.“ Hintergrund seiner Prognose: Nach den gesetzlichen Vorgaben dürfen im Rahmen der ASV nur solche Krebspatienten behandelt werden, bei denen die Krankheit schon fortgeschritten ist, einen schweren Verlauf genommen hat oder mit einer schlechten Prognose behaftet ist. Dies hat nach Darstellung von Baum zur Folge, dass Kliniken keine Verdachtsdiagnostik mehr durchführen dürfen, Begleiterkrankungen nicht mehr wie bisher mitbehandelt werden können oder die ambulante Nachsorge im Krankenhaus nicht mehr zulässig ist. Mehr Krankenhäuser können nun ambulant versorgen Baum räumte aber ein, dass es andererseits mehr Krankenhäusern als bisher möglich sein wird, ambulante spezialfachärztliche Leistungen für Krebspatienten zu erbringen. Zwar durften Kliniken nach den Vorgaben in Paragraf 116 b alt Sozialgesetzbuch V Krebspatienten auch ambulant behandeln, wenn deren Erkrankung noch keinen schweren Verlauf genommen hatte. Doch in zahlreichen Bundesländern, darunter Bayern und Baden-Württemberg, hatten die Landesregierungen den Krankenhäusern kaum Zulassungen erteilt. Sie erachteten entweder die ambulante Versorgung durch niedergelassene Fachärzte als ausreichend oder scheuten rechtliche Auseinandersetzungen um die Zulassungen. Die Regeln zur ASV sehen aber für die Zukunft ausdrücklich vor, dass jeder, der die Vorgaben erfüllt, die betroffenen Patienten behandeln kann. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 9 | 28. Februar 2014 POLITIK Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim Spitzenverband der Krankenkassen, kritisierte nach der G-BA-Sitzung die negative Einschätzung der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Von einem „Rückschritt“ zu sprechen, sei „unverantwortlich“. Auch sei es keine Idee der Krankenkassen gewesen, den Kreis auf Patienten mit schweren Verlaufsformen einzuschränken. Dies habe der Gesetzgeber vorgesehen. Ähnlich äußerte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (Kasten). Bei dieser Entscheidung spielte seinerzeit vor allem die Sorge eine Rolle, die Kosten für die ASV könnten aus dem Ruder laufen. Ernst genommen wurden zudem Bedenken, die ambulante fachärztliche Versorgung könne leiden, weil sich mehr und mehr Fachärzte dem neuen Bereich zuwenden würden, falls es dafür keine Mengen- und Honorarbegrenzungen gebe. Nicht nur im Anschluss an die G-BA-Sitzung, sondern auch bei einer Veranstaltung des Berufsverbands der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO) im Rahmen des Krebskongresses wurden die Konkretisierungen zur ASV kritisiert. So warnte der BNHO-Vorsitzende, Prof. Dr. med. Stephan Schmitz, vor einem ungleichen Wettbewerb um onkologische Patienten als Folge der ASV-Regeln. Schmitz verfolgt mit Argwohn die Geschäftspolitik vor allem großer Klinikkonzerne. Warum, das verdeutlichte er am Beispiel des Unternehmens Asklepios und seiner Präsenz in Ham- burg. Dort gehörten Asklepios neben zehn Kliniken 17 MVZ, in denen 67 angestellte Ärzte arbeiteten. Die Zahl der in Hamburg in Kliniken ambulant behandelten onkologischen Patienten stieg nach deren Öffnung für die ambulante Versorgung (116 b alt) von 79 000 Fällen im Jahr 2009 auf etwa 574 000 im Jahr 2012. „Die Expansion der Krankenhäuser in den ambulanten Bereich ist da“, warnte Schmitz. Keine Versorgung im Dienst von Aktionärsinteressen Fairer Wettbewerb? Nein, fand er: In der Klinik würden noch ganz andere Leistungen als in onkologischen Praxen für Krebspatienten erbracht und so die Wertschöpfungskette verlängert durch Chirurgie, Labor, Strahlentherapie und ande- „und zwar aus Sicht der Patienten“, erinnerte er. Und dass immer noch behauptet werde, die Vertragsärzte seien trotz aller Budgetgrenzen und Regulierungen freier in ihren ärztlichen Entscheidungen als Klinikärzte, das ärgerte Baum hörbar. „Eingrenzungen“ gebe es für alle, aber die Versorgung der Patienten sei dadurch nicht in Gefahr. Eher gelassen beurteilte auch Walter Plassmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg, die Wettbewerbssituation für Niedergelassene. Plassmann wies unter anderem darauf hin, dass die Kooperationspartner in den ASV-Teams persönlich benannt werden müssten. „Das Team besteht aus Menschen, nicht aus Kliniken oder Stationen“, betonte er. Damit soll Vertragsärzten die „Das Team besteht aus Menschen, nicht aus Kliniken oder Stationen. “ Walter Plassmann, KV Hamburg res. Deshalb seien Krankenhauskonzerne an der onkologischen Versorgung interessiert. Krebskranke wollten aber keine shareholder-value-geprägte Versorgung, sondern die beste Therapie von einem Arzt, dem sie vertrauten: „Ich glaube, dass es die beste Therapie und die besten Kümmerer bei den Vertragsärzten gibt“, betonte Schmitz. DKG-Geschäftsführer Georg Baum, der zur BNHO-Veranstaltung eingeladen war, ließ das nicht so stehen. Die ASV sei doch als Reaktion auf eine Versorgung entstanden, die nicht zufriedenstellend sei, KBV: ANGEBOT WIRD SICH VERBESSERN „Mit der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) wird sich das Behandlungsangebot von Krebspatienten in Deutschland weiter verbessern. Teams mit hochqualifizierten Vertrags- und Klinikärzten unterschiedlicher Fachrichtungen übernehmen die Behandlung der Patienten. Von einem ,Rückschlag’, wie die Deutsche Krankenhausgesellschaft behauptet, kann keine Rede sein“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Andreas Köhler. „Gott sei Dank benötigen nicht alle Patienten so eine umfassende ambulante Behandlung, weil der Tumor früh erkannt wurde oder nicht so aggressiv ist. Auch diese Patienten werden weiterhin ambulant behandelt“, stellte Köhler klar. Offen ist laut KBV noch, welche weiteren spezifischen onkologischen Leistungen die Ärzte im Rahmen der ASV durchführen und abrechnen dürfen. Die KBV fordert, auch Leistungen der Onkologie-Vereinbarung aufzunehmen. Daran arbeitet der Gemeinsame Bundesausschuss derzeit. Sorge genommen werden, aus den Praxen könnten sich nur erfahrene Fachärzte beteiligen, in den Kliniken aber beispielsweise auch Kollegen in Weiterbildung. Plassmann erinnerte zudem daran, dass Krankenhäuser mit niedergelassenen Kollegen kooperieren müssen. Selbst in einer Stadt mit einem so umfangreichen medizinischen Angebot wie Hamburg hält es der KV-Vorstand eher für unwahrscheinlich, dass Kliniken mit dazugehörigen MVZ die ASVVersorgung allein stemmen könnten: „So breit sind sie nicht aufgestellt.“ Auf einen Zukunftsaspekt verwies Thomas Ballast, Vorstand der Techniker-Krankenkasse: „Es ist eher die Frage, wie man alle Patienten versorgt bekommt, denn wie man den Markt aufteilt.“ Dass die ambulante Onkologie angesichts der Angebote aus dem stationären Bereich vor dem Aus stünde, davor müsse niemand Angst haben. Im Übrigen sei man im Gesundheitswesen, ähnlich wie im Sport, bekanntermaßen nicht schon deshalb erfolgreich, weil man viel Geld mitbringe: „Das Prinzip ,Geld schießt ▄ keine Tore’ ist übertragbar.“ Sabine Rieser Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 9 | 28. Februar 2014 A 333