Thema der Diplomarbeit Die Wirksamkeit der Reittherapie für psychisch kranke Menschen Diplomarbeit zur Diplomprüfung an der Fachhochschule Münster, Fachbereich Sozialwesen vorgelegt am 14.04.2009 von Rita Elisabeth Schulte Ystadsvägen 24 12149 Johanneshov/ Stockholm Schweden Matr.nr.:468022 Studiengang: Diplom Soziale Arbeit Betreuerin: Frau Dipl.-Päd., Dipl.-Soz.Päd. U. Grewe Zweitprüferin: Frau Dipl.-Soz.Päd. K. Zink Inhaltsverzeichnis 1 1. Einleitung................................................................................4 2. Psychische Erkrankungen und Störungen...........................7 3. Schizophrene Störungen ..................................................... 17 4. Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie .................... 25 4.1. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung........................................... 26 4.1.1. Du-Evidenz............................................................................ 29 4.1.2. Bindung ................................................................................. 31 4.1.3. Tiere als „Sozialer Katalysator“ ............................................. 32 4.1.4. Nonverbale Kommunikation .................................................. 33 4.1.5. Erklärungsansätze für die therapeutischen Wirkung der Beziehung zwischen Mensch und Tier ............................................ 34 5. Das Pferd als therapeutisches Medium .............................. 36 5.1. Der Bewegungsdialog auf dem Pferd ................................................ 37 5.2. Ganzheitliche Förderung durch den Therapiepartner Pferd .............. 41 5.3. Das Pferd im sozialen Kontakt mit dem Menschen ........................... 43 6. Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung zwischen Psychologie, Pädagogik, Medizin und Sport.......................... 47 6.1. Begriffsklärung .................................................................................. 50 6.2. Die fünf Formen des Therapeutischen Reitens ................................. 50 6.2.1. Füttern und Putzen der Pferde .............................................. 50 6.2.2. Das Longieren ohne Sattel.................................................... 51 6.2.3. Das Longieren mit Sattel ....................................................... 51 Inhaltsverzeichnis 2 6.2.4. Das Reiten in einer Gruppe von Reitern................................ 52 6.2.5. Das Ausreiten in der Gruppe................................................. 52 6.3. Ablauf einer Stunde innerhalb des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens ..................................................................................................... 53 6.3.1. Ankommphase ...................................................................... 53 6.3.2. Einfühlphase.......................................................................... 53 6.3.3. Aufwach- und Konzentrationsphase...................................... 54 6.3.4. Thematische Phase............................................................... 55 6.3.5. Ausklang ............................................................................... 55 6.4. Indikation und Kontraindikationen für das Therapeutische Reiten mit psychisch kranken Menschen .................................................................. 57 7. Der Einsatz der Methode Reittherapie innerhalb der Soziotherapie............................................................................ 58 8. Psychotherapeutisches Reiten als Methode in der Behandlung chronisch psychisch kranker Menschen .......... 61 8.1. Studie des Isar-Amper-Klinikum München ........................................ 64 8.2. Aufbau der Studie.............................................................................. 65 8.3. Thesen .............................................................................................. 66 8.4. Therapeutisches Setting.................................................................... 66 8.4.1. Beobachtung freilaufender Pferde......................................... 66 8.4.2. Körperliche Berührung .......................................................... 67 8.4.3. Körperkontakt ........................................................................ 67 8.4.4. Aktive Auseinandersetzung................................................... 67 8.4.5. Gemeinsamkeit ..................................................................... 67 8.4.6. Gruppentherapie ................................................................... 68 Inhaltsverzeichnis 3 8.4.7. Kombination von anderen Therapiemethoden ...................... 68 8.5. Methodisches Vorgehen.................................................................... 68 8.6.Ergebnisse zur der Veränderung der Psychopathologie .................... 72 8.7.Ergebnisse zur der Veränderung der Minussymptomatik ................... 72 8.8. Ergebnisse der gesamten Studie ...................................................... 73 9. Fazit ....................................................................................... 75 10. Abbildungsverzeichnis ...................................................... 80 11. Literaturverzeichnis ........................................................... 81 12. Internetquellenverzeichnis ................................................ 86 Einleitung 4 1. Einleitung Hat der Einsatz von Tieren für therapeutische Prozesse tatsächlich eine besondere Wirkweise oder handelt es sich nur um eine Modeerscheinung in der Therapielandschaft? Hat das Tier Ersatzfunktion oder eigene Qualität? Dies wollte ich im Rahmen meiner Diplomarbeit herausfinden. Durch meinen Kontakt zu Tieren, insbesondere zu Pferden bot sich das Thema Reittherapie und dessen mögliche Wirkungen an. Ich dachte, dass die mehr als zwanzig Jahre anhaltende Erfahrungen mit Pferden und dem Voltigieren und Reiten mit Kindern und Jugendlichen mir ein gutes Grundwissen zu dieser Thematik gegeben hatte. Während eines Praktikums in einem reittherapeutischen Betrieb lernte ich die vielen „kleinen und großen Begegnungen“ mit dem Pferd wieder neu zu schätzen. Der Umgang mit dem kommunikationsfreudigen Wesen Pferd brachte mir die analoge, nonverbale Kommunikation wieder näher. Interaktionsmöglichkeiten mit dem Pferd, die für mich schon längst zur Routine geworden waren, rückten wieder in den Vordergrund. Auch die einzigartige Möglichkeit des Reitens, des SichTragen-Lassens auf Auseinandersetzung dem mit Pferd dem erschloss Thema und sich der mir durch die Beobachtung von Erwachsenen und Kindern mit verschiedensten Störungen völlig neu. Berichte von chronisch psychisch kranken Menschen, die mit Pferden reittherapeutischen Kontakt hatten, eröffneten mir neue Wege der Betrachtung und Wahrnehmung von „Spüren und Kontakt mit dem Pferd“ als therapeutisches Medium. Der Einsatz von Tieren für therapeutische Zielsetzungen gewinnt in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung - speziell der therapeutische Einsatz von Pferden. Insbesondere Sozialarbeiter und Sozialpädagogen betreuen, als Reittherapeuten im Heilpädagogischen Reiten und Voltigieren ausgebildet, Menschen aller Altersstufen mit dem Medium Pferd. Dementsprechend bietet sich hier für Sozialarbeiter und Pädagogen durch das Therapeutische Reiten ein attraktives Feld sich in diesem Rahmen Einleitung 5 selbstständig zu machen oder im Anschluss an Kliniken der Psychiatrie und Rehabilitation neue Berufswege zu finden. Unter dem Begriff heilpädagogisches Reiten und Voltigieren werden pädagogische, psychologische, psychotherapeutische, rehabilitative und soziintegrative Angebote mit entsprechender Konzeption und Zielsetzungen ermöglicht. Zielgruppen des Therapeutischen Reitens sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit verschiedenen Behinderungen und Störungen. Im Vordergrund der Therapie steht nicht das Erlangen besonderer reiterlicher Fähigkeiten, sondern die individuelle Förderung über das Medium Pferd. Dies beinhaltet die Beeinflussung der Motorik, der Wahrnehmung, des Lernens, des Befindens und Verhaltens. In dieser Arbeit geht es speziell um die Zielgruppe der erwachsenen Menschen mit psychischen Störungen, die sich bereits chronisch manifestiert haben. Langzeitpatienten mit psychischen Störungen, insbesondere der Schizophrenie können durch die therapeutische Arbeit mit dem Pferd in besonderer Art und Weise erreicht werden. Denn der Kontakt zu einem Lebewesen birgt einen hohen Aufforderungs- und Motivationscharakter. Zum einen bringt das Pferd und seine Umgebung für viele Menschen ein völlig unbekanntes Umfeld, fern von der Alltagswelt, mit sich und zum anderen die nötige Struktur durch die immer gleiche Abfolge an Tätigkeiten, wie das Füttern und Pflegen des Pferdes, sowie das Reiten und Voltigieren auf dem Pferd und das anschließende Versorgen des Tieres. Für den Klienten wird eine planvolle und begründbare sinnvolle Aufgabe in einem therapeutischen Setting geschaffen, bei der er unter Anleitung in einem geschützten Rahmen neue Fertigkeiten und Fähigkeiten ausprobieren und erlernen kann. Das Medium Pferd in der Therapie spricht den Klienten in ganzheitlicher Art und Weise an. Durch den Umgang mit dem Pferd werden visuelle, olfaktorische, taktile, kinästhetische Sinne und auch emotionale und soziale Fähigkeiten trainiert. Zu dem mobilisiert ein Pferd auch gesunde Ängste. Hier entsteht die Chance diese Ängste im therapeutischen Prozess aufzugreifen und mit ihnen zu arbeiten. Der Klient erlebt durch den Prozess Berührungsängste abzubauen, die Bewältigung einer Situation. So können gesunde Ich-Anteile gestärkt und Selbstwert erfahren werden. Allerdings ist bei der Anwendung des Pferdes eine Grundbereitschaft des Klienten zum Umgang mit Pferden Einleitung 6 erforderlich. Auch sollten nur entsprechend geeignete und speziell ausgebildete Therapiepferde eingesetzt werden. Durch die Möglichkeiten der Umgebung des Pferdes kann ein Heranführen schrittweise erfolgen, in dem sich der Klient zunächst nicht mit dem Pferd, sondern mit Arbeiten um das Tier herum, wie Ausmisten und Füttern beschäftigt. In dieser Arbeit geht es insbesondere um die mögliche Wirkung der Reittherapie auf psychisch kranke Langzeitpatienten. Zunächst wird daher auf die psychischen Erkrankungen und Störungen, besonders die Schizophrenie, eingegangen. Des Weiteren werden kurz Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit dem psychisch kranken Menschen angesprochen. Im Anschluss an das Kapitel der psychischen Störungen wird, um den Ansatz der Therapie mit Tieren nachvollziehen zu können, zunächst auf die Wirkweise von Tieren im Allgemeinen eingegangen. Hier werden zunächst die Entwicklung der Tiergestützten Therapie, und im Anschluss daran die Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung, erörtert. In diesem Abschnitt soll die Besonderheit von Tieren in der Therapie verdeutlicht werden, denn ohne die Möglichkeit des Beziehungsaufbaus zwischen Mensch und Tier wäre die Therapie mit dem Tier als Medium nicht möglich. Zum Ende des vierten Kapitels werde ich auf die Erklärungsansätze der Wirkungen des Tieres auf den Menschen eingehen. Hier wird deutlich, warum man statt des lebendigen Tieres nicht genauso gut ein „Kuscheltier“ einsetzen kann. Im Kapitel fünf werden die Zielsetzungen und Förderungsmöglichkeiten mit dem Pferd beschrieben. Und insbesondere warum gerade das Pferd als Medium der Therapie geeignet ist. Im Kapitel sechs werden speziell die Methode der Reittherapie und ihre Anwendungsbereiche und Kontraindikationen aufgegriffen. Und anhand von exemplarischen Abläufen die Vorgehensweisen im Therapeutischen Reiten beschrieben. Die Kapitel sieben und acht gehen auf die Methodik der Reittherapie innerhalb der Sozio- beziehungsweise Sozialtherapie und der Psychotherapie ein. Im Therapeutischen Reitens Weiteren anhand von werden die empirisch Wirkweisen des erhobenen Studien dargestellt. Diese Studien wurden von Frau Scheidhacker und Kollegen in der Psychiatrie des Isar-Amper-Klinikums erstellt. Da es in dem Gebiet des Psychische Erkrankungen und Störungen Therapeutischen Reitens kaum 7 Evaluationen gibt, habe ich eine psychotherapeutische Auswertung in die Arbeit gebracht, deren Aspekte jedoch auch für die Soziotherapie herangezogen werden können. Eine klare Abgrenzung von Reittherapie als Methode in der Sozial- und Psychotherapie ist kaum möglich, da Seele, Körper und soziales Verhalten sich gegenseitig bedingen und entwickeln. 2. Psychische Erkrankungen und Störungen Bezogen auf die Einteilung und Darstellung psychischer Störungen und geistiger Behinderung soll einführend verdeutlicht werden, dass Menschen, die erkennbar andersartig sind durch die Reaktionen ihrer Mitmenschen, die Zuschreibung „psychisch krank“ oder „geistig behindert“ erlangen. Durch diesen Prozess werden sie zu bestimmten Techniken „gezwungen“ um den Kontakt zur sozialen Umwelt zuhalten. Dies beinhaltet oft komplizierte Strategien, um sich innerhalb der Gesellschaft Anerkennung, gleich welcher Art zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund sollen die folgenden Definitionen psychischer Störung und geistiger Behinderung verstanden werden. Nach Dörr wird der klinische Krankheitsbegriff als organische Dysfunktion mit charakteristischem klinischem Erscheinungsbild, morphologischem Befund und zeitlichem Verlauf definiert (2005, S. 18ff). Diese Betrachtungsweise bezeichnet Krankheit lediglich als körperliche Funktionsstörung und kann damit dem Phänomen einer psychischen Erkrankung/Störung nicht gerecht werden. Psychische Störungen sind komplexer zu betrachten, da sie im Vergleich zu rein körperlichen Erkrankungen sehr viel mehr von sozialen, persönlichen, intrapsychischen und interpsychischen Faktoren beeinflusst werden. Dies bedeutet für die Therapie und Rehabilitation eine breitere Ausrichtung auf „krankmachende“ soziale Faktoren und übergeordnete Ziele im Sinne einer Schaffung von Lebensfreude und Lebensqualität. Psychische Krankheit beziehungsweise Störung kann nur „unter Einbeziehung der gesellschaftlichen Lebenspraxis gänzlich zu begreifen sein. Jede Krankheit ist durch ihren Doppelcharakter als organischer Prozess und spezifische soziale Lebensform bestimmt“ (Dörr, 2005, S.21). So weist auch Psychische Erkrankungen und Störungen 8 Scheidhacker im Hinblick auf die Erfassbarkeit psychischer Störungen auf eine multikausale Sichtweise hin: „Die psychiatrischen Krankheitsbilder zeigen in ihrer Vielfalt und bezüglich ihrer Genese eine Multikausalität, die eine mehrdimensionale Sichtweise die der Diagnosestellung, Behandlungsweg und Behandlungsziel notwendig macht“ (Scheidhacker, 1998, S. 12ff). Psychische Störungen sind durch Beziehungsprobleme zwischen Individuum, seiner Umwelt und seinen Mitmenschen gekennzeichnet. Das innere Wachstum des Menschen vollzieht sich nicht rein durch die Beziehung des Menschen zu sich selbst, sondern vielmehr in Beziehung zu seiner Umwelt. Der Mensch als bio-psychosoziales Wesen ist in seiner Entwicklung entscheidend von seiner Umwelt abhängig, dies beinhaltet positive Aspekte der Förderung psychischer Resilienz1, aber auch „krankmachende“ Prozesse, die die Entstehung psychischer Störungen begünstigen können. Diese Sichtweise trifft insbesondere für die Entwicklung in der frühen Kindheit zu, in der weiteren Entwicklung trägt der Mensch mehr und mehr Verantwortung für sein eigenes Handeln und Tun. Für die komplexen Ursachen und die Entstehung psychischer Erkrankung und Störung scheint eine ganzheitlichere Betrachtungsweise angebrachter zu sein. Auf der Grundlage, dass psychische Erkrankung immer auch eine Störung des Individuums zu sich selbst und seiner Umwelt beinhaltet, werde ich im Weiteren in Anlehnung an Dörr, den Terminus psychische Störung verwenden. Eine Einführung in die häufigsten psychiatrischen Krankheitsbilder soll an dieser Stelle Überblick geben, welche Faktoren im Hinblick auf das Therapeutische Reiten zu beachten sind. Psychosen Psychosen bestehen aus einer dauernden oder zeitlich begrenzten Abweichung in der Wahrnehmung und im Erleben der Umwelt. Dazu können halluzinatorische Episoden, wie akustische und/ oder taktile Halluzinationen, 1 Resilienz beschreibt die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen. Psychische Erkrankungen und Störungen 9 inhaltliche und formale Denkstörungen und Störungen in Affekt und Stimmung gehören. Man unterscheidet schizoaffektive Psychosen, die ein Mischbild zwischen affektiven und schizophrenen Störungen aufweisen und akute organische Psychosen (gekennzeichnet durch Verwirrtheit, Delir und Dämmerzustand und Bewusstseineintrübung). Letztere kann sich auch chronisch manifestieren und mit Persönlichkeitsveränderungen einhergehen. Der Verlauf der Psychose ist meistens mehrphasisch und rezidivierend. Die Prognose der Psychose ist in der Regel günstiger als bei der Schizophrenie. Persönlichkeitsstörungen Jeder Mensch zeichnet sich durch für ihn wesentliche Persönlichkeitsmerkmale aus. Störungen in der Persönlichkeit beschreiben Extremvarianten einer bestimmten seelischen Wesensart, also starke Ausprägungen von bestimmten Persönlichkeitszügen. Persönlichkeitsstörungen allein stellen keine psychiatrische Erkrankung dar. Erst durch ihre Folgeerscheinungen kann es zur Entwicklung einer behandlungsbedürftigen Störung kommen. Als ein Beispiel für Persönlichkeitsstörungen sei hier die Borderline-Störung genannt. Hauptmerkmal dieser Persönlichkeitsstörung sind affektive Labilität und Impulsivität. Als Borderline-Störung wird ein Beschwerdebild bezeichnet, dass neurotische, psychotische und Symptome von Persönlichkeitsstörungen umfasst. Charakteristisch sind die „Stabilität der Instabilität“ (Vetter, 2007, S. 131), Unklarheiten hinsichtlich des eigenen Selbstbildes, ein chronisches Gefühl der inneren Leere, Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen mit der Folge von emotionalen Krisen mit Suiziddrohungen oder selbstschädigenden Handlungen. Hinzu kommen übertriebene Bemühungen, Verlassen werden zu vermeiden und starke Gefühlsumschwünge. Laut Vetter versteht man unter Borderline Grenzfälle, die zwischen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Psychosen angesiedelt werden können (2007, S. 156ff). Psychische Erkrankungen und Störungen Psychoreaktive Störungen 10 (Belastungs- und Anpassungs- störungen) und Neurosen „Der Mensch als eine Art Ganzes im Wechselspiel zwischen Körper, Seele und Umwelt, reagiert sowohl auf innere Spannungen aus Körper und Seele, als auch auf äußere Einflüsse aus der Umwelt“ (Vetter, 2007, S. 85). Neurosen sind durch Gleichgewichtsstörungen, seelische die Krisen seelische verursachte, psychische körperliche Krankheits- und erscheinungen hervorrufen können. Neurotische Wesenszüge kann jeder Mensch dauernd und/ oder zeitweise haben. Krankheitswert bekommen die Neurosen erst durch den erhöhten Leidensdruck, den immer wieder durchlebte Konflikte auslösen können. So sind die Übergänge fließend zu den Belastungs- und Anpassungsstörungen, denen ähnliche Ursachen zu Grunde liegen. Man unterscheidet psychoreaktive Störungen in Belastungsund Anpassungsstörungen. Zu psychoreaktiven Veränderungen nach traumatischen Ereignissen kommt es auch beim gesunden Menschen. Die Anpassungsstörungen umfassen jedoch Symptome, die über eine normale zu erwartende Reaktion hinausgehen. Nach ICD-10 (International Classification of Disease, herausgegeben von der WHO) werden die Belastungs- und Anpassungsstörungen nach Art, Schwere und Dauer der ursächlichen Belastung, sowie nach Art und Ausmaß der reaktiven Symptomatik unterschieden. Die Belastungsstörung ist gekennzeichnet durch äußere Konflikte, wie zum Beispiel traumatische Erfahrungen2 und kann einhergehen mit reaktiven Depressionen, „Flashbacks3“, Angst- und Panikreaktionen. In folge dessen können mit „Explosivreaktionen“ massive Emotionen wie Wut, Eifersucht, Misstrauen und/ oder Scham ausgelöst werden. Diesen folgen häufig 2 Traumatische Erfahrungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie unsere Verarbeitungsfähigkeit übersteigen. Sie gehen einher mit den Gefühlen der Ohnmacht, Todesangst und Hilflosigkeit (vgl. Reddemann, 2006, S. 57ff). 3 Flashbacks (Nacherlebnisse) sind Angst besetzte Erinnerungszustände (Intrusionen), die in Form von Alpträumen auftreten. Sie lösen oft heftige körperliche Reaktionen aus, als befände man sich wieder in der traumatischen Situation (vgl. Reddemann, 2006, S. 57ff). Psychische Erkrankungen und Störungen 11 psychosomatischer Körperreaktionen. Eine Form der Belastungsstörung ist zum Beispiel die „Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)“, die unmittelbar oder verzögert (Wochen oder Monate) nach einem äußeren traumatischen Ereignis (Unfall, Todesfall) eintritt. Die Anpassungsstörung ist eine Reaktion auf innere Konflikte. Durch lang anhaltende innere Konfliktsituationen kann eine Persönlichkeitsveränderung entstehen, die mit neurotischen Symptomen einhergeht (vgl. Reddemann, 2006, S. 50ff). Durch in das Unbewusste abgedrängte psychotraumatische Situationen können seelische Neurosen4, wie Angstneurosen, Phobien, Essstörungen, neurotische Depressionen (zum Beispiel bipolare Störungen) und Zwangsneurosen entstehen. Zudem können auch Neuroseformen mit überwiegend körperlichen Symptomen, wie Konversionsneurosen5 und Mischformen, wie Herzneurose6, Hypochondrien (siehe auch psychosomatische Erkrankungen) auftreten. Schwer traumatisierte Menschen leiden häufig unter erheblichen Symptomen. Dies äußert sich häufig in unkontrollierten Widererlebungen der traumatischen Situationen, so genannten „Flashbacks“ (vgl. Heintz, 2005, S. 64ff). Dabei werden die traumatischen Situationen mit allen dazu gehörenden biophysischen und emotionalen Reaktionen, wie Angst, Panik und Erregungszuständen immer wieder aufs Neue erlebt. Diese längst zurückliegenden Ereignisse werden durch bestimmte „Trigger“ (Auslöser), wie Gerüche oder Geräusche, die mit der traumatischen Situation verknüpft sind, ausgelöst. Dies kann zu Folge haben, dass Kognition, emotionales Erleben und Körperempfindungen abgespalten und voneinander getrennt werden und (vorläufig) nicht mehr integrierbar sind. Es treten 4 Aus tiefenpsychologischer Sicht entstehen Neurosen durch innere, unbewusste, ungelöste Kindheitskonflikte und können durch kritische Ereignisse ausgelöst werden (vgl. Vetter, 2005, S. 87ff). 5 Konversion bedeutet, dass ein seelischer Konflikt in körperliche Symptome so umgesetzt wird, dass die Symptome den Konflikt in symbolischer Form zum Ausdruck bringen und die Psyche dadurch Entspannung erfährt (vgl. Vetter, 2005, S. 109ff). 6 Die Herzneurose ist nach Vetter (2005) gekennzeichnet durch eine attackenartig auftretende kardiale Symptomatik. Die Klienten haben das Gefühl, einen Herzinfarkt zu bekommen und die Angst einen Herztod zu erleiden. Psychische Erkrankungen und Störungen Bewältigungsmechanismen 12 Depersonalisation7 der und Dissoziation (Abspaltungen) auf. Aus einem für den Menschen nicht integrierbarem Trauma kann sich Anpassungsstörung als dessen entwickeln. Folge „Diese eine ist Belastungs- gekennzeichnet und durch Abweichung der Reaktion im Verhältnis zum Anlass“ (Vetter, 2005, S. 86). Diese stark normative Kategorisierung sei hiermit in Frage gestellt, denn jeder Mensch weißt eine individuelle Vulnerabilität (Verletzbarkeit) auf, in Folge dessen auch traumatische Ereignisse von Mensch zu Mensch unterschiedliche Intensität aufweisen. Zusammenfassend ist zu sagen, dass traumatische Ereignisse eine Vielzahl an Bewältigungsstrategien (Copingstrategien) auslösen können, die auch pathologische Ausmaße annehmen können (vgl. Reddemann, S. 50ff). Im Sinne einer Traumabewältigung sollte in der Therapie zunächst eine Stabilisierung des Klienten im Vordergrund stehen. Eingebettet in eine zuverlässige therapeutische Beziehung werden imaginative Techniken entwickelt, die dem Klienten helfen sollen, traumatische Bilder, die ihn drohen „zu überfluten“, zu kontrollieren (vgl. Heintz, 2005, S. 65ff). Auf Grundlage einer „inneren traumatherapeutische Traumaexposition, Sicherheit“ Intervention, mit dem Ziel des Klienten, es möglich die eigentliche der Reintegration von Emotionen, ist durch gezielte Kognitionen und Körperempfindungen, anzustreben. Dies ist ein langwieriger Prozess, der spezifische traumatherapeutische Kenntnisse des Therapeuten erfordert. Psychosomatische Störungen Seelische Krankheit oder seelisches Leid drücken sich in Formen körperlicher und/ oder seelischer Symptome aus. Psychosomatische Störungen oder Somatisierungsstörungen sind körperliche Erkrankungen, denen eine psychische Ursache zugrunde liegt. 7 Depersonalisation beschreibt eine Form der Ich-Störung, bei der das „Ich und die Welt“ unwirklich erscheinen. Der Betroffene kommt sich selbst als verändert, unwirklich und fremd vor (Vetter, 2001, S.119ff). Psychische Erkrankungen und Störungen Die Somatisierungsstörung zeichnet 13 sich durch multiple körperliche Symptome aus, die mindestens über zwei Jahre anhalten (ICD 10). Trotz negativer somatischer Befunde halten die Betroffenen an der körperlichen Ursache der Störung fest. Man unterscheidet psychosomatische Störungen in Formen der Hypochondrie und somatoforme Funktionsstörungen. Die hypochondrische Störung geht mit der Angst einher, ernsthaft körperlich krank zu sein oder zu werden, ohne tatsächlich physisch krank zu sein. Bei den anhaltenden autonomen Funktions- oder Schmerzstörungen treten vegetative Symptome auf. Charakteristisch sind: Herzrasen, Schweißausbrüche, Brustschmerzen, Kurzatmigkeit und Durchfälle, wobei keine Hinweise auf organische Ursachen zu finden sind (vgl. Hell, 2003, S. 143ff). Die Schmerzstörungen sind ebenfalls durch nicht erklärbare quälende Schmerzen in Kopf und Rücken charakterisiert. Psychosomatosen sind „als Folgezustände anhaltender vegetativer Spannungen zu verstehen“ (Vetter, 2007, S. 115). Sie stellen eine primäre Reaktion auf konflikthaftes Erleben dar. Die Therapie liegt in der Symptomlinderung und Psychotherapie. Mit gezielter Psychotherapie können frühere traumatische Situationen als auslösende Faktoren erarbeitet und verstanden werden. So können im Verlauf des Therapieprozess in körperliche Symptome abgespaltene Konflikte innerhalb der Psyche wieder reintegriert und verarbeitet werden. Abhängigkeit Die WHO definiert Abhängigkeit folgendermaßen: „Es handelt sich um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- und kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz oder einer Substanzklasse für die betroffene Person Vorrang hat gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher bewertet wurden“ (1992, S. 85). Man unterscheidet in Abhängigkeit von Stoffen, wie Drogen und Alkohol, sowie Abhängigkeiten, wie Spielsucht und Arbeitssucht. Menschen mit Abhängigkeitsproblemen verfügen häufig nicht mehr über die Fähigkeit einer hinreichenden Selbstkontrolle. Insbesondere bei stoffgebundenen Abhängigkeiten erfolgt die Einnahme psychisch hochwirksamer Substanzen mit dem Ziel die Entzugssymptome zu Psychische Erkrankungen und Störungen 14 vermeiden oder zu mindern. Für den Körper hat dies zur Folge, dass sich eine gesteigerte Toleranz entwickelt, das heißt, es müssen immer höhere Dosierungen erreicht werden, um die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Damit verbunden ist nicht nur die psychische und physische Bindung an eine Substanz, sondern auch häufig ein sozialer Abstieg (vgl. Dörr, S. 73ff). Trotz spürbarer physischer, psychischer und sozialer Folgen wird der Konsum nicht eingestellt. Durch dauerhaften Konsum von Suchtmitteln kann die chronische Vergiftung des Körpers zu bleibenden physischen Schäden führen. Insbesondere Gehirn und Nervensystem werden durch den Abusus von Drogen oder/ und Alkohol geschädigt. Dies kann auch mit einer dauerhaften Persönlichkeitsstörung einhergehen. Nach Scheidhacker besteht häufig bereits eine Störung in der Beziehungsfähigkeit, bevor es zu einer Abhängigkeit kommt (1998, S. 13). Ursachen, die in die Abhängigkeit führen können, sind vielfältig: Aus einer aktuellen Belastungs- und Konfliktsituation heraus, aus einer Selbstwert- beziehungsweise Identitätsproblematik oder bei Problematiken des familiären Umfelds (zum Beispiel suchterkrankte Elternteile) und der Verfügbarkeit und dem Abhängigkeitspotential des jeweiligen Suchtmittels Der Konsum von Drogen kann als „narzisstische Ersatzbefriedigung und als Kompensation eines strukturellen Mangels“ (Scheidhacker, 1998, S. 13) beschrieben werden. Bei vielen abhängigen Menschen finden sich komorbide psychische Erkrankungen, wie Angststörungen oder Depressionen. Der Substanzmissbrauch kann auch als eine Art „Selbstheilungsversuch“ (Heller, 2003, S. 73) verstanden werden. Die Therapie von Menschen mit Süchten gleich weder Art ist oft langwierig und verstrickt, da sich häufig durch die jahrelange Sucht komplexe Problematiken im psychischen, physischen, sozialen und ökonomischen Bereich ergeben haben. Nach Phasen des Entzugs, der Entwöhnung und Stabilisierung, bedarf es einer gezielten Nachsorge und Rehabilitation. Psychische Erkrankungen und Störungen 15 Depression Es ist nicht einfach, im Falle einer Stimmungsveränderung gesund und krank voneinander abzugrenzen. Nicht jede Niedergeschlagenheit ist behandlungsbedürftig. Im Falle einer echten Depression über einen längeren Zeitraum ist eine Behandlung erforderlich, da eine unbehandelte manifeste Depression lebensbedrohlich werden kann. Leitsymptome der Depression sind: Freudlosigkeit, Bedrücktheit, Antriebslosigkeit und Interesselosigkeit. Menschen mit Depression sind häufig entscheidungsunfähig, extrem nachdenklich und unruhig. Sie empfinden unbestimmte Angst oder Angst vor dem Alltag (vgl. Heller, 2003, S. 115ff). Körperliche Symptome wie eingeschränkte Motorik, Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, diffuses Druck- und Schweregefühl des Körpers können in massiver Form auftreten und bei Nichtbehandlung zu völliger Bewegungsstarre führen. Der psychische und physische Leidensdruck kann mit Selbstmordgedanken einhergehen, die zum Suizid führen können. Bei schweren Ausprägungen der Erkrankung können die erkrankten Menschen keinerlei Gefühle mehr empfinden, sie sind unfähig zu weinen oder traurig zu sein. Es besteht eine große Müdigkeit, Energiemangel und eine allgemeine Verlangsamung. Die Lebensqualität ist massiv eingeschränkt. Die Ursachen sind komplex: Es kann eine genetische Disposition vorliegen, Veränderungen in der Neurotransmitteraktivität des Gehirnstoffwechsel oder andere physische Ursachen, sowie psychische Faktoren (wie nicht verarbeitete Traumata). Die Depression kann auch als Begleitsymptom verschiedener psychischer Störungen, zum Beispiel der Schizophrenie, auftreten. Die Therapie erfolgt in akut suizidalen Phasen stationär, im Falle einer leichten bis mittelschweren Depression ambulant. Bei mittelschweren bis schweren Depressionen werden Psychopharmaka eingesetzt. Auch ist in der Regel eine begleitende Psychotherapie stützender Art induziert. Insbesondere der Aufbau und die Stützung des Selbstwertgefühles sind erforderlich, da depressive Menschen häufig dazu neigen, die in der Depression erlebte Blockade als Beweis ihres eigenen Versagens zu nehmen. Die Depression kann sich in verschiedene Unterformen gliedern. Ein Beispiel ist die bipolare affektive Störung Psychische Erkrankungen und Störungen 16 (Manische Depression), bei der sich Phasen der Erregung und Phasen der Niedergeschlagenheit abwechseln. Manische Episoden können sich über Wochen und Monate steigern oder akut beginnen. Die manischen Phasen sind durch Sprunghaftigkeit in den Gedanken, Logorrhoe (Reden ohne Unterlass), Ideenflucht, gesteigerte Ablenkbarkeit und Selbstüberschätzung gekennzeichnet. Der Antrieb der Menschen ist extrem gesteigert und geht einher mit fehlender Krankheitseinsicht, distanzloser Kontaktaufnahme und häufig auch mit finanzieller Verschuldung der Klienten durch extreme Einkäufe. Den manischen Phasen folgen depressive Episoden der Antriebslosigkeit und Bedrücktheit (vgl. Heller, 2003, S. 115ff). Geistige Behinderung Eine Geistige Behinderung zeigt sich durch ein Defizit in der Aneignung gesellschaftlich vorgegebener Alltagsstrategien, Bedürfnisse und Fähigkeiten. Durch die Abweichung des Verhaltens eines Menschen mit geistiger Behinderung von der Mehrheit der Gesellschaft wird die geistige Behinderung erst als solche zu geschrieben. Im Grunde sind es vielmehr andersartige Verhaltensstrategien, mit denen ein Mensch Handlungsfähigkeit erlangen und behalten möchte, die das Phänomen geistige Behinderung als solche beschreiben (vgl. Dörner, 2005, S. 70ff). Die Ursachen für eine geistige Behinderung sind vielfältig. Sie kann durch eine angeborene oder erworbene nachweisbare Schädigung des Gehirns (zum Beispiel Missbildung, Geburtsverletzung, Unfall, Intoxikation, Tumor, Vergiftung) entstehen. Bei einer nachweisbaren Hirnschädigung ist eine Heilung und Wiederherstellung oft nicht mehr möglich. In der Regel besteht eine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten, die auch mit Intelligenzminderung verbunden sein kann. Nach DSM 48 wird eine geistige Behinderung wie folgt definiert: Als deutlich unterdurchschnittliche allgemeine Intelligenz, die einhergeht mit eingeschränkter Anpassungsfähigkeit und sich vor dem achtzehnten Lebensjahr manifestiert. Die Minderung der kognitiven 8 Internationales Manual zur Klassifizierung von Erkrankungen der WHO. „Vorläufer“ der ICD 10 Einteilung. Schizophrene Störungen 17 Fähigkeiten ist auch in Kombination mit anderen psychischen oder physischen Störungen zu finden. Es lässt sich also festhalten, dass es sich bei der geistigen Behinderung um einen mehr oder weniger großen definitiven irreparablen Schaden des Gehirns handelt, der für die Betroffenen bedeutet, dass sie im Alltag mehr oder weniger Hilfe und Unterstützung benötigen. Es soll hier verdeutlicht werden, dass allein durch die Tatsache, das jeder Mensch in seiner Entwicklung verschiedene subjektive Erfahrungen macht, er im Vergleich mit anderen in seinen Möglichkeiten als eingeschränkt gesehen werden kann. Erst durch vergleichende Betrachtung und Bewertung wird die Grenze zwischen Behinderung und Nichtbehinderung gezogen (vgl. Dörner, 1999). Aufgrund der Thematik in dieser Arbeit: „Der Wirksamkeit der Reittherapie bei chronisch schizophrenen Menschen“, wird im Folgenden die Schizophrenie ausführlicher dargestellt. 3. Schizophrene Störungen Die Schizophrenie ist eine der schwerwiegendsten seelisch–geistigen Störungen. Nach ICD 10 und DSM 4 bestehen die Hauptmerkmale in einer Mischung charakteristischer Zeichen und Symptome (sowohl positiver als auch negativer Art), die für eine erhebliche Zeitspanne während eines Monats (oder für eine kürzere Spanne, im Falle einer erfolgreichen Behandlung) Bestand haben. Die Schizophrenie manifestiert sich in akute und/ oder chronische Erkrankungsphasen, in der Regel mit einer unterschiedlichen Symptomatik. Während bei der akuten Schizophrenie die „positiven“ Symptome überwiegen, stehen beim chronischen Verlauf die „negativen“ Symptome im Vordergrund. „Positive Symptome“ sind Wahn, Halluzinationen, Zerfahrenheit, erhöhte Erregbarkeit, sowie Störungen der Psychomotorik. Die Positivsymptomatik umfasst Phänomene, die beim Gesunden nicht vorhanden sind. Die „Negativsymptomatik“ kann als Fehlen von Funktionen und Aspekten der Psyche, (Antrieb, Lebenslust) zusammengefasst werden, die bei einem gesunden Individuum in der Regel Schizophrene Störungen 18 anzutreffen sind, jedoch nicht so ausgeprägt. Unter anderem Symptome wie Affektarmut, Aufmerksamkeitsstörungen, Antriebslosigkeit und Freud- losigkeit. Die Schizophrenie kann als die ständige Angst vor der Auflösung des Selbst, als Zerbrechen jeglichen Ich-Gefühls beschrieben werden. Ursachen Die Ätiologie schizophrener Störungen ist unklar. Ursachen sind letztendlich nicht eindeutig erklärbar, es ist jedoch eine Prävalenz im Zusammenhang mit soziologischen, genetischen und biologischen Faktoren zu beobachten. Die Lebensgeschichte und Manifestation der schizophrenen Störung ist geprägt von einer Reihe an Kränkungen und Schwächungen eines ohnehin erhöht verletzlichen Menschen. Dabei ist die zwischenmenschliche Interaktion fundamental gestört. Durch fehlende protektiver9 Faktoren, wie zum Beispiel der Resilienz10 wird die Entstehung von psychischen Störungen begünstigt. Eine mögliche Erklärung für die höhere Verletzlichkeit bestimmter Menschen bietet Antonovskys Konzept der Salutogenese (1997): Antonovsky prägte den Begriff „Sense of Coherence“ (Kohärenzgefühl), gekennzeichnet durch die drei Komponenten der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und der Sinnhaftigkeit bezogen auf die Art wie das Individuums sein eigenes Leben empfindet und einordnet. Das Kohärenzgefühl drückt also aus in welchem Maße ein Mensch zuversichtlich auf sein Leben blickt, dass es für ihn, in (welcher Form auch immer) Sinn macht zu leben und er sein Tun und Handeln als zu bewältigen und zu verstehen erlebt. Dieser Ansatz der Gesundheitsforschung gibt Aufschluss darüber, warum einige Menschen in 9Protektive Faktoren sind sichere soziale Bindungen, Bewältigungsmechanismen und die psychische Widerstandsfähigkeit, die vor der Entstehung psychischer Störungen schützen. 10Durch ein Fehlen der psychischen Widerstandsfähigkeit (Resilienz), sowie geeigneter Copingstrategien (Bewältigungsmechanismen), wird die Vulnerabilität des Menschen erhöht und die Prävalenz für psychische Störungen begünstigt. Forschungsarbeiten zur Resilienz, der psychischen Widerstandskraft, ergaben, dass Menschen, deren Resilienz ausgeprägter ist, mit traumatischen Ereignissen und gravierenden Lebenskrisen konstruktiver umgehen können und somit weniger prävalent für psychische Störungen sind. Schizophrene Störungen 19 tiefe Krisen „rutschen“ und andere, trotz ähnlich schwerer Umstände gesund bleiben. Ein ähnliches Erklärungskonstrukt für die Entstehung psychischer Störungen ist das Vulnerabilitäts-Stress-Modell. In Anlehnung an die Praxis steht in diesem Modell die erhöhte Verletzbarkeit einer Person im Sinne einer Verminderung der Anpassungsfähigkeit gegenüber Belastungen (Stressoren) im Mittelpunkt (vgl. Heller, 2003, S. 103ff). Auf Grund der verminderten Verarbeitungskapazität können psychosoziale Belastungen dann psychische Krisen auslösen. Symptome Die Symptomatik schizophrener Störungen ist vielfältig, aus diesem Grund werde ich mich auf die Hauptsymptome beschränken. Die Grundsymptome der Schizophrenie sind nach Bleuler (Vetter, 2007, S. 411): Störungen des Gedankenganges (Assoziationslockerungen), Affektstörungen11, Ambi- valenzen, Autismus und Störungen des subjektiven Erlebens der eigenen Persönlichkeit. Hinzu können so genannte akzessorische Symptome wie Sinnestäuschungen, Wahnideen, katatone Symptome12 und Auffälligkeiten von Sprache und Schrift Mutismus (Stummheit), Neologismen (Wortneuschöpfungen) und „Danebenreden“ kommen. Störungen von Sprache und Denken Man unterscheidet zwischen inhaltlichen und formalen Denkstörungen. Die Denkzerfahrenheit kann durch verschiedenste Ausprägungen gekennzeichnet sein. Als besondere Manifestation der Denkzerfahrenheit seien hier zu nennen: Der Begriffszerfall, das heißt die Begriffe verlieren ihre feste Bedeutung und ihre scharfe Abgrenzung. Die Kontamination, die Verschmelzung heterogener Sachverhalte. Die Substitution, meint den Ersatz von geläufigen Begriffen durch abstruse andere. 11 Affektstörung: Es treten Affekte auf, die dem gegenwärtigen Denk- und Erlebensinhalt nicht entsprechen oder entgegengesetzt sind. 12 Katatonie bezeichnet psychomotorische Störungen. Diese sind gekennzeichnet durch extreme Schwankungen der Erregungszustände des schizophren erkrankten Menschen. Schizophrene Störungen 20 Durch diese Deviationen des Denkens erscheinen die sprachlichen Äußerungen der an Schizophrenie erkrankten Menschen unbestimmt, verschwommen und teilweise bizarr. Störungen der Affektivität Affektivität umfasst verschiedenste Aspekte, diese beeinträchtigen die Stimmungen und Gefühle in unterschiedlicher Form. Die Affektverflachung schizophren erkrankter Menschen zeigt sich an Auffälligkeiten, wie der Gefühlsleere und der geminderten emotionalen Ansprechbarkeit. Dabei gehören inadäquate Affekte zu den Grundsymptomen der Schizophrenie, hierbei stimmen der aktuelle Gefühlsausdruck und die aktuelle Kommunikation nicht überein. Der Mensch erscheint gleichgültig, depressiv gegenüber Belanglosem und amüsiert zum Beispiel bei der Schilderung „grausiger“ Inhalte. Dazugehörend ist die Paramimie, bei der Gestik und Mimik von der eigentlichen Stimmung abweichen. Die Negativsymptomatik der Schizophrenie umfasst die „Affektiven Störungen“ laut ICD 10 folgendermaßen: Starrer Gesichtsausdruck, Verminderung der Spontanbewegungen, Verarmung der Ausdrucksbewegungen, mangelnder Blickkontakt, inadäquater Affekt, Anhedonie (die Unfähigkeit Lust und Freude zu empfinden) und Depression. Halluzinationen Nach Cutting treten akustische Halluzinationen etwa bei 50%, visuelle bei 15% und taktile bei 5% der an Schizophrenie erkrankten Menschen auf. Dies umfasst Phänomene wie Ich-Störungen, bei denen die eigenen seelischen Vorgänge als von anderen gelenkt oder kontrolliert erlebt werden (In: Berger, 1999, S. 413). Die „Einheit des Ichs“ ist dabei aufgehoben, die intrapsychischen Vorgänge sind in Ich-hafte und Ich-fremde Anteile gespalten. Dies trifft insbesondere für die Vorgänge des Denkens, des Willens und des Antrieb zu (vgl. Vetter, 2007, S. 424ff). Zum Beispiel kann sich dies im Hören von dialogischen Stimmen oder kommentierende Stimmen äußern, also einer akustischen Halluzination. Auch können Gedanken laut werden, das heißt der betreffende Mensch spricht seine Gedanken laut aus, ohne dies zu bemerken. Auch wahnhafte Schizophrene Störungen 21 Vorstellungen der leiblichen Beeinflussung, der Gedankeneingebung des Gedankenentzugs und der Ausbreitung können auftreten. Hinzu können Wahnwahrnehmungen mit optischen, taktilen und oder akustischen Halluzinationen auftreten. Olfaktorische und gustatorischen Halluzinationen treten selten auf. Verlauf der Schizophrenie Der Beginn der Störung kann akut oder schleichend sein. Bei einem schleichenden Beginn im Vorfeld der Psychose13 sind bestimmte Frühwarnsymptome festzustellen. Diese gehen einher mit Gefühlen des Nichtfassbaren, Wahnstimmungen, unheimlichen Vermutungen, diffuser Veränderung der Außenwelt, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, emotionaler Verstimmung. AntriebsDer und Verlauf der Erkrankung kann kontinuierlich oder episodisch erfolgen, das heißt die Episoden können schubweise oder wellenartig auftreten. Der Verlauf der Schizophrenie lässt sich durch die so genannte Drittregel einordnen: Bei einem Drittel der Erkrankten heilt die Schizophrenie folgenlos aus, bei einem Drittel ist mit Rückfällen zu rechnen und bei einem Drittel ist mit beträchtlichen und schweren Dauerdefekten zurechnen (vgl. Vetter, 2007, S. 238ff). Die Prognose für einen günstigen Verlauf lautet: Je akuter und stärker die Psychose einsetzt, bei vorheriger guter sozialer Einbindung und bei Nachweis eines auslösenden Ereignis, sowie frühzeitiger adäquater Therapie, desto besser stehen die Heilungschancen. Bei einem schleichenden Beginn mit fehlendem auslösenden Ereignis und mangelnder sozialer Einbindung ist die Prognose sehr viel schlechter (Scheidhacker, 1998, S.25ff). 13 Die Psychose ist eine Störung im „strukturellen Wandel des Erlebens“, der vielfältige Ursachen im psychosozialen und biogenetischen Bereich zugrunde liegen können, wie zum Beispiel massive Traumata, unsichere Bindungserfahrungen, psychische Erkrankungen in der Familie, Drogen –oder Alkoholkonsum, sie tritt häufig als Begleiterscheinung der Schizophrenie auf. Schizophrene Störungen 22 Therapie Vereinfacht gesagt, liegt bei der Erkrankung ein Ungleichgewicht im Neurotransmittersystem vor. Hier setzt die medikamentöse Therapie durch die Gabe von Neuroleptika an. Auf die medikamentöse Therapie werde ich hier nicht näher eingehen, es sei jedoch erwähnt, dass die Pharmakotherapie immer auch eine Reihe von Nebenwirkungen, wie zum Beispiel motorische Störungen wie etwa eine „verwaschene“ Sprache, vegetative Symptome mit sich bringt. Die Behandlung der Schizophrenie erfolgt in der Regel interdisziplinär. Das heißt innerhalb einer Trias von medikamentöser, psychotherapeutischer und soziotherapeutischer Verfahren. Zur medikamentösen Therapie kommen psychotherapeutische Verfahren, wie die kognitive Verhaltenstherapie14 Psychoedukation15, Training sozialer Kompetenzen, Empowerment- strategien16, Familientherapie, psychoanalytische Verfahren. Hinzu kommen eine Reihe alternativer Therapieformen, wie zum Beispiel Körpertherapie, gestalttherapeutischen Verfahren (Kunst-, Musik- und Maltherapie)17, Bewegungstherapie oder das Therapeutische Reiten. In der akuten 14 „Die Verhaltenstherapie ist ein Verfahren der Psychotherapie, bei dem Verhalten und Erleben durch störungsspezifische und übergreifende Verfahren konkret und operationalisiert modifiziert werden“(vgl. Psychrembel, 2007). 15 Psychoedukative Ansätze gehen von dem Grundgedanken aus Patienten und Angehörige zu befähigen in schwierigen Situationen mit der Erkrankung besser umgehen zu können. Mittels gezielter Aufklärung und Informationsgabe sollen der psychisch erkrankte Mensch und seine Angehörigen lernen, Frühwarnsymptome und die Krankheit selbst besser einzuschätzen und ein gesundendes Umfeld zu schaffen. Ziel ist die Förderung der Autonomie des Patienten und seiner Angehörigen. 16 Empowerment setzt nicht an den Defiziten, sondern an den Ressourcen des Menschen an. Durch Stärkung von Kompetenz und Autonomie der Betroffenen sollen diese befähigt werden, mittels Aktivierung von Selbsthilfekräften, wie Selbstwert und aktiver Gestaltungskraft, sich selbst zu helfen. Empowermentstrategien können auf vielfältige Weise genutzt werden, zum Beispiel für Stadtteilprojekte, zur Gesundheitsförderung. Die Ressourcenorietierung entspricht einer Grundhaltung in der Sozialen Arbeit. 17 Bei den Gestalttherapeutischen Maßnahmen mit psychisch Kranken ist Vorsicht geboten, da zum Beispiel die freie Maltherapie die Gefahr des Realitätsverlusts und das „Abdriften“ in den Wahn fördern kann. Schizophrene Störungen 23 Krankheitsphase ist zunächst eine medikamentöse Therapie erforderlich, die die Symptome lindert, nach den Erkrankungsursachen sucht und den weiteren Behandlungsweg den individuellen Bedürfnissen des Patienten anpasst. In der Regel erfolgt bei akuten Krisen eine stationäre Aufnahme in psychiatrischen Krankenhäusern, bei akuter Eigen– oder Fremdgefährdung in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie. Für Menschen mit chronischen Formen der Schizophrenie erfolgt in der Regel die Unterbringung in Formen des betreuten Wohnens. Im ambulanten Bereich kann durch eine Vernetzung, zum Beispiel durch den Sozialpsychiatrischen Dienst mit anderen Berufsgruppen, eine Unterstützung für den psychisch kranken Menschen aufgebaut werden. Therapeutischer Umgang mit psychisch kranken Menschen Im Folgenden wird das Wort Patient durch Klient ersetzt. Es handelt sich hierbei um die Zielgruppe der chronisch psychisch kranken Erwachsenen. Psychische Erkrankungen haben vielfältige Ursachen und Auswüchse. Es kann für ihre Ätiologie jedoch fast immer eine Störung in der Beziehungsfähigkeit angenommen werden. Hier liegt die Chance mit dem Therapiepartner Pferd neue Wege der Selbsterfahrung innerhalb der Beziehungsfähigkeit kennen zulernen. Im Umgang mit paranoid – halluzinatorischen Klienten sollten Konflikte über die Realität vermieden werden. Mit einer akzeptierenden Grundhaltung gegenüber der Wahnidee des Klienten kann der Therapeut darauf hinweisen, dass er selbst die Wirklichkeit anders sieht als der Klient. Es empfiehlt sich den Klienten von seinem Wahn-Thema abzulenken, indem das Gesprächsthema auf andere Inhalte geleitet wird. Wichtig ist hier die gesunden Persönlichkeitsanteile zu fördern und alles, was das Misstrauen des Klienten erregt zu vermeiden. Generell gilt nach Vetter im Umgang mit Menschen mit schizophrenen Störungen gleich welcher Symptomatik: Klare Strukturen, ausgewogenes Schizophrene Störungen 24 Nähe-Distanz-Verhältnis, Stärkung der gesunden Ich-Anteile und Vermeidung von Unter- und Überstimmulation (2007, S. 213ff). Die Arbeit mit dem Pferd innerhalb des Therapeutischen Reitens kann, wie im späteren Teil der Arbeit anhand von Studien dargestellt, auf Menschen mit psychischen Störungen der Schizophrenie, im positiven Sinne wirksam sein und eine Alternative zur üblichen Therapiemethodik darstellen, die gerade für chronisch psychisch Kranke neue Förderungsmöglichkeiten bietet. In der Akutphase der Störung, bei denen keinerlei Kontakt mehr zur Realität besteht und Krankheitssymptome überwiegen, ist das Therapeutische Reiten kontraindiziert, da die Gefahr, dass der Klient in sein Wahn-Thema „abgleiten“ könnte, zu groß ist. Außerhalb dieser Akutphasen kann das Therapeutische Reiten über die körperlich erlebte Leistungsfähigkeit und Effizienz des eigenen Tuns eine Stärkung der Ich-Anteile fördern (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 14ff). Lerninhalte, die über das Pferd vermittelt werden, fördern zielgerichtetes Denken und Handeln. Über die Wahrnehmungsschulung für konkrete sensorische Reize des Tieres kann Realitätsbezug hergestellt werden. Genauso sollte im Umgang mit Menschen mit Borderline-Störungen oder anderen Persönlichkeitsstörungen umgegangen werden. Es sollte alles vermieden werden, was die relativ gesunden Anteile schwächt. Klare Strukturierungen der jeweiligen Situation, sowie Realitätsbezug und Ich-Grenzen des Klienten sollten gestärkt werden. Die oft konträren Erwartungen an den Therapeuten, zum Beispiel extrem misstrauisch oder extrem idealisierend, sollten durch strikte Grenzsetzung, bei gleichzeitiger sachlich akzeptierender Grundhaltung gegenüber dem Klienten, kontrolliert werden. Nach Scheidhacker können im Therapeutischen Reiten Pferde und Therapeuten zunächst idealisiert werden, allerdings scheint durch eine „echte emotionale, archaische Berührtheit durch das Pferd die Entwertung des Objekts (als Folge der Idealisierung) nicht zum absoluten Abbruch zu führen, sondern durch immer wiederkehrende korrigierende Erfahrungen in einer realitätsbezogenen Beziehungs-Mittellage ein- zupendeln“ (1998, S. 15). Bei den Belastungs- und Anpassungsstörungen eignet sich das Therapeutische Reiten hervorragend durch seine explizit körperorientierten Selbsterfahrungsanteile, die den sensorisch-vegetativen Prozess die Reintegration von Traumata fördern können. Bei den Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 25 „Psychosomatischen Störungen“ ist therapeutisch gesehen ein in Frage stellen der Beschwerden zu vermeiden. Die Symptome, gleich welcher Ursache, werden von dem Menschen erfahren ob sie tatsächlich ärztlich nachweisbar sind oder nicht. Der therapeutische Schwerpunkt liegt in der Symptomlinderung und Verbesserung der Lebensqualität. Die Therapie mit dem Pferd bietet hier ein gutes Medium, da unterdrückte Gefühle bewusst gemacht werden und durch den Kontakt mit dem Tier neue Wege der Selbsterfahrung und Verwirklichung entstehen die mittels der Körpererfahrungen auf dem Pferd integriert werden können. Durch die realitätsbezogene Aufwertung der psychischen Struktur innerhalb des Therapeutischen Reitens kann eine Erfolg versprechende Therapie ermöglicht werden. 4. Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie Zu allen Zeiten war die Beziehung von Mensch und Tier ein Anstoß für die eigene Entwicklung. So entwickelte sich das Tier, neben seinen ökonomischen und kulturellen Diensten für den Menschen, auch zum Partner für Ansprache und Zuwendung. Der Einsatz von Tieren für therapeutische Zwecke geht weit in die Geschichte zurück. Bereits in der Antike wurde von der heilenden Wirkung des Tieres berichtet. Im 8. Jahrhundert empfahl Hildegard von Bingen: „Gib dem Menschen einen Hund und er wird gesund!“. Der Einsatz von Tieren in größeren Anstalten wird erstmals im 18. Jahrhundert in einer Anstalt für Geisteskranke der Quäker in New York dokumentiert (Wenz, 2007, S.2ff). Ursprünglich kommt die Therapie mit Tieren aus dem angelsächsischen Raum (in den USA pet fascilitated therapy (PET) oder animal assisted therapy (AAT) genannt) und gelangte von dort nach Europa. In Deutschland sind seit dem 19. Jahrhundert systematische Versuche der Haltung von Tieren zu therapeutischen Zwecken dokumentiert. Zum Beispiel in der Einrichtung Bethel in Bielefeld (vgl. Mc Culloch, 1988, S. 26). Zunächst basierten diese Versuche Menschen mit Tieren zu therapieren nur auf Vermutungen und Erfahrungswerten, die wissenschaftliche Erforschung der Wirkung von Tieren folgte erst später. Ende der 70er Jahre Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie des letzten Gerontologen Jahrhunderts und gründeten Psychologen aus 26 Mediziner, den USA Verhaltensforscher, und England eine Gesellschaft, die sich für die Forschung der Mensch-Tier-Beziehung einsetzte. Ihre Forschungen ergaben das Tiere nicht den Therapeuten ersetzen, aber dennoch in der Behandlung unterstützend und begleitend wirksam sein können. Sie können Impulse für einen heilenden Prozess im Menschen anbahnen. Tiere in der Therapie werden in der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit in vielfältigen Wirkungsbereichen eingesetzt. Zum Beispiel das Pferd in den Bereichen der Heilpädagogik als erlebnispädagogische oder (schul)sportliche Maßnahme mit Schulklassen, verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen. Das Pferd im Bereich des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens als Gruppenmaßnahme der Soziotherapie für Menschen mit psychischer und/ oder geistiger Behinderung. Auch andere Tiere, wie Hund, Lama, Alpaka und Esel, können von der Arbeit mit alten Menschen bis hin zur forensischen Resozialisierung eingesetzt werden. In den letzten Jahren sind im sozialen Bereich die therapeutische Nutzung von Tieren in fast allen Bereichen angeboten worden. Zunächst werde ich in dieser Arbeit auf Tiergestützte Therapien und deren Wirkweisen eingehen, um einen allgemeinen Einblick in die Tiergestützte Therapie zu geben. Im Weiteren werde ich speziell die therapeutische Arbeit mit dem Pferd und psychisch chronisch kranken Menschen erläutern. 4.1. Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung Der Mensch ist in seiner Entwicklung von den Wechselwirkungen mit anderen Menschen abhängig. Insbesondere die Beziehungsfähigkeit scheint ein wesentlicher Faktor für eine gesunde Entwicklung zu sein. Ist ein Mensch in seiner Beziehungsfähigkeit zu anderen Menschen belastet, so können Störungen entstehen, die sich negativ auf den Menschen auswirken und zum Kontaktabbruch führen können. Hier ermöglicht die Begegnung mit dem Tier einen neuen Zugang für den betroffenen Menschen. Das Tier begegnet dem Klienten in der Regel auf unvoreingenommene Weise. Es macht keinen Unterschied zwischen Aussehen, körperlicher Gesundheit oder Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 27 verbalen Fähigkeiten, es nimmt Nichts persönlich und ist nicht nachtragend. „In der Begegnung mit dem Tier erfahren wir fast bedingungslose Akzeptanz und Zuneigung, etwas was wir in der Begegnung mit dem Mensch nicht so einfach voraussetzen können“ (Otterstedt, 2001, S. 10). Die Begegnung mit dem Tier besitzt Beziehungsqualität und kann sich, in der Regel positiv, auf die Lebensqualität auswirken. In der freien Begegnung mit dem Tier, soweit der Klient dem zustimmt, kann ein Kontakt geschaffen werden, der Emotionen und Impulse für die Heilung anspricht. Dies geschieht im Sinne einer ganzheitlichen Anregung des Menschen auf physiologischer und psychologischer Ebene. Das Tier wirkt nicht rein biochemisch oder instrumentell auf kranke Organe oder den Organismus. Auch kann das Tier allein nicht heilen. Es ist kein Therapeut. Dennoch kann seine therapeutische Wirksamkeit durch die heilsame Möglichkeit von Beziehung zu stande kommen. Es stärkt in erster Linie das Gefüge von Beziehungen zwischen der Person und ihrer belebten Umgebung. Nach einer Studie der Universität Bonn (1992) können Tiere eine wirksame Prävention auf physiologischer und psychologischer Seite, vor allem in Verbindung mit Herz- und Kreislauferkrankungen, Erkrankungen des Bewegungsapparates, psychosomatischen Erkrankungen, kindlichen Verhaltens- und Entwicklungsstörungen, Neurosen und Psychosen sein. Die Studie ergab, dass Tiere zwar keine spezifische Wirkung auf ein Organ ausüben können, aber durch ihre positive Wirkung auf den Lebensstil eines Menschen protektiver Faktor vor Erkrankungen aller Art sein können. Diese Wirkung scheint in der jeweiligen Beziehung zwischen Mensch und Tier zu Grunde zu liegen. In wie weit das Tier den Menschen dabei „versteht“, beschäftigt die Soziologie schon lange. Kann das Tier tatsächlich verstehen oder macht es für den Menschen nur den Anschein als ob, und liegt darin die „heilende“ Wirkung? Zwischen Tier und Mensch ist eine artübergreifende Kommunikation möglich. Der Mensch spricht ein Tier an, dieses kann über die Körpersprache und Intonation der Stimme wahrnehmen, wie der Mensch ihm gegenüber gesonnen ist. Es „versteht“ nicht den Inhalt einer Botschaft. Dennoch kann es lernen, dass verschiedene Tonfrequenzen bestimmte Aufforderungen enthalten. In der Kommunikation mit dem Menschen reagiert es also auf Körpersprache und Stimmlage. Der amerikanische Mediziner Mc Culloch Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 28 beschreibt den Effekt des Tieres mit der Anreizung zum Lachen und Spielen, dieses Verhalten setzt beim Menschen bio-chemische Reaktionen, wie zum Beispiel die Ausschüttung des Glückshormons Endorphin, im Organismus in Gang (1983, S. 33). In den USA untersuchte die Soziologin Friedmann mit ihren Kollegen Katcher und Lynch die Überlebenschancen von Herzinfarktpatienten nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus Zunächst war die Studie fernab der Mensch-Tier-Beziehung ausgelegt (1979, In: Greiffenhagen, 2007, S. 32). Sie sollte soziologische Genesungsfaktoren verdeutlichen und dabei ausschließlich den menschlichen Kontext evaluieren. Nach Aussage der Ärzte waren die Heilungschancen für alle zweiundneunzig Patienten ähnlich. Friedmann ging von der Vermutung aus, dass soziale Bindung und die Anzahl und Intensität sozialer Kontakte einen positiven Einfluss auf die Gesundung der Patienten haben. Nach ausführlicher Evaluation der Krankengeschichte, der Lebensverhältnisse und der sozialen Bezüge, sowie der Begleitung der Patienten über den Zeitraum von einem Jahr, wurden Ihre Vermutungen bestätigt: Menschen mit schwachen sozialen Bindungen genesen schlechter und sterben früher. Dies war bei vierzehn Menschen der Fall, die innerhalb des ersten Jahres nach dem Infarkt verstarben. Was jedoch verblüffte, war die Tatsache, dass Menschen, die ein Haustier (unabhängig davon, ob Hund, Katze, Fisch oder Vogel) hatten, dabei signifikant bessere Chancen hatten, den Herzinfarkt langfristig zu überleben. Weitere Überprüfungen der Hypothese, ob dieser Personenkreis andere Persönlichkeitsmerkmale, intensivere Bindungen, weniger körperliche Risikofaktoren oder ökonomisch bessere Chancen hatte, ließen sich innerhalb der Friedmann Studie an der University of Maryland nicht bestätigen. Die auf Erfahrungswerten beruhende These, dass Tiere sich positiv auf die Lebensqualität auswirken und damit die Genesung der Herzinfarktpatienten fördern wurde erst Jahre später wissenschaftlich untermauert (vgl. Greiffenhagen, 2007, S. 33ff). In Studien über die physiologisch-psychologischen Wirkungen von Hunden und Aquarienfischen auf den Menschen konnte bestätigt werden, dass Tiere Blutdruck senkende und damit Stress reduzierende Wirkung haben. Mittels ihrer bloßen Anwesenheit geben sie den meisten Menschen Vertrauen und Sicherheit. Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 29 Die Wirkung von Tieren auf den Menschen erreicht scheinbar alle seelischen, geistigen und körperlichen Ebenen. So schafft der Körperkontakt mit einem Tier durch Streicheln oder Umarmen Wärme und Nähe, ohne die Schwierigkeiten der verbalen Sprache. Für viele Menschen mit Beziehungsstörungen ist dies eine der wenigen Möglichkeiten körperlichen Kontakt zu zulassen oder zu spüren. Tiere sorgen für Entspannung, nicht nur indem sie von eigenen Problemen ablenken. Sie unterstützen vielmehr den Kontakt zum „Hier und Jetzt“, zur Gegenwart. Des Weiteren konnte nachgewiesen werden, dass insbesondere lebende Objekte stärker ablenken als starre Objekte. Und auch physiologische Reaktionen der Stressreduktion konnten mittels Messungen von Herztätigkeit und Blutdruck nachgewiesen werden. Aber auch, wer mit dem Tier spricht zeigt eine Reihe von stereotypen Veränderungen in seinem Gesicht und Stimme. So wird das Gesicht entspannter, insgesamt lässt die Muskelspannung nach. Die Stimmlage wird höher und das Sprechmuster in kurze Wortabschnitte eingeteilt, die oft fragend formuliert werden (vgl. Greiffenhagen, 2007, S. 30ff). „Das Tier versteht, in dem es nicht versteht“ (Greiffenhagen, 2007, S. 30ff). Diese verwirrende Aussage beschreibt eine besondere Eigenschaft im Umgang mit dem Tier. Zum Beispiel fühlt das Tier die Niedergeschlagenheit eines Menschen ohne diesen dafür zu verurteilen. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier bleibt frei von Wertungen und verläuft hauptsächlich in analoger Form. Diese Aspekte sind wesentlich für die therapeutische Nutzung des Tieres für den Menschen. Ein weiterer Faktor für die therapeutisch einsetzbare Wirkung eines Tieres ist dabei die Beziehungsfähigkeit zwischen Mensch und Tier, man bezeichnet sie als Du-Evidenz. 4.1.1. Du-Evidenz Die Du-Evidenz bezeichnet die menschliche Gewissheit, dass ein Tier eine eigene Persönlichkeit hat. Im Dialog mit unserem Gegenüber, in diesem Fall dem Tier, kann eine Beziehung vom „Es“ zum „Du“ erfolgen. In der Begegnung mit dem Tier ist der Mensch in der Regel bestrebt eine Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 30 gemeinsame Kommunikationsebene zu finden. Dies kann nonverbal oder verbal stattfinden. Durch die Reaktion des Gegenübers, hier des Tieres, erfährt der Mensch ein Gefühl des Angenommenwerdens, was frei ist von Ich- bezogenen Zweifeln und Ängsten (vgl. Olbrich, 2003, S. 65ff). Ohne einen möglichen Beziehungsaufbau zwischen Mensch und Tier wären therapeutische Ziele unter Einbeziehung eines Tieres nicht zu verfolgen. Heilsam genutzt werden kann hierbei die Gewissheit, dass das Tier als Partner mit individuell persönlichen Fähigkeiten gesehen wird. Für die Entstehung dieser Beziehung ist das Gefühl der subjektiven Vertrautheit mit dem Tier entscheidend. Dies kann auch rein einseitig sein. Ein mögliches Beweismittel für diese Annahme ist die Tatsache der Namensgebung von Tieren. Das Tier wird individuell hervorgehoben, zum Subjekt mit eigenen Rechten und Bedürfnissen gemacht (vgl. Buck-Werner, 2007, S. 44ff). Dieses Miteinbeziehen des Tieres birgt immer auch die Gefahr der Projektion auf das Tier mit Wünschen und Sehnsüchten. Während des Therapeutischen Reitens kann dieser Effekt gezielt für die Therapie genutzt werden. In der therapeutischen Arbeit sollten ausschließlich Tiere eingesetzt werden, deren Verhaltensweisen der „tierischen Natur“ entsprechen, ein neurotisches Tier ist für den Einsatz nicht geeignet. Die Du-Evidenz ist eine unumgängliche Voraussetzung dafür, dass Tiere therapeutisch pädagogisch einsetzbar sind. Insbesondere Kinder sprechen auf die Therapie mit dem Tier gut an. Sie sind in der Regel dem Tier gegenüber aufgeschlossener als Erwachsene, und können noch besser analog kommunizieren. Ausdrucksformen von Tieren im Sozialkontakt, die vergleichbar und verstehbar für den Menschen sind, wie zum Beispiel Begrüßungsrituale, Zeichen für Angst und Feindseligkeit können leicht übersetzt werden. Aufgrund Lernfähigkeit des domestizierten Tieres ist es möglich, das Tier für den Kontakt mit dem Menschen zu schulen, so dass der menschliche Partner immer besser verstanden werden kann. So ist ein Haustier in der Lage im Laufe des Zusammenlebens differenzierte „menschgerechte“ Kommunikationsformen zu entwickeln (vgl. Herdiger, In: Greiffenhagen, 2007). Zusammenfassend wird das Konzept der Du-Evidenz durch drei wesentliche Faktoren bestimmt: Erstens durch die Induktion, das heißt den Glauben, dass das Tier bestimmte Gefühle hat, weil diese in uns ausgelöst werden. Zweitens durch die so genannte Simulation, Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 31 das sich Hineinfühlen in das Tier beziehungsweise die Sichtweise (wie würde ich mich dabei fühlen?). Und drittens durch die Analogie. Diese bezeichnet die Übertragung von Gefühlen auf Tiere auf Basis von Ähnlichkeiten, wie zum Beispiel Spielmustern (vgl. Wenz, 2007, S. 4). 4.1.2. Bindung Die Erkenntnis, dass neben Kognition und Leistung, Bindung an andere Personen von entscheidender Bedeutung für die menschliche Entwicklung ist, gewann in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung. Der Mensch besitzt ein biologisch angelegtes „Bindungssystem“, das heißt er ist in seiner Entwicklung auf Bindung und Zuwendung angewiesen (Bowlby, 1955). Das Bindungsverhalten, welches ein Kind in seinem ersten Lebensjahr erfährt, legt eine Grundstruktur für das weitere Leben. Bindung gibt dem Kind emotionale Sicherheit, so kann es seiner Neugier nachgeben, sich von seiner Bindungsperson entfernen, ohne emotional in Stress zu geraten. Die sichere Bindung an eine Bezugsperson in der frühen Kindheit ist Basis für die weitere Entwicklung des Menschen, indem sie negative Emotionen durch Nähe und Zuwendung reguliert (Reddemann, 2006, S.20ff). So ist zu verstehen, dass frühe Bindungserfahrungen von entscheidender Bedeutung für die Regulation von Emotionen, Empathie und sozialer Kompetenz sind. Der Mensch erlangt in der Kindheit durch Bindung auch seine spätere Resilienz, das heißt die psychische Widerstandsfähigkeit um mit Belastungen und Problemen konstruktiv umgehen zu können. Die Resilienz ist ein maßgeblich protektiver Faktor gegen psychischen Erkrankungen und Störungen. Die Psychologin Beetz überträgt Bowlbys Bindungstheorie auf die Beziehung von Mensch und Tier. Hierbei geht sie davon aus, dass die Mutter-Kind-Bindung zwar nicht eins zu eins auf die Tier-Mensch-Bindung übertragen werden kann. Dennoch konnte nachgewiesen werden das Kinder, die mit Tieren aufwuchsen, eine höhere Kompetenz in der Empathie und Emotionsregulation aufweisen (vgl. Greiffenhagen, 2007, S. 176ff). Auch scheint es so, dass die Bindung zu Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 32 einem Tier weniger belastend ist, als menschliche Bindungen. Aus diesem Grund wirken sie als Stabilisator während der Entwicklung eines Kindes. Fast immer sind Menschen mit psychischen Störungen in ihrer Bindungsund Beziehungsfähigkeit belastet. Gerade die Tiergestützte Therapie bietet hier die Möglichkeiten, Bindung neu zu erproben. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier kann offen und kongruent verlaufen, denn das Tier hat keine Hintergedanken und will den Menschen nicht manipulieren. Dies ist eine Chance gerade für schwer traumatisierte Menschen, die anderen Menschen gegenüber misstrauisch und verschlossen geworden sind, neue Bindungserfahrungen zu machen. Leider sind die Methoden der wissenschaftlichen Messbarkeit der Mensch-Tier-Beziehung noch nicht ausreichend genug, um wissenschaftliche Belege hierfür zu erlangen. Erfahrungen in der Anwendung von Tieren in der Therapie für psychisch Kranke haben jedoch gezeigt, dass es Menschen mit Beziehungsstörungen in der Regel leichter fällt eine Beziehung zu einem Tier aufzubauen als zu einem Menschen. Gerade Menschen mit einer schizophrenen Störung können die Beziehung zu einem Tier leichter eingehen als zu einem Menschen (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 25ff). 4.1.3. Tiere als „Sozialer Katalysator“ Das Tier hat für die meisten Menschen einen hohen Aufforderungscharakter, es animiert den Menschen zur Interaktion. Das Tier begegnet dem Menschen unvoreingenommen, offen und reagiert authentisch auf ihn. Hat es kein Interesse am Menschen, wendet es sich ab, ist der Kontakt vom Menschen zum Tier nicht aufmerksam, wird es versuchen seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Auf diese Weise können soziale und psychische Dynamiken in der Interaktion „durchbrochen“ und ein Ausweg aus der oft festgefahrenen „Negativspirale“ erzielt werden Das Tier fördert die soziale Kontaktbereitschaft. Zum Beispiel im Park: Häufig kann man beobachten, dass Hundebesitzer von anderen angesprochen werden beziehungsweise zuerst nur der Hund angesprochen wird und erst im weiteren Verlauf das Gespräch zwischen Hundehalter und Spaziergänger zustande kommt. Laut einer Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 33 Studie ist die Chance zum sozialen Kontakt im Park größer mit Hund als ohne Hundebegleitung (vgl. Messent, In: Greiffenhagen, 2007, S. 30ff). Auch eignen sich Tiere hervorragend als Gesprächspartner dem man Freude und Leid anvertrauen kann. Dabei versteht das Tier natürlich nicht den Informationsgehalt, sondern spürt vermutlich intuitiv die Stimmung des Gegenübers. Man könnte sozusagen vom Tier als dem „stillen Psychiater“ sprechen, es hört zu, spricht nicht dazwischen, wird garantiert nichts weitererzählen. Das amerikanische Soziologenteam Robins und Sanders du Cahill untersuchte, eine Gruppe von Hundebesitzern im Park und kam zu dem erstaunlichen Resultat, dass Hundbesitzer, die sich seit langer Zeit immer wieder an einem bestimmten Zeitpunkt mit ihren Hunden trafen, neuen Menschen, ob mit oder ohne Hund freundlicher begegneten (vgl. Greiffenhagen, 2007,S. 30ff). Daraus folgerten die Forscher, dass Hunde für mehr als nur die eigene Gesellschaft sorgen. Sie sind gleichzeitig ein Mittel gegen die übliche Anonymität auf großen öffentlichen Plätzen. Sie ermöglichen Kontakt, Vertrauen, Gespräch und Verbindung zwischen unbekannten Personen, die einander sonst fremd geblieben wären. Der Effekt des Tieres als „sozialer Katalysator“ spielt in der geriatrischen und psychiatrischen Therapie eine zunehmend wichtige Rolle. Und sollte im Bezug auf den demographischen Wandel als „kostengünstige Alternative“ vielleicht noch einmal neu diskutiert werden. Der Einsatz von Tieren im therapeutischen Setting kann eine Brücke schlagen zwischen Klient und Therapeut. Gerade für Klienten mit Langzeiterfahrungen in der Therapie, stellt die Tiergestützte Therapie eine gute Alternative zu herkömmlichen Therapieformen dar. Insbesondere durch ihren hohen Aufforderungscharakter und die Möglichkeit der Beziehungsfähigkeit zu einem Lebewesen können therapiemüde Klienten angesprochen werden. 4.1.4. Nonverbale Kommunikation Ein weiterer Vorteil des Einsatzes von Tieren in der Therapie ist die analoge, nonverbale Kommunikation. Nonverbale Kommunikation kann im Vergleich zur verbalen schlechter verfälscht werden und ist stark an Körpersprache Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 34 gekoppelt. In unserem auf Wörter ausgerichtetem Alltag gerät die kongruente Ausdruckskraft der Körpersprache mehr und mehr in den Hintergrund und kann auf diese Weise trainiert werden. Eine stimmige Kommunikation, wie zwischen Mensch und Tier, vermeidet grundlegende Diskrepanzen zwischen Sender und Empfänger. Sie unterstützt den Menschen sich selbst als „einfach und wahr“ zu erfahren. Insbesondere psychische Störungen, die in der Regel durch Beziehungsstörungen gekennzeichnet sind, wird die Reduzierung der Kommunikation auf Einfachheit als heilsam erfahren. Tiere stärken und fördern die psychischen, physischen und mentalen, sowie die sozialen Kräfte und helfen diese zu stabilisieren (Olbrich, 2006, S. 84ff). So werten sie als Begleiter den sozialen Status auf. Zum Beispiel ein großes Tier wie ein Pferd zu führen oder gar zu reiten, heißt ca. 600 kg Lebendgewicht zu bewegen. Auch kann das Pferd auf die meisten Menschen dabei Respekt einflössend wirken und Ängste mobilisieren. Diese zu überwinden und sich mit ihnen auseinander zu setzen, stärkt nachhaltig das Selbstbewusstsein. Ein weiterer Punkt ist die Nähe zur Natur im Umgang mit Tieren. Von vielen Menschen wird der intensive Kontakt mit Natur und Tieren als erdend erlebt. Die Bewegung an der frischen Luft und verschiedene Witterungsbedingungen zu erleben, schafft gerade für Langzeitpatienten in der Psychiatrie die Möglichkeit zum Kontakt mit der Außenwelt und Realitätsbezug. So kann eine Öffnung zur „Außenwelt“ das Ungleichgewicht zur „inneren Welt“ des Klienten ausgleichen. 4.1.5. Erklärungsansätze für die therapeutischen Wirkung der Beziehung zwischen Mensch und Tier Die Erklärungsansätze der Beziehung zwischen Mensch und Tier sind vielfältig. Die oben beschriebenen Aspekte von Bindung, Du-Evidenz und Kommunikation, die in der Interaktion mit dem Tier möglich sind, tragen sicher maßgeblich als Erklärung der Mensch-Tier-Beziehung und ihre heilsamen Wirkung bei. Aus sämtlichen Fachgebieten der Pädagogik und Psychologie werden Erklärungsansätze vertreten. Zum Beispiel erklärt die Millieutherapie und Soziotherapie, dass Tiere sich als strukturierendes Die Entwicklung der Tiergestützten Therapie 35 Element im Alltag hervorragend eignen. Mit ihrer Hilfe kann die Einhaltung von Regeln und die Präsenz des lebendigen Übungspartners für förderliche Umweltbedingungen genutzt werden. Erklärungsansätze aus der Systemtheorie verweisen auf das besondere sozial-symbiotische System18 der Mensch-Tier-Beziehung hin, indem unabhängig von Alter, Sozialstatus, Krankheit oder Behinderung agiert werden kann. Der Tierkontakt ermöglicht einen Weg aus negativen zwischenmenschlichen Bereich Emotionen und herauszukommen. Interaktionen Es bestehen im also unendliche Erklärungsmodelle für die heilsame Funktion der Mensch-TierBeziehung. Dennoch soll auf die evolutionäre Seite als möglichem Erklärungsansatz eingegangen werden, da diese eine wesentliche Rolle zu spielen scheint. Der Kontakt und die Kommunikation zwischen Mensch und Tier reichen bis in die Zeit der Jäger und Sammler zurück. Es ist davon auszugehen, dass sich Haustiere, wie zum Beispiel Hund und Pferd seit Jahrtausenden dem Menschen anpassen, in dem sie domestiziert werden. Das heißt durch die enge Gemeinschaft zwischen Mensch und Tier entstanden genetisch prädisponierte Verhaltenstendenzen. In diesem Zusammenhang kann auch von einer Synchronisation im Sinne einer Angleichung von menschlichen und tierischen Verhaltenstendenzen gesprochen werden. Eine weitere These für die therapeutische Nutzung von Tieren ist die der Biophilie. Die Biophilie bezeichnet die biologisch fundierte Affinität des Menschen zum Leben und zur Natur und unter anderen auch zu Tieren. Der Umgang mit dem Tier kann eine Ausglich zwischen unserem stark entwickelten Denken und Nutzen der Intelligenz und der nicht weniger wichtigen Bindung und Emotion herstellen. Während der Interaktion mit dem Tier ist der Mensch überwiegend auf seine intuitive Einschätzung des Gegenübers angewiesen. Besondere intellektuelle Fähigkeiten und Verhaltensweisen, wie sie im menschlichen Alltag gefordert werden, stehen im Hintergrund. Im Umgang mit dem Tier werden erfahrungsgeleitete Prozesse trainiert. Ebenso wird die emotionale Intelligenz trainiert und kann 18 Das sozial-symbiotische System beschreibt die Jahrtausende alte Entwicklung von Mensch und Tier in unmittelbarer Umgebung. Die domestizierten Haustiere haben sich dem Menschen angepasst. Und sich im Laufe ihrer Evolution den Bedürfnissen des Menschen entsprechend entwickelt. Das Pferd als therapeutisches Medium 36 auf den Umgang und die Beziehung zu anderen Menschen übertragen werden. Auch wenn das Tier weder Therapeut noch Mensch ist, es setzt Impulse, die auf den Menschen eine heilsame Wirkung haben können. Die therapeutische Begleitung durch Tiere kann unsere Seele auf vielfältigen Ebenen erreichen: Das Erleben von Zuwendung und Bestätigung durch das Tier stärkt das Selbstbewusstsein. Das Gefühl des „Gebrauchtwerdens“ senkt das Gefühl der sozialen Isolation und kann Sinn stiftend wirken. Das Angenommenwerden und die Akzeptanz des Tieres stärken den Menschen nachhaltig in seinem Sein. Diese emotionale Zuwendung unterstützt bei einer Neubewertung von seelischen Belastungen und hilft so Wege aus der Krise zu finden. Menschen finden im Umgang mit Tieren Ermutigung und Begeisterung für ihr Handeln. Durch die gesteigerte Aktivität und Verantwortung besitzt die Mensch-Tier-Beziehung auch antidepressive, antisuizidale Wirkung (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 16ff). 5. Das Pferd als therapeutisches Medium Durch Höhlenbilder ist der Kontakt zwischen Mensch und Pferd seit fünf Jahrtausenden belegt. Das Hauspferd war in Nord-Westeuropa bereits um 1700 vor Christus eingeführt (vgl. Klüwer, 2004, S. 10 ff). Es diente als Reitund Wagentier der Fortbewegung. Pferde wurden in kämpferischen Auseinandersetzungen aufgrund ihrer Ausdauer und Schnelligkeit eingesetzt (vgl. Benecke, 1994, S. 288ff). Ohne Pferde wäre die Besiedlung und Urbarmachung der Erde nicht möglich gewesen. Das Pferd als friedfertiges Herden- und Steppentier reagiert auf Angriffe mit Fluchtverhalten. Ein Kampf mit Beißen und Schlagen findet in der Regel nur statt, wenn es keinen Ausweg zur Flucht sieht. Das Herdentier Pferd bringt von sich aus ein Bedürfnis nach sozialem Kontakt mit. Dies ist die Grundlage für die Nutzung des Tieres in der Therapie und damit die Bindung an den Menschen. In der Regel strebt ein Pferd danach, sich dem Menschen als ranghöheres Tier unterzuordnen ohne dabei seine individuelle Eigenart zu verlieren (vgl. Klüwer, 2004, S. 10ff). Im Laufe der Jahrtausende entwickelte sich die Kommunikation zwischen Mensch und Pferd immer weiter, von Das Pferd als therapeutisches Medium 37 anfänglichem Treiben mit Hilfsmitteln hin zu immer ausdifferenzierteren Verhaltens- und Reitweisen. Das Pferd hat aufgrund seiner natürlichen Neugier und Kommunikationsfreudigkeit eine gute Lernfähigkeit und ist so in der Lage sich dem Menschen anzupassen. Vermutungen, laut denen der Mensch bereits vor 4000 Jahren mit der Züchtung von Pferden begonnen hat, legen nahe, dass der heutige Pferdetypus den Bedürfnissen des Menschen optimal entspricht (vgl. Klüwer, 2004, S. 10ff). Diese gezüchteten Eigenschaften beziehen sich nicht nur auf den Körperbau und Bewegungsablauf, sondern auch auf die arteigenen Charaktereigenschaften des Tieres. Die Arbeit mit dem Pferd in der Therapie ist alt und neu zugleich. Die heilsame Wirkung des Pferdes auf die Seele wurde schon in der Antike von Hippokrates und Xenophon erkannt. Auch scheint das Pferd seit Jahrhunderten ein Symbol für Freiheit, Kraft Schönheit, Eleganz menschlichen und Schnelligkeit Sehnsüchten, Ängsten zu sein. und Eine Träumen Vielzahl wurde in von der Pferdegestalt symbolisiert. Jung beschreibt das Pferd als „Archetypus“ der im kollektiven Unbewussten der Menschheit tief verankert ist (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 55ff). Diese Annahme führt er auf die gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Mensch und Pferd zurück. Im Laufe der Evolution ging der Kontakt zur Natur dem Menschen mehr und mehr verloren, das Pferd bietet die Möglichkeit uns wieder zur Natur zurückzubringen. In Kontakt zu treten mit Lebendigkeit, Natur und Lebensfreude. 5.1. Der Bewegungsdialog auf dem Pferd „Leben ist Bewegung. Der heilende Prozess ist eine wirkungsvolle Bewegung in uns“ (Otterstedt, 2001, S. 23). Der große Vorteil des Pferdes im Einsatz der Therapie ist die Möglichkeit des Reitens, des „Getragenwerdens“. Durch das Sitzen auf dem nur mit einem Haltegurt ausgestatteten Pferd kann der Kontakt intensiviert werden. Der Reiter spürt den warmen starken Rücken des Tieres. Dabei wird der Reiter Das Pferd als therapeutisches Medium 38 auf sanfte Art „durchbewegt“. Während des Bewegungsflusses des Pferdes schwingt der Rücken bei jedem Schritt in einer vertikalen und horizontalen Ebene und Rotation um die Senkrechte. Diese Bewegungen übertragen sich auf den Reitenden. Somit entsteht ein Vor- und Rückkippen des Beckens, ein rechts und links Wiegen der Hüften und eine geringe Rotation um die Längsachse des Körpers (Abbildung 1). Abbildung 1: Die Beckenbewegung beim Reiten (Klüwer, 2005, S. 18) Über die Wirbelsäule werden diese Bewegungen an den Schultergürtel weitergegeben. Diese Bewegung, der durch den Schritt des Pferdes übertragenden Impulse, entspricht dem aufrechten Gang des Menschen (Abbildung 2). Bei einem gut ausgebildeten Therapiepferd ist der Führende in der Lage, den Schritt des Pferdes an die Bedürfnisse des Reitenden anzupassen. Zum Beispiel wirkt ein schneller Schritt mit kurzen Abständen eher anregend auf den Reiter, ein langsamer und raumgreifender Schritt schaukelnd und beruhigend. Der Trab des Pferdes entspricht der Bewegung des Laufens beim Menschen. Auf neurophysiologischer Grundlage bahnt der Bewegungsfluss des Pferdes Stell- und Gleichgewichtsreaktionen beim Reiter an (vgl. Schulz, 2005, S. 26ff). Therapeutisch kann dies einer Förderung der besseren Kopf- und Rumpfkontrolle, der symmetrischen Körperhaltung und Förderung der Koordination von Bewegungsabläufen zu geschrieben werden (vgl. Klüwer, 2004, S. 17ff). Der Reiter wird nach der bequemsten Möglichkeit auf dem Pferd zu sitzen suchen. Dies ist nicht möglich, wenn er sich weder starr festklammert, dies wird ihn unangenehm Das Pferd als therapeutisches Medium 39 hin und herschütteln, noch schlaff hängen lässt, sonst würde er vom Pferd rutschen. Die Motivation sich auf dem Pferd zu halten ist groß und auch Erwachsenen gibt es häufig den Anreiz „Neues“ auszuprobieren. Eine schnellere Gangart, eine neue Übung auf dem Pferd fördern die Motivation und das Selbstbewusstsein des Reiters. „Um eine Haltungsstabilität in der Balance zu erreichen muss der Reitenden das richtige Maß zwischen aktivem sich Bewegung und Rhythmus anpassen und passivem sich bewegen lassen finden“ (Klüwer, 2004, S. 17ff). Auf dem Pferd kann unmittelbar der eigene Körper, mittels des Biofeedback19 des Tieres, erspürt werden. Sobald sich der auf dem Pferd Sitzende dem ausbalancierten Sitzen annähert wird er ein bequemes Sitzen erfahren. Zum einen spürt er in erster Linie die Bewegungen des Pferdes unter sich und zum anderen unterschwellig seinen eigenen Körper. Bei der Aufrichtung im Sitz ist der Mensch gefordert seine Körperhaltung zu korrigieren, sich gegen die Schwerkraft aufrichten, dies passiert automatisch, indem das Becken bei jedem Schritt des Pferdes nach vorne kippt und so die Wirbelsäule aufgerichtet wird Dieses aufrechte Sitzen bewirkt neben der äußeren Sichtbarkeit auch Änderungen im Gefühlsbereich. Durch das erhöhte und aufrechte Sitzen können gerade Menschen, deren Selbstwert gesunken ist einen „Aufwind“ erfahren. Dieser Prozess braucht allerdings Zeit und Momente der Selbsterfahrung. 19 Biofeedback beschreibt die Resonanz des Pferdekörpers auf den Menschenkörper. Es entsteht ein „sich gegenseitiges Fühlen“ zwischen zwei lebendigen Lebewesen. Das Pferd als therapeutisches Medium 40 Abbildung 2: Sitz des Reiters auf dem Schritt gehenden Pferd (Klüwer, 2005, S. 7) Durch verschieden Übungen auf dem Pferderücken kann der Therapeut den Reitenden im Erspüren und Finden seiner Balance unterstützen. Zum Beispiel durch bestimmte Übungen, wie das Liegen auf dem ungesattelten Pferderücken: In der Rückenlage oder Bauchlage auf dem Pferd wird es dem Reiter möglich, Losgelassenheit und Entspannung zu fühlen. Dabei liegen Arme und Hände seitlich auf dem Pferderücken, was ein intensives Erspüren des warmen weichen Körpers des Tieres ermöglicht. Es lässt sich erleben wie die weichen Bewegungen des Schrittes den gesamten Körper langsam „durchbewegen“ und lockern. Es erfolgen passive, aber dennoch aufmerksam reagierende Feineinstellungen beim Liegenden. In diesen Momenten kann ein Gefühl des Getragenwerdens entstehen. Die ständige Regulierung der eigenen Balance auf dem Pferderücken fördert den Kontakt zur Realität und kann dennoch „getragene“ Geborgenheit und regressive Bedürfnisse ermöglichen. Das Pferd als therapeutisches Medium 41 5.2. Ganzheitliche Förderung durch den Therapiepartner Pferd Neben den kinästhetischen und vestibulären Stimuli kann das Pferd den Menschen auf ganzheitlicher Ebene erreichen: Das Fell des Tieres fühlt sich warm an. Mähnen- und Schweifhaar haben eine andere Qualität und fühlen sich borstig und hart an. Die weiche Nase des Pferdes birgt einen hohen Aufforderungscharakter, das Tier zu berühren in sich. Ein Pferd lässt sich gerne streicheln und reagiert freundlich, neugierig auf Zuwendung. Die intensiven Tasterfahrungen die der Mensch beim Pflegen und Reiten des Pferdes macht, können dem Menschen helfen, seinen eigenen Körper wieder besser zu spüren. Den sensorischen Reizen folgen eine Menge an olfaktorischen und akustischen Stimuli, die das Pferd und seine Umgebung mit sich bringen. Die Nähe zur Natur kann, gerade in Anbindung von Reittherapie an Psychiatrien, wieder erfahren und erlebt werden. Ein Pferd will versorgt werden, dies umfasst neben der Pflege des Tieres auch das Füttern und Ausmisten. Gerade Menschen mit Ängsten vor Tieren können sich so langsam dem Pferd annähren, ohne direkt einen engen Kontakt eingehen zu müssen. Denn selbst für Jemanden, der zu Tieren keinen Bezug hat, kann die körperliche Arbeit in einem Stall ein strukturierendes und erdendes Erlebnis sein. Es birgt die Möglichkeit auf einen eher zufälligen Kontakt mit Tieren. Das Pferd als lebendiger Übungspartner reagiert direkt und authentisch auf den Menschen. Hierin besteht die Chance für Menschen, deren Beziehungen zu anderen Menschen sehr belastet sind oder waren. Das Tier interagiert auf nonverbale Art und Weise und kann sehr deutlich Grenzen zeigen. Kommt ein Mensch zum Beispiel laut und aggressiv auf das Pferd zu gerannt, so wird es flüchten oder dem Menschen ausweichen. Nähert er sich freundlich und vorsichtig wird das Pferd ihm auch freundlich begegnen. So kann das Tier dem Mensch sein Verhalten in gewisser Weise spiegeln und ein direktes Feedback geben. Der Reittherapeut hat die Aufgabe Mensch und Tier in Gefahrensituation voreinander zu schützen. Auch fällt ihm die Rolle des Das Pferd als therapeutisches Medium 42 Dolmetschers zwischen Klient und Tier zu, indem er dem Klienten vermittelt und aufklärt, wie das Pferd kommuniziert. Das große kräftige Pferd, das sich vom vergleichsweise kleinen Menschen führen oder reiten lässt, fördert die Selbstachtung. Der Mensch kann in besonderer Weise mit dem Pferd kommunizieren, sich auf ihm sitzend fortbewegen und so Geschwindigkeit erleben und durch Nähe und Geborgenheit den intensiven Körperkontakt erfahren. In der Regel werden das Getragenwerden, der Körperkontakt und die soziale Nähe mit frühkindlichen Bedürfnissen nach Körperkontakt assoziiert. Gerade für Menschen mit psychischen Störungen können regressive Bedürfnisse so nachgeholt werden. An dieser Stelle soll deutlich gemacht werden, dass mit der Erwähnung von Pferden in der Therapie ausdrücklich artgerecht gehaltene und gut ausgebildete Therapiepferde gemeint sind. Diesem Punkt kommt im Therapieeinsatz eine besondere Bedeutung zu, da nur ein gut gehaltenes und entsprechend für die Therapie geeignetes und ausgebildetes Pferd für die effektive Arbeit in der Therapie einsetzbar ist. Nur ein Pferd, dass in seiner, auch psychischen Konstitution stabil und ausgeglichen ist, kann für die Ziele in der Therapie sinnvoll eingesetzt werden. Ein Therapiepferd muss frei von neurotischen Störungen sein, um im Sozialkontakt mit dem Menschen für diesen nachvollziehbar zu kommunizieren. Ein weiterer Grund für eine gute Tierhaltung ist die Reduzierung der Unfallgefahr. Auch ein gut ausgebildetes Pferd kann mal scheuen oder „zur Seite springen“. Es ist und bleibt ein unberechenbares Tier. Doch hier ist es die Aufgabe des Therapeuten, für die Sicherheit von Mensch und Tier zu sorgen. Entsprechend ihres Einsatzes in der Arbeit mit Klienten ist es erforderlich, dass das Therapiepferd stetig von ausgebildeten Reitern gymnastisiert und korrigiert wird, um so die Muskulatur des Tieres geschmeidig zu halten. So dass der Bewegungsfluss in den verschiedenen Gangarten fließend bleibt und seine Wirkung aus den Klienten ausüben kann. Auch die physische und psychische Konstitution des Tieres muss durch gutes Futter, genügend Ausgleich und Weidegang gefördert werden, da auch für ein Tier die Arbeit mit zum Beispiel psychisch kranken Menschen sehr anstrengend ist. Das Pferd als therapeutisches Medium 43 5.3. Das Pferd im sozialen Kontakt mit dem Menschen „Wer immer in den Sattel steigt, der wird erzogen- zum Leben und zum Menschen“ (Clemens Laar). Das Pferd als Herdentier sucht häufig den ersten Kontakt zum Menschen und dieser hat zu entscheiden, wie viel er davon zulässt. Bei Beobachtung von Pferden auf der Wiese wird deutlich, dass Pferde untereinander nach klaren Regeln der Rangordnung kommunizieren. Dieses Verhalten überträgt das Pferd auch auf den Umgang mit Menschengruppen. In die Soziotherapie mit psychisch kranken Menschen kann dieses Verhalten gezielt genutzt werden, um zum Beispiel Gruppendynamik zu verdeutlichen und eigene Grenzen zu erfahren. Für ein gut ausgebildetes Tier ist der Mensch der Ranghöchste in der „Herde“, es wird sich ihm unterordnen, soweit die Körpersprache des Menschen eindeutig und verständlich ist. Als Herdentier fordert das Pferd den Menschen auf, Stellung zu beziehen, damit es seine eigene Position finden kann. Einem selbstbewussten Menschen ordnet es sich vertrauensvoll unter, einem zögerlichen Menschen gegenüber nimmt es die Führung ein. Durch seinen Instinkt ist ein gut ausgebildetes Therapiepferd in der Lage, die Stimmung des Menschen zu erfassen. Es kann sogar passieren, dass es einen schutzlosen Menschen behütet oder einen unterschwellig aggressiven Menschen abwehrt. Ein Therapiepferd stellt sich mit Hilfe des Therapeuten auf die Bedürfnisse seines Klienten ein. Im Umgang mit Menschen werden die Fähigkeiten des Sozialverhaltens des Herdentieres Pferd eingesetzt, um zum Beispiel Menschen mit psychischen Störungen, verhaltensauffälligen Kindern- und Jugendlichen die kongruente Körpersprache wieder näher zu bringen. Die Sprache des Pferdes ist immer unmittelbar und direkt, was dem Menschen eindeutige Hinweise über sein Ursache-Wirkungsverhalten rückmeldet. Versucht ein Mensch zum Beispiel ein Pferd zu führen, indem er es wütend hinter sich herzieht, wird es ihm nicht folgen. Geht er jedoch selbstbewusst und freundlich vor dem Tier her, ohne es zu drängen, folgt es ihm bereitwillig und vertrauensvoll. Ein weiterer Vorteil des Einsatz von Pferden liegt in der Beziehungsarbeit: Es ist ehrlich, aber nicht verletzend. Die oft für Missverständnisse sorgende Sprache fällt in Das Pferd als therapeutisches Medium der Kommunikation weitestgehend 44 weg, es geht um authentische Körpersprache. Dabei reagiert das Tier im Umgang mit dem Klienten vorurteilsfrei. Dies ist eine enorme Chance für Menschen, die schlechte Erfahrungen in zwischenmenschlichen Beziehungen gemacht haben, eine unvorbelastete Vertrauensbildung zum Pferd zu zulassen. Ein Pferd ist nicht nachtragend, so wird ein Übungsfeld geschaffen, was frei von psychischen Verstrickungen und psycho-sozialen Dynamiken ist. Klare Grenzen und Anweisungen im Umgang mit dem Tier, sind so neu erfahrbar. Der Klient lernt diese zum einen durch Anleitung und Ausprobieren am Tier direkt und zum anderen durch Beobachtung des Therapeuten, wie dieser sich gegenüber dem Pferd verhält. Klüwer beschreibt diese Situation als „trianguläre Interaktion“ die dreipolige Grundsituation sozialen Lehrens und Lernens (Klüwer, 2004, S. 18; Abbildung 3). Abbildung 3: Die trianguläre Interaktion (Dreiecksverhältnis) zwischen Reiter (Klient), Reitlehrer und Pferd (Klüwer, 2005, S. 9) Das Pferd ordnet sich dem „Leittier“ Mensch unter und weist als Herdentier Wechselbeziehungen zu allen Herdenmitgliedern (Klient, Therapeut und Pferd) auf. Im rotierenden Wechsel der Aufmerksamkeit wird jeder von ihnen Mitarbeiter, Objekt und Beobachter. Innerhalb des therapeutischen Settings kann diese Dreieckkonstellation Pferd - Klient und Therapeut gezielt Das Pferd als therapeutisches Medium 45 eingesetzt werden, um Verhaltensmuster zu spiegeln und voneinander zu lernen. Zum Beispiel im Rahmen der tiefenpsychologisch fundierten psychotherapeutisch begleitenden Reittherapie. Nach der Freudschen Einteilung können die Instanzen Ich, Es und Über-Ich bildhaft in die trianguläre Situation Pferd (Es), Klient (Ich) und Therapeut (Über-Ich) übertragen werden und als Erklärungsmodell innerpsychischer Prozesse dienen (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 64ff). Auch auftretende Emotionen wie Angst und Bedrohung können in der therapeutischen Arbeit gezielt genutzt werden, um innere Prozesse beim Klienten in Gang bringen. Die pathogene Dynamik des Klienten lässt sich auf die Dreiecksbeziehung zwischen Therapeut, Klient und Pferd übertragen. Auf das Pferd können verdrängte Ängste zum Beispiel vor der eigenen Lebendigkeit und Triebhaftigkeit (EsAnteile) des Klienten projiziert werden. Das sensible Pferd verdeutlicht diese Übertragungsreaktion durch sein Verhalten, in dem es zum Beispiel verkrampft. Der Therapeut kann oft erst durch die Reaktion des Pferdes die innere Situation des Klienten erkennen. Das schnelle Erkennen und Reflektieren von Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen sind hierbei von besonderer Bedeutung, da ansonsten psychische Prozesse blockiert werden können. Des Weiteren beschreibt Jung das Pferd als „archetypisches Symbol“ (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 55ff). Das häufige Auftreten des Pferdes in der Mythologie, Kunstgeschichte und Psychologie scheint dies zu bestätigen. Das Pferd im Setting des therapeutischen Reitens ermöglicht den Zugang zu persönlichem Unbewusstem. Gerade beim Reiten besteht auf der psychologischen Seite die Möglichkeit an das Urvertrauen anzuknüpfen oder dieses zu fördern. Auch ist die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen immer durch eine somatisch-psychisch-soziale Wechselwirkung gekennzeichnet. Bereits als ungeborenes Kind nimmt der Fötus im Mutterleib die schaukelnden Bewegungen der Mutter durch seine eigene Lageveränderung wahr. So reift das Nervensystem durch die Wahrnehmung verschiedener Sinnesreize. Es erfolgt eine Reifung durch sensorische Informationen. „Über das Pferd kann, durch seinen rhythmischen und schaukelnden Gang, eine Anknüpfung an frühe präverbale koinästhetische gemeinsam/ ganzheitliche wahrgenommene Erfahrungen erfolgen“ (Klüwer, 2005, S. 12ff). Dies meint die Erfahrungen des Säuglings Das Pferd als therapeutisches Medium 46 im Bewegungsdialog mit der Mutter. Es findet Kommunikation ohne Worte statt. Der Klient kann unter Anleitung seinem Bedürfnis nach Regression nachgeben. In der Kindheit und Jugend versäumte Bedürfnisse nach Geborgenheit und Sicherheit können auf diese Weise ein Stück nachgeholt werden. Dieses Ideal des Therapeutischen Reitens erfordert eine gewisse Zeitspanne und die Vorraussetzung, dass der Klient für die Therapie mit dem Pferd zugänglich ist. Mit Hilfe von bestimmten Übungen und der Anleitung durch den Therapeuten ist es möglich auch verschüttete Emotionen wieder zum Vorschein zu holen. Zum Beispiel auf dem Bauch liegend das Pferd zu umarmen und intensive Nähe zu spüren (Abbildung 4). Für die „Gruppentherapeutische Arbeit“ ist das Pferd ebenfalls gut einsetzbar, zum Beispiel macht es eine unausgesprochene aggressive Gruppenstimmung deutlich, indem es sich von der Gruppe entfernt. Auch Partnerübungen werden durch das gemeinsame Interesse am Tier leichter möglich, Situationen des gegenseitigen Helfens werden leichter zugelassen, Konflikte treten in den Hintergrund. Im Einzelkontakt mit dem Pferd erfahrenes Einfühlungsvermögen kann in die Partnersituation transferiert werden (vgl. Klüwer, B., 2005, S. 18). Abbildung 4: Fühlen (Schulz, 2005, In: Partnerschaftlich miteinander umgehen, S. 23) Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 47 6. Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung zwischen Psychologie, Pädagogik, Medizin und Sport Im Jahr 1970 gründete sich das „Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKThR)20“ in Warendorf, Westfalen. Das Therapeutische Reiten wird in der Medizin, Pädagogik und Psychologie und im Sport durchgeführt. Die ärztlich Hippotherapie21, verordnete die einer krankengymnastischen Behandlung auf dem Pferd entspricht, kann wegen ihres neurophysiologischen Ansatzes, der Medizin zugeordnet werden kann. Das „Heilpädagogische Reiten und Voltigieren22“, welches als besondere Intervention für verhaltensauffällige, lern-, geistig- und mehrfach-behinderte Menschen aller Altersstufen genutzt wird, kann der Pädagogik und Psychologie zu geordnet werden. Sowie dem Reiten und Fahren als Sport für behinderte Menschen als erweitertes Angebot sportlicher Aktivitäten unter rehabilitativen und integrativen Gesichtspunkten in den Bereichen Gesundheits-, Breiten- und Leistungssport. Seit 1996 gilt das Reiten als paralympische Disziplin. Das Therapeutische Reiten kann Aspekten des Heilpädagogischen 23 Hippotherapie Aspekten wird psychologischen Reitens und Voltigierens, sowie Anteilen der zu geordnet werden. Neben den körpertherapeutischen das (Psycho-)therapeutische Interventionen erweitert. Hier Reiten erfolgt durch auf die die als 20 Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten in Warendorf, Münster ist Herausgeber für Fachzeitschriften und Literatur über das Therapeutische Reiten. Es bietet zertifizierte Aus- und Weiterbildungsangebote an und leistet Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema. 21 Hippotherapie ist die Bezeichnung für die krankengymnastische Heilbehandlung auf dem Pferd. Sie wird von speziell ausgebildeten Physiotherapeuten praktiziert. Durch den dem Gang des Menschen ähnelnden Schritt des Pferdes können Menschen mit neurologischen Störungen gezielt gefördert werden. 22 Voltigieren ist das Reiten auf dem nur mit einem Gurt mit Haltegriffen (dem Voltigiergurt) ausgestatteten Pferd. Der auf dem Pferd Sitzende führt dabei gymnastische Übungen auf dem Pferd aus. Dieses Turnen auf dem Pferderücken kann in allen Gangarten des Pferdes stattfinden. In der Heilpädagogik wird es durch gezielte Förderung pädagogischtherapeutischer Prozesse angewendet. Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung Gruppentherapie stattfindende 48 Reittherapie, eine reflektierende Psychotherapie, die ebenfalls in der Gruppe durchgeführt wird und durch Gestalttherapeutische Elemente, wie Maltherapie unterstützt werden kann (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 11ff). Die drei Bereiche des Therapeutischen Reitens sind zumindest theoretisch klar voneinander abgegrenzt, und bedürfen einer speziellen Ausbildung der Therapeuten, sowie der betreffenden Therapiepferde, die neben einer besonderen Ausbildung, täglichem Training auch besondere charakterliche Fähigkeiten benötigen. So wie der Mensch ein bio-psycho-soziales Wesen ist, dessen einzelne Ebenen sich nicht voneinander trennen lassen, gehen auch im reittherapeutischen Alltag die Bereiche zwischen Pädagogik, Soziologie und Psychologie fließend ineinander über. Soziotherapeutische und Erlebnispädagogische Aspekte fließen im Umgang mit dem Pferd und innerhalb der Gruppe genauso ein, wie psychologische Zielsetzungen (Abbildung 5 und 6). Abbildung 5: Die Bereiche des Therapeutischen Reitens (Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten DKThR, 2005) Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung So kann eine psychotherapeutische Übungseinheit 49 Elemente des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens genauso enthalten wie Teile aus der krankengymnastischen Behandlung auf dem Pferd, sowie dem Reiten als Sport für Behinderte. Der Einsatz des Pferdes in der Psychiatrie und Psychotherapie findet in den letzten 15 Jahren immer mehr Einsatz. In der Therapie mit psychisch kranken Menschen nimmt es eine Mittelposition zwischen Medizin, Psychologie, Sport und Pädagogik ein. Die psychologischen Anteile sind durch somatisch-diagnostische, analytisch-aufdeckende, psychogen- dynamische und verhaltens- und lerntheoretische, sowie durch individuelle Prozessorientierung (vgl. Scheidhacker, 2007) gekennzeichnet. In dieser Arbeit wird ein Schwerpunkt auf das Therapeutische Reiten des Isar-AmperKlinikum, da diese durch gezielte Forschung das Therapeutische Reiten in Psychiatrien publik gemacht haben. Abbildung 6: Die Entwicklung des Therapeutischen Reitens und die Stellung des Heilpädagogischen Reitens/Voltigierens innerhalb der Therapie (Klüwer, 2005, S. 16) Bei der Reittherapie kann man von einer ganzheitlichen Förderung des Menschen sprechen, die anhand von Evaluationen der Psychiatrie München Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 50 (Isar-Amper-Klinikum) im Rahmen des Therapeutischen Reitens als Methode der Psychotherapie noch vorgestellt werden. 6.1. Begriffsklärung Die Bezeichnung Reittherapeut oder Therapeut meint Menschen mit sozialpädagogischer, psychologischer oder medizinischer Grundausbildung, die durch zusätzliche Ausbildung reittherapeutisch arbeiten können. Die Begriffsbestimmung Reiten beziehungsweise Voltigieren wird synonym verwendet. Damit ist das Reiten beziehungsweise Voltigieren an der Longe unter Aufsicht und Anleitung des Reittherapeuten gemeint. Des Weiteren wird ausschließlich die männliche Schreibform verwendet, was jedoch in keiner Weise eine Ausgrenzung der weiblichen Form impliziert und der Vereinfachung dienen soll. 6.2. Die fünf Formen des Therapeutischen Reitens Das Therapeutische Reiten beginnt nicht erst mit dem Sitzen auf dem Pferd. Der Klient soll ganzheitlich, kognitiv, motorisch, sozial und emotional gefördert werden. So beginnt der therapeutische Prozess bereits vor dem eigentlichen Reiten mit dem ersten Kontakt zu den Pferden. Hieraus ergibt sich eine Einteilung in fünf Formen, die später dargestellt werden. Der Kontakt und das Reiten mit den Pferden können unter freiem Himmel, was einen zusätzlichen Aspekt des Natur-Erlebens bringt oder in der Reithalle stattfinden. 6.2.1. Füttern und Putzen der Pferde Hier findet der erste Kontakt mit den Pferden statt, der dadurch erleichtert wird, dass die Pferde das Futter erwarten und so dem Menschen freundlich begegnen. Füttern und Pflege sind eine notwendige Vorraussetzung für die Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 51 Reittherapeutische Arbeit. Sie gehören zum Umgang mit dem Pferd dazu und sollten vom Klienten erlernt werden. Die damit verbundene Verbindlichkeit und das Verantwortungsgefühl sollen hierbei an den Klienten herangetragen werden. Bei der Angliederung von Reittherapieeinrichtungen kann das frühe Aufstehen und Versorgen der Pferde als strukturierendes Element genutzt werden, um gerade antriebsarme Klienten zum Aufstehen zu motivieren. 6.2.2. Das Longieren ohne Sattel Während des Longierens24 des Pferdes ohne Sattel ist dieses mit einem Gurt um den Bauch ausgestattet, an dem zwei Handgriffe sind, an denen sich der Klient festhalten kann. Der Longenführer bestimmt dabei die Gangart (Schritt, Trab und Galopp) und das Tempo des Pferdes. Der Klient kann ohne den Sattel direkt den Pferdeleib unter sich spüren und auch die Bewegungen intensiver wahrnehmen. Die Klienten erleben das Reiten ohne Sattel häufig als völlig neue Möglichkeit ihren eigenen Körper zu erfahren. Durch das breitbeinige Sitzen auf dem Pferderücken wird das Becken in Kontakt zu einem anderen Lebewesen geöffnet. Gerade für Menschen, die einen sexuellen Missbrauch erfahren haben, kann allein das Sitzen auf dem Tier, durch die rhythmischen Bewegungen des Ganges, die Starre des eigenen Körpers bewusst machen. Durch den ungesattelten, warmen Pferderücken erleben sie ein angenehmes Gefühl. 6.2.3. Das Longieren mit Sattel Durch den Sattel zwischen Pferd und Reiter als grenzendes Mittel, kann ein vermehrtes Maß an Sicherheit empfunden werden. Mit Hilfe der Steigbügel, die rechts und links am Sattel befestigt sind und in die der Klient seine Füße stellt, kann der Sitz in der Balance einfacher erreicht werden. „Im Sinne eines 24 Longieren bedeutet, dass das Pferd an einer langen Leine, der Longe, an der es vom Reittherapeuten festgehalten wird, in einem großen Kreis, dem Longierzirkel, um den Longenführer herumgeht. Der Klient sitzt lediglich auf dem Pferd und muss sich nicht um das Lenken kümmern. Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 52 Abgrenzungserlebnisses kann sich der Klient jetzt als durch den Sattel getrenntes Lebewesen gegenüber dem Pferd spüren, wobei der Körperkontakt immer noch fühlbar ist“ (Scheidhacker, 2005, S. 46). 6.2.4. Das Reiten in einer Gruppe von Reitern Das Reiten in der Gruppe wird meistens als der schwierigste Schritt erlebt. Das selbstständige Lenken des Pferdes, ohne die Sicherheit der Longe, durch den Reittherapeuten, erfordert einige reiterliche Fähigkeiten. Der Klient entfernt sich hierbei von der Dreierbeziehung Pferd – Reittherapeut - Klient und ist mit dem Pferd auf sich gestellt (der Therapeut befindet sich innerhalb der Reitbahn und kann jederzeit eingreifen, wenn Gefahr für den Klienten besteht). Hat der Klient den „Abnabelungsprosess“ von der Longe geschafft steht das Erleben der Gruppe in ihrer Dynamik im Vordergrund. Gerade das Reiten in der Gruppe, das Gesehenwerden, durch die anderen Reiter fördert das Selbstwertgefühl in besonderer Weise. Das selbstständige „Zügel in die Hand nehmen“, das Lenken eines großen Tieres und die Bestimmung in welche Richtung es geht, implizieren eine große Aufwertung der eigenen Rolle innerhalb der Gruppe. 6.2.5. Das Ausreiten in der Gruppe Durch das Ausreiten in die umliegende Natur mit der Gruppe wird die existentielle Gruppendynamik verstärkt. Die Reiter müssen sich aufeinander verlassen können. Niemand sollte sich mehr von der Reitergruppe entfernen und die einzelnen Gruppenmitglieder sind für einen bestimmten Zeitraum auf einander angewiesen. Dieses Naturerlebnis erfordert neben der Eigenverantwortung für das Pferd auch gewisse reiterliche Fähigkeiten, wie sich zum Beispiel in Notsituationen auf dem Pferd halten oder sich auf veränderte Situationen einstellen zu können. Der Klient kann erleben, dass veränderte Situationen auch für ihn zu bewältigen sind. So reduzieren sich Ängste und das Selbst wird gestärkt. Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 53 Durch die verschiedenen Formen im Therapeutischen Reiten kann individuell auf die Bedürfnisse des Klienten eingegangen werden. Körperliche, kognitive und emotionale, sowie soziale Fähigkeiten und Fertigkeiten können durch die gezielte Schaffung von förderlichen Reit- und Gruppenkonstellationen gefördert werden. 6.3. Ablauf einer Stunde innerhalb des Heilpädagogischen Voltigierens und Reitens Mittels folgender Einteilung soll der Ablauf einer Reittherapeutischen Maßnahme verdeutlicht werden. Diese Darstellung der Reittherapie im Rahmen einer therapeutischen Maßnahme für Menschen mit psychischen Störungen gibt einen theoretischen Überblick über den Ablauf des Therapeutischen Reitens und macht deutlich, dass die Therapie bereits mit erreichen des Stalles beginnt. 6.3.1. Ankommphase In der Regel sind die Ställe, in denen das Therapeutische Reiten durchgeführt wird, außerhalb des Klinik- oder Wohngeländes. So ist eine Anreise mit dem Bus etc. erforderlich. Dieser Ausflug vom Klinikgelände ist ein positiver Punkt, der Abstand von der „Enge“ einer Institution bringen kann. Im Reitstall müssen die Pferde aus dem Stall geführt werden. Durch Versorgen und Putzen der Tiere, sowie das Ausrüsten mit Zaumzeug, Gurt oder Sattel werden kognitive Fähigkeiten geschult. Bei dem gemeinsamen Pferdeputzen können erste Gespräche über Befindlichkeit und aktuelle Situation der Klienten ausgetauscht werden. 6.3.2. Einfühlphase Der Reiter soll sich seiner Stimmung bewusst werden. Wie sitze ich gerade auf dem Pferd? Wie geht es mir? Wie nehme ich das Pferd wahr? Einfühlen Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 54 bedeutet, sich in das Pferd „hineinfühlen“. Dies impliziert neben der Ablenkung vom eigenen Leiden, ein sich öffnen für das Empfinden eines anderen Wesens. Der Reiter sitzt hierbei nur passiv auf dem Pferd und fühlt sich in die Bewegungen des Pferdes ein. Um diese Prozess zu unterstützen kann der Therapeut begleitende Fragen stellen, die die den „Prozess des Fühlens“ anbahnen sollen: Wo habe ich Kontakt zum Pferd? Wie bewegt sich das Pferd? Welches Tempo ist gut für mich? Wie sitze ich so auf dem Pferd, dass es gut für mich ist? Wodurch fühle ich mich auf dem Pferd unwohl? Was wünsche ich mir für diese Reitstunde? Die Einfühlungsphase soll dem Reiter helfen sich in reflektierender Weise auf die neue Situation des Reitens einzustellen und das Gewesene hinter sich zulassen. 6.3.3. Aufwach- und Konzentrationsphase Um die Aufmerksamkeit und Konzentration des Reiters zu schulen, finden in dieser Phase gezielte Übungen auf dem Pferd statt, die durch den Therapeuten angeleitet werden und individuell an die Ziele des Klienten angepasst sind. Gezielte Übungen mit einzelnen Körperteilen sollen dem Klienten dazu verhelfen seinen Körper als Ganzes wahrzunehmen. Dabei wird die Aufmerksamkeit besonders auf Körperteile gelenkt, denen er sich nicht bewusst ist. In der Regel findet der Übungsaufbau von distal nach proximal, das heißt von rumpffernen zu rumpfnahen Körperteilen, statt. Man fängt bei den Füßen an und steigert sich von kleinsten in größere Bewegungen und Körperteile. Dabei ist eine immer wiederkehrende Reihenfolge der Übungen als strukturierendes Element sehr wichtig. Für die Wahrnehmung des gesamten Körperschemas ist es hierbei wichtig keinen Körperteil in der Anleitung auszulassen. Es werden folgende Übungen angeboten: Das dehnen der einzelnen Muskeln, das gezielte Anspannen und Entspannen einzelner Körperteile, das Schütteln und Abklopfen, das Klarmachen der Position auf dem Pferd (Wo geht es hin? Kann ich die Bewegungen des Pferdes durch meinen Körper hindurch lassen? Wie sitze ich auf dem Pferd? Wie fühle ich mich?), Bewegungen der Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 55 einzelnen Gelenke und/ oder das Nachspüren wie sich das Pferd anfühlt. Diese stark reflektierenden Elemente sollten sich an den kognitiven Fähigkeiten des Klienten anpassen, sowie auf dessen psychischen Zustand, um eine Unter- oder Überforderung in jedem Fall zu vermeiden. 6.3.4. Thematische Phase Aus den voran gegangenen Phasen ergeben sich in der Regel spezielle Themen, wie Verspannungen, zum Beispiel fehlendes körperliche Empfinden Phänomene bestimmter (Schmerzen, Körperbereiche, Kontaktfähigkeit zum Pferd), wahrgenommene Affekte (Angst vor dem Pferd oder Freude über eine gelungene Übung), eigene Verhaltensweisen und Muster („Das geht bestimmt nicht!“ oder „Das kann doch jeder!“), sowie eigene Bedürfnisse (sich nur tragenlassen wollen, Lust auf Streicheln und Geborgenheit) und aktuelle Themen (wie die Entlassung aus der Klinik oder Geschehnisse zu Hause). Im Hinblick auf diese einzelnen Themen versucht der Therapeut das Übungsangebot auf den Klienten anzupassen. Dies kann vom reinen erzählen und sich dabei tragenlassen bis hin zu rein körperlichen Übungen (Anspannungs-, Entspannungs-, Dehn- und Streckübungen) gehen. Dabei wird versucht, Themen aus den vergangenen Stunden wieder zu thematisieren und Situationen zu schaffen, von denen vermutet werden kann, dass sie im Sinne einer gezielten Förderung eingesetzt werden können. 6.3.5. Ausklang Hier werden Entspannungsübungen gemacht, wie zum Beispiel mit geschlossenen Augen auf dem Pferdehals zu liegen und sich auszuruhen. In dieser Phase kann ein reflektierendes Gespräch über die Reitstunde stattfinden (Was war gut? Woran kann noch gearbeitet werden?). Im Anschluss an das Reiten werden die Pferde versorgt und in den Stall gebracht. Dabei hat jeder Reiter die Aufgabe beim Pferd anstehenden Aufgaben auch selbst (mit Unterstützung) auszuführen. Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 56 Wird die Reittherapie im Rahmen einer Psychotherapie durchgeführt, folgt an ihren Abschluss eine Gruppentherapeutische Intervention, welche mit gestaltherapeutischen Möglichkeiten, wie zum Beispiel der Maltherapie, unterstützt werden kann. Die psychotherapeutische Intervention mittels der Maltherapie zu unterstützten hilft gerade Menschen mit psychischen Störungen ihre Emotionen zu veranschaulichen und Erlebtes besser zu verstehen und so zu integrieren. Dennoch sollte gerade bei Menschen mit einer schizophrenen Störung das Malen in einem „abgesteckten“, therapeutisch angeleiteten Rahmen stattfinden, um ein „Abgleiten in den Wahn“ nicht zu begünstigen. Abschließend soll hier noch verdeutlicht werden, dass innerhalb des Therapeutischen Reitens die Grenzen zwischen den einzelnen Disziplinen fließend ineinander übergehen. So lässt sich die Vorgehensweise in pädagogische und therapeutische Elemente aufgliedern. Das Voltigieren und Reiten mit psychisch kranken Menschen weißt Ebenen der übungszentrierten, erlebnisorientierten und konfliktzentrierte Verfahren auf: Das „Übungszentrierte Verfahren“ innerhalb der Reittherapie entspricht dem pädagogischen Ansatz. Mittels strukturierender Elemente, wie einem wiederkehrenden, gleichförmigen Aufbau der einzelnen Stunden, sowie spezieller Übungsangebote können die Teilnehmer dahingehend gefördert werden, Defizite im Verhalten zu kompensieren, nachzusozialisieren und neu entwickeln zu können. Dieser Ansatz entspricht auch einem komplexen Verhaltenstraining. Ein weiterer pädagogischer Ansatz ist die Erlebnisorientierung. Das Erleben von Pferden, ihrer Umgebung und das Reiten bietet, gerade für Langzeitpatienten eine Alternative zu den üblichen Therapieangeboten. Mittels des Reitens können eine Vielzahl von Erlebnismöglichkeiten geschaffen werden. Motorisch im Bezug auf Raum, Zeit und Geschwindigkeit. Psychologisch können durch das Getragenwerden, „Hoch-Oben-Sitzen“, „In-Bewegung-Sein“, Entspannen und „Sich-Selbst-Spüren“ neue Impulse gegeben werden. Auf der sozialen Seite bietet sich die Möglichkeit innerhalb der Gruppe neue Verhaltensweisen und Beziehungsmuster zu erproben. Das psychotherapeutische Reiten impliziert Reittherapie – eine interdisziplinäre Vernetzung 57 ebenfalls konfliktzentrierte Verfahren. Dies bedeutet, dass der Klient mit seiner Biographie „als Summe aller negativen und positiver Erfahrungen - als Ausdruck seiner Persönlichkeit konfrontiert werden kann“ (Baum, 2005, S. 24). 6.4. Indikation und Kontraindikationen für das Therapeutische Reiten mit psychisch kranken Menschen Die Therapie mit dem Pferd ist für Menschen mit unterschiedlichen psychiatrischen und psychosomatischen Diagnosen geeignet. Anhand von Evaluationen, die im Weiteren vorstellt werden, konnte dies nachgewiesen werden. Diagnosen bei denen das Therapeutische Reiten Anwendung findet sind, wie teilweise schon erwähnt: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen, affektive Störungen, implizite Angststörungen, Essstörungen, sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Belastungs- und somatoforme Störungen und neurotische Störungen. Dabei ist von Bedeutung, dass seelisch-geistige Erkrankungen immer eine mehr oder weniger große Störung in der Fähigkeit zu Kontakt und Beziehung bedeuten. Dies beinhaltet zum einen die Beziehung zu sich selbst und den eigenen Gefühlsmodalitäten und zum anderen die Emotionen, Kontaktfähigkeit zum Gegenüber und dem weiteren Umfeld. Dabei spielt die Entwicklung eines ausgewogenen Maßes von Nähe und Distanz zu eigenen Emotionen und anderen Mitmenschen eine wesentliche Rolle bei der Besserung oder Heilung der psychischen Störung. Dies meint „die Fähigkeit zur offenen Emotionalität, ohne in Gefühlen zu zerfließen, die Fähigkeit zur Abgrenzung, ohne hinter den Grenzen zu vereinsamen, die Fähigkeit zur Durchsetzung und Willenskraft, ohne zu erstarren und den Kontakt zum Gegenüber zu verlieren“ (Scheidhacker, 2003, S. 26). In der Psycho- und Soziotherapeutischen Arbeit mit dem psychisch kranken Menschen ist das oberste Ziel der Behandlung, die Förderung einer Entwicklung zu einem autonomen Menschen, der sich innerhalb der Gemeinschaft als lebens- und arbeitsfähig erfährt. Die Arbeit mit dem Pferd Der Einsatz der Methode Reittherapie 58 im gruppentherapeutischen Setting kann hier einen wesentlichen Beitrag leisten. So gehören zu den Indikationen neben den oben aufgeführten psychischen Störungen auch folgende: Angstsyndrom, Selbstunsichherheit, Disbalance der emotionalen und kognitiven Fähigkeiten, Störungen durch Traumen unterschiedlicher Art, Störungen der Selbst- und Fremdwahrnehmung, Veränderungen der Körperwahrnehmung, Störungen der koordinativkognitiven Funktionen, Einschränkungen des Realitäts-bezugs, Antriebsstörungen, Verlust der Lebensfreude, Störungen der zwischenmenschlichen Beziehungsfähigkeit und Gruppenunfähigkeit (vgl. Scheidhacker, 2003, S. 26ff). Kontraindikationen für die therapeutische Arbeit mit dem Pferd bestehen unter anderem bei somatischen Erkrankungen, dies umfasst: Entzündliche Prozesse im Bereich der Wirbelsäule, Allergien mit Neigung zu Atembeschwerden, medikamentös ungenügend eingestellte Epilepsien und akute psychische Erkrankungen, bei denen keinerlei Kontakt zur Realität mehr möglich ist, wie zum Beispiel Manie oder akute Phasen einer Psychose. Durch die vielfältig einsetzbaren Möglichkeiten mit dem Pferd ergibt sich ein breiter Einsatzbereich, der auf unterschiedliche Störungen, der den Bedürfnissen und Defiziten des Klienten angepasst werden kann. 7. Der Einsatz der Methode Reittherapie innerhalb der Soziotherapie „Soziotherapie ist die Basis therapeutischen Handelns in psychiatrischen Einrichtungen. Sie kann nicht als Technik neben anderen stehen, sondern macht die Anwendung anderer Techniken erst möglich“ (Dörner, 1999, S. 516). Diese These wird gestützt aus der Sichtweise, dass der Mensch ein bio-psychosoziales Wesen ist. Der Mensch ist angewiesen auf ein soziales Umfeld und den Austausch mit diesem. Das Umfeld kann sowohl stützende als auch fördernde Anteile oder auf der negativen Seite destruktive Wirkung und wenig förderliche Struktur haben. Dazu möchte ich ein Beispiel geben: In den fünfziger Jahren untersuchte der Sozialanthropologe Barnes den Zusammenhang von sozialen Strukturen und sozialen Beziehungen auf ein Der Einsatz der Methode Reittherapie 59 norwegischen Insel. Das Resultat der Studie ergab, dass sich ökonomische und formelle Strukturen auch in Nachbarschafts-, Bekanntschafts- und Freundschaftsbeziehungen widerspiegeln (vgl. Galuske, 2005, S. 286ff). Es gilt also für Menschen mit Störungen in ihrer Beziehungsfähigkeit ein gutes soziales Umfeld zu schaffen, in dem sie gesunden können. Dies ist unter anderem auch Aufgabe der Sozial- beziehungsweise Soziotherapie. Sie ist eine Methode der Sozialen Arbeit und fördert in besonderem Maße die allgemeinen und alltäglichen nicht an Krankheit gebundenen Anteile eines Individuums. Seit Verabschiedung der Psychiatrie-Personalverordnung 199225 werden die Begriffe Sozial- und Soziotherapie synonym verwendet. Die Soziotherapie steht auf gleicher Ebene mit medizinischen und pflegerischen Leistungen und kann somit von Fachärzten der Psychiatrie verordnet werden (vgl. Dörr, 2005, S. 104ff). Sie gestaltet den sozialen Hilfeprozess, indem sie die gezielt die Dynamik personaler, interpersonaler und institutioneller Prozesse aufgreift und diese methodisch kontrolliert und gestaltet. Die Soziotherapie zielt darauf ab den Menschen in seiner Autonomie zu fördern, Beziehungsfähigkeit anzubahnen oder wieder herzustellen. Das Handlungskonzept der Sozialtherapie vernetzt alle Berufsgruppen, die mit dem psychisch kranken Menschen zusammenarbeiten (vgl. Dörr, 2005, S. 104ff). Der für die Soziale Arbeit allgemein gültige Ansatz der Vielschichtigkeit eines Individuums innerhalb seines Umwelt-Systems, der menschliches Verhalten als Verknüpfungen innerhalb von Sozialsystemen definiert und dem Ansatz der Mensch als Produkt seiner Umwelt nahe steht, tritt hier in den Vordergrund. Im Sinne einer an Ressourcen orientierten Förderung des Adressaten unter Miteinbeziehung der organisatorischen äußeren und inneren Rahmenbedingungen, sowie der Professionen, die innerhalb dieses Feldes arbeiten, sollen an Hilfe orientierte Maßnahmen mit dem Ziel die Autonomie des Klienten zu stärken, geschaffen werden. Für den Klienten wird ein 25 Das PsychKG und PsychPV wurden im Jahr 1992 neu überarbeitet. Hierbei wurden Schutzmaßnahmen und Hilfen für psychisch Kranke formuliert und das Betreuungsgesetz neu gestaltet mit dem Ziel die Rechtstellung für körperlich, seelisch oder geistig behinderte Menschen zu verbessern (Vgl. Dörr, 2005, S. 110ff). Der Einsatz der Methode Reittherapie 60 förderliches Milieu konstruiert mit Hilfe dessen er sich in einem geschützten Rahmen entwickeln kann. Dies meint ein ganzheitliches Behandlungsmillieu zu schaffen und nicht einzelne von einander getrennte therapeutische Interventionen zu starten. Im Kontext der Soziotherapie hat der Sozialarbeiter die Aufgabe durch absichtsvolles und sozialwissenschaftlich begründbares initiieren Autonomie fördernder Prozesse für den Klienten, die sozialen Systeme dahingehend zu beeinflussen, dass sich darin befindliche Adressaten positiv entfalten können (vgl. Dörr, 2005, S. 106ff). Dazu zählen die Beschaffung und Bereitstellung von zeitlichen, räumlichen und atmosphärischen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel niedrigschwellige Kontaktstellen. Dies implementiert eine „Verknüpfung von formalen äußeren Strukturen der Administration und Verwaltung und inneren Zuständen der Klienten und ihrer Biographie“ (Dörr, 2005, S. 105). Das Herstellen und Bereitstellen von „Schonräumen“, in denen der psychisch belastete Mensch neue Lebensentwürfe ausprobieren und erfahren kann, ist als Setting gebundene Methode innerhalb von Institutionen zu verstehen wenn man so will künstlich geschaffen und jenseits der Alltagswelt, jedoch so alltagsnah wie möglich. Aber genau dieser geschaffene „Schonraum“ bereitet dem Klienten den Weg sich zu erproben und als dessen Folge seiner eigenen Autonomie hinsichtlich eines selbstbestimmteren Lebens näher zu kommen. In Anbindung von „Reittherapeutischen Einrichtungen“ an Institutionen wie Psychiatrien, Rehabilitationseinrichtungen und Wohngruppen für psychisch kranke Menschen, kann unter Miteinbeziehung der verschiedenen Professionen, die Methode der Reittherapie auch für die Soziotherapie genutzt werden. Im Rahmen der Reittherapie können in der Soziotherapie unter anderem folgende Grobziele erreicht werden: Förderung der nonverbalen und verbalen Sprach- und Dialogfähigkeit, Erhalt und Förderung der körperlichen und geistigen Mobilität, Unterstützung der Suche nach der eigenen psychischen Balance, Impulse für soziales Verhalten und damit die Verhinderung sozialer Isolation. Die Weiterbildung und Durchführung der Reittherapie setzt grundsätzlich eine pädagogische oder psychologische Ausbildung voraus. Durch eine differenzierte Planung des inhaltlichen, zeitlichen und organisatorischen Einsatzes des Tieres in Absprache mit allen Psychotherapeutisches Reiten als Methode 61 Beteiligten wird für die Praxis der Reittherapie ein therapeutisches Setting geschaffen. Die gesetzten Impulse können Initialhandlungen auslösen, wenn eine Atmosphäre des Vertrauens, Ausprobierens und Lernens geschaffen wurde (vgl. Otterstedt, 2001, S. 21ff). Innerhalb der Reittherapie wird ebenfalls die Annahme vertreten, dass der Mensch ein bio-psychosoziales Wesen ist, was sich im ständigen dialektischen Austausch mit seiner Umwelt entwickelt. Um dies noch mal zu verdeutlichen: Die biologisch-individuellen Strukturen des Menschen treffen mit den äußeren Gegebenheiten der Umwelt zusammen, speziell mit den sozialen Einflüssen, die Psyche vermittelt zwischen diesen Ebenen. Die Psyche wird also maßgeblich von der Wechselwirkung zwischen biologischen und sozialen Faktoren beeinflusst. Um diese Entwicklung ständig voranzutreiben, braucht der Mensch soziale Kontakte. Diese Tätigkeitstheoretische Grundannahme bildet die Basis für die Schaffung heilsamer26 therapeutischer Settings innerhalb der Reittherapie. Im Sinne einer ganzheitlichen Förderung spricht die Therapie mit dem Pferd den Menschen auf allen Ebenen an: Sozial in der Interaktion Klient - Pferd, Klient – Therapeut und Klient - Gruppe, psychologisch durch gezielte Reflektion im Sinne psycho-analytischer, verhaltenstherapeutischer Impulse, Selbsterfahrung und Wahrnehmung fördernder Anregungen, sowie physiologisch auf den Körperebenen (vestibulär, taktil, kinästhetisch, olfaktorisch, visuell) des Klienten. 8. Psychotherapeutisches Reiten als Methode in der Behandlung chronisch psychisch kranker Menschen Therapeutisches Reiten wird in den letzten zwanzig Jahren häufig in Angliederung an Psychiatrien und psychotherapeutischen Einrichtungen als Alternative und Erweiterung zu psychotherapeutischen und/ oder sportlichen Angeboten eingesetzt. pädagogischen Es orientierten können in Reittherapie der psychotherapeutisch- stationäre Angebote von 26 Das Wort „heilsam“ wird hier nicht im eigentlichen Sinne einer vollständigen Genesung von psychischer oder körperlicher Krankheit verwendet. Es wird in der Bedeutung im Bezug auf Minderung von „seelischem“ Leiden und Steigerung von Lebensfreude und Qualität angewendet. Psychotherapeutisches Reiten als Methode 62 ambulanten unterschieden werden, sowie Gruppen- und Einzelsitzungen. Die einzelnen Fachgebiete der Medizin, Sozialpädagogik, Heilpädagogik und Psychologie vernetzten und überlappen sich bei dieser Therapiemethode. Mit wechselnder Gewichtung auf die einzelnen Gebiete kann für den Klienten eine ganzheitliche Förderung mit dem Pferd entstehen. Insbesondere das Heilpädagogische Reiten und Voltigieren ist eine besondere pädagogische und (psycho-)therapeutische Maßnahme für verhaltensauffällige, lernbehinderte, geistig behinderte und psychisch kranke Menschen. Während der Reittherapie können fast alle Verfahren der Psychotherapie mit einfließen: So kann das Pferd unter edukativen, verhaltenstherapeutischen, systemischen, körpertherapeutischen, tiefenpsychologischen und analytischen Aspekten eingesetzt werden. Diese psychotherapeutischen Verfahren werden von fähigen Therapeuten während der Interaktion mit dem Pferd angeleitet und reflektiert. Natürlich umfassen die psychotherapeutischen Verfahren sozialpädagogisch orientiertes Vorgehen, da immer auch soziointegrative Ziele verfolgt werden. Die Durchführung des Psycho- therapeutischen Reitens erfordert ein gutes umfassendes Fachwissen über psychiatrische Störungen und deren Psychodynamik. Nur entsprechend ausgebildete Fachkräfte der Reittherapie und Psychotherapie und zertifizierte Einrichtungen sollten für die Therapie genutzt werden. Das Pferd allein bringt noch keine Heilung, nur innerhalb eines therapeutischen Settings können die fördernden Aspekte des Pferdes auch als solche wirken. So bilden das therapeutische Setting die Basis und der geschulte Therapeut das Instrumentarium zur Förderung positiver Veränderung. In diesem Kapitel werde ich speziell auf das Psychotherapeutische Reiten des Isar-AmperKlinikum München eingehen und anhand von Evaluationsergebnissen die Wirksamkeit der Reittherapie für psychisch kranke Menschen darstellen. Ich habe mich bewusst für die Reittherapeutische Arbeit des Isar-AmperKlinikums entschieden, da hier, unter Leitung von Scheidhacker, seit Jahrzehnten gezielte Evaluation der Wirksamkeit von Reittherapie betrieben wird und die Methode im internationalen Austausch ständig verbessert wird. Im weiteren Verlauf wird der Begriff Therapeutisches Reiten mit Gewichtung auf psychotherapeutische Verfahren, die auch immer sozial-pädagogische Psychotherapeutisches Reiten als Methode 63 Elemente enthalten, verwendet. Hier werden Therapeuten aus allen Fachgebieten eingesetzt, um in Absprache mit dem Personal der Stationen eine möglichst individuell auf den Klienten zu geschnittene Therapie zu ermöglichen. Im Sinne einer interdisziplinären Zusammenarbeit besteht in der Psychiatrie die Möglichkeit, das Psychotherapeuten, Sozialpädagogen, Ergo- und Physiotherapeuten und der Reittherapeut eine bestmögliche Förderung für den psychisch kranken Menschen finden, in dem sie sich untereinander austauschen. Ziel dieser Methodik ist den psychisch kranken Menschen während der reittherapeutischen Gruppensitzung auf mehreren Ebenen zu erreichen. Insbesondere das Pferd als Medium in der Therapie bietet den Vorteil, dass es man zu ihm eine Beziehung aufbauen kann, die frei von menschlich-psychischen Dynamiken der Verstrickung ist. Des Weiteren hat das Pferd, wie bereits angesprochen, einen hohen Aufforderungscharakter, der gerade therapiemüde und lange Zeit nicht mehr erreichbare Klienten anspricht. Auch bringt das Pferd durch sein naturnahes Umfeld neben seinen eigenen Reizen auch Abstand zu Klinik selbst. Der therapeutische Ansatz ist: Den Menschen in seiner Körperlichkeit und Beweglichkeit anzusprechen, Sensibilität und Wahrnehmung im Hinblick auf Beziehungsfähigkeit aufzubauen und somit die gesunden Ich- Anteile des Klienten zu stärken. Auch übernimmt der Klient ein Stück Eigen- und Fremdverantwortung für sich und das Pferd, sowie für die Gruppenmitglieder in Anleitung durch den Therapeuten. Eine Beziehung zum Pferd aufzubauen ist auf Basis der nonverbalen analogen Kommunikation für psychisch kranke Menschen in der Regel viel leichter als der Kontakt zu anderen Menschen. Auch ist es möglich viel körperliche Nähe zu erfahren ohne Angst vor Grenzverlust zu verspüren. Denn das Pferd kennt keine Gegenübertragungsphänomene und verliert seine Grenzen nie (vgl. Kupper-Heilmann, 1999, S. 14ff). Die Ausdrucks- und Mitteilungsfähigkeit bei Menschen mit einer schizophrenen Störung sind oft massiv gestört. Bei der Auseinandersetzung mit dem Pferd ist keine Sprache nötig. Auch werden dem Menschen im Kontakt die direkten Reaktionen des Pferdes häufig zum „Spiegel“ seiner eigenen Befindlichkeit. In Anleitung durch den Therapeuten können tiefenpsychologisch unbewusste Seelenzustände deutlich werden, die im Sinne einer Aufdeckung biographischer Seelenzustände genutzt werden Psychotherapeutisches Reiten als Methode 64 können (vgl. Scheidhacker, 1998, S. 16ff). Der lebendige Übungspartner Pferd gibt Anlass zum Empfinden von Lebenslust und Freude. Das Reiten erfordert ständige Gleichgewichtsreaktionen und macht rein passives Verhalten schier unmöglich. Auch die körperliche Arbeit und anschließende Müdigkeit unterstützen die Realitätsüberprüfung. Die natürlich auftretende Frustration und Enttäuschung beim Nichtgelingen eines selbstgewählten Ziels können zu einer positiven Erfahrung werden, in dem nicht mit Kontaktabbruch und Verlust reagiert wird. Das Pferd bietet hier ein geeignetes Medium, da es nicht nachtragend ist und frei von Manipulation, sowie psychischen Dynamiken der Verstrickung und Übertragungs-27und Gegenübertragungsphänomen28. Ein Therapiepferd vermittelt durch seine kraftvolle Erscheinung und neugierige Kontaktbereitschaft Motivation, die gerade für Langzeitpatienten neue Möglichkeiten erscheinen lässt. Es akzeptiert den Menschen in seinem „Jetzt-Sein“, das heißt es verlangt keine Veränderung, denn es ist frei von ideellen Zielen und Erfolgszwang. Das Pferd kann den Therapeuten durch diese Fähigkeit unterstützen, den Klienten in seinem jetzigen abweichenden Verhalten anzunehmen, denn nur durch Akzeptanz kann der Therapeut den Menschen hinter seiner Krankheit ansprechen und therapeutisch wirksames Setting entstehen lassen. Durch die Kombination von körperlichen Sinneserfahrungen in Verknüpfung mit seelisch-geistiger Erkenntnis wird eine Verbindung vom Großhirn zum emotionalen Zentrum hergestellt und so die Möglichkeit der Veränderung geschaffen. 8.1. Studie des Isar-Amper-Klinikum München Die in den Jahren 1988/89, 1991 bis 1995 und 1998 von Dr. Scheidhacker und Kollegen wiederholt durchgeführte Studie über die Wirksamkeit des Therapeutischen Reitens in der Behandlung chronisch schizophrener Erwachsener brachte erstmalig auf diesem Gebiet wissenschaftlich 27Während der Therapie entstehende Übertragung von Projektionen und Wünschen auf den Therapeuten. Mit diesem Prozess kann der Therapeut gezielt arbeiten. 28 Bezeichnung für die Übertragung unbewusster Konflikte und Bedürfnisse des Therapeuten auf den Klienten. Psychotherapeutisches Reiten als Methode 65 evaluierte Erkenntnisse29 über das Therapeutische Reiten im Bezug auf eine Veränderung der Psychopathologie und Minussymptomatik. Dabei wurde mittels psychologischer Testverfahren und Verlaufsbeobachtungen die unterschiedliche Wirkung von zeitlich begrenzten Therapieintervallen und Langzeitbehandlungen überprüft. Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Scheidhacker werde ich ihre Studie darstellen. Im weiteren Verlauf wird das Wort Patienten statt Klienten verwendet werden, da dies in Anbetracht der stationären Therapie sinnvoll erscheint. 8.2. Aufbau der Studie Die Therapiegruppe bestand aus sechzehn Patienten mit einer chronischen Schizophrenie. Neben einer stationären Verhaltenstherapie wurde, in Gruppen von je vier Patienten, einmal wöchentlich eine Reittherapeutische Therapie mit psychotherapeutischem Schwerpunkt durchgeführt. Die Therapie erstreckte sich über einen Zeitraum von acht Wochen. In diesem Zeitraum wurden die Patienten immer wieder über ihr Befinden hinsichtlich von Lebensqualität befragt und insbesondere eine Veränderung der Psychopathologie und Minussymptomatik beobachtet (vgl. Scheidhacker, 1991, S. 32ff) Im gleichen Zeitraum bekam eine Kontrollgruppe von acht Patienten über einen Zeitraum von acht Wochen eine stationäre verhaltenstherapeutische Therapie, um so festzustellen, ob die Reittherapie überhaupt eine Wirkung auf die psychisch kranken Menschen hat. 29 Derzeit untersucht die Münchener Psychologin Melanie Kupsch von der Ludwig- Maximilians-Universität München der Effekt des Therapeutischen Reitens mit 300 Patienten. Psychotherapeutisches Reiten als Methode 66 8.3. Thesen Mit der Studie über die Wirksamkeit des Therapeutischen Reitens sollten folgende Thesen beantwortet werden (Scheidhacker, 1998, S. 32): 1. Die chronisch schizophren erkrankten und hospitalisierten Erwachsenen sind dazu fähig, die fachgerechte Pflege eines Pferdes zu erlernen und in einem geschützten Rahmen ein Pferd selbstständig im Schritt zu reiten. 2. Das Therapeutische Reiten beeinflusst das psychische und physische Zustandbild der Patienten. Dies zeigt sich durch eine Verbesserung der Psychopathologie und der Minussymptomatik. Die Wirkung des Therapeutischen Reitens wirkt auch nachhaltig über den Therapiezeitraum hinaus. 3. Das Therapeutische Reiten wirkt sich auf die individuelle Lebensqualität der Klienten aus. 8.4. Therapeutisches Setting 8.4.1. Beobachtung freilaufender Pferde Die Klienten können aus der Distanz die äußerlichen und charakterlichen Eigenschaften der Pferde kennen und unterscheiden lernen. Hierbei können erste Kontakt zwischen Mensch und Pferd geknüpft werden. Dabei fasziniert und motiviert ein galoppierendes Pferd. Zu dem werden auch gesunde Ängste mobilisiert, die im Laufe der Therapie als zu bewältigen erlebt werden können. Auch dient das Pferd als Projektionsfeld für Wünsche und Phantasien. Psychotherapeutisches Reiten als Methode 67 8.4.2. Körperliche Berührung Pflege und fachgerechtes Satteln und Zäumen der Pferde dienen der Kontaktaufnahme und dem kognitiven Prozess des Erlernens von Fertigkeiten. Während dieses Prozesses werden die individuellen Eigenarten des Pferdes deutlich, so können Ängste abgebaut und mutiges Handeln gefördert werden. 8.4.3. Körperkontakt Das Sitzen auf dem ungesattelten und an der Longe geführten Pferdes ermöglicht das Erspüren der Bewegungen des Pferdes. Auch das eher passive „Getragen und Geschaukelt“ werden von einem Lebewesen ermöglicht intensive Erfahrungen der eigenen Körperlichkeit und Emotion. Durch die Bereitstellung von Pferden unterschiedlicher Größe, Farbe und Temperament wird die Wahrnehmung differenzierter. Kinästhetische, taktile, olfaktorische, akustische und optische Reize unterstützen diesen Wahrnehmungsprozess. 8.4.4. Aktive Auseinandersetzung Die Patienten werden schrittweise vom Pflegen des Tieres bis hin zum selbstständigen Reiten angeleitet. Dieser Prozess erfordert die Eigenaktivität von den Patienten. Dieser von einem Ausritt in die Natur gekrönter Entwicklungsschritt ermöglicht eine Weiterentwicklung im Sinne einer Ich – Stärkung, Wahrnehmungsschulung, Realitätsüberprüfung und Identitätsbildung. 8.4.5. Gemeinsamkeit Die gemeinsame Arbeit von zwei bis drei Klienten an einem Pferd fördern die natürliche, zwischenmenschliche Kommunikation und Austauschfähigkeit Psychotherapeutisches Reiten als Methode 68 innerhalb der Kleingruppe. Gegenseitiges Helfen und gesunde Abgrenzung voneinander können auf diese Weise trainiert werden. 8.4.6. Gruppentherapie Im Anschluss an die Reittherapie findet ein analytisch-orientiertes Gruppengespräch mit der gesamten Gruppe statt. Hier wird die Möglichkeit zur Reflexion des individuellen Erlebens und der gruppendynamischen Beziehungsklärung gegeben. Unter fachlicher Anleitung findet ein Transfer auf die Bewältigung von Alltagsproblemen statt. 8.4.7. Kombination von anderen Therapiemethoden In zeitlichen Abständen findet eine Kunsttherapie im Anschluss an das Reiten statt, um veranschaulichen. emotionale Allerdings Bilder besteht und gerade Erlebnisse bei direkt Menschen zu mit Schizophrenie die Gefahr des „Abgleitens in den Wahn“ durch die Maltherapie, hier ist ein strukturiertes Vorgehen und unbedingte Fachkenntnis erforderlich. 8.5. Methodisches Vorgehen 1. Vor Beginn des Therapieprogramms von acht Wochen und nach Ablauf des Therapieprogramms (Follow up) wurden folgende Tests von unabhängigen Personen mit den Klienten durchgeführt: a) Brief Psychiatry Rating Scale (BPRS) zur Dokumentation der Psychopathologie (Overall/ Gorham, 1962; Abbildung 7). b) SANS (Beurteilung der Minussymptomatik, Kurzform Münchener Version30, Dieterle/ Ackenheil, 1986; Abbildung 8). 2. Jede Therapiestunde wird bezüglich der Pflegetätigkeiten am Pferd und des Reitens anhand einer vorstrukturierten Punkteskala vom Therapeuten dokumentiert. 30 Zur Dokumentation der Minussymptomatik. Psychotherapeutisches Reiten als Methode 69 3. Vor und im Anschluss an die Therapie wird von allen teilnehmenden Klienten die Befindlichkeits-Skala (Bf-S)31 ausgefüllt (Zerssen, 1976; Abbildung 9). Abbildung 7: Gesamtverlauf im BPRS (nach Scheidacker, 1998, S. 35) 31 Zur Dokumentation der subjektiven Befindlichkeit. Psychotherapeutisches Reiten als Methode Abbildung 8: Gesamtverlauf der SANS (nach Scheidacker, 1998, S. 37) 70 Psychotherapeutisches Reiten als Methode 71 Abbildung 9: Befindlichkeitsveränderungen nach dem Therapeutischen Reiten (A), Durchschnittliche Befindlichkeit: vor und nach der Therapie (B) (nach Scheidacker, 1998, S. 39). Psychotherapeutisches Reiten als Methode 72 8.6.Ergebnisse zur der Veränderung der Psychopathologie (Scheidacker, 1998; Abbildung 7) • Therapie- und Kontrollgruppe sind zu Beginn der Untersuchung in ihrer Psychopathologie vergleichbar. • Die Therapiegruppe verbesserte sich gegenüber der Kontrollgruppe in den Bereichen Denkstörungen und Misstrauen sowie dem gesamten Psychopathologischen Befund. • Die Therapiegruppe zeigte eine signifikante Verbesserung im Vergleich vor und nach dem Reiten im Bezug auf Angst, Depression, Denkstörung und Feindseligkeit. • Die signifikante Verbesserung konnte über acht Wochen nach dem Therapeutischen Reiten gehalten werden. • In der Kontrollgruppe war keine signifikante Veränderung erkennbar. • Von insgesamt sechzehn Patienten waren vierzehn nach der der Therapie im gesamten psychopathologische Befund besser, davon konnten sieben die Besserung über einen Zeitraum von acht Wochen die Verbesserung halten. 8.7.Ergebnisse zur der Veränderung der Minussymptomatik (Scheidacker, 1998; Abbildung 8) • Therapie- und Kontrollgruppe sind bezüglich ihrer Minussymptomatik vor der Therapie vergleichbar. • Während des Therapiezeitraumes verbesserte sich die Therapiegruppe gegenüber der Kontrollgruppe in den Bereichen Alogie32 und Aufmerksamkeit signifikant. In den Bereichen der Affektverflachung und in der gesamten Minussymptomatik33 32 Alogie beschreibt die Unfähigkeit grammatikalisch und inhaltlich sinnvolle Sätze zu bilden. Vorkommen bei psychotischen Störungen. 33 Minussymptomatik ist der Fortfall vorhandener Eigenschaften infolge psychischer Erkrankung. Zeichen eines Negativverlaufes der Schizophrenie. Einhergehend mit geistigen, Psychotherapeutisches Reiten als Methode 73 tendenziell. In den Bereichen Abulie34 und Apathie, Anhedonie35 und sozialer Rückzug ist eine tendenziell minimale Verschlechterung erkennbar. • Während der Therapie verbesserte sich die Therapiegruppe im Präund Postbereich Alogie. • Acht Wochen nach der Reittherapie konnte im Vergleich zum Beginn der Therapie bezüglich der Minussymptomatik und Aufmerksamkeit eine Verbesserung festgestellt werden. • In der Kontrollgruppe konnte im Bereich der Minussymptomatik keine Veränderung festgestellt werden. Im Bereich Aufmerksamkeit war eine signifikante Verschlechterung (< 5%) erkennbar. • Von den insgesamt sechzehn Patienten waren zwölf nach der Reittherapie bezüglich ihrer Minussymptomatik besser, zehn von ihnen konnten in den folgenden acht Wochen die Verbesserung halten beziehungsweise noch steigern. 8.8. Ergebnisse der gesamten Studie (Scheidacker, 1998) 1. Alle Patienten lernten ein Pferd zu pflegen, zu satteln, aufzutrensen und zu führen. 2. Alle lernten auf dem ungesattelten Pferd an der Longe im Schritt zu reiten. 87,5% schaffte es zu traben, 50% zu galoppieren. 3. Dabei zeigte sich das Reiten auf dem gesattelten Pferd schwieriger darstellte, 68,7% schafften es zu traben und keiner zu galoppieren. Ursächlich hierfür ist der fehlende aktive Kontakt zum ungesattelten Pferd, auch erfordert das Reiten mit Sattel eine aktivere Kontaktaufnahme, worin affektiven und vegetativen Symptome, wie Entscheidungsunfähigkeit, Antriebslosigkeit, Depression, Schwindel et cetera. 34 Abulie bezeichnet den Zustand der Willenlosigkeit 35 Anhedonie umschreibt den Zustand keine Lust oder Freude empfinden zu können. Gilt als Basisstörung der Schizophrenie. Psychotherapeutisches Reiten als Methode 74 eine erhöhte Schwierigkeit für die Patienten entstand, welche die Verschlechterung begründet. 4. Alle Patienten lernten einem Vorreiter selbstständig im Schritt zu folgen, so wurde das reiterliche Therapieziel von allen erreicht. Das Reiten von verschiedenen Figuren in der Reitbahn schien hierbei leichter zu sei, als das Traben an der Longe. 56,25% schafften es am Ende der Therapie eine kleinen Ausritt im Schritt zu machen. 5. Abschließend sei festgestellt, dass die Ziele der Therapie: Selbstständig hinter einem Vorreiter herzureiten von allen chronisch schizophrenen Patienten erreicht wurde. Kein Patient musste die Therapie abbrechen oder wegen Überforderung aus dem Programm genommen werden. Befindlichkeitsveränderungen durch das Therapeutische Reiten Es wurden insgesamt 128 Therapieeinheiten durchgeführt. Die Befindlichkeit der Patienten wurde vor und nach jeder Einheit mit Hilfe einer Befindlichkeitsskala (Bf-S) dokumentiert (Abbildung 9 A). Durchschnittliche Befindlichkeit – Verlauf (vor und nach der Therapie) Die durchschnittliche Befindlichkeit in der Therapiegruppe war über den gesamten Therapieverlauf nach der Therapie deutlich verbessert (Abbildung 9 B). Zusammenfassung der Studie Ein chronisch schizophren erkrankter Mensch kann durch das Therapeutische Reiten nicht von seiner Krankheit geheilt werden. Dennoch kann die Therapie mit dem Medium Pferd die Lebenseinschränkenden Symptome, wie Antriebsarmut, Angst, Depression, Misstrauen und Denkstörungen, sowie unrealistische Fremd- und Selbsteinschätzung zu mindest lindern. Auch die Lebensqualität und Lebensfreude werden verbessert. Vorteile der therapeutischen Arbeit mit dem Pferd sind neben bereits erwähnten Faktoren, dass sie ein zielgerichtetes Handeln ermöglicht. Das gemeinsame naturnahe Erleben in der Gruppe und die Beziehung zum Pferd setzen der Krankheit gelebte Lebensqualität entgegen. Fazit 75 9. Fazit Die Möglichkeiten Die therapeutische Arbeit mit dem Pferd bei chronisch schizophren erkrankten Erwachsenen impliziert Chancen und hat ihre Grenzen. Mit der Unterstützung des Pferdes können Menschen neu erreicht werden, die eine lange Zeit als Patient hinter sich haben, denn das Pferd bringt mit sich und seiner naturnahen Umgebung ein hohes Aufforderungspotential mit. Auch übernimmt es eine Art „Eisbrecherfunktion“ zwischen Klient und Therapeut, in dem es zunächst im Mittelpunkt der Therapie steht und so eine langsame Annährung von Klient und Therapeut ermöglicht. Die Chancen der therapeutischen Arbeit mit Mensch und Pferd lassen sich aufgliedern zum einen in den Umgang von Klient und Pferd, dem Beziehungsaufbau und dem Reiten und zum anderen durch die Beziehung zwischen Therapeut und Klient. Es besteht ein Dreiecksverhältnis (Klient – Pferd – Therapeut), indem das Pferd eine Art „Eselsbrücke“ zwischen Therapeut und Klient sein kann. Insbesondere dadurch, dass das Pferd wertfrei und neutral, sowie frei von Psychodynamiken der Übertragung und Gegenübertragung ist, können „neue“ Möglichkeiten entstehen helfende Prozesse zu initiieren. Dabei kann das Tier in der Interaktion mit dem Menschen auf dessen innere Spannungszustände mit seinem Verhalten reagieren, so wird es für den geschulten Therapeuten eine Art „Spiegel“ der Zustände des Klienten. Die Beziehung zu einem Tier kann in der Regel von Menschen, die in ihrer Beziehungsfähigkeit belastet sind, besser ausgehalten werden, als die zu einem Menschen. Im Mittelpunkt der Reittherapie steht immer eine Förderung der IchEntwicklung. Diese Förderung ist durch folgende Wirkfaktoren gekennzeichnet: Dem Bewegungsdialog mit dem Pferd beim Reiten, einer Aufwertung der Person durch das Erlernen von Fertigkeiten und Fähigkeiten im Umgang mit dem Pferd, dem besondere Beziehungsaufbau zwischen Klient und Pferd und die Beziehung zwischen Klient und Therapeut, der durch gezielte Anleitung förderliche Prozesse initiieren kann (vgl. KupperHeilmann, 1999, S. 152ff). Fazit 76 Der durch das Reiten auf dem Pferd entstehende Bewegungsdialog kann durch die positiven Erfahrungen des Gehalten und Getragenwerdens, sowie entsprechende Anleitung durch den Therapeuten eine kommunikative Öffnung des Klienten unterstützen. Auch können Emotionen „der Regression und Progression erlebt werden“ (Kupper-Heilmann, 1999, S. 152). Die gezielte Gestaltung der Trainingssituationen mit dem Pferd, wie zum Beispiel die Einflussnahme auf das Pferd durch Führen und/ oder Reiten, führen zu einer Aufwertung der Person und einer Ich-Stärkung. Erfolgserlebnisse sind relativ schnell zu erreichen, so ist auch ein niedrigschwelliges Angebot zu gewährleisten. Auch können neue Beziehungsqualitäten durch Vermittlung des Therapeuten zwischen Pferd und Klient erfahrbar werden. Eine gezielte Reflexion von Projektionen auf das Pferd ermöglicht dem Therapeuten den Klienten zu verstehen und dahingehend therapeutische Interventionen zu initiieren. Das Pferd ist sozusagen „Projektionsfläche für den Klienten und Indikator für den Therapeuten“ (Kupper-Heilmann, 1999, S. 153). Es bietet eine Spiegelung des Klienten an, indem es auf innere Spannungszustände mit seinem Verhalten reagiert. Das Pferd kann durch sein artspezifisches Verhalten den Menschen zum Kontakt auffordern, sofern es keine übergroßen Ängste bei ihm auslöst, in dem es ihn berührt und so auffordert zu reagieren. Dieses Verhalten kann selbst sehr in sich zurückgezogene Menschen wieder anregen in Kontakt mit der Außenwelt zu treten. Die auf nonverbale Kommunikation ausgerichtete Interaktion mit dem Pferd ermöglicht eine vorurteilsfrei, wertneutrale Beziehungsschaffung, ohne in die Gefahr zu kommen vom Pferd in irgendeiner Weise manipuliert werden zu können. Da psychische Erkrankung immer auch eine mehr oder weniger starke Störung in der Beziehungsfähigkeit beinhaltet, bieten sich mit dem Pferd neue Möglichkeiten in der Kontaktaufnahme zur Umwelt. Die Voraussetzungen, die ein Pferd für die Therapie mit sich bringt können nur genutzt werden, wenn das Tier entsprechend ausgebildet und gehalten wird. Ein neurotisches Pferd ist für die Reittherapie nicht geeignet. Im Vergleich zu anderen Tieren, die für die Therapie mit dem Menschen genutzt werden können ist das Pferd durch die Möglichkeit sich von Ihm Tragenzulassen besonders. „Dies beinhaltet das Erleben, in Beziehungen ausgehalten zu werden, und eröffnet eine neue Beziehungserfahrung“ Fazit 77 (Kupper-Heilmann, 1999, S. 155). Das Erleben ein Pferd lenken und reiten zu können gibt dem Menschen die Möglichkeit zu spüren, dass Gefühle der Ohnmacht der Aktivität weichen können. Das es nicht nur um das „Aushalten“ oder „Ertragen“ einer Situation geht, sondern vielmehr um das Selbstgestalten, aktiv werden. Auch die archaische Ausstrahlung eines Pferdes, seine Größe und Kraft bieten einen besonderen Anreiz für die Therapie. Zum einen die Ich-Stärkung durch das Erlernen von praktischen Fähigkeiten im Umgang mit dem Pferd und zum anderen eine Projektionsfläche für Wünsche, Erwartungen und Phantasien. Auch die naturnahe Umgebung des Pferdes kann ein erdendes Moment für den Menschen werden, indem sie von bestehenden Problemen ablenkt und neue Impulse zur Schaffung von Lebensqualität und Lebensfreude setzt. Das Pferd allein kann, bei allen Fähigkeiten, die es mitbringt, nicht heilen. Eine Nutzung im therapeutischen Sinne kann nur durch einen entsprechend sozialpädagogisch, heilpädagogisch, psychologisch und therapeutisch ausgebildeten Menschen erfolgen. Denn nur durch die Kenntnis von psychiatrischen und psychologischen Störungen, das Wissen über Projektionen und Gegenübertragungen, Kenntnisse der Psychodynamik, sowie reiterlichen Kenntnissen und Erfahrungen im Umgang mit Pferden können gezielte, planvolle Interventionen, im Sinne einer Förderung des Klienten, gestartet und für diesen nutzbar gemacht werden. Die Reittherapie eignet sich als Methode der Soziotherapie, da die Arbeit mit dem Pferd (als Herdentier) in der Gruppe gut möglich ist. Das Tier wird sich der Rangordnung entsprechend unterordnen, aber auch seine eigenen Grenzen im Bezug auf den Menschen deutlich machen. Das Medium Pferd schafft Gemeinsamkeiten in der Gruppe, wo vorher keine waren, zum Beispiel in dem vier Menschen ein Pferd zusammen pflegen sollen. Durch die notwendige und sinnvolle Tätigkeit treten menschliche Konflikte in den Hintergrund, da das Pferd im Mittelpunkt steht. Auch als Methode in der Psychotherapie eignet sich das Pferd durch seine eben schon genannte Projektionsfläche für Wünsche und Ängste, sowie die Möglichkeiten des besonderen Beziehungsaufbaues. Fazit 78 Die Grenzen Die Grenzen für die therapeutische Arbeit mit psychisch kranken Menschen in der Reittherapie liegen im Bereich der Kontraindikationen, wie speziellen Wirbelsäulenerkrankungen, Multiplen Sklerosen, sehr starken körperlichen Behinderungen, bei denen das Liegen auf dem Pferd nicht möglich ist, Allergien und akuten psychotischen Schüben, bei denen kein Kontakt zur Außenwelt mehr möglich ist. Auch eine übergroße Angst vor Tieren, speziell Pferden lässt die Reittherapie als nicht sinnvoll erscheinen. Auch die Tiefe und Schwere erlebter Traumata kann eine Grenze darstellen. Generell wird der Erfolg einer Therapie mit dem Pferd durch die Einstellung des Klienten in positiver Weise begünstigt. Es lässt sich abschließend sagen, dass die Reittherapie kein generelles Heilmittel für die Erkrankung A oder B ist, dies muss von Einzelfall zu Einzelfall neu entschieden werden. Ausblick Reittherapie kann für die Behandlung von chronisch schizophren erkrankten Menschen eingesetzt werden. Sie besitzt eine therapeutische Wirkung. Diese Wirkung kann nicht vom Pferd allein ausgehen und muss durch den geschulten Therapeuten initiiert werden. Sie steigert die Lebensqualität und Lebensfreude, in dem sie neben der psychomotorischen Förderung des Menschen auch Ich – Anteile in besonderer Art und Weise fördert. Die Erforschung und Evaluation der Reittherapie im Bereich mit psychisch kranken Erwachsenen ist bisher selten und in kleinen Studien angelegt, hier besteht Nachholbedarf. Die Forschung zum Thema erfolgt weniger mit Erwachsenen als mit Kindern. Dies könnte ausgebaut werden, da gerade in der Behandlung mit psychisch kranken Erwachsenen therapiemüde Klienten zu finden sind, die mittels des Pferdes neu erreicht und gefördert werden könnten. Auch die Grundlagenforschung der Beziehung zwischen Mensch und Tier basiert auf kleineren Feldversuchen und geschieht häufig noch erfahrungsgeleitet. Hier könnten größer ausgelegte, und besser auf die Thematik der besonderen Beziehungsmöglichkeit zwischen Mensch und Tier ausgerichtete, Studien neue Erkenntnisse bringen. Für Menschen mit einer sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Ausbildung bietet die Reittherapie (als Zusatzausbildung) vielfache Arbeitsmöglichkeiten, sei es mit Fazit Kindern 79 im Heilpädagogischen Bereich oder mit Erwachsenen in Rehabilitation und Therapie. Sie eröffnet bei Klienten neue Chancen Kontaktstörungen abzubauen, das Sozialverhalten zu verbessern und in Physis und Psyche gestärkt zu werden. Abbildungsverzeichnis 80 10. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: „Aufrichten und Mitschwingen des Beckens“ (Klüwer, B., 2005, S. 18). Abbildung 2: „Reiten auf dem Schritt gehenden Pferd“ (Klüwer, B., 2005, S. 7). Abbildung 3: „Trianguläre Interaktion“ (Klüwer, B., 2005, S. 9). Abbildung 4: „Fühlen“ (Schulz, 2005, S. 23). Abbildung 5: „Die Bereiche des Therapeutischen Reitens“ (DKThR). Abbildung 6: „Die Entwicklung des Therapeutischen Reitens international und die Stellung des Heilpädagogischen Voltigierens/ Reitens innerhalb des Therapeutischen Reitens“ (Klüwer, C., 2005, S. 17). Abbildung 7: „Gesamtverlauf im BPRS“ (Scheidacker, M., 1998, S. 35). Abbildung 8: „Gesamtverlauf im SANS“ (Scheidacker, M., 1998, S. 37). Abbildung 9: „Prozentuale Verteilung der Befindlichkeitsänderung nach dem Therapeutischen Reitens (A). Durchschnittliche Befindlichkeit Verlauf vor und nach der Therapie (B)“ (Scheidacker, M., 1998, S. 39). Literaturverzeichnis 81 11. Literaturverzeichnis Baum, D, (1994) Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten mit psychisch kranken Menschen. In: Sonderheft Therapeutisches Reiten (3/1994), S. 30-37 Benecke, N., (1994) Der Mensch und seine Haustiere – Geschichte einer Jahrtausende alten Beziehung, Stuttgart, Konrad Theiß Verlag Berger, M., (1999) Psychiatrie und Psychotherapie, München, Urban und Schwarzenberg Burkel, A., (2007) Die Zügel in die Hand nehmen. In: Gehirn und Geist – Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung (11/2007), S. 42-46 Burkel, A., (2007) Mit Pferden gegen das Leid der Seele. In: Süddeutsche Zeitung (2.03.2007) Davidson, G.C., Neale, J.M., (1996) Klinische Psychologie, 4.Auflage, Weinheim, Verlags Union Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V., (2005) Sonderheft: Die Arbeit mit dem Pferd in Psychiatrie und Psychotherapie, 3. Auflage, Warendorf, FNverlag Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V., (2005) Sonderheft: Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten – Grundlagen, 3. Auflage, Warendorf, FNverlag Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten, (2004) „Vom Abenteuer des Getragenwerdens“, Film Dörner, K., Plog, U, (1999) Irren ist menschlich – Lehrbuch der Psychiatrie und Psychotherapie, Bonn, Psychiatrie Verlag Dörr, M., (2005) Soziale Arbeit in der Psychiatrie, München, Ernst Reinhardt Verlag Fachgruppe Arbeit mit dem Pferd in der Psychotherapie (2005) Psychotherapie mit dem Pferd – Beiträge aus der Praxis, Warendorf, Fnverlag Fachgruppe der Arbeit mit dem Pferd in der Psychotherapie und Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V., (2005) Literaturverzeichnis 82 Psychotherapie mit dem Pferd – Beiträge aus der Praxis, Warendorf, FNverlag Galuske, M., (2005) 6. Auflage, Methoden der Sozialen Arbeit, Weinheim, Juventa Verlag Greiffenhagen, S., Buck-Werner, O.N., (2007) Tiere als Therapie, Mürlenbach, KYNOS Verlag Hellerer, D., (2003) Kurzes Lehrbuch der Psychiatrie, Bern, Hans Huber Verlag Hesse, U., (2006) Therapeutisches Reiten und dessen Nutzen für die Psychopathologie. In: Fachzeitschrift Therapeutisches Reiten (4/2006), S. 10-13 Hilmer, V., (2008) Erfahrungsbericht über die Fortbildung „Einführung in die Theorie und Praxis des Psychotherapeutischen Reitens“. In: Gehirn und Geist – Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung (4/2008), S. 13-16 Ihm, V., (2008) 2. Auflage, Heilpädagogisches Reiten und Entwicklungsförderung, Berlin, Verlag Freimut und Selbst Institut für Therapeutisches Reiten e. V. (postum) in Kooperation mit der Fakultät Soziale Fachhochschule Arbeit und Hildesheim/ Gesundheit der Holzminden/Göttingen (2006) Heilpädagogik und Soziale Arbeit. Zum Einsatz des Pferdes in der Behinderten- und Jugendhilfe Jung, C.G., (1991) Archetypen. München, Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG München Jung, C.G., (1991) Praxis der Psychotherapie. Gesammelte Werke. Band 16, Olten, Walter-Verlag Klüwer, B., (2005) Selbsterfahrung mit dem Pferd- Mensch und Pferd eine Beziehung mit Jahrtausende alter Geschichte, S.10-16. In: Psychotherapie mit dem Pferd – Beiträge aus der Praxis, (2005), FNverlag, Warendorf Klüwer, K., (2005) Die spezifischen Wirkungen des Pferdes in den Bereichen des Therapeutischen Reitens, S.5-12. In: Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten – Grundlagen (2005), FNverlag, Warendorf Literaturverzeichnis 83 Klüwer, K., (2005) Zur Arbeit mit dem Pferd in Psychiatrie und Psychotherapie, S.15-18. In: Die Arbeit mit dem Pferd in Psychiatrie und Psychotherapie, (2005), Fnverlag, Warendorf Kröger, K., (2005) Partnerschaftlich miteinander umgehen – Erfahrungen für Fachleute der Pädagogik, Warendorf, FNverlag Kupper-Heilmann, S., (1999) 2. Auflage, Getragenwerden und Einflußnehmen – aus der Praxis des psycho-analytisch orientierten Reitens, Gießen, Psychosozial Verlag Mc Culloch, (1988) S. 26. In: Greiffenhagen, 2007, Tiere als Therapie, Mürlenbach, KYNOS Verlag Meier-Tinkler, M., (2005) Kritische Fragen und Gedanken zum Einsatz des Pferdes in der Psychotherapie, S.18-21. In: Die Arbeit mit dem Pferd in Psychiatrie und Psychotherapie (2005), FNverlag, Warendorf Otterstedt, C., (2001) Tiere als therapeutische Begleiter, Stuttgart, FranckhKosmos Verlag Otterstedt, C., Olbrich, E., (2003) Menschen brauchen Tiere, Stuttgart, Franckh–Kosmos Verlag Otto, H.U., Thiersch, H., (2005) 3.Auflage, Handbuch der Sozialpädagogik und Sozialarbeit, Reinhardt Verlag, München/Basel Peters, U.H., (1999) 5. Auflage, Wörterbuch der Psychiatrie, Psychotherapie und medizinischen Psychologie, München, Urban und Schwarzenberg Psychrembel, Klinisches Wörterbuch, 261. Auflage (2007) Berlin, Walter de Gruyter Verlag Reddemann, L., (2006) 2. Auflage, Trauma – Folgen erkennen und überwinden, Stuttgart, Trias Verlag Scheidhacker, M., (1987) Die Bedeutung des therapeutischen Reitens bei der Behandlung verschiedener psychiatrischer Krankheitsbilder. In: Dynamische Psychiatrie/ Dynamic Psychiatry, 1987, 102/103, S. 83 – 96, München, Pinel Verlag Literaturverzeichnis 84 Scheidhacker, M., (1998) „Ich träumte von einem weisen Schimmel, der mir den Weg zeigte“, München, Eigenverlag BKH Haar, München Scheidhacker, M., (2000) Gruppenpsychotherapie mit dem Pferd. In: Therapeutisches Reiten, 2000, 4, S. 31- 33, Warendorf, FNverlag Scheidhacker, M., (2005) Auf der Suche nach der heilen(den) MitteMöglichkeiten und Grenzen im Psychotherapeutischen Reiten, S.161-180. In: Psychotherapie mit dem Pferd – Beiträge aus der Praxis (2005) FNverlag, Warendorf Scheidhacker, M., Bender, W., Vaitl, P., (1991) Die Wirksamkeit des therapeutischen Reitens bei der Behandlung chronisch schizophrener Patienten – Experimentelle Ergebnisse und Klinische Erfahrungen. In: Der Nervenarzt, 1991, 62, S. 283 – 287, Stuttgart, Springer Verlag Scheidhacker, M., Bender, W., Vaitl, P., (1992) Kurzzeit – und Langzeitwirkungen des Therapeutischen Reitens bei der Behandlung chronisch schizophrener Patienten. In: Krankenhauspsychiatrie, 1992, 3, S. 117 – 121, Stuttgart, F. Enke Verlag Scheidhacker, M., Die besondere Bedeutung des Therapeutischen Reitens in der Behandlung verschiedener psychiatrischer Krankheitsbilder. In: Sonderheft Therapeutisches Reiten (3/1994) S. 39 – 45 Scheidhacker, M., Friedrich, D., Bender, W., (2002) Über die Behandlung von Angststörungen mit dem Psychotherapeutischen Reiten – Langzeitbeobachtungen und Ergebnisse einer experimentellen Studie aus dem Bezirkskrankenhaus Haar. In: Krankenhauspsychiatrie, 2002; 13, S. 145–152, Stuttgart, Georg Thieme Verlag Schnorbach, R., (2006) So wie du bist, bist du richtig und gut. In: Fachzeitschrift für Therapeutisches Reiten (3/2006), S. 18 – 26 Literaturverzeichnis 85 Schulz, M.,(2005) Betrachtungen zu Dimension der Bewegung aus heilpädagogisch-psychomotorischer Sicht, S.26-32. In: Heilpädagogisches Voltigieren und Reiten – Grundlagen (2005), FNverlag, Warendorf Vetter, B., (2007) Psychiatrie – ein systematisches Lehrbuch, 7. Auflage, Stuttgart, Schattauer Verlag Vorderholzer, U., Hohagen, F., (2006) Therapie psychischer Erkrankungen – State of the Art, München, Urban und Fischer Verlag Wenz, C., (2007) Können Tiere heilen? Möglichkeiten und Grenzen der tiergestützten Therapie, Skript WHO (2007) ICD-10, International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Eigenverlag, New York Internetquellenverzeichnis 12. Internetquellenverzeichnis www.psychotherapeutisches-reiten.de. Letzter Zugriff: 11.04.09 www.dkthr.de. Letzter Zugriff: 11.04.09 [email protected]. Letzter Zugriff: 11.04.09 www.FAPP.net. Letzter Zugriff: 11.04.09 www.lernen-mit-tieren.de. Letzter Zugriff:11.04.09 86 87 Erklärung Ich versichere hiermit, dass ich diese Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen Hilfsmittel als die angegeben benutzt habe. Alle Stellen, die Ausführungen anderer Autoren wörtlich oder sinngemäß entnommen sind, habe ich durch Angabe der Quelle als Zitate kenntlich gemacht. Die Arbeit wurde bisher weder in Teilen noch insgesamt Prüfungsbehörde vorgelegt und auch nicht veröffentlicht. Rita Schulte Stockholm, den 12.04.2009 einer anderen