Molekulargenetische Diagnostik von Imprinting

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Methylierungsveränderungen
Molekulargenetische Diagnostik
von Imprinting-Erkrankungen
THOMAS EGGERMANN 1 , LUKAS SOELLNER 1 , SUSANNE BENS 2 , SABRINA SPENGLER 1 ,
REINER SIEBERT 2 , KARIN BUITING 3 , BERNHARD HORSTHEMKE 3 ,
MATTHIAS BEGEMANN 1
1 INSTITUT FÜR HUMANGENETIK, RWTH AACHEN
2 INSTITUT FÜR HUMANGENETIK, UNIVERSITÄT SCHLESWIG-HOLSTEIN, KIEL
3 INSTITUT FÜR HUMANGENETIK, UNIVERSITÄT ESSEN
Genomic Imprinting is defined as the expression of only one allele of a
gene in a parent-of-origin specific way, its disturbance leads to an altered
expression associated with specific syndromes. As the identification of
multilocus methylation defects made the locus specific association questionable, molecular tests aiming on the identification of multiple loci
should be implemented in routine diagnostics as they allow an efficient
molecular characterization of patients with ambiguous phenotypes.
DOI: 10.1007/s12268-013-0388-8
© Springer-Verlag 2013
Genomische Prägung
ó Für die Entwicklung eines Organismus ist
nicht nur die Vollständigkeit der Erbinformation, sondern auch die regelrechte Vererbung der Erbanlagen von beiden Eltern not-
wendig. Bereits 1980 postulierte Engel [1],
dass die Vererbung eines Chromosomenpaares von nur einem Elternteil (uniparentale
Disomie, UPD) mit klinischen Auffälligkeiten
assoziiert sein sollte. Tatsächlich wurden in
den folgenden Jahren UPDs verschiedener
Chromosomen bei Patienten mit spezifischen
klinischen Bildern nachgewiesen. Als zugrunde liegender Mechanismus wurde die elterliche Prägung (genomic imprinting) identifiziert. Während beim regelrechten Imprinting
nur eine Genkopie in Abhängigkeit von der
elterlichen Herkunft exprimiert wird, kommt
es bei der Störung des Imprintingmusters,
z. B. durch UPD, zu einer fehlenden oder übermäßigen Expression beider Genkopien.
Derzeit sind ca. 80 geprägte humane Gene
bekannt, häufig sind sie zu Clustern
zusammengefasst. Die Regulation der geprägten Gene erfolgt daher eher nicht auf Einzelgenebene, sondern vielmehr durch übergeordnete Chromatinstrukturen.
Verschiedene molekulare Mechanismen liegen dem genomischen Imprinting zugrunde,
dabei wird die Expression geprägter Gene
wesentlich durch DNA-Methylierung beeinflusst. Neben der UPD wurden drei weitere
molekulare Veränderungen beobachtet, die
bei nahezu allen bekannten ImprintingErkrankungen auftreten (Tab. 1, Abb. 1):
chromosomale Imbalancen (Deletionen/Duplikationen), aberrante DNA-Methylierungsmuster (Hypo- oder Hypermethylierungen)
mit oder ohne Veränderung der genomischen
Sequenz und Punktmutationen in geprägten
Genen. Die Gruppe der angeborenen Imprinting-Erkrankungen umfasst derzeit acht
Krankheitsbilder, die außer durch die genannten gleichartigen molekularen Veränderungen auch durch teilweise überlappende kli-
¯ Abb. 1: Molekulare Veränderungen bei
Imprinting-Erkrankungen. Beispielhaft ist die
Expression eines nicht geprägten Gens sowie
jeweils eines maternal und eines paternal
geprägten Gens dargestellt. Während das nicht
geprägte Gen von Veränderungen der Methylierung nicht betroffen ist und damit eine gleichbleibende Expression zeigt, führen molekulare
Veränderungen durch die verschiedenen (Epi-)
Mutationstypen bei geprägten Genen zur veränderten Genproduktmenge. UPD: uniparentale
Disomie.
BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang
105830
603233
1/20.000–
1/12.000
selten
Happy Puppet-Syndrom,
AS
PHPIb
Angelman-Syndrom
Pseudohypoparathyroidismus Ib
20q13: GNAS
15q11q13: UBE3A
15q11q13
176270
Prader-Willi-Syndrom
1/25.000–
1/10.000
Temple-Syndrom
upd(14)mat-Syndrom
14q32
Prader-Labhart-WilliSyndrom, PWS
608149
selten
Wang-Syndrom
upd(14)pat-Syndrome
11p15: ICR1: IGF2/H19;
ICR2: KCNQ1OT1/LIT1;
CDKN1C
14q32: DLK1(MEG3)/
GTL2
130650
1/15.000
Wiedemann-Beck-withSyndrom, EMG-Syndrom,
BWS
Beckwith-WiedemannSyndrom
7
11p15: IGF2/H19
6q24: PLAGL1(ZAC1)/
HYMA1
Chromosom/
geprägte Region
selten
180860
1/10.000
Russell-SilverSyndrom, SRS, RSS
Silver-Russell-Syndrom
601410
1/800.000
TNDM
OMIM
Häufigkeit
Transienter neonataler
Diabetes mellitus
Imprinting-Erkrankung Synonym/
Abkürzung
maternal vererbte Deletionen,
die aberrante Methylierungen
bewirken
– Deletionen matern. Materials
– upd(15)pat
– Methylierungsdefekte
– Punktmutationen
– Deletionen patern. Materials
– upd(15)mat
– Methylierungsdefekte
– upd(14)mat
– Deletionen patern. Materials
– Methylierungsdefekte
– upd(14)pat
– Deletionen matern. Materials
– Methylierungsdefekte
– upd(11p15)pat
– chromosomale Aberrationen
– Hypermethylierung
– Hypomethylierung
– Punktmutation
– upd(7)mat
– upd(11p15)mat
– Duplikationen matern. Materials
– Hypomethylierung
– upd(6)pat
– paternale Duplikation
– Hypomethylierung
(Epi-)Mutationstyp
prä- und postnataler Großwuchs, Organomegalie, Makroglossie, Omphalozele, neonatale
Hypoglykämie, Hemihypertrophie, Tumorrisiko
∼ 20 %
2–4 %
5–10 %
40–50 %
5 % (sporadisch),
40–50 % (familiär)
?
70 %
1–3 %
∼4%
10–15 %
70 %
∼ 30 %
∼1%
?
isolierte renale PTH-Resistenz
Mikrozephalie, Ataxie, Epilepsie, Ruhelosigkeit,
häufiges Lachen, geistige Behinderung, keine
Sprache
Muskelschwäche, Fütterungsprobleme,
Adipositas, Hyperphagie, Kleinwuchs,
Hypogonadismus, geistige Behinderung
prä-/postnataler Kleinwuchs, kleine Hände
und Füße, stammbetonte Adipositas, muskuläre
Hypotonie mit Fütterungsproblemen, frühzeitige
Pubertät
pränataler Kleinwuchs, Polyhydramnion,
Bauchwanddefekte, glockenförmiger Thorax
mit coat-hanger rib sign
prä-/postnataler Kleinwuchs, relative Makrocephalie, Asymmetrie, dreieckiges Gesicht
∼ 10 %
ein Fall berichtet
<1%
> 38 %
?
pränataler Kleinwuchs, transienter Diabetes mit
Dehydratation, Hyperglykämie, fehlende Ketoazidose, Makroglossie, Nabelhernie
Hauptmerkmale
40 %
40 %
20 %
Detektionsrate
der einzelnen (Epi-)
Mutationstypen
Tab. 1: Übersicht über die derzeit bekannten acht angeborenen Imprinting-Erkrankungen, die nachweisbaren molekularen Veränderungen und die klinischen Hauptmerkmale.
754
W I S S ENS CHAFT · S PECIA L : M OLE KULARE DIAG NO STI K
nische Merkmale charakterisiert
sind (Tab. 1).
Für alle bekannten ImprintingErkrankungen ist die Assoziation
zwischen Erkrankung und spezifischer, nur auf einen Genlocus
beschränkter Imprinting-Veränderung berichtet (Tab. 1). Daher
war es erstaunlich, dass bei
Patienten mit transientem neonatalem Diabetes mellitus
(TNDM) neben der typischen
6q24-Hypomethylierung Imprinting-Störungen weiterer Loci zu
beobachten waren [2]. Bei mehreren Imprinting-Erkrankungen
wurde zwischenzeitlich ein solcher Multilocus-Methylierungsdefekt (MLMD) berichtet, allerdings scheint er nur beim TNDM,
Silver-Russell-Syndrom (SRS) und
Beckwith-Wiedemann-Syndrom
(BWS) häufiger aufzutreten. Interessanterweise zeigen BWS- bzw.
SRS-Patienten mit gleichartigen
Hypomethylierungen beider imprinting control regions (ICRs) in
der Region 11p15 jeweils das für
die Erkrankung typische klinische Bild, sodass derzeit unklar
ist, wie es zur Ausprägung der
spezifischen Symptomatik bei
anscheinend gleichem Epigenotyp kommt. Möglicherweise tragen diese Patienten ein gewebespezifisches Mosaik, wobei die
Methylierungsstörung des für
eine Erkrankung relevanten
Locus in einem bestimmten
Gewebe zur jeweils typischen
Symptomatik führt.
Mögliche Ursachen von
Imprinting-Defekten
Während es sich bei den chromosomalen Imbalancen (Deletionen/Duplikationen), uniparentalen Disomien und Punktmutationen in geprägten Genen
um „klassische“ chromosomale
oder molekulare Mutationen handelt, fasst man unter Epimutationen Veränderungen der Chromatinstruktur sowie chemischer
DNA-Modifikationen, und nicht
solche der DNA-Sequenz zusammen. Aufgrund seiner Komplexität und der Vielzahl der be -
BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang
755
teiligten Faktoren ist der humane ImprintingZyklus anfällig für Fehler. Diese können bei
der Löschung der Prägung in den Keimzellen, während ihrer Etablierung oder bei der
Aufrechterhaltung über die Zellteilungen hinweg auftreten. Dabei können theoretisch alle
beteiligten Faktoren und Abläufe betroffen
sein, auch kann die Fehlerrate durch prädisponierende cis- und/oder trans-agierende
Varianten oder Umwelteinflüsse beeinflusst
werden. Bei cis-wirkenden Faktoren handelt
es sich um molekulare Veränderungen, die
auf dem gleichen Chromosom in unmittelbarer Nähe zum geprägten Locus auf diesen
einwirken. So wurden bei BWS-Patienten ciswirkende Deletionen der ICR1 in 11p15
berichtet: Familienmitglieder zeigten hier
nur dann das klinische Bild eines BWS, wenn
die Deletion das maternale Chromosom 11
betraf [3–5]. Der Nachweis, dass sowohl
maternal als auch paternal methylierte
Loci auf verschiedenen Chromosomen
beim MLMD durch Methylierungsveränderungen betroffen sind, deutet auf eine
ursächliche Beteiligung trans-agierender Faktoren hin.
Locusspezifische Diagnostik von
Imprinting-Erkrankungen
Die derzeitige labordiagnostische Abklärung
der molekularen Defekte bei Patienten mit
Imprinting-Erkrankungen berücksichtigt im
Wesentlichen zwei Aspekte:
1. Die Analytik ist in der Regel krankheitsspezifisch ausgerichtet, das heißt in
Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik wird die erkrankungsspezifische
Imprinting-Region untersucht. So wird z. B.
bei klinischem Verdacht auf ein BWS spezifisch auf Veränderungen in 11p15 getestet, psychomotorisch retardierte und adipöse Kinder werden in Hinblick auf das
Prader-Willi-Syndrom (PWS) (15q11–13)
untersucht.
2. Einfluss hat weiterhin das krankheitsspezifische Spektrum von Mutationen und
Epimutationen: Während z. B. mehr als
70 Prozent der Patienten mit PWS oder
Angelman-Syndrom (AS) Deletionen in
15q11–13 tragen, steht bei Kindern mit
SRS eine Methylierungsstörung in 11p15
im Vordergrund. Unabhängig von diesen
unterschiedlichen Häufigkeiten sollte aber
bei allen Imprinting-Erkrankungen zuerst
ein Methylierungstest durchgeführt werden, da dieser nahezu alle genomischen
und epigenetischen Veränderungen detektiert.
BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang
Vor diesem Hintergrund ist die Mehrzahl der
verwendeten Methoden und Algorithmen
indikationsspezifisch ausgerichtet (Tab. 2),
weiterhin tragen sie dem breiten Spektrum
von (Epi-)Mutationen durch einen kombinierten Einsatz von methylierungssensitiven,
quantitativen und Sequenzierverfahren Rechnung [6, 7].
Bei den aktuell eingesetzten Techniken lassen sich rein auf die Gendosis ausgerichtete
Verfahren und quantitativ/methylierungssensitive Methoden unterscheiden (Tab. 2);
dabei können mit den rein quantitativen Verfahren bereits zum Teil genomweite hochauflösende Analysen durchgeführt werden,
die den Nachweis von Imbalancen sowie – im
Falle von SNP-Arrays einschließlich Untersuchung elterlicher DNA-Proben – von
UPDs geprägten Regionen erlauben (Abb. 2).
Methylierungsveränderungen sind aber auf
diese Weise nicht darstellbar, sodass diese
Methoden zur molekularen Diagnostik von
Imprinting-Erkrankungen mit einem hohen
Anteil von Methylierungsdefekten nicht geeignet sind. Dagegen können mit den methylierungssensitiven Methoden auch quantitative
Veränderungen detektierbar sein. Bei auffälligem Methylierungsergebnis in diesen Tests
kann dann aber eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen (Epi-)Mutationsklassen (Imbalance, UPD, Epimutation) durch
zusätzliche Analysen notwendig werden.
Berücksichtigt werden sollte aber auch die
Sensitivität einer Methodik, um genomische
oder epigenetische Mosaike zu erfassen, die
bei einzelnen Erkrankungen wie dem SRS
und dem BWS von erheblicher Bedeutung
sind.
Zusammenfassend sollte also bei der molekulargenetischen Testung von ImprintingErkrankungen den methylierungssensitiven
Verfahren der Vorzug gegeben werden, da je
nach Befund und Krankheitsbild unterschiedliche molekulare Veränderungen möglich sind.
Einschränkungen der
locusspezifischen Diagnostik und
Nutzen der Multilocus-Testung
Da nahezu alle bekannten Imprinting-Erkrankungen mit heterogenen klinischen Merkmalen assoziiert sind, erscheint die Entscheidung für eine locusspezifische Diagnostik bei Vorliegen des charakteristischen
Vollbildes sinnvoll, diese wird aber im Falle
einer abgeschwächten Symptomatik oder
eines teilweise unspezifischen klinischen Bildes wesentlich erschwert. Hinzu kommen die
teilweise überlappenden phänotypischen Auffälligkeiten der verschiedenen ImprintingErkrankungen: So sollte bei milder PWSSymptomatik (Hypotonie, Adipositas) und
molekularem Ausschluss einer Chromosom15-Störung an das Vorliegen eines
upd(14)mat-Syndroms gedacht werden.
Die locusspezifische Ausrichtung der molekularen Testung beim Vorliegen ungewöhnlicher klinischer Symptome wird daher zunehmend infrage gestellt: Hier kann die Testung
mehrerer geprägter Loci auf verschiedenen
Chromosomen (Multilocus-Analytik) zum
Nachweis epigenetischer und genomischer
Veränderungen führen [8], die mit Einzellocus-Tests nicht erfasst werden. Beispiele hierfür sind neben den Fällen mit MLMD auch
solche mit genomweiter paternaler UPD im
Nachweis von
UPD
CNVs
Epimutation
Zahl der Loci/Test
SNP-Array genomweit
Molekulare Karyotypisierung
(Array-CGH/SNP-Array)
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
MS-PCR
MS-Pyrosequenzierung
QAMA: Real-Time-PCRbasierter Methylierungsassay
Bisulfit-Sequenzierung
MS-MLPA
Methylierungsarray
(z. B. Bead-Array)
MS-SNuPE
mehrere Loci
(ja)
mehrere Loci
Einzellocus
Einzellocus
Einzellocus
Einzellocus
Einzellocus
Einzellocus
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
ja
nein
nein
nein
nein
Multilocus
alle geprägten Genorte (hochauflösend) sowie genomweit
(niedrig auflösend)
bis zu ca. 46 Loci
einzelne Loci
einzelne Loci
einzelne Loci
einzelne Loci
einzelne Loci
gesamtes Genom
einzelne Loci
gesamtes Genom
einzelne Loci
quantitativ, Nachweis einer MLMD
quantitativ, Nachweis einer MLMD, Nachweis
von Methylierungsstörungen außerhalb
geprägter Genorte
quantitativ, Differenzierung zwischen (Epi-)
Mutationstypen möglich, Nachweis einer
MLMD
quantitativ
quantitativ
quantitativ
schnell, kostengünstig, Quantifizierung
möglich
quantitativ
hochauflösender genomweiter Nachweis
unbalancierter Umbauten
kleine Deletionen/(Duplikationen)
genomweiter Nachweis großer balancierter/
unbalancierter Umbauten
schnell, kostengünstig, Quantifizierung
möglich
Vorteile
keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen
keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen
empfindlich bzgl. DNA-Qualität
zeitaufwendig, Klonierung oder Next Generation Sequencing
notwendig, keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen
keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen
keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen
keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen,
nur semiquantitativ
große DNA-Mengen erforderlich, zeitaufwendig, keine Unterscheidung zwischen (Epi-)Mutationstypen
kein Methylierungsnachweis, keine Detektion balancierter
Umbauten
Mikroduplikationen nur schwer identifizierbar: Informationen
zur betroffenen Region notwendig, Zellkultur notwendig
geringe Auflösung (> 5 Mb), Zellkultur notwendig
keine Unterscheidung zwischen UPD und CNV möglich,
DNA-Probe mindestens eines Elternteils notwendig
Nachteile
CGH: comparative genome hybridisation; FISH: Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung; MLPA: multiplex ligation-dependent probe amplification; MS: methylierungsspezifisch; QAMA: PCR for quantitative analysis of methylated alleles; SNP:
single nucleotide polymorphism; SNuPE: single nucleotide primer extension
ja
MS-Southern Blot
Methylierungsspezifische (MS-) Tests
nein
FISH
> 5 Mb
nein
Konventionelle
Zytogenetik
einzelne Loci
ja
Mikrosatelliten-Analyse
(MSA)
Auf genomische Imbalancen ausgerichtete Tests, Methylierungstestung nicht möglich
Methode
Tab. 2: Diagnostische Verfahren zum Nachweis genomischer und epigenetischer Veränderungen in Imprinting-Regionen.
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BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang
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Mosaik bei Patienten mit BWS-Merkmalen,
aber mit ungewöhnlichen, über das achte
Lebensjahr hinausgehenden Tumorereignissen.
Die gleichzeitige Testung verschiedener differenziell methylierter Regionen (DMRs) und
geprägter Loci, aber auch mehrerer CpGs derselben DMR durch Multilocus-Verfahren geht
einher mit einer erhöhten Sensitivität für
schwache Methylierungsmosaike, da auch
unterschiedliche CpG-Inseln der gleichen
Region unterschiedliche Methylierungsgrade
aufweisen.
Zusammenfassend bietet die MultilocusTestung im Vergleich zur Analyse einzelner
Loci folgende Vorteile:
– Durch die Testung mehrerer CpGs bzw.
DMRs kann der Test sensitiver sein als Einzellocus-Analysen und somit die Aufdeckung auch geringgradiger EpimutationsMosaike erlauben.
– Bei untypischen klinischen Bildern ermöglicht sie eine parallele Analyse verschiedener Loci.
– Mit dem gleichen Ansatz können Patienten mit verschiedenen Syndromen und
Phänotypen, die auf eine Methylierungsstörung hinweisen, untersucht werden; insbesondere bei seltenen Krankheitsbildern
ist die Durchführung aufwendiger Einzeluntersuchungen nicht notwendig. Mit
Ausnahme von Punktmutationen können
alle Mutations- und Epimutationstypen
(UPD, Deletionen/Duplikationen, Methylierungsstörung) erfasst werden.
– Sie erlaubt den Nachweis eines MLMD und
genomweiter UPDs.
Auch bei den derzeit verwendeten Routineverfahren zur Multilocus-Testung ist aber zu
berücksichtigen, dass diese methodisch
bedingt nur auf wenige geprägte Genorte ausgerichtet sind.
Genomweite Methylierungsanalysen auf
der Basis von Array- und Next Generation
Sequencing-Verfahren bei Patienten mit klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer
Imprinting-Erkrankung werden zeigen, wie
das Muster aberranter Methylierungen tatsächlich aussieht und welche Relevanz der
MLMD für die Ätiologie der Erkrankungen
hat. Auch bleibt abzuwarten, ob die implementierten Multilocus-Tests entsprechend
modifiziert werden sollten oder ob genomweite Verfahren hier zum Einsatz kommen
werden.
Ähnlich ist die Suche nach den genomischen Grundlagen des MLMD zu bewerten:
Erste Berichte über genomische Mutationen
BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang
A
B
˚ Abb. 2: Ausgewählte Methoden zur Diagnostik von Imprinting-Erkrankungen. A, Mikrosatelliten-Analytik zum Nachweis einer maternalen uniparentalen Disomie des Chromosoms 7. In beiden
untersuchten STR(short tandem repeat)-Markern lassen sich beim Patienten nur maternale Allele
nachweisen. In der MS-PCR lässt sich bei gleichem Epigenotyp nur das mütterliche Allel darstellen. B, Testung geprägter Genloci auf Chromosom 11p15 bei unterschiedlichen Patienten. In der
MS-MLPA zeigen die Sonden, die den Methylierungszustand der geprägten ICR1-Region anzeigen,
eine Signalreduktion, somit liegt eine ICR1-Untermethylierung vor. In der MS-SNuPE-Analytik zeigen sich für die 11p15-Genorte H19/IGF2P0 (paternal methyliert) und LIT1 (maternal methyliert)
gegensätzliche Methylierungsgrade im Sinne einer paternalen UPD dieser Region, während andere Loci unauffällig sind. Die Mikrosatelliten-Analyse am gleichen Genort bestätigt die Duplikation
maternalen Materials.
bei Patienten mit MLMD bzw. bei deren Müttern [9] weisen auf mögliche monogene Ursachen hin.
Von besonderer Bedeutung ist diese Beobachtung für die genetische Beratung: Zwar
treten Imprinting-Erkrankungen in der Regel
sporadisch auf, familiäre Fälle werden aber
immer wieder dokumentiert [10]. Dabei sind
diese familiären Fälle zwar eher auf chromosomale Umbauten zurückzuführen und damit
bei Patienten mit Duplikationen oder Deletionen als Ursache der Erkrankung zu beob-
achten, es werden aber auch familiäre Fälle
auf der Basis einer primären Epimutation
(Mutation eines Imprintingzentrums oder
Imprintingfaktors) oder einer uniparentalen
Disomie berichtet. Daher ist es notwendig,
die Ursachen eines auffälligen ImprintingTests abzuklären, zum einen im Hinblick auf
die eindeutige Einordnung des Mutations-/
Epimutationstyps (Imbalance, UPD, Methylierungsstörung, Punktmutation), zum anderen im Hinblick auf ein mögliches Wiederholungsrisiko.
758
W I S S ENS CHAFT · S PECIA L
Danksagung
Die Autoren sind Mitglieder des
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten
nationalen Netzwerks „Imprinting Diseases“ (Förderkennzeichen: 01GM1114) sowie des von
der Europäischen Union im Rahmen des COST-Programms geförderten Netzwerks EUCID.net
(European Network of Imprinting
Disorders) (BM1208; www.imprin
ting-disorders.eu).
ó
Literatur
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uniparental disomy and its potential effect,
isodisomy. Am J Med Genet 6:137–143
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DMR result in loss of IGF2 imprinting and
Beckwith-Wiedemann syndrome.
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B et al. (2005) Microdeletion of target sites
for insulator protein CTCF in a chromosome
11p15 imprinting center in BeckwithWiedemann syndrome and Wilms’ tumor.
Proc Natl Acad Sci USA 102:4085–4090
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Beckwith-Wiedemann syndrome and Wilms’
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(Russell Silver and Beckwith Wiedemann
syndromes) reveals simultaneous loss of
methylation at paternal and maternal imprinted loci. Hum Mol Genet 18:4724–4733
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Germline mutation in NLRP2 (NALP2) in a
familial imprinting disorder (BeckwithWiedemann Syndrome). PLoS Genet
5:e1000423
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Ounap K et al. (2009) Epigenetic mutations
of the imprinted IGF2-H19 domain in SilverRussell syndrome (SRS): results from a large
cohort of patients with SRS and SRS-like phenotypes.
Am J Med Genet 46:192–197
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Thomas Eggermann
Institut für Humangenetik
RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
D-52074 Aachen
Tel.: 0241-80-88008
Fax: 0241-80-82394
[email protected]
AUTOREN
Thomas Eggermann, Lukas Soellner, Susanne Bens, Sabrina Spengler,
Reiner Siebert, Karin Buiting, Bernhard Horsthemke und Matthias Begemann (v. l. n. r.)
Die Autorinnen und Autoren sind Mitglieder des vom BMBF geförderten Netzwerks „Imprinting-Erkrankungen“ (Förderkennzeichen: 01G1114), das die
Ursachen angeborener Imprinting-Erkrankungen verfolgt, mit dem Ziel, Diagnostik und Betreuung von Patienten mit diesen seltenen Erkrankungen zu
verbessern.
Arzneimittel in den Schlagzeilen
Epigenetischer Modulator als
Wunderwaffe für das Herz?
ó Die Beteiligung epigenetischer Mechanismen an physiologischen und pathologischen Prozessen wird zurzeit in vielen
Bereichen der Biomedizin sehr aktiv erforscht. Im Vordergrund
stehen dabei die Entwicklungsbiologie sowie die Krebsforschung, aber es rücken auch andere Organsysteme und Erkrankungen mehr und mehr in den Fokus. Eine aktuelle Arbeit
von P. Anand und Kollegen in Cell ((2013) 154:569–582) zeigt,
dass Bromodomänen-Proteine eine wichtige Rolle in der Pathogenese und Therapie der Herzhypertrophie und -Insuffizienz spielen könnten. Bromodomänen wurden zuerst bei Drosophila entdeckt. Sie erkennen und binden sich an acetylierte Histone im Zellkern und modulieren dadurch die Chromatinstruktur und die Genexpression. Einem internationalen Team
unter der Leitung von James Bradner, Harvard University, gelang bereits 2010 die Identifizierung einer niedermolekularen Verbindung, JQ1, die die Bindung des Bromodomänen-Proteins BRD4 an acetylierte Histone verhindet (Abb.). Aufgrund
dieser Eigenschaft bewirkt JQ1 eine Hemmung des Wachstums von Plattenepithel-Karzinomen und multiplen Myelomzellen. In der aktuellen Arbeit kann nun gezeigt werden, dass
JQ1 auch das pathologische Wachstum von Herzmuskelzellen
in vitro und von Mausherzen nach chronischer Druckbelastung
in vivo hemmen kann. Nicht nur die kardiale Hypertrophie wurde durch JQ1 vermindert, auch die Pumpfunktion wurde deutlich verbessert. Auf molekularer Ebene hemmte JQ1 die Elongation bei der Transkription und verminderte dadurch die pathologische Genexpression (Abb.).
Y Das Ausmaß der durch JQ1 in vitro und in vivo erzielten
„therapeutischen“ Effekte ist sehr beeindruckend. Dies mag
auch erklären, weshalb Bromodomänen-Proteine als Angriffspunkte für neue Arzneistoffe große Hoffnungen wecken. Aber
Vorsicht: JQ1 hemmt bei männlichen Mäusen die Spermatogenese und könnte den Weg zu einem Kontrazeptivum für den
Mann weisen (Matzuk MM et al., Cell (2012) 150:673). Aber die
potente Interferenz mit essenziellen Vorgängen im Körper könnte auch die Gefahr für schwere unerwünschte Nebenwirkungen
bergen!
Lutz Hein, Freiburg ó
BIOspektrum | 07.13 | 19. Jahrgang
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