Sexueller Mißbrauch in der Psychotherapie A. B. C. D. Epidemiologie Täterprofile Phasenmodell Folgen sexuellen Mißbrauchs und Folgetherapien Definitionen sexuellen Mißbrauchs in der Psychotherapie Körperliche Kontakte zwischen Patienten und Therapeuten, die beim Therapeuten zu sexueller Erregung führen. Zusätzlich werden hier erotische Anspielungen, verführerische Angebote und die Schaffung einer sexualisierenden Atmosphäre seitens des Therapeuten eingeschlossen. Wo ist die Grenze zur erotischen Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen ? § 174 c Sexueller Mißbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses I Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihn wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratung-, Behandlung- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft § 174 c II Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich vornehmen lässt. III Der Versuch ist strafbar. Epidemiologie - - Prävalenz: Geschätzt ca. 300 + 300 Fälle/Jahr in der kassenfinanzierten vs. nicht kassenfinanzierten Psychotherapie (hohe Dunkelziffer) Täter sind zu ca. 90% Männer, die Opfer zu ca. 90% Frauen ca. 50% Wiederholungstäter Kosten für Folgetherapien: ca. 20 Mio. Euro/Jahr Assoziation mit körperlicher Gewalt und/oder „Vergewaltigungsszenario“: ca. 25 % Epidemiologie II - - bis zu 10% niedergelassener Therapeuten sind betroffen Halbierung des „Risikos“ für Patientinnen in stationären Settings in langfristigen Betreuungskontexten und in der somatischen Medizin nicht ausreichend untersucht in der Klinik bei nicht-akademischen und nichtpsychiatrischen Mitarbeitern häufiger ? die Auswahl von späteren Behandlern und Gutachtern ist problematisch Täterprofile Laien Paraprofessionell, schlecht ausgebildet, für Psychotherapie nicht geeignet, „Surrogatpartner“ Professionelle vorwiegend - Einzelpsychotherapeuten - in eigener Praxis Täterprofile nach Strukturniveau - - Einzeltäter in Krisensituationen, Verantwortungsübernahme, Bearbeitung in persönlicher Psychotherapie chronifizierte psychische Problematik, Arbeit = Lebensinhalt impulsive Kontakte zu vielen Patientinnen, wenig Triebkontrolle, mangelndes Schuldgefühl Dissoziale/narzißtische Therapeuten: Distanziert, professionell im Vertuschen, Projektion Phase I – narzißtischer Mißbrauch - - - situativer Konflikt, konflikthafter Prozeß oder eigene Bedürftigkeit wird vom Therapeuten nicht identifiziert schrittweiser Rollentausch: der Therapeut berichtet von seinen Sorgen und Problemen, die Patientin tröstet ihn narzißtische Kollusion: gemeinsame Rettungsphantasie, Einzigartigkeit der Beziehung, gespaltene Zuneigung und Haß, die Patientin kommt in die Handlungsverpflichtung Phase II – - beginnende Grenzüberschreitung die Patientin wird etwas Besonderes Therapie in den Abendstunden mit zeitlicher Ausdehnung „Sie sind meine liebste Patientin“ Geschenke Abhängigkeitsbündnis: „Ich bin immer für Sie da und immer erreichbar“ Ähnlichkeiten mit sonstigem sexuellen Mißbrauch: Bedürfnisbefriedigung des Mächtigeren - - bei vernachlässigten Kindern können Wünsche nach Anerkennung und Nähe wachgerufen und scheinbar befriedigt werden dies wird in einer inadäquat sexualisierten Atmosphäre vermittelt der Täter kann der Auffassung sein, Wünsche des Kindes zu erfüllen Gefühle des Kindes und die Auswirkungen des Mißbrauchs werden nicht wahrgenommen Identifikation mit dem Aggressor Ähnlichkeiten mit sonstigem sexuellen Mißbrauch: Das Gebot der Geheimhaltung Bedrohung auf verschiedenen Ebenen, nichts vom Mißbrauch zu berichten Liebesentzug Auseinanderbrechen der Familien „Dir glaubt sowieso keiner“ Selbstmord- und Prozeßandrohung Delegation von Verantwortung und Schuld Kasuistik I – „Die Mittäter“ 26jährige, ledige Bürokauffrau mit sequentiellen stationären Behandlung infolge einer komorbiden Persönlichkeitsstörung und chronischer Suizidalität Keine erinnerbare Traumavorgeschichte, aber zahlreiche indirekte Hinweise Spontanabort während stationärer Psychotherapie bei weitgehend leerer Paarbeziehungsvorgeschichte Kasuistik I – „Die Mittäter“ Partner = Krankenpfleger (Kotherapeut in der Gruppenpsychotherapie) „Ahnung“: Stationsschwester, verschiedene Kollegen („ist schon ein paar Mal passiert, aber erst hinterher“) „Wissen“: Ambulanter Behandler (gleiche Klinik), Stationspsychologe (ärztliche Schweigepflicht) Folgen: Entlassung mit 3monatiger Latenz, 2jähriges Arbeitsgerichtsverfahren Kasuistik II – „Die Reinszenierung“ Anruf im Sekretariat der Klinik durch die Mutter: Alimentzahlungen vor der Geburt ? Retrospektive Recherche: 27jährige Krankenschwester mit BorderlinePersönlichkeitsstörung in einem abgeschlossenen Intervallbehandlungsansatz gut dokumentierter Therapieeffekt Kasuistik II – „Die Reinszenierung“ Vorgeschichte emotional verwahrlostes Elternhaus Langjähriger sexueller Mißbrauch durch den Bruder des Vaters („innere Gleichung“) Reinszenierung durch kurze, durch Impulsivität und Gewalt gekennzeichnete Partnerschaften zahlreiche autoagressive Symptomäquivalente ausgeprägt „sexualisierendes Verhalten“ in zahlreichen kurzen, ambulanten oder stationären Therapien Kasuistik II – „Die Reinszenierung“ 2.5jährige Beziehung zu dem stationär behandelnden Psychologen mit Geburt eines Kindes Abbruch der Tätigkeit an der Klinik Fortsetzung der Therapiebeziehung in den Alltag (Ertragen von zahlreichen „Affären“ der Partnerin) Ende der Beziehung durch Suizid der Patientin Mutter: „So hat sie noch ein paar schöne Jahre gehabt“ Konsequenzen sexuellen Mißbrauchs in der Psychotherapie - - Verschlechterungen im Vergleich zum Therapiebeginn: ca. 70 %: Angst, Scham, Schuld, Verlust der Selbstachtung, interpersonelles Mißtrauen, suizidales Verhalten, sexuelle Funktionsstörungen, Symptome posttraumatischer Belastungsstörungen bei zumindest ca. 25% initiale „Hochphase“ mit dann folgendem „Absturz“ Konsequenzen sexuellen Mißbrauchs in der Psychotherapie - bei Fortführung der Therapie verstärken sich die Folgeschäden dabei ist die Art des sexuellen Mißbrauchs unmaßgeblich Professionelles Mißbrauchstrauma - Ähnlichkeit zum inzestuösen Kindesmißbrauch destruktiver Angriff auf die Grenzen Störung der Liebes- und Beziehungsfähigkeit Störung der Beziehung zu sich selbst komplexe Abwehrvorgänge (Dissoziation) hohe Relevanz von Depressivität und Somatisierung Problematik von Folgetherapien - Identifikation als Psychotherapeut (Kollege) Reaktionsmuster: Wut vs. Identifikation (Verführungshypothese) Klare Stellungnahme zum Geschehen ? Wo liegen Schuld und Verantwortlichkeit ? Neutrale Abstinenz ? Umgang mit erotischen Übertragungs-/ Gegenübertragungsprozessen Problematik von Folgetherapien Differenzierung zwischen alter und neuer Therapieerfahrung: - Deklarative Feststellung der Regeln - „dritte Instanz“ (Kontrolltherapeut, Angehörige) - Gruppentherapie - Fokus: Differenzierung zwischen Arbeitsbündnis und Übertragungsschemata Problematik von Folgetherapien Phase I Phase II Phase III Phase IV Erfahrungen der Ersttherapie; Vermeidung der Primärstörung (Schuldeffekt); Verantwortlichkeit klären Regeln erläutern; Trauma der Ersttherapie Bearbeitung der Objektspaltung Bearbeitung der Primärstörung unter Vermeidung von Triebdeutungen Auftauchen von Mißbrauchserlebnissen in der Psychotherapie - plötzliches Auftauchen zuvor nicht erinnerter Erlebnisse und Erinnerungen wann und unter welchen therapeutischen Umständen bearbeiten ? sollen wir die Betroffenen zu einer Strafanzeige ermutigen ? sollen wir selbst als Gutachter auftreten ? Umgang mit den Angehörigen und Tätern ? Probleme der Exploration - - wer begleitet die Probandin, in welches Lebensumfeld kehrt sie zurück ? einschlägige Explorationserfahrungen liegen bereits vor (polizeiliche Vernehmung, Beratungsstelle etc.) Angst, Scham und Schuld als zentrale Affekte potentielle Reaktualisierung des Traumas durch die Begutachtung Motivlage und Entwicklung der Aussagen - - Befragungen erzeugen Lerngeschichte Aussageninduktionsprozesse durch Konsultationen früherer „Experten“ Aussageneinbettung in familiäre Prozesse (z.B. Trennung der Eltern, Scheidung, eigene Ablösung) Zeitpunkt der Aussage und Schamentwicklung sowie „Mitschuld“ Kritische Konstellationen - familienrechtliche Auseinandersetzungen disharmonische Familien mit emotional instabilen Müttern und nachgiebigen Partnern 8jährige oder jüngere Opfer Konsultation von „Experten“ vor Einführung des Verdachts signifikante einflußnehmende und/oder informationskontrollierende Personen