WISSENSCHAFT ORIGINALARBEIT Inanspruchnahme des Versorgungssystems bei psychischen Erkrankungen Sekundärdaten von drei gesetzlichen Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund Wolfgang Gaebel, Sandra Kowitz, Jürgen Fritze, Jürgen Zielasek ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Eine disziplinen- und sektorenspezifische Analyse der Versorgungssituation von Patienten mit psychischen Erkrankungen in Deutschland ermöglicht es, eine adäquate Grundversorgung zu planen. Methode: Sekundärdaten dreier Ersatzkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund für den Zeitraum 2005–2007 wurden ausgewertet, um Versicherte mit psychischen Störungen (ICD-10-GM Diagnosegruppen F0–F5) im Untersuchungszeitraum zu identifizieren. Ergebnisse: 3,28 Mio. (33 %) von 9,92 Mio. Versicherten hatten im Zeitraum 2005–2007 Kontakte zum Versorgungssystem, wobei eine psychische Störung diagnostiziert wurde. 50,4 % (1 651 367) dieser Versicherten litten an mindestens zwei psychischen Störungen. Für nahezu alle Versicherten mit einer psychiatrischen Index-Diagnose (98,8 %) wurde zusätzlich mindestens eine somatische Diagnose kodiert. 95,7 % der Behandlungsfälle wurden ambulant versorgt. Ambulant wie stationär überwogen Behandlungen durch Fachdisziplinen für somatische Medizin. So dominierten beispielsweise bei 77,5 % der Betroffenen mit schwerer Depression fünf Versorgungstypen, bei denen ausschließlich niedergelassene Ärzte für Allgemeinmedizin oder andere Fachärzte für somatische Medizin, teilweise kombiniert mit psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung, in Anspruch genommen wurden. Schlussfolgerung: Es bestand eine hohe Komorbidität psychischer und somatischer Erkrankungen. In Anbetracht des hohen ambulanten Versorgungsanteils ist eine verstärkte sektoren- und disziplinenübergreifende Kooperation sowie die Sicherstellung einer adäquaten psychiatrischen Grundversorgung im hausärztlichen Bereich erforderlich. ►Zitierweise Gaebel W, Kowitz S, Fritze J, Zielasek J: Use of health care services by people with mental illness— secondary data from three statutory health insurers and the German statutory pension insurance scheme. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(47): 799–808. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0799 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät der Heinrich Heine Universität, LVR-Klinikum Düsseldorf: Prof. Dr. med. Gaebel, Kowitz, M.A., PD Dr. med. Zielasek Pulheim: Prof. Dr. med. Fritze Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 m die aktuellen Herausforderungen in der Versorgung psychisch erkrankter Patienten zu meistern, bedarf es belastbarer Daten zur Versorgungssituation. Zu den Problemen, die es zu berücksichtigen gilt, zählen: die steigende Inanspruchnahme medizinischer Versorgung, Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung aufgrund psychischer Störungen (1, 2), aber auch der Fachärztemangel einhergehend mit langen Wartezeiten, dem notwendigen Ausbau sektoren- und disziplinenübergreifender Versorgung und der Implementierung neuer Versorgungsstrukturen und neuer Vergütungssysteme. Das Versorgungssystem in Deutschland ist hochkomplex. Studien zur Versorgungssituation umfassen häufig nur einzelne Bereiche wie die ambulante Versorgung (3). An repräsentativen Untersuchungen zur Prävalenz und Versorgung psychischer Störungen in Deutschland liegen im Wesentlichen zwei Arbeiten vor: der Bundesgesundheitssurvey 1998 (4) und eine europäische Studie (5). In der vorliegenden Untersuchung wurden erstmalig Sekundärdaten von drei Ersatzkassen (DAK-Gesundheit, KKH-Kaufmännische Krankenkasse [ehemals KKH-Allianz], hkk-erste Gesundheit) und der Deutschen Rentenversicherung Bund über einen dreijährigen Beobachtungszeitraum (2005–2007) in einem Datensatz mit knapp 3,3 Mio. Versicherten mit psychischen Erkrankungen zusammengeführt. Dieser Datensatz zeichnet sich im Vergleich zum Bundesgesundheitssurvey (1998) durch die Nutzung von Routinedaten, die Stichprobengröße und ein längsschnittliches Design aus. Dadurch bietet er die Möglichkeit, die Inanspruchnahme des Versorgungssystems – unter Berücksichtigung von Rehabilitations- und Rentenleistungen – objektiv und repräsentativ auszuwerten. Der vorliegende Artikel stellt die Prävalenzen der Inanspruchnahme von ambulanten, stationären und rehabilitativen Versorgungsleistungen bei psychischen Erkrankungen (ICD-10, F0–F5) im Beobachtungszeitraum 2005–2007 dar. Exemplarisch wird für schwere depressive Erkrankungen analysiert, welche Fachdisziplinen und Versorgungssektoren im Verlauf der Versorgung in Anspruch genommen wurden. ► U 561 WISSENSCHAFT GRAFIK 1 3,3 % n =106 972 7,1 % n = 233 088 0,4 % n = 13 203 9,4 % n = 308 724 ten, für die Analysen zur Verfügung (zum angewendeten Standard von Sekundärdatenanalysen vgl. [7]). Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES-Institut) übernahm die Datentreuhänderschaft und die Datenanalysen. Für eine ausführliche Beschreibung der Methoden siehe eKasten. Limitationen, die Sekundärdatenauswertungen mit sich bringen, sind in der Diskussion und in der ergänzenden Methodenbeschreibung (eKasten) ausführlich dargestellt. Ergebnisse Methoden Diagnosenverteilung im Versorgungssystem 3 275 399 Versicherte der beteiligten Ersatzkassen erfüllten das Kriterium einer Index-Diagnose F0–F5 im Beobachtungszeitraum (1. 1. 2005–31. 12. 2007). Grafik 1 zeigt die Diagnosenverteilung. 50,4 % der Versicherten mit einer Index-Diagnose wiesen im Quer- oder im Längsschnitt mehrere Diagnosen aus unterschiedlichen diagnostischen Gruppen psychischer Störungen im Sinne einer psychischen Komorbidität auf. Die Diagnosenverteilung wurde bereits an anderer Stelle dargestellt (8). Die Differenzen der hier dokumentierten Diagnosenverteilung zu der im Vorfeld berichteten ergeben sich aus unterschiedlichen Gruppierungen der betroffenen Versicherten. In den aktuell vorliegenden Ergebnissen wurden alle Versicherten mit mehr als einer Diagnose einer psychischen Störung in der Gruppe „psychische Komorbidität“ zusammengefasst (Grafik 1), während diese Versicherten in der vorangegangenen Auswertung mehrfach gezählt wurden. Im Fall einer psychischen Komorbidität dominierten Diagnosekombinationen der Gruppen F3 (affektive Störungen) und F4 (neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen). Für nahezu alle Versicherten mit Diagnose einer psychischen Störung wurde zusätzlich mindestens eine somatische Diagnose (ambulant/stationär) kodiert (F0: 96,4 %, F1: 96,5 %, F2: 88,3 %; F3: 98,2 %, F4: 99 %, F5: 99,1 %; somatische Komorbidität insgesamt: 98,8 %). Um einen möglichst umfassenden Überblick zu erhalten, wurden alle somatischen Diagnosen (mindestens eine ambulante Abrechnungsdiagnose, stationäre Hauptoder Nebendiagnose gemäß ICD-10, Kapitel A–E, G–T [außer G30]) im Untersuchungszeitraum berücksichtigt. Im Rahmen des Projektes erfolgte eine überwiegend deskriptive Sekundärdatenanalyse zur Versorgungssituation bei psychischen Erkrankungen. Die Studie wurde gefördert durch die Bundesärztekammer sowie durch Mittel der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und des LVR-Klinikums Düsseldorf. Die beteiligten Ersatzkassen überprüften die Sekundärdaten (6) von insgesamt 9 921 363 Versicherten hinsichtlich der Kodierung einer psychischen Störung der ICD-10-GM-Gruppen F0–F5 (Grafik 1) im Zeitraum 2005–2007 und stellten die Datensätze der Versicherten, die dieses Auswahlkriterium erfüll- Inanspruchnahme des Versorgungssystems Eine fallbasierte Analyse (eKasten) ergab im dreijährigen Untersuchungszeitraum knapp 22 Mio. Behandlungsfälle aufgrund der Diagnose einer psychischen Störung (mehrere Fälle pro Versichertem möglich). Dabei wurden 95,7 % aller Behandlungen ambulant erbracht, 4,2 % stationär und 0,1 % teilstationär. 98 % aller Versicherten mit Index-Diagnose hatten mindestens eine ambulante, 6 % eine stationäre und 0,2 % eine teilstationäre Behandlung erhalten (Mehrfachnennungen möglich). Ambulante oder sta- 28,4 % n = 930 687 50,4 % n = 1 651 367 1,0 % n = 31 358 F0 F1 F2 F3 F4 F5 psychische Komorbidität Diagnosenverteilung 2005–2007: Anteil Versicherter differenziert nach Diagnosegruppen. Alle Versicherten mit Diagnose einer psychischen Störung (F0–F5) im Untersuchungszeitraum 2005–2007 (N = 3 275 399). F0: Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3: Affektive Störungen F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren Psychische Komorbidität: gleichzeitiges oder konsekutives Vorliegen mehrerer psychiatrischer Diagnosen. Ziel der Studie ist es, mittels disziplinen- und sektorenübergreifender Analysen des Versorgungsverlaufs etwaige Mängel, wie zum Beispiel Schnittstellenprobleme, und Optimierungspotenziale in der Versorgung psychischer Störungen zu identifizieren. 562 Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 WISSENSCHAFT GRAFIK 2 % 100 90 1,3 19,6 80 5,6 28,4 97,8 82,7 70 60 0,8 9,9 42,2 91,0 97,7 69,0 59,8 50 40 55,6 30 20 10 0 11,3 0,8 11,8 F0 (n = 93 173) F1 (n = 192 657) F2 (n = 12 748) 7,4 3,7 F3 F4 (n = 302 437) (n = 922 546) 1,5 2,2 F5 psychische (n = 30 846) Komorbidität (n = 1 643 225) Ambulante Versorgung (2005–2007) differenziert nach Disziplinen und Diagnosen (F0–F5). Alle Versicherten mit ambulanter Behandlung und Diagnose einer psychischen Störung (N = 3 197 632 entsprechend 97,6 % aller Betroffenen mit Diagnose einer psychischen Störung). F0: Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3: Affektive Störungen F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren Psychische Komorbidität: gleichzeitiges oder konsekutives Vorliegen mehrerer psychiatrischer Diagnosen. ausschließlich Behandlung durch Fachdisziplinen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik ausschließlich Behandlung durch Allgemeinmediziner/Fachärzte für somatische Medizin Behandlung sowohl durch Fachdisziplinen Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik als auch durch Allgemeinmediziner/Fachärzte für somatische Medizin tionäre Rehabilitationsleistungen mit der Hauptdiagnose einer psychischen Störung erhielten 2,6 % der Versicherten. Fast drei Viertel der aufgrund einer psychiatrischen Diagnose ambulant behandelten Versicherten wurden ausschließlich durch Ärzte für Allgemeinmedizin/Fachärzte für somatische Medizin versorgt (Grafik 2). Auch im stationären Bereich wurde ein relativ hoher Anteil (27–64 %) an Patienten mit psychiatrischer Hauptdiagnose durch Fachabteilungen für somatische Medizin versorgt (Grafik 3). Der Großteil stationär-rehabilitativer Versorgung von Behandlungsfällen mit psychiatrischer Hauptdiagnose entfiel auf psychosomatische Fachabteilungen (n = 25 136, circa 67 % aller rehabilitativen Behandlungsfälle 2005–2007), gefolgt von Fachabteilungen für Suchtmedizin (n = 5 674; 15 %) und allgemeinpsychiatrischen Fachabteilungen (n = 3 509; 9 %). 6 % (n =2 392) der Rehabilitationsfälle mit psychiatrischer Hauptdiagnose wurden in Fachabteilungen für somatische Medizin, 0,1 % (n = 3 077) ambulant behandelt. Versorgungsverläufe bei schwerer Depression 110 462 Versicherte erhielten im Beobachtungszeitraum die Diagnose einer schweren Depression (ICD10-GM: F32.2, F32.3, F33.2, F33.3). Bei 23,9 % hiervon (n = 26 412) wurde eine schwere Depression bereits im 1. Quartal 2005 diagnostiziert. Diese Versicherten bildeten die Index-Population für exemplarische Versorgungsverlaufsanalysen. Diese KernDeutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 gruppe unterschied sich hinsichtlich der soziodemografischen Charakteristika geringfügig von der Gesamtpopulation aller Versicherten mit Diagnose einer schweren Depression (Tabelle 1). Insgesamt fanden sich 524 verschiedene Versorgungsverläufe, die sich in der Art, Anzahl oder chronologischen Abfolge der in Anspruch genommenen Versorgungsbereiche/Fachdisziplinen unterschieden. Es dominierten Versorgungsverläufe mit Beteiligung der Allgemeinmedizin und Fachdisziplinen für somatische Medizin sowie von Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie (eTabelle I). Die initiale Versorgung zu Beginn des Beobachtungszeitraums („Index-Versorgung“) erfolgte überwiegend (74 %) ambulant bei einem Arzt für Allgemeinmedizin oder einem Facharzt einer Fachrichtung für somatische Medizin. In diesen Fällen lag die Wahrscheinlichkeit, im Beobachtungszeitraum nicht mehr in einen anderen Versorgungsbereich oder zu einer anderen Fachdisziplin zu wechseln, bei p = 53 %. Die Wahrscheinlichkeit, zu einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie zu wechseln, lag bei p = 36 %, die Wahrscheinlichkeit des Übergangs in einen anderen Versorgungsbereich/ zu einer anderen Fachdisziplin bei p = 11 %. Im Fall einer ambulanten Index-Versorgung bei einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie/ Nervenheilkunde, die 20 % aller Index-Fälle betraf, lag die Wahrscheinlichkeit, keinen weiteren Wechsel in einen anderen Versorgungsbereich oder zu einer anderen Fachdisziplin vorzunehmen, bei p = 26 %, die Wahrscheinlichkeit eines Übergangs zu einem 563 WISSENSCHAFT GRAFIK 3 % 100 97 90 80 77 70 68 64 60 60 56 50 40 46 43 40 30 27 20 20 18 0 18 14 14 10 0 0 F0 (n = 5 073) 0 0 2 F1 (n =14 639) 1 1 1 2 6 2 3 F2 (n =1 913) F3 (n = 2 438) 4 4 F4 (n = 5 035) allgemeinpsychiatrische Fachabteilung* psychosomatische/psychotherapeutische Fachabteilung neurologische Fachabteilung Fachabteilung für somatische Medizin 8 7 10 F5 (n = 111) 10 0 6 psychische Komorbidität (n = 163 772) kinder- und jugendpsychiatrische Fachabteilung Versorgungsanteile in voll- und teilstationären Einrichtungen für Patienten mit Hauptdiagnose einer psychischen Störung, differenziert nach Fachabteilungen im Untersuchungszeitraum 2005–2007. Alle Versicherten mit stationärer Behandlung mit Hauptdiagnose einer psychischen Störung F0–F5 (N = 192 981). Mehrfachzählungen pro Betroffenem möglich (Betroffene mit mehrmaligem stationären Aufenthalt in jeweils unterschiedlichen Fachabteilungen) F0: Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F1: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F2: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F3: Affektive Störungen F4: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen F5: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren Psychische Komorbidität: gleichzeitiges oder konsekutives Vorliegen mehrerer psychiatrischer Diagnosen. * Schwerpunktbehandlungen innerhalb der Allgemeinpsychiatrie (z. B. Sucht-/Gerontopsychiatrie) fallen ebenfalls unter die allgemeinpsychiatrischen Fachabteilungen. Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin bei p = 63 % und die Wahrscheinlichkeit, in einen der anderen Versorgungsbereiche/zu einer anderen Fachdisziplin zu wechseln, bei p = 11 %. 2,5 % der Index-Population begannen die Behandlung ambulant bei einem Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 0,7 % bei einem psychologischen Psychotherapeuten. Sehr selten erfolgte die Index-Versorgung im stationären Bereich (Fachabteilung für somatische Medizin: 0,1 %; psychiatrische Fachabteilung: 2,2 %, psychosomatische Fachabteilung: 0,2 %; Rehabilitation: 0,2 %). Bei diesen selteneren Arten der Index-Versorgung war die Wahrscheinlichkeit, nicht mehr in einen anderen Versorgungsbereich zu wechseln im Vergleich zu einer allgemeinmedizinischen oder psychiatrischen In- 564 dex-Versorgung vergleichsweise gering (Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt einer Fachrichtung für somatische Medizin: p = 53 %; Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie/Nervenheilkunde: p = 26 %; Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie: p = 14 %, Psychologischer Psychotherapeut: p = 13 %, Fachabteilung für somatische Medizin: p = 12 %; psychiatrische Fachabteilung: p = 12 %; psychosomatische Fachabteilung: p = 4 %; Rehabilitation: p = 0,4 %). Die aus diesen Untersuchungen resultierenden fünf häufigsten Versorgungspfade, die zusammen mehr als drei Viertel (77,5 %) der Index-Population betrafen, sind in Grafik 4 dargestellt. Für die fünf häufigsten Versorgungsverläufe wurden die relevanten Verlaufsereignisse untersucht (TaDeutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 WISSENSCHAFT TABELLE 1 Verteilung soziodemografischer Merkmale in der Gesamtpopulation, der Index-Population und in ausgewählten Teilpopulationen, die einen bestimmten Versorgungsverlauf genommen haben (fünf häufigste Versorgungsverläufe) Population N/n Alter am 1. 1. 2006 Mittelwert in Jahren (Standardabweichung) männlich/ weiblich % (99-%-KI) Wohnort Wohnort neue Bundes- Stadt/Land*2, *1 % länder/ (99-%-KI) alte Bundes1 länder* % (99-%-KI) psychische Komorbidität*3 % (99-%-KI) somatische Komorbidität*4 % (99-%-KI) Gesamtpopulation mit schwerer Depression (Index-Diagnose 1. 1. 2005–31. 12. 2007) 110 462 53,2 (± 16,5) 23,2/76,8 (22,9–23,5)/ (76,5–77,1) 11,4/88,6 (11,2–11,7)/ (88,3–88,8) 87,0/12,8 (86,7–87,3)/ (12,5–13,1) 88,5 (88,3–88,8) 99,8 (99,7–99,8) Index-Population mit schwerer Depression (IndexDiagnose 1. Quartal 2005) 26 412 57,5 (± 15,2) 22,4*5/77,6 (21,8–23,1)/ (76,9–78,2) 12,3*5/87,7*5 (11,8–12,8)/ (87,1–88,2) 88,9*5/10,9*5 (88,4–89,4)/ (10,4–11,4) 86,3 (85,7–86,8) 99,8 (99,8–100) Versorgungsverlauf Nummer*6 Teilpopulationen, differenziert nach Versorgungsverläufen 1 Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin (ohne weiteren Arztwechsel) 10 354 59,5 (± 15,6) 22,5/77,5 (21,5–23,6)/ (76,4–78,5) 11,1/88,9 (10,3–11,9)/ (88,1–89,7) 88,3/11,5 (87,5–89,1)/ (10,7–12,3) 78,0 (77,0–79,1) 99,9 (99,9–100,0) 2 Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin -> Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie 5 466 60,5 (± 13,9) 22,0/78,0 (20,6–23,5)/ (76,5–79,4) 15,6/84,3 (14,4–16,9)/ (83,0–85,6) 88,7/11,1 (87,6–89,9)/ (10,0–12,1) 89,4 (88,4–90,5) 99,9 (99,9–100,0) 3 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie -> Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin 2 679 57,2 (± 14,0) 22,1/77,9 (20,0–24,2)/ (75,8–80,0) 12,0/88,0 (10,4–13,6)/ (86,4–89,6) 89,5/10,5 (88,0–91,1)/ (8,9–12,0) 90,6 (89,1–92,0) 99,9 (99,9–100) 4 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (ohne weiteren Arztwechsel) 1 380 59,7 (± 15,5) 30,1/69,9 (26,9–33,3)/ (66,7–73,1) 11,4/88,6 (9,2–13,6)/ (86,4–90,8) 90,5/9,4 (88,5–92,5)/ (7,3–11,4) 85,8 (83,4–88,2) 98,8 (98,1–99,6) 5 Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin -> Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie -> Psychiatrische Fachabteilung 609 59,8 (± 13,8) 22,2/77,8 (17,8–26,5)/ (73,5–82,2) 19,4/80,6 (15,2–23,5)/ (76,5–84,8) 86,2/13,5 (82,6–89,8)/ (9,9–17,0) 95,1 (92,8–97,3) 99,8 (99,4–100) *1 Die prozentualen Angaben addieren sich teilweise nicht auf 100 %, da bei einer geringen Anzahl der eingeschlossenen Versicherten (< 1 %) keine Angaben zum Wohnort vorlagen. *2 städtische Regionen: Agglomerationsräume (Regionen mit Oberzentren > 300 000 Einwohner oder Bevölkerungsdichte ≥ 300 Einwohner/km²) und verstädterte Räume (Regionen mit Oberzentren > 100 000 Einwohner oder Bevölkerungsdichte > 150 Einwohner/km² bei einer Mindestdichte von 100 Einwohner/km²); ländliche Regionen: Regionen mit einer Bevölkerungsdichte < 150 Einwohner/km² und ohne Oberzentrum > 100 000 Einwohner sowie Regionen mit Oberzentrum > 100 000 Einwohner und einer Bevölkerungsdichte ≤ 100 Einwohner/km² (Raumabgrenzungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung). 3 * mindestens eine ambulante Abrechnungsdiagnose oder stationäre Haupt- oder Nebendiagnose einer weiteren psychischen Störung außer einer Depression gemäß ICD-10-GM, Kapitel F, im Untersuchungszeitraum 1. 1. 2005–31. 12. 2007. *4 mindestens eine ambulante Abrechnungsdiagnose oder stationäre Haupt- oder Nebendiagnose gemäß ICD-10-GM, Kapitel A–E und G–T (außer G30) im Untersuchungszeitraum 1. 1. 2005–31. 12. 2007. *5 gemäß 99-%-KI besteht ein signifikanter Unterschied (keine Überschneidung der Konfidenzintervalle) des Merkmals zur Gesamtpopulation mit schwerer Depression (Index-Diagnose 1. 1. 2005–31. 12. 2007). *6 nummeriert nach absteigender Häufigkeit der Versorgungsverläufe (vgl. Grafik 4). 99-%-KI = 99-%-Konfidenzintervall belle 2). Die signifikant niedrigsten Arbeitsunfähigkeits- und Berentungsraten wiesen die zwei Verläufe ohne Wechsel des Versorgungsbereichs bei gleichzeitig den höchsten Mortalitätsraten auf. Des Weiteren wurden Betroffene mit Index-Diagnose einer schweren Depression im ersten Quartal 2006 ohne Inanspruchnahme des Versorgungssystems aufgrund einer depressiven oder anderweitigen psychischen Störung in 2005 (n = 1 149) separat betrachtet, um auszuschließen, dass die beschriebenen Verläufe durch einen fehlenden Vorbeobachtungszeitraum aufgrund einer „Linkszensur“ der Daten inkomplett dargestellt wurden. Diese Analysen Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 zeigten für die Versorgungsverläufe gewisse Verschiebungen in der Rangfolge, wobei der Versorgungsverlauf „Allgemeinmediziner/Facharzt für somatische Medizin ohne weiteren Wechsel“ auch in dieser Analyse der häufigste war (eGrafik, eTabellen 2 und 3). Diskussion Bei circa 70 Mio. gesetzlich Krankenversicherten (Stand 2012, GKV Spitzenverband) umfasst die Population der Versicherten der beteiligten Ersatzkassen mit 9 921 396 Versicherten etwa jeden siebten gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland. ► 565 WISSENSCHAFT Versorgungsverläufe im Untersuchungszeitraum 2005–2007 für Betroffene, die im 1. Quartal 2005 die Index-Diagnose einer „schweren Depression“ erhielten (ICD-10-GM: F32.2/F32.3/F33.2/F33.3) (N = 26 412). Es traten 524 verschiedene Versorgungsverläufe auf, detaillierter dargestellt sind die fünf häufigsten Verlaufstypen, nummeriert nach absteigender Häufigkeit. * mediane Dauer des Verbleibs im jeweiligen Versorgungsbereich in Tagen (ohne zwischenzeitliche Behandlung in einem anderen Versorgungsbereich; Zeitraum zwischen erstem und letztem Behandlungstag) GRAFIK 4 Erstkontakt mit dem Versorgungssystem 1 ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (637*) 2 ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (46*) ambulant Psychiater (160*) ambulant Psychiater (95*) ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (249*) 39,2 % n = 10 354 Versicherte mit schwerer Depression und Index-Diagnose im 1. Quartal 2005 n = 26 412 20,7 % n = 5 466 10,1 % n = 2 679 3 5,2 % n = 1 380 22,5 % n = 5 924 519 seltenere Versorgungspfade 4 2,3 % n = 609 5 33 % aller Versicherten hatten im Dreijahreszeitraum Kontakte zum Versorgungssystem wegen der Diagnose einer psychischen Störung. Es dominierten Inanspruchnahmen durch psychisch komorbid Erkrankte, gefolgt von Inanspruchnahmen allein aufgrund von neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen (F4), von affektiven Störungen (F3) und Suchterkrankungen (F1). Die hier dargestellten Prävalenzen der Inanspruchnahme spiegeln – bezogen auf die Rangfolge – im Wesentlichen die Prävalenzen wieder, die bereits im Bundesgesundheitssurvey ermittelt wurden (4). Diese Zahlen dokumentieren den hohen Bedarf an psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer Versorgung, der im Hinblick auf den aktuellen Mangel an Fachärzten (9) eine künftige Herausforderung für die Planung einer bedarfsgerechten Versorgung darstellen dürfte. Alle psychisch Erkrankten wiesen im Dreijahreszeitraum eine hohe psychische und somatische Komorbidität auf. Die hohe psychische Komorbiditätsrate (50,4 %) ist vergleichbar mit der im Bundesgesundheitssurvey 1998 berichteten Rate (48 %; [4]). Unabhängig von der psychiatrischen Diagnose wurde (mit Ausnahme der Gruppe F2: 88,3 %) bei mehr als 90 % der Versicherten im Verlauf auch eine somatische Dia- 566 1. Wechsel innerhalb des Versorgungssystems 2. Wechsel innerhalb des Versorgungssystems ambulant Psychiater (519*) ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (23*) ambulant Psychiater (14*) stationär psychiatrische Fachabteilung (9*) gnose gestellt. Die vergleichsweise geringe somatische Komorbidität bei an Schizophrenie und anderen psychotischen Störungen Erkrankten (F2) könnte ein Hinweis auf fehlende Diagnostizierung somatischer Erkrankungen in dieser Gruppe sein, da gerade hier ein vergleichsweise hoher Anteil somatischer Komorbidität zu erwarten wäre (10). Insgesamt verdeutlichen die Befunde die hohe Relevanz psychischer sowie somatischer Komorbidität bei psychischen Störungen (11) – ganz ähnlich wie somatisch Erkrankte ein erhöhtes Risiko für komorbide somatische und psychische Störungen aufweisen (12–15). Mit dieser Erkenntnis einher geht die Notwendigkeit für den Ausbau einer disziplinenübergreifenden Versorgung psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer sowie allgemeinmedizinischer Disziplinen beziehungsweise Fachdisziplinen für somatische Medizin. Wie Ungewitter und Kollegen feststellten (16), erfolgt selten eine Kooperation der Behandler in der Versorgung psychisch Erkrankter und wenn überhaupt dann meist nur in flexiblen Netzwerken ohne explizites Konzept für eine Zusammenarbeit. Die meisten Versorgungsleistungen wurden von psychisch Erkrankten im ambulanten Bereich in Anspruch genommen, wie auch bereits im Bundesgesundheitssurvey 1998 gezeigt wurde (17). Durch die derzeit Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 WISSENSCHAFT TABELLE 2 Ereignisse im Versorgungsverlauf bei schwerer Depression stratifiziert nach den fünf häufigsten Versorgungsverläufen Versorgungspfad Nummer*1 Versorgungspfad Anzahl/Anteil Versicherter mit entsprechendem Versorgungspfad n (%) Anteil Betroffener mit Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer psychischen Störung*2 % (99-%-KI) Anteil Betroffener mit Frühberentung aufgrund psychischer Störung*2 % (99-%-KI) Anteil Verstorbener % (99-%-KI) 1 Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin (ohne weiteren Wechsel) 10 354 (39,2) 5,7 (5,1–6,3) 0,2 (0,06–0,27) 7,6 (6,9–8,2) 2 Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin -> Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie 5 466 (20,7) 10,6 (9,5–11,7) 0,8 (0,05–1,1) 5,4 (4,6–6,2) 3 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie -> Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin 2 679 (10,1) 13,5 (11,8–15,2) 1,0 (0,5–1,5) 3,1 (2,2–3,9) 4 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (ohne weiteren Wechsel) 1 380 (5,2) 8,2 (6,3–10,1) 0,3 (0–0,7) 7,3 (5,5–9,1) 5 Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin -> Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie -> Psychiatrische Fachabteilung 609 (2,3) 16,7 (12,8–20,7) 3,1 (1,3–4,9) 5,7 (3,3–8,2) *1 nummeriert nach absteigender Häufigkeit der Versorgungsverläufe (vgl. Grafik 4). *2 Bei Interpretation der Ergebnis-Parameter „Arbeitsunfähigkeit“ und „Frühberentung“ ist zu beachten, dass die Index-Population auch Versicherte umfasst, die sich nicht im erwerbsfähigen Alter befinden (< 15 Jahre, > 65 Jahre), so dass die entsprechenden prozentualen Häufigkeiten eher unterschätzt werden. Diese Altersgrenzen werden in der Regel gewählt, um das erwerbsfähige Alter möglichst komplett auch an seinen in der Regel unscharfen Altersgrenzen vollständig zu erfassen. Ferner ist zu beachten, dass sowohl zwischen „Mortalität“ und dem jeweiligen Versorgungsverlauf als auch zu den Parametern „Arbeitsunfähigkeit“ und „Frühberentung“ keine kausale Verknüpfung besteht. 99-%-KI = 99-%-Konfidenzintervall bestehenden Vergütungsstrukturen wird die Sicherstellung der fachärztlichen Versorgung im ambulanten Bereich eine besondere Herausforderung sein, da durch die Finanzierungsstruktur eine leitliniengerechte Versorgung und die Vergütung des notwendigen Therapieumfangs nicht ausreichend gewährleistet ist (9). Im ambulanten und stationären Versorgungssektor entfiel ein erheblicher Anteil der Versorgung bei psychischen Störungen auf allgemeinmedizinische Disziplinen/Disziplinen für somatische Medizin (18). Wie Untersuchungen zur Prävalenz der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen bei psychischen Störungen in Europa zeigen, hatten nur 30–50 % der psychisch Erkrankten Behandlungskontakte zu Psychiatern oder Psychotherapeuten (19). Der relativ niedrige Anteil psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer Versorgung könnte bedingt sein durch einen Fachkräftemangel einhergehend mit Zugangsbarrieren zu fachspezifischer Versorgung. Die Bundespsychotherapeutenkammer ermittelte sehr lange Wartezeiten für einen Psychotherapieplatz (20). Auch können das individuelle Hilfesuchverhalten der Patienten und deren Behandlungspräferenzen eine Rolle spielen. Der Hausarzt ist weiterhin die erste Anlaufstelle bei psychischen Beschwerden und die allgeDeutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 meinmedizinische Versorgung wird als wenig stigmatisierend betrachtet (21). Des Weiteren käme auch eine nicht ausreichende Überweisungsrate in eine fachärztliche Versorgung als eine mögliche Ursache in Frage. Die Gründe für eine im Vergleich zur Allgemeinmedizin geringe Inanspruchnahme psychiatrischpsychosomatisch-psychotherapeutischer Fachversorgung sind künftig zu evaluieren. Exemplarische Analysen bei schwerer Depression zeigen die geringe Kooperation hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung. Die hier vorgelegten Ergebnisse zu schweren Depressionen beruhen auf Versorgungsanalysen, die erstmals verschiedene Disziplinen und Versorgungsbereiche umfassen; bisher wurden höchstens Teilaspekte untersucht (22, 23). Eigene Querschnittsanalysen zeigten bereits den hohen Versorgungsanteil von allgemeinmedizinischen Disziplinen und Disziplinen für somatische Medizin (24). Bei einer hohen Anzahl aufgetretener Versorgungsverläufe (n = 524) dominierte die Versorgung bei niedergelassenen Ärzten für Allgemeinmedizin oder Fachärzten für somatische Medizin, teilweise in Kombination mit psychiatrisch-nervenärztlicher Versorgung. Wie Studien zur Diagnostik von Depressionen in der hausärztlichen Versorgung zeigen, sind Depressionen nach 567 WISSENSCHAFT Expertenbeurteilung in der hausärztlichen Praxis ausgesprochen häufig, werden aber nur zum Teil als solche diagnostiziert (26–28). Des Weiteren konnten Schneider und Kollegen (25) speziell für Depressionen im hausärztlichen Bereich – neben der generell bei psychischen Störungen aufgezeigten Unterversorgung (19) – eine höhere Rate nicht leitlinienorientierter Behandlung im Vergleich zum psychiatrisch-fachärztlichen Versorgungsbereich feststellen. Allerdings fehlen systematische Studien zur Qualität der ambulanten Versorgung von Depressionen sowohl für den hausärztlichen als auch für den fachärztlichen Versorgungsbereich. Angesichts dieser Situation sollte Maßnahmen einer Qualitätsoptimierung in der ambulanten Versorgung bei Depressionen (und anderen psychischen Störungen) stärkere Bedeutung zugemessen werden. Internationale Studien zeigen, dass Depressionen mit den schwerwiegendsten persönlichen und gesellschaftlichen Belastungen assoziiert sind, noch vor anderen Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus oder koronaren Herzerkrankungen (29, 30). Unklar ist bisher, inwiefern der Versorgungsverlauf assoziiert ist mit ungünstigen Ereignissen wie Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung oder Mortalität. Derartige Fragen stellen sich vor allem vor dem Hintergrund des bereits diskutierten Optimierungsspielraums im Bereich der Diagnostik und Therapie von Depressionen. Die hier angestellten Analysen zeigen keinen systematischen Zusammenhang zwischen Versorgungsverläufen und den genannten krankheitsassoziierten Ereignissen. Die niedrigsten Arbeitsunfähigkeits- und Frühberentungsraten aufgrund der Depression fanden sich bei den beiden Verläufen ohne Wechsel des initialen Versorgungsbereichs. Dies ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass sich in diesem Versorgungsverlauf die prognostisch günstigeren Fälle depressiver Störungen finden, was auch dadurch wahrscheinlich erscheint, dass diese Fälle die signifikant niedrigsten Raten an psychischer Komorbidität aufwiesen. Gegen den Hinweis darauf, dass sich im Versorgungsverlauf ohne Wechsel des initialen Versorgungsbereichs prognostisch günstigere Fälle finden, spricht die vergleichsweise hohe Mortalitätsrate, die aufgrund des nahezu gleichen Durchschnittsalters in allen Verläufen nicht als Altersartefakt interpretiert werden kann. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass eine umfassende disziplinenübergreifende Versorgung, gegebenenfalls unter Einbeziehung des stationären Bereichs, eine mortalitäts-/suizidpräventive Wirkung hat. Limitationen Die Aussagekraft der Verlaufsanalysen war zunächst dadurch eingeschränkt, dass aufgrund des fehlenden Vorbeobachtungszeitraumes bei einer Index-Diagnose im ersten Quartal 2005 nicht zwischen Versicherten mit und ohne depressive oder anderweitige psychische Vorerkrankung unterschieden werden konnte. Aus diesem Grund wurden ergänzende Analysen durchgeführt, in denen ausschließlich Versicherte betrachtet wurden, die in einem einjährigen Vorbeobachtungs- 568 zeitraum keine Versorgungskontakte aufgrund einer depressiven oder einer anderen psychischen Vorerkrankung hatten. Die Ergebnisse der ersten Analysen wurden hier im Wesentlichen bestätigt. Da in den vorliegenden Analysen kein systematischer Zusammenhang zwischen den Charakteristika der Verläufe und krankheitsbezogenen Ereignissen im Versorgungsverlauf nachgewiesen werden konnte, wäre in Detailanalysen zu klären, ob andere Prädiktoren, wie zum Beispiel die Inanspruchnahmefrequenz und Dauer der Behandlungsepisoden, einen Einflussfaktor darstellen. Diese Analysen wurden in den vorliegenden Auswertungen noch nicht angestellt. Weitere limitierende Faktoren bei den Verlaufsanalysen sind zum einen fehlende Informationen zu Erstdiagnosen und zum anderen der Umstand, dass Versorgungskontakte vor und nach Beginn des Beobachtungszeitraumes nicht miteinbezogen werden konnten, so dass möglicherweise nicht der gesamte Versorgungsverlauf erfasst wurde. Einschränkend ist bei der Interpretation somatischer Komorbidität zu beachten, dass in die Analysen alle somatischen Diagnosen einflossen, um die Inanspruchnahme des Versorgungssystems aufgrund somatischer Erkrankungen möglichst vollständig zu erfassen. Hier wurde nicht zwischen leichteren kurzfristigen und schweren chronischen Erkrankungen unterschieden. Eine grundsätzliche methodische Einschränkung bei der Analyse von Sekundärdaten stellt die unbekannte Validität und Reliabilität der zugrundeliegenden Informationen dar (31). Die Daten wurden für die vorliegende Studie im IGES-Institut auf Plausibilität und Vollständigkeit geprüft. Eine externe Validierung der Daten, zum Beispiel in Form eines Abgleichs mit Krankenakten, war nicht möglich, so dass ein Einschluss etwa von Fehldiagnosen nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. Für den hausärztlichen Versorgungsbereich konnte gezeigt werden, dass Hausärzte die psychiatrische Diagnose einer Depression aus verschiedenen Gründen häufig nicht stellen, obwohl sie die psychische Belastung der Betroffenen erkennen und in der Konsultation berücksichtigen (28). Weitere Einschränkungen, die sich bei der Auswertung von Sekundärdaten-Analysen ergeben, sind im ausführlichen eKasten dargestellt. Fazit und Ausblick Das vorliegende Projekt trägt der Forderung Rechnung, Sekundärdaten für Zwecke der Verlaufsforschung wie der Qualitätssicherung zu nutzen (32). Die Ergebnisse der Analysen verdeutlichen zum einen ein Ungleichgewicht in der Inanspruchnahme des Versorgungssystems aufgrund psychischer Störungen und zum anderen die hohe Ausprägung somatischer und psychischer Komorbidität bei psychischen Erkrankungen. Des Weiteren wurden beispielhaft für schwer depressiv Erkrankte einige der häufigeren Versorungsverläufe durch das deutsche Versorgungssystem analysiert, die einen hohen Anteil an nichtspezifischer psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer Versorgung dokumentieren. Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 WISSENSCHAFT KERNAUSSAGEN ● Die hohe Prävalenz der Inanspruchnahme des Versorgungssystems aufgrund psychischer Störungen (33 % aller in die Analyse einbezogenen Krankenversicherten) dokumentiert einen hohen Bedarf an psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer Versorgung. ● Die hohen Raten an psychischer wie somatischer Komorbidität belegen die Notwendigkeit institutionalisierter disziplinenund sektorenübergreifender Versorgung, um sowohl psychische als auch somatische Erkrankungen adäquat behandeln zu können. ● Die Gründe für die im Vergleich zur Allgemeinmedizin geringe Inanspruchnahme psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer Fachversorgung bei psychischen Erkrankungen sind künftig zu evaluieren und eine verstärkte Einbindung psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischer Disziplinen in die Versorgung ist anzustreben. ● Aufgrund der deutlichen Dominanz einer ambulanten hausärztlichen Versorgung bei Depressionen sollte das Qualitätsmanagement in diesem Versorgungsbereich stärker vorangetrieben werden. Die Nutzung von Sekundärdaten kann – über Disziplinen- und Sektorengrenzen hinweg – trotz aller Limitationen – zur Identifizierung von Unter- und Überversorgung, Fehlallokationen und Schnittstellenproblemen beitragen. Dies zeichnet sich zum Beispiel an den Ergebnissen dieser Studie ab, wie etwa der Identifizierung eines hohen Versorgungsanteils von Fachdisziplinen für somatische Medizin und einer wenig disziplinen- beziehungsweise sektorenübergreifenden Versorgung. Sekundärdaten sollten daher als routinemäßig verfügbare Datenquelle bei der weiteren Versorgungsplanung für psychische Störungen stärker berücksichtigt werden. Interessenkonflikt Prof. Gaebel ist Faculty Member der Lundbeck International Neuroscience Foundation (Scientific Advisory Board). Er bekam Reisekostenerstattung von der DGPPN, dem AQUA-Institut und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer Krankenhäuser. Veranstaltungssponsoring (Symposium Support) erhielt er von den Firmen Lilly, Servier und Janssen Cilag. Manuskriptdaten eingereicht: 26. 11. 2012, revidierte Fassung angenommen: 22. 8. 2013 Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel LVR-Klinikum Düsseldorf Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Bergische Landstraße 2, 40629 Düsseldorf [email protected] Zitierweise Gaebel W, Kowitz S, Fritze J, Zielasek J: Use of health care services by people with mental illness—secondary data from three statutory health insurers and the German statutory pension insurance scheme. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(47): 799–808. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0799 @ Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/pp/lit1213 eGrafik, eTabellen und eKasten: www.aerzteblatt.de/13m0799 The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de M.A. Kowitz erhielt Reisekostenerstattung von der DGPPN. Prof. Fritze wurde honoriert für Beratertätigkeit (Scientific Advisory Board) von den Firmen Janssen Lundbeck, Lilly, Pfizer, Roche, Novartis, 3M, Eisai, AstraZeneca, dem Verband der privaten Krankenversicherung und der DGPPN. PD Dr. Zielasek bekam Kongressgebühren und Reisekosten erstattet von der DGPPN. Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 569 WISSENSCHAFT ORIGINALARBEIT Inanspruchnahme des Versorgungssystems bei psychischen Erkrankungen Sekundärdaten von drei gesetzlichen Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung Bund Wolfgang Gaebel, Sandra Kowitz, Jürgen Fritze, Jürgen Zielasek LITERATUR 1. DAK – Unternehmen Leben. DAK-Gesundheitsreport 2010. Hamburg, 2010. www.presse.dak.de/ps.nsf/Show/ 03AF73C39B7227B0C12576BF004C8490/$File/DAK_Gesund heitsreport_2010_2402.pdf (last accessed 17. October 2013) 2. Dannenberg A, Hofmann J, Kaldybajewa K, Kruse E: Rentenzugang 2009: Weiterer Anstieg der Zugänge in Erwerbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen. 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Quartal 2006 ohne Diagnose einer Depression oder einer anderen psychischen Störung im Vorbeobachtungszeitraum (1. 1.– 31. 12. 2005) 1 ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (86*) 2 ambulant Psychiater (60*) 3 ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (7*) ambulant Psychiater (18*) 4 ambulant Psychiater (47*) ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (186*) ambulant Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin (2*) stationär psychiatrische Fachabteilung (52*) 56,2 % n = 646 10,4 % n =119 9,7 % n =112 n = 1 149 5,2 % n = 60 15,3 % n =176 3,1 % n = 36 84 seltenere Versorgungspfade 1. Wechsel innerhalb des Versorgungssystems 5 Versorgungsverläufe im Untersuchungszeitraum 2006–2007 für Betroffene, die im 1. Quartal 2006 die Index-Diagnose einer „schweren Depression“ (ICD-10-GM: F32.2/F32.3/F33.2/F33.3) erhielten (ohne Diagnose einer Depression gleich welchen Schweregrades oder einer anderen psychischen Störung im Vorbeobachtungszeitraum 1. 1.–31. 12. 2005; n = 1 149). Es traten 89 verschiedene Versorgungsverläufe auf, detaillierter dargestellt sind die fünf häufigsten Verlaufstypen, nummeriert nach absteigender Häufigkeit. * mediane Dauer des Verbleibs im jeweiligen Versorungsbereich in Tagen (ohne zwischenzeitliche Behandlung in einem anderen Versorgungsbereich; Zeitraum zwischen erstem und letztem Behandlungstag). eTABELLE 1 Anteil Versicherter der Index-Population mit Kontakt zum jeweiligen Versorgungsbereich/zur jeweiligen Fachdisziplin im Versorgungsverlauf 2005–2007 Versorgungsbereich/Fachdisziplin Anteil Versicherter der Index-Population* (%) niedergelassener Allgemeinmediziner/ Facharzt für somatische Medizin 93,1 niedergelassener Facharzt für Psychiatrie/ Psychotherapie/Nervenarzt 52,7 niedergelassener Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie 10,5 niedergelassener psychologischer Psychotherapeut 3,7 stationär psychiatrische Fachabteilung 12,4 stationär psychosomatische Fachabteilung 1,4 Fachabteilung für somatische Medizin 0,7 * Mehrfachnennungen pro Versichertem möglich 12 Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 WISSENSCHAFT eTABELLE 2 Verteilung soziodemografischer Merkmale in der Gesamtpopulation, der Index-Population und in ausgewählten Teilpopulationen, die einen bestimmten Versorgungsverlauf genommen haben (fünf häufigste Versorgungsverläufe) Population N/n Alter am männlich/Wohnort Wohnort 1. 1. 2006 weiblich Neue Bundes- Stadt/Land*2 *1 % Mittelwert % länder/ (95-%-KI) in Jahren (Stan- (95-%-KI) Alte Bundes1 dardländer* % (95-%-KI) abweichung) psychische Komorbidität*3 % (95-%-KI) Somatische Komorbidität*4 % (95-%-KI) Gesamtpopulation der Patienten 110 462 mit schwerer Depression (IndexDiagnose 1. 1. 2005–31. 12. 2007) 53,2 (± 16,5) 23,2/76,8 (22,9–23,5)/ (76,5–77,1) 11,4/88,6 (11,2–11,7)/ (88,3–88,8) 87,0/12,8 (86,7–87,3)/ (12,5–13,1) 88,5 (88,3–88,8) 99,8 (99,7–99,8) Index-Population der Patienten mit schwerer Depression (Index-Diagnose 1. Quartal 2006 ohne Diagnose einer Depression oder einer anderen psychischen Störung [F0–F5] im Jahr 2005) 50,9 (± 17,9) 27,9*5/72,1*5 (25,3–30,4)/ (69,6–74,7) 11,5/88,3 (9,6–13,3)/ (86,5–90,2) 88,3/11,3 (86,5–90,2)/ (9,5–13,1) 68,4 (65,7–71,1) 99,5 (99,1–99,9) 1 149 Versorgungsverlauf Nummer*6 Teilpopulationen, differenziert nach Versorgungsverläufen 1 Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin (ohne weiteren Wechsel) 646 52,4 (± 18,8) 24,6/75,4 (21,2–27,9)/ (72,1–78,8) 12,3/87,3 (10,3–15,5)/ (84,3–89,5) 87,2/12,3 (84,7–89,8)/ (9,7–14,8) 57,2 (53,4–61,1) 99,8 (99,5–100) 2 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (ohne weiteren Wechsel) 119 54,4 (± 18,3) 35,8/64,2 (25,1–46,5)/ (53,5–74,9) 8,6/91,4 (1,5–13,2)/ (86,8–98,4) 91,4/8,6 (85,1–97,6)/ (2,3–14,9) 70,4 (60,2–80,5) 97,5 (94,1–100) 3 Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin -> Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie 112 49,5 (± 16,8) 26,9/73,1 (18,3–35,6)/ (64,4–81,7) 13,5/86,5 (3,2–14,1)/ (85,9–96,8) 86,5/13,5 (79,9–93,2)/ (6,8–20,1) 81,7 (74,2–89,3) 100 (100–100) 4 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie -> Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin 60 49,8 (± 14,2) 28,3/71,7 (16,6–40,1)/ (59,9–83,4) 13,3/86,7 (1,1–15,5)/ (84,5–98,9) 86,7/13,3 (77,8–95,5)/ (4,5–22,2) 90 (82,2–97,8) 100 (100–100) 5 Arzt für Allgemeinmedizin/ Facharzt für somatische Medizin -> stationär psychiatrische Fachabteilung 36 49,1 (± 17,4) 50/50 (27,3–72,6)/ (27,3–72,6) 9,1/90,9 (0,7–35,7)/ (64,3–99,3) 90,9/9,1 (77,9–100)/ (0–22,1) 77,3 (58,3–96,3) 100 (100–100) *1 Die prozentualen Angaben addieren sich teilweise nicht auf 100 %, da bei einer geringen Anzahl der eingeschlossenen Versicherten (< 1 %) keine Angaben zum Wohnort vorlagen. *2 städtische Regionen: Agglomerationsräume (Regionen mit Oberzentren > 300 000 Einwohner oder Bevölkerungsdichte ≥ 300 Einwohner/km²) und verstädterte Räume (Regionen mit Oberzentren > 100 000 Einwohner oder Bevölkerungsdichte > 150 Einwohner/km² bei einer Mindestdichte von 100 Einwohner/km²); ländliche Regionen: Regionen mit einer Bevölkerungsdichte < 150 Einwohner/km² und ohne Oberzentrum > 100 000 Einwohner sowie Regionen mit Oberzentrum > 100 000 Einwohner und einer Bevölkerungsdichte ≤ 100 Einwohner/km² (Raumabgrenzungen des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung). 3 * mindestens eine ambulante Abrechnungsdiagnose oder stationäre Haupt- oder Nebendiagnose einer weiteren psychischen Störung außer einer Depression gemäß ICD-10-GM, Kapitel F, im Untersuchungszeitraum 1. 1. 2005–31. 12. 2007. *4 mindestens eine ambulante Abrechnungsdiagnose oder stationäre Haupt- oder Nebendiagnose gemäß ICD-10-GM, Kapitel A–E und G–T (außer G30) im Untersuchungszeitraum 1. 1. 2005–31.12. 2007. *5 Gemäß KI-95-% besteht ein signifikanter Unterschied (keine Überschneidung der Konfidenzintervalle) des Merkmals zur Gesamtpopulation mit schwerer Depression (Index-Diagnose 1. 1. 2005–31. 12. 2007). *6 nummeriert nach absteigender Häufigkeit der Versorgungsverläufe. Für die Gesamtpopulation wurde das Konfidenzintervall aufgrund der Stichprobe auf 99-%-Niveau berechnet. Bei der Indexpopulation und den betrachteten Teilpopulationen wurde das Konfidenzintervall aufgrund der relativ geringen Stichprobengröße lediglich auf 95-%-Niveau angegeben. 95-%-KI, 95-%-Konfidenzintervall Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 13 WISSENSCHAFT eTABELLE 3 Ereignisse im Versorgungsverlauf bei schwerer Depression stratifiziert nach den fünf häufigsten Versorgungsverläufen bei Versicherten ohne Diagnose einer Depression oder einer anderen psychischen Störung im Vorbeobachtungszeitraum 1. 1.–31. 12. 2005; N = 1 149 Versorgungsverlauf Nummer*1 Versorgungsverlauf Anzahl/Anteil Versicherter mit entsprechendem Versorgungsverlauf n (%) Anteil Betroffener mit Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer psychischen Störung*2 % (95-%-KI) Anteil Betroffener mit Frühberentung aufgrund psychischer Störung*2 % (95-%-KI) Anteil Verstorbener % (95-%-KI) 1 Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin (ohne weiteren Wechsel) 646 56,2 10,3 (7,9–12,6) 0 (0–0) 3,1 (1,8–4,5) 2 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie (ohne weiteren Wechsel) 119 10,4 7,4 (1,6–13,2) 0 (0–0) 2,5 (0–5,9) 3 Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin -> Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie 112 9,7 19,2 (11,5–26,9) 1,0 (0–2,9) 5,8 (1,2–10,3) 4 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie -> Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin 60 5,2 18,3 (8,3–28,4) 1,7 (0–5,0) 0 (0–0) 5 Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin -> stationär psychiatrische Fachabteilung 36 3,1 31,8 (10,7–53,0) 0 (0–0) 9,1 (0–22,1) *1 nummeriert nach absteigender Häufigkeit der Versorgungsverläufe *2 Bei Interpretation der Ergebnisparameter „Arbeitsunfähigkeit“ und „Frühberentung“ ist zu beachten, dass die Index-Population auch Versicherte umfasst, die sich nicht im erwerbsfähigen Alter befinden (< 15 Jahre, > 65 Jahre), so dass die entsprechenden prozentualen Häufigkeiten eher unterschätzt werden. Diese Altersgrenzen werden in der Regel gewählt, um das erwerbsfähige Alter möglichst komplett auch an seinen in der Regel unscharfen Altersgrenzen vollständig zu erfassen. Ferner ist zu beachten, dass zwischen „Mortalität“ und dem jeweiligen Versorgungsverlauf wie auch zu den Parametern „Arbeitsunfähigkeit“ und „Frühberentung“ keine kausale Verknüpfung besteht. 95-%-KI = 95-%-Konfidenzintervall 14 Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 WISSENSCHAFT eKASTEN Detaillierte Methodenbeschreibung Im Rahmen des Projektes erfolgte eine überwiegend deskriptive Sekundärdatenanalyse zur Versorgungssituation bei psychischen Erkrankungen. Datenquellen Von den beteiligten Ersatzkassen wurden die Sekundärdaten (e1) von insgesamt 9 921 363 Versicherten mit Kodierung einer psychischen Störung der ICD-10-GM Gruppen F0–F5 im Zeitraum 2005–2007 ausgewählt und die Datensätze für die Analysen zur Verfügung gestellt. Die Selektion der Datensätze, die Analyse und die ergriffenen datenschutzrechtlichen Maßnahmen folgen dem Standard zur Durchführung von Sekundärdatenanalysen (GPS, Gute Praxis Sekundärdatenanalyse, [7]). Datengrundlage sind die Daten nach § 295 SGB V (ambulante Behandlungen) und § 301 SGB V (stationäre Behandlungen; [e2]) sowie der Reha-Statistik-Datenbasis (e3). Versichertenstichprobe Die untersuchte Stichprobe bestand aus Versicherten, die im Beobachtungszeitraum aufgrund einer diagnostizierten psychischen Störung (laut ICD-10-GM) mindestens einen Kontakt zum Versorgungssystem hatten. Die Auswahl basierte auf ambulanten Behandlungsdiagnosen, stationären Haupt- und Nebendiagnosen sowie Arbeitsunfähigkeitsdiagnosen: – organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen (F0) – psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen (F1) – Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen (F2) – affektive Störungen (F3) – neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (F4) – Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren (F5). Das Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) übernahm die Datentreuhänderschaft und führte die Datenplausibilisierung und die Datenanalysen durch. Inanspruchnahme des Versorgungssystems Die Inanspruchnahme des Versorgungssystems wurde anhand von Behandlungsfällen analysiert. Ein „Behandlungsfall“ entspricht in den Abrechnungsdaten der Krankenkassen nicht einer Person, da ein Patient mehrere Behandlungsfälle erzeugen kann. In den Abrechnungsdaten der Krankenkassen entspricht ein Behandlungsfall einem voll- oder teilstationären Aufenthalt sowie im ambulanten Bereich einer „gesamten vom selben Vertragsarzt in seiner Praxis innerhalb desselben Kalendervierteljahres an demselben Kranken ambulant zu Lasten derselben Krankenkasse vorgenommenen Behandlung“ (Bundesmantelvertrag Ärzte [BMV-Ä; Stand: 1.10.2006]). Betrachtet wurden Behandlungsfälle, für die eine entsprechende psychische Störung dokumentiert worden war (im stationären Bereich wurden nur Behandlungsfälle mit Hauptdiagnose einer psychischen Störung betrachtet). Im rehabilitativen Bereich umfasste ein Behandlungsfall den Zeitraum vom Beginn bis zum Ende einer Rehabilitationsmaßnahme. Hier wurden ebenfalls nur Fälle betrachtet, für die eine psychische Störung dokumentiert war. Die Differenzierung der Fachdisziplinen erfolgte anhand der Facharztschlüssel im ambulanten Sektor und anhand der Fachabteilungsschlüssel im stationären Sektor. Unter Fachärzten bzw. Fachabteilungen für somatische Medizin wurden alle Fachärzte bzw. Fachabteilungen subsummiert, die nicht dem Bereich der psychiatrisch-psychosomatisch-psychotherapeutischen Fachversorgung zuzuordnen sind (z. B. innere Medizin, Gynäkologie, Augenheilkunde usw.). Analyse des Versorgungsverlaufs Beispielhaft wurden Versorgungsverläufe bei schwerer Depression (Index-Diagnosen ICD-10-GM: F32.2 schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome; F32.3 schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen; F33.2 rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome; F33.3: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen) analysiert, da nur bei Depressionen Angaben zum Schweregrad der Erkrankung in ICD-10-GM vorliegen. Um bei der Vielzahl an verschiedenen individuellen Versorgungsverläufen eine Darstellung und Analyse zu ermöglichen, wurde für jeden Versicherten ermittelt, welche verschiedenen Fachdisziplinen der Betroffene im zeitlichen Verlauf in Anspruch genommen hatte und in welchen Bereichen (ambulant/stationär) die Versorgung erfolgte. Dabei wurde anhand des Behandlungsdatums jeder Wechsel von einer Fachdisziplin zu einer anderen (ungeachtet der Dauer der Versorgung in den einzelnen Bereichen) registriert. Auch Wechsel innerhalb eines Behandlungsquartals im ambulanten Bereich ließen sich über das Behandlungsdatum in chronologischer Reihenfolge ordnen. Stationäre Behandlungsfälle mit Aufnahmedatum im Beobachtungszeitraum und Entlassung aus stationärer Behandlung nach dem Beobachtungszeitraum wurden in die Untersuchung eingeschlossen. Es erfolgte eine Stratifizierung nach folgenden Versorgungssektoren/Fachdisziplinen: ambulant – Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie/Nervenarzt, ambulant – Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, ambulant – psychologischer Psychotherapeut, ambulant – Arzt für Allgemeinmedizin/Facharzt für somatische Medizin, stationär – psychiatrische Fachabteilung, stationär – psychosomatische/psychotherapeutische Fachabteilung, stationär – Fachabteilung für somatische Medizin, Rehabilitation. Die Fallzuordnung für die Versorgungsverlaufsanalysen erfolgte über Pseudonyme. Die fünf am häufigsten auftretenden Versorgungsverläufe wurden identifiziert und bezüglich der folgenden Ereignisse betrachtet: Krankschreibung aufgrund einer Depression, Berentung aufgrund einer Depression, Mortalität im Untersuchungszeitraum. Für die Übergänge zwischen den häufigsten initialen Versorgungsbereichen/Fachdisziplinen und den darauf folgenden Versorgungsbereichen/Fachdisziplinen wurden bedingte Wahrscheinlichkeiten für einen Arztwechsel (p; [e4]) und Konfidenzintervalle (KI; e5]) anhand der relativen Häufigkeit der betreffenden Übergänge geschätzt. In die Versorgungsverlaufsanalysen wurden Versicherte einbezogen, bei denen die Index-Diagnose im ersten Beobachtungsquartal 2005 und ein lückenloser Versicherungsverlauf bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes (31. 12. 2007) vorlag, sowie Versicherte mit Index-Diagnose im ersten Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013 15 WISSENSCHAFT Beobachtungsquartal, die im Untersuchungszeitraum (1. 1. 2005–31. 12. 2007) starben (n = 1 495; 5,6 % aller Versicherten mit schwerer Depression im ersten Quartal 2005). Bei Letzteren war naturgemäß aufgrund des eingetretenen Todes im Untersuchungszeitraum keine durchgängige Beobachtung bis zum 31. 12. 2007 gewährleistet. Die Versorgungsdaten wurden in diesen Fällen bis zum Todeszeitpunkt ausgewertet. Die Daten aller lebenden Versicherten wurden bis zum Ende des Beobachtungszeitraumes analysiert (31. 12. 2007). Das 1. Quartal 2005 wurde als Zeitraum der IndexDiagnose gewählt, um einen möglichst langen Beobachtungszeitraum zu gewährleisten. Des Weiteren wurden ergänzende Analysen für Versicherte mit Index-Diagnose einer schweren Depression im ersten Quartal 2006 durchgeführt, um auszuschließen, dass die beschriebenen Verläufe durch einen fehlenden Vorbeobachtungszeitraum aufgrund einer „Linkszensur“ der Daten inkomplett dargestellt wurden (eine Linkszensur läge vor, wenn vor dem Beginn des Beobachtungszeitraumes [1. 1. 2005] bereits Versorgungskontakte stattgefunden hätten, die nicht miterfasst wurden). Hierdurch war ein Vorbeobachtungszeitraum gewährleistet, der es ermöglichte, zwischen Versicherten zu differenzieren, die im Jahr vor der Index-Diagnose einer schweren Depression schon einmal wegen einer leichten (F32./F33.0) oder mittelgradigen Depression (F32.1/F33.1) Kontakt zum Versorgungssystem hatten, sowie Versicherten, die aufgrund einer anderen psychischen Erkrankung (F0–F9, außer Depression) Kontakt zum Versorgungssystem hatten und Versicherte, die im Vorbeobachtungszeitraum keinerlei Versorgungskontakte aufgrund einer Depression oder einer anderweitigen psychischen Störung hatten. Im stationären Bereich wurden nur durch eine schwere Depression bedingte Inanspruchnahmen als Index-Diagnosen betrachtet (Hauptdiagnosen). Im ambulanten Bereich wurden nur Inanspruchnahmen als Index-Diagnosen betrachtet, wenn eine schwere Depression in den Routinedaten in der Diagnosenrubrik (ggf. neben anderen Diagnosen) dokumentiert wurde. Bei der Analyse der auf die Index-Inanspruchnahme folgenden Versorgungskontakte wurden alle Inanspruchnahmen im Zusammenhang mit Depressionen betrachtet, unabhängig vom Schweregrad der Depression. Limitationen des Datensatzes In den Sekundärdaten liegen keine Angaben zu Todesursachen vor und die Erkrankungsgruppen F6–F9 wurden hier nicht betrachtet. Daten von Psychiatrischen Institutsambulanzen und aus besonderen Versorgungsformen (z. B. Verträge zur Integrierten Versorgung) waren nicht verfügbar. Im ambulanten Bereich existieren keine Haupt- und Nebendiagnosen, insofern kann bei Mehrfachdiagnosen während eines ambulanten Behandlungskontaktes nicht differenziert werden, welche Erkrankung im Vordergrund steht. Der Beobachtungszeitraum war zeitlich beschränkt, zudem konnte an den Daten nicht abgelesen werden, inwiefern es sich bei Inanspruchnahmen in diesem Zeitraum um Kontakte aufgrund von Ersterkrankungen handelte. Eine disziplinenspezifische Analyse der rehabilitativen Behandlung war nur auf Grundlage der Daten der DRV Bund möglich, da bei den Ersatzkassen keine Informationen über die behandelnde Einrichtung vorlagen. Die Versichertenpopulation von Ersatzkassen ist nur eingeschränkt repräsentativ für alle gesetzlich Versicherten: Zum Stichtag 1. 7. 2006 waren beispielsweise in den Ersatzkassen der Arbeiter und Angestellten 23,5 Millionen Personen versichert (einschließlich der mitversicherten Familienangehörigen), diese Zahl entsprach 33,4 % aller 70,3 Millionen gesetzlich Versicherten. Bei den Ersatzkassen der Arbeiter und Angestellten waren 57,2 % der Versicherten Frauen. Dem gegenüber betrug der Anteil an Frauen 53,1 % unter den insgesamt 70,3 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland zu diesem Stichtag. Der Anteil der Rentner in den Ersatzkassen der Arbeiter und Angestellten lag bei 23,5 %, in allen gesetzlichen Krankenversicherungen bei 26,0 %. Damit waren zum Stichtag 1. 7. 2006 in den Ersatzkassen der Angestellten und Arbeiter Frauen etwas über- und Rentner etwas unterrepräsentiert im Vergleich zur Gesamtzahl aller in Deutschland gesetzlich Krankenversicherten (e6). Die mittlere monatliche Krankenstandsquote lag bei den Ersatzkassen der Arbeiter (3,20 % im Jahre 2006) und Angestellten (3,30 %) in einer vergleichbaren Höhe wie die Quote aller gesetzlichen Krankenversicherungen (3,31 %) (e7). 16 Deutsches Ärzteblatt | PP | Heft 12 | Dezember 2013