3. Iron Academy Symposium (21. Januar 2010; Inselspital Bern; Schweiz) Ursache, Therapie und Konsequenzen von Anämien bei geriatrischen Patienten Reto W. Kressig, Akutgeriatrische Universitätsklinik, Universitätsspital Basel, Schweiz; [email protected] Abstract Anämie ist in der älteren Bevölkerung weit verbreitet. Mit zunehmendem Alter steigt ihre Prävalenz. Laut den Daten der NHANES III-Studie (1988–1994)1 bei über 4 000 selbstständig lebenden Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr, beträgt die Gesamtprävalenz von Anämie in dieser Altersgruppe schätzungsweise 11,0% bei Männern und 10,2% bei Frauen. Bei einem Drittel der älteren Menschen mit Anämie liegt ein Nährstoffmangel vor, bei einem weiteren Drittel geht die Anämie mit chronischer Entzündung (normale Eisenspeicher mit niedrigem zirkulierenden Eisen (unter 60 μg/dl)) oder chronischer Nierenerkrankung oder beidem einher und beim verbleibenden Drittel schliesslich sind die Ursachen der Anämie ungeklärt. Unter den identifizierten Anämieformen ist die Eisenmangelanämie mit 17% die häufigste Form von Anämie mit Nährstoffmangel (34% aller Anämiefälle). Anämieformen ohne Nährstoffmangel (66% aller Anämiefälle) sind unter anderem auf Niereninsuffizienz (8%), chronische Entzündung (20%) oder eine Kombination aus beiden (4%) zurückzuführen. Ein relativ hoher Anteil (34%) von ihnen ist jedoch ungeklärter Ursache. Die Unterscheidung einer Anämie chronisch-entzündlichen Ursprungs von einer Eisenmangelanämie kann sich jedoch als schwierig erweisen. Sowohl die Eisenmangelanämie wie die Anämie chronisch-entzündlichen Ursprungs können mit Serumferritinwerten zwischen 50 und 100 μg/l einhergehen. Die Bestimmung des färb­ baren Eisens im Knochenmark oder neuere Tests, wie die Bestimmung des löslichen Transferrinrezeptors oder die Bestimmung von Hepcidin (für die NHANES-Daten nicht verfügbar), könnten jedoch dazu beitragen, die Unterscheidung zwischen einer Anämie chronisch-entzündlichen Ursprungs und einer Eisenmangelanämie erheblich zu verbessern. Ätiologisch betrachtet kann Eisenmangel auf jegliche Störung zurückzuführen sein, bei der der Organismus mehr Eisen verliert als er aufnimmt. In den Industrieländern sind die häufigsten Ursachen hierfür eine reduzierte Eisenaufnahme über den Darm und chronischer Blutverlust. Bei 44–84% der Patienten mit Eisenmangelanämie lassen sich per oberer Endoskopie und Koloskopie klinisch relevante Läsionen nachweisen.2 Dabei scheint die Häufigkeit der Läsionen im oberen Gastrointestinaltrakt höher als im Dickdarm. 1–26% der Patienten weisen sowohl im oberen wie im unteren Gastrointestinaltrakt Läsionen auf. Mögliche Symptome und Anzeichen eines Eisenmangels sind in der Regel auf das Vorliegen einer Anämie zurückzuführen. Dieser Befund ist in der Regel unspezifisch und diskret. Zu den genannten Beschwerden gehören Fatigue (Müdigkeit) und Kurzatmigkeit. Wie aus epidemiologischen Beobachtungsstudien übereinstimmend hervorgeht, ist das Vorliegen einer Anämie bei älteren Menschen mit einer Reihe funktioneller Beeinträchtigungen assoziiert wie Gebrechlichkeit, reduzierte Mobilität und reduzierte kognitive Fähigkeiten.3 Ob dieser Zusammenhang jedoch ursächlich ist oder nicht, bleibt nachzuweisen. Eine Behandlung der Anämie kann, insbesondere in schweren Fällen (Hb<10g/dl), die subjektive, gesundheitsbezogene Lebensqualität älterer Erwachsener mit spezifischen Erkrankungen wie chronischer Nierenerkrankung oder Krebs verbessern. Es gibt jedoch keine KRESSIG_4SEITEN.indd 1 17.01.10 19:15 Evidenz dafür, dass sich die Korrektur einer Anämie positiv auf andere schwerwiegende Beeinträchtigungen auswirkt, die mit einer Anämie in Zusammenhang gebracht werden, wie linksventrikuläre Hypertrophie, kardio­ vaskuläre Ereignisse, nachlassende Nierenfunktion und Mortalität. Behandlungsoptionen für ältere anämische Patienten sind je nach klinischem Befund Bluttransfusionen, Erythropoietintherapie, Eisen-, B12- und Folsäuresubstitution. Über die funktionelle Auswirkung einer Anämiekorrektur in der breiten, selbstständig lebenden älteren Bevölkerung ist wenig bekannt. In der Regel ist die Anämie in dieser Population nicht schwergradig und überwiegend chronisch-entzündlichen oder unbekannten Ursprungs. In einer aktuellen Kurzzeitstudie4 bei Patienten aus dieser Bevölkerungsgruppe steigerte die Behandlung mit Epoietin alfa den Hämoglobinwert um ≥ 2 g/dl, verringerte die Fatigue (Müdigkeit) und verbesserte die Lebensqualität. Kein Nutzen jedoch wurde hinsichtlich der Mobilitätsfunktion festgestellt, die im «Timed Up and Go-Test» ermittelt wurde. Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und Eisenmangel mit oder ohne Anämie besserte die intravenöse Gabe von Eisen-Carboxymaltose die Symptome sowie die objektive, im 6-Minuten-Gehtest ermittelte funktionale Kapazität und die Lebensqualität.5 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Anämie bei älteren Menschen ein häufiges klinisches Syndrom ist. In den letzten zehn Jahren wurde in Beobachtungsstudien übereinstimmend ein biologisch plausibler Zusammenhang zwischen Anämie und funktionalen Beeinträchtigungen nachgewiesen. Der nächste wichtige klinische translationale Schritt besteht darin, herauszufinden, ob die Korrektur der Anämie eine Möglichkeit zur wirk­ samen Prävention und/oder Behandlung schwerwiegender klinischer und öffentlicher Gesundheitsprobleme in der älteren erwachsenen Bevölkerung darstellen kann, wie Gebrechlichkeit, körperliche Behinderung und Beein­ trächtigung der kognitiven Fähigkeiten. Literatur 1. Guralnik JK et al. Prevalence of anemia in persons 65 and older in the United States: evidence for a high rate of unexplained anemia. BLOOD 2004;104:2263-8. 2. Francois F et al. Iron deficiency anemia in the elderly. Geriatrics and Aging 2003;6(1):38-41. 3. Chaves PHM. Functional outcomes of anemia in older adults. Semin Hematol 2008;45:255-60. 4. Agnihotri P et al. Chronic anemia and fatigue in elderly patients: Results of a randomized, double-blind, placebo-controlled, crossover exploratory study with epoetin alfa. J Am Geriatr Soc 2007;55:1557-65. 5. Anker SD et al. Ferric Carboxymaltose in patients with heart failure and iron deficiency. N Engl J Med 2009;361:2436-48. KRESSIG_4SEITEN.indd 2 17.01.10 19:15