Kapitel 4: Kopplung von diskreten Zufallsexperimenten, das Bernoulli-Schema 1. Es sei Ω die Menge aller unendlich langen Folgen bestehend aus 0 und 1, d.h. Ω = {(ε1 , ε2 , ...) : εi ∈ {0, 1}}. Die Menge Ω kann identifiziert werden mit allen reellen Zahlen von [0, 1]. Eine eineindeutige Zuordnung ist gegeben durch die Darstellung in Form von Dualzahlen: ∞ X x= εi 2−i . i=0 Aus dieser eineindeutigen Abbildung x ⇔ (ε1 , ε2 , ...) folgt insbesondere, dass Ω überabzählbar ist. Um eine geeignete σ−Algebra von Teilmengen einzuführen, setzen wir A(ε1 ,ε2 ,...,εn ) = {(ω1 , ω2 , ...) : ωi = εi , 1 ≤ i ≤ n, ωi ∈ {0, 1} beliebig, i > n}. Die Menge A(ε1 ,ε2 ,...,εn ) besteht also aus allen unendlich langen Folgen, bei denen an der ersten Stelle ε1 , an der zweiten ε2 , ..., an der n−ten Stelle εn steht. Theorem 1 Es sei F die kleinste σ−Algebra von Teilmengen von Ω, die alle Mengen der Form A(ε1 ,ε2 ,...,εn ) enthält. Dann existiert zu jedem 0 ≤ p ≤ 1 genau ein Wahrscheinlichkeitsmaß P auf F derart, dass für alle n ∈ N und alle εi ∈ {0, 1} n n P (A(ε1 ,ε2 ,...,εn ) ) = pΣi=1 εi (1 − p)n−Σi=1 εi (1) gilt. Der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω, F, P ) heißt dann unendliches BernoulliSchema. Die Beziehung (1) besagt, dass man Wahrscheinlichkeiten von Ereignissen, die sich nur auf endlich viele Versuche beziehen, wie im endlichen BernoulliSchema berechnen kann. Für den Beweis des Satzes verweisen wir auf Sirjaev (1988), ”Wahrscheinlichkeitstheorie”, Seite 259, Satz 2, Paragraph 9, Kapitel II. 2. Im unendlichen Bernoulli-Schema mit p > 0 sei A das Ereignis, das darin besteht, daß nur die Zahl 0 fällt. Man zeige A ∈ F und beweise P (A) = 0. 1 Hinweis: A= \∞ n=1 An,0 , An,0 = A(0,0,...,0) . 3. Im unendlichen Bernoulli-Schema mit p < 1 sei A∞ das Ereignis, das darin besteht, dass unendlich oft die Zahl 0 auftritt. Man zeige A∞ ∈ F und P (A∞ ) = 1. Hinweis: ∞ \ ∞ [ A∞ = Bn,m n=1 m=1 wobei Bn,m = {(ε1 , ε2 , ...) : m X (1 − εi ) ≤ n}. i=1 T Die Folge Cn = ∞ m=1 Bn,m ist monoton wachsend in n. Deshalb gilt wegen der Stetigkeit des Wahrscheinlichkeitsmaßes P von unten lim P (Cn ) = P (A∞ ). n→∞ Bn,m ist in m monoton fallend. Es bleibt also zu zeigen, dass limm→∞ P (Bn,m ) = 0 gilt. Dies gelingt mit Hilfe der entsprechenden Wahrscheinlichkeiten im endlichen Bernoulli-Schema. 4. Im unendlichen Bernoulli-Schema sei An das Ereignis, das darin besteht, dass im n−ten Schritt erstmals 1 steht. Man zeige P (An ) = (1 − p)n−1 p. 5. Im unendlichen Bernoulli-Schema sei An,r das Ereignis, das darin besteht, dass im n−ten Schritt 1 zum r−ten Mal beobachtet wurde. Man zeige n−1 r p (1 − p)n−r , falls 1 ≤ r ≤ n r−1 P (An,r ) = 0 , sonst . 6. Im unendlichen Bernoulli-Schema sei Bn,δ das Ereignis, das darin besteht, dass die relative Häufigkeit des Auftretens von 1 innerhalb der ersten n Versuche um mehr als δ von p abweicht. Man zeige für 1 Xn Bn,δ = {(ε1 , ε2 , ..., εn ) : εi − p > δ} i=1 n die Beziehung lim P (Bn,δ ) = 0. n→∞ 2 Hinweis: Man zeige zunächst n X (k − np)2 bn,p (k) = np(1 − p) k=0 X bn,p (k) ≤ k k:| n −p|>δ 1 np(1 − p). δ2 7. Eine Urne möge M rote Kugeln und N − M schwarze Kugeln enthalten. Die sukzessiven Ziehungen erfolgen so: Es wird eine Kugel entnommen, die Farbe wird notiert und dann wird die Kugel zurückgelegt. Für eine fest gewählte ganze Zahl c werden dann c Kugeln der gleichen Farbe zusätzlich in die Urne gegeben. Für c < 0 werden |c| Kugeln entnommen. Damit ergibt sich für c = 0 einen Urnenmodell mit Zurücklegen und für c = −1 ein Urnenmodell ohne Zurücklegen. Wir beschreiben den Ziehungsvorgang durch eine Kopplung von Modellen. Dazu sei Ω0 = {0, 1} wobei 0 für rot und 1 für schwarz steht. Wir konstruieren jetzt die Anfangswahrscheinlichkeitsfunktion. Offensichtlich gilt q1 (0) = M N q1 (1) = 1 − und M . N Sind in den ersten j − 1 Ziehungen erfolgt und wurden k rote und j − 1 − k schwarze gezogen, so enthält die Urne vor dem j−ten Zug M +kc rote Kugeln und N − M + (j − 1 − k)c schwarze Kugeln. Deshalb setzen wir M + kc N + (j − 1)c N − M + (j − 1 − k)c pj (1|ω1 , ...ωj−1 ) = . N + (j − 1)c pj (0|ω1 , ..., ωj−1 ) = Weil j − 1 − k = funktion p(ω1 , ...ωn ) = Pj−1 l=1 ωl gilt, erhalten wir endgültig als Wahrscheinlichkeits- n−k−1 Πk−1 (N − M + lc) i=0 (M + ic)Πl=0 n−1 Πν=0 (N + νc) falls Xn l=1 ωl = n − k Weil das Ereignis ”genau k rote Kugeln wurden gezogen” aus nk gleichwahrscheinlichen Elementarereignissen besteht, ergibt sich als Wahrscheinlichkeit hierfür k−1 n Πi=0 (M + ic)Πn−k−1 (N − M + lc) l=0 . n−1 k Πν=0 (N + νc) 3 8. In einer Spielshow besteht die Möglichkeit, ein Auto zu gewinnen. Hinter drei verschlossenen Türen steht hinter einer vorher zufällig ausgewählten Tür das Auto. Hinter den beiden anderen steht jeweils eine Ziege. Der Kandidat wählt eine Tür, die aber verschlossen bleibt. Der Spielleiter öffnet dann eine der beiden anderen Türen, hinter der eine Ziege steht. Dann fragt der Spielleiter, der weiß, wo das Auto steht, den Kandidaten, ob er seine Wahl ändern möchte. Nach dessen Antwort wird die Tür, für die er sich endgültig entschieden hat geöffnet. Das Problem ist, ob der Kandidat seine Meinung beibehalten oder zu einer anderen Tür wechseln soll. Die anschauliche Lösung ist so. Jeder Kandidat verfährt mit einer festen Strategie. Der Nichtwechsler gewinnt genau dann, wenn er zufällig die richtige der drei Türen ausgewählt hat. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist 13 . Der Kandidat mit der Wechselstrategie gewinnt genau dann, wenn er eine der beiden Türen gewählt hat, hinter der eine Ziege steht, weil der Spielleiter ihm dann die andere Ziegentür zeigt und er sich durch den Wechsel für die richtige Tür entscheidet. Die Gewinnwahrscheinlichkeit beträgt für den Wechsler 23 . Mathematisch beschreiben wir diesen Vorgang durch eine Kopplung von Experimenten. Sei Ωj = {1, 2, 3} und Ω = Ω1 ×Ω2 ×Ω3 . Das Elementarereignis (i, j, k) besagt, dass das Auto hinter der Tür i steht, dass der Kandidat zunächst die Tür j gewählt hatte und schließlich der Spielleiter der Tür k öffnete. Es gilt q0 (i) = 31 , da der Spielleiter rein zufällig eine der Türen für das Auto auswählt. Sei p2 (j|i) = 13 , d.h. der Kandidat wählt, weil er keine zusätzlichen Informationen hat, rein zufällig eine Tür aus. Für die Konstruktion der bedingten Wahrscheinlichkeitsfunktion p3 (k| i, j) beachten wir, dass der Spielleiter für i 6= j keine Wahl hat als die verbleibende Ziegent”ur zu ”offnen. In den anderen Fällen wählt er rein zufällig eine der beiden Ziegentüren. Damit ergibt sich 1, falls i 6= j und k ∈ Ω3 \ {i, j}, p3 (k| i, j) = 21 , falls i = j und k ∈ Ω3 \ {i}, 0, sonst. Man berechne die Wahrscheinlichkeitsfunktion p(i, j, k) und die Gewinnchancen für beide Strategien. 4