FORSCHUNG UND TECHNIK 3lfw Quittier 3rttun^ Eine Kulturgeschichte der Läuse, Wanzen und Flöhe Ift. Insekten gibt es seit über 300 Millionen Jahren; sie gehen auf primitive Würmer zurück, die sich im Kambrium Beine zulegten utili als erste Tiere auf das Festland krabbelten. Die Chancen sind gut, dass sie das Menschengeschlecht um weitere Hunderte von Jahrmillionen überleben werden. Es wird auch allzu oft vergessen, dass die Geschichte iler Menschheit oft durch die Insekten geprägt und bestimmt wurde. Sie waren am Auszug der Israeliten aus Aegyptcn massgebend beteiligt und haben auch die nichtjudäochristlichcn Religionen nachhaltig beeinflusst. Als Vektoren von Krankheiten wie Pest, Ma- einige wenige Säugetierarten, welche keine Flöhe beherbergen, nämlich die unpaarigen Huftiere, die Elefanten und die Aardvarks. Flohlarvcn entwickeln sich vorwiegend in Schmutz und Abfällen; darum sind höhlenbewohnende Tiere in dieser Hinsicht "bevorzugt», zum Heispiel Wildschweine, Füchse und Dachse. Da die menschliche Behausung zumindest in früheren Zeiten in hygienischer Hinsicht starke Analogien mit einem Schweinestall aufwies, ist es naheliegend, dass sich gewisse Flöhe auch zu Parasiten des Menschen entwickelten. Heute sind Flohbisse zumindest in den westlichen Ländern fast ausschliesslich auf Hundeoder Katzenflöhe zurückzuführen. Die Läuse gehören zur es Ordnung der Pthlraptera und sind wahrscheinlich schon seit dem Miozän (also seit über 30 Millionen Jahren) Parasiten von Säugetieren und Vögeln. jjjjj,, ^W,' i-Kj '.WsHf Sie haben sich an deren Evolution angepasst; als die frühen Vorfahren des Menschen ihre Haarbcdekkung verloren, verzogen sich die Läuse in die verbleibenden behaarten «Oasen», nämlich das Kopfund das Schamhaar. Da die Schamhaare viel gröber sind und weiter aiiseinandcrstchen als das Kopf- haar, entwickelten sich zwei entsprechend spezialisierte Abarten; Schamhaarläuse können aber auch die ihnen zusagenden Augenbrauen infizieren. Als der Mensch begann, Kleidung zu tragen, öff- Flohfallen des 18. Jahrhunderts, a Dor Stift (rechts) wurdo mit Blut beschmiert und in die durchlochte Hülse (links) geschraubt. Solche Flohfallon wurden als Pendentif um den gabelförmigen Siift Hals gelragen (b). c 1709 datiorte Flohfalle aus Deutschland. In den gesteckt, d Flohpolz mit Derqkriwurdo ein mit Honig oder Sirup getränkter Wollappen »tallkopf. 8 Chinesische Flohfalle aus Bamhus; auf dns innere Rohr wurdo Vogelloim geschmiert. Solche Fallen wurden m den Aermeln getragen. laria, Pocken, Typhus, Schlafkrankheit, Bilharziose und anderen mehr haben sie mehrmals mehr als ein Viertel der Erdbevölkerung dahingerafft. Es Hisst sich leicht errechnen, dass Nero, Dschingis-Khan, Mohammed, Napoleon, Hitler sowie alle Päpste. Pharaonen und ottomanischen Herrscher zusammen nur ein milder Luftzug waren im Vergleich zu den taifunartigen Stürmen, welche e d i Flöhe allein über die Menschheit heraufbeschworen haben. Ueber dieses Thema erschien vor kurzem in England ein fasziBuch*, nierendes dessen Inhalt im folgenden kurz zusammengefasst werden soll. Flöhe, Lause utili Wanzen Schon der Gedanke an Flöhe, Läuse und Wanzen erfüllt ed i meisten Menschen mit Ekel: Solche Insekten aufzulesen und von ihnen gebissen zu werden, gehört zu den weniger erfreulichen «Andenken» an Reisen in ferne, meist südliche Länder. Das Studium dieses Ungeziefers überlässt man darum getrost den Spezialisten; Busvine hat nun aber das Kunststück fertiggebracht, über die Ektoparasiten des Menschen ein sowohl entomologisches wie kulturhistorisches Buch zu schreiben, das trotz oder vielleicht gerade wegen seiner Akribie auch für den Laien faszinierend, ja geradezu spannend wirkt. Es gibt über eine Million Insektenarten; jedes Jahr werden über 7000 neue Arten beschrieben, während es insgesamt nur etwas über 4000 Säugetierarten gibt. Das kleinste Insekt ist ein mikromechanisch-chemisch-kybernetischer Mechanismus sublimer Komplexität- wer eine Mücke tötet, löscht dabei einen Organismus aus, zu dessen vollständiger Simulation ein Gross-Computer der vierten Generation wohl noch gerade ausreichen würde. Es gibt unglaubliche Mengen von Insekten: ein Bienenvolk umfasst 30 000 Arbeiter, ein Ameisenhaufen hat 100 000 Einwohner, ein Termitennest gegen 2 Millionen, während ein mittelgrosser Heuschreckenschwarm aus einer Milliarde Tieren besteht. Weil sie im Gegensatz zu den Wirbeltieren durch ein äusseres Chitinskelett zusammengehalten werden, ist die Grösse der Insekten stark beschränkt: die kleinste Milbe (Acaraspis woodi) ist 0.1 mm lang, während der grösste Käfer (Dynastes hercules) knapp über 150 mm, die grösste Motte (Erebus agrippina) eine Flügelspannweite von 280 mm erreicht. Das Erfolgsgeheimnis der Insekten ist deren Anpassungsfähig- keit: Dank ihrer enormen Fruchtbarkeit und der kurzen Generationenfolge haben sie Arten hervorgebracht, die gegen unsere besten Insektizide und selbst radioaktive Strahlung resistent sind. Die Bettwanzen gehören zu der 60 000 Arten umfassenden Familie der Hemiptera: ursprünglich ernährten sie sich wohl von Pflanzensaft und wurden dann zu Parasiten der Fledermäuse; auf den Menschen stellten sie sich erst vor rund 35 000 Jahd e ren um, als Homo sapiens die Fledermäuse aus n ihm als Behausung zusagenden Höhlen verjagte. Im Mittleren Osten und im Mittelmeerraum waren die Bettwanzen schon in der Antike bekannt, nach Nordeuropa gelangten sie jedoch erst viel später, so im 11. Jahrhundert nach Deutschland und erst im 13. Jahrhundert nach Frankreich. Die Flöhe haben sich schon sehr früh als Parasiten der Säugetiere spezialisiert; man findet sie in grossen Mengen in 40 bis 50 Millionen Jahre altem Bernstein aus dem Baltikum. Sie wiesen schon damals ihre heutige Form auf. Interessanterweise gibt * Insects. Hygiene and History; von J. R. Busvine. The Athlonc Press of ihe University of London, £6.95 (1976). nete sich eine neue ökologische Nische, an welche sich die Laus noch heute langsam anpasst. Körperläuse klettern demzufolge leicht auf Woll- unJ herum: Baumwollfasern die neuartige Struktur und die Dimensionen der synthetischen Fasern sind ihnen allerdings noch fremd. Ohne den andauernden Kontakt mit dem Wirt überleben Menschenläuse nur kurze Zeit. Der sich auf Menschen-Iäuse spezialisierende Entomologe muss also seine Studienobjekte mit dem eigenen Blut ernähren. Vorzugsweise werden die niedlichen Tiere zu diesem Zweck in Pillenschachteln gehalten, die mit Gaze bedeckt sind und in der Knöchelgegcnd unter den Socken getragen werden. Die Milben weisen im allgemeinen einen Durchmesser von weniger als 0,5 mm auf; sie sind ausserordentlich weit verbreitet und haben sich zu Parasiten fast aller Tierarten, selbst anderer Insekten, entwickelt. Es gibt Milben, die in den Atemröhren d e Geschlechtsöffnungen von von Bienen, in n d e Haarfollikeln der menschliSchildkröten und in n chen Augenbrauen leben. Der klassische menschliche Parasit ist die Art Sarcoptes- sabiei, welche sich unter der Haut eingräbt und die durch intensives Beissen gekennzeichnete Krätze oder Scabies verursacht. Gefährliche Kranklieitüvektoren An sich sind alle Ektoparasiten harmlos: der durch sie bewirkte Blutverlust ist vernachlässigbar klein. Sie wirken aber als Träger, das heisst Vektoren einer Reihe von äusserst gefährlichen Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber, Pest, Typhus, Schlafkrankheit, Enzephalitis und die Chagas-Krankheit. Der Erreger des Flecktyphus (Rickettsia prowazeki) wird durch die menschliche Laus verbreitet; wohl allgemein bekannt ist, dass das Pestbakterium (Yersina pestis) durch Rattenflöhe übertragen wird. Ungewöhnlich interessant dabei ist, dass der Pesterreger den Darm des Flohs blockiert, so dass dieser rasend hungrig wird und immer wieder versucht, das Blut seines Wirtes oder dasjenige eines andern Tieres, zum Beispiel des Menschen einzusaugen. Bei diesen verzweifelten Versuchen bläht sich der Floh kurzzeitig auf, worauf mangels einer Abflussmög- lichkeit bakterieninfiziertes Blut in nd e Kreislauf des Wirtes zurückgepumpt wird. Im Gegensatz dazu wird der Typhuserreger durch die Exkremente der Laus übertragen, wenn Spuren davon durch Kratzen in oberflächliche Hautwunden eingerieben werden. Weniger gefährliche gesundheitliche Folgen der Ektoparasiten reichen von allergischen Reaktionen und Ekel bis zu einer speziellen Art Neurose, dem sogenannten Wahnhaften Ungezieferbefall. Trotz der heute in der westlichen Welt allgemein befolgten Hygiene sind Kopfläuse keine Seltenheit: man findet sie relativ häufig bei durchaus sauberen Schülern und jungen Leuten, besonders bei Mädchen. Körperläuse hingegen gedeihen nur noch auf Menschen, e d i ihre Unterwäsche selten wechseln und im allgemeinen auch darin schlafen. Psychologie und Kulturgeschichte Die Einstellung des Menschen gegenüber seinem Ektoparasiten ist ein faszinierendes Kapitel der Kulturgeschichte, das Busvine in seinem Buch mit besonderer Akribie behandelt. Priester des alten Aegyptens wie auch später die buddhistischen Mönche mussten strikte Hygienevorschriften befolgen und sich periodisch sämtliche Körperhaare abrasieren. Die klassische griechische und römische Literatur enthält viele Hinweise auf Flöhe und Läuse, wovon letztere als besonders ekelerregend betrachtet wurden. Im frühen Mittelalter hingegen galt die Verseuchung mit Läusen als Zeichen besonderer Heiligkeit. Läuse wurden Perlen Gottet genannt; nach der Ermordung von Thomas ä Decket im 12. Jahrhundert erstarrten die Mönche, die ihn vor Mittwoch, seiner Beisetzung entkleideten, vor Ehrfurcht: die Unterwäsche des Erzbischofs wimmelte so sehr von Läusen, dass es aussah wie siedendes Wasser in einem Topf. Im 15. Jahrhundert trugen elegante Damen ein sogenanntes I lohpclzchcn um die Schultern, das ihre Flöhe anziehen sollte. Noch im 18. Jahrhundert trugen die Frauen Floh/allen der verschiedensten Italian in den Kleidern oder hängten diese als Pendentif an eine Halskette. Dank der in diesem Jahrhundert eingetretenen enormen Verbesserung der Hygiene sind Menschenflöhe kaum mehr zu finden; aus diesem Grund ist auch der frü- 7. Dezember 1977 Nr. 2S7 67 her als gangige Jahrmarktattraktion geltende Flohzirkus verschwunden. Auch Köipci lliiise sind relativ selten geworden, während Kopfläuse in Schulen weiterhin auftreten. Die Krätze nimmt immer wieder epidemische Proportionen an; möglicherweise entwickelt der Körper eine Immunität gegen die Milben, bis diese Immunität durch eine Mutation wieder aufgehoben wird. Die Ektoparasiten sind als medizinisches Problem also keineswegs verschwunden; dank ihrer Anpassungsfähigkeit und Resisten/, weiden sie die Gesundheitsbehörde!] zweifellos noch lange beschäftigen. Tränen vgl. Das menschliche Auge wird oft mit einer Kamera verglichen, in welcher das Licht zuerst durch ein durchsichtiges Fenster tritt (die Hornhaut), dann durch die Pupille, eine Oeffnung variablen Durchmessers, deren Funktion der Kanierabk'nde gleichkommt, und schliesslich zur Linie gelangt. Diese fokussiert das Licht durch Wölbung oder Abflachung auf die lichtempfindliche Netzhaut. Hier wird das Ifild in Nervenimpulse umgewandelt, die über n d e Sehnerv zum Gehirn gelangen, wo sie zur eigentlichen Empfindung verarbeitet weiden. Ueber Auge das erhält der Mensch etwa die Hälfte der Uniweltcindrücke, die seine Sinne erreichen; wir sind also in hohem Masse «optische Tiere». Das optische Element des Auges ist die bevorderste reits erwähnte Hornhaut, die für den Sehvorgang ganz von besonderer Bedeutung ist: sie muss stets durchsichtig und sauber sein. Das Auge liegt in einer Knochenliöhle des Schädels, ist von einer Fettschicht umgeben und wird durch eine Reihe von Muskeln bewegt. Zu, welche das Auge bevorderst liegen die Lider decken und sehr rasch reflexartig geschlossen werd e können, um Fremdkörper abzuwehren. Sie n sind innen mit einer glatten Schleimhaut bedeckt, der Bindehaut, e d i mit einer das Auge bedeckenden Membran verbunden ist: die Ränder dieses Systems bilden den liindelwutsack. Diese Membranen sind sehr elastisch, so dass das Auge leicht beweglich bleibt. Einige Tierarten, zum Beispiel Kaninchen und Vögel, besitzen ein weiteres Augenlid: es iiegt hinter dem äusseren Paar. Schlangen huben durchsichtige äussere Augenlider, die zusammengewachsen sind und so ein Fenster bilden, das Sandkörner, Dornen und andere Fremdkörper vom Auge fernhält. Fische hingegen brauchen keinen solchen Schutz: das Wasser hält ihre Augen stets rein. Das menschliche Auge ist bekanntlich sowohl mit Lidern wie auch mit einem zusätzlichen flüssigen Schutzsystem versehen, der Tränenflüssigkeit, die auch für die Reinigung und Schmierung der Augenoberfläche verantwortlich ist. Eine vielseitige Flüsr-igkeit Die wässerige Phase der Tränenflüssigkeit wird Von den etwa mandelgrossen Tränendrüsen abgesondert, die sich oberhalb und auf der äusseren Seite des Augapfels innerhalb der Augenhöhle befinden. Ueber e i n Anzahl von engen Kanälen wird die Flüssigkeit zum oberen Ende des Bindehautsacks geleitet: beim Blinzeln wird sie über die Vorderseite des Auges verteilt und fliesst dann in die innere Ecke des Bindehautsacks. Der Ucberd e schuss gelangt über eine feine Oeffnung in n Tränensack und fliesst schliesslich in die Nasenhöhle ab. Zur Befeuchtung des Auges genügt eine sehr geringe Menge Tränenflüssigkeit (etwa 10 Mikroliter); der grösste Teil wird durch die Oberflächenspannung an der Kante der beiden Lider gehalten. Der Tränenfilm verleiht der Hornhaut ein glattes, glänzendes Aussehen: er umfasst höchstens einen Fünftel des gesamten Tränenflüssigkeitsvolumens. Wenn das Auge nicht irritiert ist, d i Tränendrüsen pro Tag nur 1 bis 2 sondern e Milliliter Flüssigkeit ab; diese Menge gentigt, um die Verdunstungsverluste wettzumachen. Schmerz empfindung führt jedoch reflexartig zu einer starken Erhöhung der Tränensekretion. Die Augen Knochen J N tF e t Muskeln & Optischer Nerv - " Auge , ! ' X* '".\ijy Sa- '- Muskeln^^Si/ Knochen J y } ' /-- Tränendrüse Bindehaut Augenlid ^enlid 1 j \Meibomsche Drusß tranen auch bei Kälte, starkem Wind, Berührung des Augapfels sowie unter der Wirkung von Fremdkörpern, sehr starkem Licht und irritierenden Substanzen wie Zigarettenrauch, Staub und dem von gehackten Zwiebeln abgegebenen Dunst. Jedem bekannt sind auch die sogenannten psychogenen Tränen, die durch emotionelle Affekte ausgelöst werden. Das oben beschriebene Drainagesystem reicht nicht aus, um einen plötzlichen Schwall grösserer Flüssigkeitsmengen zu verkraften: die Augen laufen dann über, und die Sicht wird durch Tranenströme gestört, die über die ganze Hornhaut fliessen. Die Tränenflüssigkeit besteht neben Wasser aus geringen Mengen Protein, also Eiweiss, und enthält zudem rund 1 Prozent Salz. Der Salzgehalt ist also etwa derselbe wie im Blutplasma: allerdings enthält die Tränenflüssigkeit mehr Kalium und Chlorid, während der Proteingehalt zehnmal niedriger ist. Es gibt in der Tränenflüssigkeit drei Sorten Protein: Albumine und Globuline, darunter eine Reihe von Immunproteinen, Lysozym sowie mindestens ein weiteres bakterieotötendes Enzym. Weiterhin enthält die Tränenflüssigkeit geringe Mengen Glukose, aber viel weniger als das Blutplasma. Dennoch spielt der Tränenfilm eine wichtige Rolle beim Stoffwechsel der Hornhaut, denn er führt ihr gelösten Sauerstoff zu. Es gibt in der Hornhaut keule Blutgefässe, um Sauerstoff zu- und Neue Zürcher Zeitung vom 07.12.1977 Kohlendioxid abzuführen; der Gasaustausch erfolgt also vorwiegend über die Tränenflüssigkeit, Oclxcllcn Wenn die Oberfläche der Hornhaut nicht richtig benetzt wird, können deren Oberflächenwellen, das sogenannte Eplthellum, beschädigt und undurchsichtig werden. Mit der Zeit wachsen dann Blutgefässe in das Gewebe hinein, was zur Erblindung führt. Wie bereits erwähnt, ist aber nur fun/. wenig Flüssigkeit erforderlich, um die Hornhautoberfläche zu benetzen. Bei Menschen, die ohne Tränendrüsen geboren werden oder bei welchen diese operativ entfernt werden müssen, trocknet die Hornhaut in der Regel dennoch nicht aus, weil /wci Typen zusätzlicher Drüsen essentielle Komponenten des Tranenfilms, nämlich Oel und Schleim, abscheiden. Es gibt auf der Innenseite jedes Augenlides 20 bis 30 Ocldiüscn (sogenannte Meibomsche Drüsin). Das Ocl tritt an der inneren Kante des Lides aus länglichen Ocffnungcn: es handelt sich um eine klare, gelbliche Flüssigkeit. Davon wird bei jeder JJdbcweguiig eine winzige Menge ausgepresst. Das Oel ist mit der Tränenflüssigkeit nicht mischbar, sondern bildet an der Oberfläche des Tränenfilms eine unsichtbare Schicht; dadurch wird die Verdunstung um einen Faktor 10 reduziert. Das Ocl erhöht auch die Oberflächenspannung des Tra'ncnfilms und verhindert dessen Abfliessen, wenn die Tränendrüsen normal funktionieren. Beim Schlafen trägt das Ocl dazu bei, kleine Spalten zwischen n d e Lidern abzudichten: man findet es gelegentlich zu feinen Flöckchen getrocknet zwischen den Wimpern. Die chemische Zusammensetzung des Oels ist sehr komplex; es ist mit den Hautölen verwandt. Schle eile Die Oberfläche der Hornhaut besteht aus mehreren Lagen durchsichtiger Epithelialzcllen. Sie sind mit Tausenden von mikroskopisch kleinen, fingerförmigen Ausläufern (sogenannten tnlcrovlllt) bedeckt, welche die Oberfläche vergrössern und dadurch den Gasaustausch mit dem Tränenfilm verbessern. Ohne Schleim ist jedoch e d i vollständige Benetzung der Epithelialzellen nicht gewährleistet: ist nur die wässrige Phase der Tränenflüssigkeit vorhanden, so zerfällt der Tränenfilm leicht zu einzelnen Tröpfchen. Eine Spur von Schleim genügt jedoch, um den Film homogen über die Augenoberflächen auszubreiten. Der Schleim wird durch viele kleine Drüsen in der Bindehaut abgesondert: er wird wie das Oel durch die Bewegungen der Lider über die Augenoberfläche verteilt. Der Ueberschuss sammelt sich im Bindehautsack an und gelangt schliesslich in die innere F.ckc des Auges, wo er austrocknet. Dies ist dci* «Schlaf», den man sich beim Aufwachen aus den Augen reibt. Der Tränenfilm umfasst also grundsätzlich drei Komponenten: eine Schleimschicht an der Oberfläche der Epithclialzellen, welche deren Benetzung ermöglicht, sowie eine wässerige Schicht, die den grössten Teil des Filmes umfasst und Salze, Proteine und wahrscheinlich auch gelösten Schleim . enthält Zuoberst schwimmt die Oelscliichl, welche die Verdunstung reduziert und auch die Stärke des Tränenfilms in Grenzen hält. Das Fehlen der einen oder anderen Komponente des Tränenfilms kann ernsthafte Folgen haben. Die Sekretion der Tränendrüsen lässt mit dem Alter und besonders infolge rheumatoider Arthritis nach, was zu einem Austrocknen der Augenoberfläche führen kann. Gewisse Chemikalien bewirken eine Verstopfung der Schleimkanäle und der Kapillaren, welche die Tränenflüssigkeit "von nd e Drüsen zum Bindehautsack führen. Die Wirkung von Trachom und Vitamin- A -Mangel beruht zum Teil ebenfalls auf dem Austrocknen dor Augenoberfläche. Trachom führt zur Vernarbung der Bindehaut und zur Zerstörung der Schleimzellcn. Dies bewirkt eine mangelhafte Schmierung und Benetzung und eine starke Reizwirkung der vernarbten Lider auf der Augenohcrfläch«: die Hornhaut kann schliesslich undurchsichtig werden. Kuii-iIm in- Tränen Der Mangel an Vitamin A, kombiniert mit eiwcissdefizienter Ernährung, bewirkt ejne spezielle Art der Augenaustrocknung, die sogenannte Xerophthalamie, bei weicher sowohl Schleim wie Tränenflüssigkeit fehlen. Dies führt zum Anschwellen der Hornhaut, zu deren Auflösung und später sogar zur Perforation des Auges. Die Xcrophthalamie ist in gewissen Teilen Indiens und Pakistans weit verbreitet. Die Behandlung dieser Leiden bestallt natürlich primär in der Verbesserung von Ernährung und Hygiene sowie der Bekämpfung lokaler Infektionen. Es gibt aber auch eine Reihe von Präparaten, welche das Volumen der Tränenflüssigkeit erhöhen und die Benetzung des Auges verbessern. Künstliche Tränenflüssigkeit, die si n Auge geträufelt wird, enthält Polymere und ScMeimcrsatzstoffe, welche die Tranen verdicken und e.cren Abfliessen verhindern. Konventionelle Netzmittel sind schädlich, da sie die Netzhaut irritieren. Bei der Uebcrproduktion von Schleim werden auch Augentropfen angewandt, die Schleimfäden und -gerinnsel auflösen. Quelle: Spectrum Nr. 150 (1977).